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Antaris Thirindar ist ein Krieger der Lichtwächter-Gilde, die für Recht und Ordnung im Lande Lathyrien sorgt. Als sein engster Freund und Gildenbruder ermordet wird, setzt er alles daran, den Täter zur Strecke zu bringen. Unglücklicherweise benötigt er dabei die Hilfe des mürrischen Assassinen Tesfaye, der jedoch seine ganz eigenen Ziele verfolgt. Durch einen Blutschwur aneinander gebunden und von einer dunklen Bruderschaft gejagt, müssen die beiden ungleichen Männer erkennen, dass die Götter selbst ihre Finger im Spiel haben.
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Seitenzahl: 580
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Band 1
© dead soft verlag, Mettingen 2019
http://www.deadsoft.de
© the authors
Bildbearbeitung: Irene Repp
http://daylinart.webnode.com
Bildrechte: © OsmanGoni – stock.adobe.com
© Allure – stock.adobe.com
© klyaksun - stock.adobe.com
© LaFifa – stock.adobe.com
2. Auflage 2023
ISBN 978-3-96089-619-7
ISBN 978-3-96089-802-3 (epub)
Dieses Buch ist eine fantastische, homoerotische Geschichte und beinhaltet explizite Darstellungen von sexuellen Handlungen zwischen Männern.
Fiktive Personen können darauf verzichten.
Im wahren Leben gilt:
Safer Sex!
Schon seit einer gefühlten Ewigkeit stand ich in dieser stinkenden Seitengasse zwischen Unrat und Holzfässern mit verwesendem Inhalt und beobachtete die runtergekommene Taverne schräg gegenüber. Aus wenigen Tropfen war ein beständiger Nieselregen geworden, der längst seinen Weg unter meine Kleider gefunden hatte und meine Haut aufweichte. Ich versuchte, es zu ignorieren, genau wie das zunehmende Zittern meiner Hände, das Stechen im Rücken und die schwerer werdenden Beine.
Trotzdem musste ich mir nicht die Frage stellen, warum ich an einem Ort war, an dem sich für gewöhnlich keiner von uns herumtrieb. Ich wischte mir den Regen mit der Hand vom Gesicht. Doch so wenig wie dies etwas nützte, so wenig konnte ich das Bild von ihm von meinem inneren Auge wegwischen. Blitzartig durchfuhr mich die Erinnerung daran, wie der Bolzen die Rüstung meines Gildenbruders durchschlagen, wie wir beide ungläubig auf den immer größer werdenden roten Fleck auf seiner Brust gestarrt hatten. Es war mir wie eine Ewigkeit vorgekommen, doch es waren höchstens wenige Lidschläge gewesen, bevor er wortlos zusammengebrochen war. Und ich? Ich hätte den Schützen sofort zur Strecke bringen, den Mörder meines Freundes verfolgen müssen. Aber ich hatte ihn nicht allein lassen können. Vielleicht war das mein Fehler gewesen …
Deswegen stand ich jetzt dort und starrte weiterhin auf den Eingang der miesen Schenke in dieser noch mieseren Gegend und ich würde noch tage- und nächtelang warten, wenn es sein müsste.
Ich zog die Kapuze meines Umhanges tiefer ins Gesicht, um noch ein wenig mehr mit den Schatten der Gasse zu verschmelzen, als ich durch den Vorhang des Regens die Ankunft eines in Leder gekleideten Mannes wahrnahm. Elegant schwang er sich von seinem kräftigen Hengst und warf dem bedauernswerten Stallburschen, der wie ich im Regen ausharrte, lässig die Zügel zu. Der Kerl, der nun das fragwürdige Etablissement betrat, passte auf die Beschreibung, deren Erhalt mich eine Stange Geld gekostet hatte.
Ich wartete einige Augenblicke ab, bevor ich mich von der feuchten Mauer abstieß und ebenfalls auf den Eingang der Taverne zusteuerte. Ein kleiner Hauch von Zweifeln streifte mich, doch die Wut, die meine Hände bereits wieder zu Fäusten ballte, ließ mich weitergehen. Ohne nochmals zu zögern, stieß ich die Tür auf und trat in die Schenke, die auch von innen keinen besseren Eindruck machte. Zwar war es voller und belebter, als ich es mir ausgemalt hatte, aber der Gestank von Alkohol, Schweiß und Erbrochenem hing schwer in der Luft. Lautes Lachen dröhnte mir in den Ohren und das Geräusch von Würfelbechern erscholl aus mehreren Ecken. Ich kam bei dem Anblick dieser Horde nicht umhin, abfällig die Nase zu rümpfen.
Angewidert schob ich mich durch die Menge und erkämpfte mir einen Platz an der Theke in einer Ecke. Mit dem Rücken zur Wand hatte ich einen guten Blick in den Raum, ohne dass ich auffällig starren musste. Ungefragt knallte mir der Wirt mit einem kurzen Nicken einen Krug Met auf den Tresen, wandte sich dann aber desinteressiert ab. Normalerweise war ich einen anderen Umgang gewohnt, aber normalerweise zeichneten mich auch die auffälligen Insignien meiner Gilde aus, die das einfache Volk sofort in Ehrfurcht erstarren ließen. Dieses Mal jedoch wollte ich nicht als einer der meinen erkannt werden. Trotz des Risikos wollte ich in der Menge untertauchen, auch wenn ich wohl nicht auf das Verständnis meiner Gilde hoffen durfte, falls mein Plan nach hinten losgehen sollte.
Ich ließ meinen Blick über die Anwesenden schweifen und hielt Ausschau nach dem Kerl von draußen. Die wenigen Informationen über ihn und das Arrangement dieses Treffens waren schwerer zu bekommen gewesen als alles, was ich jemals zuvor hatte erreichen müssen. Gedankenverloren drehte ich den Gildenring an meinem rechten Ringfinger.
„Lass es gut sein. Ich weiß, ihr standet euch nahe, aber …“ In meinen Gedanken spürte ich noch immer Gabriels schwere Hand auf meiner Schulter und sah den verständnisvollen, väterlichen Blick, der auf mir ruhte. „… es hat keinen Sinn. Es bringt uns Verian nicht zurück …“
Ich hatte gar nicht bemerkt, wie meine Gedanken abschweiften und meine Aufmerksamkeit für die Umgebung kontinuierlich gesunken war, bis ich warmen Atem in meinem Nacken wahrnahm und etwas Spitzes, das sich direkt über meinen Nieren ins Fleisch bohrte.
„Ein süßes, kleines Schoßhündchen, das versucht sich als Wolf zu verkleiden. Nur klebt der penetrante Gestank seiner Besitzer an ihm wie die abgestoßenen Samen an einer Hure.“
Seine Nase vergrub sich in meinem Nacken, wo er hörbar tief einatmete. Ein Schauer jagte mir über den Rücken. Am liebsten hätte ich mich losgerissen, aber zum einen wollte ich keine Aufmerksamkeit auf uns ziehen und zum anderen bohrte dieser Mistkerl nach wie vor seinen Dolch schmerzhaft in meinen Rücken.
„Rosmarin, Minze und ein Hauch Wildblumen. Jeder Narr durchschaut diese lächerliche Verkleidung und ich hoffe für dich, dass du mich nicht für einen solchen hältst. Sprich Bursche, was willst du von mir?“
Mein Mund fühlte sich furchtbar trocken an, die Geräusche in der Taverne nahm ich nur noch gedämpft wahr. Und so großartig mir mein Plan noch tags zuvor erschienen war, fragte ich mich gerade selbst, was, bei Ignis, ich hier eigentlich zu suchen hatte.
Ich schloss kurz die Augen und beschwor Verians Gesicht vor mir. Er allein war der Grund. Ich atmete tief durch.
„Ich will Informationen.“
„So? Sind der ach so noblen Gilde ihre Handlanger ausgegangen?“ Er schnaufte verächtlich, wartete nicht wirklich auf eine Antwort. „Und wieso glaubt ein kleiner Welpe wie du, er könne mir etwas Passendes zum Tausch anbieten?“
War ich als Mitglied der Gilde noch immer so offensichtlich zu erkennen? Mein Blick fiel auf den Ring an meiner Hand, die sich unwillkürlich um den Rand des Tresens gekrallt hatte, sodass die Knöchel weiß hervortraten. Wieder stieg Wut in mir auf, diesmal auf mich selbst.
„Ich bin nicht im Auftrag der Gilde hier. Und zu Eurer anderen Frage: Nahezu jeder Mensch ist käuflich und Ihr wohl ganz besonders, Assassine. Also nennt mir Euren Preis und lasst diese albernen Spielchen.“
Abermals gab er dieses verächtliche Schnaufen von sich.
„Wie immer von sich überzeugt und so frei von Vorurteilen, wie die Schürze des Wirts rein ist. Geld interessiert mich nicht.“
„Was wollt Ihr dann?“
Noch immer spürte ich seinen warmen Atem im Nacken, was mich fast noch nervöser machte als unsere Unterhaltung.
„Das Fest in Dalgaria, bei dem der neue Thronfolger seine Vermählung bekannt gibt. Deine glänzende Gilde wird wie immer als Wächter des Friedens vor Ort sein. Du wirst mich dort einschleusen. Und ehe du anfängst, dir wild etwas zusammenzureimen: Ich habe weder die Königsfamilie im Blick noch ihre Juwelen.“
Meine Gedanken rasten. Was bei allen Göttern wollte der Kerl, wenn nicht jemanden aus der Königsfamilie meucheln oder bestehlen? Und wie sollte ich ihn einschleusen? Aber ich hatte nicht die Möglichkeit, wählerisch zu sein. Wenn ich an die nötigen Informationen kommen wollte, blieb mir nichts anderes übrig, als seinem Wunsch irgendwie nachzukommen. Auch wenn ich noch keinen blassen Schimmer hatte, wie ich das anstellen sollte.
„Wären wir hier in einem kuscheligen Bordell, würde ich dein Zieren fast als niedlich bezeichnen. So zehrt es nur unnötig an meinen Nerven.“ Jäh krallte sich seine raue Hand um meinen Hals, sodass ich noch dichter an ihn und seinen Dolch gezogen wurde.
„Es ist nicht gerade ein Tagesritt bis zur Hauptstadt“, begann ich.
„Deswegen reiten wir auch bei Sonnenaufgang los. Entscheide dich. Bevor ich keine Verwendung mehr für dich sehe.“
Ungehalten presste ich die Lippen aufeinander. Ich hasste es, in dieser defensiven Position festzustecken. Sonst wäre es sicherlich ein Leichtes, mich dieses Mistkerls zu entledigen. Ich fühlte schon das bekannte Knistern in meinen Handflächen, doch abermals mahnte ich mich selbst zur Besonnenheit. Ich wollte meine wahre Identität nicht enthüllen und schließlich brauchte ich diesen ungehobelten Kerl.
„Na schön, ich muss aber im Vorfeld noch ein paar Dinge regeln. Und jetzt nehmt diesen verdammten Dolch dort weg, damit wir uns vernünftig über alles Weitere unterhalten können. Zum Beispiel wie Ihr gedenkt, Euren Part der Abmachung einzuhalten.“
„Oh, der Welpe hat seinen naiven Mut wiedergefunden. Wie erfrischend.“ War seine Stimme zu Anfang noch amüsiert, wurde sie gleich darauf schneidend scharf. „Die Treppe links von hier hoch, das letzte Zimmer auf der rechten Seite. Und zwar schön langsam.“
Ohne die Waffe auch nur einen Fingerbreit zu senken, wies er mir eine bestimmte Richtung, der ich widerwillig folgte.
Konnte er diese äußerst unangebrachten Bemerkungen nicht unterlassen? Ich war seit meinem siebten Lebensjahr Mitglied der Gilde und wie meine Mitbrüder hatte ich mich dazu verpflichtet, mich von all diesen Lastern fernzuhalten, denen in dieser heruntergekommenen Taverne an nahezu jedem Tisch gefrönt wurde. Angespannt und mit glühenden Wangen bahnte ich mir einen Weg durch die immer noch grölende, versoffene Menge, die von uns keine Notiz zu nehmen schien.
Schweigend kam ich den Anweisungen nach und war froh, dass im oberen Stockwerk die Stimmen der Menschen nur noch gedämpft zu hören waren. Vor der beschriebenen Tür blieb ich stehen und starrte missmutig auf die raue Maserung.
Einen kräftigen Stoß später stolperte ich regelrecht in dieses Loch, was wohl mancher hier als Zimmer bezeichnete. Angewidert sah ich mich um, während der Kerl die Tür schloss und eine Öllampe entzündete. Und zum ersten Mal hatte ich freien Blick auf den Kontaktmann, der mich mehr fesselte als die schäbige Umgebung. War ich schon nicht klein, überragte mich mein Gegenüber noch um einen halben Kopf. Sein dunkel gewelltes Haar lag locker auf seinen breiten Schultern und umrahmte ein kantiges, unrasiertes Gesicht, welches an Wildheit nur durch seine Augen übertroffen wurde: düster, geheimnisvoll und gefährlich.
Einen Moment war ich gebannt von seinen Augen, besonders als der Schein der Öllampe jäh aufflammte und Lichter in den dunkelgrünen Iriden tanzen ließ.
„Also?“
Abwartend verschränkte ich die Arme vor der Brust. So konnte ich gleichzeitig meine Hände etwas verbergen. Zwar zitterten sie nicht, aber ich befürchtete, dass sich das Knistern meiner Handflächen womöglich zu tanzenden Funken auswachsen könnte, wenn ich mich nicht ausreichend konzentrierte.
Der Informant lehnte sich lässig gegen die Tür und versperrte mir so meinen einzigen Fluchtweg, denn das Fenster zu meiner rechten Seite war für mich definitiv zu klein. Zu meinem Missfallen schien er mein Unbehagen zu spüren und grinste überheblich. Nun gut, sollte er mich nur unterschätzen. Diesen Fehler würde er im Zweifel noch früh genug bereuen.
„Das Fest beginnt in zwei Wochen. Genug Zeit, abseits der Hauptwege zum Schloss zu reiten. Falls wir dennoch von einer Patrouille aufgehalten werden, wirst du uns da durchschleusen. Soweit ich weiß, kennt deine Gilde geheime Gänge, um weitestgehend unbehelligt in den Thronsaal zu gelangen. Dort – und wirklich erst dort – gebe ich dir die Informationen, nach denen du so unvorsichtig suchst.“
Das Kribbeln in meinen Handflächen wurde fast unerträglich. Für meinen Geschmack wusste der Kerl ein bisschen zu gut über die Gilde und das Schloss Bescheid. Aber ob er auch das Wissen besaß, das ich von ihm wollte, war nach wie vor fraglich.
„Da Ihr ziemlich genau zu wissen scheint, was ich für Euch tun soll, sollten wir uns vielleicht noch darüber unterhalten, was Ihr zu tun bereit seid. Woher soll ich wissen, ob Ihr mir meine Informationen überhaupt liefern könnt?“
Kurz starrte mich mein Gegenüber abwägend an. Eine helle Narbe zog sich von seinem linken Ohr quer bis zum angespannten Kiefer hinab und ließ ihn mürrischer wirken, als er vermutlich war. Endlich reagierte er und riss mich aus meinen Gedanken. Er griff unter sein Hemd, riss sich ein ledernes Band vom Hals und warf es mir samt Anhänger zu. Ich fing es auf und betrachtete es dann eingehender.
Die münzgroße Metallscheibe in meiner Hand sah auf den ersten Blick nicht ungewöhnlich aus. Ein Schmuckstück wie man es auf dem Markt oder bei fahrenden Händlern zuhauf erwerben konnte. Doch als ich den Anhänger umdrehte, stockte mir der Atem und es war mir fast egal, ob der Mistkerl das womöglich mitbekam.
Auf der Metallscheibe prangte ein Wappen, das sich auf ewig in meinem Gedächtnis eingebrannt hatte.
Zwar hatte ich damals nur einen kurzen Blick auf den tödlichen Schützen erhaschen können, da meine Aufmerksamkeit dem sterbenden Freund in meinen Armen gegolten hatte, doch dieses seltsame Gebilde auf dessen Brust würde ich wohl nie wieder vergessen.
Dieses Wappen war der einzige Hinweis, den ich hatte. Ich fuhr mit dem Daumen über den dreigeteilten Schild, welcher eine Flamme, ein Auge und einen Speer zeigte, und presste das Beweisstück anschließend fest in meine Handfläche.
„Woher habt Ihr das?“ Ich zwang mich, meinem Informanten in die Augen zu sehen.
„Du bewegst dich weitab der so tugendhaften Pfade deiner heißgeliebten Gilde, wenn du dieser Spur weiter folgen willst.“
„Das Risiko muss ich eingehen.“
Misstrauen flackerte in den Augen des Fremden auf. Selbst mir klangen meine eigenen Worte seltsam in den Ohren. Dennoch würde ich hier nicht meine gesamten Beweggründe offenbaren. Warum ich tat, was ich tat, war mir allein überlassen.
„Also entweder bist du komplett von Sinnen oder deines jungen Lebens überdrüssig. Mir soll es recht sein, solange du von nun an meinen Anweisungen folgst und dich an unsere Abmachung hältst.“
Vielleicht hatte er mit beiden Theorien recht. Aber ich würde sicher nicht blind seinen Forderungen nachkommen. Ohne auf seinen Kommentar einzugehen, steckte ich den Anhänger in eine der Taschen in den Falten meines Umhanges.
„Also, wie gehen wir weiter vor?“
Ein teuflisches Lächeln zeichnete sich auf seinen schön geschwungenen Lippen ab und der Dolch in seinen Händen machte es nicht weniger bedrohlich.
„Zuerst werde ich dafür sorgen, dass du bedingungslos zu deinem Wort stehst!“
Ehe ich mich versah, hatte er die Bänder seines Unterarmschutzes und Hemdes gelöst und schnitt sich quer über die Haut. Schwerfällig quoll das Blut aus der Wunde und tropfte langsam zu Boden.
„Na Bürschlein, soll ich dir helfen?“
Fasziniert war mein Blick den dunkelroten Tropfen gen Boden gefolgt. Ein Blutschwur? Auffordernd hielt er mir den Dolch entgegen und wartete wohl sehnsüchtig auf ein Zögern meinerseits. Ohne mit der Wimper zu zucken, tat ich es ihm gleich und entblößte meinen linken Unterarm, bevor ich ihm den Dolch abnahm und mir selbst eine ähnliche Wunde zufügte. Danach rammte ich die Klinge mit der Spitze voran in den wackeligen alten Holztisch, neben dem wir standen.
„Ihr werdet schwören, dass Ihr keinem Mitglied der Königsfamilie Leid zufügen werdet!“ Das war das Mindeste. „Und dass Ihr mir helft, den Mörder eines Freundes zu finden, wenn ich Euch helfe, in den Thronsaal zu gelangen.“
„Hör mal Kleiner, deine Rache interessiert mich kein Stück. Ich gebe dir lediglich Informationen, wie du an den Kopf dieser Bruderschaft kommst, mehr nicht!“
Ich hielt seinem Blick stand.
„Ihr werdet keinem Mitglied der Königsfamilie Leid zufügen“, wiederholte ich bestimmt. „Ihr sagt mir alles, was Ihr über diese Bruderschaft wisst. Und Ihr werdet niemandem von mir erzählen.“
„Doch nicht so eins mit deiner Gilde, hm?“, stichelte er kurz, bevor er wieder ernst wurde. „So soll es sein. Und du wirst mich bis zum Königshaus begleiten, mich an jeglichen Wachen auf dem Weg dorthin vorbeischleusen, bis hinein in den Thronsaal, wo sich nach dem Informationsaustausch unsere Wege trennen.“
Ich sah über seinen unpassenden Spruch bezüglich meiner Gilde hinweg. Was wusste er schon.
„Euch an den Wachen vorbeizuschleusen, beinhaltet, dass Ihr zu gegebener Zeit auch tut, was ich Euch sage.“
„Solange es meinem Zweck dienlich ist und du es nicht übertreibst, werde ich dir folgen.“
Seine überhebliche Art ging mir auf die Nerven, aber ich wollte es endlich hinter mich bringen, bevor das Blut auf unserer Haut zu trocknen begann.
Ich hielt ihm meinen Arm entgegen, den er sofort mit festem Griff packte. Ich konnte spüren, wie sich unser warmes Blut vermischte. Das Kribbeln begann wieder und wanderte diesmal meinen Unterarm hinauf, genau dorthin, wo wir uns gerade berührten.
„Ich, Tesfaye, schwöre bei meinem Blut, meinem Gegenüber zu folgen, so wie es uns dienlich ist, und jedermann gegenüber Stillschweigen zu wahren ob seiner Identität. Sobald dieser seinen Schwur gehalten hat, teile ich mit ihm mein Wissen über die Bruderschaft. Der Königsfamilie geschieht kein Leid durch meine Hand.“
„Ich, Antaris, schwöre bei meinem Blut, mein Gegenüber bis zum Schloss zu begleiten und mein Wissen und meine Stellung dafür einzusetzen, ihn sicher durch alle Patrouillen zu geleiten, bis in den Thronsaal hinein.“
Wir griffen beide noch ein wenig fester zu und sprachen den Schluss des Blutschwures gemeinsam: „Tenetur in sempiternum.“
Augenblicklich leuchteten die Schnittwunden an unseren Armen hell auf und mit einem lauten Zischen schlossen sich die Wunden wieder. Der Schwur war besiegelt. Keiner von uns würde ihn ungestraft brechen können.
Als hätte ein starker Sog einen Teil unserer inneren Energie herausgerissen, fielen wir beide auf die Knie, wo wir einen Moment verweilten, um wieder zu Atem zu kommen. Nur unserem geschulten Wesen war es zu verdanken, dass wir beide gleichzeitig das leise, metallische Klicken wahrnahmen und noch rechtzeitig zur Seite sprangen, bevor die Tür aufgestoßen wurde und die ersten Armbrustbolzen auf uns niederregneten.
Tesfaye hatte noch im Sprung den Tisch umgestoßen und sich dahinter geworfen, während ich mein Schwert zog und Richtung Wand stürmte, direkt neben der Tür. Gleich als der erste Angreifer den Raum betrat, schlug ich mit meiner Waffe zu und trennte seine Hand vom Arm. Zeit zum Schreien ließ ich ihm nicht. Noch in der Aufwärtsbewegung schlitzte ich dem Angreifer die Kehle auf und wandte mich gleich dem nächsten zu. Dank der schmalen Tür kamen diese Kerle fast nur einzeln hinein. Dennoch waren e es erprobte Kämpfer und wild entschlossen, uns zur Strecke zu bringen.
Was wollten sie hier? Die Suche nach einem einzigen Mörder und einer eventuellen Bruderschaft konnte kaum so viel Aufmerksamkeit erregt haben. Allerdings war Tesfaye kein unbeschriebenes Blatt. Als sein Name beim Blutsschwur gefallen war, hatte ich all meine Selbstbeherrschung aufbringen müssen, um nicht zusammenzuzucken. Selbst in der Gilde berichteten die Alten über seine Missetaten und unehrenhaften Vorgehensweisen. Egal, was dieser Auswuchs eines Assassinen mal wieder verbrochen hatte, ich hatte nicht vor, in diesem ekelhaften Drecksloch dafür zu büßen.
Meine Bewegungen wurden fließender, verschmolzen mit meinem Geist. Mein Instinkt hatte die Oberhand gewonnen und ich ließ ihn gerne gewähren. Einer nach dem anderen fiel zu Boden, und auch wenn ich es nur am Rande registrierte, schien Tesfaye selbst ganz gut zurechtzukommen, fast so, als würde er mir meine linke Seite freihalten. Ich verschob diesen kurz aufflackernden Gedanken auf später und konzentrierte mich auf meinen aktuellen Gegner. Dieser war wohl besser ausgebildet als der Rest, denn ihn zu bezwingen, erforderte mehr Geschick.
Nach einer kontrollierten Schlagabfolge hatte ich ihn endlich aus dem Gleichgewicht gebracht, doch die abgeschlagenen Gliedmaßen am Boden hinderten mich daran, sofort nachzusetzen. Das kurze Stolpern reichte aus, um den Gegner um Haaresbreite zu verfehlen, und so zerfetzte ich ihm lediglich den ledernen Brustpanzer samt Hemd. Als hätte man mir eine Faust in den Magen gerammt, taumelte ich zurück. Wieder dieses Emblem, welches mich bis in meine Träume verfolgte. Ungläubig starrte ich auf den freigelegten Anhänger. Diese Leute hatten es nicht auf Tesfaye abgesehen ... sondern auf mich! War ich wirklich schon so nahe am Ziel?
Dieses Mal wurde meine Unaufmerksamkeit hart bestraft. Mein Gegner verschwendete keine Zeit, schlug mir das Schwert aus der Hand und holte aus, um sein Werk zu vollenden. Ich hatte versagt. Und das nur, weil ich unbedingt weitab der Wege meiner Gilde agieren musste. Ich hatte mir kaum eingestanden, dass nun Verians Tod ungesühnt bleiben würde, als plötzlich ein Dolch aus dem Hals meines Angreifers ragte. Mit vor Schreck geweiteten Augen brach jener röchelnd zusammen und noch während ich leicht benommen vor der Blutlache zurückwich, die sich am Boden ausbreitete, traf mich ein dumpfer Schlag und alles um mich herum wurde schwarz.
Routiniert überprüfte ich, ob nicht doch noch jemand überlebt hatte, und wischte dann gemütlich mein Schwert am Wams eines Toten ab. Der Kleine hatte sich wacker geschlagen, wie von einem Mitglied der Gilde nicht anders zu erwarten gewesen war. Trotzdem ließ er sich noch zu sehr von seinen Emotionen mitreißen. Was auch immer die Bruderschaft ihm angetan haben mochte, es musste tief gehen.
Vorerst war dies jedoch zweitrangig. Wir mussten hier weg und das möglichst schnell. Dieser Narr hatte mit seinen stümperhaften Nachforschungen zu viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Bevor er noch mehr Unsinn anstellen konnte, stellte ich ihn fürs Erste lieber mit einem gezielten Schlag auf den Hinterkopf ruhig. Ächzend warf ich mir mein neues Mündel über die Schulter und stapfte die morsche Treppe hinab. Mit dem Wirt würde ich zur gegebenen Zeit noch ein ernstes Wort wechseln müssen. Eigentlich hatte ich ihn gut bezahlt, um unbehelligt durch die Küche nach hinten hinaus verschwinden zu können. Doch sein überraschter Blick, als ich mit grimmiger Miene und äußerst lebendig durch die übelriechende Kochstube spazierte, sprach Bände.
Zumindest wusste der Stallburschen die Extramünzen zu schätzen, weswegen mein Pferd sofort fertig gesattelt bereitstand. Meine Güte, Antaris war nicht gerade leicht und ich heilfroh, als er endlich auf meinem schwarzen Hengst lag. Elegant schwang ich mich hinter ihm in den Sattel und rückte dicht zu meinem Vordermann auf. Mit Hilfe des Stallburschen band ich Antaris und mir ein Seil um die Brust, damit jener nicht bei der ersten Bewegung hinunterfiel. Dann griff ich um ihn herum und nahm die Zügel entgegen, die mir der Junge reichte. Nach einem knappen Schnalzen setzte sich mein treues Pferd im ruhigen Schritt in Bewegung, hinaus in die Nacht, die wohl dieses Mal etwas länger werden würde.
***
Die Sonne stieg bereits über den Horizont, als der Kleine vor mir sich endlich wieder regte. Wir hatten schon einige Meilen zurückgelegt, seit wir die Taverne verlassen hatten. Normalerweise schaltete ich Leute länger aus, doch mein Vordermann war nicht irgendwer. Schade eigentlich, denn ich hätte gern noch länger seine wohlige Wärme und seinen anziehenden Duft genossen. Ein letztes Mal fuhr ich mit meiner Nase durch sein hellbraunes, wuscheliges Haar und atmete tief ein.
Scheinbar war Antaris schneller bei vollem Bewusstsein, als gedacht, denn die Wucht, mit der er seinen Hinterkopf plötzlich schmerzhaft gegen mein Nasenbein donnerte, traf mich unerwartet hart. Mir war schleierhaft, wo er den Dolch versteckt hatte, mit dem er sich der leichten Fesseln entledigte, um sich dann behände vom Pferd zu schwingen. Zwar schwankte er kurz ob der raschen Bewegung, fing sich aber schnell und funkelte mich dann aus klaren Augen böse an. Offensichtlich erwartete er eine Erklärung.
„Ich hätte nicht gedacht, dass so die Dankbarkeit eines Gildenmitgliedes aussieht.“ Angesäuert wischte ich mir das Blut von der Nase und spie aus.
„Dankbar? Wofür? Dafür, dass Ihr mich niedergeschlagen, gefesselt und entführt habt?“
„Zum Beispiel. Oder dafür, dass ich unsere Ärsche da rausgeholt habe, ohne dass gleich die gesamte Bruderschaft auf uns aufmerksam wurde, während du am Schäfchenzählen warst. Spute dich! Wo hast du deine Ausrüstung versteckt? Ohne sie kommen wir kaum bis zum nächsten Dorf.“
Auffordernd hielt ich ihm meinen Arm hin, damit er wieder aufsteigen konnte, doch der Jüngling tat lieber bockig. Fast war ich versucht, ihm einen kräftigen Tritt zu verpassen und ihn einfach aufs Pferd zu zerren. Nur das Wissen darum, wie kampferprobt er wirklich war, hielt mich davon ab. Ohnmächtig war er mir um einiges lieber. Dann blieb ich wenigstens von seiner Abneigung mir gegenüber verschont.
Deswegen hasste ich Menschen. Selbst die, die oberflächlich so verständnisvoll und hilfsbereit taten, erhofften sich im Nachhinein immer einen Vorteil oder eine Gegenleistung. Ich konnte fühlen, was sie dachten, wie andere frisch gebackenes Brot von weitem rochen. Nur dass dies in mir keinen Hunger auslöste, sondern Übelkeit. So war es schon immer gewesen. Hart presste ich die Zähne aufeinander, um Klarheit in meinem Kopf zu schaffen. Alles zu seiner Zeit.
Antaris verlagerte das Gewicht aufs andere Bein. Er schien mit sich selbst zu hadern. Ich konnte die widersprüchlichen Gedankengänge, die in seinem Kopf stritten, beinahe in seinem Gesicht ablesen. Zumindest das ließ meine Mundwinkel zucken. Er konnte mich nicht einschätzen. Nicht so wie ich ihn.
„Meine Sachen sind im Grimmwald, vor neugierigen Augen verborgen. Und zumindest damit habt Ihr recht. Ich brauche meine Ausrüstung, sonst gehen wir nirgendwohin.“
Ich spürte seinen Widerwillen, aber er stieg tatsächlich aufs Pferd. Das Tier tänzelte kurz ob des zusätzlichen Gewichtes, doch mit festem Griff hatte ich es rasch wieder unter Kontrolle. Ein knappes Schnalzen meiner Zunge setzte es in Bewegung und so führte ich uns direkt in den Wald. Erstaunlich schnell fand Antaris die Orientierung wieder und gab präzise Anweisungen, wohin genau ich reiten sollte. Durch das dichte Blätterdach über uns drangen nur zögerlich die wärmenden Sonnenstrahlen bis zum Waldboden und hinterließen dort ein Meer leuchtender Punkte, je höher die Sonne stieg. Keine zwei Meilen später gab Antaris das Zeichen zum Anhalten und stieg ab. Zu Fuß folgte er einem schmalen Bachlauf bis zu einer Wassergabelung, wo er einen größeren Felsbrocken beiseiteschob. Rasch förderte Antaris ein gut zusammengewickeltes Bündel zutage, welches er sofort entpackte und sortierte.
Gelangweilt stieg ich ab und kümmerte mich um meinen Hengst Vero. Ich überprüfte seine Hufe und strich ihm liebevoll über das Fell, um zu kontrollieren, ob der Stallbursche seiner Arbeit gründlich nachgegangen war.
Erst als Antaris dabei war, die vom Blut getränkte und vom Kampf lädierte Kleidung abzulegen, richtete sich meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn. Die Lichtwächter hatten ganze Arbeit geleistet. Der Bursche war gut trainiert, wenn er auch ein wenig in die sehnige Richtung schlug. Schade nur, dass er sein Hemd anbehielt und dieses weit hinunter zu seinen Oberschenkeln reichte.
Interessiert wanderte mein Blick von seinen Armen hinauf zu seinen Schlüsselbeinen, die neckisch am Rande des Kragens hervorstachen. Die ineinander verschlungenen Tätowierungen, die an Flammen erinnerten und welche die Mitglieder der Gilde auszeichneten, hoben sich deutlich von der hellen Haut ab. Ich ertappte mich dabei, wie ich neugierig auf die Verzierungen auf seiner Haut wurde.
Antaris richtete sich schließlich wieder zu seiner vollen Größe auf. Seine neue Kleidung war sauber und vor allem zweckdienlich für unsere Reise. Eine leichte Lederrüstung über Hemd und Hose, dazu ein wollener Umhang und hohe Lederstiefel. Den edlen Waffenrock mit dem Emblem der Gilde hielt er noch unschlüssig in der Hand. Er schien meinen Blick zu bemerken und womöglich zum ersten Mal klang seine Stimme mir gegenüber nicht barsch.
„Ich bin nicht sicher, ob es auf unserer Reise immer klug ist, mich direkt als Lichtwächter zu erkennen zu geben.“
Überrascht hob ich eine Augenbraue. Fragte er gerade nach meiner Meinung? Kurz musste ich überlegen.
„Pack ihn erst mal beiseite. Es wird schon nicht weiter auffallen, wenn du ihn später herauskramen musst. Lass uns aufbrechen. Die Sonne steht bald im Zenit und wir brauchen noch Proviant und ein zweites Pferd.“
Antaris nickte und packte den Waffenrock zu seinen anderen Habseligkeiten in den Beutel zurück. Es irritierte mich ein wenig, dass der Kleine auch folgsam sein konnte. Wobei … auf der anderen Seite war er es als Mitglied dieser Gilde von Schafen ja gewohnt, zu gehorchen. Kopfschüttelnd stieg ich auf mein Pferd und zog den Burschen danach zu mir herauf. Er vermied es tunlichst, sich an mir festzuhalten, und umklammerte lieber den hinteren Teil des Sattels. Selbst mein Hengst spürte seine Unsicherheit und die verkrampfte Haltung. Ein fieses Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Mit Absicht nahm ich den unwegsamsten Pfad durch den Wald und ließ Vero mehrmals über kleinere Wurzeln springen, sodass Antaris sichtlich um sein Gleichgewicht kämpfen musste. Erst als er fast rücklings hinunterfiel, packte ich seinen Arm und legte ihn um meine Taille.
Ich hörte, wie er scharf die Luft einsog, doch kein Wort kam über seine Lippen. Obwohl man meinen sollte, dass er als gestandener Krieger und Gildenmitglied genug Selbstbewusstsein für zwei haben müsste, fiel es mir doch so leicht, ihn zu verunsichern. Und ich musste zugeben, dass mir das eine geradezu diebische Freude bereitete.
Es dauerte einige Momente und einige zusätzliche Wurzeln im Waldboden, bis der Druck seines Armes um meine Taille zunahm. Jetzt saß er sicher im Sattel und ich kam nicht umhin, seinen Griff um meinen Bauch zu genießen. Wir waren wieder einige Zeit unterwegs, als mein Hintermann abermals unruhig wurde. Immer öfter sah er sich um und ließ seinen Blick prüfend über die Umgebung schweifen. Ich wusste genau, was ihm auf der Zunge lag, wartete allerdings geduldig, bis er endlich seine Bedenken aussprach.
„Meines Wissens ist der Weg zur Hauptstadt ein anderer. Wohin führt Ihr uns? Wir entfernen uns immer weiter vom eigentlichen Pfad.“ Er klang misstrauisch. Befürchtete wohl, dass ich ihn in eine Falle locken könnte.
„Wir sollten die Hauptwege meiden. Vielleicht legen dir die Leute in deiner strahlenden Rüstung ihre Hilfe zu Füßen, doch wir reisen nicht unter dem Banner der Lichtwächter. Fremde werden argwöhnisch beäugt und dein hübsches, glattes Gesicht bleibt den Menschen im Gedächtnis. Es gibt einen Hof fernab der anderen Dörfer. Der Alte ist zwar mürrisch und ziemlich angriffslustig, aber weder wird er Fragen stellen, noch dem Nächsten unseren Besuch sofort auf die Nase binden.“
Antaris schnaubte nur, jedoch währte sein Schweigen nicht lange. „Dann sollten wir uns wohl generell überlegen, was wir auf neugierige Fragen antworten, warum wir beide gerade unterwegs sind und wohin.“
Mir lief ein Schauer über den Rücken und ich war nicht sicher, ob das an der Formulierung „wir beide“ lag, die sich in meinen Ohren so ungewohnt anhörte oder an dem warmen Vibrieren, das sich von seiner Brust auf meinen Rücken übertrug, wenn er sprach.
Zum Glück schien Antaris dies nicht zu bemerken.
„Traditionell findet zu den Vermählungsfeierlichkeiten auch ein Turnier statt“, fuhr er fort. „Da ist es nicht ungewöhnlich, dass Ritter aus dem ganzen Land anreisen, um auf dem Turnierplatz ihr Können unter Beweis zu stellen. Ihr könntet als mein Knecht reisen und niemand würde das hinterfragen.“
Hart riss ich an den Zügeln, sodass sich Antaris hinter mir merklich anspannte und sein Atem stoßweise meinen Nacken streifte. Ich stieg ab, zerrte Antaris mit mir und stieß ihn mit dem Rücken gegen den nächsten Baum. Wütend wollte ich ein paar Dinge klarstellen, als ich direkt in seine hellblauen Augen sah. Verwirrt schloss ich meinen Mund, denn weder erkannte ich darin irgendeine Spur von Hohn noch Überheblichkeit.
„Du meinst das wirklich ernst, oder?“, fragte ich nach.
Eigentlich brauchte er nicht zu antworten, denn sein Blick sagte genug. Allerdings machte der unschuldige Ausdruck seiner Augen allmählich einer verärgerten Verwirrung Platz, als er meinen Griff an seinem Kragen energisch wegwischte.
„Natürlich meine ich das ernst. Wir haben wohl kaum Zeit für Albernheiten.“
Ungläubig schnaubend schüttelte ich den Kopf, während ich versuchte, andere Möglichkeiten gegen diese abzuwägen. Leider hatte er recht. Die Begleitung der hohen Ritter wurde kaum beachtet und konnte sich überall problemlos aufhalten, ohne dass es jemandem seltsam vorkam. Widerstrebend nickte ich.
„Gut. Das könnte funktionieren. Fangen wir damit an, dass du diese geschwollene Anrede fallen lässt. Ich mag vieles sein, aber bestimmt kein parfümierter Hofnarr.“
Antaris verdrehte die Augen. Da ich noch immer viel zu nah vor ihm stand, schob er mich mit einer Hand auf meiner Brust auf eine Armlänge Abstand und musterte mich von oben bis unten. Warum auch immer, irgendwie machte mich sein unverhohlener Blick nervös.
„In der Tat. Das seid … das … bist du nicht. Aber um glaubwürdig zu erscheinen, müssen wir definitiv auch an … deinem Erscheinungsbild arbeiten.“
Stirnrunzelnd sah ich an mir hinab und verzog den Mund. Kein Zweifel, ich wirkte düster und angsteinflößend, genau, wie es sich für einen Söldner gehörte. Nur würde uns so niemand abnehmen, dass ich Antaris’ Knecht sein könnte. Leider konnten wir die Rollen auch nicht tauschen, denn dafür prangten die falschen Tattoos auf meiner Haut. Ich brauchte definitiv andere Kleidung, was mich nicht gerade fröhlich stimmte. Genau wie die Tatsache, dass dieser Lichtwächter abermals recht hatte.
„Ein Schneider, zwei Tagesreisen von hier, ist verschwiegen genug, um uns alles Passende zu verkaufen.“
Obwohl ich es nicht leiden konnte, wenn andere vorausschauender waren als ich, war es mir diesmal nicht so unangenehm wie sonst … ebenso wenig wie seine Hand auf meiner Brust. Normalerweise mied ich menschliche Nähe, insbesondere Berührungen, spürte ich doch die Gefühle der anderen bei engem Kontakt noch viel intensiver. Beim Liebesspiel war dies zwar äußerst berauschend, genau wie bei einem guten Kampf, aber außerhalb dessen war es einfach nur lästig.
Antaris war da irgendwie anders. Natürlich fühlte ich Misstrauen und Vorsicht. Eben das, was bei mir auch angebracht war. Doch Neugierde schien die anfängliche Abneigung sacht zu verdrängen. Ich kniff ein wenig mehr die Augen zusammen und versuchte, in den seinen zu lesen. Kam es mir nur so vor, oder wurde mein Herzschlag unter seiner Berührung stärker?
Plötzlich schien auch ihm bewusst zu werden, dass seine Hand noch immer auf meiner Brust ruhte. Er räusperte sich und fuhr sich durchs Haar. War er verlegen?
„Gut, Geld sollte dabei nicht das Problem sein. Ich kann für die neue Kleidung aufkommen.“
Ich trat zwei Schritte zurück und biss die Zähne aufeinander. Was glaubte dieser Grünschnabel eigentlich, wem er gerade gegenüberstand?
„Behalte deine Almosen für dich. Für meine Dinge komme ich selbst auf, so wie bisher auch.“
Es wurmte mich ungemein, dass ich aus meiner Stimme nicht ganz die Enttäuschung verbannen konnte und sie weniger schneidend war als sonst. Ohne einen weiteren Kommentar wandte ich mich Vero zu, nahm ihn an den Zügeln und führte ihn weiter den Weg entlang. Möglicherweise besänftigte es ein wenig mein Gemüt, dass ich zwei Schritte hinter mir mehr Verwirrung als alles andere spürte. Auch wenn ich Antaris nach wie vor für einen arroganten Schnösel hielt, war ihm scheinbar völlig unklar, was ich eigentlich für ein Problem hatte. Ich seufzte. Vielleicht nicht nur ihm.
Zweimal hatte ich das Gefühl, dass er etwas erwidern wollte, aber schlussendlich brachte er doch nichts über die Lippen und hielt lediglich mit gebührendem Abstand mit mir mit. Vorerst war dies auch gut so. Keine fünfzig Schritte später bedeutete ich ihm lautlos, stehen zu bleiben, und nickte in eine Richtung.
„Das Haus der Einsiedlerfamilie. Ein Pferd werden wir hier nicht bekommen, dafür genügend Proviant ohne lästige Fragen. Halte dich bedeckt und überlass das Reden mir.“
Antaris atmete tief durch, was fast wie ein Seufzen klang, und nickte. Vielleicht war das sein Zugeständnis, weil er ahnte, wie schwer es mir fallen würde, seinen Knecht zu mimen. Die Vorstellung machte mich schon jetzt wahnsinnig.
Routiniert ließ ich meine Sinne über das schräg gemauerte Haus vor uns gleiten und machte vier Seelen aus, die geschäftig einer unbestimmten Arbeit nachgingen. Eine weitere Person ertastete ich auf dem Feld hinter dem Haus. Auf ein knappes Kommando wieherte mein Hengst und kündigte unsere Anwesenheit an. Wenige Augenblicke später erschien der alte Bauer mit seiner Hacke in der Hand und blieb neben seinem Schuppen stehen, vor dem er einige Holzblöcke gestapelt hatte. Einzig der Gedanke, dass er wirklich jeden hasste, beruhigte auf seltsame Weise.
Gemächlich ging ich auf ihn zu und achtete dabei sorgsam darauf, meine Hände im sichtbaren Bereich zu lassen, damit er nicht allzu misstrauisch wurde. Auf einen streitsüchtigen Bauern, der uns von seinem Feld jagte, konnte ich verzichten. Ein Seitenblick auf Antaris bestätigte mir, dass er eine gute Beobachtungsgabe besaß, denn er ahmte instinktiv meine Haltung nach.
„Segen über Euer Heim“, grüßte ich traditionell und neigte ein wenig meinen Kopf.
„Segen über Eure Weiterreise!“, brummte der Alte und machte damit gleich von Anfang an seinem Unmut über unsere Anwesenheit Luft. Wieder neigte ich den Kopf als Zeichen, dass ich verstanden hatte und nichts übelnahm.
„Ich danke Euch. Wir haben noch einen langen Weg vor uns und ziehen so bald wie möglich weiter. Lediglich unser Proviant muss aufgefüllt werden, natürlich gegen entsprechende Bezahlung.“
Der Bauer schnaubte abfällig und begann wild zu gestikulieren. „Der Sommer ist noch nicht zu Ende und schon kommen Faulpelze und wollen mir meine Ernte stehlen! Macht euch fort von meinem Hof!“
Ich seufzte, als der Alte anfing, Holzscheite nach uns zu werfen. Es war jedes Mal das Gleiche. Nun gut, dann wollte ich das Spiel mitspielen. Ich wusste, dass Antaris nicht begeistert von meiner Vorgehensweise sein würde, weswegen ich mit einem Pfiff meinen Hengst aufbocken ließ, damit der vorerst mit dem Tier beschäftigt war. Indes stapfte ich drohend auf den mürrischen Bauern zu.
„Warte! Was soll das? Was hast du vor?“
Ich ignorierte den Burschen in meinem Rücken, wurde lediglich schneller. „Ich hole das, was wir brauchen. Und zwar auf meine Art!“ Mit diesen Worten war ich bei dem Alten, entwendete ihm mit Leichtigkeit die Hacke, packte seinen Arm und zerrte ihn einfach hinter mir her ins Haus.
Dieser Mistkerl. Das war nicht Teil unserer Abmachung gewesen. Ich hatte arge Mühe, das Pferd zu beruhigen. Genug Zeit für Tesfaye, um den alten Bauern ins Haus zu ziehen. Endlich bäumte der Hengst sich nicht mehr auf und ich rannte den beiden Männern nach. Mit der Hand am Schwert stieß ich die Holztür auf, bereit, den unschuldigen Alten vor dem ungehobelten Söldner zu schützen.
„Hey, wir werden niemanden … ausrauben.“
Der Anblick im Inneren der Hütte ließ mich perplex stocken und meine letzten Worte kamen nur noch langsam über meine Lippen. Tesfaye stand unbewaffnet und mit verschränkten Armen lässig an der Wand gelehnt, während der Bauer zwar mit grimmigem Gesicht, aber scheinbar ohne Zwang Lebensmittel auf dem Tisch sortierte. Die Augen meines Mitreisenden blitzten ob meines Auftritts belustigt auf, was meinen Groll auf ihn nur noch wachsen ließ. Der Bauer sah auch nicht gerade erfreut aus.
„Wer hat denn was von Ausrauben gesagt?“, fragte Tesfaye lauernd. „Das war doch nur unser übliches Spiel.“
Meine Handflächen begannen wieder gefährlich zu kribbeln, sodass ich diese schnell zu Fäusten ballte. Er stieß sich grinsend von der Wand ab und stellte sich vertraut neben den Hofbesitzer.
Während mir Tesfayes widerliche Art eine Mischung aus Scham und Zornesröte ins Gesicht trieb, schnaufte der Alte nur genervt und schob weiter haltbare Nahrungsmittel in einen bereitgelegten Beutel.
„Vielleicht solltest du dich einfach mal zurückhalten“, schlug Tesfaye knurrend vor.
„Vielleicht solltest du zur Abwechslung mal mit mir reden!“, fauchte ich zurück.
Wir fuhren beide herum, als von dem Bauern ein raues Lachen zu hören war.
„Ihr klingt wie zwei streitende Waschweiber. Nicht auszuhalten. Jetzt sieh zu, was du brauchst, Faye, und dann macht, dass ihr von hier verschwindet!“
Ich war noch immer zu geladen und machte auf dem Absatz kehrt. Nur raus aus diesem engen Raum, der definitiv zu klein für uns beide war. Wütend trat ich einen Stein aus dem Weg. Am liebsten hätte ich irgendetwas abgefackelt. Stattdessen ließ ich mich zornig neben dem schwarzen Hengst zu Boden fallen. Das schlaue Tier spürte meine Wut natürlich und tänzelte erst nervös, bis ich ihm beruhigend über den Hals strich, als es neugierig den Kopf zu mir herabbeugte.
Wehmütig kreisten meine Gedanken um Verian. Als eingespielte Partner hatten wir uns auch ohne Worte verstanden. Niemals hätte der eine den anderen ins offene Messer laufen lassen. Wir waren füreinander dagewesen. Immer. Deprimiert fuhr ich mir mit beiden Händen durch die Haare.
Scheiße, ich vermisste meinen Gildenbruder, meinen besten Freund, so wahnsinnig, dass es mir körperliche Schmerzen bereitete. Tesfaye bemerkte ich erst, als er sich leise räusperte, um auf sich aufmerksam zu machen. Er stand keine zwei Schritte vor mir und sah mit zusammengepressten Lippen auf mich herab. Falls er nach Worten suchte, fand er definitiv die falschen.
„Hör mal, Kleiner. Nicht alles im Leben läuft so geradlinig wie in deiner großartigen Gilde. Die umliegenden Dörfer sind sehr misstrauisch Fremden gegenüber. Sie würden alles ausplaudern, nur um an ein paar Silberlinge zu kommen, und Ravic ist nicht gerade beliebt bei ihnen. Wenn jemand zufällig sieht, dass er uns freiwillig hilft, kann er gleich selbst seinen Hof anzünden. Du magst vielleicht ein guter Kämpfer sein, aber nicht unbedingt ein überzeugender Schauspieler.“
Wütend sprang ich auf und stieß ihn dabei unsanft an der Schulter ein Stück von mir weg. Er hatte nichts verstanden.
„Nein, hier geht es um was anderes und wir sollten dringend ein paar Dinge klarstellen: Wenn wir diese Reise gemeinsam überstehen sollen, dann wirst du anfangen, den Mund aufzumachen und mich in deine Pläne einzuweihen, soweit diese für unsere Zusammenarbeit relevant sind. Das macht man so, wenn man auf derselben Seite kämpft.“
„Wir kämpfen aber nicht auf derselben Seite. Wir nutzen lediglich das Wissen und die Fähigkeiten des anderen, mehr nicht. Das solltest du besser nie vergessen!“
Versuchte er sich anfangs noch zu erklären, war nun seine Ablehnung mir gegenüber fast greifbar. Allerdings machten seine Worte mich trotzdem wütend.
„Du magst das nicht gewohnt sein, aber wir sind nicht zuletzt durch einen Blutschwur aneinander gebunden.“ Dabei streckte ich ihm wie zur Verdeutlichung meinen Arm entgegen, der nun, verborgen unter Kleidung, von einer Narbe gezeichnet war. „Und das bedeutet, dass wir zusammenarbeiten müssen, wenn dieser Weg, den wir gerade gemeinsam gehen, ans Ziel führen soll. Ja, ich weiß, das passt dir nicht. Mir auch nicht. Aber trotzdem heißt das, dass ich mich auf dich verlassen können muss und du dich auf mich. Jederzeit! Ansonsten wird das hier niemals funktionieren!“
Ich presste die Zähne aufeinander, weil ich deutlich spürte, wie sich Ignis’ Macht – die Kraft des hohen Feuergottes, der seit meiner Geburt in mir wohnte – befreien wollte. Bis in die Haarspitzen hinein schien mein ganzer Körper zu pulsieren. Selbst der leicht aufkommende Wind verschaffte keine Abkühlung. Tesfaye kämpfte überdeutlich mit sich selbst. Er begriff wohl, dass er nicht mehr als Einzelgänger unterwegs war. Mit einem lauten Schrei, als müsste er sich Luft machen, legte sich seine Wut – zeitgleich mit dem Wind. Ein wenig unschlüssig stand er da, fuhr sich durch die Haare und sah mich dann direkt an. Mir war völlig klar, dass von ihm nie eine Entschuldigung kommen würde, aber dass er zu lachen anfing, war schon sehr irritierend.
Entgeistert starrte ich ihn an. Zumindest half es, auch mich aus meiner Wut herauszuholen. Was ich stattdessen fühlen sollte, wusste ich selbst nicht. Ich wandte mich ab und ließ ihn stehen. Die Taschen mit Proviant, die neben ihm lagen, befestigte ich schweigend am Sattel des schwarzen Hengstes und führte das Tier anschließend weg von der Hütte, zurück in den Wald. Es pochte schmerzhaft hinter meinen Schläfen und ich versuchte, den Schmerz mit einer Hand wegzumassieren. Wenn wir unter diesen Voraussetzungen weiterreisten, war es mehr als unklar, ob wir erfolgreich unser Ziel erreichen würden.
„Jetzt warte mal. Ravic dieser alte Hund hatte recht. Wir hören uns wirklich an wie alte Waschweiber. Und irgendwie kann ich das nicht auf mir sitzen lassen. Es … es ist lange her, dass … dass jemand so direkt und ehrlich zu mir war. Die meisten ziehen lieber ihren winzigen Schwanz ein und rennen weg, als dass sie mir die Wahrheit ins Gesicht sagen. Das ist ungewohnt. Ich kann nichts versprechen, denn alte Angewohnheiten lassen sich nur schwer ablegen. Eines allerdings schwöre ich bei Caeli, der himmlischen Windgöttin, persönlich: Solange wir gemeinsam reisen, wird auf mich immer Verlass sein.“
Anfänglich kamen die Worte nur schwer und stockend über seine Lippen. Doch dann schien er innerlich selbst einen Entschluss gefasst zu haben und wurde immer sicherer. Auffordernd hielt er mir seine Hand hin und schaute mich fest an, um seine Aufrichtigkeit noch mehr zu unterstreichen. Entweder das, oder er war ein verdammt guter Schauspieler. Ich versuchte, in seinem Blick zu erkennen, ob er es ernst meinte oder wieder nur eines seiner Spielchen mit mir trieb. Aber schließlich holte ich tief Luft und ergriff die mir dargebotene Hand.
„Gut.“ Ich wusste nicht, was ich sonst sagen sollte. Mein Kopf war gleichzeitig so leer und so voll widersprüchlicher Gedanken. Er hielt meine Hand für meinen Geschmack einen Moment zu lang fest, weswegen ich mich peinlich berührt abwandte.
„Wir sollten langsam einen Platz für unser Nachtlager finden“, murmelte ich, während ich das Pferd weiter am Zügel führte. Tesfaye nickte zustimmend und zeigte in eine Richtung.
„Eine halbe Tagesreise von hier gibt es einen Jäger, der am Waldrand lebt. Ravic versicherte mir, dass wir von ihm ein ordentliches Pferd kaufen können. Wir müssen nur diesem schmalen Weg weiter folgen. Soweit ich weiß, sollte bald ein kleiner Weiher auftauchen. Dort können wir die Nacht über rasten. Allerdings sollten wir uns sputen, um noch vor Einbruch der Dunkelheit anzukommen.“
Während die letzten Geschehnisse bleiern auf meinen Schultern ruhten, schien Tesfaye nach unserem Gespräch regelrecht gelöst zu sein. Entschlossen klopfte er dem Hengst auf die Flanke und verpasste selbst mir einen Klaps auf den Rücken, bevor er die Führung übernahm und sich leichtfüßig durch den Wald bewegte. Ab und an blieb er stehen und reckte sein Gesicht zur Sonne, als würden sie und der sommerliche Windhauch ihm die Richtung weisen. Dann zuckten kurz seine Mundwinkel, bevor er den Weg fortsetzte.
Dieses „Bald“, von dem Tesfaye gesprochen hatte, zog sich länger hin als gedacht, obwohl wir beide ein gutes Tempo vorlegten. Erst als es dämmerte, lichteten sich die Bäume und der versprochene Weiher tat sich vor uns auf. Uns blieb nicht viel Zeit, also beeilten wir uns damit, ein Lager für die Nacht herzurichten. Da uns leider keine Felswand Schutz bot, suchten wir eine geeignete Senke, die uns etwas Sicht- und Windschutz gewähren würde.
Während Tesfaye einige der Vorräte vorbereitete, holte ich, noch immer in Gedanken, etwas Feuerholz. Immer wieder driftete ich dabei in Erinnerungen an Verian ab. Wie leicht alles mit ihm gewesen war und wie anstrengend es sich mit meiner jetzigen Reisebegleitung gestaltete. Trotzdem entspannte ich mich irgendwann und hatte endlich das Gefühl, freier atmen zu können.
Mit einem Arm voller größerer Zweige und trockenem Moos stapfte ich zu unserer Senke zurück. Tesfaye hatte den Hengst bereits versorgt. An dem Tier schien ihm wirklich viel zu liegen. Sanft klopfte ich dem Pferd auf die Flanke und sah an ihm vorbei in Richtung des Weihers.
Tesfaye hatte seine Waffen und Kleider abgelegt und war in den klaren Weiher gestiegen, sicher um den Schmutz des letzten Kampfes und der Reise abzuwaschen. Er stand bis zur Hüfte im Wasser und wandte mir den Rücken zu, sodass er meinen Blick gar nicht bemerkte. Im Dämmerlicht und auf die Entfernung war nicht viel zu erkennen, außer dass nahezu sein ganzer Rücken bis hoch zum Nacken tätowiert war.
Einmal mehr stieg das Kribbeln in meinem Körper auf. Es fühlte sich nicht richtig an, ihn zu beobachten, also kehrte ich leise zu unserem Lagerplatz zurück und begann das Holz aufzuschichten. Da ich mich allein wähnte, machte ich mir nicht die Mühe, das Feuer mechanisch zu entfachen. Die kleine Flamme tanzte freudig auf meiner Handfläche, als hätte sie schon viel zu lange darauf gewartet, von mir befreit zu werden. Die angenehme Wärme durchströmte mich augenblicklich und zauberte mir ein kleines Lächeln aufs Gesicht. Als ich Tesfayes Schritte vernahm, entzündete ich rasch die Holzscheite und erstickte die Flamme in meiner Handfläche. Mein Gildenoberhaupt mahnte stets, ich solle meine Kraft verborgen halten, was gerade bei einem Assassinen wohl mehr als angebracht war.
„Du bist geschickt, was das Feuer angeht. Normalerweise sind die Äste hier draußen so feucht wie der Schoß einer Hu… ähm, Liebesdienerin.“ Auch wenn Tesfaye scheinbar bemüht war, sich gewählter auszudrücken, brachte seine Anspielung wieder Röte auf meine Wangen. Ich hoffte, dies würde ihm dank des Feuerscheins nicht auffallen.
Tesfaye ließ sich gegenüber nieder und reichte mir ein ordentliches Stück Dörrfleisch samt Käse. Sein Hemd hing über einem Ast und lediglich seine lederne Hose kleidete ihn noch. Sein Schwert hatte er neben sich abgelegt und ich kam nicht umhin, das Muskelspiel seiner Arme zu verfolgen.
„Der Weiher wird direkt aus dem Berg gespeist und ist entsprechend kalt, aber wenn du eine Erfrischung brauchst, ist er genau richtig.“
Obwohl ich eine Abkühlung dringend nötig hatte, murmelte ich lediglich: „Vielleicht später …“, und beschäftigte mich vorerst mit den gereichten Speisen. Trotzdem ertappte ich mich immer wieder dabei, wie mein Blick neugierig über seinen entblößten Oberkörper wanderte. Kreisförmige Tätowierungen schlängelten sich die Brust entlang bis seitlich hinunter zu seinem Bauch, hinab zur Taille, wo diese nach hinten zum Rücken hin verschwanden. Wahrscheinlich auch um mich selbst abzulenken, brachte ich rasch ein anderes Thema zur Sprache.
„Wir, äh … wir sollten uns überlegen, wie wir uns in der Öffentlichkeit ansprechen. Ich denke, dir ist auch nicht daran gelegen, wenn ich deinen wahren Namen nenne. Der … der alte Bauer nannte dich … Faye. Soll ich dich auch so ansprechen?“
Mit gerunzelter Stirn sah mein Gegenüber mich an. Hatte er meine Blicke bemerkt? Warum war mir das so unangenehm? Während der Ausbildung hatten wir in der Gilde im Sommer nicht selten ohne Rüstung und Hemd trainiert. Doch hatte mich das bisher nie dermaßen abgelenkt. Verkrampft legte ich so beiläufig wie nur möglich frisches Holz ins Feuer, nur um seinen forschenden Augen zu entgehen.
„Nur wenige nennen mich so“, begann Tesfaye so leise, dass man es über das Knistern des Feuers kaum hörte. Dann räusperte er sich kurz, bevor er fester weitersprach. „Allerdings ist es zweckdienlich. Und du? Damit das schon mal klar ist, Mein Herr nenn ich dich erst, wenn wir unter hohen Leuten sind.“ Grinsend zwinkerte er mir zu, damit ich seinen sachten Scherz auch nicht falsch verstand. „Also: Ani? Oder Aris? Oder …?“ Er ließ den Rest des Satzes offen und schaute mich fragend an.
Wieder durchzuckte mich eine Erinnerung an Verian. Aris … oft hatte er mich so genannt. Wenn wir allein waren. Langsam nickte ich. Faye hob dagegen nur eine Augenbraue, da mein Nicken seine Frage nicht beantwortete. „Ähm, ja. Aris ist in Ordnung, denke ich.“
„Gut, dann wäre das geklärt.“ Er streckte seine langen Beine aus und lehnte sich in eine bequemere Position nach hinten. So gewährte er mir einen noch freieren Blick auf seinen durchtrainierten Körper und es fiel mir, warum bei Ignis auch immer, noch schwerer, mich auf seine Worte zu konzentrieren. „Wenn wir morgen zeitig aufbrechen, erreichen wir vor dem Sonnenhöchststand den Jäger und mit zwei Pferden kommen wir schneller voran.“
Abermals nickte ich nur. Er musste bald denken, ich hätte meine Zunge verschluckt. Also räusperte ich mich und schlug vor: „Wir sollten abwechselnd Wache halten heute Nacht.“
„Sicher. Ich übernehme die erste Wache. Wenn etwas ist, wecke ich dich.“
Seine großkotzige Art ging mir noch immer auf die Nerven, aber irgendwie war ich zu erschöpft, um weiter mit ihm zu streiten. So ganz wohl war mir bei dem Gedanken nicht, in seiner Gegenwart die Augen zu schließen, aber selbst wenn ich die erste Wache übernehmen würde, käme es früher oder später unweigerlich dazu.
„Sicher“, echote ich grummelnd und versuchte, es mir in der Senke mit einigen Fellen aus meiner Tasche bequem zu machen.
Ich saß etwas abseits vom Feuer, damit meine Augen nicht geblendet wurden. Nachdenklich betrachtete ich den jungen Lichtwächter, dessen Atem langsam regelmäßiger wurde. Sicher sein, dass er schlief, konnte ich nicht, also blieb ich ihm vorsichtshalber fern. Nur zu gerne hätte ich ihn in Ruhe von Nahem angeschaut. Obwohl dies vielleicht keine so gute Idee war. Der Kleine wühlte mich mehr auf, als mir lieb war, und das nicht nur mit seinen starren Prinzipien. Seine ehrliche, direkte Art zerrte einfach unheimlich an meinen Nerven. Und trotz seiner kämpferischen Fähigkeiten war Aris in manchen Situationen dermaßen naiv, dass man sich daraus einen Spaß machen konnte.
Einmal die Hand zu lange auf ihm ruhen lassen oder sich im Weiher ein wenig für ihn recken und schon hatte er den ganzen Abend rote Bäckchen. Seinen Zwiespalt mir gegenüber konnte ich meilenweit spüren und solange er sich nicht über einige Dinge klar würde, würde er sich nicht mal ansatzweise an mich heranschleichen können.
Es war eines dieser unverkennbaren Gefühle, das mich aus meinen Gedanken riss. Auch wenn ich in der Dunkelheit nicht wirklich viel erkennen konnte, versuchte ich, in der Umgebung etwas auszumachen. Fast glaubte ich schon, ich hätte mir alles nur eingebildet und meine Sinne spielten dank Antaris verrückt, als der Wind mir einen eigentümlichen Geruch zutrug. Schlagartig überkam mich die Erkenntnis. Mit einem Satz war ich bei meinem Begleiter und rüttelte ihn sacht an der Schulter. Zumindest hatte ich genau das vor, doch kaum berührte ich ihn, lag sein Dolch drohend an meiner Kehle. Selbst im Dunkeln funkelten seine Augen dermaßen, als glühten sie von innen heraus.
„Deine Wachsamkeit in allen Ehren, junger Krieger, allerdings wäre es besser, wenn du die Schärfe deiner Klinge anderen vorbehältst.“
Einen Wimpernschlag schien Antaris wirklich zu überlegen, doch dann senkte er den Dolch und setzte sich auf.
„Was ist los?“
Ich zog die Nase kraus, bevor ich antwortete. Ich hasste es, mich erklären zu müssen, vor allem wenn ich mir über etwas nicht ganz genau im Klaren war.
„Uns droht eindeutig Gefahr. Ihr Geruch liegt in der Luft wie verwesendes Fleisch. Nur weiß ich nicht welcher Art, geschweige denn die Richtung. Trotzdem. Wir sollten hier verschwinden, und zwar sofort.“
Zu meiner Überraschung nickte Antaris fest und packte ohne ein weiteres Wort unsere Sachen zusammen. Ich musste wirklich eindringlich gewirkt haben, sodass er anstandslos meinem Instinkt vertraute. Routiniert war alles schnell erledigt und das Feuer gelöscht. Genau wie mein Begleiter sah ich mich immer wieder aufmerksam um, konnte aber nichts ausmachen … bis wir das Heulen in der Ferne hörten. Mit angehaltenem Atem sahen wir uns an, zu den vier Gottheiten betend, dass dieses Heulen unbeantwortet blieb. Doch vergebens. Aus zwei weiteren Richtungen wurde der Ruf erwidert und somit die Jagd eröffnet … mit uns als Beute.
„Faye, wir brauchen Rückendeckung. Eine Hütte, dicht stehende Bäume, eine Höhle, irgendwas!“
So rasch, wie es uns in der Dunkelheit möglich war, eilten wir durch den Wald, in der Hoffnung, uns irgendeinen Vorteil verschaffen zu können. Indes rasten meine Gedanken. Das Unterholz war hier nicht dicht genug und die nächste Hütte Meilen entfernt. Bis dahin hätten uns die Lupidrakonis längst zerfetzt.
„Tesfaye!“
Antaris’ Stimme wurde nachdrücklicher. So ein verdammter Mist. Die letzten Ausläufer des Aurumgebirges waren ganz in der Nähe, aber auch wenn wir dort Rückendeckung finden würden, wollte ich von den übergroßen Drachenwölfen unter keinen Umständen in die Enge einer Höhle getrieben werden. Allerdings war dies wohl unsere einzige Hoffnung. Diese hinterhältigen Tiere mochten keine eingeengte Umgebung. In ein Bergwerk würden sie uns zumindest nicht folgen.
„Vorsicht!“
Kräftig stieß Antaris mich beiseite. Dort, wo ich vor wenigen Augenblicken noch gestanden hatte, kauerte nun eine dieser blutrünstigen Bestien, die uns zähnefletschend anknurrte. Der Geifer tropfte dem Monster bereits aus dem Maul und beinahe sah es so aus, als würde es uns siegessicher angrinsen, während uns die gelben Pupillen wachsam fixierten.
Mich selbst verfluchend zog ich mein Schwert, was Antaris längst getan hatte. Einmal mehr wurde mir bewusst, dass ich nicht länger allein war. Vielleicht würden wir es schaffen, dieses Vieh gemeinsam zu erlegen, doch weitere würden folgen. Denn wie ihre Ahnen bevorzugten die Lupidrakonis die Jagd im Rudel und liebten es, mit ihrer Beute zu spielen.
Zuerst galt es allerdings, die Bestie vor uns loszuwerden. Kampfbereit stand Aris da, Dolch und Schwert fest in den Händen. Nach einem knappen Nicken zu mir täuschte er einen Angriff an, zog sich jedoch sofort wieder zurück, damit ich gleich nachsetzen konnte, während das Vieh noch mit ihm beschäftigt war. Der Lupus reagierte jedoch schnell. Mit seinen klauenbesetzten Pranken wehrte er unsere Schwerter ab, als wären sie lästige Zahnstocher. Wieder und wieder trafen Klauen auf Stahl, ließen kleine Funken aufblitzen, die davonstoben. Und selbst wenn wir einzelne Treffer erzielten, durchdrangen unsere Klingen doch nicht die granitharte Haut des Biestes, welche selbst rotglühendes Feuer widerstand.
Wir kamen keinen Fingerbreit näher an dieses Untier heran und die Zeit lief uns davon. Dieses Exemplar war lediglich der Kundschafter, der die anderen erst zusammenrief, wenn er etwas entdeckt hatte. Sobald das restliche Rudel einträfe, wären wir tot. Antaris stand der Schweiß auf der Stirn und auch ich hatte immer mehr Mühe, den Angriffen des Biestes etwas entgegenzusetzen. Verzweifelt setzte ich alles auf eine Karte.
„Aris! Gib Acht!“
Ich hechtete beiseite, rollte mich dicht neben dem Tier ab und täuschte einen Hieb gegen dessen untere Bauchdecke an; die einzige Stelle neben dem Hals, an denen sie verwundbar waren. Eben als es seine Hinterpfoten hob, um mich mit einem wuchtigen Stoß abzuwehren, pfiff ich laut einen bestimmten Ton. Mein treuer Hengst gehorchte trotz der Angst, die ihn die Augen verdrehen ließ, und trat kräftig aus, direkt in die hässliche Fratze des Wolfsdrachen. Antaris nutzte die hart erkämpfte Chance. Unbeachtet sprintete er nach vorn und warf sich auf die Knie. Und noch während er direkt unter die Bestie schlitterte, riss er seinen Dolch hoch und schlitzte dem Untier Kehle und Bauch auf.
Stolpernd kam ich wieder auf die Beine. Die handflächengroße Kralle der Hinterpfote hatte mich an der Hüfte erwischt, aber das war mir völlig egal. Mit wild klopfendem Herzen rannte ich zu Aris und wälzte den massigen, toten Körper von ihm herunter Mir stockte der Atem, als ich ihn blutüberströmt daliegen sah und er sich im ersten Moment nicht regte. Doch dann hustete er und schlug seine Augen auf.
„Bei den Göttern, ist dieses Vieh schwer.“
Ich lachte erleichtert und half ihm hoch. „Und stinken tut es auch“, scherzte ich gelöst.
„Hat sich also richtig gelohnt, frische Kleidung anzulegen.“
Erneutes Wolfsgeheul ließ uns beide herumfahren. Der Rest des Rudels hatte die sterbenden Laute seines Mitgliedes deutlich gehört und war über seinen Verlust alles andere als erfreut. Ihr knurrendes Gebell war bedrohlich nahe und der Boden erbebte beinahe unter ihren heranrasenden, kräftigen Pranken. Ich sah zu meinem Begleiter hinüber und wie zur Bestätigung streifte ein Lufthauch meine Wangen. Dann fasste ich einen Entschluss. Geschwind stieg ich auf mein Pferd und reichte Aris meinen Arm. Der schaute mich überrascht an.
„Wir können hier nicht galoppieren. Die Äste der Bäume sind viel zu ausladend, von der Dunkelheit abgesehen …!“
„Antaris!“ Mit einem lauten Ausruf unterbrach ich ihn. Jetzt war keine Zeit für große Erklärungen. „Vertrau mir!“, forderte ich dann etwas sanfter, aber doch mit Nachdruck. Seine Kiefermuskeln arbeiteten, aber nochmal zögerte er nicht. Entschlossen packte er meinen Arm und saß hinter mir auf.
„Ich hoffe, du weißt, was du tust!“, rief er mir zu.
„Das hoffe ich auch“, antwortete ich mehr zu mir als zu ihm. Laut sagte ich: „Halte dich gut fest und beug dich so dicht es geht herunter.“
Dieses Mal hinterfragte er nicht, sondern gehorchte sofort. Ich lehnte mich indes bis zum Hals meines Pferdes hinab, nahm die Zügel kurz und schloss meine Augen. Tief atmete ich durch, suchte meine innere Mitte, wo meine ureigene Kraft ruhte. Dann flüsterte ich die magischen Worte:
„Duci me, Caeli.“
Sofort umgab mich das bekannte Rauschen, als hätte ich tief in mir einen Orkan entfesselt, der jegliche Geräusche verschluckte. Übrig blieb ein dumpfes, regelmäßiges Pochen, gleich einem Herzschlag. Dann gab ich Vero die Sporen. Immer mehr trieb ich ihn an, sodass die Bäume an uns vorbeiflogen. Caeli, die große Windgöttin persönlich, wies mir den Weg durch den dichten Wald, indem sie über meine Wangen strich, je nachdem welche Richtung ich einschlagen sollte. Zwar wusste ich nie, wohin ihr Pfad führen würde, aber wenn ich … wenn WIR überleben wollten, musste ich mich dem Willen der hohen Göttin beugen.
In einem halsbrecherischen Tempo stoben wir durchs Unterholz und brachten tatsächlich etwas Abstand zwischen uns und die Bestien. Erst als sich der Wald lichtete, ich heller werdendes Mondlicht wahrnahm und der weiche Waldboden dem steinigen Untergrund wich, riss ich abrupt die Augen auf und zügelte den Hengst. Fluchend verbannte ich die Göttin aus meinem Geist und blickte zur steilen Bergwand hinauf. Als wollte Caeli mich verhöhnen, ließ sie eine kleine Windhose vor einer Öffnung im Fels tanzen. Atemlos stieg Aris hinter mir ab und schaute ungläubig genau auf jene Stelle.
„Eine Höhle? Wie … was …?“
„Später!“, wiegelte ich energisch ab, schwang mich aus dem Sattel, drückte Antaris die Zügel in die Hand und trieb ihn voran.