Der Bote des Teufels - Dani Brown - E-Book

Der Bote des Teufels E-Book

Dani Brown

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  • Herausgeber: neobooks
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Buch 1: Tödliches Elysium - Die Suche nach dem ›Paradise Killer‹ Immer wenn es Nacht wird auf Teneriffa schlägt der Täter gnadenlos zu. Schnell wird klar, dass er sich nur innerhalb einer bestimmten Altersgruppe und Nationalität seine Opfer aussucht und tötet. Buch 2: Blutiger Zorn - Niemand stirbt zweimal am Tag Ein Mord an einem Pressesprecher einer bundesdeutschen Behörde ist der Beginn einer unheimlichen Mordserie, die sich von Berlin aus, quer durch den Norden der Republik zieht. Buch 3: Unbändige Wut - Nicht jeder Tag ist gut zum Sterben Ein Serienmörder hinterlässt an den Tatorten immer einen auffälligen Hinweis. Die Bedeutung dieser hinterlegten Zeichen ist den Kriminalisten um Hauptkommissar Peter Geier völlig unklar, da sie zunächst keinerlei Sinn ergeben. Für Schnäppchenjäger - 3 Thriller/Krimis in einem eBook!

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Seitenzahl: 1383

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1.Buch
Dani Brown
Tödliches Elysium
Die Suche nach dem ›Paradise Killer‹
Vorzeichen
Vorwarnung
Vorbote
Vorsprung
Vorspiel
Vorkehrung
Vorstufe
Vormittag
Vorhof
Vorsehung
Vorhölle
Hölle
Schlussakkord
2. Buch
Dani Brown
Blutiger Zorn
Niemand stirbt zweimal am Tag
Der Flug ohne Rückkehr
Review ...
Blutspuren
Requiescat in Pace
Downtown Potsdamer Platz
Brandstifter
Die ›Gorch Fock‹ unter falscher Flagge
Todesahnung
Geschwaderfahrt in den Tod
Alles auf Anfang
Abgesang
3. Buch
Dani Brown
Unbändige Wut
Nicht jeder Tag ist gut zum Sterben
Ouvertüre
Einsamkeit
Alptraum
Geheimzeichen
Todesmelodie
Blutspuren
Nordic-Walking
Baupfusch
Der Hecht im Karpfenteich
Nachts sind alle Katzen grau
Blind vor Wut
Stoltera
Diskrepanz
Anhang

Impressum neobooks

1.Buch

Dani Brown

Tödliches Elysium

Die Suche nach dem ›Paradise Killer‹

Wenn du ein Problem hast, versuche es zu lösen. Kannst du es nicht lösen, dann mache kein Problemdaraus.

Buddha

Für meine kleine Prinzessin Julia

Vorahnung

17. Mai, 22.01 Uhr

Knud Rasmussen, der norwegische Kapitän von einem der Kreuzfahrtschiffe mit dem berühmten Kussmund am Bug, blickte nervös zu seinem 1. Offizier hinüber. Der hatte ihn unfreundlicherweise den Rücken zugedreht und lauschte einer aufgeregten Stimme, die überlaut aus dem Funkgerät zu hören war. Nach einem kurzen Disput beendete er schließlich das Gespräch und drehte sich mit nachdenklicher Miene zum Vorgesetzten um.

»Und?« Der blonde Skandinavier blickte ihn neugierig an. »Gibt es irgendwelche Schwierigkeiten?«

Der junge Mann erwiderte schulterzuckend: »Eventuell ja.«

»Ich habe eigentlich auf eine eindeutige Antwort gehofft. Deshalb wiederhole ich gerne meine Frage«, erklärte Rasmussen lachend und schüttelte leicht den Kopf.

Juri Sawtschenkow, ein stämmiger 26-jähriger Ukrainer, der erst vor 2 Monaten auf dem Schiff seinen Dienst angetreten hatte, zögerte kurz, ehe er schließlich meinte: »Ein Passagier ist verschwunden, Herr Kapitän.«

Der Angesprochene zog irritiert die Augenbrauen hoch. »So?« Mehr sagte er vorerst nicht, sondern wartete zunächst geduldig auf eine Erklärung des Stellvertreters.

Bisher gab es auf der 7-tägigen Kreuzfahrt der ›AIDAnova‹ die, sämtliche größere Inseln der Kanaren ansteuerte, keinerlei Probleme. Weder ging ein Mitreisender über Bord, noch verspäteten sich Landgänger und verzögerte so die rechtzeitige Abfahrt des Schiffes. Glücklicherweise hatte auch kein einziger unvorsichtiger Tourist eine ansteckende Krankheit aus der Heimat mitgebracht und damit zahlreiche Passagiere infiziert, sodass der Schiffsarzt alle Hände zu tun hatte, die Kranken wieder gesund zu pflegen.

»Der Kreuzfahrtdirektor hat mich gerade darüber informiert, dass ein deutscher Mitreisender fehlt.«

»Hm!« Rasmussen kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf, eher er flüchtig auf seine Armbanduhr blickte. »Wer hat das Fehlen gemeldet?«

»Die Ehefrau Eva Wegner.«

»Aha, war sie mit ihrem Ehemann nicht gemeinsam auf Landgang?«

Der Ukrainer nickte leicht mit dem Kopf. »Doch, das Ehepaar hatte einen Ausflug zum Teide-Nationalpark gebucht und sie haben auch daran teilgenommen.«

»Das heißt, sie sind zusammen von der Tour zurückgekommen und danach an Bord gegangen?«

»Ja, das ist richtig. Aber jetzt wird es merkwürdig. Laut Aussage von Frau Wegner, erhielt ihr Mann wenig später einen Anruf auf sein Handy und erklärte ihr, dass er noch mal kurz das Schiff verlassen wird.«

»Und warum, wenn ich fragen darf?« Der Kapitän sah Sawtschenkow ungeduldig an. »Eigentlich möchte ich jetzt ablegen.«

»Die Ehefrau hat leider keine Ahnung, wohin ihr Mann wollte.«

»Auch nicht den kleinsten Verdacht, Juri?« Rasmussen legte seine Schirmmütze ab und strich sich über das kurz geschorene blonde Haar.

Der Angesprochene schüttelte sofort den Kopf und meinte bedauernd: »Sie selbst steht ebenfalls vor einem Rätsel, weil auf ihren Mann bisher wohl immer Verlass war.«

»Wie geht es ihr derzeit?«

»Verständlicherweise nicht allzu gut. Laut Aussage des Kreuzfahrtdirektors hat sie einen Nervenzusammenbruch erlitten. Sie befindet sich zurzeit zur weiteren Behandlung beim Schiffsarzt Dr. Müller.«

Der Norweger nickte, ehe er nach kurzem Zögern zum 1. Offizier sagte: »Okay, wir machen jetzt folgendes. Juri, Sie begeben sich sofort zur Krankenstation und unterhalten sich mit Frau Wegner.« Er sah den Ukrainer nachdenklich an, ehe er leise ergänzte: »Und bitte, so behutsam wie möglich.«

»Ich gebe mir die größte Mühe, Herr Kapitän.«

»Vielleicht gibt es doch irgendetwas, was seine Abwesenheit von Bord erklären könnte. Manchmal sind es ja die Kleinigkeiten, die letztlich zur Auflösung beitragen.«

Sein Stellvertreter nickte schweigend, ehe er kurz salutierte und mit schnellen Schritten die Brücke verließ.

Nachdem er hinter sich die Tür geschlossen hatte, drehte sich Rasmussen zum Steuermann um. »Wir geben dem Herrn noch 30 Minuten Zeit, um an Bord zu kommen. Aber wir machen ihm jetzt unüberhörbar ein wenig Beine. Lösen Sie bitte unser Nebelhorn 3x aus.«

Der schlanke Balinese schmunzelte, ehe er den Befehl umgehend bestätigte: »Aye aye, Käpt'n!« Dann drückte er auf einen blanken Metallknopf, der sich direkt vor ihm befand.

Sofort war ein ohrenbetäubender tiefer Ton zu hören. Er pflanzte sich, beginnend vom Kreuzfahrtterminal, wie ein immer breiter werdender Kegel, über die gesamte Hauptstadt Teneriffas fort. Kurz darauf erreichte er die Höhenrücken und die steilen Hänge der gewaltigen Vulkancaldera, die sich im Hintergrund von Santa Cruz erhoben. Von dort wurden sie, vielfach gestreut, verzögert zurückgeworfen. Wenig später trafen die Schallwellen auf die »AIDAnova« und vermischten sich schließlich mit dem zweiten und dritten Signalton des Nebelhorns zu einer enormen Geräuschkulisse, die vermutlich auch den letzten Schlafenden aufweckten.

Nachdem wieder Ruhe eingekehrt war, meinte der Kapitän lachend zur Brückencrew: »Also, wenn Herr Wegner dieses deutliche Signal jetzt nicht gehört hat, dann sollte er dringend zum Ohrenarzt gehen.«

Lautes Gelächter übertönte fast seine letzten Worte und er lag auf jeden Fall nicht verkehrt.

Stadtzentrum Santa Cruz de Tenerife

Langsam kehrte nach dem dritten Tuten des Nebelhorns, das vom Kreuzfahrtterminal aus, die gesamte Innenstadt mit seinem tiefen Klang überzogen hatte, wieder die typische abendliche Stille in der Hauptstadt Teneriffas ein. Im Zentrum selbst herrschte um diese Zeit noch ziemlich viel Betrieb. Zahlreiche Bars, Cafés und Restaurants hatten geöffnet und die meisten Außenbereiche der Etablissements waren mit einer großen Anzahl junger Leute und vor allem Touristen gut besucht. Das lag natürlich auch an der tropischen warmen Nacht, die sich seit knapp einer Stunde über die Stadt gelegt hatte und einen prachtvollen Sternenhimmel präsentierte. Leider war dieser Anblick in der Innenstadt selbst kaum zu beobachten, da zahlreiche Lichtquellen, die Ausfallstraßen, Boulevards und schmalen Gassen mit einem angenehmen Lichtschein ausleuchteten.

Für all das hatte der ältere Herr, der soeben die breiten ›Rambla de Santa Cruz‹ überquerte keinen Blick übrig. Mit schnellen Schritten lief er in den ›Parque García Sanabria‹ hinein, um eine Abkürzung zum Hafen zu nehmen.

Der 67230 m ² große Park mit seinen exotischen Blumen und Palmen, sowie zahlreichen Skulpturen war einer der Hauptattraktionen der Stadt. Aber um diese Zeit war in den Grünanlagen nicht mehr viel los. Nur junge Paare hatten eine Vielzahl weißlackierter Holzbänke in Besitz genommen und genossen die gemeinsame Zweisamkeit, weit weg von der elterlichen Aufsicht. Sie nahmen kaum Notiz von dem Mann, der schnell an ihnen vorbeieilte.

Kurt Wegner beschleunigte unterdessen nochmals seinen Schritt, denn er vermutete, dass das gerade verklungene Signal des Nebelhorns nur ihm alleine galt. Nicht auszudenken wäre, falls er wegen dieser unangenehmen Sache, die Abfahrt des Kreuzfahrtschiffes verpasste. In Gedanken durchspielte er schon einmal das Horrorszenario, wie er bis morgen Mittag die Nachbarinsel Gran Canaria erreichen konnte, wenn das Schiff bereits abgelegt hatte. Soweit er sich erinnerte, startete um kurz nach 13.00 Uhr das Flugzeug in Richtung Deutschland.

Er schob die unangenehmen Gedankenspiele vorerst zur Seite und beschloss, erst dann darüber ernsthaft Überlegungen anzustellen, falls der Supergau tatsächlich eingetroffen war.

Schwer atmend blieb er mitten auf dem asphaltierten Hauptweg stehen und holte mehrfach tief Luft. Gerade, als er weitergehen wollte, hörte er hinter sich eine leise Stimme: »Señor Wegner?«

Überrascht drehte er sich um und gewahrte auf einem der schmalen Kieswege, die noch weiter in die Parkanlage hineinführten, einen schlanken hochgewachsene Mann, der ihm aufgeregt zuwinkte.

»Ja?«

»Kann ich Sie bitte mal kurz sprechen?«

Der Angesprochene nickte flüchtig und murmelte: »Klar!« Dann ging er rasch zum Unbekannten.

»Es tut mir leid Señor, dass ich unseren Termin verpasst habe. Aber es gab unerwartete Komplikationen, die meine Anwesenheit erforderten.«

Der Deutsche blickte ihn mit nachdenklicher Miene an, ehe er leise fragte: »Sind Sie etwa Herr Meyer, der mich unbedingt sprechen wollte?«

Sein Gegenüber nickte sofort. »Sie haben recht.«

»Um was geht es überhaupt?«

»Am besten, wir gehen einige Schritte. Es muss ja nicht sein, dass uns hier Leute sehen.«

Sein Gesprächspartner zuckte mit den Schultern. »Wenn Sie meinen.« Dann folgte er dem Fremden.

Wenig später blieb er schließlich stehen und drehte sich um. »So, das müsste ausreichen.«

Obwohl der Park in der Innenstadt von Santa Cruz lag, war es auf dem Seitenweg stockfinster, sodass sogar der Sternenhimmel in voller Pracht zwischen den Wedeln der hoch aufgeschossenen Palmen und Blätterkronen der zahlreichen Laubbäume zu sehen war. Deshalb konnte er auch das Gesicht seines Gegenübers wenigstens schemenhaft erkennen.

Kurt Wegner räusperte sich, ehe flüsternd meinte: »Jetzt mal Butter bei die Fische. Warum wollen Sie mich so dringend sprechen?«

Meyer schien zu lächeln und es dauerte einen Augenblick, bis er schließlich mit angenehm dunkler Stimme antwortete: »Kennen Sie sich ein wenig mit lateinischen Sprichwörtern aus?«

Wegner trat einen Schritt zurück und meinte anschließend irritiert: »Nein, eigentlich nicht. Worauf wollen Sie überhaupt hinaus? Zuerst lotsen Sie mich vom Schiff herunter, dann verpassen Sie Ihren eigenen Termin und nun fragen Sie, ob ich irgendwelche Idiome aus dem Altertum kenne.«

»Es hätte ja sein können oder?«

»Okay, Herr Meyer. Kommen Sie endlich auf den Punkt, sonst fährt der Kreuzliner noch ohne mich los.«

»Sie meinen die AIDAnova?«

»Ja!«

»Quod tibi fieri non vis, alteri ne feceris!«

Wegner blickte ihn verwundert an, ehe er kaum hörbar murmelte: »Bitte was?«

»›Was du nicht willst, dass man dir tut, das füg‘ auch keinem anderen zu!‹ Das sagte bereits Kaiser Alexander Severus und das Zitat hat bis zum heutigen Tag nichts von seiner Bedeutung eingebüßt.« Ohne eine Antwort abzuwarten, stach er mit einem Bajonett, dass er hinter der rechten Hand verborgen hatte, kraftvoll zu.

Die 14,8 cm lange Klinge drang von unten her in die Oberhaut ein und durchstach auf ihrem Weg in die obere Körperhälfte die komplette Milz. Kurz darauf erreichte die Messerspitze, oberhalb des Rippenbogens, das eigentliche Ziel der heimtückischen Attacke, die linke Herzkammer. Ohne auf großen Widerstand zu stoßen trat sie ein und kam schließlich abrupt zum Stehen, weil der Schaft des Bajonetts inzwischen auf der Hautoberfläche des Opfers angekommen war.

Die ganze Aktion dauerte knapp 2 Sekunden und es wurde ziemlich schnell deutlich, dass der Angreifer sein Handwerk verstand.

Erst jetzt realisierte Kurt Wegner, dass er tödlich getroffen war. Sein Gegenüber zog lächelnd mit einer kurzen Rechtsdrehung das scharfe Messer wieder aus dem Körper heraus, sodass eine klaffende Wunde zurückblieb, aus der sofort Blut austrat. Das beige/grün geringelte Poloshirt des Opfers färbte sich an dieser Stelle rasch rot.

»Warum?«, flüsterte er konsterniert, derweil er langsam zurücktaumelte, bis er sich schließlich laut stöhnend auf die Knie hockte. Seine rechte Handfläche drückte er dabei auf die blutdurchtränkte Fläche des Hemdes in der Hoffnung, dass der Blutstrom nachließ. Er schien noch immer nicht verstanden zu haben, was gerade passiert war.

Der Angreifer beobachtete, ohne jede Gefühlsregung, sein Opfer. Er wusste ganz genau, dass er den alten Mann tödlich getroffen hatte. Nachdem er kurz gezögert hatte, meinte er schließlich: »Auch dafür gibt es einen passenden Spruch.«

»Okay«, murmelte Wegner kaum verständlich, ehe er plötzlich nach links fiel und auf der Seite regungslos liegen blieb.

»Ja, ob Sie es glauben oder nicht.«

Das Opfer reagierte nicht auf diese Äußerung.

»Man trifft sich immer zweimal im Leben.« Anschließend bückte Meyer sich schnell und ergriff die Beine der Leiche. Fast geräuschlos zog er den Körper weiter in das dichte Unterholz hinein, das sich auf beiden Seiten des schmalen Weges ausgebreitet hatte, bis er schließlich den Stamm einer Washington-Palme erreicht hatte. Mit einem leisen Seufzen ließ er die Füße los und drehte den Leichnam auf den Rücken. Dann legte er den Zeigefinger an die Halsschlagader und prüfte den Pulsschlag. Aber wie erwartet, war keiner vorhanden. Der Mann war tatsächlich tot, so wie er es auch verdient hatte.

Nun gab es für den Mörder nur noch eines zu tun. Aus der Tasche seiner Jacke holte er eine kleine Dose Schuhcreme hervor und öffnete sie. Er fuhr mehrmals mit dem linken Daumen über die Oberfläche der Putzcreme, bis der obere Bereich des Fingers völlig schwarz war.

Dann nahm er eine Taschenlampe und leuchtete Kurt Wegner direkt in das leicht verzerrte Gesicht, ehe er auf der Stirn einen markanten Daumenabdruck zurückließ. Skeptisch begutachtete er sein Werk, denn er legte großen Wert darauf, dass sein Erkennungsmerkmal deutlich erkennbar war, sodass das Opfer nur ihm zugeordnet werden konnte. Schließlich war er zufrieden und schaltete die Taschenlampe aus, ehe er sich geräuschlos erhob. Er hielt kurz inne und lauschte. Glücklicherweise war nur aus weiter Entfernung lautes Lachen zu vernehmen, während um ihm herum völlige Stille herrschte.

Jedes unnötige Geräusch vermeidend begab er sich zurück zum Weg und verließ wenig später den Park in Richtung ›Calle Méndez Núñez‹, die den östlichen Teil der Anlage begrenzte. Als er an einer Straßenkreuzung zum Hafen herunterblickte, sah er ein hell erleuchtetes Kreuzfahrtschiff, das gerade dabei war abzulegen. Vorne am Bug war deutlich ein roter Kussmund zu erkennen. Die ›AIDAnova‹ begab sich langsam auf ihren Weg nach Gran Canaria. Zwar mit einem Passagier weniger an Bord, aber danach wird spätestens in 2 Tagen kein Hahn mehr krähen. Da war sich der Mörder absolut sicher.

Mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht, ließ er einen weißen Fiat 500 passieren, die auf der Insel hauptsächlich an Touristen vermietet wurden. Anschließend überquerte er mit schnellen Schritten die Fahrbahn und setzte auf der anderen Straßenseite seinen Weg fort, ehe er schließlich in eine der zahlreichen Querstraßen einbog, die direkt zum Hafen hinunterführten.

3 Tage später

Es dauerte immerhin nahezu 72 Stunden und einen ständig zunehmenden Verwesungsgeruch, bis die Leiche endlich durch zwei 12-jährige Jungs entdeckt wurde, die neugierig im Dickicht der Parkanlage Ausschau gehalten hatten, was so unangenehm stank. Schließlich waren sie fast über die Überreste eines menschlichen Körpers gestolpert, der direkt neben dem dicken Stamm einer Washington Palme lag. Den schrecklichen Anblick werden die Finder vermutlich ihr Leben lang nicht mehr vergessen, als sie den Leichnam nur kurz anschauten, der mit zahlreiche kleinen weißen Maden bedeckt war, während die Teenager von aufgescheuchten grünlich schimmernde Schmeißfliegen umflogen wurden. Geschockt waren sie sofort wieder zurückgewichen und mussten sich erst einmal übergeben, ehe sie laut schreiend den schmalen Weg zurückliefen, um Hilfe zu holen.

Zwei Stunden später saßen sie auf dem hinteren Trittbrett eines Krankenwagens, der auf der einen Seite des asphaltierten Hauptweges der Parkanlage abgestellt war. Vor den Jungs stand ein Kripobeamter der Policia Nacional und befragte sie, während er schriftlich ihre Aussagen aufnahm.

Im Umkreis von 50m um die entdeckte Leiche herum, war das gesamte Gebiet mit einem gelben Plastikband abgesperrt worden und wurde darüber hinaus von Beamten der Policía Canaria bewacht. Das war auch notwendig, denn unter den Medienvertretern der größten Insel der Kanaren hatte sich das Ereignis natürlich längst herumgesprochen. Mindestens ein Dutzend Presseleute und drei Kamerateams warteten direkt vor der Absperrung auf Interviewpartner, die mit ernsten Gesichtern den Tatort verließen, um weitere Untersuchungsgeräte aus ihren geparkten Transportern zu holen.

Die einzigen beiden Wörter, die sie den wartenden Journalisten, immer wieder gebetsmühlenartig sagten, hießen: »Kein Kommentar.« Dann schlüpften sie rasch unter dem Absperrband durch und verschwanden im Unterholz, das so dicht war, dass man nichts vom eigentlichen Fundort sah.

In der Mitte des Epizentrums, direkt bei der Leiche, hielten sich nur ein Mann und eine Frau auf. Während der eine neben dem Körper hockte und aus einem aufgeklappten Koffer, der verschiedene Untersuchungsgeräte enthielt, immer wieder Teile herausnahm oder hineinlegte, stand der andere schweigend daneben und machte sich Notizen. Aus der Entfernung waren die beiden Beamten kaum voneinander zu unterscheiden, denn sie trugen den gleichen weißen Einweganzug, der für sämtliche Mitarbeiter, die an Tatorten zu tun hatten, vorgeschrieben war.

Schließlich räusperte sich der ältere Mann und meinte zu seiner Kollegin, die sich gerade erhoben hatte: »Ich muss ehrlich zugeben, dass ich bereits angenehmere Leichen gesehen habe.«

»Was du nicht sagst, Carlos?«, erwiderte sie ein wenig schnippisch.

»Kannst du schon Näheres zur Todesursache sagen?«

Marta Moreno Lopez blickte den Kriminalbeamten mit nachdenklicher Miene an. »Es sieht ganz so aus, als ob ein einziger Stich direkt ins Herz zum Tod des männlichen Opfers geführt hat. Aber wie du ja weißt, ein abschließendes Urteil erlaube ich mir natürlich erst, wenn ich den Körper eingehend in der Gerichtsmedizin untersucht habe.«

»Ist schon klar«, brummte der erfahrene Kriminalkommissar und strich sich etwas nervös über seinen imposanten Schnauzbart, der an den Bartenden bereits beträchtlich ins Grau überging. »Was könnte die Tatwaffe gewesen sein?«

Die Ärztin bückte sich rasch und klappte ihren schwarzen Lederkoffer zu, ehe sie ihn sorgsam verschloss und senkrecht hinstellte. Dann meinte sie lächelnd zum geduldig wartenden Kollegen: »Die Eintrittswunde, die gleichzeitig auch die Austrittswunde ist, sieht etwas ausgefranst aus. Das hängt wohl damit zusammen, dass der Täter die Waffe um 90° gedreht hat, eher er sie wieder aus dem Körper herausgezogen hat.«

»Okay.«

»Ich vermute, dass eine breite lange Klinge benutzt wurde, die auf der Oberseite ein Sägemuster besaß.«

»Also ein Küchenmesser?«

»Über diese Brücke möchte ich derzeit noch nicht gehen, Carlos. Das muss ich in jedem Fall detaillierter untersuchen. Beim Tatwerkzeug kommen alle möglichen Stichwaffen für mich in Frage. Vielleicht war es ein schlichtes Messer aus einem Messerblock, der weltweit in vielen Küchen vorhanden ist. Aber auch Seitengewehre aus dem militärischen Bereich will ich zurzeit nicht ganz ausschließen. Eines kann ich dir allerdings mit ziemlicher Sicherheit schon jetzt sagen.«

»Oh, das höre ich doch gerne«, erwiderte der erfahrene Kriminalist schmunzelnd.

»Der oder die Täter verstanden ihr Handwerk. Das war kein Zufallstreffer, der das Opfer getötet hat. Der Angreifer wusste ganz genau, wie man einen tödlichen Stich ansetzt.«

»Ist der Fundort auch der Tatort?«

Die zierliche Frau schüttelte umgehend den Kopf: »Das werden dir nachher sicherlich noch die Forensiker mitteilen, aber der Körper wurde eindeutig bewegt. Der Angriff selbst fand höchstwahrscheinlich auf dem schmalen Weg statt, der in circa 15m Entfernung durch den Park führt. Dort jedenfalls wurde eine größere Menge Blut gefunden, die vermutlich vom Opfer stammt. Erst nach der Tat wurde die Leiche hierher verbracht, um wahrscheinlich das rasche Auffinden zu erschweren.«

Carlos zeigte auf den schwarzen Abdruck, der trotz fortschreitender Verwesung mitten auf der Stirn zu erkennen war. »Was hältst du davon?«

Marta zögerte einen kurzen Moment, ehe sie leise meinte: »Für mich persönlich sieht das so aus, als hätte der Täter auf diese Weise, die Leiche als seine Trophäe eindeutig gekennzeichnet. Das ist ja geradezu ein typisches Verhalten von Serienmördern, das sie irgendetwas von ihren Opfern mitnehmen, sei es eine Haarsträhne, eine Uhr, Kette oder sogar Unterwäsche.«

»Und dann gibt es andere Mörder, die kennzeichnen ihre vermeintliche Beute, damit sie nur ihnen zugeordnet werden kann«, ergänzte er mit nachdenklicher Miene.

»Genau.«

Der Kriminalist sah nicht gerade glücklich aus, als er schließlich grimmig erklärte: »Das fehlt jetzt noch, dass hier auf der Insel ein Serienmörder sein Unwesen treibt. Kurz vor Saisonbeginn wäre das eine touristische Katastrophe. Ist das eigentlich ein Fingerabdruck, mit dem die Leiche markiert wurde?«

»Ja und ein richtig detaillierter Abdruck dazu. Dein Kollege von der Spurenermittlung war jedenfalls begeistert, als er ihn sichergestellt hat. Er meinte, es handelt sich um einen 1a Daumenabdruck.«

»Kannst du die Todeszeit bereits näher eingrenzen, Marta?«

Die Ärztin nickte leicht mit dem Kopf, ehe sie mit leiser Stimme erklärte: »Der Zustand der Leiche, örtliche Wetterbedingungen, Madenbefall und Eiablage der Schmeißfliegen deuten auf einen Todeszeitpunkt zwischen 64 und 72 Stunden hin. Ich persönlich tendiere auf den früheren Zeitpunkt, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass die Tat am helllichten Tag begangen wurde, weil dann im gesamten Park viele Einheimische und Touristen unterwegs sind. Ich vermute, der Täter hat den späteren Abend oder die Nacht für seine Tat genutzt.« Sie schaute ihren langjährigen Kollegen lächelnd an, ehe sie süffisant meinte: »Ich hoffe, ich habe nun sämtliche Fragen zur vollsten Zufriedenheit beantwortet, Carlos.«

Der Angesprochene murmelte etwas geistesabwesend: »Ja, das stimmt.« Schließlich ergänzte er leise: »Vielen Dank, Marta.«

»Gern geschehen. Wenn du nichts dagegen hast, lasse ich jetzt die Leiche abholen, damit noch heute die Obduktion durchgeführt wird. Falls sich dabei Relevantes ergeben sollte, melde ich mich danach bei dir. Ansonsten, wie gehabt, spätestens morgen früh. Ist das so okay?«

Carlos blickte die Ärztin kurz an, ehe er schmunzelnd sein Einverständnis gab: »Erlaubnis erteilt.«

3 Stunden später

Direkt vor Kriminalkommissar Garcia lag eine Plastiktüte, in dem sich deutlich sichtbar eine Geldbörse und eine kleine Plastikkarte befanden. Letzteres war ein Personalausweis. Ein Kollege der Spurensicherung hatte mit einem schwarzen Faserstift kurz und knapp vermerkt, wem die Gegenstände gehörten und wo sie sichergestellt wurden.

»Wir haben es also mit einem Deutschen zu tun«, meinte Garcia gerade zu seinem engsten Mitarbeiter, der ihm direkt gegenübersaß.

Luis Alonso nickte schweigend, ehe er nach der Tasse griff und einen Schluck Kaffee trank.

»Wissen wir inzwischen etwas mehr über das Opfer?«

»Ja, eine ganze Menge. Es liegt sogar seit Tagen eine Vermisstenanzeige vor.«

»Wer hat sie gestellt?«

»Die Ehefrau des Toten.«

»Wurde sie bereits von uns befragt?«

»Ja, Luisa hat sich mit der Frau unterhalten.«

Der Leiter der Mordkommission lehnte sich zurück und gähnte laut, ehe er schließlich meinte: »Haben die Aussagen etwas Relevantes für uns gebracht?«

Sein Gegenüber nickte. »Ja, das Ehepaar hat auf der AIDAnova an einer Kreuzfahrt teilgenommen. 2 Stunden, bevor das Schiff zu seiner letzten Etappe nach Gran Canaria ablegen wollte, bekam ihr Mann einen Anruf.«

»Augenblick, Luis. Er wurde also angerufen.«

»Ja, das ist richtig.«

»Konnten wir das Handy sicherstellen?«

»Ja, es wird gerade von den Experten untersucht.«

»Ausgezeichnet«, brummte Garcia zufrieden, »es wäre ja nicht schlecht, zu erfahren, wer ihn angerufen hat. Was passierte nach dem Anruf?«

»Das Opfer hat umgehend das Schiff verlassen und ist nicht mehr zurückgekehrt. Bevor du fragst, die Ehefrau hat keinen blassen Schimmer, mit wem ihr Mann gesprochen hat und wohin er gegangen ist.«

»Wie wirkte er emotional auf sie?«

»Sehr nervös und aufgeregt. Aber er hat ihr nicht gesagt, was der Grund dafür war.«

»Okay, fassen wir mal zusammen. Das Opfer ist der 72-jährige deutsche Staatsbürger Kurt Wegner, der mit seiner Ehefrau an Bord der AIDAnova eine Kreuzfahrt rund um die Kanaren unternommen hat. Am 17. Mai erhielt er gegen 20.00 Uhr einen Anruf auf sein Handy, worauf er ohne Begründung das Schiff verlassen hat und nicht mehr zurückgekehrt ist. Gibt es sonst etwas Wesentliches hinzuzufügen, Luis?«

Sein Stellvertreter überlegte kurz, ehe er schließlich meinte: »Mithilfe von AFIS findet noch heute ein Datenabgleich mit dem sichergestellten Daumenabdruck statt. Vielleicht bekommen wir ja einen Treffer?«

Sein Freund schüttelte sofort den Kopf. »Dafür lege ich meine Hand ins Feuer, das wir nichts finden werden.«

»Hauptsache, du verbrennst dich nicht«, frotzelte Alonso.

»Wurden bereits das deutsche BKA und Europol informiert?«

»Nein, das erledige ich nachher gleich.«

Carlos richtete sich langsam auf. »Gut, gibt es sonst noch etwas Wichtiges?«

Sein Kollege überlegte kurz, ehe er leicht mit dem Kopf schüttelte. »Derzeit nicht.«

Kriminaltechnisches Labor, 1 Stunde später

Neben der DNA Analyse ist AFIS (Automatisierte Fingerabdruck Identifizierung System) die sicherste Methode, um Personen eindeutig zu ermitteln. Sämtliche von den nationalen und internationalen Polizeidienststellen übermittelten Daten werden dabei in den einzelnen Ländern zentral erfasst und zur Personenidentifizierung eingesetzt. Die seit vielen Jahren zuverlässige Praxis basiert auf der Codierung der anatomischen Merkmale, die im jeweiliger Finger- oder Handflächenabdruck abgebildet sind. AFIS erkennt diese einzigartigen Charakteristika automatisch und vergleicht sie mit dem Code von Millionen abgespeicherten Fingerspuren. Tatverdächtige können somit rasch identifiziert, Unschuldige entlastet, sowie Taten, die zusammengehören ermittelt werden.

Manuela Torres hatten den auf der Leiche von Kurt Wegner gefundenen linken Daumenabdruck bereits in AFIS eingegeben und löste in diesem Augenblick die Suche aus. Sie wusste aufgrund ihrer langjährigen Erfahrungen, dass es Stunden dauern könnte, bis endlich ein aussagefähiges Ergebnis vorlag oder eben auch nicht.

Um sich die Wartezeit abzukürzen, begann sie umgehend mit der Untersuchung der schwarzen Substanz, in dem der Daumenabdruck gefunden wurde.

Einige Zeit später, AFIS lief im Hintergrund immer noch, war sie in dieser Frage ein Stückchen weitergekommen. Es handelte sich um eine wässrige Emulsion auf Basis von Wachsen, der Silikonemulsion, Verdicker, Konservierungsmittel, sowie Farb- und Duftstoffen hinzugefügt waren.

Ein leichtes Lächeln überzog das Gesicht der attraktiven Forensikerin, als sie die Zusammensetzung der unbekannten Substanz auf dem ausgedruckten Zettel überflog. Schnell gab sie einige Begriffe in den Computer ein und las sich aufmerksam die Vorschläge durch, die auf dem Display angezeigt wurden.

Schließlich nickte sie kurz und murmelte: »Das habe ich mir fast schon gedacht.«

Wenig später druckte sie das endgültige Untersuchungsergebnis aus. Dann nahm sie rasch ihr Telefon und wählte eine Nummer.

Nach zweimaligen Klingeln wurde endlich abgenommen: »Ja, hier Alonso!«

»Ich bin es Manuela.«

»Grüß dich, hast du schon etwas herausgefunden?«

»Bei der unbekannten Substanz, in der wir den Daumenabdruck gefunden haben, handelt es sich um schwarze Schuhcreme.«

Einen Augenblick war Ruhe am anderen Ende, ehe ihr Kollege meinte: »Aha und welche Firma stellt sie her?«

Torres schien einen kurzen Moment überrascht, ehe sie spöttisch erwiderte: »Ich bin Forensikerin und keine Zauberin, Luis. Hast du eine Ahnung, wie viele Sorten schwarze Schuhcreme auf dem Markt sind? Ich schätze mal Tausende! Du wirst dich noch etwas gedulden müssen, bis ich den Hersteller identifiziert habe.«

»Okay, das war wirklich nicht abschätzig gemeint. Ich weiß doch, was für eine wichtige Arbeit ihr im Labor leistet.«

»Sollte das eben eine Entschuldigung gewesen sein, dann nehme ich sie an.«

Alonso beschloss, nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen und die temperamentvolle Frau damit weiter zu reizen. Stattdessen meinte er nur: »Melde dich einfach, wenn du ein Ergebnis hast.«

»Klar, das werde machen.«

Der Kriminalist wechselte das Thema: »Was macht AFIS?«

Torres drehte sich rasch zum Computerdisplay um, ehe sie kurz und knapp sagte: »Die Suche läuft noch immer.«

»Gut. Halte mich auf dem Laufenden und vielen Dank für deinen Anruf.«

»Gern geschehen«, erwiderte sie lächelnd, bevor beide fast gleichzeitig das Gespräch beendeten.

1 Stunde später

Die Gerichtsmedizin der Kanaren befand sich in der Nähe des Campus Ofra der Universität La Laguna. Wie der Name schon sagte, wurde die Hochschule nicht direkt in der Hauptstadt angesiedelt, sondern weiter westlich. Obwohl die Vororte beider Städte mittlerweile übergangslos ineinander übergehen, sind die klimatischen Bedingungen trotzdem sehr unterschiedlich. Das lag vorrangig am Höhenunterschied von 550m über dem Meeresspiegel. Das bedeutete, dass die Temperaturen im Zentrum von Santa Cruz im Durchschnitt 4-7°C ganzjährlich höher waren, als in San Cristóbal de La Laguna, wie die Stadt offiziell heißt.

Diese klimatischen Wetterbedingungen kannte Hauptkommissar Carlos Sanchez Garcia natürlich, denn er lebte einige Jahre in der ehemaligen Hauptstadt Teneriffas. Er war soeben an der Gerichtsmedizin eingetroffen und stellte sein Dienstfahrzeug auf einem reservierten Parkplatz direkt vor dem Eingang ab.

Gerade als er aussteigen wollte, begann sein Handy in der Hosentasche zu klingeln. Etwas ungnädig zog er es heraus und blickte neugierig auf das Display. Mit einem leisen Seufzen ging er schließlich auf Empfang. »Was gibt es, Luis?«

Sein Kollege legte sofort los. »Nicht viel. Die Forensik hat mittlerweile herausgefunden, in welcher Substanz sich der Daumenabdruck befand.«

»Aha.«

»Es handelt sich um schwarze Schuhcreme.«

»Ich habe, ehrlich gesagt, so etwas erwartet. So leicht will es uns der Täter nicht machen, in dem er eine seltene Substanz benutzt hätte.«

»Ja, da hast du leider recht. Und was sagt Marta?«

»Keine Ahnung. Ich bin erst gerade angekommen«, erklärte Carlos lachend.

»Hoffentlich hat sie ja etwas Neues zu berichten.«

»Wir werden sehen, Luis. Aber ansonsten hätte sie mich bestimmt nicht angerufen.«

»Kommst du danach noch zur Dienststelle?«

Der Leiter der Mordkommission überlegt kurz, ehe er zurückhaltend meinte: »Hängt alles vom Gespräch hier ab und ob Kriminaltechnik sowie Forensik bahnbrechende Erkenntnisse vermelden können. Wenn nicht, findest du mich heute Abend mit Frau, Kindern und Enkeln auf der Terrasse meines Hauses beim Barbecue.«

»Das klingt gut.«

»Du kannst gerne mit Ines zum Essen kommen.«

»Mal sehen, was sie dazu sagt.«

»Gibt es noch etwas, sonst lege ich jetzt auf!«

»Nein, der Fingerabdruck und die sichergestellte DNA konnten bisher keiner Person zugeordnet werden.«

»Okay, halte mich auf dem Laufenden.« Garcia beendete das Gespräch und steckte das Handy wieder in die Hosentasche. Dann schloss er rasch sein Fahrzeug ab und betrat den kühlen Flur des Gebäudes. Er winkte dem Pförtner nur kurz zu, denn natürlich kannte er den Weg zur Leiterin der Gerichtsmedizin.

45 Minuten später

Die Obduktion von Kurt Wegner war nun endgültig beendet. Sämtliche Urin und Blutproben, sowie ein Teil des Mageninhalts waren für weitere mikroskopische, mikrobiologische und toxikologische Untersuchungen entnommen worden. Der Y-Schnitt in der Haut, der die inneren Organe des Toten für die Begutachtung und Entnahme, freigelegt hatte, wurde gerade durch einen der Assistenten mit grobem Garn vernäht. Schließlich war auch das geschafft und über den Leichnam wurde ein weißes Leinentuch ausgebreitet. Zu guter Letzt wurde er auf eine Tragbahre gehoben, zu einer leeren Kühlkammer gebracht und hineingeschoben. Mit einem leisen Klick schloss sich die Tür.

»Klappe zu, Affe tot«, murmelte Carlos, der fast die gesamte Zeit geschwiegen hatte, während ihm die Gerichtsmedizinerin ausführlich ihre Herangehensweise und vorläufigen Ergebnisse erläutert hatte.

»Das habe ich gehört«, erklärte Marta Moreno Lopez lachend und droht ihm mit dem Finger. Dann schlüpfte sie elegant aus ihrer Bekleidung und warf diese zusammen mit dem Mundschutz und den gebrauchten Einmalhandschuhen in eine schwarze Recyclingtonne. Danach ging sie zu einem der Waschbecken und wusch sich akribisch ihre Hände, während sich ihr Gast ebenfalls seiner Kleidung entledigte.

10 Minuten später saßen sie gemeinsam im Büro der Gerichtsmedizinerin und tranken einen Kaffee.

Mit einem verschmitzten Lächeln stellte Garcia die Tasse auf den Tisch und lehnte sich zurück. Dann nahm er das Gespräch wieder auf, was sie im Umkleideraum der Gerichtsmedizin begonnen, allerdings noch nicht beendet hatten. »Letztlich hast du mich nur hierher eingeladen, um mir stolz zu zeigen, dass das Opfer einen kleinen Tumor an der rechten Niere besaß.«

»Ja, ich fand es zumindest so wichtig, dass ich dich lieber sofort informiert habe.«

»Dafür gibt es auch Telefone, das weißt du hoffentlich oder? Aber mal Spaß beiseite, war der Krebstumor für Wegner bereits lebensgefährlich?«

Marta Moreno Lopez schüttelte den Kopf. »Nein, er befand sich noch im Anfangsstadium und hatte darüber hinaus bisher keine Metastasen gebildet. Der Mann hätte also sehr gute Heilungschancen gehabt.«

»Ja, leider hatte der Mörder etwas dagegen. Du hast vorhin erwähnt, dass du bei der Klingenlänge des eingesetzten Messers circa 14,8 cm zugrunde legst.«

»Das ist richtig. Von der Eintrittswunde bis zur Unterseite des Herzbeutels sind es bereits 13 cm.«

»Der Täter hat tatsächlich nur einmal zugestoßen?«

»Genauso ist er vorgegangen, Carlos. Die Herzwand wurde nur an einer Stelle durchstochen. Das reichte allerdings völlig aus, um das Opfer so schwer zu verletzen, dass er letztlich innerlich verblutet ist. Er hatte von vornherein nicht die Spur einer Chance, den Angriff zu überleben und ich nehme an, der Täter hatte das auch so geplant.«

Garcia blickte Marta nachdenklich an, ehe er nach seiner Tasse griff, und einen Schluck Kaffee trank. Nachdem er sie wieder abgestellt hatte, meinte er zur Ärztin: »Gehe ich richtig in der Annahme, dass du einen Profi hinter der Tat vermutest?«

»Es muss zumindest eine Person gewesen sein, die sich mit der Anatomie des menschlichen Körpers auskannte. Messerstiche, die durch Laien ausgeführt werden, richten sich zumeist zentral auf den Oberkörper des Angegriffenen. Glücklicherweise wird das Herz in diesem Bereich durch eine Vielzahl von Rippen geschützt, sonst würden deutlich mehr Opfer bei mir in der Gerichtsmedizin liegen.«

»Der Täter hat allerdings die schützende Barriere elegant umgangen.«

Lopez nickte. »Richtig, er hat von unterhalb des Rippenbogens hochgestochen und dabei nicht eine einzige Rippe beschädigt. Ich glaube deshalb kaum, dass da ein Laie am Werk war und wenn man abschließend summa summarum alle Werte zusammenrechnet kommt man auf eine Klingenlänge von circa 14,8 cm.«

Carlos kratzte sich nervös am Hinterkopf, ehe er meinte: »So welche Messer gibt es doch wie Sand am Meer. Die sind in sämtlichen Messerblöcken, die in zahlreichen Küchen herumstehen, zu finden.«

Die Ärztin lachte laut auf. »Ja, mein Lieber, so etwas nennt sich auch Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen.«

»Du hast verdammt recht«, brummte der Kriminalbeamte frustriert.

»Kopf hoch, Carlos, ich gehe davon aus, dass ich die Spezifikationen der Tatwaffe weiter eingrenzen kann.«

Ein Hoffnungsschimmer überflog das Gesicht von Garcia, während er murmelte: »Da bin ich jetzt mal gespannt, was kommt.«

»Ich gehe davon aus, dass der Messerangriff mit einer beträchtlichen Kraftanstrengung durchgeführt wurde. Der menschliche Körper besteht ja nicht aus Butter, sondern aus Haut, Organen und Knochen, die einem Messerstich einen wesentlich größeren Widerstand, als die meisten Angreifer vermuten, entgegensetzen. Bei zahlreichen Obduktionen konnte ich deshalb nachweisen, dass viele Haushaltsmesser bei Angriffen verbogen beziehungsweise gleich ganz abbrachen, sodass sich häufig noch Messerreste im Körper der Opfer befanden. Ich bin überzeugt, dass der Täter kein Messer aus einem Holzblock genutzt hat.«

»Sondern?«

»Vermutlich benutzte er ein Tauchermesser oder irgendein militärisches Kampfmesser, denn die sind wesentlich robuster.«

»Das heißt, wenn ich die Tatwaffe finde, kannst du sie eindeutig identifizieren?«

Marta lachte. »So einfach ist das natürlich nicht, mein Lieber und das weißt du auch ganz genau. Falls weder Blut noch DNA des Opfers anhaften, ist nur die Identifizierung des Messertyps möglich.«

»Hm«, Carlos sah die Ärztin nachdenklich an, »hatte die eingesetzte Messerklinge irgendwelche Besonderheiten?«

Sie nickte. »Ja, das habe ich bereits am Tatort kurz erwähnt. Die Klinge besitzt auf der Oberkante eine sogenannte Sägefunktion.«

»Okay, das deutet ebenfalls auf ein Spezialmesser hin oder?«

»Genau. Deshalb empfehle ich dir ja auch, dein Hauptaugenmerk nicht auf ein simples Küchenmesser zu richten.«

10 Minuten später

Noch immer lief AFIS im Hintergrund und es gab bisher leider keinen Treffer. Das beunruhigte allerdings Manuela Torres keineswegs, weil die Software Millionen Datensätze weltweit durchsuchen musste.

Sie hatte die Zeit genutzt, um die genaue Zusammensetzung der Schuhcreme zu ermitteln. Das war ihr mittlerweile gelungen und sie suchte gerade in einem langen Verzeichnis nach der verwendeten Marke. Glücklicherweise wurde sie bereits beim Buchstabe E fündig. Sicherheitshalber ging sie auch noch die restliche Liste durch, doch das Ereignis blieb das gleiche. Sie hatte tatsächlich das Produkt eindeutig identifiziert. Einerseits freute sich die Forensikerin über den Treffer, andererseits hatte sie ein gängiges Massenprodukt ermittelt. Mit einem orangefarbigen Marker kennzeichnete sie die betreffende Zeile, ehe sie erneut zum Telefon griff, um Alonso anzurufen.

Diesmal hob der Kommissar bereits nach dem ersten Klingeln ab und meinte lachend: »Wenn du jetzt kein Erfolgserlebnis für mich hast, lege ich gleich wieder auf.«

Manuela Torres schmunzelte, ehe sie schließlich erklärte: »Na ja, der Durchbruch ist es zwar nicht gerade, aber ich konnte wenigstens die Marke der Schuhcreme identifizieren.«

»Was macht eigentlich AFIS?«

»Das Programm arbeitet unermüdlich.«

»Es gab also bisher keinen einzigen Treffer.«

»Leider nicht.«

»Na ja, die Hoffnung stirbt ja bekanntlich immer zuletzt oder?«

Die junge Frau lachte. »Wenn du es sagst, wird es wohl stimmen.«

»Dann erzähle mal, was du herausgefunden hast.«

»Das verwendete Produkt heißt ›Erdal Dosencreme schwarz‹.«

»Ach du meine Güte. So einfach wollte es uns der Täter nun doch nicht machen. Wäre auch zu schön gewesen.«

»Ja, da hast du leider recht.«

»Er hat also ein schnödes Massenprodukt verwendet, dass es in jedem Supermarkt und Drogerie zu kaufen gibt.«

»Ja«, sie warf nebenbei einen kurzen Blick auf das Computerdisplay, auf dem, seit Stunden, AFIS lief. Aber das Programm war stehen geblieben und zeigte ein Ergebnis an. Aufgeregt sagte sie zu ihrem Gesprächspartner: »Ich glaube, ich habe einen Treffer.«

»Was hast du?«, fragte er verwundert und als sie nicht sofort antwortete, meinte er ungeduldig: »Manuela, sprich mit mir.«

Die Forensikerin hatte mittlerweile einen Blick auf die Anzeige geworfen und den Text überflogen. Sie war auffällig blass geworden, bis sie schließlich zum wartenden Luis Alonso sagte: »Das Ergebnis hat es in sich. Am besten, du kommst ganz schnell in mein Labor.«

»Warum?« Er verstand noch immer nicht.

»Ich habe nicht nur einen Treffer, sondern insgesamt 6 und die europaweit verteilt.«

»Das heißt, überall wurde der gleiche Daumenabdruck gesichert, sowie dieselbe Schuhcreme eingesetzt.«

»So sieht es jedenfalls aus.«

Nach einem kurzen Zögern platzte es schließlich aus dem Kriminalbeamten heraus: »Verdammt, wir haben einen Serienmörder auf der Insel herumzulaufen und das gefällt mir überhaupt nicht.«

»Kommst du jetzt zu mir oder nicht?«

»Bin schon unterwegs«, rief er laut und unterbrach die Verbindung.

Vorzeichen

23.00 Uhr, Observatorio del Teide

Die berühmte Sternwarte Teneriffas befand sich auf dem Berg Izaña auf rund 2400m Meereshöhe. Sie gab es bereits seit einigen Jahrhunderten und wurde von Augustinermönchen um 1701/02 gegründet.

Die ausgezeichneten Bedingungen für die Beobachtung des nächtlichen Sternenhimmels hatten sich allerdings im Laufe der Zeit deutlich verschlechtert. Die stetig wachsende Bevölkerung und die damit verbundene fortschreitende Elektrifizierung der Insel waren für astronomischen Forschungen in der Nacht nicht sehr förderlich.

Deshalb spezialisierte sich das Teide-Observatorium auf die Sonnenbeobachtung in einem Netzwerk mit zahlreichen weiteren Observatorien, die sich weltweit auf sämtlichen Kontinenten verteilten. Nur so war es überhaupt möglich, den Heimatstern rund um die Uhr zu überwachen. Das war beispielsweise für die rechtzeitige Warnung vor Sonnenstürme außerordentlich wichtig, weil diese je nach Stärke eine erhebliche Gefahr für Satelliten, Stromnetze und Kommunikationssysteme darstellten. So kam es wegen der Stürme bereits mehrfach zu sogenannten ›Blackouts‹ in den stromführenden Netzen, was letztlich zu großflächigen Stromausfällen führte.

GREGOR war mit einem 1,5-Meter-Hauptspiegel, das größte Sonnenteleskop. Es wurde hauptsächlich zur Untersuchung kleinerer Strukturen auf der Sonne eingesetzt und war in der Lage Gebilde auf der Oberfläche ab 70 km Durchmesser detailliert darzustellen.

2006 installierte das Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam (AIP) ein Doppelteleskop mit zwei 1,2-Meter-Hauptspiegel für die Beobachtung magnetisch aktiver Sterne. Diese STELLA-Teleskope wurden autonom, mithilfe von ›Künstlicher Intelligenz‹ (KI), gesteuert.

Der große Vorteil der eingesetzten Technik war, dass eine persönliche Anwesenheit von Wissenschaftlern vor Ort nicht mehr nötig war, um das System zu beaufsichtigen. Sämtliche Steuerungsaufgaben führte im Hintergrund eine spezielle automatisierte Software durch. Ihre Aufgaben beim ordnungsgemäßen Einsatz der Teleskope waren dabei sehr vielfältig. Eine Wetterstation überprüfte ständig Temperatur, Niederschlag, Luftfeuchte und Windgeschwindigkeit, während eine Kamera den gesamten sichtbaren Himmel nach Wolken absuchte. Erst nachdem alle Ergebnisse vorlagen und die Nacht langsam den Tag ablöste, wurde endgültig entschieden, ob sich das Dach der Sternwarte für Beobachtungen öffnete oder nicht. Sollten die Wetterbedingungen tatsächlich akzeptabel sein, übernahm die eingesetzte ›Künstliche Intelligenz‹ die gesamte Steuerung der Teleskope, beginnend von der exakten Positionierung und Fokussierung der Instrumente, bis einschließlich der Nachführkontrolle.

15 Minuten später, Leibniz-Institut für Astrophysik

Die Stille war fast mit den Händen zu greifen. Nur manchmal wurde die Ruhe durch das leise Klicken auf einer Tastatur oder einer Computermaus unterbrochen. Heute hatten insgesamt drei Wissenschaftler, zwei angehende Doktoranden für Astrophysik sowie ein erfahrener Wartungstechniker Dienst. Konzentriert beobachteten die Forscher auf den Displays, die auf jedem Schreibtisch standen, eine Abbildung eines offenen Sternhaufens. Die Aufnahme war sehr detailliert, sodass die Sterne, die unterschiedliche Farbnuancen besaßen, einzeln dargestellt wurden. Wenig später vergrößerte einer der Astronomen den Bildausschnitt noch weiter, bis schließlich in der Mitte des Bildschirms eine winzige Scheibe zu sehen war, die in einem rötlichen Licht strahlte.

Es handelte sich um einen Überriesen vom Typ M mit 20-fache Größe der Sonne und einer Temperatur von 2295 K (2021,85 °C). Das war für Sternenverhältnisse ein sehr niedriger Wert. Allerdings war seit Jahren genau dieser Sternentyp ein vorrangiges Forschungsobjekt der Wissenschaftler. Das lag vor allem daran, dass bereits zahlreiche Sterne vom Spektraltyp M entdeckt wurden, die Planetensysteme besaßen. Durch die geringe Oberflächentemperatur war zumindest theoretisch die Chance gegeben, dass sich Leben auf einem Planeten herausgebildet hatte, vorausgesetzt er umkreiste seinen Heimatstern auf einer nahen Umlaufbahn.

Genau das wollten die Wissenschaftler des Leibniz-Instituts heute Nacht erforschen. Leider wurde ihre Hoffnung bisher nicht erfüllt, ein weiteres Planetensystem zu entdecken. Allerdings musste man bei astronomischen Beobachtungen schon immer eine Menge Geduld aufbringen und häufig hatte es viele Jahrzehnte gedauert, bis endlich ein abschließendes Ergebnis vorlag.

Die Wissenschaftler arbeiteten hochkonzentriert und werteten, jeder für sich, zahlreiche unterschiedliche Daten aus. Nur manchmal rollte einer von ihnen mit dem Bürostuhl zu einem Kollegen hinüber, um sich kurz auszutauschen. Aber das dauerte meistens nicht allzu lange, dann kehrte er wieder zu seinem Arbeitsplatz zurück. Es war abgesprochen, dass sie sich zur Halbzeit ihrer Schicht zusammensetzen wollten, um die neuesten Beobachtungen zu erörtern und die weiteren Schritte festzulegen. Doch bis zur Besprechung waren es noch rund 2 Stunden hin.

Genau in diesem Moment wurden plötzlich die Displays schwarz.

Professor Dr. Markus Lewerenz, der Leiter der Forschungsgruppe, drehte sich sofort zum Wartungstechniker um, der die Funktionsfähigkeit der Teleskope über 3 Monitore überwachte. »Was ist los, Alex? Liegt eine technische Störung vor?«

Der Angesprochene schüttelte den Kopf und erwiderte: »Nein, das Dach der Sternwarte schließt sich gerade automatisch.«

»Warum?«

»Kann ich derzeit noch nicht genau sagen, Professor. Eine Funktionsstörung liegt jedenfalls laut Anzeige nicht vor.«

»Dann bleiben ja nicht mehr allzu viele Möglichkeiten, entweder der Wind ist zu stark oder es zieht Bewölkung auf. Das kommt ja in dieser Jahreszeit relativ häufig vor. Welche Ursache ist es denn nun?«, fragte er ungeduldig.

»Keine von beiden.«

Lewerenz sah seinen Mitarbeiter verwundert an. »Dann verraten Sie mir mal den Grund.«

»Es findet gerade ein Erdbeben statt, Professor.«

Der Forscher erwiderte überrascht: »Oh, das hatten wir lange nicht mehr und welche Stärke?«

»Laut Richterskala 4,5. Ich werde den angezeigten Wert sicherheitshalber auf der Webseite der US-Erdbebenwarte USGS überprüfen.«

Nach einigen Augenblicke meldete sich Alexander Boll endlich wieder zurück: »So, die Magnitude hat sich sogar noch leicht erhöht auf 4,7. Das Epizentrum befand sich unterhalb der Caldera in circa 8 km Tiefe. Das Beben selbst dauerte nur knapp 20 Sekunden.«

»Was heißt das nun für unsere Arbeit?«

»Falls es in der nächsten Zeit zu keinen größeren Nachbeben kommt, wird sich das Dach der Sternwarte bald wieder öffnen.«

»Hoffen wir es«, brummte der Wissenschaftler etwas unzufrieden. Schließlich drehte er sich zu seinem Computerterminal um, um kurz darauf einige Daten einzugeben.

09.00 Uhr, Polizeipräsidium in Santa Cruz

Das nächtliche Erdbeben spielte während der Beratung der Kriminalpolizei nur eine völlig untergeordnete Rolle. Das hing vor allem natürlich damit zusammen, dass der Mord an Kurt Wegner, das siebte Verbrechen eines noch unbekannten Serientäters war.

»Guten Morgen«, begrüßte Carlos Sanchez Garcia mit ernster Miene, die vollzählig versammelten Mitarbeiter der Abteilung. »Wie ist der aktuelle Stand der Ermittlungen?« Er blickte seinen Stellvertreter nachdenklich an.

Luis Alonso räusperte sich kurz, ehe er anfing, mit leiser Stimme zu sprechen: »Wir haben es mit insgesamt 7 Opfern zu tun, die alle aus Deutschland stammen. Im Einzelnen sind das: Kurt Wegner, 72 Jahre, wohnhaft in Stuttgart; Anneliese Möller, 66 Jahre alt aus Berlin; Ralf Vogelsang, 80 Jahre alt aus Cottbus; Mandy Adams, 63 Jahre alt aus Dresden; Jens Nowotny, 70 Jahre alt aus Hamburg; Joachim Müller, 66 Jahre alt aus München und zu guter Letzt Bertram Vogel, 76 Jahre alt aus Schwerin. Sämtliche Opfer weisen die gleichen Tatmerkmale auf. Die Tötung erfolgte jeweils mit einem einzigen Stich direkt ins Herz der Geschädigten, sodass innerhalb kurzer Zeit der Tod durch inneres Verbluten eintrat. Das zweite Kennzeichen ist der auffällige Daumenabdruck auf der Stirn der Leichen. Ein Vergleich hat ergeben, dass es sich immer um denselben Fingerabdruck handelte und die dabei eingesetzte Schuhcreme stets vom gleichen Hersteller stammte.«

»Welche Marke wurde genutzt?«

Anstelle von Alonso beantwortete Manuela Torres die Frage: »Das Produkt selbst heißt ›Erdal Dosencreme schwarz‹ und wird jedes Jahr millionenfach hergestellt und weltweit verkauft.«

»Hm«, Garcia fasste sich kurz an sein Kinn, »so leicht will es uns der Täter wohl nicht machen. Luisa, wie weit seid ihr mit den Befragungen in Tatortnähe?«

Navarro war die jüngste Mitarbeiterin in der Mordkommission. »Zurzeit sind mehrere Kollegen der Policía Canaria in der Gegend unterwegs und interviewen sämtliche Anwohner. Mal sehen, was dabei herauskommt.«

Carlos nickte. »Gut. Denke bitte daran, dass heute Abend direkt im Park weitere Befragungen durchgeführt werden müssen.«

»Ist bereits organisiert, Boss.«

»Ausgezeichnet. Ich persönlich vermute, dass die jungen Leute, die als Zeugen infrage kommen könnten, erst nach Einbruch der Nacht im Park anzutreffen sind.«

»Ja, das sehe ich genauso.«

»Was wissen wir über die einzelnen Tatorte?«

»Sie befinden sich in Deutschland, Holland, im Vereinigten Königreich, in der Schweiz und in Spanien.«

»Wo genau bei uns?«

»In Madrid, auf Mallorca, und zu guter Letzt auf Teneriffa. Die Angriffe selbst fanden überwiegend im Freien statt, meistens in größeren Parkanlagen.«

»Und die Übrigen?«

»Das war nur einer und der wurde in einem Hotelzimmer verübt.«

»Hast du dich bereits mit den örtlichen Behörden in Verbindung gesetzt?« Garcia blickte seinen Kollegen neugierig an.

»Selbstverständlich. Sämtliche Institutionen stellen uns schnellstmöglich alle ihnen vorliegenden Informationen zur Verfügung. Außerdem hat uns das deutsche Bundeskriminalamt angeboten, umgehend Mitarbeiter zur Unterstützung zu schicken.«

»Der Vorschlag ist gar nicht mal so schlecht. Aber ob wir tatsächlich das Hilfsangebot annehmen, das werde ich vorab lieber mit unseren Vorgesetzten besprechen. Nicht, dass sich noch irgendeiner übergangen fühlt«, erklärte Carlos spöttisch und alle Kollegen im Raum wussten natürlich, was er konkret damit meinte. Nicht die kompetentesten Leute waren in den höheren Positionen bei der Polizei tätig. Sie bremsten eher mit ihrer Unfähigkeit die tägliche Polizeiarbeit mit einem völlig übertriebenen Bürokratismus aus.

»Ach, bevor ich es vergesse«, mischte sich Luisa Navarro ein, »jeder von euch erhält bis zum Mittag sämtliche Informationen in schriftlicher Form.«

Garcia richtete sich auf und streckte sich. »Gibt es sonst noch etwas Wichtiges?« Er blickte seine Kollegen nacheinander an.

Als alle bedauernd den Kopf schüttelten, meinte er schließlich: »Kommen wir nun zur Aufgabenverteilung. Manuela, du wirst die eintreffenden Informationen von den anderen Dienststellen schnellstmöglich auswerten und speziell auf Parallelen zu unserem Fall überprüfen.«

Die erfahrene Forensikerin nickte. »Alles klar.«

An Navarro gerichtet meinte er: »Luisa, du bist mir verantwortlich für die Durchführung der Befragungen in und um das Parkgelände herum. Morgen früh möchte ich den ersten Zwischenbericht auf meinem Schreibtisch haben.«

»Kein Problem«, murmelte die junge Kollegin und machte sich als Gedankenstütze rasch einige Notizen.

»Luis, du wirst eine Aufstellung mit sämtlichen persönlichen Daten der Opfer erstellen. Ich vermute, dass sie in der Vergangenheit irgendeine Beziehung zum Mörder hatten. Aus Langeweile wird er die Leichen nicht speziell gekennzeichnet haben.«

»Wie weit soll ich zurückgehen?« Er blickte seinen Freund und Vorgesetzten neugierig an.

Garcia zögerte kurz, ehe er sagte: »Vorerst bis 1980.« Anschließend klappte er sein ledernes Notizbuch zu, das aufgeschlagen vor ihm lag und erhob sich langsam, ehe er abschließend meinte: »Dann lasst uns die Spiele endlich beginnen.«

»Und hoffentlich zu einem erfolgreichen Ende führen«, ergänzte Manuela leise den Satz.

21.45 Uhr, Parque García Sanabria

Das blutjunge Paar war noch nicht lange zusammen, dafür umso verliebter. Sie hatten es sich auf einer der zahlreichen Holzbänke, die auf beiden Seiten des Hauptweges zum Verweilen einluden, gemütlich gemacht. Sie waren natürlich nicht die Einzigen, denn keiner von den jungen Leuten hatte Lust mit seinem Partner den Abend entweder unter den wachsamen Augen der Eltern oder in einem winzigen Kinderzimmer zu verbringen.

»Ich habe gerade eine Sternschnuppe gesehen«, rief Antonella laut und zeigte hoch zum wolkenlosen Sternenhimmel. Sie hatte es sich auf der Bank liegend bequem gemacht, während ihr Kopf auf dem Schoß ihres Freundes lag, der sacht durch ihr hellblond gefärbtes kurzes Haar strich.

»Dann darfst du dir etwas wünschen!«

»Habe ich bereits. Soll ich es dir verraten?«

Der kaum ältere Jose schüttelte den Kopf, ehe er ihr flüsternd erklärte: »Das musst du für dich behalten, sonst geht es nicht Erfüllung.«

Sie blickte ihn mit großen Augen an. »Glaubst du an diesen Quatsch? Das ist doch nur Aberglauben.«

»Ich bin mir nicht ganz sicher. Außerdem kann ich mir gut vorstellen, was du dir gewünscht hast.«

»So?«

»Na klar, du möchtest, dass ich dir einen Heiratsantrag mache, und zwar so schnell wie möglich.« Er blickte sie verschmitzt an.

Sie richtete sich auf und zeigte ihm entrüstet einen Vogel. »Glaubst du das wirklich?«

Er lachte laut los, ehe er sich vorbeugte und ihr einen Kuss auf die Stirn gab. Dann flüsterte er ihr ins Ohr: »Du bist ziemlich heißblütig. Aber jetzt kannst du dich bitte wieder abregen, denn das war eben nur Spaß.«

Das Mädchen setzte sich aufrecht hin und kuschelte sich an ihn. »Mir ist kalt.«

»Du kleine Frostbeule!« Er drohte ihr schmunzelnd mit dem Finger, ehe er schnell seine Jacke auszog und sie über die Schulter von Antonella legte.

»Danke, lieber Gentleman. Jetzt geht es mir schon viel besser.«

In diesem Moment sahen sie zwei Leute, die aus einem der zahlreichen Nebenwege herauskamen und dann suchend umherblickten. Schließlich zeigte einer von ihnen direkt zum Liebespaar.

Beim Näherkommen entpuppten sie sich als Polizeibeamte, ein älterer Mann und eine wesentlich jüngere Frau.

»Was wollen die denn von uns?«, flüsterte sie aufgeregt.

»Keine Ahnung. Warten wir einfach ab«, entgegnete ihr Freund ruhig.

Wenig später standen die Polizisten direkt vor dem sichtlich überraschten Paar. Der breitschultrige Mann zückte einen Dienstausweis und stellte sich freundlich vor: »Ich bin Enrique Gómez von der Policía Canaria und das«, er zeigte zu seiner lächelnden Kollegin, »ist Filipa Pérez. Dürfen wir Ihnen einigen Fragen stellen?«

Jose nickte. »Klar. Tun Sie sich keinen Zwang an.«

»Sehr schön. Sind Sie öfters hier im Park?«

»Wenn das Wetter es erlaubt, fast jeden Abend.«

»Wie sah es gestern aus?«

»Ja, da waren wir auch hier.«, mischte sich Antonella, die ziemlich genervt wirkte, ein. Plötzlich schlug sie sich lachend an die Stirn und meinte zu den überraschten Beamten: »Es geht um den gestrigen Mord oder?«

Filipa Pérez, die bisher nur zugehört hatte, nickte. »Sie haben völlig recht. Von welchem Zeitpunkt an hielten Sie sich denn hier auf?«

Die beiden jungen Leute sahen sich kurz an, ehe Jose leise meinte: »Ich habe meine Freundin gegen 18.00 Uhr abgeholt und spätestens 30 Minuten später erreichten wir den Park.«

»Okay, wo haben Sie sich die Zeit über aufgehalten? Ich vermute mal, auf dieser Holzbank hier.«

Antonella schüttelte den Kopf und erklärte lachend: »Sie liegen ein wenig falsch, Señor.« Sie zeigte in Richtung eines Seitenweges, der weiter in das Parkgelände hineinführte. Genau am Abzweig zum Hauptweg befand sich ebenfalls eine Bank, die deutlich erkennbar, auch besetzt war. »Dort saßen wir.«

»Wann haben Sie den Park wieder verlassen?«

»Um Mitternacht.«

»Sind Sie sich da sicher?«

»100%ig. Meine Freundin muss immer spätestens um 0.30 Uhr zu Hause sein. Sonst gibt es Ärger.«

Pérez sah die junge Frau verwundert an, ehe sie neugierig fragte: »Darf ich Sie nach Ihrem Alter fragen?«

»Na klar, 23 Jahre.«

»Sie sind doch volljährig und trotzdem bestimmen Ihre Eltern, wann Sie zu Hause sein müssen.«

Statt Antonella beantwortete ihr Freund spöttisch schmunzelnd die Frage: »Sie ist halt Papas Liebling und der ist in ständiger Sorge, um seine einzige Prinzessin. Außerdem traut er mir nicht über den Weg.«

Die Polizistin nickte und erklärte verständnisvoll: »Ja, Väter und Töchter haben meist ein ganz besonderes Verhältnis. Mir ist es in jungen Jahren ähnlich ergangen.«

Ihr Kollege mischte sich abrupt ins Gespräch ein: »Gut, nachdem das geklärt ist, möchte ich gerne wissen, ob Ihnen gestern Abend im Park irgendetwas aufgefallen ist?«

Das Paar sah sich kurz an, ehe Antonella bedauernd meinte: »Es war eigentlich wie immer. Allerdings haben wir auch nicht so genau auf die Umgebung geachtet, denn wir waren eher mit uns beschäftigt.« Sie lächelte scheu.

Enrique Gómez wurde deutlicher. »Okay, sind Ihnen vielleicht irgendwelche Personen aufgefallen, die eigentlich nachts nicht hierhergehören?«

»Sie meinen Spanner oder Pädophile?«

»Nicht nur. Wir haben uns bereits mit einigen Leuten unterhalten und allen sagten aus, dass sich normalerweise ab 19.00 Uhr nur noch die jüngere Generation im Park aufhält.« Der erfahrene Polizeibeamte sah die beiden nacheinander mit ernster Miene an.

»Sie haben recht,« murmelte Jose kaum hörbar.

Filipa Pérez horcht auf und fragte überrascht: »Wie meinen Sie das?«

»An unserer Bank kam mehrfach ein wesentlich älterer Mann vorbei. Es hatte den Anschein, als suchte er etwas.«

»Können Sie ihn näher beschreiben?« Gomez sah ihn hoffnungsvoll an.

Jose überlegte eine Weile. »Die Lichtverhältnisse waren nicht optimal, denn wir saßen im Halbdunkel. Aber genauso wollten wir es ja auch.« Mit einem Seitenblick lächelte er seine Freundin an, die den Blick erwiderte und ihn liebevoll über den Oberarm strich. Schließlich holte er tief Luft und begann zu erzählen: »Ich schätze, er war in den 50ern oder 60ern, schlank und höchstens mittelgroß?«

»Hautfarbe?«

»Weiß, aber etwas gebräunte Haut?«

»Augenfarbe?«

»Konnte ich leider nicht erkennen, Señor.«

»Trug er lange Haare?«

Der junge Mann zögerte, bis er schließlich meinte: »Eher kurz und die Haarfarbe selbst war bereits völlig grau.«

Die Beamtin machte sich rasch einige Notizen, dann sah sie den Augenzeugen nachdenklich an. »Er hatte weder Glatze noch Halbglatze?«

»Nein, auf gar keinen Fall.«

»Wie spät war es, als sie ihn gesehen haben?«

Er schüttelt den Kopf und meinte bedauernd: »Tut mir leid, das kann ich Ihnen nicht genau sagen.«

Enrique Gómez übernahm übergangslos wieder das Gespräch. »War etwas an diesem Abend anders, als sonst?«

Antonella sah ihn verwundert an. »Wie meinen Sie das?«

»Laute Musik, ein Feuerwerk oder ein ohrenbetäubender Knall?«

Das Mädchen richtete sich sofort auf und rief aufgeregt: »Ein Nebelhorn war zu hören und das sogar mehrfach. Ich habe mich richtig erschrocken.«

Ihr Freund schlug sich lachend an die Stirn. »Ich Idiot, das war tatsächlich nicht zu überhören. Ich leide wohl bereits an Alzheimer.«

»Hoffen wir mal nicht, junger Mann. Wann haben sie die unbekannte Person gesehen? Vor oder nach dem Signalton?«

Erneut überlegte Jose eine Weile, bis er schließlich überzeugt sagte: »Beides.«

Filipa Pérez fragte sofort: »Wirklich?«

»Ja, Señora.«

Die Angesprochene lachte herzlich. »Das mit der Anrede war eben ein Schuss ins Blaue oder?« Ehe der junge Mann antworten konnte, erklärte sie schmunzelnd: »Aber Sie haben recht. Sie können mich gerne auch mit Filipa ansprechen.«

»Kommen wir mal lieber zurück zum eigentlichen Thema«, drängte ihr Kollege. »Ich möchte nicht die gesamte Nacht im Park zubringen. Also Jose, wie war das jetzt mit dem Nebelhorn?«

Der junge Mann antwortete sofort: »Der Typ ist vor dem Signalton zweimal hier vorbeigekommen.«

»Alleine?«

»Ja, Señor.«

»Und danach?«

»Da war er in Begleitung eines zweiten Mannes und sie haben dann den Seitenweg da vorne genutzt.« Er zeigte auf den Weg, der in 20m Entfernung noch tiefer in das Parkgelände hineinführte.

»Haben sich die beiden unterhalten?«

»Ja, aber ziemlich leise?«

»Auf Spanisch?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, das war eine sehr harte Aussprache.«

Filipa Pérez lächelte. »Vielleicht so?« Dann wechselte sie von der Landessprache zu einer Fremdsprache und sagte laut: »Ich freue mich, Sie hier im Park zu treffen.«

Jose unterbrach sie sofort. »In dieser Sprache haben sie sich unterhalten.«

»Das war eben deutsch«, erklärte sie leise.

Ihr Kollege übernahm wieder die Befragung. »Die beiden Männer haben also den Weg genutzt?«

»Genau und bevor Sie fragen, das war auch das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe.«

»Verstehe, der Weg führt direkt zum Tatort und der Täter wird diesen vermutlich auf der anderen Seite des Parkgeländes wieder verlassen haben«, erklärte der Polizeibeamte mit ernster Miene. »Können Sie den zweiten Mann beschreiben?«

Jose schien sich nicht sicher zu sein. »Es war ziemlich dunkel, aber er war kleiner und schlanker als sein Begleiter.«

»Okay und sein Alter?«

»Er sah aus, wie ein betagter Senior. Sein Haar war ähnlich kurz und ebenfalls schon grau.«

Ein leichtes Lächeln huschte über das Gesicht von Enrique Gómez. »Wir haben es gleich geschafft und dann sind Sie uns bereits wieder los?«

»Das hoffen wir auch«, frotzelte Antonella und man sah ihr an, dass sie es nicht allzu ernst meinte.

»Wie waren die beiden bekleidet?«

»Der erste Typ trug kurze Hosen und ein dunkles T-Shirt ohne auffälligen Aufdruck. Bei den Schuhen möchte ich mich nicht so genau festlegen. Entweder er handelte sich um Sportschuhe oder Clogs.«

»Okay und sein Begleiter?«

Jose lachte. »Der Opa war angezogen wie ein typischer Tourist. Helle kurze Hosen, beige/grün gestreiftes Poloshirt und dazu trug er weiße Tennissocken.«

»Schuhe?«

Er schüttelte bedauernd den Kopf. »Keine Ahnung, Señor. Aber zu diesem Outfit würden nach meiner Meinung orthopädische Sandalen passen.«

Alle schmunzelten, bis schließlich Filipa Pérez sagte: »Ob Sie es glauben oder nicht, genau die hat er auch getragen.«

»Ein typisch deutscher Rentner im Urlaub. Also stimmt dieses Klischee.« Antonella lachte laut los.

Enrique Gómez wollte allmählich zum Schluss kommen. »Haben Sie sonst noch ungewöhnliche Beobachtungen gemacht?« Er sah das junge Paar mit ernster Miene an.

Beide überlegten kurz, ehe sie fast gleichzeitig ihre Köpfe schüttelten.

»Vielen Dank für die ehrlichen Auskünfte!« Er überreichte ihnen seine Visitenkarte und meinte dazu: »Kommen Sie bitte morgen früh ins Polizeipräsidium, damit wir ihre Aussagen protokollieren können. Außerdem erstellen wir mit Ihrer Hilfe auch noch ein Phantombild. Bekommen Sie das hin?«

»Ja, ich werde meinen Chef informieren, dass ich später anfange«, erklärte die junge Frau sofort, während ihr Freund meinte: »Ich lasse einfach die 1. Vorlesung ausfallen.«

»Das ist bestimmt nicht das erste Mal oder?« Die Polizistin sah ihn lächelnd an.

»Kein Kommentar.«

»Vielen Dank und noch einen schönen Abend.« Die beiden Polizeibeamten hoben zum Abschied kurz die Hand, ehe sie gemächlich davongingen.

In diesem Augenblick begann der Erdboden leicht zu zittern, wobei die Erdstöße allmählich immer mehr zunahmen, bis sie sich auf einem hohen Level einpegelten und einige Zeit anhielten. Antonella klammerte sich ängstlich an ihren Freund, während sie flüsterte: »So stark war es noch nie?«

Dann beobachtete sie konsterniert, dass die beiden Polizeibeamten, wegen der wellenförmigen Bodenbewegungen stürzten. Sicherheitshalber blieben sie gleich auf dem Boden sitzen und warteten das Ende des Erdbebens ab.

20 Sekunden später war es endlich soweit, die Erdstöße nahm rasch ab und waren schließlich nicht mehr wahrzunehmen.

Filipa Pérez und Enrique Gómez hatte sich währenddessen bereits wieder erhoben und klopften sich den Staub von der Uniformen ab.

Dann drehte sich der stämmige Polizist zum jungen Paar um und rief ihnen laut zu: »Alles in Ordnung?«

»Ja, Señor.«

Er nickte und erklärte lachend: »Wir leben halt auf einer Vulkaninsel. Da kommt so etwas manchmal vor. Bis morgen.« Er hob nochmals zum Abschied den Arm hoch, ehe er gemeinsam mit seiner Kollegin zum Ausgang des Parkgeländes ging.

»Aber nicht allen ist das Erdbeben gut bekommen«, flüsterte Antonella leise.

»Wie meinst du das?« Er sah sie verwundert an.

Sie zeigte wortlos in die entgegengesetzte Richtung.

Jose drehte sich neugierig um und dann sah er, was sie meinte. Eine der verschnörkelten Straßenlaternen hatte sich beträchtlich zur Seite geneigt, ähnlich wie der berühmte ›Schiefe Turm von Pisa‹.

1 Stunde später, Instituto Geográfico Naciona

Zum IGN, dessen Hauptquartier sich in der spanischen Hauptstadt befand, meldeten seismische Messstellen, die über das gesamte Staatsgebiet verteilt lagen, sämtliche Erbeben, die aufgezeichnet wurden. Dabei spielte die Stärke der Erschütterungen nur eine ungeordnete Rolle.

Eine 10 m² große interaktive Tafel nahm fast die komplette Vorderfront des kleinen Saales ein, in dem Wissenschaftler im Schichtsystem, sämtliche seismische und vulkanische Aktivitäten des Landes, aber auch weltweit, überwachten. Seit einiger Zeit leuchtete direkt über Teneriffa rhythmisch ein hellblauer Stern auf und kennzeichnete die exakte Lage des letzten Erdbebens.

Das fand vor knapp einer Stunde statt und hatte die Stärke von 6,0 auf der Richterskala. Die Aktivität selbst war derzeit jedoch längst nicht beendet, denn weitere Nachbeben mit einer ständig abnehmenden Magnitude erschütterten, die kanarische Insel, nahmen aber glücklicherweise rasch ab.

»Das gefällt mir ganz und gar nicht«, brummte Hugo Alvarez mehr zu sich und öffnete einen weiteren TAB im Browser. Eine Aufnahme, die Teneriffa aus der Vogelperspektive zeigte, erschien auf dem Display. Sofort griff er nach seiner Computermaus und vergrößerte das Bild so lange, bis nur noch der Nationalpark ›Parque Nacional del Teide zu sehen war. Er umfasste im Inselinneren, die gesamten ›Las Cañadas‹, an deren nördlichen Rand der Nationalstolz der Spanier und Kanaren aufragte, der 3718 m hohe Vulkan Pico del Teide.

Aber die Aufmerksamkeit des Geologen galt in diesem Moment nicht dem berühmten Berg, sondern 2 roten Kreisen, die weiter südlich nahe dem Hotel ›Parador‹ und somit mitten in der Caldera zu erkennen waren.

»Das seismische Signal wandert in Richtung Nordwesten«, meinte er schließlich laut und winkte einen Kollegen energisch heran.

Pedro Diaz stand sofort auf und kam zu ihm herüber: »Was liegt an, Hugo?«

»Schau dir das bitte mal an.« Er zeigte auf die Detailkarte der Caldera.

Der gebürtige Katalane beugte sich neugierig vor, ehe er nickte, und fragte: »In welcher Tiefe befand sich das Hypozentrum?«

Während sein Kollege einen weiteren TAB im Browser öffnete, holte er sich schnell einen Drehstuhl vom Nachbartisch und setzte sich neben ihn.

»6,5 km unterhalb des Epizentrums.«

»Das heißt, der Erdbebenherd befand sich 1,5 km höher als beim gestrigen Erdbeben. Er wandert weiter und das ist meist nicht gut.«

»Das sehe ich genauso. Ich vermute, tektonische Verschiebungen mit plötzlichem Spannungsabbau kommen diesmal als Ursache nicht infrage.«

Pedro sah ihn kurz von der Seite an. »Wie sieht es bei den Gasemissionen im Gipfelbereich aus?«

»Die habe ich vorhin gerade gecheckt.« Alvarez überreichte dem Kollegen eine grafische Darstellung, die er vor wenigen Minuten ausgedruckt hatte.

Diaz überflog die Zahlen und die zugrunde gelegten Diagramme, ehe er das Blatt wieder zurückgab. »Die Temperatur hat sich um 5,6 °C auf 276,3°C erhöht.«