Der Castellaner - Ludwig Roman Fleischer - E-Book

Der Castellaner E-Book

Ludwig Roman Fleischer

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Beschreibung

Mario Castellaner entsorgter Ehemann, Lehrer und Kleinschriftsteller erzählt die Geschichte von Aufstieg und Niedergang einer alternativen Hausgemeinschaft in einem ehemals abbruchreifen renovierten Haus in Wien-Ottakring, Der Castellaner selbst angehörte. Der Eiserne Vorhang ist gefallen, der Freie Markt triumphiert und das Alternative Lebenscollectiv mit seinem Ideologiemix aus Freud, Marx und Müsli scheitert am eigenen Geschäftssinn. Alle so offenen Beziehungen lösen sich auf oder münden in ungeschminktes mittelständisches Kleinbürgertum. Marios Frau Corinna verläßt ihn wegen einem Neo-Grünen der nächsten Generation, der aber erklärt, "leider nicht der zu sein, als den sie ihn sehen will". Irgendwie in der Art geht es egal ob hetero oder homo allen Paaren der Hausgemeinschaft. Was am Ende bleibt, ist: Besitz, Verträge, Zahlungsregelungen. Und Neuorientierung. Mario sucht sie, wie die jugoslawisch-stämmige Import-Export-Verkaufsfrau Dragana Herzka-Davidovic und die aus der Steiermark stammende Anästhesieärztin Walburga Mackl, in der Entdeckung seiner Herkunft. Neben dem Erzähler kommen auch alle Protagonisten seiner Erzählung zu Wort. Vom kleinen Donato Davidovic vorübergehend Marios und Corinnas Pflege- und Ersatzkind, über den Überlebenskünstler und Gründer eines aus dem grenznahen Ungarn nach Österreich einstrahlenden Radiosenders, Imre Szalay, bis zu Castellaner selbst, der von Anfang an der Hausgemeinschaft mit ironischer Distanz gegenübergestanden ist, aber zu einigen ihrer Mitglieder eine verständnisinnige Freundschaft unterhielt. Der Roman ist nach dem Muster von Haydns Abschiedssymphonie gegliedert. Während seiner vier Sätze Allegro Assai, Adagio, Menuetto und Finale: Presto Adagio läßt der Autor eine Stimme nach der anderen verstummen.

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Ludwig Roman Fleischer, Der Castellaner

ISBN 978-3-901960-64-2

Der Autor

Ludwig Roman Fleischer

wurde 1952 in Wien geboren und lebt da als Lehrer und Schriftsteller. 1990 gewann er beim Bachmann-Wettbewerb den Ernst Willner-Preis. Seither sind von ihm ein knappes Dutzend Bücher erschienen; zuletzt »Edam und Ava« (Ein Schüttelreimepos nach John Milton, Sisyphus 2004) und »Weihnachten im Entzug« (Roman, Sisyphus 2004).

Das Buch

Der Castellaner

Ein Abschied von den Alternativen

ROMAN

Es gibt zwei Labyrinthe der Philosophie: das Kontinuum und die menschliche Freiheit.

Gottfried Wilhelm Leibniz

ERSTER SATZ : ALLEGRO ASSAI

Mario Castellaner

Hoboken Gruppe eins, Nummer fünfundvierzig: Haydns schlaue Trauersatire, die Musik vom Ende der Musik, Musik zur Stimmung. Das Bett ist noch hier, der Drehstuhl, der Schreibtisch, der Männerkalender der Edition Rotfuchs, mit den wichtigen Abschiedsterminen: Makler, Anwalt, Bank, Verleger, Spediteur. Auf der Loggia verwelkt das Fleißige Lieschen, im Garten gehört das Gras gemäht, das Salatbeet gegossen, der Kompost gewendet. Nein, die konkrete Poesie unseres Alltags hat sich ausgedichtet. Hier ist nur noch, was war.

Applausgeprassel aus dem Radiorecorder. Gemurmel, Hüsteln, Stimmen der Instrumente.

An der Wand - in Glas gerahmt - eine Jubelreportage der linksliberalen Vorzeig-Zeitung: Das ganze Haus ist unsere feste Burg. Ein strahlendes Alternativorchester, dessen Musiker sich nun zurückzuziehen beginnen.

Stimmen der Instrumente. Damals.

"Sie betreuen also im Rahmen dieses Wohnprojektes eine Gruppe von Totalverweigerern, Frau Castellaner?" Der Reporter stocherte sich Reste des Müslifrühstücks aus seinen Gebißkavernen. Der Fotograf schoß einen Blitz auf Corinnas Lächeln ab. "Und was ist ein Totalverweigerer?" "Ne basisdemokratische Alternative zu amtlich indoktriniertem Bürgerpflichtbewußtsein. Jungs, die sich nicht von ner reaktionären Gesetzgebung verscheißern lassen, weder Schützen Arsch noch Friedhofsgärtner werden wollen."

Links von Corinna Moritz Mostböck, genannt Momo, Lehrer an einer Alternativen Schule: "Ein unglückliches Wort. Es deckt nur einen kleinen Bereich der Gesellschaft ab: Verweigerer von Militär- und Zivildienst. Wir meinen aber auch andere Aktionsformen."

Und Momos "Beziehung" Gottfried Thurnherr, Gurki geheißen, auf diesem Bild noch mit allen Zähnen lächelnd: "Im allgemeinen denkt man da an bewußte Agitation, doch auch, wenns einem einfach lästig ist, hat man genug politische Begründung geliefert."

Momo und Gurki wohnen nicht mehr in der Männerwohngemeinschaft des Alternativen Lebenscollectivs. Der eine arbeitet in einer Initiative Positive am Stadtrand, der andere ist verschollen. Die Männer-WG reduziert sich auf Rolfi Bruckbauer, Alternativlehrer auch er, der demnächst eine Bioladenkette "männetschen" wird, mit seiner Freundin Katrin Blaschke, die bislang Metallschmuck modellierte und am Flohmarkt feilbot. Beide wollen auf ihren Waldviertler Bauernhof übersiedeln, sobald dieses nie als Eigentum gedachte Eigentum zu einem marktgerechten Preis verkauft ist. Neben Katrin Marisa und Lena, einst Betreuerinnen von Gastarbeiterkindern im Internationalen Club am Obermarkt und jetzt, nachdem das Projekt "an den Strukturen unserer Gesellschaft scheitern mußte", arbeits- wenn auch nicht hoffnungslos. Die eine hat gerade eine ländliche Tante mit Grundbesitz beerbt und die andere tritt demnächst einen Job bei Greenpeace an. Auch die Frauen-WG wird aufgelöst sein, im Herbst, wenn ich aufhören werde, "hier noch bis auf weiteres pennen" zu dürfen. "Man man muß sich ja nicht in der Wolle haben, bloß, weil die Beziehung kaputtgegangen ist, was, Mario, na hab dich doch mal nicht so, Junge."

Und Meinhard Mackl, im Bild rechts, murmelte etwas vom Selbsttherapie-Potential der Gruppe und deren kollektivem Über-Ich, weil der Reporter wissen wollte, "wie der Psychiater dieses Projekt sieht". Walburga Mackl schäkerte mit dem Photographen, erzählte Anästhesistenwitze, beschrieb die chirurgische Begradigung des schiefen Penis eines Burgschauspielers und sagte: "Das ist Macht."

Der Soziologe Christian Zuchristian sah "das Kollektiv als eine sich selbst kolonialisierende Kolonie, die mit dem Mutterland Zweckbeziehungen eingeht." Er wolle "mindestens drei Kinder", und seine Freundin Simone Stern lächelte ihr verschlafenes Sabra-Lächeln.

Blick zurück zu Corinna: "Kinder? In diese bescheuerte Welt? Ich sag bloß Contergan, Seveso, Tschernobyl, nee, Mario, mit mir nicht."

Nicht mit dem Castellaner, dafür mit Jost Sackmann, dem Kompostberater und Kompostillion d´amour, unter dessen Mistkonzept der Garten am Humusüberschuß erstickt.

Links außen Hanno Wuttke, "Schemiker" und Konstrukteur des "Strahlenraums" im Keller, daneben Kerstin Wuttke-Kutil, Studentin der Pädagogik im dreiundzwanzigsten Semester: "Da kann ich mich auch ideologisch voll einbringen."

Imre Szálay vulgo Florian Sattler, Gründer des Privatsenders Antenne Freiheit zu Fertöszéntmiklos, 1956 nach Österreich geflüchtet, imitierte seinen eigenen, längst verlorenen Akzent: "Ährprobän wir hier neuäh Lebänsformähn." Und neben ihm Charlotte Szálay, die "eine lustvolle Existenz aufbauen" wollte.

Auf dem Photo fehlt René Herzka, die Stimme schlechthin, Starmoderator der Antenne Freiheit: "Ich bin meine eigene Alternative." René, der den Auftakt zu dieser Abschiedssymphonie komponiert hat. Und es fehlt Dragana Herzka, née Davidovic, die der Reporter wohl als Beispiel geglückter Integration dargestellt hätte. Und die Kinder fehlen.

Die Scheidung von Corinna ist jetzt rechtskräftig. "Wir werden uns schon einig werden über den Preis für diesen Schrott."

Die Blätter unserer Hochzeitspalme sind bräunliche Papierstreifen. "Mensch, du hast so überhaupt keine Hand für Blumen, Mario, das einzige, womit du was anfangen kannst, ist Papier". Ich habe eine Hand für Papier. Der Geschichte hinterher und vorausschreiben. Die Vergangenheit wandeln, dabei noch einmal auf eine Zukunft hoffen, die nicht eingetreten ist. Alle Stimmen spielen und als letzte verstummen.

Corinna Castellaner

(Abendstimmung im Villenviertel, hoch über dem "Alten Ort," der sich hier draußen als Nobelbezirk gebärdet und auf sich selbst herabblickt, auf dunkle, schmierige Gassen, Arbeits- und Luststrich, Gastarbeiterlokale und Unterweltscafés. Corinna im väterlichen Jugendstil, einem von Laseraugen bewachten höheren Anwesen. Badezimmer mit Marmorfliesen, Quarzglaswanne. Umschäumte Venus Corinna).

Die Angst is weg. Meinhard sagt, es wär nich sein Verdienst. "Die Angst kannst du nur selber überwinden. Hast sie dir ja auch selber beigebracht." Die Angst vor der Entsinnlichung, dem Muttermief, dem Zeugungs- und Gebärdruck. Mario is im Herzen halt doch ´n Tiroler Bauernjunge. Erbhofaussicht, Horizont mit Bergen verrammelt. Hab ne Flußlandschaft gezeichnet. Klare, saubere Ebene, der Lebensfluß von rechts nach links. "Herzwärts," sagte Meinhard, höchstens zwanzig unter hundert zeichnen so." "Hast du Patienten über hundert?" Da geierten wir beide los. "Meine Oma hatte keine Kinder," sagte Meinhard. Mußte wieder losprusten. "Sie hat meine Mutter adoptiert, nur wars für sie halt kein Programm."

Bei mir läuft auch nichts mehr gemäß Programm. Weil ich nich muß, will ich. Jost weiß nich recht. Total verwirrt, der Junge. Aber grade das gefällt mir. Keine Pappi-Profilierungssucht. Dem Mario war das die Räsong d´ être gewesen. Wollt den Donato für sich haben. Das Kind aller (auch so´ n kirrer Programmpunkt). So is die Freundschaft mit René kaputtgegangen. Kampf der Pappis. Der falsche gegen den echten.

Jetz is mir einfach danach. Armer Castellaner. Warst zu früh dran. Jetz oder nie. Bin ja schon fünfunddreißig. Mensch, Jost is noch so grün. Hätt früher Schiß gehabt vor seim Jungsein. Mal hübsch die Liebeslehrerin machen, bis der Schüler denkt, er hätt das Abitur bestanden und geht mal raus das Leben studieren, mit ner Jüngeren. Angst vor meinen Jahren. Anti-Faltencreme, Enthaarungslotion, stundenlang vorm Spiegel an sich rummäkeln. Hab keine Angst bei Jost.Jost is süß.So drollig eifersüchtig! Der Altersunterschied, der hat was. Als wär der Jost aus ner anderen Kultur, Indianerjunge oder Südseeinsulaner. Steht auf Hard-Rock, Rap und so `n Zeug, doch mir zuliebe gibt er sich schon mal die Beatles, und läßt sich rumkutschieren im Cabrio, obwohl sonst militanter Radfahrfreak, grün und Müsli und Müllentsorgung und Kummerfalten, wenn ich Backfett in den Abfluß kippe oder Haarspray nehm. Werden auffem Rad in die Toscana fahren und ich werd Jost das Chiantitrinken beibringen und ihn durch die Uffizien schleppen. Oder Südamerika, Hotels im Kolonialstil, Sandstrand, spätes Frühstück, Drinks im Liegestuhl, das Kleine muß ja nich sofort ´n Makrobiotiker werden. Jost wird mir erzählen, wie die Hopis ihre Kinder kriegen und was für Fetische die Mayas hatten.

Ausalbern, ans Licht und in die Wärme gehen, ohne Sonnenschutzfaktor und Ozonpsychose. Wird dem kleinen Ding nur gut bekommen. An die Sonne, raus aus dem Schatten des Herrn Literaten, der bald vierzig is und immer noch `n Versprechen. Der mich als Charme-Ergänzung braucht, weil er am liebsten den Leuten nur schnell was vorliest und sich verdrückt, ehe sie langkriegen, daß er nich so redet, wie er schreibt.

In zwei Stunden kommt Jost. Den bordeauxroten Mini? Kann mir das jetzt wieder leisten. Trotz allem. Noch. Zwölf Pfund verloren, seit ich nich mehr jeden Abend Castellaners kulinarischen und Haydns symphonischen Werken ausgesetzt bin, eh sich der Dichter "schnell für eine Stunde" an den Schreibtisch verzieht. Oder den gelben Hosenrock mit schwarzem Sweater. Nee, der is von Rodier, das wär ne Provokation für Josts Brigaden. Ausschuß gegen irgendwas, viel grün und Antifa und Ausländer rein. Genau so ´n Aktivist wie ich zuzeiten. Da muß wohl jeder durch, der nich von vornherein total verspießert ist. Empfangen tu ich Jost im Badewannenkostüm. Soll er die Klamotten aussuchen. Macht das sicher überputzich. Bißchen altes Wasser raus und frisches rein. Schweben, leichter als Wasser.

Donato Davidovic

(vor einem Spiegel schattenboxend. Auf dem Parkettboden Holzbausteine, Leiterwagen, eine Kinderschaufel und anderes pädagogisch wertvolles Spielgerät; daneben ein Plastikschwert und ein Witboy-Kindercomputer).

Und dafür hab ich dem Oliver eine aufs Aug gehaut. Gib meinen Roboter her, du Tschusch. Tschusch sagt der nicht zu mir, der Ficker. Da kriegt er ein Blaues, auch wenn er stärker is, aber damit hat er nicht gerechnet, weil ich bin schneller als wie er. Der Momo is für mich gewesen, aber der Rolfi nicht. Es haut nur einer hin, dem was die Agumente ausgehn, Donato. Mir gehn aber gar nicht die Agumente aus. Den Oliver gehn die Agumente aus, wenn ich ihm ein Blaues hau, weil ich bin der Schnellere, obwohl er stärker is, weil er der Ältere is.

Der Mario hat immer gesagt, das is kein Agument, wenn einer Tschusch sagt. Und wenn wir dich doptieren täten, dann heißt du Castellaner, hat die Cora gesagt. Die Cora und der Mario sind meine alten Eltern. Jetz bin ich bei die jungen Eltern. Der Papa is mein richtiger. Der Mario war aber eh ganz rotscher. Mein Papa kann aber Klavier und der Mario nicht und mein Papa is in Radio und der Mario auch nicht und der Papa sagt, der is ein Hungerleider mit seiner Schreiberei und seinen Lehrergeld. Mein Papa is ein Wirrtose, sagt die Gana. Zur Mutti sag ich manchmal Gana, aber der Papa will, daß ich Papa sag, weil er mein richtiger is und weil das so ein alternativer Blödsinn is, daß die Kinder zu die Eltern nicht Papa und Mamma sagen, sagt der Papa. Die Gana is auch meine richtige Mutti und die hat nur wegen der ganzen psüchologischen und ökonomischen Sittuwazion nicht meine Mamma sein können, wie ich ein Baby war.

(Donato preßt sein Gesicht an das kalte Spiegelglas, drückt sich die Nase platt. Er berührt mit der Zunge die Zunge im Spiegel. Dann beginnt er wieder mit dem Schattenboxen).

Dem Oliver hau ich noch ein Blaues, wenn er wieder Tschusch sagt, der Schwanz. Wer weiß, was deine Mutter für eine Hur is, hab ich gesagt. Das hat der Momo nicht gewollen. Das is ein trauriger Beruf, Donato. Ich weiß nicht, was eine Hur is, aber was Arges is es, weil sonst sag ich es nicht zu dem Oliver, wenn der Tschusch sagt. Tschusch sind die Schwarzhackler am Bau, die was stinken und nicht orndlich Deutsch können. Meine Mamma arbeit auch in Radio bein Papa und bein Imre und da können alle orndlich Deutsch in Funk.

(nach dem Plastikschwert greifend)

Den Oliver stich ich ab, wenn er blöd is. Ich muß mit die Betreuer dies kutiern. Dies kutiern müssen wir allerweil, wenn wir Konflickte haben, die was unsere Beziehung gefährden und die Hammonie in der Gruppe. Das is der Unterschied zu einer Regelschul, sagt der Momo, dies kutiern tun die nix dort, da is alles autorittehr.Momo is schwul.Das gibts auch nicht in der Regelschul, weil dort kann man nicht zu sich stehn. Schwul is wie Ficker oder Hur, hab ich geglaubt, aber die Lena hat mir gelernt, das is ganz okeh. Schwul is eh rotscher. Ein Mann und ein Mann lieben sich auch oft wie ein Mann und eine Frau oder eine Frau und eine auch. Ich kann mir aber nicht vorstellen, wie die miteinander tun, sagt der Hubi, der was das größte Kind in unsrer Gruppe is. Was wie miteinander sagt er aber nicht.

Dies kutiern geht mir auf den Sender. Wegen den Trottel. Dabei wollt ich den Kitt sehen und dann is der Odüsseus in Supertschennel. Das versäum ich wegen den Arschloch. Aber die Schule is schon okeh. Die hat der Pappa gewollen, obwohl er sagt, daß die Alternativen sonsten Knallköpfe sind. Die Schul is aber rotscher, weil da können sich die Kinder verwirklichen und es gehen nicht lauter Tschuschen hin wie in die Regelschul, wo alles autorittehr is. Und zu die Betschwestern und Kerzelschlucker gibt mich der Pappa nicht, weil dort haben alle Weihwasser in Hirn.

(den Witboy-Kindercomputer zur Hand nehmend)

Ich kann schon fotograffiern und Video flimmern und in Kinderbioladen männetschen und wir machen eine Schoh mitten Video und flimmern alles ab. Nur dies kutiern im Blenum geht mir auf den Sender wegen den Arsch. Der soll nur kommen, weil ich bin der Schnellere.

Dragana Herzka

(am französischen Fenster im Wohnzimmer der ebenerdigen Gartenwohnung. Blick auf einen unbeschirmten Schirmständer, die leere Wäschespinne, die kompostbedrängte Wiese, die sich - vom lange nicht gemähten Rasen durch einen Pflasterweg getrennt - bis an die efeuberankte Gartenmauer erstreckt; Blick auf den offenen Holzpavillion, darüber die schmutzige Feuermauer eines Nachbarhauses, mit einem einzigen, durch rote Ziegel verbarrikadierten Fenster; in den anderen Hinterhöfen alte Buchen und Kastanien, von deren Kronen Krähen klagen. Dragana hat ein schmales, blasses Gesicht, schulterlange, schwarze Haare, große, dunkle Augen, die ein wenig verwundert und ein wenig schwermütig aussehen)

Jeder gegen jeden. Kein Streit um Träume mehr. Alle hellwach und eiskalt. Ein Wettbewerb. Wer das meiste rausholt, hat gewonnen. René prahlt mit dem Gewinn, den er machen wird. Will den anderen zeigen, was sie alles nicht bedacht haben. Will ihnen beweisen, daß er der beste im Paragraphenverdrehen ist. Wie leicht man sie zwingen kann, Scheiße zu bauen.

Ljuba und Mira arbeiten also an einem Friedensprojekt. Initiative von Künstlern und Intellektuellen. Brauchen Leute, die Fremdsprachen können. Leute wie dich, Gana. Leute wie Gana, die nichts als Fremdsprachen kann. Ljuba und Mira glauben an eine letzte Chance, bevor man keine Wahl mehr haben wird. Die neue, alte, nationale Zwangsjacke. Das engste Kleid der Welt. Wir haben Not an Frauen, Gana.

Was für eine Gana? Gana vom Untermarkt, Gana, die Mutter, Gana, die Fremde? "Man sieht Ihnen gar nicht an, daß Sie eine Jugoslawin sind." Bin hier geboren, denke deutsch, fluche deutsch, träume deutsch. Es ist mir nur ein Name geblieben. Gana aus Rest-Draganien.

Donato wehrt sich gegen die alte Sprache. Wie Gana, das Mädchen. Gana, sei Mutter, sei Gana, die Mutter, Frau Davidovic, von Anfang an Donatos Mutter. Verzichte auf da steht Ihnen eine echte Karriere offen, Frau David, verzichte oder werde niemals Mutter.

Dieser Wirrkopf René. Immer auf die anderen angewiesen, auf ihren Beifall. Jetzt ist er selbständig geworden, glatt und kalt. Ein Stein, der alles zu Eis macht, was er berührt. Man möchte immer wieder immer wieder noch einmal zurück, zu sehen, wo der Anfang ist, der versäumte Anfang. Gana, das Mädchen, das nicht auf die Abschlußparty gehen will. Nicht zu René. Nicht zu diesem Lackaffen. Und ausgerechnet Mario hat dich doch noch überredet. Und René Blues spielend und sich bewundern lassend, widerlich und rührend auch. Bitte, habt mich lieb, bitte, bewundert mich. Gebt mir Wärme, ich frier hier am Klavier fest. Mario den Vater spielend. Rüde, der den Welpen zusieht, die sich balgen und ihn an den Haaren ziehen. Bis eins der Kleinen hängenbleibt in seinem Fell, das dünn ist, dünner als es aussieht, und ihm das Fell vom Leib zieht, und da läuft er nackt davon. Und Gana, das Mädchen, plötzlich allein mit diesem Pfau, den die Eigenliebe blind macht.

Streichelt die Tasten mit seinen schmalen, kalten Fingern, lacht dabei so schief, wie es nur bei ihm hübsch ist. "Bleibst also, Gana. Mach dirs doch bequem. Hier - da - wo immer." Klappt den Deckel zu, läßt Gana einfach allein. Die Tür zum Schlafzimmer halb offen oder halb zu, wie man es eben wählt, und René kommt nicht wieder heraus, er liegt schon auf dem Doppelbett, ein Glas Whisky in der Hand, die Zigarette zwischen den Lippen, und Gana, das Mädchen, das nichts tun will, tut alles, und René läßt alles geschehen, mit seinem schiefen Lächeln, seinem nur bei ihm so hübschen schiefen Lächeln. René hat immer mit Mädchentricks gearbeitet. Jetzt ist er ein Mann geworden, ein richtiger Mann.

René Herzka

(Die Stimme am Mikrophon der Antenne Freiheit, nichts bedauernd, außer den Umstand, nicht gesehen werden zu können. Er tröstet sich mit seinem Spiegelbild im blankgeputzten Glas des Plattenschranks, fährt sich durch das Haar, lächelt zufrieden).

Mein Gott, plötzlich leidet Imre an Sentimental-Rheumatismus. Wie traurig alles sei. Keine Zeit für Utopien. Na, ist denn dieser Sender keine Utopie? Was ist schon dran an diesem Neo-Biedermeier? Hat sich überlebt, bevor es richtig in Mode war. Alternde Blumenkinder, denen die Blüten abgefallen sind und der grüne Stengel verholzt. Was haben sie gebracht, die alternativen Initiativen? Dieser Interne Vertrag, daß man seinen Anteil nicht als Spekulationsobjekt mißbraucht, und alles partnerschaftlich regelt, gemäß der Statuten, die kein normaler Mensch versteht. Jetzt übt man sich im Paragraphen-Twisting. Um jeden Zentimeter wird gefeilscht. Sie wollen ihren ganzen Kram mit sich nehmen, damit es anderswo nicht anders aussieht. Haben sich mit Sandkastenspielchen vergnügt. Das ist doch eine ganz normale Kapitalanlage, falls man sich nicht allzu blöd anstellt. "Du wärst ein erstklassiger Schweizer Bänker geworden, René," sagte Aristides Castellaner, "hast ein erotisches Verhältnis zum Geld." Ich hätte tatsächlich Schweizer werden sollen. Papa hätte mir goldene Brücken im Land der Käseberge gebaut. Eine Karriere im Mutterland der Nummernkontos, der Nazi- und Schmiergeld-Waschsalons. Aber es geht mir nicht ums Geld. Das Geld ist bloß ein angenehmes Nebenher. Ich werde diesen grünen Ministranten zeigen, welche Ketzer sie sind.

Von Haus aus nichts als Selbstbetrug. Hundert Paragraphen, an die sich im Ernstfall keiner hält. Der Anti-Spekulationsvertrag hat mit der Dummheit spekuliert. Mein Anwalt hat sofort das Loch im Paragraphenverhau gefunden. Ich bin beim Einstieg auch gleich ausgestiegen. Davon stand freilich nichts in der Statutenstrategie des Alternativen Lebenscollectivs.

Es gab zwei Optionen: ein Projekt von Freunden oder eins von Business-Partnern. Einem Freund gebe ich mein Wort, weil ich ihm traue. Einem Partner einen Vertrag, weil ich ihm nicht trauen kann. Die Statuten sind zuvor vom Advokaten auf Hintertürchen und Fußangeln zu checken. Da muß ich jede mögliche Auslegung kennen, mit der ich den Partner hineinlegen kann. Ich habe mir dieses Modell nicht ausgesucht. Ich bin von ihm ausgesucht worden: damit Donato seinen Papi in der Nähe hat. Dann ist es eben doch noch was geworden mit der Gana, die niemals aus meiner Gefühls-Software gelöscht war. Ich werde meinen Sohn doch nicht an diese kollektiven Individualisten verkaufen! Diese an der Psychotherapie erkrankten Alternativgestörten und ihre Schnüffelfragen, ob ich mich denn wirklich geändert habe, ein braver linker Chorknabe geworden sei und würdig, einzugehen unter ihr Dach. Dabei brauchten sie doch nichts als die Knete. Und die Illusion, besonders großzügig und einfühlsam gewesen zu sein und die Läuterung eines schwarzen Schäfchens belohnt zu haben. Diese Kerstin kriegte einen Linksorgasmus, als ich sagte, die Alternativschule sei das Beste für Donato. Dabei wollte ich es ihm bloß ersparen, mit Zlatkos, Mustaphas und Tschang-Lis in einer Regelanstalt zu sitzen und Deutsch zu verlernen.

Im Moment leider eine Ganakrise. Nimms nicht allzu schwer, alter Knabe. Das Jugo-Armageddon geht ihr nahe. Und sie sagt, ich dächte nur an Geld. Das Geld, das ich hier rausschinde, ist ein Intelligenzertrag, und die Maßzahl für die Verlogenheit der anderen, die ja ebenso kassieren. Gana wirds schon noch begreifen. Das renkt sich ein.

Nach dem vierten Palinka wird Imre sentimental. Weint Krokodilstränen um die Hausgemeinschaft. Nicht ich bin der Zerstörer. Die haben sich diese Fehlkonstruktion schon selbst gebaut. Ich zeige lediglich Mängel auf. Biedermeier, linke Esoterik, Freud und Ikea. Nach der Mängelbegehung wird das Haus eben neu überdacht werden müssen.

Hallihallohopsassa, Antenne Freiheit, René Herzka hinterm Mikroding, alles knocke eingetjunt? Hier lockt die Freiheit, liebe Leute, mit mir für euch und uns, herzlichst Herzka...

1. Kapitel: Das übermütige Mädchen vom Untermarkt

Alles richtete sich nach dem Markt. Die Straßenbahn, die weiter draußen eilig dahinröhrte, verfiel in ein gemächliches Geschaukel, senkte ihre Stimme vom Falsett herab zum Baß, verstummte und blieb länger als an anderen Haltestellen stehen: bis alle Frauen über die Gleise waren und den Weg marktauf oder marktab genommen hatten. Die Branntweinstuben und Schichtarbeiterkneipen ringsum öffneten, wenn der Markt begann und schlossen, wenn der letzte Standler seine Steigen im Lieferwagen verstaut hatte. Die alten Weiber verließen dann für eine Weile ihre Aussichtsplätze an den Fenstern. Erst in der Finsternis würde es wieder etwas zu sehen geben, wenn ein dunkles Treiben anhob, das freilich eher in der Fensterguckerinnen-Phantasie denn in der Wirklichkeit spielte.

Zwei Lokale brannten dann ihre Grelle in die Marktnacht: Dusans Balkangrill, wo ein Mirko Radovan mit seinen Partisanen Rock-and-Rollverfälschte Heimatschnulzen spielte, und Oktays Orientalcafé, in dem die Türken von blauen Moscheen und schönen Mädchen träumen mochten. Um zwei Uhr früh begann die absolute Monarchie der Nacht, humaner freilich als die proletarische Diktatur des Arbeitstages.

Ehe die erste Straßenbahn ausfuhr, kam ein grauer Kleinbus angeschnurrt, zwängte sich in die Marktgasse und blieb zwischen noch leeren Ständen hocken. Ein magerer Bursche mit dunklen Kraushaaren sprang aus der Fahrerkabine, ging um den Bus herum, öffnete die Hecktür und belud sich mit Kartons und Körben voll Brot und Gebäck. Er torkelte mit seiner Last ein Stück bergan und stapelte alles vor einem Laden mit der Aufschrift Spezerei und Delicatessen auf. Danach zog er ein Notizbuch hervor, aus dem er einen Zettel riß und in die oberste Kiste steckte. Schließlich stieg er wieder in sein Fahrzeug, zwängte es im Rückwärtsgang auf die Hauptstraße hinaus und beschleunigte Richtung Innenstadt, je nach Jahreszeit auf die noch in die Dunkelheit gehüllte oder bereits von der Morgensonne definierte Jugendstilbrücke der Stadtbahn zu.

Er war er für niemanden der Castellaner. Ein "Herr Kollege" und ein namenloses "Du" an der Universität, der "junge Herr" für seine Mietsfrau, der "Dürre" für den Bäcker, bei dem er sein Brot verdiente. Einheimische Marktmenschen nannten ihn den "Klotz", nach einem legendären Bozener Bombenwerfer. Irgendeiner hatte herausbekommen, daß der junge Lieferant aus Südtirol stammte. Er hatte seine Heimat im Gefolge der Mutter vor bald fünfzehn Jahren verlassen und sprach ein kaum merklich härteres und kehligeres Wienerisch. Bei den Jugoslawen hieß er "Professor", seit man wußte, daß er studierte. Die Türken gaben ihm keinen Namen. Sie nahmen ihn hin, mit dem freundlichen Gleichmut der Orientalen.

Auch am Abend kam er in seinem grauen Bus dahergefahren. Wenn die Marktleute ihre Stände räumten, das Verdorbene vom Unverdorbenen trennten und die Weiber sich von ihren Fenstern stahlen, holte er die leeren Kisten wieder ab, und jene, in denen das unverkauft gebliebene Brot lag. So ging es jeden Wochentag. Der Namenlose war zu einer Institution geworden, gehörte zum Markt wie der Pferdefleischhauer und der türkische Olivenhändler. Er fand Gnade vor den Augen der Fensterweiber, seit sie sein Deutsch gehört hatten und ihn nicht mehr verdächtigten, ein "Fremdarbeiter" zu sein. Zuweilen begrüßte ihn sogar eine frühe Fensterguckerin, wenn er sich mit seinen Kisten und dem eigenen Ungeschick abmühte, und er dankte durch ein Kopfnicken, das nicht recht gelang, weil er mit dem Kinn die Last in prekärer Balance halten mußte.

Eines Abends kam er später als sonst, ein Weilchen nach der Fensterguckerphase, und wurde Zeuge eines Treibens, vor dem die Weiber stets die Fenster schlossen, ihre Augen zur Welt. Eine Schar ärmlich gekleideter Kinder strich zwischen den abgeräumten Ständen umher, auf dem Pflaster unter halb verfaultem und zerquetschtem Obst und Gemüse nach eventuell noch Genießbarem suchend. Die Knaben sammelten den verwertbaren Abfall in Plastiksäcke, die Mädchen stopften sich damit die Kittel voll. Da stand der Klotz bei seinen Kisten, im Zustand verlegener Belämmerung, beäugte die Kinder, und seine gleichermaßen verschämte wie faszinierte Immobilität mochte in der Dunkelheit als etwas Bedrohliches empfunden werden. Ein kleiner, feister Bursche im Trainingsanzug wies mit dem Zeigefinger auf den Klotz und rief den anderen eine Warnung zu, worauf diese in eine Seitengasse davonstoben. Lediglich ein mageres Mädchen blieb zurück, mit einer Hand die volle Schürze haltend, die andere in die Hüfte gestemmt. Aus dunklen Olivenaugen funkelte sie den Professor an, streckte die Zunge heraus und wandte sich zum Gehen, langsam und würdevoll. Da kam Bewegung in den Klotz. Er warf die leeren Kisten von dem Turm, der vor der Spezerei- und Delicatessenhandlung aufgebaut war, legte die unterste frei und holte alles Brot und Gebäck heraus, das er tragen konnte. Er setzte der Kleinen nach, lief ein wenig neben ihr her, überholte sie, pflanzte sich unbeholfen vor ihr auf, und hielt ihr seine Gaben hin. Sie maß ihn mit trotzigem Funkeln, einer stolzen Würde, die nicht einmal von dem Rotztröpfchen an ihrer Nase beeinträchtigt wurde. Die anderen hatten sich - den Klotz als jene lächerliche Figur enttarnend, die er war - aus der Nebengasse wieder hervorgewagt.

"Gana! Gana!"

Der Klotz bettete sein Brot sachte in die Schürze der Kleinen, hob die Arme, als wolle er sich entschuldigen und trabte davon, das Geschrei und Gelächter der Kinder im Nacken. Im Stockwerk über der Spezerei- und Delicatessenhandlung wurde ein Fenster aufgestoßen, eine Weiberstimme keifte. Der Professor schlich zu seinem Lieferwagen, kletterte - sich den Kopf anschlagend - in die Fahrerkabine und zwängte den Bus so hastig aus der Marktgasse, daß er auf der Hauptstraße beinahe einen anderen Wagen gerammt hätte und von der eben an die Haltestelle heranrampfenden Straßenbahn verbimmelt wurde.

2. Kapitel: Hoch über dem Untermarkt

Dem ungeschickten Brotchauffeur und dem übermütigen Mädchen vom Untermarkt war das Panorama wohlvertraut: ihm vom Beachten des Rechtsvorranges, wenn er seinen Bus zur Bäckerei zurückfuhr, ihr mehr von links, wenn sie gelegentlich am Abend auf die Straßenbahn wartete, in der die Mutter aus dem gewissermaßen gehobenen Dienst zurückkehrte. Eine lange, breite Allee von Zinskasernen, Ramschgeschäfte aller Art, am Horizont die grünen Kuppen des Wienerwaldes, die Stadt daran erinnernd, daß sie bloß geborgtes Land ist. Hier röhrt die Tramway eilig dahin und hält nur jeweils kurz, aus Druckluftlungen schnaufend an, als könne sie es nicht erwarten, dem grauen Steingequader zu entkommen. Und dennoch: wenn sie den Horizont erreicht hat, schreckt sie davor zurück, drückt sich noch ein unentschlossenes Stück an ihm entlang und macht dann kehrt. "Ins Alte Ort" der Berge gelangt man nicht per Straßenbahn. Dort oben thronen Villen, protzen Palais und prahlen Einfamilienhäuser, dekoriert mit Laubgeranke, wildem Wein, umgeben von verwucherten Zäunen. Von den Garagentoren äugen Kameras herab und manchmal jault die Alarmsirene grundlos, verselbständigte Elektronik zur Verteidigung gegen fiktive Feinde. Die Waldkuppen drängen sich bis an den Stadtrand und resignieren dort vor dem Tiefland, vor der geborgten Puszta, die keinen Horizont hat, die selbst der Horizont ist.

Auf einem der Vorgipfel prangte das schönbrunnergelbe Schlößchen Johann Dietrich Fleidls, den man durch die Verleihung des Titels "Kommerzialrat" in den Wiener Handelsadel erhoben hatte. Fleidl vertrieb komplizierte Kühlsysteme und organisierte deren Wartung. Inmitten der Kornfelder westlich der Stadt hatte man das erste Atomkraftwerk des Landes errichtet, ohne seiner Sicherheit sicher zu sein, und nun auch nicht mehr sicher, ob es je den Betrieb aufnehmen würde. Fleidl war ein Proponent des Fortschritts, der hitzig "lobbysierte, um den Östreichern Dampf zu machen." Die lobbysierten Polit- und Wirtschaftsmaschinisten schätzten Fleidls Dampfrhetorik. Sie hofften, bundesdeutsches Argumentieren würde mehr Energie erzeugen als heimisches Herumreden. Fleidls Übersiedlung vom Taunus in den Wienerwald erleichterte nicht nur das Lobbysieren und das Geschäft mit der Kühle, sondern auch die akademische Karriere seiner Tochter. Die Wiener Universität platzte aus allen Nähten und war vielleicht deshalb offen, im Gegensatz zu Heidelberg oder Tübingen. Die Tochter hatte die Übersiedlung begrüßt, freilich keineswegs die nicht-akademischen Hinter- oder Hauptgedanken - Hinterhauptgedanken eigentlich, die den Vater zur Verlegung seiner Residenz bewogen. Als Mitglied der Umweltschutzbewegung lobbysierte sie ihrerseits gegen den Vater. Der nahm es hin als jugendliches Hirngespinst. "Ich war zu meiner Zeit ja auch `n richtiger Rebell gewesen," pflegte er allzu heiße Debatten abzukühlen, "es is ja nett, wenn sich die Jugend für ne gute Sache in die Bresche haut. Außerdem simmer ja Demokraten." Sprach´ s und krügelte sich das nächste Seven-Up in den Bauch, eine kugelige, unter eleganter Schneidermaßarbeit verankerte Angelegenheit von hohem spezifischen und noch höherem unspezifischen Gewicht, Seven-Up-gekühlt bei Tag, vom Sekt an Abenden. Wenn Fleidl derlei Toleranzerklärungen abgab, sein süßes Flüssiggas in sich hineinkübelte, den fleischigen Mund wie zu einem Gähnen dehnte und dabei wohlig ächzte, dann wurde es der Tochter heiß zwischen den Schläfen und sie hatte Feuer im Kopf. Frau Ute Fleidl, die Gute, hielt alle häuslichen Brandherde unter Kontrolle, um stete, laue Harmonie bemüht. Sie war eine fahl-hübsche Hessin, die Fahlheit naturgegeben, das Hübsche ein Werk der Kosmetik. Im Falle der Gefahr des Durchbrennens der Familienbande schlug sie eifrig Löschschaum, tadelte den Gatten leise und nahm behutsam für die Tochter Partei, sodaß deren Feuer verrauchte. Die Lobbysierung rund um das Atomkraftwerk war im Grunde die einzige Reibefläche zwischen Vater und Tochter. Corinna bewunderte den gewichtigen Wirtschaftskapitän, der das Schiff seines Unternehmens so sicher über das Meer und durch die Kanäle der Ökonomie steuerte, zum nicht geringen Wohle auch der Tochter, deren progressive Überzeugungen eher Steckenpferdchen waren, wie die Reitstunden oder das Studium der Psychologie. Und Hans Dietrich Fleidl entzückte sich seinerseits an der Tochter, wissend, was er an ihr hatte (eine repräsentative Verschönerung seiner Existenz) und was er an ihr nicht hatte (Konkurrenz im eigenen Metier). Der Sohn war auf geisteswissenschaftliche Bahnen abgedrängt worden, dennoch war er Hans Dietrich nach wie vor nicht recht geheuer. Der Junior hatte sich auf Wissenschaftsethik und evolutionäre Erkenntnistheorie verlegt, der Vater sah in ihm eine latente Gefahr für die Geschäftspraxis. Würde er sich - den Kopf voll wirtschaftsmoralischer Flausen - ins Betriebliche einmengen, der Vater hätte seine liebe Not. Corinna hielt er hingegen für harmlos. Wohlwollend sprach er ihr jedes Talent für Technisches und jeglichen Sinn für das Ökonomische ab.

Eines Sonntags saß man auf der Veranda des Fleidlschen Anwesens und ließ die Blicke auf die in der Herbstsonne schwelende Stadt hinabgaukeln, der Kommerzialrat krügelte sich sein sechstes Seven-Up hinein, Mutter und Tochter löffelten Pfirsichbowle und besprachen Kosmetisches. Ein neues Sprayprodukt kam zur Erwähnung, welches sich angeblich durch besondere Milde bei ungebrochener Pflegekraft auszeichnete, was mit entsprechenden Photographien und Texten eines einschlägigen Magazins belegt wurde. Den Kommerzialrat stach der Hafer der Necksucht:

"Na, nicht gerade umweltfreundlich, euer Spraychen. Es gibt da eine neue Expertise unserer Freunde in Marburg. Tonnenweise Müll per anno und die Gefahr, daß die Sache hopsgeht. Nach den letzten Erkenntnissen sind Treibgas und Fluorkohlenwasserstoffe multivariante Giftschleudern. Wär ein hübsches Thema für die Umweltschutzbewegung."

"Ach, Hans Dietrich," beschwichtigte Frau Ute, Erhitzungsgefahr ahnend, "was soll denn da hopsgehen? Explosionsgefahr im Frisiersalong? Hab den Frisör noch immer unbeschadet überlebt."

Corinna hatte schon Feuer gefangen: "Der Liebling der Atomlobby als Anti-Taft-Agent! Solltest dich lieber fragen, wohin der Mist von eurem AKW gebracht werden soll. Mit millionenfachem Tötungspotential und ner Halbwertszeit von..."

"...bin eben ein umweltbewußter Industrieller,"

unterbrach Hans Dietrich lächelnd,

"mach mir auch Gedanken über Technologien, die man im Gegensatz zur Kernenergie noch nicht im Griff hat: Haarspray beispielsweise."

Corinna erglühte. Frau Fleidl tadelte den Gatten milde. Er solle sich nicht über junge Menschen lustigmachen, die noch Ideale hätten. Die Tochter war drauf und dran, dem Vater verbale Brennstäbe an den Kopf zu werfen, doch der ließ sie nicht ans Wort. Es war seine Show.

"Hab mir die Sache überlegt, Corinna. Es is ne gute demokratische Gepflogenheit, Minderheiten unter die Arme zu greifen."

Er griff sich selbst unter die Arme und förderte seine Brieftasche zutage, um der Tochter einen Scheck der Hessischen Kreditbank zu überreichen.

"Brauch nichts als ne Empfangsbestätigung. Was dieses AKW betrifft, da bin ich doch im Grund auf eurer Seite: sicherer als menschenmöglich wird die Sache sein. Und eure Bewegung gefällt mir. Wird noch ne Menge guter Arbeit leisten. Könnt die Kohle ruhig gegen mich verwenden."

Nach kurzem Zögern nahm die Tochter den Scheck an sich. Sie schnellte aus ihrem Gartensessel und küßte dem Vater Lippenstift auf die Stirn.

"Und ob wir das gegen dich verwenden werden, Papa. "Und ob und ob und ob."

Worauf man sich erneut kosmetischen Problemen und der Pfirsichbowle widmete, die von Diana Davidovic, der jugoslawischen Perle, so trefflich zubereitet worden war.

3. Kapitel: Ein Schicksalsschlag in Draganien

Die kleine Gana war zunächst aus Loyalität auf den abendlichen Markt gegangen und keineswegs aus Not. Auch, um die Spielgefährten zu treffen, mit denen sie in ihrer eigenen Sprache reden konnte. Da mußte sie sich nicht mit jenen kehligen und launisch verzogenen Lauten abmühen, die man ihr im Kinderkollektiv beibrachte, damit sie in der Schule keine Schwierigkeiten haben würde. Die vorauseilende Beseitigung schulischer Schwierigkeiten wurde von Fräulein Marisa Wechselberger vorgenommen, einem langen, zarten Ding mit großen Augen, die sich über ihre eigene Existenz zu wundern schienen, während das Kinngrübchen unter dem etwas breiten, stets zu Polemik bereiten Mund sein Dasein und Sosein offenbar als Selbstverständlichkeit hinnahm, vielleicht, weil es ein reizvolles, aber entbehrliches Extra in Marisas Gesichts-Grundausstattung darstellte. Ihre verwunderten Augen verwunderten, ja bezauberten; das Kinngrübchen übersah man. Marisa war ausgebildete Volksschullehrerin, dachte aber nicht daran, diese Ausbildung für die übliche Beamtenkarriere zu nützen. Sie sprach ein sonderbares, jedoch fließendes Serbo-Kroatisch, vermutlich die einzige Inländerin des Bezirks, die diese Sprache gelernt hatte. "Solidarität" pflegte sie als Beweggrund anzugeben. Sie hatte das Kinderkollektiv mitgegründet, nach einem hartnäckigen Marsch durch die Amtsinstanzen eine Subvention erkämpft und begonnen, marktauf, marktab bei Gastarbeiterfamilien, die nicht als Gäste behandelt wurden, für ihren Kindergarten zu werben, der keinen Garten umfaßte.

Die erste Klientin des Kinderkollektivs war die jugoslawische Perle im Hause des Kühlsystematikers Hans Dietrich Fleidl: Frau Diana Davidovic, geborene Hrboka, Kroatin, mit dem serbischen Bierführer Slobodan verehelicht. Unternehmungslustiger als die meisten ihrer Landsleute im Wiener Arbeitsexil, hatte sie ihre Kinder der Betreuung Marisa Wechselbergers anheimgegeben und befreundeten Müttern geraten, ein Gleiches zu tun. Betreuungsgebühr war keine zu entrichten. Das Kinderkollektiv erhielt sich aus der kümmerlichen Subvention, etwas unkümmerlicheren Privatspenden und den beachtlichen Gewinnen des Café International, in dem man das beste Döner-Kebab weit und breit essen, pelzig-herben Plavac trinken, sowie balkanischen Kulturveranstaltungen beiwohnen konnte. Marisa Wechselbergers herzensgute Kinderstube wäre auch einheimischem Nachwuchs offengestanden, dessen Eltern sich aber diesem Offenstehen verschlossen, um unter sich zu bleiben. Das Kinderkollektiv befand sich im ersten Stockwerk über dem Café International. Man überblickte von dort den Obermarkt, eine Kleinstadt aus Buden und Baracken, deren Rolläden Abend für Abend heruntergelassen wurden, als beherbergten sie unbezahlbare Wertgegenstände und nicht bloß Gurkenfässer und Grünzeug. Der Obermarkt war eine wetterfeste, permanente Lebensmittelsiedlung, in welcher auch bei strengster Winterkälte keinerlei Gefahr bestand, daß die Kartoffeln froren. Der Untermarkt hingegen blieb eine Dauerimprovisation: ungedeckte Stände, klapprige Brettergestelle und Holztische, die aussahen, als hätte man sie erst gestern hierher gebracht und würde sie schon morgen wieder fortschaffen. Dazu einige weißlackierte, mit Gummirädern ausgestattete Wagen, die in noch höherem Maße Impermanenz suggerierten. Sie gehörten den Käseverkäufern, den Fleischhauern, den Brothändlern. Einer der Wagen diente als Würstelbude, der einzige, der Abend für Abend verschwand, von einem alten Volkswagen-Käfer gezogen, um weiter unten an der Gürtelstraße, unter der Stadtbahnbrücke, seinen Nachtzweck zu erfüllen. Dort trafen sich die Nachtschattengewächse des Bezirks: Taxifahrer (einige von ihnen Nebenerwerbszuhälter auf Strich-proben-mäßiger Kontrollfahrt), Schichtarbeiter, Schneeschaufler, Streuner, Säufer, die zur Abwechslung einmal hungrig waren, gelegentlich auch Polizisten, die heiße Würstel kauften, um sie in ihren Streifenwagen zu verzehren. Die kleine Gana wußte all dies von ihren abendlichen Marktgesprächen, wenn die Kinder halbverfaultes Obst und Gemüse untersuchten und dabei über den Lauf der Welt redeten, im Untermarktgebiet, das mehr Ertrag verhieß. Der Obermarkt gehörte den Einheimischen, die Ganas Vater als "Deutsche" bezeichnete, wobei sein Schnurrbart eigentümlich zuckte. Am Untermarkt dominierten Türken, Serben, und es gab auch (väterliches Bartzucken) zwei Kroaten. Gana bevorzugte den Untermarkt. Ein einziges Mal war sie in Serbien gewesen, zu Besuch bei den Großeltern, und hatte dort einen Markt gesehen, der dem Untermarkt zu gleichen begann, als sie den Untermarkt wiedersah. Seither war der Untermarkt ihr Jugoslawien, das sie in den wenigen verträumten Stunden, die sie sich leisten konnte, auch "Draganien" nannte, ein Land, das ganz und gar ihr gehörte und dessen einzige ständige Bewohnerin sie war.

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