Der Dieb und die Hunde - Nagib Machfus - E-Book

Der Dieb und die Hunde E-Book

Nagib Machfus

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Beschreibung

Als Said Muhran das Gefängnis verlässt, sind vier kostbare Jahre seines Lebens dahin. Kairo liegt vor ihm mit der Schönheit der Moscheen, der Hektik der Straßen, der Ruhe der alten Parks. Alles ist wie damals, aufreizend und voll pulsierenden Lebens – nur die Menschen haben sich erschreckend verändert. Seine Frau hat es sich an der Seite ihres Liebhabers bequem gemacht. Seine kleine Tochter, nach der er sich während der trüben Gefängnistage sehnte, erkennt ihn nicht wieder. Und sein Freund Raouf, mit dem er Träume und Ideale teilte, hat sich als Journalist etabliert und will von ihrer gemeinsamen Vergangenheit nichts mehr wissen. Allein gelassen, ohne Wert und ohne Hoffnung, sinnt er auf Rache – und es wird ein Rachefeldzug bis zum bitteren Ende.

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Seitenzahl: 224

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Über dieses Buch

Als Said Muran das Gefängnis verlässt, sind vier kostbare Jahre seines Lebens dahin. Kairo ist wie damals, nur die Menschen haben sich verändert. Seine Familie, sein Freund Raouf – niemand will mehr von der gemeinsamen Vergangenheit wissen. Allein gelassen, ohne Wert und ohne Hoffnung, sinnt Said auf Rache.

Zur Webseite mit allen Informationen zu diesem Buch.

Nagib Machfus (1911–2006) gehört zu den bedeutendsten Autoren der Gegenwart und gilt als der eigentliche »Vater des ägyptischen Romans«. Sein Lebenswerk umfasst mehr als vierzig Romane, Kurzgeschichten und Novellen. 1988 erhielt er als bisher einziger arabischer Autor den Nobelpreis für Literatur.

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Doris Kilias (1942–2008) arbeitete als Redakteurin beim arabischen Programm des Rundfunks Berlin (DDR). Nach der Promotion war sie als freie Übersetzerin tätig.

Zur Webseite von Doris Kilias.

Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Nagib Machfus

Der Dieb und die Hunde

Roman

Aus dem Arabischen von Doris Kilias

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

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Impressum

Dieses E-Book enthält als Bonusmaterial im Anhang 6 Dokumente

Die arabische Originalausgabe erschien 1961 unter dem Titel al-liss wa al-kilab im Verlag Maktabat Misr, Kairo.

Die deutsche Erstausgabe erschien 1980 in den Verlagen Volk und Welt, Berlin, und C.H. Beck, München.

Originaltitel: al-liss wa al-kilab (1961)

© by Nagib Machfus 1961

© by Unionsverlag, Zürich 2022

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Martina Heuer

ISBN 978-3-293-30572-4

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)

Version vom 27.06.2022, 19:12h

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

Impressum

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Inhaltsverzeichnis

DER DIEB UND DIE HUNDE

1 – Wieder und wieder zog er tief den Geruch …2 – Schon von Weitem sah er die Tür …3 – Flüchtig blätterte er die Seiten der Zeitung »az-Zuhra« …4 – Das also war Raouf Alwan – ein faulender …5 – Die Männer starrten ihn an, als trauten sie …6 – Er mied den Weg entlang den Kasernen und …7 – Der Gipfelpunkt des Erfolges wäre es, wenn er …8 – Er stieß die Haustür des Scheichs auf …9 – Stockfinster war es10 – Was für eine Menge Gräber! Bis zum Horizont …11 – Kein Tag verstrich, ohne dass der Friedhof neue …12 – Er hatte probeweise die Offiziersuniform angezogen. Nur starrte …13 – Kurz nach Mitternacht ging Said14 – Nach Hause zurückgekehrt, zog er die Offiziersuniform an …15 – Was für fette Schlagzeilen, was für knallige Bilder …16 – Der Morgen dämmerte, aber Nur war noch nicht …17 – Am Nachmittag hatte die Hausbesitzerin erneut geklopft …18 – Trotz allen Kummers, trotz des festen Vorsatzes …

Mehr über dieses Buch

Über Nagib Machfus

Nagib Machfus: Das Leben als höchstes Gut

Nagib Machfus: Rede zur Verleihung des Nobelpreises 1988

Tahar Ben Jelloun: Der Nobelpreis hat Nagib Machfus nicht verändert

Erdmute Heller: Nagib Machfus: Vater des ägyptischen Romans

Gamal al-Ghitani: Hommage für Nagib Machfus

Hartmut Fähndrich: Die Beunruhigung des Nobelpreisträgers

Über Doris Kilias

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1

Wieder und wieder zog er tief den Geruch von Freiheit ein, wenn auch die Luft voller Staub und unerträglicher Hitze war.

Außer seinem blauen Anzug und den Tennisschuhen wartete nichts auf ihn. Das schwere Gefängnistor verschloss alle beklagenswerten Geheimnisse, die Welt begann von Neuem.

Sonnenträge Gassen, rasende Autos, hastende und wartende Menschen, Häuser, Geschäfte. Nirgendwo auch nur der Hauch von einem Lächeln. Nur er allein hatte alles verloren, vom kostbaren Leben waren vier Jahre dahin, weil er verraten worden war. Aber schon bald würde er als Ankläger vor ihnen stehen.

Denn nun war die Zeit der Abrechnung gekommen. Wie eine lodernde Flamme würde er sie vernichten. Todesangst sollte sie in Verzweiflung stürzen und sie den Treuebruch verfluchen lassen.

Nabawija Alisch. Wieso werden die zwei Namen zu einem? Ihr hattet eure Rechnung gemacht und nicht daran gedacht, dass sich das Gefängnistor jemals wieder öffnen würde. Aber so vorsichtig ihr auch seid, ich werde euch nicht in die Falle gehen, sondern wie das allmächtige Schicksal über euch hereinbrechen.

Und Sina? Was wäre, wenn man ihr reines Gemüt mit Gift und Hass verseucht hatte? Sehnsucht nach ihr stieg in ihm auf wie die nach einem erfrischenden Regenguss. Was wird die Kleine noch von ihrem Vater wissen? Nichts, alles läuft davon, wie die Straße, die hastenden Menschen.

Vier Jahre lang hatte er immer wieder an sie gedacht, aber je älter sie wurde, desto undeutlicher wurde ihr Bild. Würden sie beide ein Heim haben, in dem sie voller Liebe zusammenleben konnten, wo er die Freude des Siegers auskosten würde und die Erinnerung an den Verrat dahinschwände?

Mit aller List musst du vorgehen, damit die Strafe so hart wird, wie deine Geduld lang war, als du hinter den Mauern gesessen hast. Ich werde euch heimsuchen, untertauchend wie der Fisch im Wasser, herabstürzend wie der Habicht, mauererklimmend wie die Ratte und Türen durchdringend wie die Geschosskugel!

Was meinst du wohl, auf welche Weise es dich treffen wird? Wie werden wir uns begegnen? Hast du, Alisch, vergessen, dass du in den Kneipen herumgeschlichen bist wie ein Hund? Habe ich dir nicht erst beigebracht, wie man auf zwei Beinen steht? Wer hat denn aus dem ehemaligen Kippensammler einen Mann gemacht? Nicht nur du, Alisch, hast alles vergessen. Sie auch. Diese Frau, heimisch geworden im stinkenden Morast, dessen Name Verrat ist. Außer deinem Gesicht, meine Sina, gibt es in all diesem Dreck nichts Schönes. Schon bald werde ich dich sehen und die Freude voll auskosten.

Da war die Straße mit den dunklen Bogen, die Gasse der nichtssagenden Zerstreuungen, Glanz vorspiegelnd, ohne wirklich zu glänzen. Wie ich das alles hasse!

Die Bars waren schon geschlossen, es gab nichts mehr außer ränkeschmiedenden Huren. Wie in Schnappfallen blieben die Füße in den tiefen Löchern des Gehwegs hängen. Das Rattern der Straßenbahnräder klang wie Spott, Rufe stiegen auf, es war, als kämen sie aus den verrotteten Gemüseresten, die überall verstreut waren.

Wie ich das hasse! Die Häuser scheinen verlockend leer zu sein, finstere, riesige Wände. War dies nicht die seltsame Gasse der Geldwechsler? Dumpfe Erinnerung daran, dass hier der Dieb bestohlen worden war.

Im Nu überkam ihn alles wieder – schändlicher Verrat! Genau in dieser Gasse war es doch, wo sie begonnen hatten, ihn zu erdrücken wie Schlangen das unachtsame Opfer. Und genau ein Jahr zuvor war sie aus ebendieser Gasse gekommen, in der einen Hand das Mehl für den Festkuchen, in der anderen Sina. Sie hatte sie getragen wie ein Bündel. Was waren das doch für wunderbare Tage gewesen, voller Aufrichtigkeit und Offenheit. Das neue Gefühl der Vaterschaft, das Fest, die Liebe – unvergessliche Eindrücke …

Da waren die hoch aufragenden Moscheen, die Spitze der Qal’a hob sich vom klaren Himmel ab, die Straße mündete auf den Platz. Das Grün der Gärten leuchtete unter den sengenden Strahlen, und trotz der Sommerhitze stieg ein frischer Duft auf. Da war der Qal’a-Platz mit all seinen schmerzlich brennenden Erinnerungen. Ausgebreitet in der Sonne, sah er aus, als ob er sich wohl fühlte, als wäre er mit kaltem Wasser bedeckt. Alles war so friedfertig und vertraut wie eh und je.

Er überquerte den Platz in Richtung Imam-Straße und näherte sich dem dreistöckigen Haus am Ende der Straße, die sich hier in zwei Gassen teilte. Bei diesem harmlosen Besuch würde er seinen Feind treffen, auf diese Begegnung hatte er sich gründlich vorbereitet. Hier sollte es sein, wo er alles bestens kannte, hier bei den kleinen Läden, aus denen wie ängstliche Mäuse Gesichter hervorlugten.

Da hörte er hinter sich rufen: »Said Muhran, tausendfach gesegneter Tag!«

Er blieb stehen und wartete auf den Mann. Sie schüttelten sich die Hände, die freudige Erregung mit einem schwachen Lächeln verdeckend. Es blieb abzuwarten, was hinter dieser freundlichen Begrüßung steckte, vielleicht hatte der Schurke Helfer gefunden, und er, Alisch, schaute ihnen nun durch die Fensterläden zu, furchtsam und neugierig wie ein Weib.

»Ich danke dir, Meister Bajaza.«

Aus den Läden traten viele Leute und umringten ihn. Eine Woge von Glückwünschen und Grußworten wallte auf, im Nu war er von allen Seiten eingeschlossen. Ganz sicher waren sie alle Freunde seines Widersachers.

Die Stimmen wetteiferten: »Allah sei Lob und Dank, dass du gesund bist!«

»Welcher Segen für die Freunde und Lieben!«

»Aus ganzem Herzen hatten wir uns gewünscht, dass du am Tag der Revolution entlassen wirst!«

Mit seinen honigbraunen, mandelförmigen Augen musterte Said sie eindringlich und sagte schließlich: »Ich danke Allah und euch allen.«

Bajaza legte ihm die Hand auf die Schulter und bat ihn: »Komm herein, lass uns etwas trinken.«

Ruhig antwortete er: »Nachher, wenn ich zurückkomme.«

»Wenn du zurückkommst?«

Einer der Männer schrie zum zweiten Stock des Hauses hinauf: »Meister Alisch, he! Meister Alisch, komm runter und begrüße Said Muhran!«

Nicht nötig, ihn zu warnen, ihr Mistkäfer. Ich komme doch am hellen Tag und weiß, dass ihr schon auf der Lauer gelegen habt.

Bajaza fragte ihn nochmals: »Wann willst du zurückkommen?«

»Wenn ich die Rechnung beglichen habe.«

Verstört fragte er: »Mit wem?«

»Habt ihr denn wirklich vergessen, dass ich Vater bin, dass meine Tochter bei Alisch ist?«

»Na ja doch, aber jeder Streit lässt sich durch das Gesetz regeln.«

Ein anderer fügte hinzu: »Wenn man sich untereinander einigt, ist es besser.«

Und ein Dritter sagte versöhnlich: »Said, du kommst aus dem Gefängnis. Der Klügere ist der, der einen Rat annimmt.«

»Wer hat denn gesagt, dass ich mich nicht aussöhnen will?« Im zweiten Stock wurde das Fenster geöffnet, und Alisch zeigte sich. Erwartungsvoll schauten alle hinauf. Aber bevor noch ein einziges Wort fiel, trat aus dem Haus ein großer, breitschultriger Mann in einem gestreiften Gewand und mit den Schuhen eines Beamten. Said erkannte den Spitzel Hasballah. Verwirrt sagte er: »Kein Grund zur Beunruhigung, ich bin gekommen, um mich auszusöhnen.«

Der Spitzel trat rasch an ihn heran und tastete argwöhnisch seine Brust- und Hüfttaschen ab. All das ging ihm flink und geschickt von der Hand und verriet seine Erfahrung in solchen Dingen.

»Halt den Mund, du Sohn eines Fuchses. Was willst du hier?«

»Ich will mich über die Zukunft meiner Tochter verständigen.«

»Du und verständigen?«

»Ja, mir geht es nur um meine Tochter.«

»Dann geh doch zum Gericht!«

»Dahin werde ich mich nur in allerhöchster Not wenden.«

Alisch rief von oben: »Lass ihn doch herauf! Kommt alle mit!«

Sammle nur alle um dich, du Feigling, denn ich bin gekommen, die Festung, in der du dich verschanzt, auszukundschaften. Wenn deine Zeit gekommen ist, werden dich weder Spitzel noch Mauern schützen …

Sie traten alle in das Empfangszimmer und verteilten sich auf Sofa und Sessel. Die Fenster wurden geöffnet, Licht und Fliegen kamen herein. Die Zimmerdecke war schwarzbefleckt, als trüge sie die Spuren eines Brandes. Aus einem großen Bild, mit beiden Händen auf einen dicken Stock gestützt, blickte Alisch von der Wand herab.

Der Spitzel saß neben Said und spielte mit den Perlen eines Gebetskranzes. In einem silbernen Gewand, das über dem fassartigen Leib offen stand, trat Alisch ein. Er hob das runde Gesicht, man sah das fette Fleisch unter dem viereckigen Kinn und die dicke, verknorpelte Nase. Gelassenheit demonstrierend, schüttelte er Said die Hände: »Allah sei Dank für dein Wohlergehen.«

Die eintretende Stille verschärfte spürbar die Spannung, alle sahen sich beunruhigt um. Als wollte er einen neuen Anfang wagen, sagte Alisch: »Was vorbei ist, ist vorbei. Jeden Tag geschieht so etwas, schreckliche Dinge, an denen Freundschaften zerbrechen. Aber nichts entehrt den Mann außer wirklicher Schande.«

Said beobachtete genau. Mit seinen glänzenden Augen und dem schlanken, kräftigen Körper sah er wie ein Tiger aus, der einem Elefanten auflauert. Er blieb ruhig, wiederholte lediglich: »Nichts entehrt den Mann außer wirklicher Schande.«

Als ihn alle anblickten und der Spitzel die Perlen des Gebetskranzes ruhen ließ, ahnte er, was in den Köpfen vor sich ging. »Ja«, fügte er hinzu, »ich bin völlig einverstanden mit dem, was du da sagst.«

Ärgerlich stieß der Spitzel hervor: »Komm zum Thema und versuch nicht, uns einzuwickeln.«

Spöttelnd fragte Said: »Wo soll ich denn da beginnen?«

»Beim einzig möglichen Anfang, und das ist deine Tochter.«

Und meine Frau? Und mein Geld, ihr räudigen Hunde? Unglück über Unglück! Ich will, dass du mich anschaust, damit ich von nun an den Mistkäfer, den Skorpion und den Wurm achte und verehre. Zum Teufel mit dem, der sich von Weibergesang bezirzen lässt!

Er antwortete nicht, nickte aber bejahend. Einer dieser Schmierlappen sagte besänftigend: »Deine Tochter lebt doch hier in Frieden und Glück, sie ist bei ihrer Mutter. Vom Gesetz her bleibt ein sechsjähriges Mädchen bei der Mutter. Wenn du willst, kommt sie dich jede Woche besuchen.«

Mit kräftiger Stimme, laut genug, um auch draußen gehört zu werden, antwortete Said: »Den Umständen nach gehört sie auf jeden Fall zu mir.«

Alisch fuhr ihn grob an: »Was hast du also vor?«

Aber der Spitzel kam jeder Antwort zuvor: »Von all dem Gerede bekommt man nur Kopfschmerzen.«

Alisch ließ nicht locker: »Ich hab doch kein Verbrechen begangen. Das Schicksal wollte es eben so, und außerdem war es meine Pflicht. Ich bin nur der Pflicht des Mannes nachgekommen, auch der Kleinen zuliebe.«

Pflicht des Mannes, du Sohn einer Natter! Zweifacher Verrat und Treulosigkeit! Den Hammer, das Beil oder einen Strick verdienst du …

Aber wie mag Sina jetzt aussehen? Er zwang sich, ruhig zu erscheinen: »Ich habe sie nicht unversorgt zurückgelassen. Sie hatte mein ganzes Geld zur Verfügung, eine beträchtliche Summe.«

»Aha«, rief der Spitzel, »da meinst du wohl das, was du gestohlen, dann aber vor Gericht abgestritten hast!«

»Na und? Bloß, wo ist es jetzt?«

»Keinen Millim haben wir gesehen!«, schrie Alisch. »Glaubt mir, Männer. Keinem wäre es leichtgefallen, sich so zu sorgen, weder Freund noch Feind. Wirklich, ich bin nur meiner Pflicht nachgekommen.«

Scharf fuhr Said ihn an: »Na, dann sag mir mal, wieso du so üppig leben und den anderen etwas spendieren kannst?«

Wütend wehrte sich Alisch: »Glaubst du, du bist der Herrgott und kannst mit mir abrechnen?«

Einer der Schmierlappen wollte beschwichtigen: »Lass doch, Said. An so etwas hat nur der Teufel seine Freude.«

Der Spitzel winkte ab. »Ich kenne dich und kann am besten deine Gedanken lesen. Du wirst dich selber zugrunde richten. Bleib lieber beim Thema Tochter, das ist besser für dich.«

Lächelnd bezeigte Said Ergebenheit und senkte die Augen. »Recht haben Sie, verehrter Herr Beamter.«

»Wie gesagt, ich kenne dich. Nur aus Achtung vor diesen Männern helfe ich dir mit meinem Rat. Bringt das Mädchen her, denn ist es nicht das Beste, wenn wir zuallererst ihre Meinung hören?«

»Wie bitte, verehrter Herr Beamter?«

»Said, ich weiß doch genau, dass du das Mädchen gar nicht willst. Du kannst ihr doch gar kein Zuhause bieten, nicht einmal für dich wirst du so ohne Weiteres etwas finden. Aber es ist gerecht und barmherzig, wenn du sie siehst. Bringt das Mädchen.«

Bringt vor allem die Mutter, ich will ihre Augen sehen, damit eines der Höllengeheimnisse sichtbar wird. Beil und Hammer!

Alisch ging das Mädchen holen. Als Said ihre Schritte vernahm, spürte er das schmerzhafte Klopfen seines Herzens. Er starrte auf die Tür, biss sich auf die Lippen. Sehnsüchtige Neugier und übermächtige Zärtlichkeit verdrängten das kalte Wutgefühl. Endlich, nach tausend Stunden warten, kam das Mädchen. Mit verschreckten Augen, in einem eleganten weißen Kleid und in weißen Pantoffeln, aus denen die lackierten Zehennägel hervorlugten. Ihr Gesicht war braun, das lange schwarze Haar umrahmte die Stirn. Alles an ihr nahm ihn gefangen. Befremdet schaute sie die vielen Gesichter an. Ihm gegenüber aber bekundete sie, weil er sie so anstarrte und weil sie ihm entgegengeschoben wurde, fast verächtliche Zurückhaltung. Es schien, als wollte sie sich mit den Füßen im Teppich festkrallen, während ihr ganzer Körper weit nach hinten gebeugt war.

Seine Augen ließen sie nicht los, obwohl er in seinem Innersten schon alles wusste. Er fühlte, er hatte sie verloren. Es war, als wäre sie nicht seine Tochter, trotz der mandelförmigen Augen, des langen Gesichts und der schmalen, leicht gebogenen Nase. Der »Ruf des Blutes«, die »Seele«, was sollte das alles? Hatte er denn betrogen und verraten? Was aber gab ihm die Kraft, seinem Wunsch zu widerstehen, sie in die Arme zu schließen und bis zum Selbstvergessen an sich zu drücken?

Brummig, fast gleichgültig sagte der Spitzel: »Dein Vater, meine kleine Kluge.«

Unbewegten Gesichts forderte Alisch sie auf: »Begrüße deinen Papa.«

Wie ein Mäuschen war sie, voller Angst. Wusste sie denn nicht, wie sehr er sie liebte? Er streckte ihr die Hand entgegen, aber anstatt etwas zu sagen, konnte er nur würgen und schlucken. Er lächelte leicht, es sollte zärtlich und gewinnend sein.

»Nein«, sagte da Sina und versuchte zurückzuweichen. Aber da stand jemand. Sie erschrak und rief: »Mama, Mama!«

Der Mann hinter ihr schob sie ein wenig vor und sagte: »Begrüße deinen Papa.«

Mit Interesse und Schadenfreude zugleich sahen die anderen zu. Said begann zu ahnen, dass die Gefängniszeit nicht das Härteste in seinem Leben gewesen war. Freundlich bittend sagte er: »Komm doch her, Sina.«

Er hielt es nicht länger aus, stand auf und beugte sich vor, sie aber rief noch lauter: »Nein, nein!«

»Aber ich bin dein Papa!«

Bestürzt und betroffen sah sie Alisch an. Noch einmal, nun aber mit beharrender, fester Stimme wiederholte er: »Ich bin dein Papa, ich! Komm her.«

Sie weigerte sich, wich noch weiter zurück. Als er sie mit sanfter Gewalt zu sich heranzog, schrie sie auf. Er hielt sie am Arm, aber weinend versuchte sie sich der Umklammerung zu entziehen. Obwohl er wusste, wie sinnlos das alles war, versuchte er, ihren Mund oder ihre Wange zu küssen. Seine Lippen trafen nur ihren Arm, den sie heftig, fast hektisch bewegte.

»Ich bin dein Papa, hab doch keine Angst. Ich bin dein Papa!«

Der Duft ihres Haares erinnerte ihn an ihre Mutter, seine Züge verkrampften sich. Als die Kleine sich noch heftiger wehrte, noch lauter weinte, sagte der Spitzel: »Nun mal langsam. Das Kind kennt dich doch gar nicht.«

Verzweifelt ließ er sie los, setzte sich wieder hin und sagte voller Zorn: »Ich werde sie mitnehmen.« Alle schwiegen. Bajaza räusperte sich: »Nun beruhige dich doch erst mal.«

Aber nochmals sagte er hartnäckig: »Da gibt es nichts – sie kommt zu mir zurück!«

Scharf entgegnete ihm der Spitzel: »Das musst du dem Urteil des Richters überlassen.« Von Alisch Bestätigung erwartend, fügte er hinzu: »Nicht wahr?«

Alisch antwortete: »Die Sache geht mich ja nichts an. Aber ihre Mutter wird sich von ihr nur trennen, wenn ein gerichtlicher Beschluss vorliegt.«

»Na eben!« fügte der Spitzel hinzu. »Es ist, wie ich sagte. Es gibt nur eines und nichts anderes: das Gericht.«

Wenn er es jetzt nicht fertigbrächte, seine aufgestaute Wut zu beherrschen, würde er wie wahnsinnig lostoben. Said wusste das. Mit aller Kraft versuchte er, ruhig zu erscheinen, bemüht, sich diese Szene einzuprägen, um sie nie wieder zu vergessen.

»Ja natürlich, das Gericht.«

»Und eines siehst du ja«, hielt Bajaza ihm entgegen. »Das Mädchen hat alles, lebt in Frieden und ist bestens aufgehoben.«

Der Spitzel konnte einen ironischen Unterton nicht unterdrücken: »Kümmere dich erst mal darum, etwas zu finden, wovon du leben kannst.«

Er überhörte die Anspielung, beherrschte sich und sagte: »Das ist alles richtig. Ich habe keinerlei Grund, traurig oder verzweifelt zu sein. Vielleicht ist es am besten, wenn ich alles noch einmal überdenke. Zweifellos ist es besser, die Vergangenheit zu vergessen und mir stattdessen eine ordentliche Arbeit zu suchen, damit ich der Kleinen dann ein ordentliches Zuhause geben kann.«

Alle schwiegen verwirrt. Einige wechselten skeptische, andere durchaus überzeugte Blicke.

Der Spitzel rollte den Gebetskranz zusammen und fragte: »Sind wir fertig?«

Said antwortete: »Ja, aber ich möchte noch gerne meine Bücher.«

»Deine Bücher?«

»Die meisten sind weg, Sina hatte damit gespielt. Ich bringe dir den Rest«, sagte Alisch. Er ging für einen Augenblick hinaus, kehrte mit einem kleineren Stapel zurück und legte ihn mitten im Zimmer auf den Boden.

Said stand auf, nahm eins nach dem anderen in die Hand und sagte traurig: »Wie kommst du denn zu diesem ganzen Wissen?« Er stand auf und gab damit das Zeichen zum Aufbruch. »Hast du auch noch Bücher gestohlen?« Alle lachten. Said aber blieb ernst, nahm die Bücher und ging.

2

Schon von Weitem sah er die Tür, die wie immer offen stand. So weit er zurückdenken konnte, war das so gewesen. Langsam durch die Bergstraße bummelnd, kam er näher und näher. Hier im Darasa-Viertel, das von den Ausläufern der Moqattam-Bergkette eingeschlossen wurde, verband sich alles mit Erinnerungen. Die vielen Kinder, der Sand, die Tiere … Müdigkeit und Erregung nahmen ihm den Atem. Er blieb einen Moment stehen und sah wehmütig den spielenden Mädchen zu.

Träge im Schatten des Berges ausgestreckt, suchten viele Schutz vor der schrägstehenden Sonne.

Auf der Schwelle der geöffneten Tür versuchte er sich zu erinnern, wann er hier zum letzten Mal gestanden hatte. Es war ein schlichtes Haus, so einfach, dass es aus Adams Zeiten hätte stammen können. Da war der große offene Hof und in dessen linker Ecke eine hohe, in der Spitze leicht gebogene Palme. Rechts im Hausflur stand die Tür zu dem einzigen Raum offen. In diesem seltsamen Haus gab es keine verschlossene Tür.

Sein Herz schlug, die Erinnerung an eine ferne, freundliche Zeit überkam ihn. Kindheit voller Träume, mit einem zärtlichen Vater und Gefühlen himmlischer Verzückung. Männer hatten damals diesen Hof gefüllt, die sich beim Gesang religiöser Hymnen rhythmisch bewegten; Gott hatte sich im Innersten ihrer Seelen niedergelassen.

»Blicke um dich, höre auf alles, lerne und öffne dein Herz«, hatte sein Vater immer gesagt. Wie sehr hatte er sich damals an Träumen, am Glauben, aber auch am Gesang und dem grünen Tee erfreuen können. Das glich schon Besessenheit.

Wie mag es dir, Scheich Ali al-Djunaidi, Herr der Lebenden, wohl ergehen? Aus dem Innern des Zimmers drang eine Stimme an sein Ohr, die letzten Worte eines Gebets. Said lächelte und trat mit seinen Büchern unter dem Arm ein.

Der Scheich, selbstvergessen vor sich hin murmelnd, saß mit gekreuzten Beinen auf dem Gebetsteppich. Es war noch genau das gleiche Zimmer und kaum verändert. Nur die Matten waren wohl als Dankeszeichen seiner Jünger erneuert worden. An der rechten Wand stand noch immer das harte, grobe Bett. Durch ein winziges Fenster drangen die Strahlen der Sonne ein und fielen auf seine Füße. An den anderen Wänden standen halbhohe Regale voller Buchbände. Schwer lag der Geruch von Weihrauch im Raum, als wäre hier seit mindestens zehn Jahren nicht gelüftet worden. Said legte sein Gepäck nieder und trat näher.

»Friede sei mit Ihnen, mein Herr und Gebieter.«

Der Scheich beendete murmelnd einen Satz und hob den Kopf. Sein Gesicht war schmal und ausgemergelt, aber voller Leben. Der weiße Bart umschloss es wie ein Heiligenschein. Auf dem Kopf trug er eine weiße Baumwollkappe, die tief in das silbernschimmernde Haar gedrückt war. Er sah ihn an. Sein Blick war der eines Achtzigjährigen, der das Jenseits schon sieht. Der Glanz seiner Augen aber hatte noch nichts von seiner Anziehungskraft, seiner Eindringlichkeit, seinem Zauber eingebüßt. Said konnte nicht anders, er stürzte auf ihn zu und küsste seine Hand. Zu sehr war hier alles mit Erinnerungen verbunden, die seinen Vater, all seine Hoffnungen und Träume aus weit zurückliegender Zeit heraufbeschworen.

»Und mit dir sei Friede und die Barmherzigkeit Allahs.«

Die Stimme aus alten Zeiten! Hörst du jetzt nicht auch den Vater? Said sah ihn vor sich, sah, wie er beim Sprechen die Lippen bewegte. Aber da war die Stimme schon wieder verstummt.

Wo aber waren die Schüler, wo die Freunde der nächtlichen Gebetsübungen?

Er setzte sich gleichfalls mit gekreuzten Beinen auf die Matte und sagte: »Ich setze mich gleich, ohne erst um Ihre Erlaubnis zu bitten, denn ich weiß noch, dass Sie es so lieber haben.«

Er spürte, dass der Scheich insgeheim lächelte, obwohl seine farblosen Lippen sich nicht bewegten. Wie gut du dich noch an alles erinnerst!

»Entschuldigen Sie bitte, aber ich habe keinen anderen Zufluchtsort auf der Welt als Ihr Haus.«

Der Scheich ließ den Kopf auf die Brust sinken und flüsterte kaum hörbar: »Du meinst die Mauern, aber nicht das Herz.«

Said stand auf. Es schien, als hätte er nicht verstanden. Dann aber antwortete er laut und betont sachlich: »Ich bin heute aus dem Gefängnis entlassen worden.«

Der Scheich schloss die Augen und wiederholte: »Aus dem Gefängnis.«

»Sie haben mich ja länger als zehn Jahre nicht gesehen, und da sind schon allerhand seltsame Dinge geschehen. Aber vielleicht haben Sie davon durch Ihre Jünger gehört, die mich kennen.«

»Da ich so viel höre, höre ich fast gar nichts.«

»Mir kommt es jedenfalls darauf an, Ihnen gegenüber nichts zu vertuschen. Deshalb wollte ich gleich deutlich sagen, dass ich heute aus dem Gefängnis entlassen worden bin.«

Der Alte öffnete die Augen und meinte zweifelnd: »Du bist nicht aus dem Gefängnis gekommen.«

Said lächelte.