Der erste Tropfen Blut - Stuart MacBride - E-Book
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Der erste Tropfen Blut E-Book

Stuart MacBride

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Beschreibung

Schottische Thrillerkunst vom Autor des Bestsellers „Blut und Knochen“

Im fahlen Licht eines Februarmorgens zeigt sich Aberdeen nicht gerade von seiner einladendsten Seite. Aber auf Detective Sergeant Logan McRae wartet Schlimmeres als ein kalter Tag, nämlich die Leiche eines Unbekannten, der vor der Notannahme des Krankenhauses abgeladen wurde. Als eindeutiges Filmmaterial mit dem jungen Mann auftaucht, weist alles auf einen Zusammenhang mit der Pornoszene hin. Während Logan der Spur nachgeht, versucht seine Kollegin Jackie Watson den Vergewaltiger zu fassen, der die Stadt unsicher macht ...

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Seitenzahl: 722

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Buch

Ein brutaler Vergewaltiger macht Aberdeen unsicher. Er hat bereits mehrere Frauen missbraucht und mit einem Messer schwer im Gesicht verletzt. Doch nun scheint er gefasst: Police Constable Jackie Watson hatte sich als Lockvogel zur Verfügung gestellt, wurde von einem Mann angegriffen, überwältigte ihn und nahm ihn fest. Die Sache hat allerdings einen Haken: Der Verdächtige ist der 21-jährige Fußballstar Robert Macintyre, der in Aberdeen geradezu vergöttert wird. Und er kann für die Tatzeit aller Vergewaltigungen Alibis vorweisen. Während Jackie versucht, ihn trotzdem zu überführen, kämpft ihr Kollege und Freund Detective Sergeant Logan McRae mit einem anderen Fall: Ein unbekannter Toter wurde vor der Notaufnahme eines Krankenhauses aus dem Auto geworfen – offensichtlich das Opfer eines Gewaltverbrechens. Und dann gibt es noch einen weiteren Mord, der Rätsel aufgibt, auch wenn man den Täter bereits kennt: Der achtjährige Sean hat einen alten Mann umgebracht und ist nun auf der Flucht. Was ihn allerdings zu der Tat trieb, liegt im Dunkeln. Für Logan und seine Kollegin werden die Ermittlungen in den drei Fällen zur größten Herausforderung ihrer Karriere …

Autor

Stuart MacBride hat bereits in einigen Berufen gearbeitet, bevor er sich dem Schreiben zuwandte. »Die dunklen Wasser von Aberdeen« war sein erster Roman mit dem Ermittler Logan McRae, der in England sofort für Furore sorgte und dem Autor Vergleiche mit Ian Rankin einbrachte. Er wurde als bestes Krimidebüt des Jahres mit dem Barry Award ausgezeichnet. Nach »Die Stunde des Mörders« liegt nun mit »Der erste Tropfen Blut« der dritte packende Krimi aus der Serie vor. Stuart MacBride lebt mit seiner Frau im Nordosten Schottlands, wo er derzeit an einem weiteren Roman mit Detective Sergeant Logan McRae arbeitet. Mehr Informationen zum Autor und seinen Büchern unter www.stuartmacbride.com

Von Stuart MacBride bereits erschienen:

Die dunklen Wasser von Aberdeen. Roman (46165)

Die Stunde des Mörders. Roman (46262)

Stuart MacBride

Der erste Tropfen

Blut

Roman

Aus dem Englischen

von Andreas Jäger

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Die Originalausgabe erschien 2007 unter dem Titel »Broken Skin« bei HarperCollinsPublishers, London.
Copyright © der Originalausgabe 2007 by Stuart MacBride Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2008 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München. Covergestaltung: Design Team München Coverfoto: Wolf Huber Redaktion: Eva Wagner AB · Herstellung: Str. Satz: omisatz GmbH, Berlin ISBN: 978-3-641-12240-9V002
www.goldmann-verlag.de

Für Fiona

(aller guten Dinge sind drei)

SEX

1

Unter einer Straßenlaterne bleibt die Frau stehen, balanciert auf einem Bein, um sich den Knöchel zu massieren, als wäre sie es nicht gewohnt, High Heels zu tragen. Nummer sieben: eine kleine Schnecke aus Torry auf dem Nachhauseweg nach einer Sauftour. In ihren Nuttenstiefelchen und ihrem Minirock stakst sie unsicher die Straße hinunter, dabei ist es Februar in Aberdeen. Sie sieht gar nicht übel aus. Lockiges braunes Haar. Süße kleine Stupsnase. Hübsche Beine; lang und sexy. Die Art von Beinen, die er gerne unter sich zappeln spürt, wenn er es der Schlampe besorgt. Wenn er ihr zeigt, wer der Boss ist.

Sie richtet sich wieder auf und geht schwankend weiter, murmelt mit benebeltem Hirn vor sich hin. Er mag es, wenn sie betrunken sind: nicht so zu, dass sie nicht mehr mitkriegen, was mit ihnen passiert, aber auch nicht nüchtern genug, um sich dagegen wehren zu können. Und um sich sein Gesicht einprägen zu können.

Dreckige Schlampen.

Sie torkelt am NorFish-Gebäude vorbei, wird für ein paar Sekunden von den Scheinwerfern eines Sattelschleppers erfasst, überquert den Verkehrskreisel und stolpert über das Kopfsteinpflaster der Victoria Bridge, die über den dunklen, stillen River Dee nach Torry führt. Er lässt sich ein wenig zurückfallen, gibt vor, sich den Schuh zuzubinden, bis sie fast auf der anderen Seite ist. Dieser Teil der Stadt liegt außerhalb seines üblichen Jagdreviers, und er muss auf der Hut sein. Muss sich vergewissern, dass er nicht beobachtet wird. Er lächelt: Die dunkle, graue Straße ist menschenleer – nur er und Nummer sieben. Eine Glückszahl.

Ein kurzer Trab und er ist wieder direkt hinter ihr. Er ist fit, gerät nicht einmal ins Schwitzen. Und wer wird schon auf einen harmlosen Jogger achten – einen Typ in einem FC-Aberdeen-Trainingsanzug mit Kapuze und schwarzen Nike-Turnschuhen?

An diesem späten Februarabend bietet Torry einen trostlosen Anblick – die Granitfassaden fast ganz schwarz vor Dreck, in den uringelben Schein der Straßenlaternen getaucht. Die Frau passt genau hierher: billige Klamotten, billige schwarze Lederjacke, billige Schuhe, billiges Parfum. Eine richtige Schnalle. Er lächelt und betastet das Messer in seiner Tasche. Es wird Zeit, der Schnalle seine »Spezialbehandlung« zu verpassen.

Sie wendet sich nach links, biegt von der langgezogenen Kurve der Victoria Street in eine der Seitenstraßen ein, dort, wo die ganzen Fischfabriken sind. Wahrscheinlich eine Abkürzung zu ihrem scheußlichen kleinen Einzimmerapartment, oder zu dem Haus, wo sie mit Mama und Papa wohnt. Er grinst – hoffentlich Letzteres, denkt er; sie kann froh sein, wenn sie jemanden hat, mit dem sie nachher ihren Schmerz teilen kann. Denn es wird immer noch reichlich für sie allein übrig bleiben.

Die Straße liegt verlassen; nur der hintere Teil eines leeren Sattelschleppers parkt gegenüber dem orientalischen Discounter. Ringsum nur Gewerbegebäude, alles still und dunkel, verriegelt und verrammelt. Niemand, der sie sehen und Hilfe holen könnte.

Die Frau – Nummer sieben – kommt an einem Container voll verbogenem Altmetall vorbei, und er beschleunigt seinen Schritt, schließt zu ihr auf. Ihre Absätze klackern auf dem kalten Beton des Gehsteigs, aber seine Nikes machen kein Geräusch. Vorbei an ein paar von diesen großen Plastikkübeln, die von weggeworfenen Fischköpfen und -gräten überquellen, mit verdreckten Holzpaletten obendrauf, um die Möwen abzuhalten. Noch ein bisschen näher.

Dann ist das Messer draußen; die andere Hand geht zum Schritt seiner Trainingshose, streichelt seine Erektion wie einen Glücksbringer, und er sieht alles klar und deutlich vor sich, wie Blutspritzer auf bleicher, weißer Haut.

Im letzten Moment dreht sie sich um, ihre Augen weiten sich, als sie zuerst ihn erblickt, dann das Messer – zu entsetzt, um zu schreien. Das wird ein Fest werden. Nummer sieben wird Dinge tun, die sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht hätte ausmalen können. Nicht in ihren finstersten Albträumen. Sie –

Ihr Arm schnellt vor und schlägt das Messer weg, während sie mit der anderen Hand seinen Jogginganzug packt und ihm das Knie mit solcher Wucht in den Unterleib rammt, dass er vom Boden abhebt.

Er stößt einen kleinen Quiekser aus, und sie verschließt ihm den Mund mit der Faust. Schwarze konzentrische Kreise wirbeln um einen glühenden gelben Strudel herum, und seine Knie knicken ein. Der Gehsteig, auf dem er landet, ist hart und kalt; er krümmt sich, hält sich die lädierten Hoden und heult wie ein kleines Kind.

»Ach du Scheiße …« DC Rennie beäugte den Mann, der da schluchzend auf dem mit fischigen Flecken übersäten Gehsteig lag. »Ich glaube, du hast ihm die Eier zerquetscht. Ich hab’s richtig knallen gehört.«

»Er wird’s überleben.« PC Jackie Watson zuckte mit den Achseln, während sie den Mann auf den Bauch drehte und ihm hinter dem Rücken Handschellen anlegte. Er stöhnte und wimmerte, und sie feixte. »Geschieht dir recht, du mieses Stück …« Sie blickte zu Rennie auf. »Guckt irgendjemand?« Er verneinte, worauf sie den Kerl in die Rippen trat. »Das ist für Christine, Laura, Gail, Sarah, Jennifer und Joanne.«

»Mein Gott, Jackie!« Rennie packte sie an der Schulter, ehe sie noch einmal zutreten konnte. »Was ist, wenn dich jemand sieht?«

»Du hast doch gesagt, es ist niemand da.«

»Schon, aber …«

»Also, wo ist das Problem?« Sie stand auf und starrte finster auf den schluchzenden Mann im FC-Aberdeen-Trainingsanzug hinunter. »Okay, Freundchen, hoch mit dir.«

Er rührte sich nicht. »Herrgott noch mal …« Sie packte ihn am Ohr und zerrte ihn hoch. »Rennie, kannst du schon mal …« Aber Rennie hing schon am Funkgerät und meldete der Leitstelle den erfolgreichen Abschluss der Operation Zuckerbrot: Sie hatten das Schwein geschnappt.

2

Das Aberdeen Royal Infirmary wucherte wie ein steinerner Tumor. Nach jahrelanger Remission hatte er wieder zu wachsen begonnen und infizierte die Umgebung mit neuen Flügeln aus Beton und Glas. Und jedes Mal, wenn Detective Sergeant Logan McRae das Krankenhaus sah, wurde ihm ganz flau im Magen.

Mit einem unterdrückten Gähnen zerdrückte er den dünnen Plastikbecher, aus dem er seinen Automatenkaffee getrunken hatte, und warf ihn in den Abfalleimer, ehe er die braune Doppeltür aufstieß und in den betäubenden Geruchscocktail aus Desinfektionsmitteln, Formalin und Tod eintauchte.

Die Leichenhalle des Krankenhauses war wesentlich größer als die drüben im Präsidium der Grampian Police – und um einiges lebendiger. Eine kleine Stereoanlage in der Ecke beschallte den großen, braunen Saal mit Dr. Hook’s Greatest Hits, und die Musik übertönte das Gurgeln des Wassers, das im Abfluss eines der Seziertische verschwand. Eine Frau mit grüner Plastikschürze, OP-Anzug und weißen Gummistiefeln verstaute zu den Klängen von When You’re in Love with a Beautiful Woman die Organe einer alten Dame wieder dort, wo sie hergekommen waren.

Logans unidentifizierte männliche Person lag auf dem Rücken auf einer Krankenhaus-Fahrtrage, die Augen mit Klebstreifen verschlossen, die Haut bleich wie Wachspapier. Sie hatten die ganzen Schläuche und Kabel von der OP für die unvermeidliche Obduktion im Körper stecken lassen – es sah aus, als hätten sie mittendrin aufgehört und ihn einfach vergessen. Mitte zwanzig, kurzes blondes Haar, dünn, aber muskulös, als hätte er jede freie Minute im Fitnessstudio verbracht. Unterleib und Beine waren rot verschmiert, und eine lange Reihe hastig ausgeführter Stiche zeigte, wo sie ihn wieder zusammengenäht hatten, nachdem der Chirurg schließlich die Niederlage eingestanden hatte. Tod gegen Staatlicher Gesundheitsdienst Grampian – Endstand 1:0.

Die Frau hielt im Stopfen der alten Dame inne, hob den Kopf und sah Logans Blick auf dem nackten Körper des Mannes ruhen. »Polizei?« Logan nickte, worauf sie ihre Maske abnahm. Krauses rotes Haar quoll unter ihrer OP-Haube hervor. »Hab ich mir schon gedacht. Wir haben ihn noch nicht eingesackt.« Das war ja wohl offensichtlich. Allerdings war die Hoffnung, dass man an der Leiche noch verwertbare Spuren finden würde, eher gering, nachdem sie nacheinander in der Notaufnahme, im Behandlungsraum und schließlich im OP kontaminiert worden war.

»Kein Problem«, sagte er. »Ich kann warten.«

»Okay.« Sie hob den Brustkorb der alten Dame von einem Edelstahl-Rolltisch und pfriemelte ihn wieder in seine Höhle. Dann machte sie sich ans Zunähen.

Logan sah ihr eine Weile dabei zu und fragte dann: »Wär’s vielleicht möglich, dass Sie mal einen kurzen Blick auf unseren unbekannten Toten hier werfen?«

Sie schnaubte. »Vergessen Sie’s! Haben Sie eine Ahnung, was Ihre Majestät die Hormonzicke mit mir anstellen würde, wenn sie dahinterkäme, dass irgendeine dahergelaufene Pathologieassistentin an der Leiche rumgefummelt hat, bevor sie sie in ihre eisigen Finger gekriegt hat?«

»Ich verlange ja keine komplette Obduktion von Ihnen, aber könnten Sie nicht, na ja …« – Achselzucken – »… mal einen Blick riskieren?« Er setzte sein gewinnendstes Lächeln auf. »Sonst müssen wir bis morgen Nachmittag warten. Je eher wir Bescheid wissen, desto schneller können wir den Kerl schnappen, der das getan hat. Kommen Sie, nur eine rasche äußere Untersuchung – kein Mensch wird davon erfahren.«

Sie schürzte die Lippen, runzelte die Stirn, seufzte und sagte dann: »Okay. Aber wehe, Sie erzählen irgendwem, dass ich das gemacht habe – dann landen Sie in einem von diesen verdammten Kühlfächern, verstanden?«

Logan grinste. »Meine Lippen sind versiegelt.«

»Na schön«, erwiderte sie. »Geben Sie mir noch eine Minute, dann bin ich hier fertig, und dann sehen wir, was sich machen lässt …« Zehn Minuten später war die alte Dame fertig zugenäht und lag wieder in ihrem Kühlfach. Die Pathologieassistentin zog ein frisches Paar Handschuhe an. »Was wissen wir über ihn?«

»Wurde vor dem Eingang der Notaufnahme aus einem Auto geschubst, eingewickelt in eine Decke.« Logan hielt die Plastiktüte voller blutbefleckter Textilien hoch, die sie ihm oben in die Hand gedrückt hatten. »Wir werden die Kleidung noch von der Spurensicherung unter die Lupe nehmen lassen, aber es könnte sich um einen Unfall mit Fahrerflucht handeln. Der Fahrer rennt auf dem Nachhauseweg irgendein armes Schwein über den Haufen, gerät in Panik, packt den Mann in den Kofferraum und lässt ihn vor dem Krankenhaus liegen.« Er sah zu, wie die Pathologieassistentin sich über den Toten beugte und das erkaltete Fleisch betastete, während sie im Takt der Musik halblaut »Unfall mit Fahrerflucht« murmelte.

»Wohl eher nicht.« Eine verirrte orangefarbene Locke wippte, als sie den Kopf schüttelte. »Sehen Sie mal …« Sie hakte den Zeigefinger in den Mundwinkel des Mannes und zog die Oberlippe hoch, um die Zähne freizulegen, zwischen denen noch der Beatmungsschlauch steckte. »Schneidezähne, Eckzähne und vordere Backenzähne sind abgesplittert, aber Nase und Kinn sind unversehrt. Ein Schlag oder ein Aufprall hätte Verletzungen an den Innenseiten der Lippen bewirkt. Er hat auf irgendwas gebissen …« Sie strich mit den Fingerspitzen über die Wange des Toten. »Sieht nach einer Art Knebel aus; man kann gerade so die Abdrücke auf der Haut erkennen.« Logan überlief es eiskalt.

»Sind Sie sicher?«

»Jep. Und der Körper ist mit winzigen Verbrennungen übersät. Sehen Sie?« Kleine, kreisförmige rote Flecken entzündeter Haut, manche mit gelblich verfärbten Blasen in der Mitte. O Gott.

»Was noch?«

»Hautabschürfungen, Blutergüsse … Ich würde sagen, jemand hat ihn ein bisschen in die Mangel genommen … Da sind noch weitere Male an den Handgelenken, als wäre er irgendwo festgebunden worden. Für ein Seil ist es zu dick. Ein Gürtel? So was in der Art.«

Das hatte Logan gerade noch gefehlt: schon wieder ein Toter, der gefesselt und gefoltert worden war. Er wollte gerade fragen, ob irgendwelche Fingerglieder fehlten, als sie ihm ein Paar Handschuhe reichte und ihn aufforderte, ihr beim Umdrehen der Leiche zu helfen. Alles war voll mit dunklem, verklebtem Blut, vom Kreuz bis hinunter zu den Fußgelenken.

Die Pathologieassistentin ließ den Blick langsam über die Haut des Toten wandern und fand dabei weitere Verbrennungen und Prellungen, die sie Logan zeigte. Mit einem klebrigen Klettverschluss-Ratschen hebelte sie sodann die Pobacken des Toten auseinander. »Oh, verdammt!« Sie trat zurück, blinzelte und nahm das Gesäß des Mannes noch einmal genauer in Augenschein. Dr. Hook stimmte gerade If I Said You Had a Beautiful Body Would You Hold It Against Me? an. »Wenn das ein Autounfall war, dann muss jemand versucht haben, mit einem Lieferwagen in seinemEnddarm einzuparken.« Sie richtete sich auf und streifte die Latexhandschuhe ab. »Und wenn Sie noch mehr wissen wollen, dann müssen Sie einen Rechtsmediziner fragen, weil ich ihn nämlich nicht aufschneiden werde, um es rauszufinden.«

Das Präsidium der Grampian Police war nicht das attraktivste Gebäude in Aberdeen: ein siebenstöckiger Block mit Querstreifen aus dunkelgrauem Beton und Glas – wie ein hässlicher Lakritzwürfel. Das fahlgelbe Licht der Straßenlaternen konnte den Gesamteindruck auch nicht retten.

Aus der Eingangshalle drang lautstarkes, empörtes Geschimpfe, also beschloss Logan, einen Bogen darum zu machen. Ein Blick durch die teilverglaste Tür genügte: Eine kräftige Frau mit grauen Haaren und einem Krückstock hielt dem dicken Gary vom Empfang eine Standpauke über die Schikanen, die Vorurteile und die schiere Dummheit der Polizei. »SIE SOLLTEN SICH ALLE WAS SCHÄMEN!«, brüllte sie aus voller Lunge. Logan nahm lieber gleich die Treppe.

In der Kantine war nicht viel los; kein Wunder, es war schließlich kurz nach Mitternacht. Nur das Klappern von Töpfen und Pfannen und das leise Gedudel eines Radios leisteten Logan Gesellschaft, als er allein an seinem Tisch saß, seine Tomatencremesuppe schlürfte und dabei nicht an das ramponierte Hinterteil des Toten in der Pathologie zu denken versuchte.

Er war gerade fertig, als eine vertraute Gestalt leise vor sich hin brummelnd an den Tresen trat und drei Tassen Kaffee bestellte, eine mit Spucke drin. PC Jackie Watson, nicht mehr aufgebrezelt wie eine Schnepfe für ihren Einsatz als Lockvogel für den Vergewaltiger, sondern wieder in ihrer schwarzen Uniform, das Haar vorschriftsmäßig zu einem Knoten gebunden. Sie wirkte nicht sonderlich glücklich. Er schlich sich von hinten an sie heran, während sie auf den Kaffee wartete, fasste sie um die Taille und machte »Buh!«.

Sie zuckte nicht einmal zusammen. »Ich hab dein Spiegelbild im Niesschutz gesehen.«

»Oh … Und, wie läuft’s so?«

Jackie starrte den kleinen alten Mann, der am Kaffeeautomaten herumwerkelte, über den Tresen hinweg an. »Wie lange dauert das denn, drei läppische Tassen Kaffee zu machen?«

»So gut, hm?«

Sie zuckte mit den Achseln. »Mann, ich wäre ja noch schneller als der, wenn ich erst nach Brasilien schwimmen müsste, um die Bohnen zu holen!«

Als die drei Tassen endlich kamen, begleitete Logan Jackie zurück zum Vernehmungsraum 4. »Halt mal kurz«, sagte sie und drückte ihm zwei der Pappbecher in die Hand. Sie zog den Plastikdeckel des dritten ab, zog geräuschvoll Rotz hoch und spuckte in die schäumende braune Flüssigkeit. Dann drückte sie den Deckel wieder drauf und schüttelte den Becher.

»Jackie! Das kannst du doch nicht …«

»Siehst du doch, dass ich kann.« Sie nahm die anderen Becher wieder an sich und stieß die Tür zum Vernehmungsraum auf. In dem kurzen Moment, bevor Jackie sie mit einem Hüftstoß wieder zuknallte, konnte Logan die massige Gestalt von DI Insch sehen. Er lehnte mit verschränkten Armen an der Wand, sein Gesicht war wie eine Gewitterfront.

Neugierig geworden, ging Logan eine Tür weiter zum Beobachtungsraum, einer winzigen, düsteren Kammer mit zwei Plastikstühlen, einem zerkratzten Tisch und einer Reihe von Videomonitoren. Auf einem der Stühle saß jemand und stocherte mit der Spitze eines abgekauten alten Kulis in seinem Ohr herum: DC Simon Rennie. Er zog den Stift heraus, begutachtete die Spitze und bohrte noch ein bisschen weiter.

»Wenn Sie nach einem Gehirn suchen, graben Sie am falschen Ende«, sagte Logan, während er sich zu ihm setzte.

Rennie grinste ihn an. »Und, was macht Ihr unbekannter Toter?«

»Nichts – er ist tot. Und euer Vergewaltiger?«

Rennie tippte mit dem Ohr-Ende seines Kulis auf den Monitor, vor dem er saß. »Erkennen Sie da irgendjemanden?«

Logan beugte sich vor und starrte auf das flimmernde Bild: Vernehmungsraum 4, Jackies Hinterkopf, ein zerkratzter Resopaltisch und der Beschuldigte. »Ach du Scheiße, ist das nicht …«

»Jep. Rob Macintyre. Auch ›Goldjunge‹ genannt.« Rennie lehnte sich seufzend auf seinem Stuhl zurück. »Sie wissen natürlich, was das bedeutet?«

»Aberdeen ist am Samstag chancenlos?«

»Genau, und das ausgerechnet gegen Falkirk. Das wird doch oberpeinlich, Mann.« Er vergrub das Gesicht in den Händen. »Falkirk!«

Robert Macintyre – der beste Stürmer seit Jahren in den Reihen des FC Aberdeen. »Was ist denn mit seinem Gesicht passiert?« Die Oberlippe des Mannes war geschwollen und aufgeplatzt.

»Jackie. Sie hat außerdem noch Playtex-Zauberkreuz mit seinen Eiern gespielt – ›der hebt und teilt‹ …« Sie saßen eine Weile schweigend da und sahen zu, wie der Mann auf dem Bildschirm nervös auf seinem Stuhl herumrutschte und ab und zu einen Schluck von Jackies Latte Spucchiato nahm. Sein Äußeres war wenig beeindruckend – einundzwanzig Jahre alt, abstehende Ohren, fliehendes Kinn, dunkle Stachelfrisur, eine einzige Augenbraue, die sich quer über sein hageres Gesicht zog – aber der kleine Scheißer düste wie ein Wirbelwind über den Platz und traf von der Mittellinie ins Tor.

»Hat er die Hosen runtergelassen? Seine Sünden gebeichtet?«

Rennie schnaubte verächtlich. »Nee. Und raten Sie mal, wen wir für ihn anrufen sollten? Seine Mami. Die stand auch sofort hier auf der Matte und hat ein Mordstheater gemacht. Wie ein Rottweiler auf Anabolika. ’ne echte Torry-Schlampe.«

Logan drehte den Ton auf. Aber da war nichts zu hören. Wahrscheinlich probierte DI Insch es wieder mal mit seiner patentierten Schweigenummer: Man dehne die Gesprächspause so lange aus, bis der Beschuldigte es nicht mehr aushält und irgendetwas sagt, nur um sie zu beenden. Die Technik basierte auf der Erkenntnis, dass die meisten Menschen in Stresssituationen einfach nicht in der Lage sind, die Klappe zu halten. Aber Macintyre war da anders. Ihn schien das alles völlig kalt zu lassen. Alles bis auf seine zerquetschten Keimdrüsen.

Sie konnten DI Insch nicht sehen, doch nun dröhnte seine Stimme aus den knackenden Lautsprechern. »Eine Chance gebe ich Ihnen noch, Rob: Erzählen Sie uns alles über die Vergewaltigungen, sonst nageln wir Sie an die Wand. Die Entscheidung liegt bei Ihnen. Wenn Sie reden, wird das bei den Geschworenen einen guten Eindruck machen. Zeigen Sie Reue, und Sie kriegen vielleicht eine mildere Strafe. Wenn nicht, werden sie denken, dass Sie bloß ein mieser kleiner Drecksack sind, der sich an jungen Frauen vergeht und es verdient, für den Rest seines Lebens weggesperrt zu werden.« Wieder eine seiner patentierten Pausen.

»Jetzt hören Sie mal«, sagte Macintyre schließlich. Er rückte auf seinem Stuhl vor, zuckte zusammen und lehnte sich gleich wieder zurück, eine Hand unter dem Tisch verborgen. »Ich sag’s Ihnen noch mal, und zwar ganz langsam, damit Sie’s auch kapieren.« Er stand noch nicht lange genug im Rampenlicht, um seinen Aberdeener Akzent abgelegt zu haben – alle Vokale dunkel und gedehnt. »Ich war bloß ’ne Runde joggen. Um mich für das Spiel am Samstag fit zu halten. Ich hab niemand vergewaltigt.«

»Sie hatten ein Messer …«, setzte Jackie an, doch Insch fuhr ihr über den Mund. Seine hünenhafte Gestalt verdunkelte den Bildschirm und schob sich vor Macintyre, beide Fäuste auf die Tischplatte gestützt. Das Deckenlicht spiegelte sich in seiner Glatze.

»Doch, das haben Sie, Rob … Sie sind den Frauen gefolgt, Sie haben sich auf sie gestürzt, haben sie verprügelt und vergewaltigt, ihnen das Gesicht zerschnitten …«

»Das war ich nicht!«

»Sie haben sich Trophäen mitgenommen, Sie Trottel. Halsketten, Ohrringe, sogar einen Slip! Wir werden die Sachen finden, wenn wir Ihr Haus durchsuchen.«

»Ich hab nichts gemacht, okay? Wann kriegen Sie das endlich in Ihren dicken Quadratschädel? ICH HAB NIEMAND VERGEWALTIGT!«

»Glauben Sie im Ernst, dass Sie damit durchkommen? Wir brauchen Ihr Geständnis nicht, wir haben genug Beweise …«

»Wissen Sie was? Mir reicht’s jetzt, ich hab kein’ Bock mehr, der Polizei zu helfen. Ich will meinen Anwalt sprechen.«

»Das haben wir doch alles schon durchgekaut: Sie kriegen Ihren Anwalt, wenn ich es sage, nicht eher.«

»Ach ja? Na, dann können Sie gleich noch mehr Kaffee bringen lassen – dürfte nämlich ’ne lange Nacht werden. Ich sag jedenfalls kein Wort mehr.«

Und daran hielt er sich auch.

3

Für die erste Ausgabe des Aberdeener Lokalblatts Press and Journal war Rob Macintyres Verhaftung zu spät gekommen, aber im Schottlandteil der Morgennachrichten des Fernsehens wurde darüber berichtet. Eine mürrisch dreinschauende Reporterin stand im Dunkeln vor dem Pittodrie-Stadion und sprach mit einem kleinen Häuflein fröstelnder Fans, befragte sie nach ihrer Meinung zu den Vergewaltigungsvorwürfen gegen ihren Stürmerstar. Wie die BBC so schnell von der Sache Wind bekommen hatte, war Logan ein Rätsel.

Die Anhänger des AFC, die allesamt das knallrote Trikot ihres Vereins trugen, hielten felsenfest zu ihrem Helden: Macintyre war ein guter Junge, würde so etwas niemals tun; da versuchte jemand, ihm was anzuhängen; der Verein brauchte ihn … Und dann ging es weiter mit einem Hausbrand in Dundee. Logan saß gähnend im Wohnzimmer, trank Tee und hörte einem verwachsenen Männlein von der Tayside Police zu, das dem Reporter erklärte, wie wichtig es sei, die Batterien der Rauchmelder regelmäßig zu überprüfen. Dann der Verkehrslagebericht, das Wetter – und zurück ins Londoner Studio. Die Nachrichten eines ganzen Landes, abgehandelt in acht Minuten.

Die Obduktion seines unidentifizierten Freundes von gestern Abend war erst für zehn Uhr angesetzt – also in fast drei Stunden –, aber Logan hatte noch eine ganze Wagenladung Papierkram abzuarbeiten.

Er trank seinen Tee aus und ging sich anziehen.

Das Leichenschauhaus des Präsidiums strahlte in antiseptischem Glanz. Die weißen Wand- und Bodenfliesen funkelten, die Seziertische aus blitzendem Edelstahl standen unter polierten Abzugshauben, makellos saubere Arbeitsflächen säumten die Wände. Logan schlüpfte in den vorgeschriebenen weißen Schutzanzug mit Haube und blauen Plastiküberschuhen, bevor er die Tür zum sterilen Bereich aufstieß. Der Ehrengast lag schon parat, flach auf dem Rücken in seiner ganzen käsigen, blutbefleckten Herrlichkeit, während ein Fotograf vom Erkennungsdienst klickend und blitzend um ihn herumwuselte und alles für die Nachwelt festhielt. Ein Spurensicherungsbeamter war unterdessen damit beschäftigt, mithilfe von Klebeband möglichst viele Faserspuren sicherzustellen. Ein grotesker Zeitlupentanz, zu dem der Blitz die Discolightshow lieferte.

Doc Fraser stand über einen der anderen Seziertische gebeugt und las die P&J, die er auf der Edelstahlfläche ausgebreitet hatte. Er blickte auf, sah Logan hereinkommen und fragte ihn nach einem Wort mit sieben Buchstaben und einem S am Anfang.

»Keine Ahnung. Wer hat die Leitung?«

Der Rechtsmediziner seufzte und kaute auf seinem Stift herum. »Keine Ahnung; ich mache heute nur den Stellvertreter. Die Staatsanwältin ist hier irgendwo in der Nähe, fragen Sie die doch. Mir erzählt ja keiner was.«

Logan kannte das Gefühl nur zu gut.

Er fand die Staatsanwältin im Abschiedsraum, wo sie auf und ab ging und Selbstgespräche zu führen schien; doch dann entdeckte Logan das kleine Bluetooth-Headset an ihrem Ohr. »Nein«, sagte sie, während sie mit einem Palmtop herumhantierte, »wir müssen sicherstellen, dass der Fall wasserdicht ist. Ich habe keine Lust, lästige Fragen zu beantworten, während ich am Strand liege und Cocktails schlürfe. Also, was ist denn nun mit diesen Einbrüchen in Bridge of Don? …« Er beschloss, sie nicht zu stören.

Es dauerte nicht lange, bis die Antwort auf seine Frage in den Sektionssaal geschlurft kam, am Schritt ihres Spusi-Overalls herumnestelte und sich die Lunge aus dem Leib hustete. DI Steel, die leitende Ermittlungsbeamtin. Eine eins fünfundsiebzig große, nicht mehr ganz taufrische, faltenübersäte wandelnde Katastrophe, die nach kaltem Zigarettenrauch und Chanel Nr. 5 roch. »Laz!«, rief sie grinsend, kaum dass sie Logan entdeckt hatte. »Ist der nicht noch ’n bisschen frisch für Sie? Ich dachte, Sie haben Ihre Leichen lieber leicht abgehangen?«

Logan ging nicht auf die Provokation ein. »Er wurde gestern Abend halb verblutet vor der Notaufnahme gefunden. Keine Zeugen. Mit seinem Hinterteil ist irgendetwas Furchtbares passiert.«

»Ach nee?« Die DI zog eine Braue hoch. »Furchtbar im medizinischen Sinn oder furchtbar im Sinn von ›Ich habe nackt staubgesaugt und bin auf eine Statue von Queen Victoria gefallen‹?«

»Queen Victoria.«

Steel nickte weise. »Alles klar – hab mich schon gefragt, wieso sie mir den Fall übertragen haben. Also, können wir loslegen? Ich platze, wenn ich nicht bald eine rauchen darf.«

Doc Fraser blickte von seinem Kreuzworträtsel auf, nahm den Stift aus dem Mund und stellte Steel die gleiche Frage wie Logan. Die DI legte den Kopf schief, dachte eine Weile mit gerunzelter Stirn nach und sagte dann: »Sodomie?«

»Nee, es muss ein A drin sein. Wir warten noch auf Dr. MacAlister.«

DI Steel nickte erneut. »Ah, dann wird’s also wieder eine von diesen Obduktionen.« Sie seufzte. »Also dann, Laz – erzählen Sie mir alles, was Sie darüber wissen.« Und so referierte Logan die Zeugenaussagen, die er am Abend zuvor aufgenommen hatte, während das Opfer im OP gewesen war, sowie den Inhalt der Unterlagen, die das Krankenhaus ihnen geschickt hatte. »Was ist mit der Videoüberwachung?«, fragte sie, als er geendet hatte.

»Nichts, was wir gebrauchen könnten. Die Kennzeichen des Wagens sind unlesbar – vermutlich mit irgendwas abgedeckt –, der Fahrer trug ein Kapuzenshirt und eine Baseballkappe.«

»Ah, Gangster-Chic. Haben wir die Automarke?«

»Ein ziemlich verdreckter Volvo Kombi.«

Steel produzierte mit den Lippen ein langgezogenes, ordinäres Geräusch. »Das war’s dann wohl mit dem ›einfachen Fall‹. Na ja, vielleicht kann Madame Tod uns ja was sagen, vorausgesetzt, sie taucht irgendwann noch auf!« Zehn Minuten später drohte Steel schon damit, Why Are We Waiting? zu singen.

Um zwanzig nach zehn endlich schob sich Dr. Isobel MacAlister schwerfällig und mit leicht geröteten Wangen durch die Tür des Leichenschauhauses. Sie ignorierte DI Steel, die sie mit spöttischem Applaus und dem Ruf »Wal in Sicht!« begrüßte. Beim Anlegen ihrer Montur brauchte sie Hilfe, und die grüne Plastikschürze spannte sich straff über ihrem gewaltigen Bauch.

»Okay«, sagte sie und schaltete ihr Diktaphon ein, »wir haben es mit einem unidentifizierten männlichen Leichnam zu tun, Alter Mitte bis Ende zwanzig …«

Es war ein merkwürdiges Gefühl, einer hochschwangeren Rechtsmedizinerin bei der Arbeit zuzusehen. Und es wurde noch merkwürdiger, wenn Logan daran dachte, dass das Wesen, das da in ihrer Gebärmutter heranwuchs, sein Sprößling hätte sein können – wenn es anders gelaufen wäre. Aber das war es nun mal nicht. Und so empfand er keinen Vaterstolz, als er Isobel dabei zusah, wie sie wieder einmal eine Leiche aufschlitzte, sondern eine seltsame Mischung aus Bedauern und Erleichterung. Dazu gesellte sich noch Übelkeit, als sie ihren Assistenten anwies, den Urogenitalblock des Leichnams für sie herauszuwuchten.

Hinterher versammelten sie sich bei Tee und Keksen im Büro der Rechtsmedizin. Isobel saß an ihrem Schreibtisch und klagte über die Hitze, und das, obwohl draußen der Februar seine übliche Nummer abzog und Eisregen gegen die Fensterscheiben schleuderte.

»Sieht aus, als wäre ein ziemlich großer Gegenstand wiederholt mit Gewalt eingeführt worden«, sagte sie und konsultierte ihre Aufzeichnungen. »Durchmesser zehn bis zwölf Zentimeter, Länge mindestens fünfunddreißig Zentimeter. Der Schließmuskel weist umfangreiche Verletzungen auf, und der Enddarm ist an vier Stellen eingerissen. Er hat zu viel Blut verloren, der Blutdruck sackte ab, es kam zum Herzstillstand. Der Tod trat infolge eines massiven Schocks ein. Die Ärzte hätten nichts tun können, um ihn zu retten.« Sie rutschte auf ihrem Stuhl vor und mühte sich vergeblich, näher an den Schreibtisch heranzukommen – ihr Bauch war einfach im Weg. »Einige der Brandmale am Rumpf sind mit einer Wachskruste überzogen; daneben wurde er auch ein halbes Dutzend Mal mit einer glühenden Zigarette verbrannt. Die Prellungen und Quetschungen sind größtenteils oberflächlich.«

DI Steel nahm sich einen Jaffa-Keks und nuschelte mit vollem Mund: »Was ist mit den Fesselmalen?«

»Sieht nach dicken Lederriemen mit Metallschnallen aus. Die Ränder sind stark wundgescheuert – ich vermute, dass er sich ziemlich heftig gewehrt hat.«

Steel schnaubte so heftig, dass die Krümel spritzten. »Na, ist ja wohl kein Wunder, oder? Würden Sie auch machen, wenn Ihnen jemand den Arsch umkrempelt.«

Damit erntete sie einen vernichtenden Blick und einige Sekunden eisiges Schweigen. »Ich werde die Resultate der toxikologischen Blutuntersuchung abwarten müssen«, fuhr Isobel schließlich fort, »aber ich habe im Magen eine beträchtliche Menge Alkohol gefunden, und dazu teilweise verdaute Tabletten.«

»Der Täter hat ihn also zuerst mit Schnaps und Pillen zugedröhnt, um ihn dann zu fesseln und es ihm mit einem Gummistiefel anal zu besorgen, bis er tot war. Und da heißt es immer, es gäbe keine Romantik mehr.«

Isobels finsterer Blick wurde noch fünf Grad kälter. »Noch irgendwelche verblüffenden Erkenntnisse, die Sie mit uns teilen möchten, Inspector?« Steel sah sie nur grinsend an und verputzte noch einen Keks. Nachdem die Staatsanwältin bestätigt hatte, dass der Fall als Mord zu behandeln sei, erzählte sie ihnen von ihrem bevorstehenden Urlaub auf den Seychellen. Während sie Cocktails schlürfend in der Sonne läge, würde ihre Stellvertreterin die Amtsgeschäfte übernehmen, aber sie sollten dem Mädel bitte nicht zu arg zusetzen, sonst würde es Ärger geben, wenn sie zurück wäre. Dabei sah sie speziell DI Steel an. Steel tat so, als wüsste sie nicht, wovon die Staatsanwältin redete.

»Verdammter Mist!«, fluchte Steel, als sie die Treppe vom Leichenschauhaus zum Parkplatz hinaufeilten und durch die knöcheltiefen Pfützen auf den Hintereingang des Präsidiums zupatschten. »Wieso können die nicht die innere Tür aufschließen, wenn es draußen pisst wie aus Eimern?« Es gab nur eine direkte Verbindung zwischen dem Hauptgebäude und dem Leichenschauhaus, aber die war für Angehörige von Verstorbenen und den Polizeipräsidenten reserviert. Das Fußvolk musste notgedrungen den Elementen trotzen.

Steel schüttelte sich wie ein Terrier und fuhr sich mit der Hand durch das widerspenstige Haar, dass das Wasser nur so auf das Linoleum spritzte. Sie war dreiundvierzig, sah aber aus wie fünfundsechzig – spitzes, runzliges Gesicht; Kinnlappen wie ein Truthahn; Haare, mit denen man alte Damen erschrecken konnte; die Finger zu einem bezaubernden Nikotingelb verfärbt. »Na los«, sagte sie und steuerte die Aufzüge an, »Sie können schon mal Tee holen, während ich eine rauche. Und besorgen Sie auch ein paar Schinkenbrötchen – ich hab einen Bärenhunger. Diese verdammte Obduktion hat sich ja endlos hingezogen.«

Logan schob sich mit dem Hintern voran in Steels Büro, zwei Becher Tee und zwei in Alufolie eingewickelte Sandwiches auf einem Aktendeckel balancierend. Seine Vorgesetzte stand mit dem Rücken zur Tür und starrte aus dem offenen Fenster, während der herbe Benson-&-Hedges-Qualm von der Zigarette in ihrer hohlen Hand in den verregneten Himmel aufstieg. Das Rauchverbot am Arbeitsplatz interessierte sie nicht die Bohne. »Wissen Sie«, sagte sie, als Logan die Tür schloss und die Erfrischungen servierte, »… o danke … Ich frag mich manchmal, wieso kriegt dieser Fettsack Insch eigentlich immer die großen Fälle? Die ganzen aufsehenerregenden Sachen, wie zum Beispiel jetzt diese Serienvergewaltigergeschichte?« Sie wickelte ihr Sandwich aus der Alufolie und redete weiter, während sie gleichzeitig aß und rauchte. »Und dann sehe ich diesen Mist da und denke nur: Na, Gott sei Dank.«

Logan trat zu ihr ans Fenster. Mehrere Ü-Wagen von Rundfunk und Fernsehen standen kreuz und quer auf dem Parkplatz vor dem Gebäude herum. Eine Schar von Kameraleuten und Reportern drängte sich im wolkenbruchartigen Regen unter einem Wald von Regenschirmen, und ab und zu erhellte ein Blitzlicht den nassen Asphalt und die Granitmauern. »Rob Macintyre.«

»Aye. Robby Bobby ›Goldjunge‹ Macintyre. Konnte Insch sich denn nicht irgendwen als seinen Vergewaltiger ausgucken, der kein Lokalheld ist?« Sie biss ein gewaltiges Stück von ihrem Sandwich ab, und ein Schwall Weißmehl rieselte auf ihre anthrazitgraue Bluse hinunter. »Ich sag Ihnen, damit beschwört er bloß die nächste PR-Katastrophe herauf. Der kleine Drecksack lässt doch seinen Presseagenten schon Überstunden machen, damit alle möglichen Leute der Welt versichern, was für ein fantastischer Typ er ist, und dass er niemals so was Schlimmes tun würde, wie sieben Frauen mit dem Messer zu bedrohen und zu vergewaltigen …« Sie sog noch ein letztes Mal an ihrer Zigarette und schnippte den Stummel hinaus in den Schüttregen. Logan war sich nicht sicher, aber es sah zumindest so aus, als ob sie auf den Mann von Sky News zielte. Die Entfernung war allerdings zu groß, um zu erkennen, ob die Kippe ihr Ziel fand oder nicht.

Steel biss noch ein Stück ab und kaute nachdenklich. »Wir haben einen netten kleinen spannenden Mord, und Insch hat wieder mal die Arschkarte.« Sie zuckte mit den Achseln. »Tja, besser er als wir, was?«

»Ich lasse die Presseabteilung einen Stapel ›Kennen Sie diesen Mann‹-Poster von unserer Leiche machen«, sagte Logan. »Und ich habe auch den Bericht der Kriminaltechnik zu den Klamotten.«

Eine ausgedehnte Pause. Und dann: »Also, wollen Sie mir jetzt vielleicht mal erzählen, was da drinsteht, zum Henker – sehen Sie nicht, dass ich zu tun habe?« Sie machte es sich wieder an ihrem unaufgeräumten Schreibtisch bequem, legte die Füße hoch, zündete sich die nächste Zigarette an und blies eine lange Rauchfahne zur Decke empor.

»Sicher.« Logan schlug die Akte auf und blätterte vor, bis er zu den Schlussfolgerungen kam. »Bla, bla, bla … da haben wir’s: Sie glauben, dass das Blut an den Kleidern und an der Decke von ein und derselben Person stammt – die Blutgruppe stimmt überein, aber das mobile DNS-Dings ist kaputt, also mussten sie Proben nach Dundee schicken, um alle Zweifel auszuschließen. Sie sind sich aber ziemlich sicher, dass es alles seins ist.«

»Diese Schlaumeier.« Sie verdrehte die Augen. »Erzählen Sie uns vielleicht auch irgendwas, was wir noch nicht wissen?«

»Sie haben Faserspuren von der Decke gesichert, in die er eingewickelt war … damit könnten sie einen Abgleich machen, wenn wir einen Verdächtigen haben, aber …«

»Aber das hilft uns herzlich wenig weiter bei der Frage, wer der Typ eigentlich ist.«

»Was allerdings ganz interessant ist, ist die Liste der Kleidungsstücke.« Logan übergab ihr den Bericht. Steel schürzte die Lippen, las die entsprechende Stelle und las sie dann noch einmal.

»Na, nun mal raus mit der Sprache, Sherlock«, forderte sie ihn nach dem dritten Durchgang auf, »verblüffen Sie mich mit Ihrer brillanten Kombinationsgabe!«

»Hose, Sweatshirt und Decke. Keine Socken, keine Unterwäsche, keine Jacke. Keine persönlichen Gegenstände – keine Schlüssel, kein Kleingeld, nicht mal ein benutztes Taschentuch. Er war nackt, und irgendjemand hat ihn in aller Eile angezogen, seine Taschen geleert, ihn ins Auto gepackt und …«

»Herrgott noch mal!« Steel warf ihm den Bericht über den Schreibtisch zurück. »Natürlich war er nackt, was denn sonst – Sie würden ja wohl kaum jemanden fesseln und ihm einen Dildo in den Arsch rammen, bis er tot ist, ohne ihm vorher die Klamotten auszuziehen, oder?«

»Oh. Na ja, wohl eher nicht …«

Sie sah eine Weile zu, wie er sich wand, und grinste dann. »Sehen Sie, und genau deshalb zahlen sie mir die fette Kohle.«

»Also jedenfalls« – er spürte, wie ihm die Röte in die Wangen kroch – »hat der Täter ihn vermutlich in die Decke gewickelt, um Flecken auf den Autositzen zu vermeiden, aber das Ding war völlig durchnässt. Der Rücksitz muss mit Blut getränkt sein.«

»Was uns einen Scheißdreck nützt, solange wir das Auto nicht gefunden haben. Fragen Sie in der Kriminaltechnik nach, ob die irgendwas mit dem Nummernschild auf dem Überwachungsfilm anfangen können. Und organisieren Sie eine Einsatzbesprechung: zwei Dutzend Uniformierte, ein paar Kripoleute, wie immer eben. Und wir werden ein HOLMES-Büro brauchen und eine Soko-Zentrale und …« Sie runzelte die Stirn. »Hab ich noch irgendwas vergessen?«

Logan seufzte – wie üblich würde die ganze Arbeit an ihm hängen bleiben. »Die Presseerklärung.«

»Bingo!« Sie strahlte. »Die Presseerklärung. Und wenn Sie schon dabei sind, sehen Sie doch mal zu, ob wir ein bisschen Sendezeit in den Nachrichten kriegen können – sie könnten das Foto des Opfers einblenden, und ich könnte das Mädel anquatschen, das die Wettervorhersage moderiert …« Steel starrte einen Moment lang selig ins Leere, ehe sie sich mit einem Ruck ins Hier und Jetzt zurückriss. »Ich muss ein paar Anrufe erledigen.« Sie machte eine flatternde Handbewegung. »Na los, husch, husch, raus mit Ihnen, Bewegung, dalli, dalli. Verpissen Sie sich.«

Logan nahm seinen halb ausgetrunkenen Teebecher und tat, wie ihm geheißen.

4

Fünfzehn Uhr neunundzwanzig – der Parkplatz am Fuß des Brimmond Hill. Alpha neun-sechs kam mit knirschenden Reifen und hektisch wedelnden Scheibenwischern zwischen zwei riesigen, mit Regenwasser gefüllten Schlaglöchern zum Stehen. Über dem dunklen, triefnassen Dickicht aus Stechginster, Heidekraut und Farn verlor sich die Kuppe des Hügels in den tief hängenden Wolken. Der Fahrer zog die Handbremse. »Und, was meinst du?«

»Stein, Schere, Papier?«

»Okay … eins, zwei, drei … Mist.« Ein verdrießlicher Blick hinaus in den strömenden Regen. »Wer zuerst zwei Mal …?«

»Nix da.«

»Okay, okay … verdammte Kacke …« Er stieß die Tür einen Spalt breit auf und ließ das Rauschen des Regens herein, das sofort das unablässige Hintergrundgeschnatter des Funkgeräts übertönte. Er schlüpfte in seine wasserdichte Jacke, schlug den Kragen hoch, zog sich die Mütze tief über die Ohren und sprang fluchend aus dem Wagen, um zwischen den Pfützen hindurch auf das ausgebrannte Wrack auf der anderen Seite des Parkplatzes zuzusprinten.

Das Seitenfenster des Streifenwagens wurde halb heruntergelassen, und der Constable auf dem Beifahrersitz rief: »Und?«

Grummelnd schaltete der Fahrer seine Taschenlampe ein und spähte in die geschwärzte Karosserie. Es war nicht mehr viel zu sehen: die skelettierten Überreste der Sitze, die Drahtgestelle mit grauen und schwarzen Ascheklumpen verklebt; das Armaturenbrett nur noch ein verformtes Stück Metall, die Reifen geschmolzen und zu einer unförmigen Gummimasse erstarrt. Alle Scheiben waren geborsten. Trotzdem ließ er den Lichtstrahl noch einmal durch den Innenraum schweifen, um ganz sicherzugehen. Was immer da drin gewesen sein mochte, es war längst nichts mehr davon übrig. »Nichts. Bloß ein klappriger alter Volvo, den niemand mehr haben will.«

Steel stand wieder am Fenster ihres Büros und blickte hinunter auf die Versammlung von Journalisten und Fernsehkameras tief unten auf dem Parkplatz, als Logan von seiner Erledigungsrunde zurückkam. »Die Einsatzbesprechung ist um vier«, meldete er und ließ sich auf den abgewetzten Besuchersessel sinken. »Sie haben sechzehn Uniformierte, fünf Kripobeamte und etwa acht Bürokräfte zur Verfügung. Und ich habe den Erkennungsdienst eine gute Porträtaufnahme von der Leiche machen lassen, mit offenen Augen – sie werden das Bild am Computer noch ein bisschen bearbeiten, damit er nicht ganz so tot aussieht.« Logan gähnte, aber Steel schien es nicht zu registrieren; sie steckte sich nur eine neue Zigarette an und blies den Rauch hinaus in den Regen. »Die Presseerklärung wird so gegen …« – er konsultierte seine Notizen – »siebzehn Uhr fertig sein, aber sie haben gemeint, dass sie den Fall wohl nicht mehr in den Abendnachrichten unterbringen können. Nicht bei dem ganzen Rummel um Rob Macintyre.«

Sie nickte. »Ist wohl nicht genug Platz in der Glotze für zwei Storys aus Aberdeen, wie? ’ne Schande ist das …« Ein Seufzer. »Ich hätte dieser blonden Wetterfee doch zu gern gezeigt, was ich unter ›stürmisch und feucht‹ verstehe … Na, egal – aber der Zirkus da unten muss ja irgendwas zu bedeuten haben. Gehen wir runter und schauen ein bisschen zu? Wenn wir Glück haben, kriegen wir mit, wie dieser brummige Fettsack Insch irgendwem eine verpasst.«

Das feuchte Wetter dämpfte den Enthusiasmus der Medienvertreter ein wenig. Sie standen mit eingezogenen Köpfen unter ihren Regenschirmen und zielten mit Kameras, Mikrofonen und Digitalrekordern auf den Eingang des Gerichtsgebäudes. Endlich ging die Tür auf, und ein selbstgefällig wirkender Widerling trat hinaus in den Regen und in ein Sperrfeuer von Fragen. Sandy Moir-Farquharson, Strafverteidiger der Extraklasse – groß, elegant gekleidet, mit angegrautem Haar, leicht schiefer Nase und einem Junioranwalt als Schirmhalter. Rob Macintyre ging beschwingten Schritts an seiner Seite und grinste über beide Ohren – trotz der geschwollenen Lippe, die er Jackie zu verdanken hatte. Er trug einen sehr teuer aussehenden anthrazitfarbenen Anzug, und der rubinrote Ohrstecker – sein Markenzeichen – funkelte im Scheinwerferlicht. Das Detail hatte er dreist von anderen, berühmteren Fußballern der englischen Ligen abgekupfert, aber immerhin war Macintyres Stein rot – die Farbe seines Vereins, des FC Aberdeen. Die Dritte im Bunde hielt sich ein wenig im Hintergrund: eine kräftige, grauhaarige Frau – dieselbe, die am Abend zuvor den dicken Gary angekeift hatte. Jetzt hatte sie ein triumphierendes, selbstzufriedenes Lächeln auf den Lippen.

Logan stand da unter seinem Schirm, den er aus dem Fundbüro hatte mitgehen lassen, und verzog angewidert das Gesicht. »Das sieht nicht gut aus.«

DI Steel schnaubte, die Arme vor der Brust verschränkt, die Miene verbissen. »Wie immer, wenn dieser schleimige Widerling die Finger im Spiel hat.«

Der Anwalt hob die Arme, und die Journalistenschar verstummte. »Es ist mir eine Freude, Ihnen mitteilen zu können, dass der Richter meinem Mandanten Mr. Macintyre die Gelegenheit eingeräumt hat, sich vor Gericht gegen diese lächerlichen Anschuldigungen zur Wehr zu setzen.«

»Wunderbar.« Steel wühlte in ihren Taschen und fischte eine Schachtel Zigaretten heraus. »Wir erheben Anklage gegen das kleine Arschloch, und er tut so, als wäre das alles auf ihrem Mist gewachsen!«

»Wir werden«, fuhr der Anwalt fort, »Mr. Macintyres Unschuld absolut zweifelsfrei beweisen, und die Grampian Police wird gezwungen sein, ihre verabscheuenswürdige Rufmordkampagne ein für alle Mal einzustellen. Wir können nur vermuten, dass irgendjemand da oben« – er deutete auf den hoch aufragenden schwarz-weißen Klotz des Polizeipräsidiums – »ganz entschieden etwas dagegen hat, dass Aberdeen schottischer Meister wird!« Damit erntete er tatsächlich einen Lacher. Und dann gingen die Fragen los – allesamt pariert von Sandy Moir-Farquharson, ehe sein Mandant auch nur den Mund aufmachen konnte. »Werden Sie diesen Samstag gegen Falkirk spielen?« – »Was sagt Ihre Verlobte zu der ganzen Sache?« – »Stimmt es, dass Sie ein Angebot von Manchester United haben?« Nur eine Journalistin fragte, ob Macintyre nicht früher schon einmal mit dem Vorwurf der Vergewaltigung konfrontiert worden sei, doch Sandy ignorierte sie und beantwortete stattdessen eine wesentlich pflegeleichtere Frage über Macintyres Heiratspläne. Die Einzige, die etwas davon mitbekommen zu haben schien, war Macintyres Mutter. Den Rest der Pressekonferenz verbrachte sie damit, böse Blicke in Richtung der Frau abzufeuern, die es gewagt hatte, die Vergangenheit ihres Sohnes aufs Tapet zu bringen.

Der Anwalt ließ noch ein paar weitere Fragen zu, ehe er den grinsenden Macintyre samt seiner Frau Mama zu einem wartenden BMW geleitete. Sie entschwanden in einem Blitzlichtgewitter. DI Steel zog ausgiebig die Nase hoch und spuckte dann in den Regen. »Dieser schleimige alte Drecksack. Und wir haben vorhin schon gedacht, Insch wäre mies drauf. Nach der Vorführung da muss er ja kurz vor dem Schlaganfall stehen.« Sie hielt ein Feuerzeug an ihre Zigarette, und der Rauch sammelte sich unter dem Schirm. »Wenn man vom Teufel spricht …«

Insch kam gerade aus dem Gerichtsgebäude und stapfte die Queen Street hinunter, das Gesicht zu einer hässlichen Grimasse verzerrt, in der Hand einen riesigen Golfschirm, der dennoch kaum ausreichte, um seine überbordende Leibesfülle vor dem Regen zu schützen. Jemand trat vor ihn hin – ein dünner Mann mit Bart und Brille, der wütend mit den Armen fuchtelte. Der Inspector hielt einen Moment inne, dann packte er den Mann am Arm und bugsierte ihn durch den Haupteingang ins Präsidium. Logan schnappte ein paar Satzfetzen auf – »Er ist es gewesen, oder nicht? Wieso zum Teufel lassen Sie ihn laufen? Was fällt Ihnen eigentlich ein …« –, bevor die Türen wieder zufielen.

Steel blieb noch draußen, um ihre Kippe fertigzurauchen, während Logan sich ins Trockene rettete, um sich zu vergewissern, dass alles für die Einsatzbesprechung vorbereitet war. Er hielt den Kopf gesenkt, als er an Insch und dem wütenden Mann vorbeikam – er hatte keine Lust, in den Streit hineingezogen zu werden. Und er ignorierte den Inspector, als der versprach, dass sie Macintyre für sehr, sehr lange Zeit hinter Gitter bringen würden.

Punkt sechzehn Uhr. Der Besprechungsraum war voll mit Männern und Frauen in Uniform, dazu eine Handvoll Detective Constables in Anzügen sowie ein übergewichtiger Detective Sergeant, der Cheese-and-Onion-Chips futterte. Von DI Steel war immer noch weit und breit nichts zu sehen, also übernahm Logan den Anwesenheitsappell. Und dann die Einführung. Und die Hintergrundinformationen. Er wollte gerade mit dem Abspielen des Überwachungsfilms beginnen, als sie endlich aufkreuzte, mit dem stellvertretenden Polizeipräsidenten im Schlepptau. Logan gab sich Mühe, nicht so angenervt auszusehen, wie er sich fühlte, und bat einen der Kripobeamten, das Licht auszuschalten. »Also«, sagte er und drückte die Abspieltaste, nachdem Steel und der Stellvertretende ihre Plätze gefunden hatten, »diese Aufnahmen stammen von gestern Abend, zwölf Minuten nach zehn.«

Das Flimmern auf dem Großbildschirm hinter seinem Rücken wich nach einem kurzen Moment einer Aufnahme des Eingangs zur Notaufnahme. Ein Krankenwagen stand vor der Tür, alle Lichter aus, niemand zu Hause. Plötzlich tauchte ein schäbiger alter Volvo Kombi auf und kam stotternd zum Stehen, mit einem Rad auf dem Bordstein. Der Fahrer war nur ein verschwommener Fleck hinter dem Steuer. Der Fleck schnallte sich ab, stieß die Tür auf und sprang aus dem Wagen. Logan drückte die Pausetaste, das Bild erstarrte. »Blue Jeans, schwarze Turnschuhe, graues Kapuzenshirt, dunkelgrüne Baseballkappe.« Das Gesicht war nicht zu erkennen, verborgen im Schatten des Mützenschirms.

»Das Kennzeichen des Wagens wurde absichtlich unkenntlich gemacht, wahrscheinlich mit Isolierband, sodass wir nur die Marke und das Modell kennen. Ich habe alle Streifen angewiesen, nach einem blauen oder grünen Volvo Kombi Ausschau zu halten; die Details finden Sie in Ihren Infomappen.« Er hielt inne und sah in die Runde, wobei er darauf achtete, möglichst mit jedem Einzelnen Blickkontakt aufzunehmen. »Der Rücksitz muss mit Blut getränkt sein, also wird der Täter versuchen, den Wagen entweder zu verstecken oder ihn irgendwie loszuwerden. Wir müssen ihn finden, bevor ihm das gelingt.«

Er ließ den Film weiterlaufen. Der Typ mit der Kapuze rannte um den Wagen herum und riss die hintere Tür auf der Beifahrerseite auf. Er zerrte den sterbenden Mann vom Rücksitz, sprang rasch wieder hinters Steuer und gab Gas.

»Das da«, sagte Logan, während der Bildschirm sich vorübergehend mit Schnee und weißen Linien füllte, »ist die Kamera an der Sicherheitsschranke.« Der Schnee löste sich auf, und man konnte eine leuchtend orange gestrichene Kabine erkennen, in der ein alter Mann in Uniform saß und Zeitung las. Er blickte auf, lächelte und winkte, als der Volvo vor der Schranke abbremste. Der Fahrer drehte das Fenster herunter und schob das Ticket in den Schlitz. Kurze Pause, dann hob sich die Schranke, der Volvo fuhr davon, und der Wachmann wandte sich wieder seiner Zeitung zu.

»Wir haben also einen Zeugen. Hinten in Ihrer Infomappe finden Sie ein E-Fit.« Logan schaltete den Videorekorder aus und den Projektor ein. Hinter ihm tauchte ein am Computer erstelltes Phantombild auf: rundes Gesicht, Brille, großer Schnauzbart, sauber gestutztes Kinnbärtchen. »Laut Aussage des Pförtners hat der Verdächtige einen irischen Akzent …« Eine uniformierte Beamtin reckte die Hand hoch. »Ja?«

»Nord- oder südirisch?«

»Er sagt, der Mann hätte geklungen wie dieser beschränkte Priester in Father Ted – also südirisch. Unser Verdächtiger war so ruhig, dass er sogar noch mit dem Wachmann ein paar Worte über das Wetter wechseln konnte, obwohl er gerade erst einen verblutenden jungen Mann vor der Notaufnahme abgeladen hatte.«

Logan drückte auf den Knopf, und das Phantombild verschwand, ersetzt durch ein Autopsiefoto vom Gesicht des Toten. »Das ist unser Opfer. Und das hat der Mörder ihm angetan …« Klick – und alle Zuschauer wanden sich auf ihren Stühlen.

Logan beendete die Einsatzbesprechung mit der Zusammenstellung der Teams und der Verteilung der Aufträge, worauf DI Steel sich schwerfällig erhob und verkündete, dass der stellvertretende Polizeipräsident noch etwas sagen wolle. »Nun«, begann dieser und rang sich ein freundliches Lächeln ab, »wie Sie alle wissen, ist die Gesundheit unserer Beamten uns ein äußerst wichtiges Anliegen …«

Als dann endlich alle das Feld geräumt hatten, kam Steel nach vorne, ließ sich auf einen Stuhl plumpsen, legte den Kopf in den Nacken und starrte stöhnend auf die flackernden Neonröhren an der Decke. »Mein Gott, der Mann kostet einen echt Nerven.«

»Ich musste ohne Sie anfangen.«

Steel nickte. »Hab ich gemerkt. Gute Arbeit, wirklich. Absolute Spitze. Ich wäre ja pünktlich gewesen, aber der Stellvertretende hat sich vor den Damenklos rumgetrieben. Dieser Perversling. Ich musste ihm verraten, was bei uns gerade ansteht.« Sie ließ eine Hand unter der Jacke verschwinden und fummelte in ihrer Achselhöhle herum. »Besorgt um die Gesundheit ihrer Beamten … wenn die glauben, dass ich an ihrem bescheuerten ›Fit wie ein Turnschuh‹-Programm teilnehme, haben sie sich aber gewaltig geschnitten.«

Logan war fast mit Aufräumen fertig. »Womit wollen Sie anfangen?«

Steel sah auf ihre Uhr, dachte kurz nach und antwortete dann: »Mit einem großen Glas Weißwein. Und einer Portion Pommes. Und ein paar Fluppen. Ist sowieso fast Feierabend.«

»Aber …«

»Jetzt hören Sie mir mal zu: Die Zeitungen werden morgen das Foto des Opfers und das Phantombild des Mörders bringen. Die Zahnarztpraxen dürften inzwischen alle geschlossen sein, deshalb muss der Zahnstatusabgleich auch noch warten. Wir werden das Opfer heute nicht mehr identifizieren. Das Einzige, was noch zu tun bleibt, ist die Einrichtung des Soko-Büros, und die kann einer von den Verwaltungsfuzzis übernehmen. Sie und ich, wir gehen jetzt einen trinken.«

»Aber …«

»Das ist ein Befehl, Sergeant.«

»Jawohl, Ma’am.«

Das Archibald Simpson’s war einmal eine Bank gewesen, bevor es in ein Pub umgewandelt worden war. Ein riesiger Prachtbau aus Granit am östlichen Ende der Union Street, mit korinthischen Säulen, Portikus, reich verzierten Stuckdecken, Kronleuchtern, einer Einrichtung aus dunklem Holz und glänzendem Messing – und billigem Bier. Außerdem war es gleich um die Ecke vom Präsidium und daher eine beliebte Anlaufstelle für Polizisten nach einem harten Tag im strömenden Regen.

Steel ließ Logan die erste Runde holen und steuerte gleich ihren Stammplatz an, in einer Ecke der ehemaligen Kassenhalle, direkt unter dem Fernseher. Ein großer Weißwein, zwei Portionen Pommes und ein großes Stella Artois. Eigentlich wäre er viel lieber nach Hause gegangen und hätte ein bisschen Schlaf nachgeholt, aber wenn er nicht mitspielte, würde Steel schmollen und ihm bei der Ermittlung die ganzen unangenehmen Jobs aufs Auge drücken. Also blieb er und redete mit ihr über die Arbeit, hörte sich geduldig an, wie sie über ihre anderen Fälle jammerte, wie etwa den toten Stadtstreicher, den sie im Duthie Park gefunden hatten – natürliche Todesursache, aber keine Sau wusste, wer der Kerl war – oder die Serie von Einbrüchen in Tillydrone, Bridge of Don und Rosemount. Und der Mann, der auf der Guild Street sein Unterstübchen entblößte. Als die Pommes kamen, klagte sie gerade über ihre Freundin Susan, die ihr immer in den Ohren lag, dass sie sich eine Katze anschaffen sollten, dabei wusste Steel genau, dass das nur eine Vorübung für ein Baby war, und sie war einfach noch nicht bereit, sich so endgültig zu binden.

Sie holten sich noch etwas zu trinken, während nach und nach die Tagschicht mit quatschenden Sohlen eintrudelte. Langsam, aber sicher füllte sich das Lokal mit Polizistinnen und Polizisten, die ihren Dienstschluss begießen wollten. Logan kannte die meisten beim Namen – nun ja, mit Ausnahme von einigen der jüngeren –, aber nur eine hatte er je nackt gesehen: PC Jackie Watson, die jetzt mit einem Bier, einer Tüte Chips mit Tomatengeschmack und finsterer Miene auf ihren Tisch zumarschierte.

Sie ließ sich neben Logan auf die Bank plumpsen und reichte die Chipstüte herum. »Mann, was für ein Scheißtag!«

»Selber hallo.« Logan grinste sie an – die zwei Pints auf fast leeren Magen taten schon ihre Wirkung. »Wir haben Sandy die Schlange vor dem Gericht gesehen.«

Jackies Miene wurde noch finsterer. »Dieser Mistkerl. Wieso muss es eigentlich bei jedem Fall, bei dem er die Finger drin hat, eine Pressekonferenz auf der Treppe vor dem Präsidium geben? Kennst du sonst noch irgendwen, der das macht?«

Logan zuckte mit den Achseln. »Er ist nun mal mediengeil.«

»Aye«, pflichtete Steel ihm bei und trank ihr Glas aus, »aber dass wir hinterher immer die Dummen sind, find ich entschieden ungeil. Auch noch einen?« Sie nahm ihre Bestellungen auf und stapfte los in Richtung Theke. Logan und Jackie blieben allein zurück.

»Der Kerl besitzt doch tatsächlich die Frechheit zu behaupten, ich hätte seinen Mandanten, dieses Vergewaltigerschwein, attackiert, als er mit Handschellen gefesselt am Boden lag – kannst du dir das vorstellen?« Sie funkelte ihn an. »Und es kommt noch dicker – sie behaupten, er wäre bloß eine Runde joggen gewesen. Wollte mich angeblich nur ›nach dem Weg fragen‹.« Sie zeichnete sogar mit den Fingern sarkastische Gänsefüßchen in die Luft. »Und das mit einem Messer in der Tasche. Ist das denn zu fassen?«

Logan war klug genug, nichts zu erwidern. Er nickte nur stumm und ließ sie schimpfen und wettern. »Und dann die verfluchten Medien! Tun doch allen Ernstes so, als wäre seine Unschuld schon erwiesen! Die Schweine. Und der Suchtrupp – diese Nulpen brauchen ja einen Lageplan, um ihren eigenen Arsch zu finden. Haben Macintyres Haus von oben bis unten abgesucht und keine einzige Trophäe gefunden – keine Slips, keinen Schmuck, nichts. Nicht ein verdammtes Stück!« Es ging noch weiter, aber Logan schaltete allmählich auf Durchzug. Jackie musste einfach nur ein bisschen Dampf ablassen, sich den Frust von der Seele reden.

Sie war immer noch in Fahrt, als DI Steel mit drei Gläsern in der Hand zu ihnen zurückgewackelt kam. Sie knallte sie klirrend auf den Tisch und erklärte mit bedauerndem Achselzucken: »Ich hab vergessen, wer was wollte, also hab ich einfach Whisky genommen.«

Und dann steuerten sie alle langsam, aber sicher auf einen ganz gewaltigen Rausch zu.

5

Die Einsatzbesprechung am Mittwochmorgen um halb acht war um einiges qualvoller als die vom Dienstag, aber immerhin durfte sich Logan diesmal auf die letzte Bank lümmeln, während DI Steel vorne verkatert und missgestimmt die Tagesplanung durchging. Zum Abschluss ließ sie das Team wie üblich im Chor brüllen: »Mist bauen? Wir wissen gar nicht, wie das geht!« Logan glaubte, sein Kopf müsse platzen.

Drei Tassen Kaffee später fühlte er sich schon nicht mehr ganz so todsterbenskrank; allerdings pochte sein Schädel immer noch gewaltig, und er langweilte sich entsetzlich. In der Soko-Zentrale herrschte geschäftiges Treiben. Alle waren ganz aufgeregt und wild entschlossen, den Fall so schnell wie möglich zu knacken. Die Wände waren mit Karten und Pinnwänden und Autopsiefotos gepflastert. Alle Zeitungen waren voll von Spekulationen über Rob Macintyre, aber Steels unbekannte Leiche hatte es trotzdem auf die Titelseite der P&J geschafft. Sie hatten das retuschierte Foto aus dem Leichenschauhaus abgedruckt, dazu das Phantombild des Täters und einen Artikel, der irgendwie den Eindruck erweckte, als sei die Grampian Police an allem schuld.

Was wiederum kein Wunder war, wenn man bedachte, wer der Verfasser war: Colin Miller, der Starreporter der Press and Journal. Er hegte seinen Groll wie ein zartes Pflänzchen.

Seufzend faltete Logan die Zeitung zusammen und warf sie in den Papierkorb. Das Echo war bislang eher bescheiden – nur rund ein Dutzend Anrufer, die behaupteten, zu wissen, wer der Tote war. Den Täter hatte bis jetzt niemand erkannt. Aber das würde sich alles ändern, wenn die Pressekonferenz in den Mittagsnachrichten übertragen wurde; danach würden sie sich vor Anrufen kaum retten können. Appelle an die Bevölkerung im Fernsehen riefen regelmäßig scharenweise Spinner auf den Plan. Trotzdem – man konnte nie wissen …

»He, Laz!«

Logan hob den Kopf und erblickte einen dürren Mann in Uniform mit einem gewaltigen Wyatt-Earp-Schnauzbart. Sergeant Eric Mitchell schielte über den Rand seiner Brille hinweg und grinste wie ein Idiot. »Ist Ihre ›Freundin‹ in der Nähe?«

Logan runzelte misstrauisch die Stirn. »Welche?«

»Watson natürlich, Sie Schwachkopf. Ist sie da?«

»Sie hat Spätschicht – kommt heute erst um zwei.«

»Aye, dann wollen Sie ihr vielleicht ausrichten, dass sie sich krankmelden soll …« Er warf Logan eine zusammengerollte Daily Mail in den Schoß, zwinkerte ihm zu und schlenderte davon, fröhlich vor sich hin pfeifend.

Aber ehe Logan nachfragen konnte, was eigentlich los war, knallte ihm DI Steel einen Packen Akten vor die Nase. »Dieses verdammte Teil bringt mich noch um«, stöhnte sie und nestelte an ihrem BH-Träger herum. »Schnappen Sie sich ein paar Uniformierte, und lassen Sie sie das da durchgehen. Wollen doch mal sehen, ob wir nicht in unserer Liste von zwielichtigen Gestalten einen finden, dessen Visage zu unserem Phantombild passt. Und danach können Sie den Zahnstatus-Leuten Beine machen.« Sie ließ von dem BH-Träger ab und begann stattdessen am Bügel herumzufummeln. »Und wenn Sie schon dabei sind …«

»Ach, wissen Sie«, fiel Logan ihr ins Wort, »ich dachte mir, ich könnte vielleicht mal losziehen und ein paar von diesen angeblichen Identifizierungen unseres Opfers nachgehen. Ein bisschen Einsatzbereitschaft zeigen – hebt die Moral der Truppe.« Und es hätte den zusätzlichen Vorteil, dass es ihn außer Reichweite von DI Steel bringen und so verhindern würde, dass sie sich noch mehr miese Jobs für ihn ausdachte.

Steel überlegte einen Moment, wobei sie den Kopf schieflegte und einen Punkt auf Logans Stirn fixierte, als wollte sie seine Gedanken lesen. »Okay«, sagte sie schließlich, »aber Sie können …« Sie drehte sich langsam um die eigene Achse und deutete auf einen Constable, der in der Ecke stand und etwas an die Weißwandtafel kritzelte. »… ja, Sie können Rickards mitnehmen. Tut dem armen Kerl sicher gut, mal ein bisschen was von der großen weiten Welt zu sehen. Vielleicht hört er dann endlich mit seinem ewigen Gejammer auf. Er ist …«

»Inspector?« Es war einer der Teamassistenten, und er schwenkte einen Stapel Papier.

»O Gott«, stöhnte Steel. »Übernehmen Sie doch mal eben für mich«, flüsterte sie Logan zu, »ich brauch ganz dringend eine Fluppe.« Dann wandte sie sich zu dem Teamassistenten um und ließ ihn wissen, dass sie eine dringende Besprechung mit dem stellvertretenden Polizeipräsidenten habe; DS McRae würde sich schon um alles kümmern. Und schon war sie verschwunden.

Mit einem Seufzer ließ Logan sich den Stapel Papier in die Hand drücken.

Er unterschrieb für einen Wagen aus dem Kripofuhrpark – einen der vielen klapprigen Vauxhalls, aus denen sich die Flotte der Grampian Police zusammensetzte – und ließ Constable Rickards fahren, um selbst auf dem Beifahrersitz ein bisschen dösen zu können. Immerhin fühlte er sich inzwischen schon ein wenig besser. Nach dem Whisky waren sie zu Wodka übergegangen, und dann hatte so ein komischer kleiner Kerl Jackie anzuquatschen versucht, und sie hatten sich alle köstlich über ihn amüsiert, und dann hatten sie noch mehr Bier in sich reingeschüttet, und dann Tequila, und dann … dann wurde alles ein bisschen verschwommen, und irgendwann hatten sie vor der Dönerbude in der Belmont Street gestanden. Und als sie endlich wieder zu Hause waren, schlief Jackie auf dem Klo ein.

Logan fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, unterdrückte ein Gähnen – er wurde allmählich zu alt für so was …