Der Erwerb der Pluralmorphologie im Deutschen - Franziska Wilhelm - E-Book

Der Erwerb der Pluralmorphologie im Deutschen E-Book

Franziska Wilhelm

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Beschreibung

Magisterarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Pädagogik - Heilpädagogik, Sonderpädagogik, Note: 1,7, Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg (-), Veranstaltung: -, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Arbeit gliedert sich in drei große Teile, die jeweils weitgehend in sich geschlossen sind, aber logisch aufeinander aufbauen. Der erste Teil legt einige theoretische Grundlagen. Er beschreibt den unauffällig verlaufenden kindlichen Grammatikerwerb (Kapitel II). Nach einer kurzen Darstellung der aktuellen Diskussion um den Spracherwerb im Allgemeinen folgen verschiedenen Spracherwerbstheorien, die versuchen den kindlichen Grammatikerwerb zu erklären. Neben dem interaktionistischen, kognitiven und nativistischen Ansatz wird besonders der kognitiv-linguistische Erklärungsansatz von CLAHSEN näher dargestellt, da er die Grundlage für das im Weiteren beschriebene Modell der fünf Entwicklungsphasen des Grammatikerwerbs von CLAHSEN (1986) bildet. Der zweite Teil stellt die Pluralbildung im Deutschen dar (Kapitel III). Auch hier werden zunächst einige theoretische Grundlagen geschaffen. In diesem Kapitel werden zunächst die Pluralmarkierungen am Nomen näher beschrieben und die vorhandenen Regelmäßigkeiten, welche durch SZAGUN (2006) zusammengestellt worden sind, erläutert. Des Weiteren wird auf den Erwerb des Plurals am Nomen näher eingegangen. Dabei orientiert sich die Arbeit an MAC WHINNEY (1976) und beinhaltet verschiedene Lernprozesse (Auswendiglernen, Generalisierung durch Rahmenbildung, Generalisierung durch Analogiebildung und die Regelkonstruktion). In einem nächsten Schritt werden die einzelnen Modelle, die zur mentalen Repräsentation der Flexionsprozesse entwickelt worden sind, in dieser Arbeit der Pluralflexion, diskutiert. Dabei werden unitäre Modelle, die allein auf konnektionistischen Mechanismen bzw. allein auf Regelstrukturen basieren, näher erläutert. Weiterhin wird das dualistische Modell beschrieben, das das mentale Lexikon als ein in zwei qualitativ verschiedene Bereiche untergliedertes System darstellt. Der eine Bereich wird somit als assoziatives Netzwerk dargestellt, während der andere auf ein sehr effektives Regelsystem mit morphophonologischen Regeln zurückgreift. In einem nächsten Kapitel in diesem Abschnitt wird noch einmal der spezielle Status des –s Plurals hervorgehoben und in einem eigenen Kapitel näher erläutert. Wie eingangs beschrieben lassen sich schon bei den jüngsten Kindern Pluralmarkierungen finden, doch kommt es immer wieder zu Fehlbildungen, welchen im nächsten Kapitel Beachtung geschenkt wird. Zuletzt werden neben den Pluralmarkierungen an existierenden Wörtern auch die Pluralmarkierungen an Kunstwörtern beschrieben.

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Inhaltsverzeichnis
I Einleitung
II Der kindliche Grammatikerwerb
1 Die Diskussion um den Sprach- bzw. Grammatikerwerb
2 Theorien zum Grammatikerwerb.
2.1 „Inside-Out“-Theorien.
Nativistischer Ansatz/ Generative Sprachtheorie
2.2 „Outside-In“-Theorien.
2.2.1 Kognitiver Ansatz.
2.2.2 Funktionalistische Gesamtkonzeptionen
2.2.3 Interaktionistischer Ansatz
2.3 Der kognitiv-linguistische Ansatz nach CLAHSEN
3 Das Modell der 5 Entwicklungsphasen nach CLAHSEN
3.1 Phase I: Vorläufer zur Syntax.
3.2 Phase II: Erwerb des syntaktischen Prinzips
3.3 Phase III: Vorläufer der einzelsprachlichen Grammatik
3.4 Phase IV: Erwerb einzelsprachlicher syntaktischer Besonderheiten.
3.5 Phase V: Komplexe Sätze
III Pluralbildung im Deutschen
1 Das deutsche Pluralsystem
1.1 Pluralmarkierung am Nomen.
1.2 Der Erwerb des Plurals am Nomen
2 Theorien.
2.1 Unitäre Modelle.
2.1.1 Symbolorientierter Ansatz: Ebenenmodell KIPARSKY
2.1.2 Konnektionistischer Ansatz.
2.2 Das dualistische Modell (Dual Mechanism Modell)
3 Zur -s Pluralbildung
4 Fehler in der Regelbildung
5 Pluralmarkierungen an Kunstwörtern.
6 Hypothesen
IV Empirischer Teil
1 Methodisches Vorgehen
1.1 Verwendete Verfahren.
1.1.2 Sprachentwicklungstest für drei- bis fünfjährige Kinder (SETK 3-5)
1.2 Probanden
2 Datenerhebung.
2.1 Datenaufnahme.
2.2 Transkription
2.3 Ergebnisse.
3 Dateninterpretation/Diskussion
3.1 Hypothese I.
3.2 Hypothese II
3.3 Hypothese III
4 Fazit - Zusammenfassung der Analysebefunde, Ausblick.

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_____________________________________________________________I Einleitung

I Einleitung

Lya, 4;0 Jahre alt, malt an ihren Baum „zwei Blätters“, Larissa, 4;8 Jahre alt spricht von „lauter Pflasters“ die die Schlange im Spiel an ihrem Körper hat. Auch Florian ist der Meinung, dass aus einem „Vogel“ zwei „Vögels“ werden. Wären nicht auch diese Pluralbildungen möglich? Warum gibt es im Deutschen so viele - genau acht Möglichkeiten, den Plural zu bilden? Wie beherrscht ein Erwachsener das Phänomen, z.B. bei Wörtern, die er noch nie gehört hat? Wie lernt ein Kind die Prinzipien der Erwachsenengrammatik? Fragen über Fragen. Die Pluralbildung ist einerseits ein kleines überschaubares grammatisches Phänomen, jeder Schüler beherrscht sie, andererseits sind die Regeln äußerst kompliziert. Wie gelangt man zu diesen Regeln? Als ein Beitrag zu dieser Diskussion soll die Untersuchung eines Teilbereiches des mentalen Lexikons dienen, welches sowohl morphologische als auch phonologische Prozesse umfasst. Gegenstand der vorliegenden experimentell angelegten Untersuchung ist die Pluralflexion im Spracherwerb des Deutschen bei normalsprachlichen Kindern. Die Arbeit gliedert sich in drei große Teile, die jeweils weitgehend in sich geschlossen sind, aber logisch aufeinander aufbauen. Der erste Teil legt einige theoretische Grundlagen. Er beschreibt den unauffällig verlaufenden kindlichen Grammatikerwerb (Kapitel II). Nach einer kurzen Darstellung der aktuellen Diskussion um den Spracherwerb im Allgemeinen folgen verschiedenen Spracherwerbstheorien, die versuchen den kindlichen Grammatikerwerb zu erklären. Neben dem interaktionistischen, kognitiven und nativistischen Ansatz wird besonders der kognitivlinguistische Erklärungsansatz von CLAHSEN näher dargestellt, da er die Grundlage für das im Weiteren beschriebene Modell der fünf Entwicklungsphasen des Grammatikerwerbs von CLAHSEN (1986) bildet.

Der zweite Teil stellt die Pluralbildung im Deutschen dar (Kapitel III). Auch hier werden zunächst einige theoretische Grundlagen geschaffen. In diesem Kapitel werden zunächst die Pluralmarkierungen am Nomen näher beschrieben und die vorhandenen Regelmäßigkeiten, welche durch SZAGUN (2006) zusammengestellt worden sind, erläutert. Des Weiteren wird auf den Erwerb des Plurals am Nomen näher eingegangen. Dabei orientiert sich die Arbeit an MAC WHINNEY (1976) und beinhaltet verschiedene

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_____________________________________________________________I Einleitung

Lernprozesse (Auswendiglernen, Generalisierung durch Rahmenbildung,

Generalisierung durch Analogiebildung und die Regelkonstruktion). In einem nächsten Schritt werden die einzelnen Modelle, die zur mentalen Repräsentation der Flexionsprozesse entwickelt worden sind, in dieser Arbeit der Pluralflexion, diskutiert. Dabei werden unitäre Modelle, die allein auf konnektionistischen Mechanismen bzw. allein auf Regelstrukturen basieren, näher erläutert. Weiterhin wird das dualistische Modell beschrieben, das das mentale Lexikon als ein in zwei qualitativ verschiedene Bereiche untergliedertes System darstellt. Der eine Bereich wird somit als assoziatives Netzwerk dargestellt, während der andere auf ein sehr effektives Regelsystem mit morphophonologischen Regeln zurückgreift. In einem nächsten Kapitel in diesem Abschnitt wird noch einmal der spezielle Status des -s Plurals hervorgehoben und in einem eigenen Kapitel näher erläutert. Wie eingangs beschrieben lassen sich schon bei den jüngsten Kindern Pluralmarkierungen finden, doch kommt es immer wieder zu Fehlbildungen, welchen im nächsten Kapitel Beachtung geschenkt wird. Zuletzt werden neben den Pluralmarkierungen an existierenden Wörtern auch die Pluralmarkierungen an Kunstwörtern beschrieben.

Beide Teile stellen die theoretische Grundlage für den dritten großen Teil (Kapitel IV) dar, der die Hypothesen anhand der vorgelegten Ergebnisse bestätigt oder falsifiziert. Die Pluralmorphologie des Deutschen bietet die Möglichkeit zu untersuchen, inwieweit ein dualistisch angelegtes Modell zur Beschreibung des Spracherwerbs herangezogen werden kann und inwieweit der-sPlural dabei den Defaultstatus übernimmt. Außerdem sollen die eventuellen Schwierigkeiten bei der Pluralbildung bei Kindern im Alter von vier Jahren beschrieben werden und Überlegungen angestellt werden, wie man herausfinden kann, wann Kinder die Regelmäßigkeiten sicher erworben haben. Kapitel IV bildet eine Zusammenführung der beiden Theorieteile (Kapitel II und Kapitel III) und beinhaltet die Ergebnisse der von der Autorin durchgeführten empirischen Untersuchung, welche im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg durchgeführt worden sind. Es werden kurz das methodische Vorgehen und die Datenerhebung beschrieben. Der Schwerpunkt liegt aber

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auf der Diskussion der Daten und der Zusammenfassung der Analysebefunde (Kapitel IV.3 und IV.4), die Aufschluss über die gestellten Hypothesen geben sollen.

II Der kindliche Grammatikerwerb

1 Die Diskussion um den Sprach- bzw. Grammatikerwerb

Um den kindlichen Spracherwerb zu erklären, innerhalb dessen Rahmen der Grammatikerwerb stattfindet, wurden unterschiedliche Spracherwerbstheorien entwickelt, jedoch sind die „Prinzipien des Syntaxerwerbs in der frühen Kindheit […] umstritten geblieben“ (CLAHSEN, 1990, 9). Es lässt sich also nur schwer eine einzig wahr überprüfte Theorie für diesen komplexen Sachverhalt finden, sodass ein Nebeneinander sehr unterschiedlicher Ansätze zur Erklärung des Spracherwerbs bestehen. Vier Grundüberzeugungen lassen sich jedoch bei allen Annahmen über den Spracherwerb herausfiltern:

(1) Die Sprache ist humanspezifisch und hat eine biologische Basis. (2) Das Kind ist für den Spracherwerbsprozess vorbereitet. (3) Ohne eine sprachliche Umwelt wäre der Erwerbsprozess nicht möglich. (4) Die inneren Voraussetzungen des Kindes und die äußeren Faktoren müssen im Sinne einer gelungenen Passung zusammenwirken. (GRIMM/WEINERT, 2008, 537)

Die einzelnen Theorien zur Erklärung des Spracherwerbs setzen bei der unter Punkt (4) genannten „gelungenen Passung“ ganz unterschiedlich an, je nachdem welcher genannte Faktor wie gewichtet wird. Es geht um die Frage, was das Kind zum Spracherwerb mitbringen muss und was eventuell seine Umwelt leisten kann, damit das Kind die Sprache lernt. Sie unterscheiden sich darin, ob und in welcher Form das Kind über angeborene sprachspezifische Voraussetzungen verfügt, welche erwerbsrelevanten Informationsverarbeitungsfähigkeiten es besitzt und welche Rolle die sprachliche Umwelt spielt.

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2 Theorien zum Grammatikerwerb

Die Theoriediskussion in der Spracherwerbsforschung wird durch unterschiedliche Konzeptionen wesentlich bestimmt.

Hirsh-Pasek und GOLINKHOFF (1996, 16) ordnen die bestehenden Theorien in zwei große Theoriefamilien, „defined broadly by their commitment to what the child brings to the task, the processes used to acquire language, and the input considered central for acquisition“: die „Inside-Out“-Theorien und die „Outside-In“-Theorien, die in der Literatur oft aufgegriffen werden (z.B. in GRIMM/ WEINERT, 2008) (vgl. Tabelle 1).

Tabelle 1: Die „Inside-Out“-Theorie“ und die „Outside-In“-Theorie“ (HIRSH-PASEK/ GOLINKHOFF, 1996, 17)

2.1 „Inside-Out“-Theorien

Wie man Tabelle 1 entnehmen kann, lassen sich den „Inside-Out“-Theorien linguistisch orientierte Spracherwerbstheorien zuordnen. Sie setzen voraus, dass das Kind mit einem angeborenen hochabstrakten grammatischen Wissen (Universalgrammatik) ausgestattet ist oder über ein hoch spezialisiertes sprachbezogenes Verarbeitungssystem verfügt und den Spracherwerb vorantreibt (HIRSH-PASEK/ GOLINKHOFF, 1996). Sie gehen aber nicht davon aus, dass die Umwelt als „Input“ im Spracherwerb und die allgemeinen Lernfähigkeiten des Kindes die Aufgabe des Spracherwerbs lösen können (HIRSH-PASEK, GOLINKHOFF 1996). Die Umweltsprache dient zur Auslösung (´triggering´) dieser Erwerbsprozesse. Es ist jedoch nicht gleichgültig, wann der Input zur Verfügung

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steht. Der Input trifft nicht auf ein Gehirn, welches unspezifisch und allezeit offen für entsprechende Impulse ist. Sondern es gibt eine genetische Disposition, die das Kind für die Impulse des Inputs empfänglich macht (DITTMANN, 2006). Die „Inside-Out“-Theorien „use domain-specific processes to construct language“ (HIRSH-PASEK/GOLINKHOFF, 1996, 41). „Inside-Out“-Theoretiker behaupten, dass beim Spracherwerb viel weniger gelernt werden muss und die Dinge, „what must be learned need only be triggered by the appropriate environmental stimuli“ (ebd, 1996, 41). Außerdem werden grammatische Prinzipien festgelegt (Parameter), die durch die Universalgrammatik nicht vollständig spezifiziert sind, aber die genetisch bestimmten Reifungsprozesse unterstützen. Auch wenn die Annahme, dass die Grammatik angeboren ist, innerhalb der linguistischen Theorienbildung unterschiedliche Abschwächungen erfährt, so bleibt die Ansicht bestehen, dass die Umweltsprache als „Input“ nach diesen Theorien nicht ausreicht, um das korrekte Regelsystem der Sprache zu erwerben und keine falschen Schlüsse über die Regelmäßigkeiten der zugrunde liegenden Sprache zu ziehen. Es liefert aber Daten für die Entscheidung, welche Einzelsprache das Kind erwerben soll (GRIMM/WEINERT, 2008).

Nativistischer Ansatz/ Generative Sprachtheorie

Aus der Theoretischen Linguistik ist der nativistische Ansatz des kindlichen Grammatikerwerbs hervorgegangen.CHOMSKY,der mit seinen Werken „Syntactic Structures“ (1957) und „Aspects of the Theory of Syntax“ (1965) die generative Sprachtheorie begründete und prägte, geht davon aus, dass die Sprachfähigkeit die Kenntnis eines linguistischen Regelsystems ist, das unmittelbar und schlagartig erworben wird (CLAHSEN, 1990). Dieses Regelsystem wird generative Grammatik -oder auch generative Transformationsgrammatik - genannt und ist „ein Modell der Sprachbeschreibung, das Regeln aufstellt, mit denen eine unbegrenzte Zahl von grammatischen Sätzen einer Sprache erzeugt werden kann […]“ (HERBST et al., 1991, 256). Es ist ein System, welches sprachliche Strukturen aufeinander abbildet und dieses Wissen um die Sprachstruktur wird in der generativen Linguistik als der Kern der Sprachfähigkeit gesehen (CLAHSEN, 1990). Die Annahmen CHOMSKY beruhen auf vier

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Grundaussagen. Dazu gehört die nativistische Hypothese, dass ein Teil des sprachlichen Wissens angeboren ist, die Autonomiehypothese, die Modularitätshypothese, dass Sprache in kognitiven Modulen repräsentiert ist und die Überzeugung, dass der Spracherwerb nicht nur ein Lernvorgang im klassischen Sinne ist, sondern ein Erwerbsprozess, der durch frühere Prinzipien ausgelöst wird (HANSEN, 1996). Einer der theoretischen Eckpfeiler ist die so genannten „Autonomiehypothese“. Diese besagt, dass der Mensch über eine spezielle formale Kompetenz für den Gebrauch und den Erwerb natürlich sprachlicher Grammatiken verfügt. Diese formale Kompetenz ist artspezifisch und angeboren. Sie zeichnet sich durch spezifische Eigenschaften aus, die so für andere Domänen nicht gelten (CLAHSEN, 1990). Die allgemeinen kognitiven Fähigkeiten spielen bloß eine untergeordnete Rolle. Sie bilden lediglich den Hintergrund für ein sich nach eigenen Gesetzen entfaltendes Spracherwerbsprogramm. Was da angeboren ist, ist die Universalgrammatik, welche aus einer Reihe von Regeln besteht, die es Kindern ermöglicht, während des Spracherwerbs anhand des ihnen zur Verfügung stehenden sprachlichen Inputs Hypothesen über mögliche zugrunde liegende Grammatiken zu entwerfen und zu evaluieren. „Universal Grammar expresses the biologically necessary universals, the properties that are usual because they are determined by our in-born language faculty, a component of the biological endowment of the species” (CHOMSKY, 2002, 9). Diese Universalgrammatik definiert den Zustand der Sprachfähigkeit vor jeglicher sprachlicher Erfahrung, sprich sie existiert vor jeglichem Input. Jedes Kind bringt im Einzelnen die Fähigkeit mit, den Lautstrom zu segmentieren, Wortkategorien (Nomen oder Verb) und syntaktische Kategorien (Satz oder Nominalphrase) zu bilden und Phrasenstrukturanalysen durchzuführen (DITTMANN, 2006). CHOMSKY beschreibt weiterhin einen dem Kind angeborenen Mechanismus, den ‚Language Acquisition Device’ (LAD), der anzugeben versucht, welche Kenntnisse und Fähigkeiten dem Kind für die Aufgabe des Grammatikerwerbs zugesprochen werden müssen. Er macht Angaben über die Arten grammatischer Kategorien und Regeln, gibt an, wie diese Regeln zusammenwirken und macht eine Angabe zum Bewertungsmaßstab, mit dem die Grammatiken bewertet werden können. Das Kind lernt die Grammatik nicht aktiv, indem es etwas macht, sondern so, „dass etwas in vorher bestimmter Weise mit dem

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Kind geschieht“ (CLAHSEN, 1990, 11). Dies geschieht in einer vergleichbaren Weise wie es einen aufrechten Gang lernt oder körperlich wächst und reift, wenn es mit angemessener Nahrung und Stimulation durch die Umgebung versorgt wird (CHOMSKY, 1981). Die Umwelt bestimmt dabei, wie zu Beginn vorhandene Möglichkeiten gewählt oder festzulegen sind und welche Einzelsprache das jeweilige Kind am Ende lernt. Es wird angenommen, dass der Anfangszustand und Teile der sprachlichen Entwicklung genetisch festgelegt sind. Die Untersuchungen der Spracherwerbstheorien wurden auf das sog. ‚logischen Problem’ des Spracherwerbs reduziert, also auf die Frage, wie ein Lernmechanismus beschaffen sein muss, der Kinder von diesem Anfangszustand (initial state) zu dem Endzustand (final state) des Grammatikerwerbs bringt. Die Vorstellung, die besonders bis in die 1980er Jahre vorherrschte, war, dass Kinder aufgrund des verfügbaren Inputs diejenige angeborene Grammatik auswählen, die zu dem angebotenen Sprachmaterial passt. Spracherwerb bedeutet demnach also ein Bewerten und anschließendes Auswählen aus Regelsystemen, die bereits im Kind vorhanden sind (CLAHSEN, 1990).

Die Hypothesen der generativen Transformationsgrammatik können nach CLAHSEN nicht als „Theorie über den realen Spracherwerb“ (CLAHSEN, 1982b, 139) aufgefasst werden. Nach CLAHSEN greifen die Reduzierungen auf das sog. ‚logische Problem’ des Spracherwerbs zu kurz, denn es stellt sich die Frage nach dem Entwicklungsproblem, also wie vom Anfangszustand über diverse Zwischenschritte bis zum Endzustand die Entwicklung verläuft. Wenn sich diese Frage klären lässt, dann würde das sog. logische Problem auch zu einer Lösung kommen (CLAHSEN, 1990). Er weist nach, dass bei der Annahme einer angeborenen Universalgrammatik nicht die Entwicklungsprozesse der Grammatikentwicklung, sondern ausschließlich die genetischen Voraussetzungen betrachtet werden. Die Forschungen der generativen Transformationsgrammatik bieten nach CLAHSEN keine hinreichende Erklärung des kindlichen Grammatikerwerbs, jedoch liefern sie genaue Aussagen über die angeborenen Bedingungen der Möglichkeiten zum Spracherwerb, die für die Spracherwerbsforschung von Nutzen sind (CLAHSEN, 1982b).

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2.2 „Outside-In“-Theorien

Bei den „Outside-In“-Theorien werden generelle Lernmechanismen angenommen. Hier stehen außersprachliche Prozesse und Systeme im Vordergrund, während angeborene sprachspezifische Voraussetzungen beim Kind nicht angenommen oder minimiert werden. „[Das Kind benötigt] keine sprachspezifische Disposition und keine spezifischen Lernmechanismen für den Grammatikerwerb“ (DITTMANN, 2006, 64). Vielmehr sind die Vertreter dieser Theorien der Auffassung, dass das Kind mittels allgemeiner Lernmechanismen den Grammatikerwerb bewerkstelligt. Die Kinder beachten die Ereignisse und Prozesse um sich herum. Die Lernvorgänge, welche das Kind befähigen, „die Umgebung auf Ereignisse hin zu analysieren, zwischen Handlungen und Gegenständen, zwischen Handelnden und von einer Handlung Betroffenen zu unterscheiden usw., ermöglichen“, die Grammatik zu erwerben (DITTMANN, 2006, 64f). „Outside-In“-Theorien bezeichnen den Spracherwerb als einen „bottom-up process“, welcher keinen Unterschied zu anderen Erwerbsbereichen hat (HIRSH-PASEK /GOLINKHOFF, 1996, 17). HIRSH-PASEK und GOLINKHOFF (1996, 19ff) unterscheiden zwei Varianten der „Outside-In“-Theorien: die kognitiven Theorien und die sozial-interaktiven Theorien (vgl. Tabelle 1).