Der Fisch in der Heizung - Gerhard Moser - E-Book

Der Fisch in der Heizung E-Book

Gerhard Moser

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Beschreibung

"Was haben Sie eigentlich verbrochen, dass Sie als Pfleger hier arbeiten müssen?", fragt die schizophrene "Fürstin von Hammerschlag" den Erzähler und Protagonisten in einer der humorvollsten Geschichten dieses Buches. Die "Fürstin" darf so etwas fragen! Finden Sie in diesem Buch heraus, wie die Fürstin zu ihrem Titel kam, wie der Fisch in die Heizung gelangte und dort beinahe sein imaginäres Leben verlor, oder wie eine rüstige Rentnerin ausbüxte, um sich noch einen großen Traum zu erfüllen, weil alle in ihrem Umfeld nicht auf die kleinen, versteckten Hinweise hören wollten. Die teilweise sehr lustigen, aber auch berührenden Geschichten in diesem Buch lassen viele Aspekte des Pflegeberufes für den Leser sichtbar werden. Es geht nicht nur um "Alt sein" und "Alt werden", sondern in der Hauptsache darum, noch etwas aus den letzten Jahren oder Monaten seines Lebens zu machen. Dazu gehören neben Liebe und Trauer auch Sehnsüchte aller Art. Dabei hat auch Sex, bis ins hohe Alter einen erstaunlichen Stellenwert. In Mosers wahren Geschichten kommt auch die Auseinandersetzung mit dem auf Effizienz getrimmten System nicht zu kurz, denn Menschlichkeit ist eines seiner großen Anliegen. So ist es nicht verwunderlich, dass im letzten Kapitel auch die Politik von ihm aufs Korn genommen wird.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 159

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Gerhard Moser

Gerhard Moser, geboren 1955 in der Nähe von Offenburg, machte 1972 seine Ausbildung zum Altenpfleger. Nach seinem Examen war er in verschiedenen Heimen und Kliniken in ganz Deutschland tätig. Im Oberbergischen baute er schließlich einen privaten Pflegedienst auf. Der Liebe wegen zog er 1999 nach Köln, wo er nach längerer Krankheit aus dem Pflegeberuf aussteigen musste und bis vor einigen Monaten eine ambulante medizinische Fußpflege und private Seniorenbetreuung betrieb.

Seit 2017 veröffentlicht er mit seinem Mann die Erlebnisse ihrer gemeinsamen Reisen auch auf der eigenen Blog-Seite, kombiniert mit Achims fantastischen Fotos, die er mit Leidenschaft überall digital festhält. Diesen Blog kann jeder kostenlos einsehen und einen Kommentar dazu abgeben. Über diesen Blog ist es auch möglich, mit dem Autor Kontakt aufzunehmen.

https://die-weltenbummler.blog/

Dieses Buch widme ich meinen Mann Achim,

der meinem Leben durch seine Liebe

immer wieder Flügel verleiht,

und so den Glauben an mich selbst stärkt.

Und das seit über 25 Jahren.

Gerhard Moser

Der Fisch in der Heizung

Geschichten eines Pflegers

© 2020 Gerhard Moser

Texte:

Gerhard Moser

Umschlag:

Achim Kurtz

Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

 

Paperback

978-3-347-11077-9

Hardcover

978-3-347-11078-6

e-Book

978-3-347-11079-3

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhalt

Wie mir meine Berufswahl „aufgezwungen“ wurde

Der Fisch in der Heizung

Wohnungsauflösung am Sterbebett

Spare in der Zeit, dann hast du nichts mehr in der Not

Hypnose wird dich heilen

Hier bleibe ich nicht!

Die „Fürstin von Hammerschlag“

Wir müssen alles feiern

Nachts, wenn alles schläft

Will die Alte ewig leben?

Sex ist kein Privileg der Jugend

Wo rohe Kräfte walten

Tod, wo ist dein Stachel – Hölle, wo ist dein Sieg?

Stille Nacht, Heilige Nacht

Ich bin keine Melkkuh

Dann eben auf eigene Faust

Das geht zu weit

Papa ist für uns die ganze Welt

Ärger, Ärger, nichts als Ärger

Paris ist eine Reise wert

Satt und sauber

Gedanken zur Grundversorgung in der Pflege

Zu diesem Kapitel ist erneut ein Nachtrag notwendig

Weitere Veröffentlichungen des Autors:

Wie mir meine Berufswahl „aufgezwungen“ wurde

Mit siebzehn Jahren machte ich den Realschulabschluss. Welchen Beruf sollte ich nun ergreifen? Mit dieser Frage hatte ich mich nie groß auseinandergesetzt. Nur eines war mir klar: Mein Beruf sollte viel mit Menschen zu tun haben. Büroarbeit oder Maschinen, nein Danke! Helfen wollte ich, täglich mit recht vielen Menschen in Kontakt kommen.

Welche Möglichkeiten boten sich da? Lehrer oder Pfarrer – ja, das wäre schon was für mich gewesen, aber dazu hätte ich das Abitur und anschließend ein Studium benötigt. So lange wollte ich die Schulbank nicht mehr mit meinem Hosenboden blank wetzen. Also ging ich zum Beratungstermin beim Arbeitsamt. Und da fand ich ein Berufsbild, das mir auf Anhieb gefiel: Diplom-Pädagoge! Behinderte oder schwererziehbare Kinder und Jugendliche betreuen, das konnte ich mir gut vorstellen. Je mehr ich mich mit dieser Idee auseinandersetzte, umso schöner erschien mir dieser Beruf. Allerdings musste ich dazu das Fachabitur nachholen und dann in Freiburg studieren. Doch das fand ich durchaus akzeptabel, zumal ich das Fachabitur innerhalb eines Jahres an der gleichen Schule machen konnte, an der ich dann das Studium zum Pädagogen absolvieren musste. Das Studium selbst würde dann nochmals drei Jahre in Anspruch nehmen. Begeistert schwärmte ich meinen Eltern vor.

„Pädagogen werden immer gebraucht. Davon wird es nie zu viele geben …“ Damals traf dies noch zu, heute sieht die Lage völlig anders aus.

Mein Vater, der zu Hause immer das entscheidende Wort zu sagen hatte, stimmte meinen Plänen tatsächlich zu. Ich war happy. So machte ich einen Termin mit dem Leiter der Fachhochschule aus und fuhr in der folgenden Woche nach Freiburg. Das Gespräch mit dem freundlichen Herrn bestärkte mich in meiner Entscheidung, die richtige Berufswahl getroffen zu haben. Aufnahmeantrag, Studienleitlinien, Lehrgangsgebührenordnung, er gab mir einen Packen Papiere mit, die ich von meinem Vater unterschrieben, baldigst an ihn zurücksenden sollte. Mündlich hatten wir soweit alles besprochen. Da ich schon mal in Freiburg war, besuchte ich noch ein älteres Ehepaar, das ich von der Jugendarbeit her kannte. Sie freuten sich mit mir, dass ich mich für diesen Beruf entschieden hatte.

Nach einem ausgiebigen Mittagessen, das meinen immer hungrigen Magen beruhigte, hatten sie für mich noch eine Riesenüberraschung parat: Sie boten mir in ihrem Haus ein möbliertes Zimmer mit Dusche und Kochnische an und das auch noch mietfrei! Mein Glück war vollkommen. Ich sah die Zukunft in den herrlichsten Farben. Voll innerer Freude fuhr ich am Abend mit dem Zug nach Hause und berichtete meinen Eltern sehr ausführlich von der tollen Schule, dem mietfreien Zimmer und dem schönen Freiburg. Zum Schluss gab ich meinem Vater die ganzen Unterlagen, mit denen ich mich vor lauter glücklichen Zukunftsgedanken gar nicht beschäftigt hatte, zum Unterschreiben. Ich bat ihn, sie möglichst bald zu unterschreiben, damit mir niemand diesen tollen Studienplatz wegschnappen konnte.

Die kalte Dusche kam am nächsten Abend. Mein Vater bat mich ins Wohnzimmer. Schon das allein war für mich ein Warnsignal, denn ins Wohnzimmer zu kommen bedeutete immer, dass etwas Außergewöhnliches passierte sein musste. Es war mir klar, dass Vater in den Formularen etwas gefunden haben musste, was er nicht akzeptieren konnte. Verflixt, warum hatte ich mir den ganzen Formularsalat nicht durchgelesen, oder wenigstens oberflächlich angesehen. Nun war es zu spät.

Und es kam dicke, ohne Schonung, ohne Alternative. Mein Vater sprach meist wenig, aber wenn, dann direkt und ohne großes Drumherum.

„Diese Schule kannst du dir aus dem Kopf schlagen. Du wirst wohl nicht erwarten, dass wir zu Hause Pellkartoffel und Quark essen, nur um dir dein Studium zu finanzieren. Such dir einen anderen Beruf. Das Studium ist entschieden zu teuer.“

Das saß! Es gab für ihn nichts weiter zu erklären. Ich brachte kein Wort heraus. Den Tränen nahe, ging ich auf mein Zimmer und handelte treu meiner Devise: Erst eine Nacht darüber schlafen, morgen sieht die Welt anders aus. Doch Vaters Meinung änderte sich über Nacht in keiner Weise. Trotzdem hatte ich Hoffnung. Um den Studienplatz belegen zu können, war ein Praktikum von mindestens sechs Monaten Dauer in einer sozialen Einrichtung vorgeschrieben. Diese Zeit erschien mir lang genug, um meinen Vater irgendwie doch noch von der Richtigkeit meiner Pläne zu überzeugen. Außerdem gab es für dieses Praktikum Geld. Ich wusste zwar nicht, wie viel, aber vielleicht …, wenn das selbstverdiente Geld … und von meinen Eltern dann der Rest?

Eine Praktikantenstelle war schnell gefunden. In einem Alten- und Pflegeheim in der nahen Stadt bekam ich, nach persönlicher Vorstellung sofort eine Zusage. Am nächsten Ersten konnte ich anfangen. Bis dahin kämpfte ich noch mit vielen Fragen, und oft wurde ich unsicher, ob dieses Praktikum das Richtige für mich war. Unserer 80-jährigen Nachbarin einzukaufen und die Kohlen aus dem Keller zu holen war ja leicht und einfach; ihr die Zehennägel zu schneiden und die Hornhaut an den Fersen abzuhobeln, weil sie sich nicht mehr so tief bücken konnte, auch das war nicht schwer. Aber pflegebedürftige, bettlägerige Leute rundum versorgen?

Zu Hause war der Kummer groß, denn im Heim hatte ich nicht nur freie Verpflegung (waren die sich im Klaren, welche Mengen ich verschlingen konnte?), sondern auch ein kleines Zimmer stand mir zur Verfügung. Diese Gelegenheit, auf eigenen Füßen zu stehen, nutzte ich natürlich. Am Stichtag zog ich mit Vorfreude, einem kleinen Koffer voller Habseligkeiten, aber auch vielen Bedenken und einem etwas mulmigen Gefühl im Bauch los. Von meinem Vater hatte ich mich am Abend zuvor schon verabschiedet, da er morgens sehr früh aus dem Haus zur Arbeit musste. Als ich nun meiner Mutter „Ade“ sagen wollte, fand ich sie nicht. Die Zeit war knapp und der Bus wartete meinetwegen bestimmt nicht. Ob es wohl angebracht war, gleich am ersten Arbeitstag zu spät zu kommen? Ich wollte aber auch nicht gehen, ohne mich von meiner Mutter zu verabschieden. Endlich entdeckte ich sie im Stall, wo sie meine Kaninchen fütterte, die ich nun leider auch zurücklassen musste. Aber in der Stadt begann für mich ein völlig neues Leben. Tränen rannen über ihr Gesicht. Es fiel ihr schwer, mich nun einfach so ziehen zu lassen. Mich kostete es viel Anstrengung, die eigenen Tränen zu unterdrücken. So machte ich den Abschied sehr kurz.

„Es sind doch nur zehn Kilometer“, sagte ich mir auf dem Weg zur Bushaltestelle immer wieder, um standhaft zu bleiben. Zu meiner Überraschung waren in dem Heim auch viele jugendliche Patienten, mit denen ich mich auf Anhieb besonders gut verstand. Es machte mir viel Spaß, die alten Damen und Herren zu pflegen und zu betreuen. Für jeden hatte ich ein freundliches Wort oder ein Lächeln. Ich blühte förmlich auf. Vom ersten Tag an machte es mir nichts aus, wundgelegene Stellen zu versorgen, volle Windeln zu wechseln oder verwirrten Patienten ernsthaft zuzuhören, ohne zu lachen. Alle meine Befürchtungen erwiesen sich als grundlos. Die Zeit verging wie im Fluge. Im fünften Praktikumsmonat ließ mich der Heimleiter in sein Büro rufen. Hatte ich etwas falsch gemacht? War ich in irgendeiner Weise frech zu einem Patienten oder Mitarbeiter gewesen? Ich wusste, dass ich ein loses Mundwerk hatte, immer das sagte, was ich dachte. Jeder wusste gleich, woran er mit mir war. Dabei versuchte ich stets meine Kommentare so zu geben, dass niemand beleidigt sein konnte. Solche Gedanken gingen mir auf dem Weg zur Verwaltung durch den Kopf. Doch was da auf mich zukam, hatte ich nicht im Entferntesten geahnt. Zunächst bat mich der „Hausvater“, wie der Chef von allen genannt wurde, Platz zu nehmen und ihm zu erzählen, wie es mir so ginge, und ob ich Spaß an der Arbeit mit den alten Leuten hätte. Der Hausvater war ein freundlicher, älterer Herr, in dessen Mundwinkel immer ein Lächeln hing. Nie hatte ich ihn verärgert oder böse gesehen. Nur wenn es um das Wohl der alten Leute ging, konnte er einen Mitarbeiter auch mal kräftig „zur Mina“ machen. Seine nächste Frage allerdings ließ in mir die Vorstellung entstehen, dass er wohl etwas verrückt sei. Wollte er mein ganzes Zukunftskonzept über den Haufen werfen? Er bot mir allen Ernstes eine Ausbildungsstelle zum Altenpfleger an! Das gefiel mir nun ganz und gar nicht, hegte ich doch immer noch die große Hoffnung, meinen Vater von der Notwendigkeit eines Studiums überzeugen zu können. Dem Heimleiter erklärte ich kurzerhand, dass ich diesen Vorschlag erst überschlafen müsse. Die Idee fand er auch noch gut! Etwas in mir sträubte sich gegen eine direkte Absage. In der folgenden Nacht schlief ich wenig. In meinem Kopf ging alles drunter und drüber. Was erwartete ich von meinem Beruf? Doch vor allem Umgang mit Menschen. Denen helfen, die sich wirklich nicht mehr selber helfen können. Die Ausbildungszeit sollte nicht zu lang sein. Das alles bot mir die Altenpflege! Und damit war meine Verwirrung perfekt! Da ich am nächsten Tag frei hatte, fuhr ich nach Hause und führte mit meiner Mutter ein intensives, langes Gespräch. Am Ende war für mich, ohne von ihr gedrängt worden zu sein klar, dass ich die Ausbildung machen würde. Drei Punkte gaben den Ausschlag: Meine Berufserwartungen deckten sich völlig mit dem Betätigungsfeld, das der Beruf mir bot; ich war vorerst in der Nähe meiner Eltern und bekam während der Ausbildung, zusätzlich zu freiem Wohnen und Essen, ein Taschengeld von monatlich 150,00 DM, was für mich eine Menge Geld bedeutete. Bis heute habe ich meine Wahl nicht bereut.

Der Fisch in der Heizung

Um 14: 00 Uhr sollte die Schule beginnen. Jetzt wäre eigentlich meine Mittagspause gewesen. Die Zeiten von Schule und Stationsdienst waren bei uns Schülern recht unbeliebt. Eine Woche verbrachten wir von 8: 00 Uhr bis 12: 00 Uhr in der Schule und von 14: 00 Uhr bis 19: 00 Uhr auf Station. In der nächsten Woche hatten wir dann nachmittags fünf Stunden Unterricht und von 6: 30 Uhr bis 13: 00 Uhr Stationsdienst. Das waren für uns sehr lange Tage, da es abends auch noch zu lernen galt. Jedes zweite Wochenende stand noch zusätzlich Stationsdienst auf dem Plan. Alle drei Wochen hatten wir vier Tage dienstfrei und brauchten „nur“ in der Schule zu erscheinen. So konnte man entweder ausschlafen, oder am freien Nachmittag das faule Leben genießen. Die meisten der Mitschüler nutzten diese Zeit natürlich zum Lernen. Da ich noch in Lernübung war und meine Hefte direkt im Unterricht führte, sparte ich mir viel Arbeit in der knappen Freizeit. Das Lernen fiel mir überhaupt nicht schwer. Ich konnte recht locker an die ganze Sache heran gehen. Andere Mitschüler mussten sich nach Jahren erst wieder an Schule und das ganze Drumherum gewöhnen. Da unsere Stationsschwester zu einer Besprechung gerufen worden war, musste ich den Mittagsdienst von 13: 00 Uhr bis 14: 00 Uhr an diesem Tag auch noch übernehmen. „Ob das wohl seine Richtigkeit hat“, schoss es mir durch den Kopf, „wenn ein Schüler die Verantwortung für 34 Patienten übernimmt?“ Kopfzerbrechen bereitete mir dieser Gedanke kaum, da letztendlich die Stationsschwester ihren Kopf dafür hinhalten musste. Sie hatte mir schließlich diesen Dienst aufgebrummt. Was mich jedoch ärgerte: Diese Stunde hätte ich besser zu nutzen gewusst …

Auf der Station auf der unteren Etage war eine examinierte Schwester im Dienst, die ich im Notfall rufen konnte. Doch es herrschte absolute Ruhe. Was sollte schon geschehen? Fast alle Patienten lagen zur Mittagsruhe in den Betten. Die wenigen, die sich nicht hinlegen wollten, saßen im Aufenthaltsraum, unterhielten sich, lasen Zeitschriften oder dösten vor sich hin. Also setzte ich mich an den Schreibtisch im Dienstzimmer, sonst alleiniges Vorrecht der Stationsschwester, und nahm ein Psychiatrie-Fachbuch zur Hand. Plötzlich ertönte lautes Poltern und Klappern. Hatte Herr Meier einen epileptischen Anfall? Ich rannte auf den Flur und lauschte. Das Klappern kam aus dem letzten Zimmer auf der rechten Seite. Beim Öffnen der Tür bot sich mir ein Bild zum Schmunzeln. Frau Lang, eine 93 Jahre alte und in ihrer Art sehr liebenswerte Dame, saß im Bett, die Beine unter dem Bettgitter durchgezwängt und schlug mit ihrem Gehstock fortwährend gegen den Heizkörper. „Raus, raus, komm schnell raus! Das Wasser ist doch viel zu heiß“, murmelte sie ängstlich vor sich hin. Behutsam ging ich auf sie zu und sprach sie leise an.

„Frau Lang, was ist los?“ Sie blickte hoch und ihr Gesicht begann zu Strahlen.

„Gott sei Dank, dass du kommst! Schnell mein Junge, hilf ihm da raus, bevor er sich verbrüht.“ „Wer muss wo raus?“, fragte ich vorsichtig.

„Ja, stell dich doch nicht so an, siehst du ihn denn nicht? Mein Goldfisch Florian kam zu Besuch. Weil ihm die Luft im Zimmer zu trocken wurde, wollte er eine Runde in der Heizung schwimmen. Aber kaum war er im Wasser, hat der dumme Hausmeister im Keller die Heizung aufgedreht. Und nun muss mein armer Florian sterben, wenn du ihm nicht sofort hilfst!“

Ihre Unruhe wurde immer stärker. Sie versuchte an den Heizkörper zu gelangen.

„Die roten Männchen warten nur darauf, dass er gar ist und sie ihn auffressen können!“ Böse schaute sie zur Gardinenleiste hoch und schob drohend ihre Faust. Die arme Frau. Sie verkannte ja öfters die Leute, war zeitlich und örtlich völlig desorientiert, aber heute halluzinierte sie beängstigend. Ich versuchte erst gar nicht, ihr die wirren Gedanken auszureden. Kurz entschlossen öffnete ich die Balkontür und machte verjagende Gesten.

„Raus, ihr Lumpen!“ Frau Lang kicherte.

„Recht so, mein Junge, zeig denen, wo sie hingehören. Rennt nur fort, rennt in eure Höhlen.“ Das erste Problem schien gelöst. Mein nächster Griff ging zum Heizungsregler: Ich tat, als drehe ich ihn ab. Der Heizkörper war ohnedies kalt, da es Sommer war und draußen eine fast unerträgliche Hitze herrschte.

„So, die Heizung ist aus. Nun hole ich ihnen den Florian wieder.“ Mit den Händen fuhr ich am Heizkörper entlang und fischte ihren geliebten Florian heraus. Sie strahlte und streckte ihre Hände den meinigen entgegen.

„Komm Florian, jetzt bleibst du bei mir. Du wirst nicht wieder in die Heizung gehen. Wenn es dir zu trocken wird, drehst du einige Runden im Waschbecken. Der liebe Junge wird dir bestimmt Wasser einlassen.“ Ich ließ das Waschbecken halb mit Wasser volllaufen. Entspannt, ließ sich Frau Lang von mir wieder ins Bett legen und platzierte sich Florian auf den Bauch. „Puuuhhh!“ Aufatmend verließ ich das Zimmer. Das Problem war behoben. Es kehrte wieder Ruhe ein. Kaum hatte ich erneut am Schreibtisch Platz genommen, als das Geschrei wieder losging. Von wegen „Problem gelöst.“

Schnell lief ich in das Zimmer zurück. Frau Lang saß im Bett und schimpfte zum Fenster hinaus.

„Ist ihnen der Florian abgehauen?“, fragte ich sie vorsichtig.

„Welcher Florian?“, sie schaute mich entgeistert an. Von Florian wusste sie offensichtlich nichts mehr.

„Schau doch mal zum Fenster raus.“ Ich schaute zum Fenster raus, sah jedoch nur den strahlenden blauen Himmel, weiße Schäfchenwolken und eine herrliche Sonne.

„Siehst du denn nicht die schwarzen Hunde? Sie wollen mich holen!“ Ich hörte zwar die Hunde im Nachbarhaus bellen, aber sehen konnte ich nichts. Frau Lang war in keiner Weise zu beruhigen. Sie schrie und hatte unsagbare Angst, welche sich in ihrem Gesicht spiegelte. Was sollte, was konnte ich tun? Alles gute Zureden war vergeblich. So rief ich die Schwester der unteren Station zur Hilfe. Zu meiner Erleichterung kam sie auch sofort, denn ich war mit meinem Latein am Ende. Ein Blick in Frau Langs Krankenblatt reichte der Schwester aus, um zu erkennen, was in solch einem Fall helfen konnte: 10 mg Haldol. Diese wirkten auch recht bald. Als unsere „Chefin“ mich kurz vor 14: 00 Uhr ablöste, war Frau Lang fest am Schlafen. Ich war froh, jetzt in die Schule gehen zu können. Wie groß war für mich als Schüler oft der Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Im Unterricht hatten wir über Frau Langs Krankenbild, die Halluzination, gesprochen. Dadurch konnte ich auf Florian und die roten Männchen richtig reagieren. Doch die schwarzen Hunde flogen für mich dann doch zu hoch.

Wohnungsauflösung am Sterbebett