Der Förster von Kaprun - Earl Warren - E-Book

Der Förster von Kaprun E-Book

Earl Warren

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Beschreibung

Die verwitwete Leonie Leutheuser betreibt in Taxenfels am Rand des Wintersportgebiets Zell am See und Kaprun ihre Pension. Die attraktive und tüchtige 48jährige ist eine engagierte Naturschützerin und strikt gegen die weitere Verschandelung der Bergwelt durch immer neue Skilifte und Pisten eingestellt. Dadurch ist sie dem umtriebigen Hotelier, Bürgermeister und Skiliftbetreiber Alois Hinterhuber ein Dorn im Auge. Der macht- und geldgierige Intrigant wird gern der hinterfotzige Hinterhuber genannt. Sein Sohn Luggi – der Apfel fällt nicht weit vom Stamm – will sich mit Leonies hübscher Tochter Tanja, einer Assistenzärztin, verloben. Die Hinterhubers spekulieren auf ein für sie dringend benötigtes Grundstück Leonies und auf ihre Unterstützung, dass sie die Seiten wechselt und in ihr Horn stößt. Tanja lernt dann den neuen Förster Hannes Schaffrath kennen, als er sie im Schneesturm aus einer gefährlichen Lage rettet. Sie ist hin und her gerissen in ihren Gefühlen. Der smarte und schmucke Luggi weiß jedoch, wie man die Frauen betört. Das geschah auch bei Marietta Lualdi, einer bildhübschen angestellten Kosmetikerin in seinem väterlichen Hotel "Bergblick". Marietta will sich umbringen vor lauter Verzweiflung und Gram, als sie von den Hinterhubers eine gemeine Abfuhr erfährt. Jetzt kommt der Alp-Ötzi ins Spiel, ein grantiger Einsiedler mit dem Herzen am rechten Fleck. Er rettet die Verzweifelte aus der Klamm, ehe sie ertrinkt und vom Wildbach an den Felsen zerschmettert wird, und nimmt sich ihrer an. Hannes Schaffrath will sich die Liebe zu Tanja aus dem Herzen reißen – er sucht eine andere Stellung. Bei der Verlobungsfeier am 1. Weihnachtsfeiertag im Hotel "Bergblick" kommt es dann zum Eklat. Der Alp-Ötzi hat sich selbst eingeladen und schwingt grimmig seinen Bergstock und spricht donnernde Worte. Diese hört auch der Erbprinz Johannes von Stoltzenstein, von seinen Freunden Mucki genannt – Hotelier/Bürgermeister Hinterhuber schmückt sich gern mit seiner illustren Gesellschaft, sein Sohn Luggi hat um die Freundschaft des Hochadligen und seiner Clique gebuhlt und sie ins Hotel gelockt. Hannes Schaffrath ist mit dabei – der Förster darf bei der glanzvollen Verlobungsparty mit 300 Gästen nicht fehlen, so schwer ihm sein Kommen gefallen ist. Es donnert in den Bergen. Doch wird danach wieder alles im Lot sein, und können Tanja und Marietta je wieder einem Mann trauen und ihr Herz öffnen? Durch eheliche Treue hat sich der politisch engagierte Alois Hinterhuber auch nicht gerade ausgezeichnet. So wird es ein gewaltiger Aufwasch.

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Der Förster von Kaprun

 

Bergroman

 

Earl Warren

 

 

1. Kapitel

 

 

Leonie Leutheuser konnte sich an den Tag erinnern, an dem man ihren Mann Sepp tot nach Hause gebracht hatte, als ob es gestern gewesen sei. Es war ein schöner, sonniger Wintertag gewesen, und sie hatte nichts Böses geahnt. Sie war in der Küche ihrer Pension gesessen, die sie auch jetzt noch betrieb, und hatte, weil die Kartoffelschälmaschine ausgefallen war, Kartoffeln geschält für das Abendessen der Pensionsgäste.

Dann hatte man sie gerufen. Leonie, damals 36 und hochschwanger, hatte sich die Hände abgespült und sie an der Schürze getrocknet. Dann verließ sie die Küche.

In der Diele, wo es nach links zum Frühstücks- und Gastzimmer ging, rechts befand sich die Küche, die Treppe führte nach oben in die zwei Obergeschosse des schönen alten Hauses mit dem breiten Balkon mit dem Holzgeländer, standen der Pfarrer und zwei von den Honoratioren des Dorfes.

Ihre verlegenen Mienen würde Leonie nie vergessen. Der Pfarrer, ein derber, wettergegerbter Mann, richtig für eine Berggemeinde, in seiner Soutane, derbe Bergstiefel an den Wiesen, knetete verlegen die großen Hände.

»Leonie«, hub er an zu sprechen. »Du musst stark sein.«

Eine eisige Hand griff ans Herz der hübschen, etwas stämmigen, dunkelblonden Frau. Das Haar trug sie halblang und nicht übermäßig modisch. Das Blut wich ihr aus dem Gesicht.

»Sag’s mir, Pfarrer«, verlangte sie und verkrampfte die Hände über dem hochschwangeren Leib. »Sag’s mir direkt. Alles kann ich leichter ertragen als das Herumgedruckse.«

»Der Sepp hat eine Winterbergtour als Bergführer unternommen«, sagte der Gemeinderat Wiesbauer, der halb hinter dem Pfarrer mit dem trutzigen Namen Anselm Sturmfels stand.

Der Gemeinderat Gschmidtner knetete verlegen seinen Hut in den Händen.

»Das weiß ich selbst, wohin mein Mann unterwegs ist«, sagte Leonie Leutheuser. »Ich will das wissen, was ich nicht weiß. Nicht das, was ich weiß.«

»Nun«, sagte der Pfarrer. »Es ist… es…«

»Ist dem Sepp etwas passiert?«, fragte Leonie Leutheuser. »Ist er verletzt?«

Da straffte sich der Pfarrer, denn er sah, dass die Frau vor ihm die Qual der Ungewissheit nicht mehr länger ertragen konnte.

Kurz und bündig verkündete er: »Der Sepp kommt nicht wieder.« Jetzt, da die Hemmschwelle überwunden war, sprudelten die Worte aus ihm hervor. »Eine Lawine hat ihn mitgenommen, den Sepp. Und zwei von den Bergtouristen, die er geführt hat, mit ihm. Die Lawine ist vom Jungfrauenjoch heruntergekommen. Drei von den Touristen blieben verschont, das heißt, einer kam völlig unbeschadet davon, zwei konnten sich aus den lockeren Randbereichen der Lawine befreien, die sie ein Stück forttrug. Den Sepp und ihre beiden Kameraden rissen die Schneemassen fort.«

Leonie hielt sich am Treppengeländer fest. Ihr Herz hämmerte wie rasend. Der seelische Schmerz war kaum zu ertragen, wie ein Messer ging er ihr durchs Herz.

»Die verschont Gebliebenen verständigten sofort die Bergwacht«, berichtete Pfarrer Sturmfels weiter. »Der Hubschrauber kam, Rettungstrupps.«

»Wann war das?«, fragte Leonie.

»Kurz nach elf.«

»Warum habt ihr’s mir nicht früher gesagt?«

»Wir hofften, den Sepp noch lebend zu bergen, wie es bei den beiden Touristen war, die leicht verletzt ins Spital geflogen wurden. Vor kurzem«, fuhr der Pfarrer fort, »erhielt ich den Anruf. Der Sepp ist zuletzt gefunden worden – tot. Die Lawine schmetterte ihn gegen einen Felsen. In seiner Bewusstlosigkeit, unter dem Schnee, ist er dann hinübergegangen ins Reich unseres Herrn. Der Lawinensuchhund hat ihn gefunden. Die Bergwacht bringt ihn. Es ist besser, wenn du ihn so im Gedächtnis behältst, wie er war, Leonie.«

Leonie preßte die Hand gegen den Leib, in dem etwas sich regte. Sie stand kurz vor der Entbindung, hatte jedoch bis zuletzt anpacken wollen, denn jede Hand wurde gebraucht.

»Ich will und ich werde ihn sehen«, beharrte sie auf ihrer Meinung.

»In deinem Zustand, besser nicht«, sagte der weißhaarige Gemeinderat Wiesbauer, während sein Kollege und Freund Gschmidtner schweigend dabeistand.

»Ich will, und ich werde«, sagte die dunkelblonde Frau. »Sepp ist – war – mein Mann.«

»Mama, was ist denn?«, fragte da eine Mädchenstimme. »Was gibt es, mit wem redest du da im Flur? Kannst du mir bei den Aufgaben helfen. Die Algebra ist so schwierig.«

Die dreizehnjährige Tanja erschien, Leonie und Sepp Leutheusers Älteste. Sie hatte ein dunkelblaues Kleid an, war dunkelhaarig und blauäugig wie ihr Vater und schon jetzt eine Schönheit. Von mädchenhaftem Reiz. Sie besuchte das Gymnasium in der Stadt, wo sie jeden Tag mit dem Zug hinfuhr.

Zur Zeit waren Ferien, Tanja lernte jedoch fleißig, im Gegensatz zu ihrem drei Jahre jüngeren Bruder Steffen, der ein Hallodri war. Das dritte Kind ihrer Ehe trug Leonie Leutheuser im Leib. Sie wusste schon, dass es ein Junge würde, die Ultraschalluntersuchung hatte es ergeben.

Maxl sollte er heißen, Maximilian Jakob Leutheuser mit vollem Namen.

»Mutti?«, fragte Tanja, die auf der Treppe stand.

Leonie brachte kein Wort hervor. Es brauste ihr in den Ohren. Plötzlich spürte sie, dass da außer dem seelischen Schmerz noch ein anderer war. Sie kannte die Art, es war eine Wehe. Eine Flüssigkeit lief ihr an den Beinen hinunter, die Fruchtblase war geplatzt.

Heiliger Gott, dachte sie, das Kind kommt. Das Baby… Maxl will zur Welt, gerade jetzt, wo sein Vater gestorben ist. Der eine kommt, der andere geht. Die drei Männer schauten sie verständnislos an.

»Holt die Magd«, sagte Leonie mit ruhiger Stimme. »Meine Sachen sind schon gepackt. Mein Kind kommt zur Welt, und ich denke, es wird diesmal ziemlich schnell gehen. Ich muss ins Spital.«

Der Gedanke, den Leichnam ihres Mannes sehen zu wollen, war vergessen. Die Geburt hatte Vorrang.

»Schnell, schnell!«, rief der Gschmidtner. »Maria und Josef, was für ein Tag. Ausgerechnet jetzt setzen die Wehen ein. Der Schock hat die Geburt ausgelöst. Wir müssen uns eilen, verständigt die Ambulanz, sonst bringt die Leiterin ihr Kind noch hier in der Diele auf die Welt.«

Wider Willen musste Leonie Leutheuser lächeln. Männer, davon verstanden sie nichts.

»So eilig ist es nun auch wieder nicht, Gschmidtner. Hermine weiß Bescheid mit der Hauswirtschaft. Jedoch wegen der Kinder und anderer Arbeiten, Erledigungen und Behördengängen, es wäre nett, wenn deine Frau einspringen und wenn du mich unterstützen würdest, Gschmidtner.«

»Freilich, freilich, das weißt du doch, Leonie, auf uns kannst du immer zählen. Das ganze Dorf steht hinter dir. Alle.«

Nicht alle, dachte Leonie, doch die, die sie brauchte, waren schon da. Ruhig ging sie in die Stube und wies Hermine an, die keine Schönheit war, aber sehr tüchtig. Ihr Mundwerk war allerdings gewöhnungsbedürftig, doch sie hatte das Herz auf dem rechten Fleck und war eine Schafferin.

Auch wenn böse Zungen sagten, den Kühen würde die Milch sauer, wenn sie in ihre Nähe ging, so häßlich war sie.

»Leonie, mach dir keine Sorge, was die Pension und das Anwesen betrifft«, sagte die Magd resolut.

Bald darauf, der Gemeinderat Gschmidtner, Elektroinstallateur im Hauptberuf, fuhr sie in seinem Auto hin, befand Leonie sich im Spital. Die Geburt ging dann doch nicht so rasch und komplikationslos vonstatten, wie Leonie angenommen hatte, und sie musste einiges aushalten.

Abends um kurz nach zehn Uhr hielt sie dann ihren gesunden Sohn in den Armen. Er war rot im Gesicht, runzlig und hatte ein paar dunkle Haare. Er greinte, bald schlief er ein. Die Krankenschwester nahm ihn mit, Untersuchungen mussten durchgeführt werden, den Apgar-Test hatte der Arzt schon gemacht.

Er war sehr positiv, die Reflexe des Kindes waren einwandfrei, nichts wies auf Schäden oder Beeinträchtigungen hin. Leonie stieg vom Kreißbett herunter. Sie ging langsam und mühsam zu ihrem Zimmer. Eine Krankenschwester führte sie.

Leonie war erschöpft. Glücklich über die Geburt ihres Kindes und todtraurig wegen dem Tod ihres Mannes. Als sie im Bett lag, weinte sie. Sepp, dachte sie, wie soll es jetzt weitergehen? Drei Kinder habe ich, der Maxl ist gerade erst auf die Welt gekommen. Dann die Pension, das ganze Drumherum – wie soll ich das alles schaffen?

Der Schlaf, in den sie sank, gewährte ihr eine gnädige Pause von ihren Gedanken und nahm ihre alle Angst vor der Zukunft.

 

*

 

Das war nun zwölf Jahre her. Leonie Leutheuser war nun 48 Jahre alt, eine immer noch schöne Frau, etwas herb, aber herzlich. Sie betrieb nach wie vor die Pension »Sonnrein« in der Gemeinde Taxenfels am Rand des Wintersportgebiets von Zell am See und Kaprun. Die Taxenfelser fühlten sich etwas ins Hintertreffen geraten gegenüber den Tourismuszentren Kitzbühel, Kaprun und Zell am See, die den Ton angaben.

Doch in den letzten Jahren hatte Taxenfels stark aufgeholt, was nicht zuletzt dem Bürgermeister, Hotelier und Skiliftbetreiber Alfons Hinterhuber zuzuschreiben war. Hinterhuber, ein geld- und machtbesessener Mann und Intrigant erster Ordnung, wurde wegen seiner List und Hinterhältigkeit von Feinden auch »Hinterlist« oder »Der hinterfotzige Hinterhuber« genannt, welche Bezeichnung in Bayern und Österreich derb umgangssprachlich für einen hinterlistigen Menschen gebräuchlich war.

Mit seinem Panoramahotel »Bergblick«, das über Taxenfels erbaut war wie ein Schloß, gab er den Ton an. Er war um die Fünfzig, ein umtriebiger Mann, bei dem man sich fragte, wann er je schlief. Seine Gattin Anna, eine Schulfreundin Leonie Leutheusers, hatte bei ihm nicht viel zu melden. Sein Sohn Ludwig, allgemein Luggi genannt, trat ganz in die Fußstapfen des Vaters, fand Leonie Leutheuser, die eine herzliche Abneigung mit dem intriganten Bürgermeister und Unternehmer verband.

Leider hatte sich Tanja, Leonies 25jährige Tochter, bis über beide Ohren in Luggi Hinterhuber verliebt, der reihenweise die Mädchenherzen brach, jetzt aber bei ihr zur Ruhe gekommen zu sein schien. Luggi war 24, ein Hansdampf in allen Gassen, sehr charmant und redegewandt – er konnte einem Baum die Borke abschwatzen, wie im Salzburger Land eine Redensart lautete.

Seine Schwester Diane – sie wollte ihren Namen grundsätzlich Englisch ausgesprochen haben, oder die Kurzform Di wie die tragisch verstorbene Lady Di – war sehr eingebildet. Sie gab ein Vermögen für Kleider aus und war der Augapfel ihres Vaters, der rein vernarrt in sie war.

Alfons Hinterhuber, der Bürgermeister, verabscheute die tüchtige Pensionswirtin und engagierte Naturschützerin Leonie Leutheuser von ganzem Herzen. Sie hatte ihm vorm Gemeinderat einmal tüchtig die Meinung gesagt, was er ihr nie vergaß. Außerdem behinderte sie seine Expansionspläne, immer neue Skipisten zu bauen und die Landschaft zu verschandeln, wie sie es nannte, und damit die unberührte Natur der Berge zu ruinieren.

Hinterhuber kannte nur den Profit, Macht und Geld. Leonie Leutheuser jedoch liebte die Berge. Sie vereinte in sich eine tüchtige Geschäftsfrau, die jedoch grundehrlich war, eine treusorgende Mutter für ihre Kinder und eine engagierte Naturschützerin. Seit sie parteilos auch noch zum Gemeinderat gehörte, war sie dem Bürgermeister erst recht ein Dorn im Auge.

Zudem gehörten ihr ererbte Grundstücke, die er gern gehabt hätte. Leonie weigerte sich, sie bebauen zu lassen. Auf einem Berggrundstück stand eine Almhütte und weidete Vieh. Andere lagen brach, was Alfons Hinterhuber wurmte, denn diese hätte man gut und gern für eine neue Skianlage nützen können.

»Dort gehört eine Loipe hin«, hatte Hinterhuber nicht nur einmal im Gemeinderat gesagt. »Und wenn wir die Grundstücke der Leutheuserin mit denjenigen zusammenlegen, über die wir schon das Verfügungsrecht haben, können wir Skipisten vom Kitzsteinhorn her einrichten. Damit nähmen wir den Kaprunern einige Kundschaft weg. Taxenfels gilt jetzt schon als Geheimtip im Wintersport und beim Bergtourismus, aber unsere Kapazität ist noch zu gering.«

»Das soll sie auch bleiben«, hatte Leonie Leutheuser, auch als Mutter Leutheuser bekannt, ihm im Gemeinderat widersprochen. »Hier muss sich nicht das ganze Jahr der Touristenrummel abspielen. Die Ökologie der Berglandschaft soll erhalten bleiben. Ich will nicht, dass überall Pisten und Skilifte sind. Was war an Wintersportgästen haben, reicht, und Sommerfrischler, die teils viele Jahre schon regelmäßig immer wieder herkommen, haben wir auch genug.«

»Weißt du, wie wir genannt werden?«, hatte Hinterhuber gerufen und bei der Gemeinderatssitzung auf den Tisch gehauen. »Die verschlafenen Taxe. Während die anderen Orte das große Geld machen, bleiben wir weit zurück.«

»Die Natur zu zerstören, ist ein Verbrechen«, hatte ihn Leonie Leutheuser ermahnt, die in ihrem Dirndl ebenso entschlossen wie attraktiv wirkte. »Wenn wir die obere Bergregion skitouristisch erschließen, vertreiben wir die Murmeltiere und Gemsen.«

»Hole der Teufel die Gemsen«, murmelte Alfons Hinterhuber in seinen Drei-Tage-Bart. Er fügte ein paar Unfreundlichkeiten hinzu, die jedoch keiner verstand, dazu war er zu schlau. Er zwang sich zu einem Lächeln das so falsch war wie eine blecherne Goldmünze. »Wir sollten das gut überlegen. Die Zukunft unserer Gemeinde und zahlreiche Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel.«

Leonie Leutheuser hatte jedoch ihre Fürsprecher und Sympathisanten. Auch erweckten Hinterhuber Reichtum und Machtanspruch einigen Neid, der verschiedene Leute gegen ihn einnahm. Leonie war sich jedoch bewusst, dass sie gegen ihn einen sehr schweren Stand hatte, denn sie kannte die Geldgier ihrer Mitbürger.

Und Hinterhuber verstand zu verlocken.

Er überlegte sich listig, dass eine Verbindung zwischen seinem Sohn Luggi und Leonies Tochter Tanja, die als Assistenzärztin im Spital arbeitete und die Praxisnachfolge des Dorfarztes antreten wollte, zu seinem Vorteil war. Luggi, was seinem Vater durchaus Recht gewesen wäre, sollte erheiraten, was Leonie Leutheuser nicht freiwillig hergab und, wie es der Bürgermeister sah, ihm engstirnig verwehrte.

Alfons Hinterhuber unterstützte diese Verbindung. Es war ihm Recht, dass Luggi sich tatsächlich in Tanja Leutheuser verliebt hatte.

»Ich weiß, wie du bist, Luggi«, sagte er Anfang des Winters im mondänen Panorama-Hotel »Bergblick« zu seinem Sohn. »Aber nimm dich zusammen.«

Es handelte sich um ein First-class-Hotel, eine architektonisch kühne Konstruktion aus Glas und Beton, die zum Tal hin auf Betonstelzen stand. Leonie Leutheuser hatte den »Bergblick« mit seinen 300 Zimmern und Suiten frech einen gemauerten Kraken und ein Monstrum genannt.

Alfons Hinterhuber hatte sich mit dem Bau des Hotels finanziell arg aus dem Fenster gelehnt. Der »Bergblick« war noch nie ausgebucht gewesen. Ohne die neuen Skipisten und Loipen, die er plante, würde Hinterhuber sich schwer tun, das Hotel zu füllen.

»Wie meinst du das, Vater?«, fragte Luggi, im Sportdress, eine jüngere Ausgabe seines etwas kantiger als er wirkenden Vaters, auf der überdachten und verglasten Hotelterrasse, die einen atemberaubenden Ausblick auf die noch nicht verschneiten Berge bot.

»Du weißt schon, lass die Finger von anderen Weibsleuten, Luggi. Sonst verdirbst du es mit Tanja Leutheuser.«

Der fesche Luggi, hochgewachsen, schlank, sportlich, mit einem kecken Oberlippenbärtchen und funkelnden Augen, legte die Hand aufs Herz.

»Diesmal ist es mir Erst, Vater.«

»Das will ich dir raten. Sonst werde ich ernstlich ungehalten. Jetzt schicke mir Diane. Ich habe ein Wörtlein mit ihr zu sprechen.«

Luggi nickte und entfernte sich. Er ging davon aus, dass es sich bei dem Wörtlein um Vorhaltungen wegen der Verschwendungssucht seiner 21jährigen Schwester handelte. Diane besaß jede Menge Schuhe und schicke Kleider, eine ganze Kollektion von Handtaschen und allerlei anderen Accessoires. In ihren Räumen befanden sich mehrere begehbare Kleiderschränke, und es war jedes Mal ein Drama, wenn sie sich überlegte, was sie anziehen sollte.

Oft kam sie darauf, dass sie etwas dazubrauchte.

Alfons Hinterhuber hatte sich gegen seine Tochter noch nie recht durchsetzen können. Seine väterlichen Standpauken und halbherzigen oder zeitlich begrenzten Maßnahmen wie Kontensperrungen für die mondäne Tochter brachten kein dauerhaftes Ergebnis.

Luggi ging an die Bar und rief Diane übers Handy an, weil er keine Lust hatte, sie zu suchen. Sie erschien bald, im Modellkleid, wie zu einer schrillen Party angezogen. Ihr Outfit und die Frisur waren gelinde gesagt auffällig, das Kleid tief dekolletiert.

Der Barkeeper und die paar männlichen Bargäste, obwohl diese ältere Semester waren, starrten auf Dianes halb enthüllte Brüste.

Diane war naturblond, ihr Bruder wie sein Vater braunhaarig, wobei der ältere Hinterhuber graue Schläfen hatte und ergraute.

Diane ließ sich einen Drink geben, spielte mit ihrem mit Halbedelsteinen besetzen Nobelhandy und fragte den Bruder: »Wie ist er denn drauf?«

»Er wirkte ziemlich gereizt. Zieh dir besser was anderes an, sonst geht der Alte gleich an die Decke.«

Alfons Hinterhuber wartete am anderen Ende der großen Hotelterrasse hinter ein paar Raumteilern, Hydropflanzen und Ausstellwänden mit Gemälden und dergleichen.

Diane winkte ab. Sie setzte sich auf den Barhocker. Cool sein und Fun haben, Spaß, war ihre Devise. Die Mittlere Reife hatte sie mit Ach und Krach bestanden, sie durch die Handelsschule zu bringen war ein Drama gewesen. Diane war jedoch sprachbegabt, und sie konnte gut organisieren, wenn sie es wollte.

»Du solltest Vater nicht warten lassen«, ermahnte sie Luggi.

»Zehn Minuten kann er schon einmal vertragen.«

Diane ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Was ihren Vater betraf, so hatte sie ein Argument, das er nicht entkräften konnte. Sie wusste nämlich von der schicken Wohnung in Kaprun, in der seine Geliebte wohnte, die er aushielt. Die junge Frau war 28 und arbeitete in der Verwaltung der Europasportregion, die Kaprun in Union mit der Gemeinde Zell am See bildete und die beim Fremdenverkehr führend war.

Alfons Hinterhubers ehrgeiziges Ziel war es, der Europasportregion den Rang abzulaufen oder zumindest ein Pendant zu dieser zu bilden, mit anderen Ferienorten zusammen. Taxenfels sollte dabei führend sein. Seine Geliebte lieferte Hinterhuber Insiderinformationen, betrieb also für ihn Betriebsspionage, wovor er nicht zurückschreckte.

Diane kannte diese junge Frau noch von der Handelsschule her, wo diese die Jahrgangsbeste gewesen war. Die junge Frau stammte aus kleinen Verhältnissen und hatte sich hochgearbeitet, sie hatte die Fachhochschule zu einem höheren Abschluss besucht, als Diane diesen anstrebte.

Wie Diane zu ihrem Abschluss gekommen war, war ein Kapitel für sich. Ein sonst sehr strenger Dozent, der weiblichen Reizen jedoch nicht abgeneigt war, hatte ihr Privatunterricht gegeben. Und bei ihren Klausuren maßgeblich mitgewirkt.

Es war Nachmittag. Diane bequemte sich endlich, den ob ihrer Ausgaben wieder einmal ergrimmten Vater aufzusuchen. Sie war schlau, sie kannte seinen knappen Terminkalender. Die Zeit, die sie ihn hatte warten lassen, ging von der ab, die er für die Standpauke für sie vorgesehen hatte.

Luggi schaute auf die Uhr. Er bereitete sich darauf vor, Tanja Leutheuser zu treffen, deren Dienst im für mehrere Orte zuständigen Spital in Zell am See jetzt endete und die nach Taxenfels zurückkehrte. Er erwartete die schwarzhaarige, rassige Tanja, mit der er sich bald verloben wollte, sehnsüchtig, wie es sich für einen verliebten jungen Mann gehörte.