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Wenn ein Berliner Taxifahrer sich mit seinen Fahrgästen unterhält, hört er häufig den Satz: „Na, Sie könnten doch’n Buch schreiben, über das, was Sie hier so erleben.“ Christian Schmitz kann jetzt auf diesen Vorschlag antworten: „Hab ick.“ Und sein Buch steckt voller Anekdoten aus dem Leben eines Taxifahrers: Storys über Gurt-Verweigerer, Zentimeterscheißer oder Rückspiegeltäter, überraschende Begegnungen mit Händlern, Türstehern und Künstlern. Außerdem bietet es unerwartete Antworten auf die immer gleichen Fragen und einen Überblick über die wichtigsten Ressentiments und Vorurteile, die so in einem Berliner Taxi abgelassen werden. Es gibt auch nachdenkliche Passagen, denn in ein Taxi kann ja jeder Mensch steigen. Und jeder hat seine eigene Geschichte.
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Seitenzahl: 211
Veröffentlichungsjahr: 2018
Christian Schmitz war noch keine drei Monate alt, als er von fremden Mächten in seiner Geburtsstadt eingemauert wurde. Anfangs trank er seinen Kakao im Café Kranzler am Kurfürstendamm, später sein Bier im Schwarzen Café in der Kantstraße. Der kleine Junge himmelte die Amerikaner auf dem Deutsch-Amerikanischen Volksfest an, der junge Mann wurde für seinen Protest gegen die Schutzmacht von der Polizei eingekesselt. Vom Mietersöhnchen mutierte er zum Getreuen der Hausbesetzer.
Danach entschied er, die Menschheit mit der Feder in der Hand retten. So schrieb er sich auf die Immatrikulationslisten der Brotlosen Künste ein. Doch musste er auch essen und wohnen, wollte die Welt kennenlernen und diese der wachsenden Schar seiner Sprösslinge zeigen. Also verdingte er sich nebenher als Taxifahrer.
So sehr er sich auch mühte, einen Beruf zu ergreifen, den andere „ehrbar“ nennen würden, erwiesen sich die Brotlosen Künste jedoch als eben solche. Die Jahre vergingen und er wurde älter. Doch nennt er sich heute einen ehrbaren Taxifahrer, der mit der Feder in der Hand „Der Fuchsflüsterer vom Zeltinger Platz“ schrieb.
Der Fuchsflüsterer vom Zeltinger Platz
www.edition.subkultur.de
CHRISTIAN SCHMITZ: „Der Fuchsflüsterer vom Zeltinger Platz“
Berliner Taxigeschichten
1. Auflage, September 2018, Edition Subkultur Berlin
© 2018 Periplaneta - Verlag und Mediengruppe / Edition Subkultur
Inh. Marion Alexa Müller, Bornholmer Str. 81a, 10439 Berlin
www.edition.subkultur.de
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Übersetzung, Vortrag und Übertragung, Vertonung, Verfilmung, Vervielfältigung, Digitalisierung, kommerzielle Verwertung des Inhaltes, gleich welcher Art, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.
Die Handlung und alle handelnden Personen sind erfunden.
Jegliche Ähnlichkeit mit realen Personen oder Ereignissen wäre rein zufällig.
Korrektorat: Sarah Strehle
Cover, Satz & Layout: Thomas Manegold
print ISBN: 978-3-943412-36-9
epub ISBN: 978-3-943412-37-6
Was wissen wir vom Berliner Taxifahrer? Er ist unfreundlich, fährt ruppig, nimmt Umwege, wenn er mal überhaupt bereit ist zu fahren – kurz: Eine Taxifahrt in Berlin ist die ultimative Demütigung!
So habe ich es jedenfalls in einer überregionalen deutschen Tageszeitung lesen können. Starker Tobak. Tja, was soll ich dazu sagen? Ich bin schließlich parteiisch. Aber ganz ehrlich: Wenn ich mich mit meinen Fahrgästen unterhalte – ganz so schlimm kann es nicht sein. Obwohl ich natürlich auch immer wieder wahre Horrorgeschichten von Fahrgästen höre oder selber erlebe.
Nehmen wir uns einfach mal das Beispiel Kurzstrecke.
Die Kurzstrecke ist eine Eigentümlichkeit des Berliner Taxitarifs. Wenn man in Hamburg in eine Taxe steigt und nach einer Kurzstrecke fragt, weiß der Kollege sofort Bescheid: „Ah, Sie kommen aus Berlin.“
In Berlin ist es so: Der Fahrgast steht am Straßenrand, winkt sich eine Taxe aus der freien Fahrt, sagt artig: „Eine Kurzstrecke, bitte.“ Dann gibt es 2 Kilometer für 5 Euro. Das ist günstig, normalerweise kosten 2 Kilometer knapp 8 Euro.
Wenn mit dem Fahrgast nun alles in Ordnung ist, er oder sie weder sturzbetrunken ist noch eine Kalaschnikow um den Hals trägt, dann habe ich eine Beförderungspflicht, dann muss ich anhalten. Und wenn der Fahrgast schön artig „Eine Kurzstrecke, bitte“ sagt, dann habe ich Kurzstrecke zu fahren, ohne Wenn und Aber. So sagt es jedenfalls die Berliner Taxiordnung.
Nun ist die Kurzstrecke aber nicht bei allen meinen Kollegen wohlgelitten. Sie sei eines Taxifahrers unwürdig, ein Zuschussgeschäft. Was natürlich alles Quatsch ist.
Aber aus diesem Grunde erlebe ich es immer wieder, dass ich vor mich hinfahre und dann steht da auf einmal, wie neulich erst, so eine zierliche junge Frau am Straßenrand und winkt derart zaghaft schüchtern und verhalten, dass ich nicht weiß, was ich davon halten soll. Winkt man so eine Taxe? Meint die mich? Ich guck noch extra auf die andere Straßenseite, aber da ist niemand.
Also fahre ich rechts ran. Ich komme exakt so zum Stehen, dass sie nur noch die rechte Hand auszustrecken braucht, um die hintere Beifahrertür öffnen zu können. Da haben wir nach diesem merkwürdigen Winken schon das nächste Problemchen. Sieht aus, als wäre sie womöglich lieber vorne eingestiegen. Aber in Berlin steigt man eben nun mal – aus welchen Gründen auch immer, ich weiß es selbst nicht – hinten in eine Taxe. Also halt ich immer so vor den Winkern. Ich kann schließlich nicht beim Heranrollen erst noch das Beifahrerfenster runterlassen und dem Fahrgast zurufen: „Vorne oder hinten, wo möchten Sie sitzen?“
Sie fügt sich in ihr Schicksal und öffnet zaghaft die Tür, lugt mit verängstigtem Gesicht zu mir in die Taxe und fragt mit kaum wahrnehmbarem Stimmchen: „Ist Ihnen eine Kurzstrecke recht?“
„Ist Ihnen eine Kurzstrecke recht?“ Oh Mann, was muss diesem armen Geschöpf schon alles widerfahren sein, dass sie mir diese Frage stellt? Welchen Groll, welchen Hass, welche Anfeindungen muss sie mit dieser Frage auf sich gezogen haben? Wie oft wurde sie wohl bereits aus der Taxe geworfen oder musste den teureren Tarif bezahlen?
„Ja, natürlich“, sage ich und frage sie, wo sie hinwill. Dann kläre ich sie erst mal auf. Dass sie Rechte hat als Nutzerin eines öffentlichen Verkehrsmittels: Fahrgäste haben Rechte in einer Berliner Taxe. Es geht also nicht darum, was ich will, sondern danach, was sie, die junge Dame, will.
Sie kann es gar nicht glauben, das hätte sie nicht gewusst. Sie kommt aus dem Staunen gar nicht mehr raus, als sie erfährt, dass sie in der Taxe die freie Wahl des Sitzplatzes hat, sich also nicht nach hinten verdonnern lassen muss, nur weil der Kollege nicht bereit ist, den Beifahrersitz von seinem halben Hausstand zu räumen, den er da durch die Weltgeschichte spazieren fährt, einschließlich Käsebrot und Thermoskanne. Genauso wie am Halteplatz, da muss sie nicht den ersten Wagen nehmen, wenn ihr der nicht gefällt oder zu dreckig ist oder der Fahrer tief und fest hinterm Lenkrad eingeschlafen ist. Ich würde jedenfalls nicht bei einem Taxifahrer ins Auto steigen, den ich erst wecken muss. Wo kommen wir denn da hin? Wahrscheinlich nirgendwohin.
Die Kurzstrecke ist also ein Beispiel, womit sich die lieben Fahrgäste mit manch einem Berliner Taxifahrer rumärgern dürfen. Es gibt noch andere …
Aber auch unsereiner kann manche Geschichte von den lieben Fahrgästen erzählen. Die meisten sind echt friedlich, da muss ich meinen Fahrgästen wirklich mal ein Kompliment machen. Aber es gibt natürlich Ausnahmen! Und die sind es, die einem womöglich den ganzen Tag vermiesen können. Manchmal gibt es Leute, mit denen diskutiere ich noch im Kopf weiter, obwohl sie schon lange ausgestiegen sind. Ein leidiges, lästiges Phänomen und Ärgernis. Darum wollte ich wissen: Wie hoch ist eigentlich der Anteil dieser schwierigen Fahrgäste? Daraufhin habe ich meinen Fahrgästen Noten gegeben und eine Strichliste geführt. Es gab die Kategorien „Sehr gut“, „Gut“, „Mittel“, „Schlecht“ und „Sehr schlecht“.
Nun, liebe Leserin, lieber Leser, schätze doch bitte einmal, wie hoch der Anteil der „sehr schlechten“ Fahrgäste ist? Ich meine jene, die so richtig Probleme machen. Die so betrunken sind, dass sie nicht mehr wissen, wo sie wohnen, weshalb ich die Polizei holen muss, weil ich einen betrunkenen alten Mann im Winter nicht einfach aussetzen kann. Die nicht bezahlen. Die mit mir Streit anfangen wollen. Die mir das Auto vollkotzen. Die mich als Penner und Kanake beschimpfen, weil ich angeblich den falschen Weg gefahren bin und so weiter. Ich denke, Du kannst Dir vorstellen, was für eine Art von Fahrgastkandidat ich meine. Lies erst weiter, wenn Du eine Zahl im Kopf hast.
So, nun hast Du umgeblättert und liest weiter. Liegt Deine Schätzung bei etwa 10 Prozent? Dann gratuliere ich Dir. Herzlichen Glückwunsch, denn so schätzen die meisten.
Doch ich muss Dir leider sagen: Voll danebengegriffen!
10 Prozent, das wäre schrecklich, da hätte ich jeden Tag mindesten einen solchen Kandidaten im Auto.
Um Dich zu erlösen: Es sind nur 0,3 Prozent. Da staunst Du, nicht wahr?
Kenne ich, biste nicht der oder die Erste. Aber so ist es nach meiner persönlichen Einschätzung nun einmal. Natürlich bin ich auch abgestumpft. Die Doofen können einem irgendwann einfach alle nur noch den Buckel runterrutschen. Hier rein, da raus. Und nach dem Kotze-aus-dem-Auto-wischen wasch ich mir die Hände, lüfte noch mal durch und fahre weiter.
Neulich erst, ein älteres Ehepaar, beide deutlich über 70, kommen aus einem Lokal, in dem alles pauschal im Preis inbegriffen ist, auch der Alkohol! Gefährlich, sage ich, sehr gefährlich! Das haben nun mal nicht alle im Griff, da können manche den Hals nicht voll genug kriegen.
Die beiden auch nicht, vor allem sie nicht. Sie setzt sich hinten auf der Beifahrerseite rein, er geht ums Auto herum, um auf der anderen Seite einzusteigen. Da überkommt es sie auch schon, sie öffnet die Tür wieder, fällt kotzend aus dem Auto und knallt mit dem Kopf – wie der Name so schön sagt – aufs Kopfsteinpflaster! Da liegt sie nun in ihrer eigenen Kotze mit einer Platzwunde am Schädel.
Na, ich war vielleicht bedient. Im Nu eine Riesentraube Leute um sie herum, wie so ein nervöser Bienenschwarm.
Gut, ich ruf also die Feuerwehr, hol sogar eine Notfalldecke aus dem Verbandskasten im Kofferraum, deck die Arme zu, damit sie nicht friert, und warte in aller Gemütsruhe ab, bis sie endlich im Krankenwagen sitzt und abtransportiert wird. Tatütata, weg ist sie.
Nun ist nur noch er übrig. Da steht er nun. Und ich frage ihn ganz ruhig, wie er sich denn das denken würde, mit dem Erbrochenen seiner Frau in meinem Auto. Der glotzt mich nur blöd an und zuckt mit den Schultern.
Ich sage: „Dit macht 100 Euro!“ Was ein guter Preis ist, solange ich den Dreck noch selber an der Tankstelle saubermachen kann. Es gibt auch Fälle, da muss Verdienstausfall für mich und den Tagfahrer und Werkstattreinigung und, und, und bezahlt werden. Da kommen schnell ein paar 100 Euro zusammen.
Und was sagt er? „Das ist ja schnell verdientes Geld!“
Oh, boah ey. Da gehört schon ein hohes Maß an professioneller Contenance dazu, in solch einem Moment nicht die Fassung zu verlieren. Ich hätte dem an die Gurgel gehen können. Seine Olle kotzt mir das Auto voll – gut, so schlimm war es nun nicht, aber dennoch, ich weiß nicht, wie viel Spaß es anderen macht, fremder Leute Erbrochenes wegzuwischen – und er erzählt mir was von leicht verdientem Geld. Ist schon echt merkwürdig, was die Leute so denken. Als ob Kotze aus dem Auto wischen wie selbstverständlich zum Beruf des Taxifahrers dazugehören würde. Und am Ende ist er sogar mit 50 Euro davongekommen, weil er nicht mehr in seinem Portemonnaie hatte.
Nun, das ist ein Fall, den würde ich als „sehr schlecht“ einschätzen. Und von solchen Fällen soll ich jeden Tag mindestens einen haben? Das wäre nicht auszuhalten.
Neulich erst hatte ich einen im Auto, der hat den Anteil solcher Fahrgäste auf 60 Prozent geschätzt. 60 Prozent! In was für einer Welt lebt so einer, der 60 Prozent seiner Mitmenschen für Arschlöcher hält? Ich kann es sagen: Big Business! Mit allem Pipapo.
Ich hatte einen Funkauftrag in Dahlem, dort, wo früher die amerikanischen Offiziere gewohnt haben und mittlerweile auch ganz große Kästen stehen. Die, mit nur einem Klingelknopf pro Kasten und natürlich ohne Namensschild oder höchstens Initialen am Briefkastenschlitz. Dafür aber Überwachungskameras rechts und links und überall. Draußen vor der Tür alles vollgestellt mit Audis Q7, Range Rover und solchen Karren.
Das war das Ambiente: die Nacht, die Villa, die Nobelkarossen. Und nun kommt er endlich, mein Fahrgast. Schwer angeschlagen lässt er sich hinten reinfallen und will nach Alt-Wittenau. Er stöhnt „Puuuh, war das anstrengend“ und fängt an zu erzählen. Ist schon echt merkwürdig, was die Leute alles einem Taxifahrer frei Haus bieten. Es ging um Geschäftsverhandlungen. Ging um Millionen. Und es musste gesoffen werden. Alle wollten sie natürlich an den Auftrag, an das Geld. Also musste mitgesoffen werden, komme, was da wolle.
Soweit erzählt der mit das alles, ohne natürlich allzu sehr ins Detail zu gehen. Aber denn sagt er auf einmal: „Bin ich froh, dass ich nicht Ihren Job habe!“ Klingt doch erst einmal nett, wenn einem so etwas gesagt wird, oder?
Ich: „So, so.“ Ich weiß nicht, ob er in seinem Suff gemerkt hat, dass das vielleicht nicht ganz so sympathisch war, was er da rausgehauen hatte. Vielleicht schon, jedenfalls versucht er, das Ganze etwas zu relativieren.
„Die Fahrgäste …“, fängt er an, „da ist doch einer schlimmer als der andere.“
Ich: „Nö, eigentlich nicht.“ Ich erzähle ihm von meiner Statistik, frage ihn, was er schätzen würde, wie hoch der Anteil der schwierigen Fahrgäste sei. Worauf er „60 Prozent“ raushaut. Er ist total von den Socken, als ich ihm von meinen 0,3 Prozent erzähle. Was das denn für Fälle seien – womit er mich kurz ins Grübeln bringt. Ich kann mich nämlich nicht erinnern, wann ich mich das letzte Mal so richtig mit einem Fahrgast gezofft habe. Spontan fällt mir in der Situation nichts anderes ein, als dass mir die Fahrgäste mit ihrem Ausländergerede ganz gehörig auf die Nerven gehen können.
Oh, da ist Ruhe im Karton. Das ist ihm zu heikel, zu politisch. Glücklicherweise sind wir am Ziel. Er murmelt noch irgendetwas Unverständliches und raus ist er.
Dabei war ich nur ehrlich. Wie mir dieses unsägliche Ausländergerede der Leute auf die Nerven geht! Ist schon echt merkwürdig, was die Leute so raushauen. Völlig ungeniert! Wenn ich das nur höre, schon beim Einsteigen: „Oh, mal ein deutscher Fahrer!“
Wenn es geht, überhöre ich so einen Mist, frage laut und vernehmlich, wo es denn hingehen solle. Weil ich, ganz ehrlich, feige bin. Ja, ich gebe es zu: Ich bin feige! Soll ich auf einen derart blöden Spruch etwa antworten, was ich denke? „Oh, mal wieder ein ausländerfeindlicher Fahrgast!“
Nein, mache ich natürlich nicht. Wozu auch? Hör ich doch ständig im Taxi diesen Spruch: „Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber …“ Was soll ich dazu sagen, auf einer Tour von 5, 6, 7 Kilometern? Da wird es mir kaum gelingen, ein solches Weltbild umzustürzen. Sicher, klar, ich halte auch schon mal dagegen, dass die meisten Ausländer wohl kaum einzig aus dem Grunde hierherkämen, um sich auf unsere Kosten ein schönes Leben zu machen. Dass wir ganz im Gegenteil doch auf Einwanderung angewiesen seien und all solche Sachen. Oh ja, da wird dann eingelenkt, das sei alles schön und richtig, aber, aber, aber.
Oh Mann, wie mich das ankotzt. Ich sage es: Es kotzt mich an! Und warum kotzt es mich an? Weil ich mich schlecht fühle hinterher! Habe ich irgendetwas bewirkt? Nein, es bleibt nichts als ein schaler, schlechter Geschmack übrig. Weil ich noch nie solchen Leuten ins Gesicht geschrien habe: „Ihr kotzt mich an mit eurer Scheiß Ausländerfeindlichkeit!“ Müsste ich aber eigentlich machen.
Denn mit Argumenten muss ich solchen Leuten doch sowieso nicht kommen. Da haben sie ihr passendes Gegengift in der Tasche. So ein betoniertes Weltbild lässt sich nun mal nicht einfach mit einer Handvoll von Argumenten erschüttern.
Die Engländer haben es nach dem Zweiten Weltkrieg auch nicht geschafft, den Berliner Zoobunker der Nazis mit einer Sprengung zu pulverisieren. Was waren die gefrustet. Die machen – vor den Kameras der Presse! – einen auf Einen-Nazibunker-sprengen-wir-mit-links, es macht RUMS, die Wolke verzieht sich und: Das Ding steht noch genauso da wie vorher. Nichts, nicht der kleinste Kratzer an dem Bunker. Genauso geht es mir. Gut, die Engländer haben es dann doch in jahrelangen Bemühungen geschafft, den Zoobunker dem Erdboden gleichzumachen. So viel Zeit und Dynamit habe ich aber nicht auf einer Taxifahrt von ein paar Kilometern. Also steht der Bunker der Ausländerfeindlichkeit am Ende der Fahrt meist genauso wie zu Beginn der Fahrt. Das ist frustrierend!
Aber was soll erst der Türke dazu sagen, den ich neulich im Taxi hatte, der den Nachnamen seiner deutschen Ehefrau angenommen hat, damit seine Kinder es einmal leichter haben bei der Wohnungs- und Arbeitssuche. Müller hieß er. Das wusste ich durch den Funkauftrag. Was weiß ich – Cem oder Tarek Müller. Traurig, nicht wahr, dass er sich mit seinen Eltern zerstreiten muss, wie er mir erzählte, nur damit seine Kinder nicht aufgrund ihres türkischen Nachnamens Probleme haben, eine Wohnung oder Arbeit zu finden? Ich finde das traurig. Müsste doch alles nicht sein, oder?
Aber ich kann mich nicht den ganzen Tag lang aufregen. Das geht nicht. Habe ich mir abgewöhnt. Ich will noch ein paar Jahre haben. Auch im Straßenverkehr. Ich rege mich nicht auf. Ist schon echt merkwürdig, aber das sind meistens die Fahrgäste, die hinten sitzen und rufen: „Nun fahr doch mal!“
Ich bin nur immer froh, wenn nichts passiert. Mein größter Albtraum: ein Unfall mit einem Radfahrer. Es ist doch so: Die können alles falsch machen, was man nur so falsch machen kann – im Dunklen ohne Licht aus der falschen Richtung kommen – wenn was passiert – wer ist schuld? Icke. Ich bin der Stärkere, also bin ich mit mindestens 10 Prozent Betriebshaftung dabei. Ärgerlich.
Neulich erst hatte ich eine ältere Dame vorne bei mir auf dem Beifahrersitz. Da schießt auf einmal von rechts ein Radfahrer zwischen den parkenden Autos vollkommen unvermittelt über die Straße, dass ich scharf bremsen muss.
Die Alte fängt an, sich aufzuregen, aber nicht nur über den Radfahrer, nein, auch über mich! Ich hätte draufhalten sollen, ich hätte noch Gas geben sollen.
Ich sage: „Gute Frau, seien Sie froh, dass nichts passiert ist.“
Und sie: Nein, der hätte ihr den Abend verdorben, nun könne sie nicht einschlafen vor Aufregung, jetzt müsse sie erst mal einen Schnaps zu Hause trinken.
Solche Sachen darf ich mir anhören im Taxi. Sehr merkwürdig!
Aber wie gesagt, es gibt viele nette Fahrgäste, mit denen es Spaß macht zu fahren. Neulich erst einer mitten in der Nacht von einer Kneipe zur anderen. War auch schon ordentlich dabei, dass ich natürlich erst dachte: „Oh, oh, was wird das jetzt?“
Aber war echt witzig die Type. Gärtner! Aber nicht irgendein Gärtner. Nein, einer von der ganz noblen Sorte. Seine Chefin organisierte Reisen mit den Schönen und Reichen zu den prachtvollsten Gärten der Welt, war gerade mit ihrer Klientel in Argentinien unterwegs, so dass sie von denen ihre Aufträge zur Gartengestaltung erhielt, an der mein Gärtner bei mir im Taxi arbeitete. Da werden Gärten für Millionen gestaltet! Millionen für die Gestaltung eines Privatgartens! Nicht für ein Schloss oder so. Irre, oder? Da werden Preise für Schneeglöckchen bezahlt, das glaubt keiner. Also nur mal zum Vergleich – ich habe es recherchiert und überprüft, was der gute Mann mir da erzählt hat – im Baumarkt kosten 15 Schneeglöckchen 1,99 Euro, heißt gut 13 Cent pro Schneeglöckchen. Mein Gärtner aber und seine Firma, die pflanzen Schneeglöckchen für – Achtung, Achtung, jetzt heißt es sich festhalten, ich konnte es selbst kaum glauben – für 63 Euro das Stück! 63 Euro für ein kleines Schneeglöckchen – irgendeine englische Züchtung! Unglaublich, oder?
Ist doch interessant, was man so lernen kann von seinen Fahrgästen in der Nacht …
Dann gibt es natürlich auch echt witzige Begegnungen im Taxi. Neulich erst, ein Finne. Freitagabend stehe ich am Hauptbahnhof, da steigt er zu mir ins Taxi, fragt mich, ob ich Englisch sprechen würde, und ich: „Yes, I do“, und er darauf: Er bräuchte ein Auto, jetzt! Ein gebrauchtes Auto, höchstens 3.000 Euro.
Ich: Dass aber schon alle Gebrauchtwagenhändler um die Uhrzeit geschlossen hätten.
Ja, er hätte auch schon im Internet geguckt, bei Händlern und Privatanbietern! Und hält mir das Display seines Smartphones hin, auf dem ich das Bildchen eines Autos erkennen kann. Wie ich merke, hat er sich das entsprechende deutsche Vokabular bereits angeeignet. Baujahr, Kilometerstand, das kann er alles. Nur Deutsch sprechen könne er nicht, ob ich das für ihn übernehmen könne.
Ich zucke mit den Schultern und sage: „Ja, okay.“ Und schon – ZACK – hält er mir sein Handy hin und bittet mich, wegen eines uralten Opel Omega mit – was weiß ich – einer Million Kilometer auf dem Tacho anzurufen. Also gut, ich tue ihm den Gefallen, und tatsächlich geht jemand am anderen Ende ran. Der sitzt in Mariendorf. Gut, ich sage dies meinem Finnen, dass es eine weite Fahrt vom Hauptbahnhof nach Mariendorf werden würde.
Er: „No problem.“
Und schon fahren wir nach Mariendorf. Mann, als ich das Auto nur schon da auf dem Hof stehen sehe, denke ich: „Die Karre wird der doch wohl nicht kaufen!“ Und denn die Type dazu, die aus dem Haus kommt – Jogginghose, Pittbull an der Leine. Da stehen wir nun also alle drei um diesen Schrotthaufen herum, ich dolmetsche ein bisschen zwischen den beiden hin und her und werfe einen Blick auf die TÜV-Plakette: Abgelaufen! Natürlich, was sonst?
Als der Pittbull mit der Jogginghose nicht hinschaut, nehme ich Blickkontakt mit meinem Finnen auf und schüttle den Kopf, gebe ihm mit der Hand ein Zeichen, dass er unbedingt die Finger von der Karre lassen soll. Glücklicherweise versteht er mich und kommt ziemlich schnell zum Ende. Wir rein in die Taxe und bloß weg.
Ich kläre ihn erst mal über den deutschen TÜV auf und dass er beim nächsten Auto unbedingt auf HU und AU achten soll, dass die am besten neu sein sollten. Womit er wieder ein neues deutsches Wort gelernt hat.
Er will schließlich mit dem Auto nach Polen, warum auch immer. Das habe ich nicht verstanden. Er hat es mir nicht richtig erklärt. Geht mich aber auch nichts an. Macht alles keinen wirklich unseriösen Eindruck auf mich, warum auch immer ein Finne von jetzt auf gleich in Deutschland ein gebrauchtes Auto kaufen muss, um damit nach Polen zu fahren. Er wird schon seine Gründe dafür haben.
Wie geht es weiter? Bei der nächsten Karre steht HU / AU neu im Inserat. Und was ist, als wir in Kreuzberg ankommen? Abgelaufen! Für wie doof halten einen solche Gebrauchtwagenverkäufer eigentlich?
Ich weiß gar nicht mehr, was bei der dritten Karre ist. Bei der vierten werden wir auf jeden Fall fündig. In Karow! Das ist im Bezirk Pankow, für diejenigen, die es nicht so haben mit den Berliner Ortsteilen. Wir treffen eine nette junge Frau, die ihren Nissan Micra anbietet. Sie hat männliche Verstärkung mitgebracht. Macht alles soweit einen ganz vernünftigen Eindruck. Ich nicke meinem Finnen zu. Er hat in der Zwischenzeit gelernt, auf meine Gestik und Mimik zu achten. Die werden sich also handelseinig. Das Pärchen winkt zum Abschied.
Nun muss er nur noch volltanken und lädt mich bei der Gelegenheit auf einen Tankstellenkaffee ein. Auf dem Taxameter steht in der Zwischenzeit ein dreistelliger Betrag, beim Trinkgeld lässt er sich nicht lumpen – zweistellig, und nach einem kräftigen Händedruck ist er weg. Der Finne ist glücklich, ich bin zufrieden, alles schick. Das Einzige, was mich wurmt, ist, dass ich vergessen habe, ihm zu raten, den Aufkleber auf der Heckklappe abzuziehen, den sie sich hinten draufgeklebt hatte: Zicke! Na, ich kann es nicht mehr ändern, dass nun ein armer Finne als Zicke durch Polen fährt. Ist auch egal, die Polen verstehen es eh nicht.
Mann, muss ich pinkeln nach der Tour. Wir sind eine halbe Ewigkeit unterwegs gewesen. Und Hunger habe ich auch. Ich also auf der Tankstelle auf die Toilette. Schöne Toilette mit allem Drum und Dran, was eine ordentliche, saubere Toilette ausmacht. Jetzt wird sich der eine oder die andere natürlich wundern, warum erzählt der uns das? Ich habe meine Gründe.
Es ist nämlich so: Meine Taxe fährt mit Erdgas – umweltfreundlich, kostengünstig – alles wunderbar. Der Nachteil: Es gibt nicht überall Erdgas in der Stadt. Ist aber kein Problem, weil ich alle Erdgastankstellen in Berlin kenne. Ich muss nur eben immer drauf achten, dass, wenn ich in die Nähe einer Erdgastankstelle komme, ich womöglich die Chance nutze und tanke. Außerdem kann ich beim Tanken natürlich bei der Gelegenheit mal auf die Toilette gehen.
Ich weiß noch, wie ich das erste Mal an einer Erdgastankstelle in Oberschöneweide getankt und gepinkelt habe. Ich bezahle mein Erdgas an der Kasse und gehe danach auf die Toilette – Herrentoilette mit Pinkelbecken, Handwaschbecken, Papierhandtüchern, Licht – alles schick. Nun ist es aber so, dass ich auch nicht mehr der Allerjüngste bin. Meine Prostata entwickelt sich altersgemäß, was bedeutet, dass sie wächst und wächst und wächst. Muss sich keiner Sorgen um mich machen, ist urologisch alles unter Kontrolle. Nur das Pinkeln, das kann halt dauern, weil die Prostata die Harnröhre abklemmt. Und wenn ich dann noch stundenlang zugekniffen habe, Mann, das kann womöglich dauern, bis so eine volle Blase endlich leer ist.
Ich stehe also vor dem Urinal und erleichtere mich. Es dauert. Und auf einmal: Licht aus! Wie bei Ilja Richters Fernsehsendung Disko in den Siebzigern – Licht aus, aber nichts ist mit Spot an, wie es in der Sendung immer üblich war, um den Gewinner eines Quiz auszuleuchten. Nein, Schwärze, nacht-, pech-, kohlrabenschwarze Schwärze. Mann, ich kann nicht die Hand vor den Augen erkennen, kein Fenster, durch das auch nur ein bisschen Licht schimmert. Nichts!
Nun, ich neige wahrlich nicht dazu, in Panik zu geraten. Ich bemühe mich immer, auf schwierige Situation ganz apollomäßig zu reagieren, Houston, we have a problem, und so. Aber dies scheint mir im ersten Augenblick eine schier ausweglose, äußerst dramatische Situation. Was soll ich tun? Also erst einmal schlicht und ergreifend weiterlaufen lassen. In der eingenommenen Stellung kann schließlich nichts weiter passieren.