Der ganz besondere Saft - Thomas Manderley - E-Book

Der ganz besondere Saft E-Book

Thomas Manderley

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  • Herausgeber: TWENTYSIX
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2024
Beschreibung

Vampirprodukttester Mario und sein Kollege Tristan untersuchen einen mysteriösen Fall von Tagschlafstörungen und Fangzahnverkürzungen bei Vampiren, die ein neuartiges Sargkissen mit integrierten Blutkonservenhaltern benutzen. Dabei treffen sie auf ein riesiges Netzwerk voller Lügen, Särge und Blutkonserven, ja sogar Knoblauchpressen sind im Spiel. Gemeinsam mit ihren Partnern versuchen die beiden, Licht in dieses verborgene Geheimnis der Schattenwelt zu bringen, koste es auch den letzten roten Tropfen. Der ganz besondere Saft, die Vampir-Kriminalkomödie.

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Seitenzahl: 194

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Prolog

Vorsichtig klopfte Mario an die alte, verbeulte Metalltür, deren Lack schon vor Jahrzehnten abgeblättert war und die nun fast nur noch aus Rost bestand. Einen Moment später öffnete eine schwarz gekleidete Dame mit langem, blondem Haar und bat Mario mit einer Verbeugung einzutreten.

Der Raum hinter der Tür spiegelte deren Zustand perfekt wider: Die Wände waren nahezu komplett mit Spinnweben bedeckt und in den Ecken stapelte sich der Müll: alte Kleidung, zerrissene Abfallsäcke, kaputte und verschimmelte Möbelreste.

Mario richtete seinen Blick jedoch auf den Boden, denn bei jedem Schritt, den er nahm, knackte es unter seinen Stiefeln, aber er konnte nicht erkennen, worauf er da trat. Eine schummrige Glühlampe an der Decke war die einzige Lichtquelle im Raum und zeichnete bizarre Schatten der anderen Gäste an die Wände, die auf Möbelresten, entlang der Wände aufgereiht, saßen. Mario konnte spüren, wie ihre Blicke ihn von oben bis unten musterten.

Er ging jedoch Schritt für Schritt vorwärts, bis er kurz vor einem langen Tisch, der mit einem weißen, sauberen Leinentuch bedeckt war, stehen blieb. Darauf standen drei eigenartige Metallzylinder, glänzend und schnörkellos.

Die Dame, die Mario die Tür geöffnet hatte, trat langsam von hinten an ihn heran und flüsterte ihm mit kalter Stimme über seine Schulter hinweg ins Ohr: „Schön, dass du kommen konntest, Mario, und herzlich willkommen zu unserem Test.“

„Danke und gute Nacht“, antwortete Mario, „was ist das Ganze? Was soll ich hier? Ihr habt mir 100 Mäuse versprochen, vergesst das nicht!“

„Natürlich nicht!“, sagte die Dame, ging langsam um den Tisch herum und stellte sich Mario gegenüber hinter den seltsamen Zylindern auf, „mein Name ist übrigens Dolores. Und nun wähle!“

Mario betrachte die Zylinder, intervenierte aber: „Warte mal! Bevor ich anfange, habe ich noch ein paar Fragen.“

„Nur zu! Was immer du wissen möchtest.“ Ein breites Lächeln zierte Dolores‘ kreideweißes Gesicht.

„Wer sind die ganzen Gestalten hier im Raum, die mich die ganze Zeit beobachten?“

„Das ist die Jury“, antwortete Dolores säuselnd, gefolgt mit einem Raunen und Kichern, das wie eine Welle durch den Raum schwappte.

„Na schön. Und bei den 100 Mäusen sprechen wir von Geld, richtig? Nicht von echten Mäusen, aus denen ich dann trinken soll?“

„Aber Mario, bitte: Welcher halbwegs vernünftige Vampir, der noch etwas Würde übrighat, trinkt denn Mäuseblut?“

Die anderen Gäste im Raum lachten laut auf, aber Mario ließ das einfach an sich abprallen, wie das Licht, wenn es versuchte, sein Spielbild zu projizieren. „Ich wollte nur sichergehen. Ich habe in den letzten 400 Jahren so einiges erlebt.“

„Natürlich, Mario. Und nun wähle!“

Mario betrachtete wieder die Zylinder und hob schließlich den mittleren von ihnen an. Darunter befand sich ein Glas mit einer roten Flüssigkeit darin. „Ist das Blut?“

„Na was denn sonst?“, antwortete Dolores barsch, „es sind drei verschiedene Sorten, wenn du es wissen willst.“

„Verschiedene Spezies? Blutgruppen? Was genau?“, fragte Mario, nahm das Glas und betrachtete die Flüssigkeit darin im Gegenlicht der flackernden Glühbirne.

„Das bleibt unser Geheimnis, Mario.“ Dolores Stimme verwandelte sich wieder in das übliche Gesäusel. „Aber koste nur! Es ist sauber und wohlschmeckend.“

Mario sah Dolores für ein paar Sekunden schweigend an, nahm dann aber ein Schluck aus dem Glas. Er stellte es wieder ab, nahm die Metallzylinder von den anderen Gläsern und probierte auch von ihnen.

„Jetzt sag uns, Mario: Welches ist dein Favorit?“

Mario brauchte nicht lang zu überlegen. „Das hier in der Mitte, ganz klar.“

Die Jury und auch Dolores jubelten auf: „Es ist Kunstblut!“

„Wie bitte?“ Mario wusste nicht, ob er erstaunt oder verärgert sein sollte.

Dolores riss ein graues Tuch herunter, das hinter ihr an der Wand hing und das Mario bisher gar nicht bemerkt hatte. Zum Vorschein kam ein großes, knallbuntes Werbeplakat mit der Aufschrift: ‚Homemade Serology Art – Das neue Kunstblut, erhältlich in 5 Geschmacksrichtungen‘.

„Wir sind von der Firma Homemade Serology Art & Co. und das ist unser neues, bahnbrechendes Produkt. Wie du bemerkt hast, Mario, schmeckt es gut. Deine Geschmacksrichtung war vegetarisch mit schwarzem Nachtschatten.“

„Wie bitte? Vegetarisch?“, schrie Mario.

„Ja, es ist außerdem gesund und erzeugt eine geschmeidige Haut.“

„Vegetarisches Kunstblut mit Pflanzengeschmack: Ihr habt sie ja nicht mehr alle! Und dann redet ihr noch über würdevolle Vampire und so etwas. Gebt mir bloß schnell die 100 Mäuse und dann nichts wie weg hier.“

Dolores verzog das Gesicht und drückte Mario einen Geldschein in die Hand. Aber dann setzte sie wieder ihr Lächeln auf und flüsterte: „Aber es verlängert auch das Leben!“

„Verlängert das Leben? So einen Blödsinn habe ich seit Jahrhunderten nicht mehr gehört!“ Mario lachte auf, drehte sich um und ging. Er öffnete die Tür, spreizte die Schwingen und flog hinaus. Und noch von weitem schallte sein spöttisches Gelächter durch die kalte Dunkelheit der Nacht.

Kapitel 1

Die Luft glitt wie ein schwarzer, endloser Schatten über Marios Schwingen, feucht und kühl. Das alte, verlassene Stahlwerk, das Dolores für ihren Test auserkoren hatte und das wie ein Gespenst am dunklen Flussufer vor sich hin rottete, hatte Mario bereits hinter sich gelassen und so steuerte er nun auf das weit verzweigte Wegenetz des städtischen Zentralfriedhofs zu. Er musste sich beeilen, denn am Horizont war bereits der Sonnenaufgang zu erahnen.

Die Flügel angelegt, Sturzflug in Richtung Landeplatz hinter einem der prächtigen, marmornen Grabsteine. Mario richtete sich auf und sah sich um: keine Menschenseele weit und breit. Nur ein Uhu, der auf dem Ast eines der vielen Friedhofsbäume saß, sah ihn mit großen Augen an.

„Guten Morgen Xaver!“, begrüßte ihn Mario freundlich. Komm, die Nacht war anstrengend. Gehen wir schlafen!“

„Uuu-Hu.“ Xavers Antwort fiel wie immer eher kläglich aus. Aber Mario, der seinen gefiederten Freund und dessen Wortkargheit schon lang genug kannte, stieg bereits die Treppenstufen hinab, die hinunter in seine Gruft führten.

„Mario, wo warst du so lange? Es ist gleich Morgen.“ Natalie kam mit besorgtem Gesicht auf ihn zu. „Wir müssen schleunigst in unsere Särge, die nächste Nacht wird wieder anstrengend.“ Sie trug bereits ihren schwarzen, seidenen Schlafumhang und ihr Haar, das sie nachtsüber immer zu einem Zopf zusammenband, hing ihr offen über die Schultern.

„Sorry, Schatz, ich hatte nach der Arbeit noch einen Termin.“ Mario versuchte seine Gefährtin mit einem Lächeln zu beruhigen.

„Was denn für einen Termin?“

„Na, jetzt lass mich doch erst mal reinkommen!“ Mario hing seinen Umhang in die alte, knorrige Garderobe an der Wand und setzte sich auf die steinerne Bank, direkt vor dem Großbildfernseher, der oberhalb von Natalies Sarg an der Wand hing.

„Nee, nee, Herr Vampir!“, intervenierte Natalie und baute sich vor Mario auf, „das Einzige, was du im Kopf hast, ist dieser blöde Fernseher. Ich habe heute nach der Arbeit die ganze Gruft aufgeräumt und geputzt. Hast du nicht bemerkt, wie sauber hier alles ist?“

Mario sah sich um. „Stimmt. Toll! Du hast sogar die Spinnweben entfernt. Ach, und die Blutflecken in der Tischdecke hast du auch rausbekommen. Wie hast du denn das geschafft?“

„Na, du bist doch der Herr ‚Chef-Vampirprodukt-Tester‘. Kannst du dich nicht erinnern, dass du vor zwei Wochen so ein Waschmittel mit Blutlöser getestet und in den höchsten Tönen gelobt hast?“

„Ehrlich …“ Mario konnte nicht weitersprechen.

„Das Zeug funktioniert wirklich. Aber eine letzte Sache ist noch zu tun.“

Mario runzelte schläfrig die Stirn. „Ja? Was denn?“

„Siehst du den Mülleimer mit den leeren Blutkonserven? Der quillt schon über!“

„Es ist fast Sonnenaufgang, hast du selbst vorhin gesagt. Ich laufe jetzt bestimmt nicht noch mal rüber zum Krankenhaus und entsorge da Blutbeutel in deren Abfall. Und bisher hat noch niemand einen großen Transportbeutel erfunden, den man auch im Flug tragen kann. Ich nehme den Müll heute Abend auf dem Weg zur Arbeit mit, okay?“

„Na schön!“ Natalie ging in Richtung Kühlschrank und gab Mario endlich die Sicht auf seinen geliebten Fernseher frei.

„Ach …“, meldete sich Natalie noch einmal zu Wort, „der Fernseher geht nicht.“

Mario seufzte: „Wieder die Stromleitung?“

„Wahrscheinlich. Du musst unbedingt ein anderes Kabel anzapfen. Hier sind doch genug davon verlegt. Der Kühlschrank fällt auch ständig aus. Uns werden noch sämtliche Konserven schlecht. Und die Knoblauch-Alarmdetektoren? Wolltest du die nicht schon längst installiert haben?“

„Ja, ja, ja, morgen ist auch noch eine Nacht. Ich werde ein neues Kabel anzapfen, die Detektoren installieren und den Abfall entsorgen. Zufrieden?“ Mario leierte seinen Text herunter, wie einstudiert.

„Meinst du das ernst?“

„Ja klar!“ Mario musste sich beherrschen, um nicht die Augen zu verdrehen.

Natalie hingegen setzte eine freundlichere Miene auf, kam zu ihm herüber, setzte sich neben ihn und schmiegte ihren zierlichen Körper an seine kräftigen Schultern.

„So ist’s besser!“, sagte Mario leise.

Natalie schloss die Augen, atmete tief durch und genoss den Moment. Doch dann sah sie an Mario empor und flüsterte: „Und den Doppelsarg, wann kaufen wir den?“

„Den Doppelsarg?“ Jetzt verdrehte Mario tatsächlich die Augen. „Na, den habe ich schon bestellt. Der sollte in zwei oder drei Nächten hier sein.“

„Schön.“ Natalie stand auf. „Lass uns schlafen, es ist gleich hell.“ Sie gab Mario einen Schmatzer auf die Wange und ging hinüber zu ihrem Sarg.

„Na gut.“ Mario erhob sich langsam und legte sich ebenfalls zur Ruhe, in seinen eigenen Sarg, der auf der anderen Seite der Gruft stand. Aber da fiel ihm ein, dass er etwas Wichtiges vergessen hatte. „Ach, sag mal Schatz: Wie war’s denn heute in der Redaktion?“

„Schön, dass du fragst. Du weißt ja, dass unsere Zeitung mit diesem Käseblatt ‚Die Nachtluft‘ fusioniert ist. Heute ist das offiziell passiert und wir haben auch einen neuen Namen.“

„Ach ja? Wie heißt ihr den jetzt?“

„Der Untote.“

„Na wie erfrischend. Und habt ihr ein wenig gefeiert?“

„Noch nicht. In drei Nächten gibt es einen offiziellen Ball für die Belegschaft. Und natürlich kann man seinen Partner oder Partnerin mitbringen.“

„So einen richtigen Vampir-Ball mit Tanz und so?“ Marios Stimme klang begeistert.

„Ich denke mal.“

„Super. Ich freue mich schon. Dann mal guten Tag, Natalie!“

„Guten Tag, Mario!“

Das Zuklappen der Sargdeckel schallte dumpf durch die Gruft und besiegelte das Ende der Nacht.

Am nächsten Abend fuhr Mario zur Arbeit ins Testlabor. Das Wetter war ungemütlich in dieser Nacht. Starke Windböen versprühten den Regen in alle Richtungen gleichzeitig und die Temperaturen waren noch einmal kräftig gesunken. Obwohl es Mario liebte, hoch über die dunkle Stadt zu fliegen, hatte er an diesem Abend beschlossen, sich Jeans, Pullover und Jackett, statt seines geliebten schwarzen Umhangs anzuziehen und einfach den Bus zu nehmen. Aber der fuhr an diesem Abend extrem langsam. Trotz Scheibenwischer im Schnellmodus, konnte der Fahrer bei solch einem Regen nur schwer etwas erkennen. Die Lichter der Häuserblöcke links und rechts der Straße spiegelten sich in der nassen Fahrbahn und verschwammen in den Regentropfen, die wie ein Trommelwirbel an die Fenster des Busses prasselten. Marios Augen schmerzten vom gellen, diffusen Lichterbrei, aber er ließ sich nichts anmerken.

Dann endlich führte die Straße hinaus aus den dichtbesiedelten Vierteln und hinein in die Industriezone im Norden der Stadt. Viele neue Bürogebäude waren hier in den letzten Jahren entstanden, hier wo einmal ein großes Aluminiumwerk stand, dessen verlassene Gebäude nach und nach abgerissen und durch moderne Gewerbekomplexe mit großen Glasfronten ersetzt wurden. Aber das alte Kraftwerk der Aluminiumfirma stand noch, auch wenn diese bereits seit Jahren stilllag. Und jetzt beherbergte es das TLfVP, das „Testlabor für Vampirprodukte“.

Mario stieg an der Haltstelle vor einem der Bürogebäude aus, das sich gleich neben dem alten Kraftwerk befand, und rannte die letzten Meter zu Fuß hinüber ins Labor.

„Guten Abend Mario!“, begrüßte ihn sein Kollege Tristan, wie immer mit frisch gestutztem Bart, mit perfekt gestylter, grauer Stoppelfrisur, einem Lächeln auf den Lippen und einer Tasse Blut in der Hand, „heute ohne Umhang: Hast du den Bus genommen?“

„Von dir sehe ich auch keinen Umhang in der Garderobe. Du bist also nicht geflogen, oder?“

„Ich fliege doch sowieso nicht so gern und bei dem Wetter erst recht nicht.“

„Na siehst du: Frage beantwortet! Aber sag schon: Was ist es dieses Mal?“, fragte Mario, während er sein, trotz des kurzen Fußweges, vollkommen durchnässtes Jackett an einen der Garderobenhaken neben der Eingangstür hängte.

„Was wir heute testen müssen?“

„Das auch, aber was steht denn heute auf der Getränkekarte, will ich wissen.“

„Wildschwein. Keine Ahnung welche Blutgruppe, aber es ist lecker!“ Tristan strahlte übers ganze Gesicht.

Mario runzelte jedoch die Stirn. „Wildschwein? Wie bist du denn da drangekommen?“

„Du weißt doch: Mein Partner Richard, er … na ja … ach, das willst du gar nicht wirklich wissen. Aber möchtest du mal kosten? Im Kühlschrank ist noch 'ne Konserve.“

„Später, danke! Ich hatte heute Morgen Perlhuhn. Die Blutgruppe weiß ich auch nicht mehr, aber es war sehr gut. Natalie war gestern in dieser Feinkostblutbank unten am alten Hafen.“

„Oh ja, die ist klasse, nur etwas teuer“, sagte Tristan und ging hinüber ins Lager, das direkt an den großen Hauptraum angrenzte, der mit großen und kleinen Messgeräten aller Sorten und allen Alters vollgestopft war und zwischen denen sich zudem noch Tristans und Marios Schreibtische quetschten. Tristan sprach dabei unbeirrt weiter: „Die haben übrigens vor Kurzem hier angefragt, ob wir mal ihr neues, hauseigenes Antigerinnungsmittel testen wollen.“

„Na dann machen wir das doch. Hilft bestimmt bei der Verdauung, oder?“ Mario ging zu seinem Schreibtisch, setzte sich auf seinen Bürostuhl und klappte seinen Laptop auf. „Aber was steht denn heute an?“

Im nächsten Moment kam ein Kissen aus dem Lagerraum geflogen und traf Mario am Kopf. „Das hier!“, meldete Tristan, der mit einem Lächeln auf den Lippen zurück ins Büro kam. Sein roter Laborkittel wehte nach hinten und gab die Sicht auf den Rentier-Wollpulli frei, den er darunter trug.

Mario schüttelte nur den Kopf, hob das Kissen auf und betrachtete es von allen Seiten: „Ist es das, was ich denke?“

„Ja genau, das Sargkissen 3000!“, antwortete Tristan mit Stolz in der Stimme.

„Mann, du überraschst mich echt immer wieder. Die gesamte Unterwelt spricht davon. Wo hast du das her?“

„Der Hersteller hat es uns geschickt, ganz normal.“

„Aber die Teile verkaufen sich wie Zahnanspitzer. Wieso wollen die, dass wir es dann noch testen?“

Tristan zuckte nur mit den Schultern. „Keine Ahnung. Vielleicht weil unsere Meinung ein gewisses Gewicht hat?“

„Wow, sieh dir die integrierten Blutbeutelkammern an!“

„Ja. Wenn‘s draußen so richtig regnet …“

Mario grinste. „Du meinst, so wie heute?“

„Ja genau. Und wenn du dann einfach keinen Bock hast, auch nur den Sargdeckel zu öffnen, hast du die Konserven gleich bei dir und ohne die Gefahr, dass die Beutel platzen, wenn du dich mal im Grab umdrehst.“

„Ja, ist schon praktisch“, murmelte Mario, während er das Kissen noch immer vor seinen Augen hin und her drehte und jedes Detail akribisch betrachtete.

„Die haben uns gleich drei Stück geschickt. Eines habe ich für die chemische Analyse benutzt. Der erste Test mit den Fasern vom Bezug läuft schon. Ist morgen früh fertig. Aber der Schnelltest hat keinerlei Belastung mit Knoblauch oder irgendwelchen anderen Lauchsorten ergeben.“

Mario hielt sich das Kissen unter die Nase. „Riecht auch nicht wirklich danach. Aber da habe ich eine Idee: Ich nehme die anderen beiden Kissen morgen früh mit nach Hause und Natalie und ich machen den Praxistest. Was meinst du?“

„Gute Idee! Bei mir wird das sowieso nix. Richard und neue Technik: keine Chance. Aber was willst du auch von einem 750-jährigen erwarten?!“

Gesagt, getan! Am Morgen kam Mario aufgeregt zurück in die Gruft und hielt euphorisch die beiden Sargkissen 3000 in die Luft. „Sieh mal, Natalie, was ich hier … Wow, was ist das?“

Natalie wirbelte um ihre eigene Achse und blieb mit ausgestreckten Armen in Präsentierpose stehen. „Das ist unser neuer Doppelsarg. Er ist vor etwa einer Stunde gekommen!“

„Ja super!“ Mario warf die beiden Kissen mit Schwung in die Garderobenecke und ging hinüber zu seiner und Natalies neuer Schlafstätte. „Der ist ja viel besser als im Katalog! Sieh dir nur die Beschläge und die Politur an!“

„Na, mach ihn erst mal auf. Innen ist doch der interessante Teil.“

Mario sah Natalie mit strahlendem Gesicht an, wartete aber.

„Na los, jetzt mach ihn schon auf!“

Mario zögerte immer noch.

Natalie verdrehte die Augen, ging zum Sarg und betätigte einen Knopf am Fußende. Der Deckel wurde von den eingebauten Federn und Dämpfern sanft und leise angehoben, bis er ganz offenstand.

„Das ist ja nicht zu fassen!“, rief Mario und kniete sich neben sein neues Schlafmöbel auf den steinernen Boden, „guck dir das an: Automatikdeckel, Seidenauskleidung und eingebauter Lauchalarm. Schatz, das ist der Wahnsinn!“

„Jaaaa!“ Natalie zog Mario an den Armen nach oben, umarmte ihn so fest sie konnte und flüsterte ihm ein „Danke, mein Liebster. Und mit den Klamotten, diesen unwiderstehlichen Naturlocken und diesem kratzigen Drei-Tage-Bart bist du wirklich der sexiest Untote der Schattenwelt!“, ins Ohr.

Mario riss die Augen auf, doch im nächsten Moment spürte er, wie Natalie mit einem ihrer ausgefahrenen Fangzähne an seiner Wange entlangstrich und fauchte. Ein Eisschauer fegte durch seinen Körper von den Zehenspitzen bis hinauf in die Eckzähne, die unweigerlich etwas länger wurden.

Aber Natalie ließ ihn unvermittelt los. „Dazu haben wir noch den ganzen Tag Zeit, richtig?“

„Richtig!“, stammelte Mario leise.

„Ich hatte dich vorhin unterbrochen, mein Liebster. Du wolltest mir etwas zeigen?“

Marios Rückweg in die Raumzeit dauerte noch ein paar Sekunden, doch dann fand er seine Worte wieder: „Ja genau, diese beiden hier.“ Er ging zur Garderobe und hob die Kissen vom Boden auf.

„Hey, sind das nicht diese Sargkissen 3000, wo man auch noch Konserven reinpacken kann? Die Dinger sind nirgendwo mehr zu bekommen, weil die gesamte Vampirwelt verrückt danach ist. Wo hast du die denn her?“

„Na, wir sind nun mal das berühmte Testlabor für Vampirprodukte. Der Hersteller hat uns die geschickt. Und wir beide machen heute in unserem neuen Sarg den Praxistest. Allerdings ohne Blutkonserven. Da passen nur die rein, die vom Hersteller kommen. Die Standardbeutel sind zu groß.“

„War ja klar.“ Natalie nahm ein Kissen, drehte es hin und her und betrachtete es. „Ist ein ganz normales Kissen. Ich kann da nichts Besonderes dran sehen. Außerdem ist eine Kollegin aus der Redaktion gerade an so einer Sache dran: Es wird derzeit vermehrt über Fälle von Zahnrückbildungen bei Vampiren und auch über ein paar Fälle von massiven Schlafstörungen berichtet. Einige Wissenschaftler glauben, dass dies mit der Liegeposition bei diesen Kissen zusammenhängen könnte.“

„Also daher wollen die, dass wir die Dinger testen“, murmelte Mario.

Natalie gab ihm das Kissen zurück. „Wenn es okay ist, teste ich es heute besser nicht.“

„Ach nun sei kein Lauch! Es ist doch nur für einen Tag und da wird schon nichts passieren.“

Natalie seufzte: „Na schön, wenn wir schon so einen tollen, neuen Sarg haben.“

„Super. Aber da fällt mir etwas ein: Was machen wir mit den alten Särgen? Soll ich die irgendwo entsorgen?“

Natalie zuckte mit den Schultern. „Ach, lass sie hier, falls wir mal Gäste haben, die tagsüber bleiben.“

Kapitel 2

Die nächste Arbeitsnacht begann für Tristan mit einem eher ungewöhnlichen Bild. Als er die Eingangstür zum Labor öffnete, begrüßte ihn ein ausnahmsweise mal gut gelaunter Mario mit einem überschwänglichen „Hallo Tristan, alter Blutsauger!“. Mario nahm Schwung, stieß sich von seinem Schreibtisch ab und rollte auf seinem Bürostuhl quer durchs Labor, wobei er sich zudem noch um seine eigene Achse drehte.

„Na, der Liegetest muss ja super gelaufen sein!“

„Ach der Test, ja der war gut. Aber Kumpel, ich sage nur Doppelsarg!“ Mario war inzwischen bei Tristans Schreibtisch, auf der gegenüberliegenden Seite des Raums angekommen, stieß sich erneut ab und rollte mit noch mehr Schwung und der dazu passenden Rotation zurück.

„Oh, Doppelsarg, wie edel!“ Tristan ging zum Kühlschrank und füllte eine Konserve in seine Tasse um.

„Das kannst du laut sagen. Das lief den ganzen Tag und …“

„Verschone mich mit den Details!“, unterbrach ihn Tristan, „wie ist dieses Superkissen denn nun? Der Hersteller will diese Nacht noch den Testbericht haben.“

Mario rollte seinen Stuhl wieder zurück an den Schreibtisch. „Alles war gut. Oder besser: Alles war normal. Man liegt gut, aber es ist nichts Besonderes an den Teilen.“

„Mag sein, aber es hat diese Taschen für die Konserven. Der Hersteller hat uns leider keine zum Testen mitgeschickt. Also können wir nur den Liegekomfort bewerten.“

„So ist es.“ Mario öffnete das Schreibprogramm auf seinem Laptop. „Ich saug mir schon was aus den Fingern, keine Sorge. Hast du die Analyse heute Morgen noch beendet?“

„Ja, alles gut, wie beim Schnelltest.“

„Schön.“ Mario tippte ein paar Worte, hielt jedoch inne. „Aber die Sache mit den Konserven gibt mir schon zu denken.“

„Was gibt dir denn da zu denken, dass die keine mitgeschickt haben? Die hatten vielleicht gerade keine auf Lager.“

Mario drehte sich um und wandte sich Tristan zu, der sich gerade an seinem Laptop einloggte. „Die senden drei Kissen zum Testen und können nicht eine einzige Konserve entbehren? Sorry, das ist komisch. Wo sitzt denn eigentlich diese Firma?“

„Die sind tatsächlich hier in der Stadt, draußen in diesem neuen Gewerbepark Ost. Die Firma heißt ‚Good Day Sleep’. Siehst du: Hier ist es.“ Tristan zeigte auf dem Bildschirm seines Laptops die Position der Firma auf einer elektronischen Karte.

Mario stand auf, ging hinüber zu Tristans Schreibtisch und betrachtete das Ganze aus der Nähe. „Aber da gibt’s keinerlei alte Gebäude oder Keller oder so etwas. Wie verstecken die denn bitte ihre Produktion?“

Tristan zuckte nur mit den Schultern. „Keine Ahnung.“

„Weißt du was? Den Laden schaue ich mir mal an. Ich werde den Testbericht einfach persönlich vorbeibringen, statt einen Boten zu schicken.“

„Gute Idee. Theoretisch kannst du da heute noch hinfliegen.“

Mario klopfte Tristan auf die Schulter und setzte sich wieder an seinen Computer. „Das mache ich!“

Tristan wollte weiterarbeiten, nahm jedoch seine Hände noch einmal von der Tastatur und drehte sich zu Mario um. „Ich verstehe das bis heute nicht. Warum dürfen wir per Gesetz keine E-Mail-Adresse haben und kein Telefon? Selbst für einen normalen Internetanschluss, nur um Webseiten zu lesen, braucht man eine Sondergenehmigung. Das ist doch irre in diesen Zeiten! Stell dir vor: Du schickst den Bericht einfach per E-Mail, statt Boten zu senden oder selbst dahin zu fliegen.“

“Das weißt du doch Tristan. Jeden Tag fragst du mich das und die Antwort ist immer die Gleiche: Wegen der möglichen Rückverfolgung …“

„Ja, ja, ich weiß!“, unterbrach ihn Tristan, „die mögliche Gefahr einer Enttarnung, bla, bla, bla. Das liegt nur daran, dass es niemanden unter den Vampirministern gibt, der weniger als 600 Jahre auf dem Buckel hat. Alles verstaubte, alte Blutsauger mit Knoblauchgesichtern!“

„Sieh es mal so: Ich wollte mir den Laden sowieso ansehen. Und wenn jeder nur noch E-Mails schickt, wäre es sehr verdächtig, wenn ich da persönlich aufkreuze.“

Tristan wollte antworten, sah aber ein, dass diese Diskussion zwecklos war. Also wandte er sich wortlos wieder seinem Computer zu und begann mit seiner Arbeit.