Die Sternenschnüffler - Thomas Manderley - E-Book
SONDERANGEBOT

Die Sternenschnüffler E-Book

Thomas Manderley

0,0
3,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Was haben ein arbeitsloser Ex-Profimusiker, eine verrückte Außerirdische, die ihre Farbe wie ein Chamäleon ändert, ein vom Kriegsdienst geflohener Soldat und ein mysteriöser Techniker einer unbekannten Spezies gemeinsam? Sie gründen auf einer Raumstation eine Privatdetektei. Aber sie wissen noch nicht, dass schon bald das größte Abenteuer ihres Lebens auf sie wartet Ein Abenteuer-Science-Fiction-Spaß-Krimi !

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 615

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Thomas Manderley

Die Sternenschnüffler

Privatdetektei, Falken-Station, 3476A-23

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

Impressum neobooks

1. Kapitel

„Scheiße! So eine Scheiße!“, schrie Lora durchs Büro. Sie saß vor ihrem Computerterminal und sah mit einer Mischung aus Zweifel und Verzweiflung auf den vor ihr rot aufleuchtenden Screen mit der ihr wohl bekannten Fehlermeldung „Fatal error – System stopped!“. Auch die auf ihren Schreibtisch projizierte Tastatur verschwand auf nimmer Wiedersehen. „Ich glaub‘ das nicht, NEIN!“, schrie Lora weiter.

Sandra, Loras Kollegin, tauchte hinter der Zwischenwand zum benachbarten Arbeitsplatz des Großraumbüros auf und sah mit sensationsgeilen Augen auf Lora nieder: „Was ist los? Ist was passiert? Du schreist ja, als ob man Dich abschlachten würde, oder so was in der Richtung.“

Lora sah nach oben, aber selbst der Anblick des wilden Haarschopfes ihrer Kollegin, der mit seiner scheußlich knallroten Farbe Lora normalerweise zum innerlichen Schmunzeln brachte, verbesserte ihre Laune nicht im Geringsten: „Ich hasse dieses System! ICH HASSE ES! Ich hab‘ schon wieder einen Fehler in der Software! Dieses Scheißding rechnet nur Mist und dann stürzt Alles ab.“ Lora konnte ihre Gesichtsfarbe kaum beibehalten: „Ich habe nur 10 Einheiten in die erste Tabelle und 8,8 in die zweite Tabelle eingetragen - Alles bestens. Kannst Du mir dann sagen, warum ich hier einen Absturz bekomme? Ich hab‘ nichts falsch gema ... Doch, ich hab‘ was falsch gemacht. Ich habe den ganzen Mist nicht gesichert. So eine Scheiße!“ Lora schlug mit der Faust auf den Tisch. Der Knall und das Scheppern des Löffels in der Kaffeetasse auf ihrem Schreibtisch schallten durchs gesamte Büro.

„Ist mir auch schon mal passiert. Aber ich habe nicht so herumgeschrien. Gleich taucht wieder der ‚Motz‘ auf und erklärt Dir, was Produktivität und Kollegialität sind.“ Und damit verschwand Sandra wieder hinter der Trennwand. Nur ihr roter Haarschopf leuchtete von Zeit zu Zeit und auch nur für einen Moment dahinter auf und wackelte hin und her wie in einem Marionetten-Theater.

Jetzt huschte Lora doch ein kurzes Lächeln über die Lippen und zerstreute ein wenig ihre angestaute Wut. Sie atmete kurz durch, um sich wieder zu beruhigen, doch das Ganze war nutzlos, denn da stand auch schon der besagte ‚Motz‘ neben ihr.

„Oh, Herr Jones, guten Tag!“, säuselte Lora und sah langsam an ihrem Chef hinauf: Vom deutlich zu eng gewordenen, braunen Anzug mit der zu kurz gebundenen Krawatte, über den Rest einer Tätowierung, die seitlich an seinem Hals zu erahnen war, bis zu den tiefen Augenringen, die seinem Gesicht diesen müden, ausgelaugten Charakter verliehen. Loras Blick studierte das Gesicht ihres Chefs ausgiebig, wie sie es so oft tat, egal wer da vor ihr stand und selbst in den wirklich unpassendsten Situationen. Lora versuchte dabei, die gesamte Lebensgeschichte einer Person zu lesen, und starrte ihr Gegenüber oft minutenlang an, ohne ein Wort zu sagen.

Doch dieses Mal fand Lora allein zurück in die Realität und plapperte drauf los: „Bitte entschuldigen Sie meine kleine Indiskretion und ... Oh Sie haben eine neue Brille! Steht Ihnen sehr gut. Sie passt gut zu Ihrer Krawatte und ach, Herr Jones, Sie haben da einen Fleck auf dem Hemd. Darf ich Ihnen kurz helfen?“

Lora nahm ein Taschentuch, spuckte darauf und wollte aufstehen, doch ihr Chef legte die Hand auf ihre Schulter und schob sie zurück in Ihren Sessel.

„Na gut, machen wir das später. Wie geht es Ihrer Frau? Hat sie noch den Laden auf der Falkenstation?“

Aber so sehr sich Lora auch bemühte: Ihre Versuche, eine Konversation zu beginnen, verpufften wirkungslos, denn Herr Jones sah nur starr und wortlos auf sie herab. Also wechselte Lora ihre Taktik: Sie wandte sich wieder ihrem Terminal zu, senkte ihren Blick auf den Tisch hinab und sagte mit leiser Stimme: „Tut mir leid, kommt nicht wieder vor!“

Lora schielte, so gut es ging, mit ihren Augen zur Seite in der Hoffnung, dass ihr Chef wieder in den unendlichen Weiten des Großraumbüros verschwunden wäre, doch der stand nach wie vor an Ort und Stelle und nuschelte boshaft: „Zum Geschäftsführer, sofort! Ich werde Sie begleiten, wenn Sie nichts dagegen haben.“ Lora stand auf, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, und machte sich auf den Weg.

„Und Sie arbeiten besser weiter, oder wollen Sie, dass ich Ihnen eine Stunde ‚blöd glotzen‘ vom Gehalt abziehe?“, herrschte Herr Jones in Richtung des benachbarten Arbeitsplatzes, wo Sandra wieder hinter der Zwischenwand aufgetaucht war.

Lora ging mit möglichst leisen, unauffälligen Schritten und starr auf den Boden gerichtetem Blick den Gang zum Büro des Geschäftsführers hinunter. Sie bemerkte das Tuscheln und die Blicke ihrer Kollegen, doch sie wagte es nicht, aufzusehen. Stattdessen hangelte sie sich mit ihrem Blick am antiquierten Zick-Zack-Muster des Büroteppichs entlang, aber dies schien endlos zu sein. Als sie sich dann der Bürotür näherte, stiegen ihr Blutdruck und ihr Puls so rasend an, dass ihre Hände zu zittern begannen, auch wenn Lora versuchte, es irgendwie zu unterdrücken.

Kurz vor der Tür hielt sie inne und trotz allen Bemühens, sich zu beherrschen, begann sich ihre Haut langsam gelb zu verfärben. Lora atmete tief ein und aus, während sie sich eintausend und eine Methode überlegte, wie sie sich unauffällig aus dieser Situation befreien könnte: Feueralarm, wild um sich schlagen, einfach wegrennen, aber Herr Jones, der ihr dicht gefolgt war, schob sich einfach an Lora vorbei und öffnete, ohne zu zögern die Tür.

Der Geschäftsführer saß hinter seinem Terminal und tippte im Zwei-Finger-Adler-Such-System auf der vor ihn projizierten Tastatur herum. Die Luft in dem kleinen Büro war zum Schneiden dick und im Aschenbecher auf dem chaotisch organisierten Schreibtisch lagen etwa zwei Dutzend Zigarilloreste, die einen unangenehm stechenden Geruch verbreiteten. Loras Blicke wanderten neugierig, aber unauffällig im Büro umher: Vom Bücherregal, dass unter der Last von Ordnern, Papierstapeln und Staub fast zusammenbrach, hinüber zum fleckigen Kaffeeautomaten, der genau hinter dem großen Schreibtisch stand, und weiter zum Fenster, in dem eine gottgestrafte Pflanze ihr tristes Dasein fristete. Lora fühlte einen bitteren Geschmack auf der Zunge und konnte zunächst nicht ausmachen, ob dies das Resultat des Rauchs oder des Anblicks dieses ungepflegten, hageren Menschen dort hinter seinem klebrigen Schreibtisch war.

Herr Jones hustete kurz in seine Hand und hatte Erfolg: Der Geschäftsführer blickte auf und sah Lora mit weit geöffneten Augen an. Nach einer kleinen Weile, in der er nicht die geringste Bewegung ausgeführt hatte, sagte er: „Ach ja Frau ... Nyrasis, ist das richtig? Sie arbeiten noch nicht so lange hier. Zwei Wochen? Ist das richtig?“, und ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: „Nun ja, wie soll ich sagen? Vier schwere Systemfehler in zwei Wochen, keine Aussicht auf Integration ins Team, lautes Fluchen im Büro, schwere Beschädigung des Getränkeautomaten in der Cafeteria ... den Rest kennen Sie ja, können wir uns also sparen!“ Er zündete sich einen neuen Zigarillo an und bereits der erste, hastige Zug ließ Lora innerlich zusammenzucken.

„Ich denke wir können Sie hier leider nicht mehr weiter beschäftigen.“ Dann sah er wieder hinunter auf seine Tastatur und fuhr in beiläufigem Ton fort: „Holen Sie sich bitte in der Personalabteilung Ihre Papiere. Auf Wiedersehen und viel Erfolg an anderer Stelle!“

Herr Jones griff Loras Arm und zog sie in Richtung Tür, doch Lora wehrte sich und löste mit einem energischen Schwung den Griff ihres Chefs. Ihre Miene verfinsterte sich und ihre Augen wurden zu schmalen Schlitzen. Dann ging sie geradewegs und zu Allem entschlossen auf den großen Schreibtisch zu, stützte sich mit beiden Armen darauf und schrie dem Geschäftsführer, dem fast der Zigarillo aus dem Mund fiel, mitten ins Gesicht: „Sie feuern mich? Sie lebende Nikotinkippe? Putzen Sie erst einmal ihr verdrecktes Büro! Ihre Firma ist doch marode von unten bis oben. Das ganze Haus ist so alt, dass es fast auseinanderfällt. Überall sind Risse in den Wänden und die Milben im Teppich haben inzwischen eine eigene Zivilisation aufgebaut. Nichts funktioniert richtig: Ihr blödes Computersystem stürzt ständig ab, die Hälfte der Leute hier hat nicht den Hauch einer Ahnung, was sie hier tut, nicht mal der Getränkeautomat, den sie wahrscheinlich von einem Museum geschenkt bekommen haben, funktioniert richtig. Die Angestellten lachen sich doch tot über Sie und Ihren übergewichtigen Laufburschen hier!“

Herr Jones hatte längst wieder Loras Arm gepackt und versuchte sie wegzuzerren, aber der Geschäftsführer stoppte ihn: „Lassen Sie nur, Jones, lassen Sie sie!“ Er blickte mit einem breiten Grinsen in Loras verärgertes Gesicht. „Ist das jetzt einer dieser berühmten Wutausbrüche Ihrer Spezies? Sehen Sie nur, Jones, sie wird blau! Es stimmt, Iriduaner werden blau, wenn sie sich aufregen. Wie toll, dass ich das mal miterleben darf.“

„Ich werde gleich noch viel blauer! Ist es vielleicht das? Feuern Sie mich, weil ich keiner von Ihren supertollen Menschen bin? Ihr Scheißplanet hat doch bisher nur Mist hervorgebracht! Welche Kreatur hat mich geritten in einer Menschenfirma anzufangen?“ Lora schrie inzwischen so laut, dass selbst ihre eigenen Ohren schmerzten. Herr Jones und der Geschäftsführer sahen sich das Ganze mit breitem Lächeln im Gesicht an.

„Auf Eurer so ‚wahnsinnigtollendassichfastverrücktwerde‘ Erde gibt es doch nur aufgeblasene, hässliche und verblödete Idioten, die einen Planeten, auf dem es nur regnet und der im Müll versinkt, SUPER finden.“ Lora hielt einen Moment inne und rang nach Atem, während sich ihre Hautfarbe bereits in ein kräftig leuchtendes Königsblau verwandelt hatte.

Der Geschäftsführer zog bedächtig an seinem Zigarillo und fragte dann schmunzelnd und mit ruhigem Ton: „Gibt es auch etwas, was Sie an dieser Firma oder vielleicht an unserem Heimatplaneten mögen?“

Lora beruhigte sich langsam wieder: „Ja, gibt es tatsächlich: Ich mag Ihre Kakerlaken. Die schmecken einfach geil, aber in dieser Firma ist selbst die Kantine zum Kotzen. Warum gibt es hier keine Kakerlaken? Die einzige echte Erdendelikatesse und hier gibt es sie nicht, unglaublich! Wahrscheinlich wieder so eine blöde Sparmaßnahme!“

„Meine gute Frau Nyrasis.“, entgegnete Herr Jones: „Waren Sie eigentlich schon einmal auf der Erde?“

„Nein, wieso?“, fragte Lora mit zitternder Stimme und ihre blaue Farbe verblasste in Rekordgeschwindigkeit.

„Menschen mögen gar keine Kakerlaken. Das ist nur das ‚angepasste‘ Essen in sogenannten Erden-Restaurants, die es wahrscheinlich auch auf Ihrem Planeten zuhauf gibt und die versuchen, ihre Ungezieferprobleme mit Hilfe der Speisekarte zu lösen. Und die Sache mit dem ganzen Müll auf der Erde: Nun ja, das ist ein dummes Gerücht, das wahrscheinlich auch von Ihrer abgedrehten Spezies in die Galaxie gesetzt wurde. Und jetzt hauen Sie endlich ab, Sie sind gefeuert!“, und mit diesen Worten schien die Angelegenheit für Herrn Jones und auch für den Geschäftsführer erledigt zu sein, denn dieser sah wieder nach unten auf die Tastatur und suchte weiter nach dem nächsten Buchstaben.

Lora wollte noch etwas erwidern, aber verkniff sich jeden weiteren Kommentar. Sie drehte sich auf der Stelle um und ging schnell und ohne Gruß aus dem Büro. Die Tür ließ sie offenstehen und lief weiter, nicht zur Personalabteilung, um ihre Papiere zu holen, sondern geradewegs die Treppe hinunter zum Ausgang. Ohne zu bremsen ging sie durch die große, gläserne Drehtür im Foyer, die sich hinter ihr noch lange mit hohem Tempo weiterdrehte.

Erst auf dem Vorplatz des riesigen Bürogebäudes stoppte sie und stand für einen Moment regungslos da, während die Leute eilig, in Gedanken versunken und ohne Lora zu beachten, an ihr vorbei strömten. Loras Gedanken drehten sich im Kreis herum, steuerten ihren Blick über die gegenüberliegende graue Häuserfassade, ließen Szenen der vergangenen Wochen aufblitzen: Die Ankunft in New Auckland, der erste Arbeitstag, das schlechte Essen in der Cafeteria, die kaputte Dusche im Hotel, der Cocktail mit den Kollegen in der Bar an der Ecke, der Geschäftsführer in seinem verrauchten Büro: Alles vermischte sich zu einer unkontrollierbaren Bilderflut. Aber Lora versuchte, sich zusammenzunehmen. Sie sah sich kurz um und ging zu einer Bank neben einem der beiden großen Springbrunnen auf dem Vorplatz, setzte sich und starrte einfach nur vor sich hin.

Am Rand des Springbrunnens kämpften drei kleine Vögel um ein paar Brotkrümel. Als diese ins Wasser fielen, war der Futterstreit zu Ende und die drei Vögelchen sahen den davonschwimmenden Brotkrumen hinterher. Loras Blick glitt mit ihnen über die Wasseroberfläche, bis er an der Fontaine in der Mitte des Brunnens hängen blieb und entlang des hervorschießenden Wasserstrahls nach oben gelenkt wurde. Der Himmel war wolkenverhangen wie jeden Tag. Die Transportgleiter zogen entlang der übereinander angeordneten Luftstraßen ihre Bahnen und glichen Raubvögeln, die kreuz und quer über die künstliche, effizienzoptimierte, Industriestadt zogen und nach Beute Ausschau hielten. Alles funktionierte wie immer.

Nach ein paar Minuten füllte sich Loras Kopf wieder mit Gedanken. Sie führten sie zurück nach Hause, nach Iridua. Lora dachte daran, wie sie am rotsandigen Strand lag, während sie ihren zwei Heimatsternen zusah, wie diese am Horizont ins glitzernde Meer eintauchten. Die Luft roch nach Salz und Sand und das Rauschen des Meeres ließ die Zeit stillstehen. Wärme umhüllte ihren Körper, ja sie konnte sogar den feuchten Sand auf ihrer Haut spüren. Das funkelnde Licht tanzte in ihren Pupillen, während der leichte Wind, der vom Meer herein blies, ihren Körper mit einem kurzen kühlen Schauer streichelte.

Doch die gedankliche Reise zu ihrem Heimatplaneten fand ein jähes Ende: „Bitte eine Spende für einen Mittellosen!“, schrie ihr ein Mann fast direkt ins linke Ohr. Lora zuckte zusammen und sah den Mann mit weit aufgerissenen Augen an. Hunger und Krankheit hatten über die Jahre hinweg tiefe Narben auf sein Gesicht gezeichnet, eingerahmt vom ungepflegten, weißen Bart und den ebenso weißen, buschigen Augenbrauen. Er stand leicht nach vorn gebückt auf seinen Stock gestützt vor Lora: „Scannen Sie eine Spende für einen Mittellosen, fünfzig oder sechzig Unicents reichen schon, bitte!“, sagte der Mann mit einem freundlichen, schon fast jugendlich wirkenden Lächeln und hielt ihr einen Scanner unter die Nase.

„Tut mir leid!“, entgegnete Lora: „Ich bin gerade gefeuert worden.“

„Aber wer feuert denn ein so hübsches Lächeln wie Ihres? Und noch dazu ein iriduaisches!“, wunderte sich der Mann, zog den Scanner zurück und setzte sich neben Lora. „Bei welcher Firma waren Sie denn?“

„Gleich da hinten, bei ‚Webber-Cole-Digitals’.“

„Ach!“, sagte der Mann laut und beugte sich mit einem Lachen nach hinten: „Na da dürfen Sie doch gar nicht erst anfangen, in diesen typischen Menschenfirmen. Das sind Halsabschneider und teuflische Kreaturen!“

Lora sah ihn fragend an: „Aber Sie sind doch selbst ein Mensch, oder?“

„Ja sicher, deswegen weiß ich das ja!“, entgegnete der Mann und setzte sein Lächeln wieder auf: „Ärgern Sie sich nicht zu sehr, junge Dame, es könnte schlimmer sein! Sie sind jetzt frei! Sie können gehen, wohin Sie wollen, können arbeiten was Sie wollen, die Galaxie wartet nur auf Sie! Außerdem könnte es in Ihrem Fall sein, dass sie sich wirklich blau ärgern.“ Er lachte über seinen eigenen Witz laut auf. Lora guckte nicht mehr ganz so freundlich.

„Nehmen Sie es mir nicht übel, junge Dame, ich liebe solche Scherze! Ich wünsche Ihnen was. Auf Wiedersehen!“

Er drehte sich um und wollte weiterziehen, aber Lora hielt ihn auf: „Warten Sie! Geben Sie mir Ihren Scanner!“ Der Mann drehte sich um und reichte ihr mit einem breiten Grinsen im Gesicht den Scanner hin. Lora sah in die Öffnung für den Augenscan und tippte fünf Unidollars in die Tastatur.

„Haben Sie vielen Dank!“, sagte der Mann und lachte über sein ganzes, schmutziges Gesicht: „Sie werden Ihren Weg schon gehen.“, fügte er hinzu, drehte sich um und ging weiter zum nächsten Passanten.

„Ich habe zu danken.“, rief ihm Lora hinterher. Dann wandte sie ihren Blick wieder dem Brunnen zu, in dem noch immer die Brotkrumen schwammen. „Ach, Scheiß doch drauf!“, sagte sie laut zu sich selbst, stand auf und ging hinunter zur großen Hauptstraße.

Lora lief mit festen Schritten vorwärts und wurde immer schneller und schneller, ja sie rannte fast und bald schon verlor die grau klobige Fassade von Webber-Cole-Digitals all ihre Bedrohlichkeit und verschwamm in der bedeutungslosen Masse der Bürogebäude, die sich rund um den Platz drängten.

Loras Schwung fand allerdings ein jähes Ende, als sie zum Eingang ins unterirdische Straßentunnelnetz kam: Die U-Bahn war, wie fast jeden Tag, heillos verstopft. Die Masse der Wartenden quoll hinauf bis zur Eingangstreppe und so unternahm Lora nicht einmal den Versuch, sich bis zum Bahnsteig vorzudrängeln. Sie bog lieber sofort nach rechts zum Taxistand ab und setzte sich ins erstbeste Fahrzeug.

„Hey, Hey, nicht so schnell!“, rief der Taxifahrer und sah in den Rückspiegel. „Wow, eine Iriduanerin! Wie geil! Was machst Du hier auf diesem trostlosen Felsbrocken und dazu noch in dieser Dreckstadt, so weit weg von zu Hause?“ Lora sah von ihrem Sitz aus nach vorn in den Rückspiegel und betrachtete die rot leuchtenden Augen des Fahrers.

„Du bist doch auch weit weg von zu Hause, oder nicht? Du bist doch Rawadianer, oder irre ich mich?“, entgegnete Lora.

„Nein, Du irrst Dich nicht!“, sagte der Fahrer und drehte sich zu Lora um, die sich zufrieden das Gesicht ihres Chauffeurs mit der typischen großen, spitzen Nase, dem grünlichen Kinnbart und den roten Augen ansah: „Wo geht’s denn hin? Zu Dir oder zu mir?“

„Bitte? Ich glaube ich steige besser wieder aus!“

„Na mal nicht so schnell. Wo darf ich Dich denn hinbringen?“

„Du erzählst mir was von 'schnell'? Ich glaub es ja nicht!“ Lora suchte einen Moment nach den richtigen Worten. „Zum nächsten Raumhafen bitte!“

„Na dann mal los!“, sagte der Fahrer und gab Gas. Er beschleunigte durch den Zufahrtstunnel, der abwärts zum Straßennetz führte und reihte sich mit einem fast halsbrecherischen Manöver in den fließenden Verkehr ein. Als dann der Steuerungscomputer grünes Licht gab, schaltete er auf Autopilot und wandte sich wieder Lora zu: „Also was tust Du hier auf Gesius? Du arbeitest doch nicht etwa in einer dieser Menschenfirmen, oder?“

Lora blickte überrascht zu ihm auf, antwortete ihm jedoch nicht. Stattdessen fragte sie ihn: „Hast Du ein Videoterminal mit Bezahlfunktion?“

„Ja sicher, es ist direkt vor Dir in der Sitzlehne. Brauchst es nur runterzuklappen. Ich höre auch bestimmt nicht zu“ fügte er mit einem Lachen hinzu.

„Stimmt!“, sagte Lora trocken und betätigte den Knopf, der die Trennscheibe zwischen Fahrgastraum und Fahrer nach oben fuhr. Dann klappte Sie das Terminal aus.

„Guten Tag, was darf ich für Sie tun?“, erklang die Stimme des Computers. „Das Hotel ‚New Soho‘ bitte!“, befahl Lora und alsbald meldete sich die Rezeption des Hotels.

„Hallo, mein Name ist Lora Nyrasis. Ich wohne zurzeit bei Ihnen. Ich möchte bezahlen und auschecken.“

„Kein Problem Frau Nyrasis, die Rechnung beträgt 645 Unidollars. Bitte aktivieren Sie den Bezahl-Scanner.“

Lora bezahlte.

„Danke, Frau Nyrasis, wohin dürfen wir Ihr Gepäck senden?“

„Zur Falkenstation bitte! Vielen Dank.“

„Wir danken!“

Kaum war das Gespräch beendet, fuhr der Fahrer die Trennscheibe herunter: „Endschuldige, ich habe mitgehört!“

Lora saß nur stumm da und verfärbte sich leicht bläulich.

„Du sagtest Falkenstation?“

„Du wolltest doch nicht mithören! Du kannst also Gedanken lesen, WOW! Na klar sagte ich Falkenstation!“ Lora konnte einen gewissen Ärger in ihrer Stimme nicht vermeiden.

Der Fahrer sah in seinen Rückspiegel: „Na, sehe ich da ein paar blaue Farbtupfer?“, sagte er, drehte sich zu Lora um und grinste.

„Du sollst fahren und Dich nicht über mich lustig machen!“, entgegnete Lora barsch.

„Ich sag‘ ja gar nichts! Ich habe nur nicht jeden Tag eine Iriduanerin zu Gast. Da frage ich halt ein Wenig mehr. Außerdem fahren wir in die falsche Richtung!“

„Wieso?“, fragte Lora und konnte deutlich spüren, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte.

Der Fahrer jedoch blieb ruhig und erklärte: „Na ja, zur Falkenstation kommst Du nur vom Raumhafen zwei oder drei aus, aber nicht vom Raumhafen eins. Also müssen wir in die entgegengesetzte Richtung.“

„Na dann wende!“, sagte Lora mit Nachdruck. „Diese blöden Nummernsysteme: Raumhafen zwei - Raumhafen eins - Raumhafen drei: Da wird man ja komplett wahnsinnig. Wenn Menschen was verwalten ...“ Der Fahrer lachte kurz auf. Dann schaltete er den Autopiloten aus und nahm den nächsten Ausfahrtstunnel, ohne seine Geschwindigkeit zu reduzieren. Lora kannte die rasante Fahrweise der Taxifahrer, aber dies überstieg ihre Erwartungen: Sie wurde nach links geschleudert und konnte sich nur mit Mühe auf ihrem Platz halten: „Bist Du irre? Fahr gefälligst anständig! Ich will nicht in irgendeinem gottverlassenen Straßentunnel auf Gesius sterben!“, schrie sie und jetzt verfärbte sich ihre Haut kräftig blau.

Der Fahrer ging nicht im Geringsten auf Loras Kommentare ein: „Falkenstation, he? Orbitale Raumstation zur Abfertigung interstellarer Langstreckenflüge - willst zurück nach Hause, oder?“

Die Stimme des Fahrers beruhigte Lora wieder etwas: „Ja! Hier bin ich fertig!“

„Richtig so!“, sagte der Fahrer: „Hau bloß ab hier! Jeder Planet ist besser als dieser. Und ich nehme an, jeder Job ist besser als Dein letzter, nicht wahr?“

„Stimmt! Aber Du? Du wohnst und arbeitest auch hier. Warum gehst Du nicht weg, wenn Du das alles hier so scheiße findest?“.

Der Fahrer blickte wieder nach vorn und schien für eine kleine Weile nach den richtigen Worten zu suchen, bevor er mit ernster Stimme fortfuhr: „Na ja, kein Geld. Also fahr ich Taxi und wenn ich den Zaster zusammen habe, kaufe ich einen Raumtransporter, interstellar versteht sich! Und dann: Adios Gesius!“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „... aber das dauert wohl noch etwas.“

„Ja, aber wie bist Du eigentlich hierhergekommen?“, fragte Lora weiter.

„Zuhause war irgendwie alles große Kacke: Familie ging mir auf die Mütze, einen Job hatte ich auch nicht und Rawadian ist der stink-langweiligste Planet des Universums. Na ja, und hier suchten sie gute Ingenieure. Also hab’ ich meine Zelte abgebrochen und kam her.“

„Und dann? Du bist Ingenieur und fährst Taxi. Da muss wohl etwas passiert sein.“, bohrte Lora weiter, obwohl sie merkte, dass sie einen wunden Punkt beim Fahrer getroffen hatte.

„Na ja, dann kam der Krieg. Ich wurde gefeuert und keine andere Firma hat dann noch einen Rawadianer eingestellt. Ich brauchte aber abends ein Schnitzel auf dem Teller. Also hab’ mit meinem letzten Geld dies Taxi hier gekauft, um irgendwie ein paar Kröten zu verdienen.“

„Und seither fährst Du wie ein Wahnsinniger durch die Straßentunnel?“

„Was bleibt mir Anderes übrig und Du kannst Dir vorstellen, dass es zurzeit nicht einfach ist als Rawadianer hier auf Gesius.“

Lora fragte nicht weiter.

Der Fahrer nahm wiederum einen Ausfahrtstunnel: „Da sind wir: Raumhafen zwei! Das macht zweiunddreißig fünfzig.“ und während Lora bezahlte, fügte er hinzu: „Viel Glück da draußen! Vielleicht komme ich bald nach. Wer weiß?“

Lora sah ihm tief in die leuchtend roten Augen. Der Fahrer hatte seinen Frohsinn wiedergefunden, jedoch konnte Lora deutlich die Sehnsucht und die hinter dem Lachen versteckte Traurigkeit erkennen und es rührte sie fast zu Tränen. Aber sie beherrschte sich: „Ja klar, Du kommst nach. Verlass Dich drauf!“

Sie stieg aus dem Taxi und ging zum Eingang des Raumhafens. Als sie sich noch einmal umsah, war das Taxi bereits verschwunden. Nachdenklich betrachtete sie den leeren Taxihaltepunkt: „Ein seltsamer Kerl!“, dachte sie. Doch dann wurde ihr bewusst, dass er vielleicht Recht damit hatte, dass jeder Planet besser sei als dieser. Vielleicht hätte sie niemals hierherkommen sollen. Aber sie dachte auch daran, dass sie vielleicht ein Hoffnungsschimmer für ihn gewesen war, ein Lichtblitz in der manchmal so grausamen Wirklichkeit dieser Stadt und dann hätte doch alles einen Sinn gehabt. Und dann war da noch dieses seltsame, unerklärliche Gefühl, dass dieses Treffen mit ihm nicht rein zufällig gewesen war.

Lora atmete tief durch, drehte sich um, ging in die Abflughalle hinein und machte sich auf den Weg zum Transporter, der sie zur Falkenstation bringen sollte. Als sie dann hinter ihr das Geräusch der sich schließenden Eingangstüren vernahm, sagte sie laut zu sich selbst: „Adios Gesius!“, und schmunzelte innerlich, als sie an einem Werbeplakat für eine Taxi-Firma vorbeiging.

2. Kapitel

Ein lautes Klacken des Schlosses an der Zimmertür, die in diesem Moment von außen geöffnet wurde, riss Joe unbarmherzig dem Schlaf. Ein eiskalter Schreckensschauer fuhr ihm bis ins Mark und ließ seinen langen, hageren Körper in die Vertikale schnellen. Doch ein Schmerz, der sich wie ein Messerstich anfühlte, schoss Joe von den Schläfen bis in den Nacken und riss ihn sofort wieder zurück auf die Matratze.

„Wer ist da? Bist Du das, Richie?“, fragte Joe und hielt sich den Arm vor die Augen.

Aber es war nur ein Zimmermädchen des Hotels, das zögerlich und leise, fast wie auf Zehenspitzen eintrat. Dann stammelte sie mit fast unhörbarer Stimme gen Boden: „Hier ist nur der Zimmerservice, mein Herr. Mein Name ist Denise und Ihr Manager trug mir auf, Sie zu wecken und Ihnen auszurichten, dass er schon auf dem Weg zur Falkenstation sei, um das Equipment einzuschiffen.“

Joe versuchte, sich erneut aufzurichten, dieses Mal jedoch langsam und bedächtig. Denise nahm dies zum Anlass, ihre Fernbedienung zur Hand zu nehmen und die Rollläden der Fenster hochzufahren. Das gleißend blendende Tageslicht traf Joe wie der Punch eines Profiboxers und sandte ihn erneut mit technischen K.O. auf den Ringboden: „Mein Gott, können Sie nicht damit warten?“, rief Joe, während er sein Gesicht im Kissen vergrub: „Wie spät ist es überhaupt?“

„13.45 Uhr Ortszeit.“, antwortete Denise, die mit dem Ausleeren des Papierkorbs langsam zu ihren gewohnten Tätigkeiten überging: „Wenn Sie sich beeilen, erreichen Sie vielleicht noch den Transporter zur Falkenstation um 15.10 Uhr.“

Joe, der es inzwischen tatsächlich geschafft hatte, aufrecht im Bett zu sitzen, sah mit noch immer halb geschlossenen Augen im Zimmer umher: „Wo zum Teufel sind meine Klamotten?“ Joe wollte sich eigentlich Sorgen machen, aber er war viel zu müde dazu.

„Ihr Manager hat alles schon packen lassen, während Sie schliefen.“, antwortete Denise und öffnete die Schranktür. „Er hat Ihnen diesen Anzug und diese Plastiktüte dagelassen und er hat Sie bereits ausgecheckt. Bezahlt ist auch schon alles! Wie war eigentlich Ihre Show gestern Abend? Die Party danach muss jedenfalls klasse gewesen sein!“ Denise konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

Joe stieg langsam aus dem Bett. Denise drehte sich schnell und verstohlen weg, obwohl ihre Augen trotzdem versuchten, einen kurzen Blick zu erhaschen, denn Joe fehlte jegliche Schlafgarderobe. Aber dies war wohl nicht das erste Mal, dass Denise in eine solche Situation geraten war, denn nur einen kurzen Moment später flog ein Handtuch, das sie scheinbar nur für diesen Fall bereitgehalten hatte, zu Joe herüber. Er fing es jedoch nicht auf: „Ach lassen Sie! Sie wissen doch wie Männer aussehen, oder?“

Joe trottete zum Schrank und warf einen Blick in die grünweiße Plastiktüte: „Oh Gott, das darf doch nicht wahr sein!“, kommentierte er angewidert und zog eine graue Unterhose hervor, die ihre besten Tage seit langem hinter sich hatte.

Denise zögerte zunächst, konnte ihre Neugier dann aber doch nicht im Zaum halten: „Was ist denn passiert? Kann ich Ihnen vielleicht helfen?“

„Nun ja, falls sie eine Unterhose parat haben, die passt, nicht im Schritt scheuert und vielleicht sogar neu oder zumindest nicht fleckig ist, dann ja!“

Denise senkte ihren Blick gen Boden und zog es vor, ihrer Arbeit nachzugehen.

Auch Joe kommentierte das Ganze nicht weiter und begann damit, seine Unterhose anzuziehen. Das erste Bein konnte er erfolgreich an der richtigen Stelle platzieren. Dann drehte er sich noch einmal zu Denise um: „Ich weiß, dass es schon spät ist, aber bitte reinigen Sie das Zimmer erst, nachdem ich weg bin, OK? Ich ziehe mich nur schnell an und dann bin ich auch schon raus hier.“, und noch während Joe diese Worte aussprach, versuchte er seine Unterhose heraufzuziehen. Doch diese war unter seinem rechten Fuß eingeklemmt und so fiel er mit lautem Fluchen vorn über und schlug mit einem dumpfen Knall auf dem Boden auf.

Denise kam sofort herbeigeeilt: „Oh Gott, haben Sie sich verletzt?“

„Nein, alles klar! Bitte können Sie in einer halben Stunde nochmal wiederkommen? Dann bin ich schon weg und Sie können hier in aller Ruhe arbeiten.“

„Selbstverständlich mein Herr!“ sagte Denise leise. Dann ging sie schnell zur Zimmertür. Doch bevor sie den Raum verließ, drehte sie sich doch noch einmal um: „Herr Falk, ich hätte da noch eine kleine Bitte: Könnten Sie mir ein Autogramm geben? Meine Mutter ist ein großer Fan!“

Joe sah Denise zum ersten Mal richtig an. Da stand sie mit ihrer leicht untersetzen Figur, den wilden braunen Haaren, die durch einen Pferdeschwanz gebändigt wurden, ihrem rundlichen Gesicht und mit großen, so erwartungsvollen Augen, dass Joe gar nicht umher kam zuzustimmen: „Natürlich!“, sagte Joe ruhig, während er sich wieder aufrappelte. Dann sah er sich im Zimmer nach einem Stück Papier um, fand aber nichts Brauchbares: „Haben Sie einen Stift?“, fragte er in Richtung Denise, die auch sofort und voller Aufregung einen dicken Faserschreiber aus der Fronttasche Ihrer Schürze zog.

„Ja, der wird es tun!“, meinte Joe voller Zuversicht, ging zum Bett, zog seine Unterhose wieder aus, spannte sie mit zwei Fingern über dem Bett auf und unterschrieb auf ihr. Dann ging er zurück zur Tür und übergab Denise mit einem breiten Grinsen erst den Stift und dann das frische Unterhosen-Autogramm.

Denise stand mit offenem Mund da und suchte in Joes Gesicht nach irgendeinem Hinweis darauf, dass dies nur ein Scherz war, aber sie konnte einfach nichts finden.

Als Joe dann ein trockenes: „Auf Wiedersehen. Ihr Trinkgeld scanne ich unten!“, hinzufügte, zog sie es vor, schnell das Weite zu suchen.

Joe schloss die Tür, trottete ins Badezimmer und betrachtete sich selbst im großen Spiegel über dem Waschbecken. Seine langen, inzwischen etwas dünner gewordenen Haare hingen wie immer halb vor seinem Gesicht und die ersten Bartstoppeln waren auch schon wieder zu sehen. Als Joe das Licht über dem Spiegel einschaltete, zuckte er zusammen, denn seine tiefen dunklen Augenränder kamen zum Vorschein.

„Ach du Scheiße!“, sagte er laut zu sich selbst und dann verfiel er in eine seiner üblichen Grübelphasen. Er setzte sich auf die Toilette und begann, wie fast jeden Morgen, über sein Leben nachzudenken: Über die scheinbar endlose Tournee mit den fast täglichen Shows in halbleeren Hallen und den unzähligen Reisen von Stadt zu Stadt, von Planet zu Planet, die in all der Routine zur Bedeutungslosigkeit verkommen waren. Joe dachte an sein komplett durchorganisiertes Leben, in dem jeder seiner Schritte von Agenten und Managern bestimmt und überwacht wurde. Und wie jedes Mal begann sich Joe auszumalen, wie es wäre, ein „normales“ Leben zu führen: Eine Frau, vielleicht Kinder, eine eigene Wohnung oder sogar ein Haus, irgendwo auf einem der neuen Siedlungsplaneten weit draußen im Nebbulla-Sektor. Doch dann wurde sich Joe des Schreibtischjobs bewusst, den er dann vermutlich hätte und dies holte ihn sofort zurück in die Realität: „Egal, die Show muss weitergehen!“, sagte er laut, stand auf und betätigte die Toilettenspülung. Merklich erleichtert nahm er eine kurze Dusche, zog sich an und machte sich auf den Weg zum Transportterminal.

Joe vermied es, durch die Lobby zu gehen und fuhr mit dem Fahrstuhl direkt zum unterirdischen Taxistand des Hotels. Unten angekommen ging er, ohne nach links oder rechts zu schauen, durch die schmucklose Rohbetonhalle direkt zum nächstbesten der rot-weiß gestreiften, hoteleigenen Taxis und während er einstieg, gab er dem Fahrer nur einen kurzes: „Irgendein Raumhafen, von dem aus ich zur Falkenstation komme und schnell bitte!“. Dann betätigte er den Schalter für die Trennwand zwischen Fahrer- und Fahrgastraum, legte sich quer auf die Rückbank und gab sich seiner Müdigkeit hin.

„Raumhafen zwei: Wir sind da!“ Die Stimme des Fahrers aus der Kommunikationsanlage riss Joe das zweite Mal an diesem Tag aus dem Schlaf.

„Oh, wow, schon da?“, sagte er und stemmte seinen Oberkörper mit beiden Armen mühevoll nach oben: „Kann ich direkt hier hinten bezahlen?“

„Ja sicher!“, antwortete der Fahrer und direkt vor Joe klappte ein Scanner aus der Fahrgasttür. Joe blickte hinein und musste sich anstrengen, seine Augen so weit zu öffnen, dass der Scanner seine Netzhaut erfassen konnte. Aber irgendwann hatte es Joe geschafft und der Quittierungston sagte ihm, dass er jetzt aussteigen und gehen konnte.

Kurz darauf trottete Joe in die Abflughalle, aber nachdem sich die großen Glastüren des Eingangs hinter ihm geschlossen hatten, blieb er erst einmal stehen und schaute in der Gegend herum. Alles schien sich im Kreis zu drehen und er selbst stand mitten im Zentrum. Egal wo er hinsah: Alles verschwand sofort wieder aus seinem Blickfeld und verlor sich im Durcheinander der Infomonitore, Werbetafeln, Leuchtreklamen und Warteschlangen. Aber Joe konzentrierte sich und versuchte, irgendetwas einzufangen, worauf er seine Gedanken lenken konnte.

Und dann schaffte er es: Sein Blick blieb am Werbeaufsteller eines Geschäftes für Herrenbekleidung hängen: „Was war da noch mit meinen Klamotten?“, dachte Joe und dann erinnerte er sich an das etwas außergewöhnliche Autogramm für Denise. Also atmete er tief durch und ging mit festem Schritt in den Laden.

„Was wünschen Sie, mein Herr?“ Eine Verkäuferin, kaum einen Meter sechzig groß, mit mäuseartiger Figur und spitzer Nase, kam direkt im Laufschritt auf ihn zu.

„Oh, ich brauche nur ein paar Unterhosen: Slips bitte! Ich hasse jegliche Form von Boxershorts, Sportshort oder was es da sonst noch so in dieser Richtung gibt.“

„Selbstverständlich! Größe L?“, fragte die Verkäuferin mit gut gelaunter Stimme.

„Ja, L ist gut!“ Joe trottete hinter der Verkäuferin her, die zu einem Regal im hinteren Teil des Ladens eilte.

„Welche Farbe? Ach, und soll es eine Großpackung sein, oder mögen Sie lieber ein Markenmodell? Ich habe auch Kombi-Packungen mit vielen verschiedenen Farben. Wie wäre es denn damit?“ Die Verkäuferin sah Joe mit erwartungsvollen Augen an, aber an Joes verkatertem Gesichtsausdruck, prallte ihr Blick wie an einem Betonpfeiler ab.

„Ich will nur ganz normale Slips. Die Farbe ist mir vollkommen schnurz.“, sagte Joe: „Geben Sie mir die da!“ Joe griff nach einer Großpackung mit schwarzen Unterhosen und gab sie der Verkäuferin.

„Sagen Sie, ich kenne Sie irgendwo her? Sind Sie prominent?“, fragte die Verkäuferin und begann, Joes Gesicht genaustens und aus nur zwanzig Zentimetern Entfernung auf Ähnlichkeiten mit den ihr bekannten Prominenten zu untersuchen.

„Na so was ähnliches.“, sagte Joe und trat einen Schritt zurück.

„Na gut, Herr Sowasähnlicheswieeinprominenter, das macht fünfzehn Unidollars!“, sagte die Verkäuferin in leicht distanziertem Ton und hielt Joe einen Scanner hin. Joe verlor jedoch kein weiteres Wort. Er bezahlte und verabschiedete sich aus dem Laden.

Joes Weg führte ihn geradewegs zur nächsten Toilette. Dort würde er in Ruhe seine gerade erstandene Unterwäsche anziehen können, aber als er die Eingangstür öffnen wollte, wurde diese von innen mit einem starken Schwung aufgestoßen und schlug dumpf und hart direkt gegen seinen Kopf. Es klang, als ob jemand einen schweren Holzklotz aus großer Höhe auf einen Betonboden fallen lassen würde. Joe verlor zwischen all den Sternen, die er sah, endgültig die Orientierung, taumelte rückwärts und fiel, einer Filmszene gleich, auf sein Hinterteil.

Aus der Toilette trat Lora, die vor Schreck zusammenzuckte: „Oh Entschuldigung, tut mir leid!“, rief sie, während sie sofort zu Joe eilte: „Sind Sie OK?“

„Ja, alles klar, ist schon gut!“, sagte Joe noch leicht benommen: „Mein Tag läuft eh schon nicht besonders, da kommt es auf eine Beule am Kopf auch nicht mehr an.“ Und während er Lora ein kleines Lächeln zuwarf, wurde er auf eine kleine Ungereimtheit aufmerksam und konnte nicht umher nachzufragen: „Ach sagen Sie: Warum waren Sie eigentlich auf der Herrentoilette?“

„Das ist eine Toilette nur für Männer?“

„Ja klar, was dachten Sie denn, was dieses Zeichen hier auf der Tür bedeutet?“

„Na ja, für zweibeinige Spezies. Und die andere Tür da ist für einbeinige.“ Loras Tonfall verriet jedoch, dass sie selbst nicht glaubte, was sie sagte.

Joe lachte laut auf, während er sich wieder aufrappelte, und fragte weiter: „Na und die ganzen Pissbecken an der Wand? Was haben Sie gedacht wofür die Dinger sind?“

Lora begann sich über sich selbst zu amüsieren. „Na ja, für mich haben die Dinger immer genau die richtige Höhe.“

„Und bisher hat Ihnen nie jemand was dazu gesagt oder sich beschwert?“

„Nein, bisher nicht!“, und nun musste auch Lora laut lachen: „Ich bin erst seit zwei Wochen auf einem Menschenplaneten und war meistens im Bad des Hotelzimmers, um ... na ja, Sie wissen schon!“

„Weiß ich!“, sagte Joe, noch immer mit einem breiten Grinsen im Gesicht: „Also für die Zukunft: Frauen werden hier nur mit einem Bein dargestellt. Warum auch immer?! Jetzt muss ich aber auch mal dringend ... Sie wissen schon! Also viel Erfolg noch!“

„Danke! Ihnen auch viel Erfolg! Und nochmals Entschuldigung für die Beule.“, sagte Lora und sah Joe hinterher, wie er langsam und vorsichtig die Toilettentür öffnete und hindurchging.

Deutlich aufgemuntert, mit frischer Unterwäsche und inzwischen auch vollkommen wach spazierte Joe ein paar Minuten später durch die Abflughalle. Er wollte sich vor der Abreise noch etwas umsehen und so versuchte sein Blick, einen Weg durch das Dickicht der Massen zu finden, die sich vor den Check-in-Schaltern drängten. Nach einer kleinen Weile schaffte er es und erspähte eine kleine Snack-Bar, die sich zwischen einen Laden für Unterhaltungselektronik und „Aresalritas Schmuckparadies“ quetschte. Joe steuerte geradewegs darauf zu und genehmigte sich in Ruhe einen extrastarken Espresso und ein Croissant. Der Geruch des frischen Kaffes und des ofenwarmen Gebäcks lies all den Lärm um ihn herum verstummen, als ob es keine Lautsprecherdurchsagen, kein Quittierungspiepsen der Check-In-Computer und keinen permanent andauernden Gesprächsbrei der Leute im Terminal geben würde. Übrig blieben nur Duft und Geschmack und der Blick auf eine Frau mit langen rosafarbenen Haaren, wie Lora sie trug. Sie stand in der Warteschlange an einem der Gates mit ihrer Bordkarte in der Hand und trippelte brav mit den anderen Passagieren Schritt für Schritt vorwärts zur Kontrolle am Einstieg.

„Ist sie es?“, fragte sich Joe, doch dann erkannte er am Infodisplay des Gates, dass es sein Flug war, in den die Leute bereits einstiegen. Also stürzte er seinen Espresso hinunter, ließ den Rest seines Croissants auf dem Teller liegen und sprintete hinüber zum Ticket-Verkauf.

An einem der Schalter wartete nur ein einzelner, älterer Mann, also fackelte Joe nicht lange und drängelte sich vor: „Entschuldigen Sie, ich muss dringend einen Flug erwischen“ sagte er mehr in den Raum hinein, als den Mann wirklich anzusehen, der nur noch schnell zur Seite springen konnte und sprachlos mit offenem Mund stehenblieb.

„Stellen Sie sich bitte hinten an, mein Herr!“, sagte die Verkäuferin in bestimmten Ton.

„Ich muss den Flug da vorn noch erwischen, schnell!“

Die Verkäuferin verzog das Gesicht: „Na schön, haben Sie Gepäck dabei?“

„Nein, nun machen Sie schon!“

„OK, hier ist ihr Ticket. Ich checke Sie direkt von hier aus ohne Gepäck ein, dann brauchen Sie sich nicht in die Warteschlange stellen.“

Joe bezahlte am Scanner, ohne dass er den Preis für den Flug überhaupt kannte, riss der Verkäuferin die Bordkarte aus der Hand und rannte zum Gate.

„Nichts zu danken!“, rief ihm die Verkäuferin hinterher, aber Joe ging bereits durch die Tür hinaus zum Schiff.

Als er dann auf der Suche nach einem ruhigen Sitzplatz durch den Mittelgang nach vorn ging, sah er die Frau mit den langen rosafarbenen Haaren am Fenster in einer der mittleren Reihen sitzen und jetzt erkannte er mit Freude, dass es tatsächlich Lora war: „Na dann wird es ja ein lustiger Überflug!“, dachte er und da der Platz neben ihr noch frei war, ergriff er die Gelegenheit und setzte sich zu ihr.

„Ach Sie, na welch eine Überraschung!“, begrüßte ihn Lora herzlich.

„Ich bin gerade an der Bordtoilette vorbeigekommen und hier ist es tatsächlich nur eine einzige: für Frauen, für Männer, für einbeinige und zweibeinige Spezies!“, sagte Joe und erwiderte ihr Lächeln.

„Na, da bin ich ja beruhigt.“, sagte Lora: „Dann kann ja nichts mehr schief gehen.“

„Bitte anschnallen, wir starten!“, schallte es aus den Lautsprechern und unterbrach das Gespräch der Beiden, die jetzt erst einmal damit beschäftigt waren, ihre Gurte zu finden, aber noch bevor sie damit fertig wurden, hob der Transporter ab und beschleunigte gen Himmel.

Während Joe gar nicht darauf achtete, stoppte Lora ihre Suchaktion und sah aus dem Fenster hinunter auf die Stadt, die langsam immer grauer und undeutlicher wurde. Loras Herz schlug immer schneller und ihr Mund begann zu lächeln, während sie tief ein- und ausatmete. Doch mit zunehmender Höhe, verblasste ihr zufriedener Gesichtsausdruck und Lora konnte es nicht vermeiden, dass eine Träne hinab über ihre Wange lief. Lora wischte sie sich jedoch schnell aus dem Gesicht.

Kurze Zeit später verließ der Transporter die Atmosphäre und die Fenster wurden dunkel. Lora sah hinüber zu Joe, doch dieser war, trotz des Kaffees wieder Opfer seiner Müdigkeit geworden und schlief tief und fest in seinem Sitz. Da der Flug ja noch ein wenig dauern würde, beschloss Lora, das Gleiche zu tun. Sie setzte sich in eine bequeme Position und schloss die Augen, doch es war vergebens: Viel zu viele Gedanken über die vergangen zwei Wochen auf Gesius und über die Zukunft, die vor Ihr lag, schwirrten kreuz und quer in ihrem Kopf umher und ließen sie nicht zur Ruhe kommen. Als ein paar Minuten später ein Mann in der Sitzreihe direkt vor ihr eine laute Unterhaltung mit seinem Nachbarn begann, bei der es sich offensichtlich nur um das Wetter drehte, blieb Lora keine andere Wahl als wach zu bleiben. Sie sah wieder hinüber zu Joe, der immer noch schlief.

„Seltsamer Vogel!“, dachte sie: „Wo der wohl herkommt? Von diesem Planeten jedenfalls nicht, denn mit der Frisur hätte er hier nie einen Job bekommen. Womit verdient der wohl sein Geld? Warum hat er eigentlich noch nichts darüber gesagt, dass ich Iriduanerin bin? Es muss ihm doch wohl aufgefallen sein, dass meine Spezies sehr selten in dieser Gegend anzutreffen ist.“

Lora lehnte sich schnell und unauffällig wieder zurück in ihren Sitz, denn Joe war wieder aufgewacht. Nach einem Hustenanfall seines anderen Sitznachbarn, einem weinenden Baby und einem Geruchsangriff von der anderen Gangseite her, gab nun auch Joe das Schlafen auf. Er starrte mit halboffenen Augen auf die Rückenlehne seines Vordersitzes und dachte: „Was macht nur eine Iriduanerin hier in dieser Gegend? Wo sie wohl hin will?“ Er sah zu Lora hinüber und ihre Blicke trafen sich direkt, denn Lora drehte sich im gleichen Moment auch zu ihm um.

„Wohin geht denn die Reise?“, fragte Joe und brach damit als Erster das Schweigen.

„Oh, nach Hause, nach Iridua. Ich habe hier nur gearbeitet.“

„Aber sagten Sie nicht, dass Sie erst seit zwei Wochen hier seien? War wohl ein schlechter Job!?“, fragte Joe weiter.

„Datenverwaltung in einer der berüchtigten Menschenfirmen. Ich hätte wissen sollen, dass das nicht gut gehen kann.“

„Ja, wir Menschen sind schon eine eigenartige Spezies, nicht wahr? Wir wollen alles perfekt machen und produzieren im Endeffekt doch nur Chaos! Ich bin übrigens Musiker und habe nichts mit Menschenfirmen zu tun!“

„Musiker? Dann sind Sie so etwas wie ein Prominenter, was?! Welche Musik spielen Sie denn?“

„Ich bin Jazz-Sänger.“, sagte Joe, der sich nicht anmerken ließ, dass ihm die Fragen nach seinem Prominentenstatus langsam auf die Nerven gingen. Doch die Freude über Loras offensichtliche Neugier überwog und spülte den Ärger schnell davon.

„Jazz? Ist das nicht eine dieser alten, ausgestorbenen Musikstile von der Erde?“

Joes Freude verschwand schlagartig aus seinem Gesicht: „Ausgestorben wohl nicht. Sonst wäre ich ja kein Jazz-Musiker. Ich bin gerade auf Tournee und fliege zum nächsten Konzert.“, erklärte Joe mit ein wenig Stolz in der Stimme.

„Wow!“, sagte Lora und wurde am weiteren Sprechen durch eine Durchsage des Computers gehindert: „Eine Transmission für Herrn Joe Falk. Bitte kommen sie zum Telekommunikationsraum!“

„Entschuldigen Sie, ich muss da leider rangehen! Das ist wahrscheinlich mein Manager.“, sagte Joe, stand auf und ging nach vorn zur Telekommunikationskabine.

„Kein Problem!“, rief Lora hinter ihm her und als er in der Kabine verschwand, senkte Lora ihre Stimme und murmelte vor sich hin: „Ich warte dann einfach hier. Zu dumm, wenn man in der Vergangenheit lebt, ausgestorbene Musik singt und jegliche moderne Technik, wie einen eigenen, interstellaren Kommunikator prinzipiell ablehnt!“

Nach etwa zehn Minuten kam Joe mit hängenden Schultern zurück und setzte sich stumm wieder auf seinen Platz.

„Haben Sie keinen eigenen Kommunikator?“, fragte Lora neugierig, aber Joe reagierte gar nicht darauf. Stattdessen starrte er mit leerem Blick ins Nichts hinein.

„Was ist denn los? Ist Alles OK mit Ihnen? Ich hoffe, es ist keine Nachwirkung der Toilettentür.“

Joes Gesichtsfarbe sah inzwischen ungesund blass aus.

„Ist Ihnen schlecht? Soll ich den Notknopf drücken?“

Als Joe immer noch nicht antwortete, drehte sich Lora zur Wand und versuchte, das Notsignal zu betätigen, doch Joe hielt Loras Hand fest und brach sein Schweigen: „Ist nicht nötig, mir geht es gut. Meine restliche Tour ist nur gerade abgesagt worden, meine Plattenfirma hat mir gekündigt und das alles hat mir soeben mein Manager mitgeteilt, der nun auch nicht mehr mit mir arbeiten will.“

Lora sah Joe entgeistert an: „Nein, nicht wirklich, oder?“

„Doch!“, sagte Joe und sein Tonfall schlug in Sarkasmus um: „Und ich habe vergessen zu erwähnen, dass mein Manager noch zehntausend Unidollars Honorar von mir fordert.“ Joe ließ Loras Hand los und ließ sich zurück in seinen Sessel fallen.

Obwohl Lora Joe kaum kannte, fühlte sie, wie sich ihr Brustkorb zusammenzog und ihr das Atmen schwerfiel. Sie blickte hilflos auf die Rücklehne des Sitzes vor ihr und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen, um jetzt das Richtige zu tun oder zu sagen. Doch der Transporter dockte in diesem Moment an die Station an und unterbrach Loras Denkprozess.

Joe stand schnell auf und drehte sich zu Lora um: „Ich war leider noch nie auf Iridua, aber ich habe gehört, dass es dort traumhaft schön sein soll. Ich weiß, dass man nie ein Visum für Iridua bekommt, aber wer weiß, vielleicht schaffe ich es doch mal, Ihren Heimatplaneten zu sehen. Ich wünsche Ihnen jedenfalls alles Glück der Welt.“ Joe wartete nicht ab, ob Lora noch etwas sagen wollte. Er drehte sich einfach um und ging hinaus.

Lora hingegen blieb stumm auf ihrem Platz sitzen. Sie wollte ihm eigentlich noch etwas hinterherrufen, doch sie brachte kein Wort heraus.

Sie verstand es selbst nicht: Er war nur ein Musiker, dem der Erfolg ausgeblieben war. Solche Geschichten passierten jeden Tag und doch war es hier etwas anderes. Irgendwie hatte Lora wieder eines dieser unerklärlichen Gefühle, dass ihre Aufgabe in diesem Sternensystem noch nicht beendet war und dass sie Joe mit Sicherheit wieder treffen würde. Es fesselte Lora förmlich an ihren Sitz und erst als die Reinigungskolonne den Transporter betrat, stand sie auf und ging, immer noch in Gedanken versunken, hinaus in die Station.

3. Kapitel

„Freitag der 11.07.2356 Erdzeit, Planet Rawadian, fünftes Kriegsjahr - Mal wieder nichts los. Habe die Steine, die bis zu einem halben Meter Abstand um mich herum im Sand lagen nach Größe und Farbe sortiert. Mehr Produktives ist mir nicht eingefallen. Sven ist heute dran mit Bier holen. Hoffe, dass ich beim Pokern heute Abend meinen Verlust von gestern zurückgewinne.“ Oliver setzte seinen Stift kurz ab und überlegte. Er drehte ihn zwischen seinen Fingern hin und her, klopfte mit dem Ende rhythmisch auf sein Notizbuch, hielt ihn zwischen den Zähnen, während er ein paar Seiten zurück und wieder nach vorne blätterte. Aber egal was er versuchte: Ihm fiel nicht das Geringste ein, denn jeder Tag war wie der vorangegangene und wie der Tag zuvor. Mit einem Seufzer schlug Oliver sein Notizbuch zu und steckte es in die Innentasche seines Kampfanzugs.

„Sven!“ Olivers Stimme durchschnitt die Langeweile im Schützengraben wie eine Klinge. „Sven, Du bist dran! Hol Bier!“ Oliver hoffte auf eine Antwort, die mehr als ein „Ja“ oder „Nein“ enthielt und vielleicht sogar auf den Beginn einer Unterhaltung, einer Abwechslung im staubigen Alltag der rawadianischen Zentralwüste, aber nichts kam zurück. „SVEN!“, schrie Oliver und wurde nun endlich erhört:

„Ja doch, ich geh schon!“, schallte es vom anderen Ende des Schützengrabens herüber. Sven kletterte ohne jede Schutzmaßnahme nach oben und verschwand in Richtung des Lagers. Aber schon etwa zwanzig Minuten später war er mit einem halben Kasten Bier zurück. Oliver konnte es gar nicht erwarten, bis Sven ihm seine Flasche reichte. Er öffnete sie mit den Zähnen, trank die Hälfte der Flasche auf Ex aus, genoss dabei aber jeden Tropfen, der seine trockene Kehle hinunterlief.

Neben Oliver, etwa fünfzehn Meter entfernt saß Kjomme. Er war auch ein Mensch, wie Oliver. Sein Vater war Kommandant bei der Raumflotte und so war Kjomme auf einem Schlachtkreuzer aufgewachsen. Sein seltsamer Name war typisch für das Sternensystem, in dem er zur Welt kam. Welches das war, wusste Kjomme nicht mehr. Hier im Krieg, sollte er sich jedenfalls, so wie sein Vater es wollte, seine Lorbeeren verdienen, um später auch einmal Raumschiffkapitän zu werden.

„Hey, Kjomme, sag mir nochmal, warum wir alle eigentlich hier sind und warum speziell ich hier bin! Nach fast fünf Jahren Schützengraben, ohne dass nur ein einziger Schuss gefallen ist, habe ich ganz vergessen, was ich hier eigentlich mache.“

„Wir verteidigen diesen Planeten vor den Invasoren da drüben.“ Kjomme deutete mit seiner Hand in Richtung der imaginären Frontlinie.

Aber Oliver ließ nicht locker: „Der Planet heißt doch Rawadian. Also gehört er doch wohl den Rawadianern, oder? Sind wir dann nicht eigentlich die Invasoren?“

„Ja, aber wir verwalten den ganzen Scheiß hier und beschützen unsere Erzminen. Du bist seit fünf Jahren hier und kennst nicht mal die offizielle Meinung, die Du zu vertreten hast? Was machst Du eigentlich während der morgendlichen Briefings?“

„Da schlafe ich noch. Du etwa nicht?“ Kjomme blieb die Antwort schuldig, also fragte Oliver weiter: „Und ich, warum bin eigentlich ich speziell hier?“

„Du hast wieder einen dieser Tage, richtig? Du bist hier, weil die Bezahlung stimmt.“, und Kjomme sah zum ersten Mal zu Oliver herüber: „Außerdem solltest Du froh sein, dass noch keiner geschossen hat, oder nicht?“

„Aber Du, Kjomme, Du bist doch hier, weil Dein Vater es so will, oder?“

Kjomme antwortete nur mit einem kurzen „Ja“ ohne weiteren Kommentar.

„Aber was willst DU eigentlich?“, bohrte Oliver weiter. „DU liegst hier bei vierzig Grad im Dreck und schlägst die Zeit tot, nicht Dein Vater! Und dazu weißt Du nie, ob nicht doch mal so ein Irrer schießt.“

„Was ich will?“ Kjomme richtete die Frage mehr an sich selbst als an Oliver. Er blickte wieder geradeaus und begann nachzugrübeln. Es dauerte ein paar Minuten, aber dann hatte er eine Antwort: „Pizza! Ich will eine Pizza, so wie früher! Mit viel Käse und vielleicht mit Schinken, oder sogar mit Oliven.“ Oliver sah erstaunt zu ihm herüber.

„Vielleicht danach auch ein Tiramisu und einen schönen Rotwein.“, träumte Kjomme weiter: „Ja genau: Ein schönes Glas traditionellen, italienischen Rotweins. Das wär’s jetzt!“

„Tiramisu? Was ist das denn?“, fragte Oliver. Kjomme sah zu ihm herüber und runzelte die Stirn.

Oliver zog es dann doch vor, seine Unwissenheit zu überspielen: „Also was es auch immer ist: Hier gibt es so etwas nicht. Hier ist es nur heiß und staubig. Und das wird sich so schnell nicht ändern.“

Olivers Worte hallten in Kjommes Ohren wider, wie die Standpauke eines Lehrers, bei der man sich am liebsten unter den Tisch verkriechen würde.

Oliver wollte gerade dazu ansetzen, sich seinen ganzen Frust über seine Situation von der Seele zu reden, doch er hielt inne, denn ihm kam eine Idee: „Kjomme, warum gehen wir nicht einfach Pizza essen? In einem richtigen Erden-Restaurant!“

Kjomme sah ihn verdutzt an.

„Ich hab‘ die Schnauze gestrichen voll.“, fuhr Oliver fort: „Wir gehen einfach. Hier ist kein Krieg. Keiner schießt, keiner achtet hier noch auf irgendetwas oder irgendwen. Ich kann bis heute nicht verstehen, warum die hier an der so genannten Front nicht einfach Roboter einsetzen. Und bevor Du etwas sagst: Ja, ich habe sogar bei einem der Briefings zugehört und weiß, dass jede Maschine leichter zu überlisten ist als ein Mensch.“

„Und nebenbei bemerkt kostet so ein Hightech-Roboter mehr als drei Jahresgehälter eines Soldaten.“, fügte Kjomme hinzu: „Aber was meinst Du mit Pizza im Erden-Restaurant? Wir kriegen nicht so schnell Urlaub, schon gar nicht zur selben Zeit.“

„Wir hauen einfach ab, merkt so wie so keiner.“ Oliver stemmte sich aus seiner halb liegenden Position auf und setzte sich ein Stück näher zu Kjomme auf den staubigen Boden.

„Meinst Du das ernst?“, fragte Kjomme mit aller Vorsicht.

„Ja klar! Hat Dich in den letzten drei Jahren hier ein Vorgesetzter kontrolliert, untersucht oder auch nur mit Dir außerhalb dieser blödsinnigen Briefings gesprochen?“

„Nein!“, antwortete Kjomme und seine Stimme verriet, dass er langsam Spaß an dem Gedanken bekam. Doch dann sah er wieder geradeaus an die gegenüberliegende Wand des Schützengrabens. „Mein Vater macht mich alle! Der bringt mich um! Sein Sohn ein Deserteur!“ Kjomme senkte seinen Blick nach unten zwischen seine angewinkelten Knie.

„Na und? Drauf geschissen!“, sagte Oliver mit immer enthusiastischerer Stimme, aber Kjomme starrte weiter regungslos auf den Boden. Nun gab auch Oliver auf und blickte wieder auf die vor ihm stehende, inzwischen leer getrunkene Bierflasche.

„Drauf geschissen!“, sagte Kjomme plötzlich, stand wild entschlossen auf und kletterte nach oben.

„Kjomme, bist Du irre?“

Kjomme reagierte nicht.

„Dann warte wenigstens auf mich!“, rief ihm Oliver hinterher und kletterte ebenfalls aus dem Graben.

Oben angekommen sahen sich Oliver und Kjomme an: „Und was jetzt?“, fragte Oliver.

„Sag Du mir das! Das Ganze ist doch Deine Idee gewesen.“

Oliver sah sich nach allen Seiten um. Außer Wüstensand und dem nur etwa dreihundert Meter entfernten Versorgungslager am Fuße der großen Dünenkette war nichts zu sehen. Drei Shuttle-Transporter standen neben dem Hauptzelt und schienen unbewacht zu sein: „Nur nicht auffallen! Wir haben jetzt ‚offiziell‘ den Befehl zum Schlachtkreuzer ‚Europa‘ zu fliegen, um dort einen Gefangenen zu verhören, verstehst Du?“

„Klar!“, sagte Kjomme und grinste übers ganze Gesicht.

Die beiden machten sich auf den Weg zum Zelt, aber als sie näherkamen, mussten sie feststellen, dass die Shuttles doch bewacht waren: Ein einzelner Soldat schlief im Sand, mit dem Rücken an einen großen Felsbrocken gelehnt. Seinen Hut hatte er sich über die Augen gelegt und seine Hände über seiner Brust zusammengefaltet. Also gingen Kjomme und Oliver weiter, direkt zu den Shuttles.

„Los Kjomme, starte schon mal den Antrieb!“, sagte Oliver und ging zum schlafenden Wachposten: „HALLO! Wir müssen zum Schlachtkreuzer ‚Europa‘ fliegen. Wir sollen da einen Gefangenen verhören.“

„Gefangenenverhör?“, murmelte der Wachposten, ohne seinen Hut hochzuschieben: „So einen Schwachsinn habe ich ja noch nie gehört. Seit wann machen wir Gefangene?“

Oliver zuckte zusammen, denn er bemerkte, wie dumm seine Idee mit dem Verhör eigentlich gewesen war. Aber er konnte jetzt nicht mehr die Richtung wechseln: „Seit heute. Wir haben einen Spion von denen erwischt, wie er versuchte, die Sicherheitsschleusen an einer der Erzminen zu manipulieren.“ Oliver war über sich selbst erstaunt, wie schnell er das Problem lösen konnte.

Der Wachmann schob nun doch seinen Hut nach oben und sah Oliver mit zusammengekniffenen Augen an: „Spion? An den Minen? Und was wollte der da machen? Ach Scheißegal. Fliegt doch einfach und lasst mich endlich in Ruhe, verdammt! Immer diese bekloppten Frischlinge. Wollen alles immer ganz genau machen. Nehmt das verdammte Mistding endlich und verschwindet!“ Dann schob er den Hut wieder über die Augen.

„OK, Danke. Wir melden uns dann vom Schlachtkreuzer aus hier unten ab. OK?“ Da keine Antwort vom Wachmann kam, ging Oliver, ohne weitere Worte zu verlieren, zum Shuttle, das bereits mit hochgefahrenem Antrieb und mit Kjomme am Steuer auf ihn wartete. Oliver stieg ein, Kjomme hob ab und beschleunigte gen Himmel.

Langsam kroch das kleine Schiff die schroffen Felswände empor und das Camp, die Munitionsdepots und auch der Schützengraben wurden immer kleiner, bis sie Spielzeug ähnelten, das verstreut in einem schmutzigen Sandkasten herumlag. Immer schneller schossen die mächtigen Gesteinsbrocken des Felsmassivs an Oliver und Kjomme vorbei, bis sie zu einer einzigen großen Masse verschwammen. Als die Gipfel erreicht waren und unter dem Shuttle abtauchten, gaben sie die Sicht auf die gigantische, rotsandig karge Zentralwüste frei, die bis zum Horizont von bizarren Felsformationen durchbrochen wurde. Zwischen ihnen saugten sich unzählige Minen und Fabrikanlagen wie Geschwüre am Wüstensand fest und sandten ihre dichten Rauschschwaden gen Himmel. Der Anblick ließ Oliver innerlich erschaudern, auch wenn er gleichzeitig spürte, wie ein Gefühl der Freiheit und der Freude auf die vor ihm liegende Zukunft in ihm aufkam.

Nachdem Kjomme vom Steigflug in den Vorwärtsflug übergegangen war, brach Oliver das Schweigen: „So weit, so gut. Etwas habe ich jedoch nicht bedacht.“

„Und was?“, fragte Kjomme und drehte sich zu Oliver um, der es sich inzwischen auf einer der hölzernen Ruhepritschen im hinteren Bereich der Shuttlekabine bequem gemacht hatte.

„Guck nach vorne!“

Kjomme gehorchte.

„Ich habe noch nicht bedacht, wie wir durch das Sensor-Schutznetz kommen. Sobald ein Raumschiff unbefugt durchfliegt, gibt es Alarm an alle Kreuzer, Abfangjäger und an Alle, die sonst noch im Orbit rumhängen.“

„Stimmt, an das blöde Netz habe ich nicht gedacht. Können wir das Ganze nicht vorübergehend lahmlegen?“

„Nein, keine Chance. Das Netz ist absolut hackersicher. Wir müssen da ‚befugt‘ durch!“

„OK, befugt! Und wie?“ Kjomme klang zunehmend unruhig:

„Na ja, wir könnten angeben, dass wir auf Urlaub wären.“, sagte Oliver, bemerkte die Dummheit seiner Idee aber im selben Moment und auch Kjomme ersparte sich jeglichen Kommentar.

„Ich hab‘s!“, rief Oliver: „Wir holen jotanische Eier für Sergeant Holcroft und müssen dafür zum interstellaren Großmarkt auf der Bell-Station draußen im Keedon-System fliegen. Der Typ liebt diese komischen Eier, aber die kriegst Du nur bei einem Händler, der dort einen kleinen Laden hat. Und der Typ ist, soweit ich weiß, ein Schmuggler und betreibt den Laden nur als Tarnung. Aber für seine Eier tut der Sergeant eben alles. Hast Du die mal gegessen?“

Kjomme blickte wieder nach hinten zu Oliver.

„Guck nach vorne! Wir werden noch abgeschossen, Mann. Es ist Krieg!“

Kjomme sah wieder auf sein Display: „Nein, habe ich noch nicht gegessen.

„Die schmecken wie vergammelter Schneckenschleim. Keine Ahnung was der Typ daran findet. Na ja, aber bei dem wundert mich eigentlich nichts!“

„Geht nicht!“, sagte Kjomme.

„Was geht nicht?“

„Na Deine Idee mit Sergeant Holcroft. Der ist vor zwei Jahren an Lebensmittelvergiftung gestorben.“

„So viel zu den Eiern.“, ergänzte Oliver. Doch dann traf ihn ein weiterer Geistesblitz: „Sag mal, Kjomme, ist das nicht ein Standard-Shuttle, Typ zwei oder Typ drei?“

„Typ zwei, glaube ich. Wieso?“

Oliver setzte sich auf: „Na das ist auch der Typ, der von der Flugschule eingesetzt wird. Und das sind wir jetzt auch offiziell: Flugschüler und Fluglehrer.“

Kjomme rümpfte die Nase: „Ach, und ich bin der Flugschüler? Ich bin ausgebildeter Kampfpilot, Du Vollpfosten. Das merkt doch jeder nach zwei Sekunden, dass ich nicht wie ein Schüler fliege!“

„Na gut, dann lass mich ran. Ich habe seit einer Ewigkeit keines von diesen Dingern gesteuert. Ich fliege bestimmt total krumm und es ist nicht mal gespielt.“

Gesagt, getan: Oliver und Kjomme tauschten die Plätze und nur einen kurzen Moment später meldete sich ein Wachschiff über das Videoterminal: „Was machen Sie da? Sie haben das Schutznetz durchflogen! Identifizieren Sie sich!“

Oliver atmete tief ein und wollte antworten, zögerte aber.

„Nur Ton!“, zischte Kjomme nach vorn: „Mach bloß nicht den Bildkanal auf.“

Oliver drehte sich kurz zu Kjomme um, befolgte dann aber seinen Rat. Er öffnete nur den Ton-Kanal und versuchte, mit etwas tieferer Stimme zu sprechen: „Oh, tut mir leid! Hier ist Leutnant Brown. Mein Flugschüler hatte vergessen, den Durchflug anzumelden. Ich tue dies hiermit. Bitte geben Sie ‚Hochgeschwindigkeitsmanöver‘ als Trainingseinheit an! Vielen Dank!“ Oliver hielt den Atem an, wobei ihm die zwei Sekunden, die bis zur Antwort des Wachschiffs vergingen, wie eine kleine Ewigkeit vorkamen.

„OK. Warten Sie bitte auf die Bestätigung des Oberkommandos.“ Oliver wurde schlagartig kreideweiß. Kjomme kam nach vorn auf den zweiten Pilotensitz geeilt. Auch ihm tropfte bereits der kalte Schweiß von der Schläfe herab auf den Boden. Das Aufschlagen der Tropfen durchschnitt die gespenstische Ruhe wie das langsame Ticken einer Uhr und dröhnte in Olivers Ohren wie ein Dampfhammer.

Nach etwa einer, schier endlosen Minute verlor Kjomme die Nerven: „Gib Gas, Mann! Gib Gas, die kaufen uns das nicht ab! Gib Gas, los!“, aber Oliver sah einfach weiter geradeaus.

Plötzlich sagte er mit ruhiger Stimme: „Sitz gerade und guck entspannt!“ Kjomme sah zunächst mit gerunzelter Stirn zu Oliver herüber, doch dann bemerkte auch er, dass das Wachschiff langsam von rechts in sehr kurzer Distanz genau vor das Cockpitfenster flog. Es war so nah, dass man den Piloten auf der anderen Seite deutlich erkennen konnte. Kjommes Atem wurde lauter und lauter und seine Muskeln verkrampften sich. Der Pilot des Wachschiffs schaltete demonstrativ auf Kampfmodus um und so sahen Kjomme und Oliver wie die Bordkanonen langsam seitlich am Rumpf des Wachschiffs ausgefahren wurden. Der Angriffsdetektor des Steuerungscomputers schaltete sofort auf Alarm und flutete das Cockpit mit seinem penetrant piepsenden Warnsignal.

Kjomme schob seine rechte Hand Stück für Stück weiter in Richtung des Schalters für die Schutzschilde, doch Oliver zischte aus dem Mundwinkel: „Stopp, lass es, Mann. Das ist bestimmt Standardverhaltensregel bei Raumschiffkontrollen.“