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Ein Leben mit fremdartigen, außergalaktischen Wesen hier auf der Erde, in unbekannten Weiten, auf anderen Planeten oder in fernen Sonnensystemen einer unbestimmten Zukunft; wer sagt uns, dass das nicht möglich ist?
Frank Neugebauer erzählt in seinen erstmals in dieser Form zusammengefassten fantastischen Erzählungen und Novellen, wie Menschen unter anderem nach der Vernichtung des Lebensraumes Erde in die galaktischen Weiten geschickt werden, um eine neue Existenzmöglichkeit zu finden, dabei auf einem Planeten weit außerhalb unseres Sonnensystems landen und dort eine böse Überraschung nach der anderen erleben, wie sie sich das niemals, nicht einmal in ihren kühnsten Träumen, vorzustellen wagten oder hier auf der Erde Wesen unerkannt neben uns leben, die es auf eine perfekte Art geschafft haben, sich so zu tarnen, dass sie niemandem auffallen …
Lasse Sie sich in den GARTEN DER STERNE entführen, einer fantastischen Welt, in der Science-Fiction zur Wirklichkeit wird.
Dieser Band enthält folgende Geschichten:
› Eisgedächtnis
› Rokoko 5000
› Rotrox: Gesellschaft-B
› Sämereiabkommen
› Trübes Licht
› Kinder der Raketenbauer
› Deutsche Drusische Republik
› Die Kolonisten von Udei
› Entschärfer der Bombe
› Apollo-Eins
› Maisfeld bei Brünn oder Prünn
› Neunauge
› Das Vierdritteluniversum
› Blickfeld 3078 – Die Puppe der Golems
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Frank Neugebauer
Der Garte der Sterne
Science-Fiction
Erzählungen und Novellen
Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv
Cover: © by Steve Mayer nach Motiven, 2023
Korrektorat: Bärenklau Exklusiv
Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang
Die Handlungen dieser Geschichte ist frei erfunden sowie die Namen der Protagonisten und Firmen. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht gewollt.
Alle Rechte vorbehalten
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Das Buch
Eisgedächtnis
Rokoko 5000
Rotrox: Gesellschaft-B
Sämereiabkommen
Trübes Licht
Kinder der Raketenbauer
Deutsche Drusische Republik
Die Kolonisten von Udei
Entschärfer der Bombe
Apollo-Eins
Maisfeld bei Brünn oder Prünn
Neunauge
Das Vierdritteluniversum
Blickfeld 3078 – Die Puppe der Golems
Ein Leben mit fremdartigen, außergalaktischen Wesen hier auf der Erde, in unbekannten Weiten, auf anderen Planeten oder in fernen Sonnensystemen einer unbestimmten Zukunft; wer sagt uns, dass das nicht möglich ist?
Frank Neugebauer erzählt in seinen erstmals in dieser Form zusammengefassten fantastischen Erzählungen und Novellen, wie Menschen unter anderem nach der Vernichtung des Lebensraumes Erde in die galaktischen Weiten geschickt werden, um eine neue Existenzmöglichkeit zu finden, dabei auf einem Planeten weit außerhalb unseres Sonnensystems landen und dort eine böse Überraschung nach der anderen erleben, wie sie sich das niemals, nicht einmal in ihren kühnsten Träumen, vorzustellen wagten oder hier auf der Erde Wesen unerkannt neben uns leben, die es auf eine perfekte Art geschafft haben, sich so zu tarnen, dass sie niemandem auffallen …
Lasse Sie sich in den GARTEN DER STERNE entführen, einer fantastischen Welt, in der Science-Fiction zur Wirklichkeit wird.
Dieser Band enthält folgende Geschichten:
Eisgedächtnis
Rokoko 5000
Rotrox: Gesellschaft-B
Sämereiabkommen
Trübes Licht
Kinder der Raketenbauer
Deutsche Drusische Republik
Die Kolonisten von Udei
Entschärfer der Bombe
Apollo-Eins
Maisfeld bei Brünn oder Prünn
Neunauge
Das Vierdritteluniversum
Blickfeld 3078 – Die Puppe der Golems
***
Als die Luftsäule ineinander fiel, flappten die Propellerflügel energisch ins Leere, als wollten sie die letzten Reste der ausgedünnten Atmosphäre zusammenstrudeln und für den horizontalen Vortrieb des Luftschiffs nutzen. Nicht ohne Sorge beäugte Glorion den Zeiger des Barometers, des, wie ihm als Piloten schien, wichtigsten Instruments auf GLAZIAL, diesem kalten Sturmplaneten, der mit seiner wenigen Luft ein Wettergeschehen voller Ungestüm entfachte.
Spitze blaue Felsnadeln durchstachen das Poleis so zahlreich, dass sie zur Navigation auf Sicht kaum taugten. Glorion verlangsamte die Fahrt und steuerte den Schiffsleib weit genug hinunter, um Einzelheiten der Küstenlinie zu erkennen. Im grünen Eismeer tauchte abgekalbtes, rotes Gletschermaterial kühn auf und ab, die immer-steife Brise hielt westlich einen schmalen Saum blauen Gesteins von Schollen und Schnee frei. Er zog die TROPFEN-29 herum und fuhr hart an einem Geländeabriss auf den Strand zu.
Der Propeller drehte aus, abgeworfene Anker fesselten das Luftfahrzeug an den Boden. Glorion entriegelte den Kanzeldurchlass und schlüpfte im halboffenen Beatmungssystem, das er nachlässig aufgestülpt hatte, nach draußen ins Freie.
Nach wenigen Atemzügen von der unbekömmlichen Gasmischung flog ihn Schwindel an, den er, indem er den Beatmungsponcho genau justierte, aber schnell vertreiben konnte.
Zwischen den Schneewehen stapfte ein Fellwesen einher, in der Rechten eine brennende Fackel, in der linken Armbeuge einen kupferroten Torpedo, an dem es schwer schleppte. Glorion trat unentschlossen von einem Fuß auf den anderen.
Die chemische Fackel verspritzte die letzten Funken Signallicht; das Fellwesen schlug die Pelzkapuze zurück, und die Augen in dem Gesicht fragten Glorion, ob irgendwer im Zeltlager ihn davon abgehalten hatte, sie hier draußen anzufliegen.
Zur Antwort wies er stumm auf die eingeschnürte Feldausrüstung, die alles enthielt, was vierzehn Tage Leben und Forschen in eisiger Kälte erforderten.
*
Zichone hatte sich nach dem Eklat vorige Woche von den anderen losgesagt und ins nördliche Polargebiet abgesetzt. Glorion selbst hatte sie mit dem Luftschiff weggebracht, nur sich selbst verpflichtet und der STELL.A.R., jenem Globalkonzern, der diesen erst vierten Flug zwischen den Sternen finanzierte und durch Konstruktion und Bereitstellung der FRATER überhaupt ermöglicht hatte. In der Personalkartei der STELL.A.R. fanden sich die Namen von Glorion und Zichone nur wenige hundert virtuelle Seiten voneinander entfernt.
Die Betriebszugehörigkeit zur STELL.A.R. einte sie, knüpfte Bande während des elfmonatigen Hinflugs zwischen ihnen, die jenseits der Kollegialität lagen, setzte sie als von der Industrie eingeschleustes Paar aber von den sechzehn anderen, freien Wissenschaftlern an Bord des Raumschiffs deutlich ab.
Das raue Arbeitsklima schleifte Zichones Haut über die Zeit dünn und dünner, bis schließlich jede Bemerkung von ihr als Spott oder Hohn ausgelegt wurde. Erst in der Luft GLAZIALs schien sie wieder aufzuatmen: Die Begegnung mit der ersten außerirdischen Intelligenz, einem nomadisierenden Humanoidenstamm, machte schließlich auf alle einen tiefen Eindruck. Dann jedoch verästelten sich die Wege der Wissenschaftler wieder tief in die Fachgebiete hinein, sodass sich Zichone erneut an den Rand der Gruppe gedrängt fühlte, zumal das Faktum der nativen Bevölkerung vor allem Human- und Kulturwissenschaftler auf den Plan rief, nicht aber die Geologin, die sie war. Ihre Beschäftigung mit Sedimenten und Formationen, einen Steinwurf vom exotischsten allen Dorflebens entfernt, wirkte – das spürte sie selbst, wenn sie den Gesteinshammer gebrauchte – unpassend, ja anmaßend. Denn wozu sollte ihre Arbeit dienen, wenn nicht dazu, der Ausbeutung würdige Lagerstätten von Bodenschätzen für die STELL.A.R. aufzuspüren …?
Glorion erkannte sehr bald das Dilemma, in dem sich Zichone befand, empfand den Zwiespalt aber seiner eigenen Profession wegen nicht wirklich tief. Richtig – die sechzehn freien Wissenschaftler sahen sich als Abgesandte einer exterritorialen, übernationalen, freizügigen Gelehrtenrepublik, von der Wissenschaft beherrscht, keiner Industrie und keinem Monopol ausgeliefert, in zweiter Linie erst als Vertreter der Menschheit und ihrer verschiedenen Völker. Zichone wollte um jeden Preis dazugehören, sich gleichfalls in diesem fiktiven Land der Gebildeten und Begnadeten umtun, andererseits den Vertrag mit der STELL.A.R., die ihr noch jeden Stein beim beschwerlichen Aufstieg zur wissenschaftlichen Höchstleistung aus dem Weg geräumt hatte, auf keinen Fall aufkündigen. Die Betriebsloyalität aber klebte an ihr wie Pech, seit die FRATER den Erdorbit verlassen hatte, und hemmte jede ihrer Bewegungen.
Glorion wusste hingegen um seinen Sonderstatus. Sein Vertrag mit der STELL.A.R. bedeutete das gleiche Pariatum, dies Dasein, das ihn aus der herbeifantasierten Kaste der freien Wissenschaftler kategorisch ausschloss. Doch hatte er je zu den Wissenschaftlern gehören wollen, er, der er in seiner Person Techniker und Piloten aufs Beste legierte?
Nein!
Während eines Steuermanövers zur Kurskorrektur war der Physiker zu ihm in die Pilotenkanzel getreten. Still hatte der ihm zugesehen, jeden Handgriff registriert und sich, als die FRATER wieder auf richtigem Kurs flog, beifällig über die Geschicklichkeit geäußert. Aber er stellte auch, wie wenn das Lob nur das Zuckerbrot vor dem Peitschenhieb gewesen war, die Frage danach, inwieweit Glorion mit dem Prinzip des überlichtschnellen Flugs vertraut sei.
Die naturwissenschaftliche Erklärung regte die Gemüter seit Langem nicht mehr auf. Das physikalische Dogma, dass keine träge Masse, zum Beispiel ein Raumschiff, auf Lichtgeschwindigkeit, jene dreihunderttausend Kilometer in der Sekunde, geschweige darüber hinaus beschleunigt werden konnte, galt nur für den leeren Raum zwischen den Sternen, das Vakuum. In durchsichtiger Materie pflanzte sich dagegen Licht mit spezifischen, davon abweichenden Geschwindigkeiten fort!
Diesen Umstand nutzte der paraätherische Antrieb der FRATER aus. Ein von der modifizierten Bugkathode wegspritzender, fast lichtschneller Teilchenstrom spornte längs seiner elektrischen Flanken das leere Universum an, in einem Urschöpfungsprozess seinerseits Teilchen in Potenz zu erzeugen, virtuell vorzuhalten. Glitt das Raumschiff unmittelbar darauf in das bewusste Gebiet hinein, kippten die Teilchen aus der Potentialität in die Realität um und bildeten den Paraäther, in dem eine träge Masse höhere Geschwindigkeiten als dreihundert-tausend Sekundenkilometer erreichen konnte.
Der Physiker lächelte allzu nachsichtig, als er diese populäre Erklärung eines weitaus komplexeren Sachverhalts aus Glorions Mund vernahm. Um dem Piloten den Unterschied von Wissenschaft und bloßer Technikbeherrschung ein für alle Mal zu verdeutlichen, bedeckte er ein Notizblatt rasend schnell über und über mit einer kondensierten mathematischen Formelsprache.
Glorion, den diese Unverfrorenheit übel ankam, sandte dem Physiker einen vernichtenden Blick zu, öffnete währenddem aber heimlich den großen Schieber neben der Schubkontrolle. Augenblicklich lag die Kanzel im Feuerschein des orangegelben Antriebsgelees. Zum Entsetzen des Physikers tauchte Glorion die bloße Rechte in die befremdlich animierte Masse und hob einen Batzen heraus. Dann quetschte er das pulsierende Antriebsgelee durch seine Finger und ließ es in den Schacht zurücktropfen. Darauf erzitterte die FRATER unter einer gewaltigen, rollenden Beschleunigung. Geduckt schlich der Physiker in sein Abteil zurück.
Anders als Zichone war Glorion vor der Standesschranke, die die dünkelhaften, so genannten Freien heruntergelassen hatten, nicht niedergesunken, mal hadernd, mal um Einlass bettelnd. Vielmehr hatten ihm die Spezialkenntnisse der Antriebtechnologie und sein fliegerisches Geschick einen informellen, gleichwohl hohen Rang eingebracht.
Wollte Glorion der lautstarken, angestrengten Hypothesenbildung im Zeltlager neben dem Dorf entgehen, langte es aus, dass er sich abseits hielt oder in die verschachtelten Maschinenräume der FRATER einstieg.
Zichone genügte es dagegen nicht, zwanzig Breitengrade zwischen sich und die übrige Besatzung zu legen, also das räumliche Band zu zerschneiden, sondern sie wählte aus Trotz zusätzlich ein Forschungssegment, das mit der Eingeborenschaft in keinem erkennbaren Zusammenhang stand: Formation und Genese des polaren Eises. Ihr Tornister enthielt bereits Geländekarten, deren Isokrymen kalte Gewässer von gleicher Eisbildung miteinander verbanden.
Im Zeltlager nämlich ging es nurmehr um den rätselhaften Mythos von der »Weltverschiebung«. Die Nativbevölkerung hatte in vielfältiger Weise, mündlich, in Gesängen, auf Tafeln, ja, durch Zeigen seltsam abrasierten Gesteins, von dem plötzlichen Verlust großer Ackerflächen berichtet, die aber an anderer Stelle dem Dorf wieder zurückgegeben worden seien.
Der Theologe erblickte in dem Mythos der Weltverschiebung eine apokalyptische Vision ohne Entsprechung in der empirischen Wirklichkeit GLAZIALs. Der Anthropologe setzte auf die unspektakuläre, evolutionäre These vom schlichten Nomadentum; der »Verlust des Landes« sei bloßer Ausdruck der Bodenverarmung, die nach gewisser Zeit zum Weiterziehen zwinge. Der Exohistoriker schließlich dachte an Vertreibungen, räuberische Landnahmen und Kriegshandlungen; die kahlen Gesteinsfelsen deutete er als Beweise einer unbekannten, technisch überlegenen Konkurrenzkultur aus dem Weltall, die die primitive einheimische Kultur aperiodisch abstrafte und Felder wie Dörfer mit Strahlwaffen zerstörte.
*
Aus Tauen, Planen und Stangen hatten Zichone und Glorion bis Mittag einen Windschutz für das Feldlaboratorium errichtet. Als der Pilot aber die Thermokristalle – als Natur, die Innenräume liebte, sehnte er sich nach behaglicher Wärme – aus der Kiste nehmen wollte, drückte Zichone den Deckel mit sanften Druck wieder zu. Den Eiskern, den die Torpedosonde barg, untersuchte man am besten unter Umweltbedingungen, also bei rund zweihundertfünfzig Kelvin.
Der Torpedomantel sprang auf, das Eis zeigte seine unirdische Rotfärbung, darin blauen Schmutz, zerriebener Fels. Auf eins-zwei-drei, ein Zählkommando, hievten sie die dicke Stange in die Wanne.
Fast im selben Augenblick blitzte Zichone Glorion strafend an. Ihre Wut musste groß sein, denn sie verfiel aufs förmliche »Sie«, das sie eigentlich seit Langem nicht mehr trennte, als sie ihren ad hoc rekrutierten Laborassistenten beschuldigte. Über die Eisprobe liefen dunkle Striemen, die sehr wohl von ölverschmierten Fingern stammen mochten. Der Bohrkern war ruiniert.
Glorion wies jeden Verdacht weit von sich, geradezu lächerlich die Vorstellung, die hochmodernen Maschinenlager und -gelenke der TROPFEN-29 noch eigenhändig einzufetten!
Er gewärtigte den beleidigten Abbruch der Arbeiten, als Zichone plötzlich nach einem der eben noch geschmähten Thermokristalle verlangte. Es kam jedoch anders. Zichone führte ein Tauexperiment durch, brachte ein wenig Schmiere auf einen Objektträger und setzte Indikatorlösung zu. Das Durchlichtmikroskop zeigte bei fünfzigfacher Vergrößerung blickfeldfüllende Areale braun verfärbter Huminstoffe: Mutterboden!
Nun klärte sich schlagartig, was der Eingeborenenmythos in Wirklichkeit beschrieb: die Aufwirbelung wertvoller Böden während gewaltiger Unwetter, die Verdriftung erdgesättigter Wolken über viele Kilometer und die Absetzung zwar innerlich umgelagerter, doch weiterhin fruchtbarer Ackersubstanz. Spuren dieser Erde gelangten bis ins arktische Gebiet, wo das Eis sie als Schmierstreifen verbuchte.
Für die Bewohnerschaft, deren Wohl und Wehe vom Acker abhing, bedeuteten diese geometeorologischen Vorgänge in der Tat eine Weltverschiebung.
*
Das Oval der TROPFEN-29 erhob sich vor der Zeit. Hinter Glorion, der die Wolken misstrauisch beäugte, arbeitete Zichone fieberhaft, warf Skizze um Skizze auf den Block. Ein ganzes Forschungsprogramm entstand hier. Das Bild einer Kultur, die auf Bodenverwehung und wohl auch Solifluktion basierte, nahm Konturen an. Das Schnattern des Propellers nahm das wissenschaftliche Gespräch, nach dem Zichone hungerte, vorweg.
Sie erreichten die Zonen gemäßigter Klimate. Zichone öffnete den dicken Pelz, fand aber keine Zeit, ihn ganz abzulegen. Der hohe Turm der FRATER kam in Sicht, Minuten später die hingetupften Zelte am Dorfrand. Als Glorion endlich zur Landung ansetzte, hatte Zichone ein komplettes Referat ausgearbeitet. Sie blickte aus großer Höhe in die Gesichter der anderen, die über die verfrühte Rückkunft rätselten und die Augen gegen die blaue Sonne zusammenkniffen, und … und sie winkte aufgeregt mit dem Manuskript!
Vorm Aussteigen zwängte sie sich endlich aus dem verschwitzten Mantel – und warf das dicke Fell achtlos auf die Rückbank.
***
Langmütig blickte das 51. Jahrhundert auf das Wiedererstarken von Prunksucht und Pomp, von grotesker Verfeinerung in allen politischen, gesellschaftlichen und biologischen Zusammenhängen.
*
Eine Lustseuche hatte die meisten Menschen aufs Lager gezwungen, und die Arbeit, die trotz allem erledigt werden musste, lastete auf den Schultern einiger weniger Leute. Gleb, der hohe Beamte, war nahe daran, deshalb seine zufällige Immunität zu verfluchen.
Gleb wankte müde durch die hohen Stuck-Korridore, seinem Bureau für galaktische Angelegenheiten im Außenministerium entgegen. Das Bohnerwachs des Tanzparketts, wo er die Nacht herumgebracht hatte, dünstete noch ranzig von seinen roten Schnallenschuhen herauf. Mit einem Schulterzucken lenkte er den Antigravitationsantrieb seiner Wolkenturm-Perücke in Richtung auf den dafür vorgesehenen Wandhaken, und das rosa gepuderte Kunsthaar hob sich hinweg.
Zwei Tage Saturnalien hatten aus dem unbeaufsichtigten Schreibtisch ein Monstrum gemacht. Der automatische Brokat war von den Tischkanten schuppig über die ganze Platte gewachsen und trieb bereits Blüten aus Beinen und Fußbodenmarmor. Gleb verbarg, wie es nach dem Geschmack dieser Zeit kam, seinen Unmut hinter einem Tändeln, das seine schlanke Gestalt zu einem Granit-Podest trug, wo ein Flammenwerferrohr aus feinstem, blauem Porzellan stand.
Als er den Brokat wegsengte, tat er auch dies mit halbem Mut, als würde der rauschende Ball der letzten Nacht in seinem Gehirn weiterrollen.
Beziehungslos stand er vom Sessel auf und schritt ans Fenster. Zwischen den Erkern und Türmen der goldenen Stadt Progressa-Prag hing gelb der schlechte Odem, den die enorme Einflusssphäre der Mutter Erde ausgeatmet hatte, als der Luftballon der Macht in einem halben Jahrtausend auf knappe hundert Parsek geschrumpft war. »O Tod, wo ist dein Stachel?«, seufzte Gleb süßlich-gallig.
Chronischer Zahnschmerz drängte herauf, Piekserei, die Gleb sofort aristokratische Steifheit verlieh; seine breiten Epauletten wippten einmal steil. Er zückte eine reich verzierte Pulverdose und behandelte den Mundraum mit Nelken, bis das aufdringliche Pochen einem erträglichen, dumpfen Ziehen Platz machte.
Unwillig spähte er in den gewaltigen Daten-Köcher, den ein vergoldetes Wildschweinmaul kaschierte, gewahrte ein Blatt Arbeit darin. Und japste. Wiewohl er nicht viel aß, aß er doch falsch und neigte, obgleich er wie ein Hühnchen aussah, zu Ödemen. Er musste sich setzen. Und döste.
Ah, die Arbeit! Das elektronische Papier knackte feindselig unter seiner Berührung. Eine Kette von künstlichen Efeublättern spross widerborstig aus den duravitalen Schmuck-Ecken des Blattes. Gleb überflog die Zeilen, die ihrerseits über das elektronische Papier flogen. Sie vermeldeten hieroglyphisch das Stranden eines primitiven Raumschiffs im Nordsektor des Planeten. Ha, eine Petitesse, gerüchteweise übertragen, eine Kleinigkeit, auf die er nicht viel gab.
Ohne Witz hielt er den Taschenspiegel von sich und betrachtete aus der Halbschrägen die Stadt unterm Fenster; die optischen Eigenschaften verzerrten den Anblick; die vorspringenden Giebel waren nun Münder mit schwarzen, faulen Zähnen, die Zwiebeltürme Geschwulste.
Sein von den Nacht-Sensationen überreizter Gesichtssinn blieb eine zerdehnte Sekunde stumpf gegen eine Frau, die in Höhe seines Fensters vorbeischwebte! Sie war nackt und voll; ihre Schultern rundeten sich fleischig, die Brust schwoll obszön; in ihren Schenkeln war Gewalt aufgespart, ihre Backen waren Hebegewichte an Brücken.
Gleb schnaubte verächtlich über diese schale Attraktion. Erst als der Beamte die Bronze ihrer Haut voll gewahrte, schnappte er erstaunt nach Luft. Eine schlichte Bauchkette war der einzige Schmuck, den das fliegende Weibsbild sich zugestand. Eine Bäuerin, eine Feldarbeiterin, hier, wo seit Jahrtausenden kein Acker mehr umgepflügt worden war? Gleb lachte.
Im nächsten Moment spürte er eine ungewohnte Spannung in sich einziehen, eine Schnellkraft; Federbeine wuchsen dort, wo bis eben müde, mürbe Knochen gesessen hatten. Er öffnete das Fenster und stellte sich auf den breiten Sims, um die Üppige zu packen. Sekunden später fiel er, vom Anblick der Schönen trunken, dem Straßenpflaster entgegen …
*
»Meine Arme haben ihn aufgefangen, er ist nicht schwerer als ein Zuber nasser Wäsche. Ich habe ihm ein süßes Brötchen in den Mund geschoben, zur Stärkung.
Ob er weiß, dass wir aus dem Raumschiff kommen, das nördlich niedergegangen ist? Wir: alle meine runden Schwestern, alle meine starken Brüder!
Denn wir kehren auf die Mutterwelt zurück. Wir kreuzen in die schwache, blutarme Bahn der Erdenmenschen hinein; das ist unsere liebevolle Art der Vergeltung.
Vergeltung, Rache wofür? Dafür, dass die Kronkolonie Hieronymus Bosch als am weitesten in den Raum vorgeschobene Siedlung vor vierhundertfünfundachtzig langen Jahren als Erste wieder an das Vakuum, in die Isolation zurückfiel. Dafür, dass die Versorgung abriss und wir wie Tiere leben mussten. Und Barbaren geworden sind. Stark und schön und grausam und voller Liebe.
*
Glebs Auge hängt an meinen Rundungen, doch seine lahme Hand zuckt vor meiner Bauchkette zurück, als ob sie einen Limes bezeichnet, als ob er ahnt, dass ich ihn und seinesgleichen daran legen werde! An die Kette, ja.
***
Noch jeder hat Rotrox verbrannt, denn auf Einen-Zehent ist das der beste Zeitvertreib.
Noch jeder hat die Grannen in die Flammen gehalten, die winzigen Glutpünktchen heraufschnüren sehen und dies feine Glosen fixiert. Noch jeder hat die fast erstickte, fast verloschene Glut vorsichtig angehaucht, wenn der Fruchtkörper an die Reihe kam, und noch jeder zuckte zurück, wenn aus dem Nichts eine große Lohe über den ganzen Zapfen sprang und den Rotrox schnell vertilgte.
Noch jeder hat den Kopf gehoben, wenn aus der gelben, gewöhnlichen Flamme unbekannter Rauch stieg, erst fadendünn herausgierte, dann jedoch kräftig und anhaltend blakend dichte Vorhänge bildete.
Vorhänge aus tiefem Rot, aus tiefem Blau, aus gelbem Honig; noch jeder hat den Rotrox am langen Arm respektvoll von sich gehalten, weil Wasserdampf, der aus dem Zapfen hervorkochte, den Rauch untermischte und undurchsichtigen Qualm erzeugte.
Noch jeder hat da mitgemacht, mitgemischt und sich den kleinen Spaß nicht entgehen las-sen. Und ich tat natürlich auch mit.
*
Die Grüppchen zogen schon lange einzeln ab. Ich hatte mich am Rand von Startfeld 80 aufgestellt, um eine lustige Gesellschaft abzupassen. Manche erschienen mir zu verbissen, als dass ich einen Abend am Strand mit ihnen hätte verleben wollen, andere zu ungewandt, denn sie stiefelten rücksichtslos durch die angrenzenden Felder und Schonungen, um an die Bodden zu kommen.
Mittlerweile rückte die Stunde bedenklich vor; abwesend trippelte mein Finger auf dem Dosimeter; und ich schlug den Kragen meines zu dünnen Jacketts gegen die auffrischende Brise hoch, presste auch das umgeklappte Revers gegen meine Brust. Vielleicht machte ich keine gute Figur, aber …
Ein 3. Offizier aus der Escorta 11 stakste mir entgegen, zwei Stewardessen derselben Linie (dem Aussehen nach jedoch von der billigeren Escorta 5) hatten sich bei ihm untergehakt, und der Mann wirkte beschwert durch die Frauen links und rechts, und zugleich beschwingt, denn er strahlte über das Gesicht, wie es nur mutwilliges Ablegen des Atemhilfeponchos mit sich bringt.
Die sollten mir gelegen kommen, dachte ich, entfernte nun meinerseits den Atemhilfeponcho und trat aus dem Schatten eines ausgeschossenen Sauerbuschs auf den Sandpfad.
Die Frauen kreischten natürlich, und ich erkannte unter ihrer Schminke sehr junge Gesichter. Der Offizier grunzte wild, als er mich erblickte, indessen hob auch er den Arm zu einer einladenden Geste. Und ich wusste, wie ich den Abend herumbringen würde.
*
Während der kurzen Wanderung zum Lagerplatz am Strand fand ich Zeit, die neuen Freunde aus den Augenwinkeln zu betrachten. Sie eilten nämlich ungleich schneller als ich dahin, durchaus sportlich wie es die Berufsetikette verlangte.
Der helle Schein des riesigen blauen Trabanten schälte die drei vollkommen aus der Nacht heraus. Der Offizier machte wirklich Eindruck auf mich. Unregelmäßig, wohl auf ein Scherzwort der jungen Dinger hin, setzte er eine einstudierte Miene auf und bleckte seine ungeheuren Perfekt-Zähne; mindestens ein Faktor-1.7-Gebiss, schätzte ich, doch als er den Mund noch einmal aufriss, korrigierte ich auf 1.8.
Zweifellos war das Gebiss künstlich angelegt. Die Gentherapie bescherte den dritten Frühling neuer, bis um Faktor 2 vergrößerter Zähne. Die Mundverbreiterung besorgte die Plastische Chirurgie. Sein kantiges Kinn durfte natürlichen Ursprungs sein: den allgemeinen Riesenwuchs dieses Kerls, von der Sohle bis zum Scheitel zwei dreißig, hatte diese kantige Partie mitgemacht.
Die körperlichen Voraussetzungen fügten sich nahtlos in die Eleganz seiner Kleidung. Die Ausgehuniform der Escorta-Linie schrieb dem Manne einen erschlafften, jetzt bei jedem Schritt wippenden Zwiebelturm aus Leopardenfell-Imitat als Hut vor, daran die kurze Quaste des gespleißten Fortsatzes eines Ghöwen von Epidanus-12, die den Wechsel von ablandigem zu auflandigem Wind in unmittelbarer Küstennähe anzeigte …
Männliche Härte überfiel dies Gesicht, wenn die implantierten Obsidian-Koteletten trotz ihrer mineralischen Abkunft unter Muskelspannung gerieten und knisterten; im Spiel der schwarz-schwärzeren Schatten erkannte ich sogar einen eingemeißelten Fries, der galante Szenerien dem genauen Beobachter darbot.
Einzig der obszön hoch aufgeführte Stehkragen aus poliertem, dünn geschliffenem Erlenwurzelholz (der zugleich Ösen zur Befestigung des Atemhilfeponchos aufwies) passte nicht zu diesem ausgewogenen Ensemble.
Der Offizier drückte aufs Tempo, was ihm angesichts seiner Beinlänge nicht schwerfiel. Sein gewaltiger Brustkorb pumpte die psychogene Atmosphäre von Einen-Zehent in großen Massen in seine Lungen. Es war die Brust eines Stiers, ihre genaue Tiefe konnte ich jedoch nur erahnen, weil eine Reihe übereinander aufgenähter, gestaffelter Tressen das Auge verwirrte.
Seine Schultern trugen eine neuartige Last, nachdem die Vollautomatik seines Schiffes die der Verantwortung von ihm genommen hatte, die fassliche Last von vier Pfund schweren Epauletten. Von den Schulterstücken hingen grün schillernde Litzen herunter, die mit dem Grundton der Jacke, dem anzüglichen Rot eines Spinells, harmonierten.
*
Ich sagte, nun schon ein paar Meter abgeschlagen: »Vergeuden Sie nicht Ihre Kräfte! Man unterschätzt die Schwierigkeit von tausend Metern Weg einen Pfad zwischen stark duftenden Pflanzen entlang …«
Scharltz schnaubte. »Zivilist!«, höhnte er.
Die Frauen trippelten noch mühelos, obwohl sie kaum eins fünfzig lang waren, an seiner starken Seite einher. Auch der Rest kam ganz nach der Mode.
Wie der Galan trugen sie grüne Pluderhosen und silberne Pailletten-Stiefel. Ihre Jacke war eng geschnitten und bestand aus orangem, changierendem Samt. Keck schief aufgesetzt hatten sie den warmen Hut aus cyanblauem, autonomem Pansen – jedes Stück ein Unikat, das in einen wellenförmigen Saum auslief.
Ich spürte Satisfaktion, als dem Trio wirklich nach der halben Strecke die Puste ausging. Gönnerhaft sagte Scharltz: »Wir wollen, dass Sie den Anschluss nicht verlieren!«, und ich sah ein Tryptychon beinahe perfekten Grinsens – denn es versetzte mir einen Stich, dass Djschill ganz gewöhnliche 1.0-Zähne hatte, wohingegen Usch sich standesgemäße 1.3 hatte leisten können.
Die restliche Wegstrecke über warf ich ein Auge auf Djschill, deren für ihre Verhältnisse ungewöhnliches Verhalten in Schönheitsangelegenheiten mich seltsam anmutete.
*
Die Wellen aus doppelt schwerem, doppelt saurem Wasser rollten träge heran, ohne ein einziges Mal am Strand überzukippen. Ihr Tosen röhrte aus der linden Tiefe des Sandkliffs herauf bis zu unserem Feuer, das ich fachmännisch aufgeschichtet hatte.
»Sie sind nicht das erste Mal hier, mein Freund«, stellte Scharltz fest. Neben ihm häufte sich eine übertrieben dicke Garbe Rotrox, an die sechzig Stück, wofür man eher zwei Nächte benötigte.
Djschill meldete sich albern: »Aber ich!«, plärrte sie und hob allen ihr Handgelenk entgegen, wo jeder den dünnen ersten Teilstrich ihres Dosimeters sehen konnte.
Schon beargwöhnte ich meine drei Kumpane wegen der Überzogenheit ihrer Aktionen. Besorgt sah ich mich nach dem Riegel Rosenquarz um, der ringförmig um den Raumhafen aufgeschüttet lag, um auf feinstofflichem Wege für Ordnung und Ruhe zu sorgen. Außerhalb des Mineralien-Kreises aber ließ die besänftigende Wirkung rasch nach. – Alarmiert rollte ich die Kapsel unter meiner Zunge hin und her.
Wir hielten die ersten Rotrox in die Flammen, sahen den Funken die Grannen entlangpfeilen, das Gold der Flamme die körnige Struktur des Zapfens förmlich überrennen; die Entzündung bannte unser Auge, sie war das Vorspiel des unerhörten Blakens, des Qualmens aus einer staunenswerten Tiefe, die tiefer schien als der Halbmesser des Rotrox’. Woher diese Mengen Wasser nehmen?, fragten wir uns im Stillen, woher diesen Dampf nehmen, um den Rauch der erstickten Flamme damit zu untermischen?
Die Frauen und Scharltz begannen von selbst, die unterschiedlichen Farben des Qualms zu psychologisieren, je nachdem, wer seine Hand in diesem kurzweiligen Spiel am Feuer hatte. Die Frauen hatten nicht wenig Glück; ihre starken Zapfen brachten von unsicherem Graugelb, das gegen Ende in ein hoffnungsfrohes Hellgrün überging, bis zu einem steten Ultramarin, das breit aus dem Zapfen äderte, eine beachtliche Skala hervor. Scharltz dagegen setzte vor allem Pflanzen in Brand, die rote, braune oder andere erdige Wolken ausstießen. Weil mein Bündel vorwiegend rein weiß und schwach rosa verbrannte, galt ich natürlich bald als Fadling. Und Scharltz konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen, ich sei blass wie ein Fisch. (Wahrscheinlich spielte er grob auf mein unoperiertes Gesicht an, dem etwas Wels-Ähnliches anhaftete.)
Meine Reaktion erfolgte so prompt wie heimlich. Ich zerbiss die Kapsel und lockte über ein Pheromon-Band zwei Mesmeritzen an. Wie von ungefähr traten die Mutanten in den Lichtkreis und setzten sich ans Feuer. Nur selten verließ ich mich auf die Hilfe der einzigen legalen Chimären, die aus dem alten 25. Jahrhundert auf uns in dieser neuen Zeit gekommen waren. Aber ihre magnetische Emanation besänftigte tatsächlich schnell die Gemüter, und das Spiel verlor an Schärfe und gewann, was man einen guten Tausch nennen kann, an Albernheit.
*
Scharltz hatte gesagt, einer von neunundneunzig Rotrox verbrenne nicht glosend und rauchend, sondern explodiere. Nun, davon hatte jeder auf Einen-Zehent schon gehört – aber ob die Chancen wirklich so standen, wusste niemand zu bestätigen. Auf jeden Fall scheuchte Scharltz’ Bemerkung einiges Gelächter auf, und die Frauen konnten nicht umhin, laut mitzuzählen, wenn einer einen Rotrox in die Flamme hielt.
»Heute ist mein letzter Tag«, sagte jemand: laut und vernehmlich. Die Stimme traf uns alle wie ein Stockhieb in den Nacken. Und augenblicklich steckten die Mesmeritzen die Köpfe zusammen, sodass sich ihre bläulichen Gesichter fast berührten, um die Ruhe-Emanationen zu verstärken.
Der Fremde war ohne ein Geräusch zu uns gelangt, rückwärts einherschreitend, wie es seine genetische Kodierung programmiert hatte. Wie ich war er nicht operiert, und das erregte meinen Verdacht, denn er gehörte den Ornithopoden an, die wie alle nurmehr geduldeten Mutanten-Reihen gerne ihre Abkunft chirurgisch verschleierten. »Darf ich mich setzen«, fragte er, saß aber bereits.
Seine Stirngravur blitzte provokant. »UXO 14000«, das bedeutete zwar nur seine Chargennummer, aber ich beschloss, den Neuen so zu nennen; wahrscheinlich schob er Dienst auf einem Tonnenleger.
Wir erduldeten eine lange Minute eisigen Schweigens. Missgünstig beäugte Scharltz die Spuren, die der verbotene Mutant kratzfüßig im Sand gezogen hatte. »Schöne Gesellschaft, die wir uns heute Abend angelacht haben, meine Lieben«, sagte er halb den Frauen zugewandt, »ein Fisch und ein Vogel«, höhnte er offen. Deutlich spürte ich, wie die Mesmeritzen neue Anstrengungen unternahmen, um die Lage zu entspannen.
Die Ornithopoden litten wie sechs, sieben weitere Mutanten-Reihen unter dem strengsten möglichen Verbot der galaktischen Zentralregierung, nämlich sich nicht fortpflanzen zu dürfen. Die fast schon gesetzmäßige Verdrehung von Tatsachen hatte jedoch, wie beim Menschen üblich, dazu geführt, dass Ornithopoden als besonders lüstern galten. Und Scharltz legte seine Schwingen vereinnahmend um die Damen.
Doch der Hass verebbte. Usch zog das Interzon zwischen ihre nackten Füße (ihre Stiefel benutzte der hingefläzte Scharltz als Kopfkissen) und drehte den Hammerschlag eines Pulsars herein, die verwehten Fetzen eines sechshundert Jahre alten Rundfunkprogramms aus der Kleinen Magellanschen Wolke sowie das Sphärengeknirsche kollidierender Systeme im Kugelsternhaufen M13. Das Interzon produzierte daraus eine seichte Polyphonie. Sie wippte mit den Zehen, von denen sie nur noch drei besaß, um besser in die Schuhe zu passen (»Das Aschenputtel-Syndrom«).
Die Mesmeritzen hatte rein instinktiv auf die Aggressionen reagiert, und wirkten nun erschöpft. Ihrer äußeren Erscheinung nach waren sie etwas dröge Gesprächspartner, die lieber Untereinander verkehrten. Aber ihrer Hilfe bedurfte es auch kaum noch. Die drei von den Escorta-Schiffen sanken zu einer delikat verschlungenen Gruppe Wasserspeier zusammen; mit ein wenig Menschenkenntnis aber gewahrte ich, dass Scharltz selbst in dieser Verschlingung schläfriger Leiber ein bisschen mehr Usch zugetan war.
*
»Dies ist der passende Augenblick, das Programm zu wechseln«, sagte der Ornithopode und ergriff das Interzon.
Offen ergötzte er sich an meinem erstaunten Gesichtsausdruck, als die Hypersette, die er eingelegt hatte, Musik von Fürst spielte.
»Sie hören komponierte Musik, Sie, UXO, ein Ornithopode?«, sagte ich.
»Warum nicht!«, entgegnete er sicher. »Bis auf wenige Ausnahmen haben wir die gleichen Rechte – und ähnlichen Geschmack.«
Ich setzte mich gerade auf. »Ich muss schon sagen, Ihr Geschmack ist entwickelter als der von denen da«, und nickte in Richtung auf die Escorta-Leute.
Wir hörten eine Weile der Musik zu, und ich sagte leise, sodass es die anderen nicht hören konnten: »Unter den Menschen heute herrscht eine erschreckende Gleichgültigkeit; was nach der Mode kommt, ist ihr Fetisch. Die lebenslangen Geschmäcker sind ausgestorben, das Diktat des Tages herrscht. Ein jeder schlägt sich auf die Seite des gerade Vorherrschenden. Sollen wir einmal ausprobieren, was ich meine?« Und ich sagte laut: »He, wie gefällt euch Fürst?«
Und Usch murmelte verschlafen. »Auch ganz toll.«
»Jetzt verstehe ich«, sagte UXO 14000, und ich bemerkte erregt, wie sein Schädelkamm böse schwoll, als ob die Mesmeritzen keinen Einfluss auf ihn hätten.