Der genetische Code als Invariante der menschlichen Moral - Johannes Weber - E-Book

Der genetische Code als Invariante der menschlichen Moral E-Book

Johannes Weber

4,8

Beschreibung

Religionen und Philosophien versuchen seit alters her, Normen für das (zwischen)menschliche Verhalten aufzustellen. Hierbei haben Erstere das Problem, die Begründung für diese Normen in die Zukunft zu verlegen, nämlich im Allgemeinen auf die Zeit nach dem Tod mit Aussicht auf ein mehr oder weniger angenehmes zweites (ewiges) Leben. Zweifler verlangen nach Beweisen, die naturgemäß nicht erbracht werden können. Zweitere versuchen meist, auf Axiomen ein Regelwerk aufzubauen, haben aber das Problem, dass ein Kritiker mit demselben Recht seine Ansichten auf anderen Axiomen gründet, was in lange Streitigkeiten über die richtige Philosophie münden kann. Wie nun lässt sich ein solches Regelwerk zweifelsfrei begründen? Indem man – wie Autor Johannes Weber – zunächst eine wissenschaftlich nachweisbare, in diesem Fall auf den Genen beruhende Basis schafft und daraus wenige, aber umso präzisere Regeln für das Miteinander entwickelt. Darauf wiederum könnte man Gesetze beschließen, wofür der Autor einige interessante Vorschläge darstellt – ein faszinierender Versuch einer zweifelsfreien und logischen Philosophie!

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Mit Dank für A.

Inhalt

1 Ziel und Aufbau

2 Vorbemerkungen zur Theorie des genetischen Codes als Invariante menschlicher Moral

3 Eine kurze Analyse wichtiger ethischer Theorien

3.1 Der Utilitarismus

3.1.1 Der Utilitarismus Jeremy Benthams

3.1.2 Der Utilitarismus John Stuart Mills

3.1.3 Der Regelutilitarismus

3.2 Kants kategorischer Imperativ

3.3 John Rawls: »Eine Theorie der Gerechtigkeit«

Erster Grundsatz

Zweiter Grundsatz

4 Der genetische Code als Invariante menschlicher Moral

4.1 Das Hungergefühl und die Notwendigkeit einer ausreichenden Nahrungsversorgung

4.2 Das Durstgefühl und die Notwendigkeit einer ausreichenden Trinkwasserversorgung

4.3 Das Kälteempfinden und die Notwendigkeit von Wohnung und Bekleidung

4.4 Die Schmerzempfindlichkeit des Menschen

4.5 Folgerungen

5 Auswirkungen auf Gesellschaft und Strafrecht

5.1 Diebstahl und Lüge

5.2 Schwangerschaftsabbruch

5.3 Humangenetik

Pränatale Diagnose

Prädiktive genetische Diagnostik

Präimplantationsdiagnostik

Gentherapie

6 Abschließende Gedanken

Literaturverzeichnis

1 Ziel und Aufbau

Ziel dieses Buches ist es, eine ethische Theorie zu entwickeln, welche zwei fundamentale Probleme besser löst, als dies die bekannten Theorien zu tun vermögen. Mit diesem Beitrag hoffe ich, dem Leser eine belastbare Grundlage für eigene Entscheidungen und Bewertungen zu geben.

Jedwede ethische Theorie steht vor mindestens zwei Problemen. Das erste lautet: Wie kann die Geltung der aus ihr abgeleiteten Normen bewiesen werden? Das zweite ist die Frage, ob verhindert werden kann, dass aus ihr für ein und dieselbe Handlung einander widersprechende moralische Wertungen abgeleitet werden können. – Das Problem der Beweisbarkeit kann meines Erachtens nicht gelöst werden. In der Vergangenheit sind viele Versuche bedeutender Philosophen gescheitert, eine ethische Theorie und die daraus abgeleiteten Normen als richtig und wahr zu beweisen. Die unüberwindbare Schwierigkeit hierbei ist, dass nicht logisch von den Prinzipien einer ethischen Theorie auf deren Geltung geschlossen werden kann. Ein gutes Beispiel hierfür ist, um ein wenig vorzugreifen, Kants »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten«. Für ihn ist der Grund, warum die dort entwickelten moralischen Normen gelten sollen, der, dass wir als Mitglieder von Verstandes- und Sinnenwelt nur das tun sollen, was wir als Mitglieder der reinen Verstandeswelt ohnehin tun wollen. Solche Begründungen sind Bestandteil jeder ethischen Theorie. Aber es sind eben keine logisch zwingenden Schlüsse, sondern axiomatische. Warum, so könnte man fragen, sollte nicht das moralisch verbindlich sein, was wir als reine Mitglieder der Sinnenwelt tun wollen?

Die Geltung einer moralischen Norm lässt sich daher nicht im engeren Sinne beweisen, sondern setzt immer die Annahme mindestens eines Axioms voraus, auf dessen Grundlage dann geschlussfolgert werden kann. Dieses Axiom bildet also den Beweisgrund einer ethischen Theorie und kann nur aus Plausibilitätsgründen angenommen oder abgelehnt werden.

Dies mag unbefriedigend erscheinen, lässt sich aber ebenso wenig verhindern wie die Tatsache, dass fast alle Menschen, eingeschlossen derer, die Naturwissenschaften betreiben, die Welt auf Grundlage des Axioms betrachten, dass diese unabhängig von uns existiert. Die Annahme einer unabhängigen Welt, die jedoch durch die Sinne des Individuums erfasst werden kann, lässt sich nicht beweisen. Auch lässt sich die gegenteilige Annahme, also dass keine vom Bewusstsein eines Individuums unabhängige Außenwelt existiert, nicht eindeutig widerlegen, da kein logischer Widerspruch aus einer solchen Annahme folgt.1 Für die Akzeptanz der Annahme, dass eine vom Individuum unabhängige Welt existiert, spricht lediglich, dass sie die Phänomene unseres Alltagslebens besser und einfacher erklären kann als ihr Gegenteil. Mehr kann man von Axiomen, welche die Beweisgrundlage aller ethischen Theorien bilden, folglich auch nicht erwarten. Jenseits der Standards wie innerer Widerspruchsfreiheit usw. hängt die Frage nach der »Beweisbarkeit« einer ethischen Theorie immer von der Antwort auf die Frage nach der Plausibilität ihrer Axiome ab.

Das zweite Problem ist hingegen nicht derart prinzipieller Natur, sondern von überragender Bedeutung für die Valenz von ethischen Theorien im Einzelnen wie auch für deren Sinnhaftigkeit im Allgemeinen: Erlaubt es eine ethische Theorie, ein und dieselbe Handlung unter sonst gleichen Bedingungen moralisch positiv oder negativ zu bewerten, lässt sie sich sehr leicht durch opportunistisch handelnde Akteure instrumentalisieren. Diese können ihre dem Eigeninteresse dienenden Handlungen, welche konträr zu den eigentlichen Zielen einer solchen ethischen Theorie stehen, als Beitrag zur Erreichung dieser Ziele tarnen, um somit allgemeine Zustimmung für ihre Handlungen zu erhalten. Sollte dieses Problem nicht lösbar sein, ginge der gesamten Moralphilosophie der Großteil ihrer Bedeutung verloren.

Das erste Problem soll im Folgenden unter den Begriff der Plau-sibilität einer ethischen Theorie gefasst werden, das zweite unter den der Beliebigkeit.

Ziel dieses Buches ist es, einige der wichtigsten ethischen Theorien hinsichtlich dieser beiden Probleme zu prüfen und im Anschluss daran eine Theorie zu entwerfen, deren axiomatische Beweisgrundlage meiner Ansicht nach sehr plausibel und – viel wichtiger – deren Grad an Beliebigkeit sehr gering ist, ja gegen Null tendiert.

Im folgenden Kapitel werden einige grundlegende Ideen dieses Buches aufgezeigt. Dieser Teil stellt fragmentarisch wesentliche Gedanken dar, die zum Verständnis der späteren Argumentation hilfreich sind. Im anschließenden Kapitel werden der Grad an Beliebigkeit sowie der Grad an Plausibilität der Beweisgrundlagen bisheriger ethischer Denkansätze erörtert. Dabei wird auf die kantsche Ethik des kategorischen Imperativs, den Utilitarismus sowie auf John Rawls »Theorie der Gerechtigkeit« als Vertreter des universalistischen Kontraktualismus eingegangen. Der Begriff »Beliebigkeit« bezeichnet, wie schon gesagt, in diesem Kontext nichts anderes, als dass eine ethische Theorie es ermöglicht, ein und dieselbe Handlung zu rechtfertigen oder zu verdammen – womit eine solche Theorie ihr Ziel, nämlich das menschliche Zusammenleben in eine Richtung zu lenken, die sie mit Begriffen wie das Gute, das Richtige, das Gerechte, Glück usw. bestimmt, völlig verfehlt. Stattdessen können derart strukturierte ethische Theorien so angewendet werden, dass sie dem menschlichen Zusammenleben eine dem Anwender passende, für andere jedoch unangenehme Richtung geben oder dessen (Un-)Taten legitimieren.

Im vierten Kapitel wird der Versuch unternommen, eine ethische Theorie zu entwerfen, welche meiner Ansicht nach eine sehr plausible Beweisgrundlage besitzt und, was viel wichtiger ist, deren Grad an Beliebigkeit gegen Null tendiert. Grundlage hierfür ist das Wissen über die für das menschliche Leben notwendigen Bedingungen, welche durch die menschliche Physiologie definiert werden.

Im fünften Kapitel werden die Konsequenzen der Theorie des genetischen Codes als Invariante der menschlichen Moral für Staat und Gesellschaft untersucht. Dabei werden ethische Fragen wie Diebstahl, Lüge, Schwangerschaftsabbruch und Humangenetik behandelt. Das abschließende Kapitel dieser Arbeit beschäftigt sich mit einigen Einwänden, die gegen die Theorie des genetischen Codes als Invariante menschlicher Moral vorgebracht werden könnten.

1 Vgl. dazu ausführlich Bertrand Russells Aufsätze »Erscheinung und Wirklichkeit« sowie »Die Existenz der Materie«, in: Probleme der Philosophie, 1967, Suhrkamp Verlag, S. 9–25

2 Vorbemerkungen zur Theorie des genetischen Codes als Invariante menschlicher Moral

Wie begründet man eine Theorie oder, alternativ gefragt, was können Theorien leisten? Negativ ausgedrückt können sie keine unzweifelhaften Wahrheiten postulieren. Dies nicht etwa nur deshalb, weil sich immer die Frage nach dem Warum stellen lässt, sondern vielmehr, weil jede Theorie von Annahmen und Axiomen ausgeht, die nicht bewiesen werden können. Axiome können per Definition nicht bewiesen werden. So geht die Physik von der stillschweigenden Annahme aus, dass außerhalb der einzelnen Person eine unabhängige Welt existiert, die über die individuellen Sinneseindrücke jedoch erfahrbar ist und zwar auf eine für alle Menschen zumindest ähnliche Weise. Dies ist ein nicht beweisbares und auch nicht widerlegbares Axiom. Dennoch wird seit Menschengedenken Physik betrieben. Es ist einfach vernünftig, diese Annahme zu akzeptieren, da sie erklärt, was ihr ebenso wenig beweisbares Gegenteil nicht zu erklären vermag.

Dies bedeutet, dass lediglich nur gute Gründe angeführt werden können, die es vernünftig erscheinen lassen, bestimmte Axiome anzunehmen bzw. anderen vorzuziehen. Das Unterscheidungskriterium hierbei lautet, dass es wissenschaftlicher ist, Axiome zu verwenden, die mit dem Beobachtbaren im Einklang stehen.2

Dieses Problem der fehlenden Letztbegründung ist allen Theorien und Wissenschaften gemein. Die Entscheidung, die jeder Mensch für sich treffen muss, ist, wie er mit diesem Fakt umgeht. Betrachtet er jede Aussage als gleichermaßen »wahr«, weil letztlich ja jede auf solchen Axiomen basiert, und wählt er je nach Gemütszustand oder Ziel die gerade angenehme oder zieht er Aussagen vor, die nicht nur das Beobachtbare erklären, sondern (dies ist sehr wichtig!) auch die Möglichkeit bieten, durch das Beobachtbare widerlegt zu werden? Der erste Weg führt bestenfalls in Spiritualität und Esoterik, der zweite in die Auffassung, dass es richtige und falsche Erklärungen des Beobachtbaren gibt, also zu einem naturwissenschaftlichen Verständnis der Welt.

Diesen zweiten Weg will dieses Buch beschreiten. Im Gegensatz zu vielen anderen ethischen Theorien soll versucht werden, eine zu entwickeln, die naturwissenschaftlichen Standards zumindest nahekommt. Dazu muss sie zwei Bedingungen erfüllen. Erstens muss es vernünftig erscheinen, ihre Axiome anzunehmen, diese müssen also plausibel sein. Zum anderen muss sie die Möglichkeit bieten, durch das Beobachtbare, also die Empirie, widerlegt zu werden. Sie muss also falsifizierbar sein. Dieses Ziel soll durch die folgenden drei Axiome erreicht werden.

Das erste Axiom lautet: Nur die moralischen Normen sind gültig und für jeden bindend, die aus den Rechten erwachsen, welche alle reflexionsfähigen3 Menschen für sich in Anspruch nehmen.

Wenn im Folgenden der Terminus »alle reflexionsfähigen Menschen« gebraucht wird, so meint dieser immer mindestens 99,95 Prozent, jedoch weniger als 100 Prozent aller reflexionsfähigen Menschen. Diese Einschränkung ist bei empirischen Theorien, zu denen ethische Theorien nun einmal zählen, unvermeidlich, ohne jedoch zwingend ihre Gültigkeit einzuschränken. So konnte Mendel bei der Aufstellung der nach ihm benannten Regeln bei realer Beobachtung nicht exakt die Zahl an weitervererbten Merkmalen ermitteln, die er theoretisch postulierte – dies schmälert jedoch seinen Beitrag zur Vererbungslehre keineswegs.4 Die Fähigkeit zur Reflexion gilt bei all jenen Menschen als gegeben, die langfristige Projektionen einer möglichen Zukunft entwerfen und die Verwirklichung derselben bei Bedarf auch anstreben können. Was macht dieses Axiom nun so plausibel bzw. warum ist es sinnvoll, es zu akzeptieren?

Hierfür sprechen mehrere Gründe. Zum einen ist die Menschheit selbst eine sehr gute Quelle, um ethische Theorien auf ihre Legitimität zu prüfen. Nur Menschen sind in der Lage, über die eigenen als auch über die Handlungen anderer zu reflektieren. Daher ist die Menschheit die einzige Instanz, die über gebotene und verbotene Handlungen moralische Urteile fällen kann. Es ist einfach sinnvoll, genau hier anzusetzen. Es stellt sich schlicht die Frage, was moralisch verbindlicher sein sollte als die Rechte, die jeder Mensch für sich in Anspruch nimmt. Man kann natürlich einwenden, die Gebote Gottes oder die Folgerungen aus abstrakten oder hypothetischen Lehrsätzen sollten moralisch bindend sein. Aber was hat die zweifelhafte Existenz eines Gottes oder was haben abstrakte und hypothetische Lehrsätze mit dem Menschen zu tun? Herzlich wenig!

Zum anderen spricht für die Akzeptanz des ersten Axioms, dass sich mit seiner Hilfe, wie noch gezeigt werden wird, eine ethische Theorie aufbauen lässt, die, abgesehen von den beiden anderen Axiomen dieser Arbeit, keiner weiteren Annahmen mehr bedarf. Dies zeichnet sie vor vielen anderen ethischen Theorien aus. Betrachten wir beispielsweise aus religiösen Überzeugungen abgeleitete ethische Theorien. Sie setzen unter anderem die Annahmen/Axiome voraus, dass

es einen Gott gibt,

dieser weiß, was es für einen Menschen heißt, moralisch zu handeln,

dieser Gott ein guter Gott ist,

seine kodifizierten Verhaltensanweisungen tatsächlich von ihm stammen und nicht manipuliert wurden und

diese Verhaltensanweisungen von den Vertretern einer auf Gottesglauben basierenden ethischen Theorie korrekt ausgelegt werden.

Hierbei spielen, wie betont werden soll, Überlegungen analog Ockhams Rasiermesser5 keine Rolle. Denn da überhaupt keine Aussage über die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Axioms oder einer Annahme gemacht werden kann, also eine Entscheidungssituation unter Unsicherheit und nicht unter Risiko vorliegt, ist es nicht korrekt anzunehmen, dass eine Theorie mit wenigen oder nur einem Axiom wahrscheinlicher wahr ist als eine Theorie mit vielen Axiomen.6 Vielmehr sprechen für Theorien mit wenigen Axiomen ihre leichtere praktische Anwendung sowie ihre bessere Vermittelbarkeit im intersubjektiven Dialog. Ebenfalls lassen sich einfachere Theorien leichter widerlegen, haben also einen höheren Falsifizierbarkeitsgrad.7

Des Weiteren spricht für die Akzeptanz des ersten Axioms meines Erachtens nach aber ein noch weit größerer Vorteil, und zwar dass es keine hypothetische Situation konstruiert, sondern den Boden der Empirie nicht verlässt! Dies macht die gesamte Theorie des genetischen Codes als Invariante menschlicher Moral weit besser falsifizierbar und weniger spekulativ als die meisten anderen ethischen Theorien.

Das zweite Axiom lautet: Wahr ist ein Satz dann und nur dann, wenn er mit den Tatsachen, die er beschreibt, übereinstimmt.8

Für die Akzeptanz des zweiten Axioms spricht, dass es ohnehin dem Wahrheitsbegriff der meisten Menschen entspricht und ebenfalls in den exakten Wissenschaften akzeptiert und angewandt wird.

Das dritte Axiom lautet: Es ist nicht gestattet, einen Menschen, der nichts Unmoralisches getan hat, in seiner großräumigen Bewegungsfreiheit einzuschränken.9

Das dritte Axiom wird auf allgemeine Zustimmung stoßen, da es dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden entspricht, ohne jedoch einer bestimmten Auffassung von moralischem oder unmoralischem Handeln den Vorzug zu geben. Denn auch bei widerstreitenden Auffassungen über moralische oder unmoralische Taten stimmen die Menschen doch darin überein, dass ein Mensch, der nichts Unmoralisches getan hat, nicht in einer solchen Form betraft werden soll. Die Aufgabe des dritten Axioms dieser Arbeit ist, da es ebenfalls in fast allen anderen ethischen Theorien zumindest stillschweigend Anwendung findet, weniger spezifisch, aber dennoch unverzichtbar. Es stellt sicher, wie in allen anderen ethischen Theorien auch, dass ein Mensch, der nichts Unmoralisches tut, nicht bestraft werden darf, und sichert somit, dass sich die potenziellen Folgen aus den Anwendungen einer ethischen Theorie auch realisieren lassen.

Es stellt sich nun natürlich die Frage, wie durch das Zusammenwirken dieser Axiome das Ziel dieser Arbeit, eine ethische Theorie zu entwickeln, welche naturwissenschaftlichen Standards zumindest nahe kommt, erreicht werden kann.

Der erste Baustein hierfür ist das zweite grundlegende Axiom, also dass ein Satz dann und nur dann wahr ist, wenn er mit den Tatsachen, die er beschreibt, übereinstimmt. Wie kann dieses Axiom nun aber auf die hier zu entwickelnde ethische Theorie angewendet werden? Hier kommt uns nun im Gegensatz zu den Naturwissenschaften zugute, dass wir unser Untersuchungsobjekt, über das wir eine falsifizierbare Aussage treffen möchten, direkt befragen können. Die Naturwissenschaften verwenden verschiedenste Messmethoden, um zum Beispiel die Auswirkungen eines starken Magnetfeldes auf ein Atom zu untersuchen. Um eine entsprechende Theorie zu falsifizieren, werden die hierbei gewonnenen Daten mit den Aussagen dieser Theorie verglichen. Wir hingegen können die Menschen (unsere Bezugsobjekte) direkt befragen und somit unsere Theorie einer Falsifikation unterziehen.

Somit ist die Anwendbarkeit des zweiten grundlegenden Axioms innerhalb dieser Arbeit gegeben. Dieses Axiom ist im obigen Sinne vernünftig, kann aber nicht bewiesen werden. Es findet hier Verwendung, weil es ebenfalls in den exakten Wissenschaften angewandt wird als auch dem Wahrheitsbegriff der meisten Menschen entspricht. Dies tut es, da es vieles erklärt und somit eine zentrale Forderung, welche man an Axiome stellen sollte, erfüllt. Unbestritten nimmt eine ethische Theorie den Platz der Sätze ein. Bezugs- oder Untersuchungsobjekt dieser Sätze sind die Menschen, also nehmen sie den Platz der Tatsachen ein. Folglich lässt nur die Kombination von ethischer Theorie (Sätzen) mit Menschen (Tatsachen) eine Aussage über den Wahrheitsgehalt einer ethischen Theorie im Sinne der ersten beiden Axiome zu. Diese Aussage artikuliert sich in einer Übereinstimmung von Satz und Tatsache und gilt als bewiesen, wenn diese Übereinstimmung für jedermann nachprüfbar expliziert wurde.

Nun erhebt sich der Einwand, wie man eine Übereinstimmung zwischen einer ethischen Theorie und Tatsachen explizieren kann, wenn die Menschen auf Grund ihrer Individualität möglicherweise unterschiedliche Antworten auf ein und dieselbe ethische Fragestellung geben werden. Die Lösung dieses Problems liegt darin, die Schnittmenge der Antworten zu identifizieren. Sollten die Antworten10 aller Menschen auf eine Frage ethischer Dimension eine gemeinsame Schnittmenge11 aufweisen und könnte diese gefunden werden, wäre ein moralischer Standard im Sinne des ersten Axioms definiert. Zur Auffindung dieser gemeinsamen Schnittmenge wird die Humangenetik in Anspruch genommen. Sie definiert bedingt durch die menschliche Biologie bestimmte lebensnotwendige Umweltbedingungen und physiologische Eigenschaften.

Wie noch gezeigt werden wird, verlangen alle Menschen gegenüber allen anderen, dass diese jegliche Handlungen unterlassen, welche ihnen die Erfüllung der lebensnotwendigen Bedingungen mittel- oder unmittelbar erschweren bzw. unmöglich machen. Die daraus ableitbaren Rechte definieren sich als auf Verlangen zu erfüllender Anspruch eines jeden Menschen. Diese Rechte werden den Normen des ersten Axioms zugrunde liegen.

Diese hier nur skizzenhaft dargestellten Überlegungen werden im vierten Kapitel dieses Buches ausführlich diskutiert und dargelegt.

Moralische Normen, die nicht auf diesem Weg gefunden werden können, könnten unter der Annahme, sie stammten vom weisesten unter den Menschen, durchaus richtig in einem Sinne sein, dass ihnen Geltung verschafft werden sollte. Leider ist eine solche Norm nicht von einer Norm zu unterscheiden, die den genannten Selektionsprozess zum Opfer fiel, da sie nur eine durch die Lebensumstände erzeugte moralische Disposition darstellt, wie sie z. B. im Nahostkonflikt tausendfach zu finden ist. Dies bedeutet, dass es durchaus im eben genannten Sinne richtige moralische Normen geben kann, die jedoch nicht beweisbar sind. Beweisbarkeit im Sinne des zweiten Axioms, das daher Bestandteil einer jeden ethischen Theorie sein sollte, ist jedoch das zentrale Argument, will man nicht in eine vorwissenschaftliche Ära zurückfallen, in der (ethische) Theorien nebeneinanderstehen, ohne dass es möglich ist, zu unterscheiden, welche die Tatsachen beschreiben und welche dies nicht tun, sondern, wie im Falle der Ethik möglich, nur dazu dienen, Deckmantel für Partikularinteressen zu sein. Die Struktur der Theorie des genetischen Codes als Invariante menschlicher Moral lässt, wie noch gezeigt werden wird, einen solchen Missbrauch jedoch nicht zu.

Natürlich kann aufgrund des zweiten Axioms allein keine ethische Theorie gegründet werden, da es zwar die Konstruktion einer wahren Aussage über das moralische Wollen aller Menschen ermöglicht, jedoch nicht nachweisen kann, warum dieses Wollen moralisch verbindlich sein soll. Es ist mindestens noch ein weiteres Axiom nötig, das die so gefundenen Standards als verbindlich erklärt. Dieses Axiom beansprucht, wie gesagt, seine »Wahrheit« auf Basis seiner Plausibilität. Darüber hinaus muss es allerdings über eine bestimmte Eigenschaft verfügen, damit eine ethische Theorie einen einigermaßen gesicherten Anspruch auf Wissenschaftlichkeit geltend machen kann: Es muss die Anwendung des zweiten Axioms dieser Arbeit auf sich zulassen. Das heißt, es muss eine starke Verbindung zur Empirie aufweisen. Diese Eigenschaft besitzt das erste grundlegende Axiom – also die hier noch vorläufig formulierte Aussage, dass nur die moralischen Normen als für jeden bindend gelten, die aus den Rechten erwachsen, welche alle reflexionsfähigen Menschen für sich in Anspruch nehmen.

Dieser Gedanke über die Verknüpfung der beiden genannten Axiome ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Lassen es der Aufbau und der Inhalt einer ethischen Theorie nicht zu, dass das zweite Axiom dieser Arbeit auf eine solche Theorie angewendet werden kann, ist die Richtigkeit der in diesen Theorien vorgenommenen Ableitungen schlicht und einfach nicht überprüfbar. So lassen sich beispielsweise ethische Theorien, die hypothetische Situationen zur Grundlage haben, aus denen sie Folgerungen abstrakten Inhalts ableiten, nicht mithilfe des zweiten Axioms prüfen, da hypothetische Situationen und Folgerungen abstrakten Inhalts Sätze sind, die mit keinen Tatsachen korrespondieren. Hier liegt also die Schnittstelle zwischen den ersten beiden Axiomen.12 Sie sichert die Falsifizierbarkeit und damit die Wissenschaftlichkeit der hier zu entwickelnden ethischen Theorie.

Dieses Muss an Falsifizierbarkeit bedingt natürlich, dass die befragten Menschen ein solches Minimum an Reflexionsfähigkeit besitzen, um sinnvoll antworten zu können. Dies trifft hier auf all jene Menschen zu, bei denen die Entwicklung des Gehirns soweit abgeschlossen ist, dass es im Vergleich zur rasanten embryonalen und frühkindlichen Entwicklung nur noch geringe Veränderungen seiner Struktur erfährt und dabei seinem Träger ermöglicht, Projektionen einer möglichen Zukunft zu entwerfen und die Verwirklichung dieser bei Bedarf anzustreben. Dieses aus diesen Antworten hervorgehende, im genannten Sinne beweisbare Minimum an Rechten soll, wie gesagt, für alle Menschen unabhängig von ihrer Fähigkeit zur Reflexion gelten. Diese Forderung ist bei Weitem nicht so willkürlich, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Tatsächlich beschreibt und verträgt sie sich sehr gut mit einer Realität, in der reflexionsfähige Eltern ihren Kindern13 – wozu sie ja auch gesetzlich aufgefordert und verpflichtet sind – zu deren Schutz und in Anerkennung einer noch geringen Fähigkeit zur Reflexion vorschreiben, keinem Fremden zu folgen oder beim Anblick von Freunden nicht blindlings über die Straße zu laufen. Das heißt, die Übertragung von Erkenntnis aus mental höher organisierten Systemen auf mental geringer organisierte ist in der menschlichen Realität üblich.

Ich hoffe, es ist nun klar geworden, dass die Struktur der Theorie des genetischen Codes als Invariante menschlicher Moral der Struktur einer naturwissenschaftlichen Theorie entspricht, dass also die Aussagen über die Rechte, die jeder reflexionsfähige Mensch für sich in Anspruch nimmt, ebenso durch das zweite Axiom dieser Arbeit überprüfbar sind wie z. B. physikalische Aussagen über die Bahnen von Planeten – dass aber die Festlegung, dass nur den moralischen Normen Gültigkeit und Verbindlichkeit zukommt, die aus diesen Rechten erwachsen, ebenso axiomatisch, also per Definition nicht beweisbar ist wie die Annahme, dass Planeten überhaupt unabhängig von unserem Geist existieren. Es muss also wie bei jeder wissenschaftlich zu nennenden Theorie zwischen wahr und plausibel unterschieden werden.