Der große Bankdiebstahl - Julian Hawthorne - E-Book

Der große Bankdiebstahl E-Book

Julian Hawthorne

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Beschreibung

Ein früher Meisterkrimi um den realen New Yorker Inspektor Byrnes. Ein Roman, der auf dem tatsächlichen Einbruch in der Manhattan Savings Bank von 1878 basiert. Ein wahnsinniger Coup. Und eine damals unverstellbare hohe Geldsumme fällt den Ganoven in die Hände. Doch diese haben nicht mit New Yorks besten Ermittler, Thomas Byrnes, gemacht. Null Papier Verlag

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Julian Hawthorne

Der große Bankdiebstahl

Kriminalroman

Julian Hawthorne

Der große Bankdiebstahl

Kriminalroman

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019Übersetzung: Margarete Jacobi EV: Robert Lutz, Stuttgart, 1916 (206 S.) 1. Auflage, ISBN 978-3-962813-89-5

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Inhaltsverzeichnis

1. Ka­pi­tel.

2. Ka­pi­tel.

3. Ka­pi­tel.

4. Ka­pi­tel.

5. Ka­pi­tel.

6. Ka­pi­tel.

7. Ka­pi­tel.

8. Ka­pi­tel.

9. Ka­pi­tel.

10. Ka­pi­tel.

11. Ka­pi­tel.

12. Ka­pi­tel.

13. Ka­pi­tel.

14. Ka­pi­tel.

15. Ka­pi­tel.

16. Ka­pi­tel.

17. Ka­pi­tel.

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1. Kapitel.

Als ich ver­gan­ge­nen Herbst an ei­nem Ok­to­ber­nach­mit­tag die Fünf­te Ave­nue in New York hin­un­ter­ging, traf ich zu­fäl­lig auf einen mir be­kann­ten Zei­tungs­re­dak­teur. Die Be­geg­nung kam mir höchst er­wünscht, denn der Um­gang mit ihm war im­mer an­re­gend. Durch lang­jäh­ri­ge Er­fah­rung in sei­nem Be­ruf, große Beo­b­ach­tungs­ga­be und ein treff­li­ches Ge­dächt­nis hat­te er sich eine um­fas­sen­de Ge­schäfts­kennt­nis er­wor­ben. Auch ver­kehr­te er viel in Ge­sell­schaft und kann­te nicht nur die gan­ze vor­neh­me Welt von New York, son­dern auch vie­le Per­sön­lich­kei­ten, die zwar nicht in jene aus­er­wähl­ten Krei­se ge­hör­ten, aber des­halb nicht min­der in­ter­essant wa­ren. Da er zu­dem eine mit­teil­sa­me Na­tur war, ließ sich man­che Stun­de aufs an­ge­nehms­te mit ihm ver­plau­dern.

Die Son­ne stand schon tief am Him­mel; sie leuch­te­te den Leu­ten, die uns be­geg­ne­ten, ge­ra­de ins Ge­sicht, und lan­ge Schat­ten fie­len auf das Pflas­ter. Es war Sonn­abend; eine große Men­schen­men­ge wog­te in den Stra­ßen hin und her; auf dem Fahr­weg ras­sel­ten zahl­lo­se Drosch­ken und Equi­pa­gen, da­zwi­schen der schwer­fäl­li­ge Om­ni­bus und das leich­te Ka­brio­lett. Die vor­neh­me Welt war vom See­stran­de, der Som­mer­fri­sche im Ge­bir­ge oder von der eu­ro­päi­schen Tour zu­rück­ge­kehrt und be­nutz­te den schö­nen Herbst­tag, um sich von neu­em in das ru­he­lo­se Ge­trie­be der Groß­stadt zu stür­zen, in der es nie an Auf­re­gung und An­re­gung zu feh­len scheint. Auch mir mach­te das Has­ten und Ja­gen heu­te be­son­ders viel Ein­druck – es war mein ers­ter Tag in der Stadt, nach län­ge­rem Auf­ent­halt in ei­nem ab­ge­le­ge­nen See­ba­de.

So, da bist du wie­der und siehst wohl und mun­ter aus, sag­te mein Freund von der Pres­se, mir die Hand schüt­telnd. Weißt du was, wenn du nichts Bes­se­res vor­hast, so kom­me um sechs Uhr nach dem St. Ja­mes-Ho­tel; wir spei­sen zu­sam­men und se­hen dann, was es heu­te Abend im Thea­ter gibt. Wie ge­fällt dir mein Vor­schlag?

Das Mit­ta­ges­sen las­se ich mir ge­fal­len, aber zum Thea­ter habe ich kei­ne be­son­de­re Lust.

Aha, du willst wohl nicht erst Toi­let­te ma­chen! Da weiß ich noch an­de­ren Rat: letz­te Wo­che bin ich im Zir­kus ge­we­sen, wo ein aus­ge­zeich­ne­ter Pfer­de­bän­di­ger Vor­stel­lung gibt. Es ist ein sehr an­stän­di­ges Lo­kal; man fin­det Leu­te aus der bes­ten Ge­sell­schaft, auch Da­men, und braucht sich nicht erst um­zu­klei­den. Nun, was meinst du dazu?

Ein­ver­stan­den! ent­geg­ne­te ich; als Kna­be habe ich den be­rühm­ten Ra­rey ge­se­hen und wäre be­gie­rig, ob dein Mann sich mit ihm ver­glei­chen lässt.

Schön, sag­te der Jour­na­list, also um sechs Uhr! Oder kommst du gleich mit in mei­ne Woh­nung und rauchst eine Zi­gar­re, wäh­rend ich einen Brief er­le­di­ge?

Dan­ke, ich will erst noch einen klei­nen Gang durch den Park ma­chen, um mir Ap­pe­tit zu ho­len. Wir stan­den ge­ra­de an der Ecke, wo die Ave­nue in den Broad­way, die glän­zends­te Stra­ße von New York, mün­det, im Be­griff, quer­über nach der an­de­ren Stra­ßen­sei­te zu ge­hen. Hier herrsch­te großes Wa­gen­ge­drän­ge – doch kaum hob der rie­si­ge Ord­nungs­wäch­ter, der an die­ser ge­fähr­li­chen Stel­le un­um­schränkt ge­bie­tet, den Arm in die Höhe, als wie mit Zau­ber­schlag der Ver­kehr stock­te, die Wa­gen­rei­he hielt und der Trupp Fuß­gän­ger schnel­len Schrit­tes hin­über­eil­te – wir mit ih­nen. Mein Freund ging dicht vor mir, und als er an ei­nem klei­nen ele­gan­ten Ka­brio­lett vor­über­kam, auf des­sen Bock der Kut­scher wür­de­voll thron­te, sah ich, wie er einen Blick auf die In­sas­sin warf und grü­ßend den Hut lüf­te­te. Die Dame im Wa­gen er­wi­der­te den Gruß lä­chelnd und mit leich­ter Ver­nei­gung; ich be­fand mich in ih­rer un­mit­tel­ba­ren Nähe, so­dass ich sie mit Muße be­trach­ten konn­te. Sie moch­te etwa drei­ßig Jah­re zäh­len und war noch eine auf­fal­len­de Schön­heit. Zu ih­rem dun­kel­far­be­nen An­zug trug sie einen Hut aus glei­chem Stoff; ihr Ge­sicht war bleich, der Aus­druck ih­rer fei­nen Züge starr und kalt, und doch war mir, als sei dies schö­ne vor­neh­me Ant­litz wohl im­stan­de, star­ke Lei­den­schaf­ten wie­der­zu­spie­geln. Die lei­den­schaft­li­che Na­tur war aber ent­we­der nie zum Aus­bruch ge­kom­men und ihre Flam­men lo­der­ten und sprüh­ten nur im In­nern, oder sie wa­ren in ei­nem ent­schei­den­den Le­bens­mo­ment ein­mal hoch auf­ge­fla­ckert und hat­ten sich in ih­rer ei­ge­nen Glut ver­zehrt. Je­den­falls war es ein Ge­sicht, das man nicht wie­der ver­gisst; auch in der leich­ten, an­mu­ti­gen Ver­beu­gung, mit der sie den Gruß mei­nes Freun­des er­wi­der­te, lag ein be­stri­cken­der Reiz. Of­fen­bar ge­hör­te die Dame den vor­nehms­ten, reichs­ten Krei­sen an und hat­te schon ihr Teil er­lebt! Als ich drü­ben auf der Stra­ße wie­der mit mei­nem Ge­fähr­ten zu­sam­men­kam, warf ich wie von un­ge­fähr eine Be­mer­kung über sei­ne in­ter­essan­te Be­kannt­schaft hin.

Du meinst die Dame im Ka­brio­lett? Ja­wohl, die ken­ne ich ober­fläch­lich. Bist du ihr nie be­geg­net? Da hast du et­was ver­lo­ren!

Das kommt da­von, wenn man sich, wie ich, zwölf Jah­re im Aus­land her­um­treibt.

Im Jah­re 1878, fuhr mein Freund fort, traf ich sie zum ers­ten Mal. Ich könn­te dir Din­ge über sie er­zäh­len, von de­nen kei­ne fünf le­ben­den Men­schen et­was wis­sen. Aber du bist Ro­man­schrei­ber, und ich traue dir nicht!

Wenn sie sich dir an­ver­traut hat, kannst du mir wohl auch ver­trau­en! ent­geg­ne­te ich.

Wer sagt denn, dass ich’s von ihr weiß? Sie hat ein­fach nicht hin­dern kön­nen, dass ich’s er­fuhr! – Also, wenn du dir durch­aus erst noch Be­we­gung ma­chen musst – auf Wie­der­se­hen – aber sei ja recht pünkt­lich.

Er ver­schwand in der Tür sei­ner Woh­nung, und ich ging wei­ter die Ave­nue hin­un­ter. Das blei­che Ge­sicht der Dame im Ka­brio­lett ver­folg­te mich förm­lich. Wer konn­te sie sein? was moch­te sie er­lebt ha­ben? wie hat­te mein Freund ihre Be­kannt­schaft ge­macht? wie die selt­sa­men Din­ge er­fah­ren, die so we­ni­ge au­ßer ihm wuss­ten, und mit de­ren Mit­tei­lung er, ganz ge­gen sei­ne sons­ti­ge Ge­wohn­heit, so zu­rück­hal­tend war? Han­del­te es sich um eine Ent­füh­rung, eine Ehe­schei­dung, oder was sonst? Ich ließ mei­ner Ein­bil­dung frei­en Lauf, na­tür­lich ohne zu ei­nem be­frie­di­gen­den Re­sul­tat zu ge­lan­gen. Ich nahm mir vor, wei­te­re Er­kun­di­gun­gen ein­zu­zie­hen, wo­bei ich mir nicht ver­hehl­te, dass die Wirk­lich­keit höchst wahr­schein­lich den ro­man­ti­schen Schlei­er zer­rei­ßen wür­de, den ich um die Un­be­kann­te ge­wo­ben. Ver­ge­bens mus­ter­te ich die vor­über­ei­len­den Wa­gen, in der Hoff­nung, ih­rer noch ein­mal an­sich­tig zu wer­den. Aber ob­wohl meh­re­re dem ih­ri­gen gli­chen, ent­deck­te ich ihn nicht; ver­mut­lich wohn­te sie im un­te­ren Teil der Ave­nue, wo noch im­mer ei­ni­ge der an­ge­se­he­nen äl­te­ren Fa­mi­li­en zu fin­den sind, trotz­dem Han­del und Ge­wer­be dort täg­lich mehr Bo­den ge­win­nen. Am bes­ten, ich schlug mir die gan­ze Sa­che gleich aus dem Sinn, denn, da ich so sel­ten in der New Yor­ker Ge­sell­schaft ver­kehr­te, war zehn ge­gen eins zu wet­ten, dass ich die ge­heim­nis­vol­le Schön­heit nie wie­der­se­hen wür­de.

Un­ter sol­chen Ge­dan­ken war ich bis ans Ende des Parks ge­langt; nun mach­te ich kehrt und be­gab mich auf den Rück­weg. Der Wes­ten war jetzt ein Glut­meer; die Ge­stal­ten, die an mir vor­über­eil­ten, er­schie­nen ganz dun­kel in dem grel­len Licht. Es war nun die Stun­de, wo die rei­che und vor­neh­me Ge­sell­schaft New Yorks zum Mit­ta­ges­sen nach Hau­se eil­te. Wie glück­lich und glän­zend sie zu sein schie­nen, die­se rei­chen Leu­te! Und doch be­gann um die­sel­be Zeit in ei­nem an­de­ren Vier­tel der Stadt eine an­de­re Men­schen­klas­se ihre rast­lo­se Tä­tig­keit, ih­ren nie en­den­den ge­hei­men Krieg ge­gen die Günst­lin­ge des Glücks. Seit Be­ginn der Welt­ge­schich­te ist die­ser Krieg ent­brannt und wird noch heu­te mit größ­ter Er­bit­te­rung fort­ge­führt. Zu­wei­len ge­lingt es et­li­chen der An­grei­fer, sich in die Rei­hen ih­rer Geg­ner zu drän­gen und, äu­ßer­lich we­nigs­tens, sich ih­nen gleich­zu­stel­len; manch­mal auch sin­ken die in An­se­hen und Wohl­le­ben Ge­bo­re­nen zu Ge­nos­sen der Kin­der der Nacht her­ab; denn die Grenz­li­nie zwi­schen bei­den ist nicht be­stimmt und dau­ernd.

In­des­sen war es Zeit ge­wor­den, an die Verab­re­dung mit mei­nem Freun­de zu den­ken und ihn ab­zu­ho­len.

2. Kapitel.

Kurz vor sie­ben Uhr ka­men wir am Bil­let­schal­ter in der Vor­hal­le des Zir­kus an. Vie­le Per­so­nen dräng­ten sich mit uns durch einen schma­len Gang, von dem aus wir in einen großen, halb­kreis­för­mi­gen Saal ge­lang­ten, des­sen etwa hun­dert Fuß lan­ger und acht­zig Fuß brei­ter in­ne­rer Raum mit Sand und Sä­ge­mehl be­deckt und auf drei Sei­ten von am­phi­thea­tra­lisch an­stei­gen­den Sit­zen um­ge­ben war. Ein leich­tes, höl­zer­nes Ge­län­der trenn­te die Are­na von den un­ters­ten Bän­ken, hät­te aber schwer­lich den dort Sit­zen­den wirk­li­chen Schutz ge­währt, wenn etwa ein wi­der­spens­ti­ges Pferd sich ein­fal­len ließ, zwi­schen die Zuschau­er hin­ein­zu­spren­gen. Doch wa­ren die­se Plät­ze eben­so gut be­setzt wie die obe­ren Rei­hen. Das Pub­li­kum be­stand zwar größ­ten­teils aus Ken­nern und Lieb­ha­bern von Pfer­den, doch fehl­te es auch nicht an an­de­ren Zuschau­ern, und die so­ge­nann­te gute Ge­sell­schaft war zahl­reich ver­tre­ten.

Un­se­re Plät­ze be­fan­den sich auf ei­ner der obe­ren Sitz­rei­hen; wir hat­ten sie kaum ein­ge­nom­men, als der Di­rek­tor mit der Peit­sche in der Hand in die Mit­te der Are­na trat und sich ge­gen die An­we­sen­den ver­neig­te. Er war groß, breit­schul­te­rig, von star­kem Mus­kel­bau, je­doch in sei­nen Be­we­gun­gen leicht und be­hän­de, den ziem­lich klei­nen Kopf um­gab blon­des, lo­cki­ges Haar, er hat­te hüb­sche Ge­sichts­zü­ge, scharf­bli­cken­de Au­gen, eine et­was ge­bo­ge­ne Nase und einen lan­gen Schnurr­bart. Nach kur­z­er An­spra­che, in wel­cher er sich über die Kunst des Bän­di­gens und Zu­rei­tens der Pfer­de ver­brei­te­te, gab er dem Stall­meis­ter einen Wink, mit der Vor­stel­lung zu be­gin­nen.

In die­sem Au­gen­blick ent­stand ein Geräusch auf der lin­ken Sei­te der Hal­le. Eine Dame in dun­kel­far­bi­ger Klei­dung kam den Gang her­un­ter, ihr folg­te ein jun­ger Mann in ta­del­lo­sem Ge­sell­schafts­an­zug, und bei­de nah­men in der vor­ders­ten Rei­he nahe am Ge­län­der Platz. Die Dame war ver­schlei­ert, ich er­kann­te sie je­doch so­fort, es war die ge­heim­nis­vol­le Un­be­kann­te, die wir am Nach­mit­tag im Ka­brio­lett ge­se­hen. Mein Ge­fähr­te, der sie zu glei­cher Zeit be­merk­te, zog die Au­gen­brau­en in die Höhe.

Wahr­haf­tig, ein Wink des Schick­sals, sag­te ich, dass du mir mit­tei­len sollst, wer sie ist und was du von ihr weißt! Also nur her­aus da­mit, ich bin ganz Ohr.

Ei­nes nach dem an­de­ren, er­wi­der­te der Jour­na­list, oder noch bes­ser, ich las­se dich wäh­len. Willst du wis­sen, wer sie ist, so stel­le ich dich ihr vor und über­las­se dich dann dei­nem ei­ge­nen gu­ten Glück. Willst du aber von mir Nä­he­res über sie er­fah­ren, so kann das nur un­ter ei­ner Be­din­gung ge­sche­hen.

Und die wäre?

Dass du dich ver­pflich­test, we­der nach ih­rem wah­ren Na­men zu fra­gen, noch ihre per­sön­li­che Be­kannt­schaft zu ma­chen. Nur dann kann ich’s vor mei­nem Ge­wis­sen ver­ant­wor­ten. Bis zur Pau­se hast du Zeit, dich zu ent­schlie­ßen – aber jetzt lass mich in Ruhe, ich will se­hen, wie er mit der Stu­te dort fer­tig wird.

Die Stu­te war ein schö­nes Tier, aber, wie ihr Ei­gen­tü­mer be­haup­te­te, voll­kom­men un­brauch­bar, weil sie die Un­sit­te hat­te, bei der ge­rings­ten Ver­an­las­sung scheu zu wer­den. Der Pfer­de­bän­di­ger, wel­cher voll­stän­dig ru­hig und ge­las­sen blieb, ja eine un­er­schüt­ter­li­che Fes­tig­keit zeig­te, trat dicht vor die Stu­te hin und blick­te ihr starr in die Au­gen. Nach we­ni­gen Se­kun­den trat er einen Schritt rück­wärts, ohne den Blick von ihr ab­zu­wen­den, und sie folg­te ihm wie ein Hund, wo­hin er ging. Nun brach­te man einen Sat­tel­gurt und eine Lei­ne her­bei; das rech­te Vor­der­bein des Tie­res wur­de fest­ge­bun­den, und nach kur­z­em Kamp­fe ge­lang es dem Tier­bän­di­ger, das Pferd zu Bo­den zu wer­fen. Auf der Wei­che der Stu­te sit­zend er­klär­te er nun sei­ner Zu­hö­rer­schaft Grund und Zweck die­ses Ver­fah­rens. Dann ließ er das Tier wie­der auf­ste­hen und trieb es in der Are­na im Krei­se her­um; er selbst ging hin­ter­drein, in ei­ner Hand die Zü­gel, in der an­de­ren Lei­ne und Peit­sche hal­tend, wäh­rend die Die­ner, um die Stu­te zu er­schre­cken, al­ler­lei Pa­pier­strei­fen und an­de­re Ge­gen­stän­de in der Luft schwenk­ten; so­bald sie aber Mie­ne mach­te, scheu zu wer­den, brach­te ein plötz­li­ches An­zie­hen der Lei­ne sie zit­ternd auf die Knie nie­der. Zu­letzt er­tön­ten Trom­meln und Trom­pe­ten vor den Ohren des ge­ängs­tig­ten Tie­res, Blech­pfan­nen klap­per­ten, Pis­to­len knall­ten auf al­len Sei­ten, bis die Stu­te nach kur­z­em aber hef­ti­gem Kamp­fe al­len Wi­der­stand auf­gab und ihre Furcht über­wand. Nun schirr­te man die Be­sieg­te an einen Wa­gen; von rechts und links er­hob sich ein wah­rer Höl­len­lärm, auf jede Wei­se ver­such­te man sie in Schre­cken zu set­zen. Sie aber ging ru­hig und un­be­irrt ih­res We­ges und wur­de un­ter dem don­nern­den Bei­fall der Zuschau­er aus der Are­na ge­führt.

Ich muss ge­ste­hen, dass ich der Vor­stel­lung nur mit ge­teil­ter Auf­merk­sam­keit ge­folgt war; mei­ne Bli­cke kehr­ten im­mer wie­der zu der Dame im dunklen Klei­de zu­rück. Sie saß un­be­weg­lich da, die Hän­de ruh­ten läs­sig in ih­rem Schoß; sie schi­en den Vor­gän­gen in der Are­na kein grö­ße­res In­ter­es­se zu schen­ken als dem un­aus­ge­setz­ten aber ge­wiss ganz ober­fläch­li­chen Ge­plau­der ih­res ge­schnie­gel­ten Beglei­ters. Es moch­te wohl nicht leicht sein, die­se Frau aus ih­rer Teil­nahm­lo­sig­keit auf­zu­rüt­teln; sie sah aus, als gäbe es für sie nichts Neu­es un­ter der Son­ne, als habe sie alle Il­lu­sio­nen hin­ter sich und su­che nur nach ir­gend et­was, das ihr eine Emp­fin­dung ent­lo­cken, sie in Auf­re­gung ver­set­zen kön­ne. Wenn sie zu letz­te­rem Zweck hier­her­ge­kom­men war, hat­te sie sich – das sah man ihr an – ent­schie­den ver­rech­net. Schon war sie im Be­griff, den Ort wie­der zu ver­las­sen, gab je­doch auf Zu­re­den ih­res Beglei­ters, der ihr viel­leicht noch et­was Be­son­de­res in Aus­sicht stell­te, den Ent­schluss wie­der auf und ver­harr­te auf ih­rem Sitz, wie je­mand, der sich in das Un­ver­meid­li­che fügt.

Das nächs­te Tier, das den Zuschau­ern vor­ge­führt wur­de, war ein klei­nes Berg­pferd, das die Ei­gen­heit hat­te, nach rück­wärts ge­hen zu wol­len. Sein Be­sit­zer be­rich­te­te, er sei ein­mal auf dem Lan­de zur Kir­che ge­fah­ren und habe das Pferd in ei­nem na­hen Wa­gen­schup­pen ein­ge­stellt. Nach be­en­de­tem Got­tes­dienst woll­te er es wie­der her­aus­ho­len, konn­te es aber in dem en­gen Raum nicht wen­den; nun sei es durch nichts in der Welt dazu zu brin­gen ge­we­sen, rück­wärts her­aus­zu­kom­men. Schließ­lich habe man die Rück­wand des Schup­pens ab­bre­chen müs­sen, um es durch die Öff­nung hin­aus­zu­füh­ren. An die­sem Pro­blem muss­te sich der Pfer­de­bän­di­ger wohl zwan­zig Mi­nu­ten lang ab­ar­bei­ten. Als es ihm nach un­glaub­li­cher An­stren­gung end­lich ge­lun­gen war, das Tier zum Rück­wärts­ge­hen zu be­we­gen, woll­te es durch­aus kei­nen Schritt mehr vor­wärts tun. Dem Mann perl­te der hel­le Schweiß auf der Stirn. Soll­te man es für mög­lich hal­ten, rief er mit ko­mi­schem Pa­thos und vor­wurfs­vol­lem Blick auf das stör­ri­ge Tier, dass der Be­sit­zer die­ses Pfer­des über­haupt je­mals zur Kir­che ge­lan­gen konn­te?

Der Spaß brach­te das Pub­li­kum zum La­chen, und mir schi­en, als zei­ge sich selbst in den Zü­gen der Dame zum ers­ten Mal ein schwa­cher Schim­mer von In­ter­es­se. Zehn Mi­nu­ten spä­ter war der Wi­der­stand des Tie­res ge­bro­chen, und nun kam der Haupt­ef­fekt des Abends an die Rei­he.

Ein kohl­schwar­zer Rap­pe wur­de her­ein­ge­führt, bei des­sen Er­schei­nen ein Mur­meln der Be­wun­de­rung durch die Zuschau­er­bän­ke lief. Er war nicht groß, schi­en aber voll­kom­men ohne Ma­kel; Mäh­ne und Schen­kel glänz­ten wie At­las; in je­der Be­we­gung, be­son­ders in der Art, wie er den Kopf hielt, trug er eine ge­wis­se Selbst­ge­fäl­lig­keit zur Schau, als sei er sich der ei­ge­nen Schön­heit be­wusst. Kein Zei­chen von Bös­ar­tig­keit war an ihm wahr­zu­neh­men; im Ge­gen­teil, er be­nahm sich edel und gut­mü­tig, wäh­rend er im Ring her­um­ge­führt wur­de – und doch soll­te die­ses Pferd die Un­tu­gend ha­ben, un­wi­der­ruf­lich und un­auf­halt­sam mit sei­nem Rei­ter durch­zu­ge­hen.

Als der Pfer­de­bän­di­ger schließ­lich mit­ten in der Are­na mit dem Rap­pen zu­sam­men­traf und ihm ins Auge schau­te, er­wi­der­te die­ser den Blick mit ei­ner Art höf­li­chen In­ter­es­ses, als woll­te er sa­gen, er freue sich, die Be­kannt­schaft des Herrn zu ma­chen und hof­fe, ihre ge­gen­sei­ti­gen Be­zie­hun­gen wür­den freund­li­cher Na­tur sein.

Wäh­rend ihm Zaum und Zü­gel an­ge­legt wur­den, stand er still wie ein Lamm, hielt den Kopf in die Höhe und schau­te das Pub­li­kum ver­ständ­nis­voll an, als schmeich­le es ihm, der Ziel­punkt der all­ge­mei­nen Auf­merk­sam­keit zu sein. Was von sei­ner un­be­zähm­ba­ren Wild­heit ver­lau­tet war, muss­te wohl stark über­trie­ben sein, er schi­en die Sanft­mut selbst, und wir ver­spra­chen uns we­nig Kurzweil von ihm.

Der Ver­such, das Tier zu Bo­den zu wer­fen, stieß je­doch schon auf Hin­der­nis­se; es zeig­te da­bei viel Feu­er und wi­der­setz­te sich so mut­voll, als gel­te es einen rich­ti­gen Zwei­kampf. Wie­der und im­mer wie­der warf sich der Pfer­de­bän­di­ger mit sei­ner gan­zen Kör­per­last ihm ent­ge­gen, je­des Mal aber mach­te der Rap­pe eine ge­schick­te Wen­dung und wehr­te den An­griff ab. Es war in­des nur eine Fra­ge der Zeit: schließ­lich ward das Tier doch be­zwun­gen und lag ru­hig am Bo­den.

Ich weiß nun, was ich tue! sag­te ich zu mei­nem Ge­fähr­ten.

So war­te doch! ent­geg­ne­te die­ser, der mich of­fen­bar miss­ver­stan­den – war­te nur, der Bur­sche wird schon noch sei­ne Tücken los­las­sen!

Ich spre­che ja nicht von dem Pfer­de, son­dern von der Dame im dunklen Hut.

Was ist mit ihr?

Sei so gut und er­zäh­le mir ihre Ge­schich­te; – ich ver­zich­te aufs Vor­stel­len.

Ja, so! Dei­ne Neu­gier ist also grö­ßer als dei­ne Galan­te­rie! Aber du musst war­ten, bis dies hier vor­bei ist. Der Mann soll nur auf sei­ner Hut sein! – Ha! ich hab’s doch ge­dacht! –

Wäh­rend wir spra­chen, hat­te man dem Pfer­de einen star­ken Lei­trie­men an­ge­legt und ließ es lang­sam in der Are­na die Run­de ma­chen. An sei­nen rech­ten Vor­der­fuß war eine Lei­ne ge­bun­den, die durch den Ring am un­tern Sat­tel­gurt lief und vom Pfer­de­bän­di­ger fest­ge­hal­ten wur­de. Als er den Kreis etwa zur Hälf­te durch­lau­fen und in un­se­rer Nähe an­ge­langt war, blieb die Peit­schen­schnur in ei­nem Spalt des Ge­län­ders hän­gen, und der Griff flog dem Man­ne aus der Hand. Bei dem Ver­such, die Peit­sche wie­der auf­zu­he­ben, ließ er die Lei­ne fal­len.

So­fort, als hät­te der Rap­pe nur auf die­sen Au­gen­blick ge­war­tet, tat er einen Sei­ten­sprung. Sein Füh­rer stemm­te sich mit al­ler Ge­walt rück­wärts, bohr­te die Fer­sen in den Sand und zog mit An­stren­gung sei­ner gan­zen Mus­kel­kraft den Lei­trie­men straff. Trotz sei­ner Lö­wen­stär­ke war es ihm je­doch völ­lig un­mög­lich, das Tier al­lein mit Hil­fe des Zü­gels zu be­zwin­gen. Es tat einen zwei­ten Sprung in die Que­re und zwar so plötz­lich, dass der Pfer­de­bän­di­ger das Gleich­ge­wicht ver­lor und auf sei­ne rech­te Schul­ter nie­der­stürz­te. Er hat­te je­doch die Zü­gel fest um die Hand ge­wi­ckelt und ließ sie nicht fah­ren. Das Pferd schleif­te ihn auf dem Bo­den hin, schlug nach vorn und hin­ten aus und ver­such­te, ganz ra­send vor Wut, ihn ab­zu­schüt­teln.

Die Zuschau­er hat­ten an­fäng­lich den Ernst der Lage kaum be­grif­fen; als sie aber jetzt den Mann hilf­los un­ter den Hu­fen des Pfer­des lie­gen sa­hen, er­tön­te ein all­ge­mei­ner Schre­ckens­ruf; man sprang von den Sit­zen, wo­bei eine Rei­he von Bän­ken pol­ternd um­fie­len. Der Lärm und die Ver­wir­rung schie­nen das Tier noch ra­sen­der zu ma­chen.

In­zwi­schen wa­ren die bei­den Ge­hil­fen her­zu­ge­eilt und ver­such­ten den Rap­pen beim Kop­fe zu fas­sen; aber er warf den einen zu Bo­den und ver­setz­te dem an­de­ren mit dem Huf einen Schlag in die Sei­te. Nur wenn es ge­lang, die Lei­ne wie­der zu fas­sen, war ir­gend­wel­che Aus­sicht vor­han­den, das Pferd zu bän­di­gen. Der Mann, der durch die Are­na ge­schleift wur­de, hat­te sei­ne Geis­tes­ge­gen­wart nicht ver­lo­ren – er wuss­te voll­kom­men, wor­auf es an­kam, aber er konn­te die Lei­ne nicht er­grei­fen, ohne die Zü­gel fah­ren zu las­sen, und das schi­en ihm zu ge­fähr­lich.

Der gan­ze Vor­gang hat­te kaum eine Mi­nu­te ge­dau­ert, aber es wur­de im­mer kla­rer, dass es bald zu ei­ner Ka­ta­stro­phe kom­men müs­se. Wenn die schwa­che Schran­ke, wel­che das Pferd von den Zuschau­ern trenn­te, zer­brach, konn­te nichts mehr das dro­hen­de Un­heil ab­wen­den. – Schon durch das Drän­gen und Sto­ßen über die um­ge­fal­le­nen Bän­ke hat­te sich das Pub­li­kum man­che Ver­let­zung zu­ge­zo­gen. Na­tür­lich hät­ten die Zuschau­er nichts Klü­ge­res tun kön­nen, als den Saal zu ver­las­sen, wer das aber woll­te, fand den Aus­gang ver­sperrt, weil die Neu­gier die meis­ten an Ort und Stel­le fes­sel­te, so sehr auch die Furcht sie von dan­nen trieb.

Der Rap­pe be­fand sich jetzt rech­ter Hand an der Ecke der Are­na. Plötz­lich rich­te­te er sich auf den Hin­ter­bei­nen in die Höhe, sprang über den Mann am Bo­den hin­weg, ohne ihn je­doch mit den Hu­fen zu be­rüh­ren, und tat einen Satz nach der lin­ken Sei­te des Rau­mes hin. Al­ler Bli­cke wand­ten sich nach die­ser Rich­tung; mir und mei­nem Ge­fähr­ten wur­de so­fort klar, dass die schö­ne Frau dort auf dem vor­ders­ten Platz aufs höchs­te ge­fähr­det war. Wir sa­hen sie sich er­he­ben, sich ker­zen­ge­ra­de in die Höhe rich­ten, ih­ren Schlei­er zu­rück­wer­fen. In töd­li­chem Schreck war ihr Beglei­ter auf­ge­sprun­gen, er woll­te flie­hen, strau­chel­te aber und fiel der Län­ge nach zur Erde. Wie ver­hal­te­ne Angst lief ein selt­sam zi­schen­der Laut durch das gan­ze Haus, als das ra­sen­de Tier jetzt auf das Ge­län­der zu­stürz­te. Um das Le­ben der Dame schi­en es ge­sche­hen.

Wa­rum ret­te­te sie sich nicht durch schnel­le Flucht? Hat­te der Schre­cken ihre Glie­der ge­lähmt? – Kei­nes­wegs. Ich sah, wie es in ih­ren großen, mü­den Au­gen auf­flamm­te, wie ihre blei­chen Wan­gen sich bis an die Schlä­fen mit Glut über­zo­gen. Sie sprüh­te von Feu­er und Le­ben, es schi­en, als ob ihr die Ge­fahr und Auf­re­gung einen wah­ren Ge­nuss ver­schaff­te.

Wie es zu­ging, dass die­ser Au­gen­blick des wil­den Ent­zückens nicht zu­gleich ihr letz­ter war, blieb uns zu­erst un­er­klär­lich. Schon be­rühr­te der Rap­pe mit den Vor­der­fü­ßen die schlan­ke Ge­stalt, die nicht vor ihm zu­rück­wich, schon setz­te er zum Sprung an über das Ge­län­der – da schwank­te er plötz­lich und stürz­te nie­der, im Fall die Schran­ke mit sich rei­ßend. Bald be­grif­fen wir den Sach­ver­halt: es war dem Man­ne, der noch im­mer die Zü­gel hielt, end­lich ge­lun­gen, sich der Lei­ne wie­der zu be­mäch­ti­gen; mit der Kraft der Verzweif­lung hat­te er sie an­ge­zo­gen und das Pferd zu Fall ge­bracht. Jetzt stand er zum ers­ten Mal wie­der auf den Fü­ßen, keu­chend, mit Staub be­deckt, aber, wie es schi­en, mit hei­len Glie­dern. Die Men­ge ju­bel­te ihm ent­ge­gen; er ach­te­te je­doch nicht auf den Bei­falls­sturm, son­dern sag­te, zu der Dame ge­wandt:

Mir war’s zu­letzt recht ban­ge um Sie, gnä­di­ge Frau! Es wird Ih­nen doch nichts ge­scha­det ha­ben?

Wir stan­den jetzt in ih­rer un­mit­tel­ba­ren Nähe. – Im Ge­gen­teil, hör­te ich sie er­wi­dern, es hat mir großes Ver­gnü­gen ge­macht.

Der baum­star­ke Mann warf ihr einen schnel­len Blick der Be­wun­de­rung zu, dann ver­zog er den Mund, gut­mü­tig la­chend: Das muss ich sa­gen, mein­te er, Sie sind leicht zu be­frie­di­gen, gnä­di­ge Frau, so et­was wäre nicht je­der­manns Ge­schmack.

Nun sprach er in rau­em Ton zu dem Rap­pen, der mit zit­tern­den Flan­ken und weit ge­öff­ne­ten Nüs­tern am Bo­den lag: »Mach’ dass du auf­stehst! Dein Spiel ist nun aus, jetzt geht’s wie­der an die Ar­beit! – Neh­men Sie, bit­te, Ihre Plät­ze wie­der ein, mei­ne Da­men und Her­ren, wand­te er sich an das Pub­li­kum, in fünf Mi­nu­ten wird das Tier so zahm sein, dass ein Kind es lei­ten kann!« –

Bei­fall­ge­mur­mel durch­lief die Zuschau­er­rei­hen; die meis­ten ent­schlos­sen sich wirk­lich, da­zu­blei­ben. Un­ter­des­sen hat­te sich der ge­schnie­gel­te jun­ge Herr zwi­schen den Bän­ken wie­der em­por­ge­ar­bei­tet, eine di­cke Beu­le auf der Stirn, lei­chen­blass und völ­lig ver­wirrt starr­te er um­her. Er al­lein un­ter al­len An­we­sen­den wuss­te nicht, was sich zu­ge­tra­gen. Ein kal­tes Lä­cheln spiel­te um die schö­nen Lip­pen der Un­be­kann­ten; sie zog den Schlei­er wie­der her­ab, nahm den Arm ih­res noch ganz be­stürz­ten Beglei­ters und ver­ließ mit ihm die Hal­le. Wir folg­ten ihr auf dem Fuße, der Jour­na­list und ich. Im Gang hob ich einen Hand­schuh auf, den sie fal­len ge­las­sen, und habe ihn seit­dem als An­den­ken be­wahrt.

3. Kapitel.

Als mein Freund und ich ins Freie ge­langt wa­ren, gin­gen wir erst eine Wei­le schwei­gend ne­ben­ein­an­der her. End­lich sag­te ich: Es sah aus, als su­che sie den Tod; – ein rät­sel­haf­tes Weib!

Ja, ent­geg­ne­te mein Ge­fähr­te, es hat­te ganz den An­schein. Da wer­de ei­ner klug dar­aus! Wenn eine Frau zum ers­ten Male in die Welt tritt, bringt ein Stroh­halm sie au­ßer Fas­sung; kaum aber sind ein paar Jah­re vor­über, so ist ihr al­les zum Über­druss; sie hat für nichts mehr Ge­fühl, greift nach Gift und Dolch und zuckt nicht ein­mal mit der Wim­per! – So ab­ge­brüht wer­den doch die Män­ner nie.

Dann muss sie sich sehr un­glück­lich füh­len.

O, das nicht ge­ra­de – we­nigs­tens nicht im ge­wöhn­li­chen Sin­ne. Sie ist nur völ­lig bla­siert: das er­klärt al­les. Ich sage dir, es ist der rei­ne Über­druss! Nicht etwa, dass sie ihr Le­ben los sein möch­te, im Ge­gen­teil, sie brennt dar­auf, zu füh­len, dass sie wirk­lich lebt. Sie ist in­wen­dig zu Eis er­starrt, und es be­darf ei­ner wah­ren Höl­lenglut, um sie wie­der auf­zut­au­en.

Was fehlt ihr denn aber? …

Das fin­de ein­mal her­aus! – Sie hei­ra­te­te einen der bes­ten Men­schen von der Welt, aber zwan­zig Jah­re äl­ter als sie. Kin­der hat­ten sie kei­ne. Bis vor zehn Jah­ren war sie eine der ge­fei­erts­ten Schön­hei­ten New Yorks und noch heu­ti­gen Ta­ges hübsch und geist­reich ge­nug, um sich be­wun­dern zu las­sen. Das Paar war an­fäng­lich sehr reich, aber der Mann ließ sich durch sei­nen Ge­schäfts­teil­ha­ber be­trü­gen, und ver­lor etwa drei Vier­tel sei­nes Ver­mö­gens. Im­mer­hin blie­ben ih­nen noch jähr­lich drei- bis vier­tau­send Dol­lars, und für zwei klu­ge Leu­te wäre das ge­nug. Jetzt be­sitzt sie wie­der eben­so­viel wie zu­vor, ja noch mehr, so­viel ich weiß.

Hat der Mann al­les wie­der her­ein­ge­bracht?

Das nicht ge­ra­de. Im Jah­re 1882 starb sei­ne un­ver­hei­ra­te­te Schwes­ter und hin­ter­ließ ihm ihr Ver­mö­gen; ein hal­b­es Jahr spä­ter folg­te er ihr ins Grab, und das Geld ver­blieb sei­ner Wit­we.