Der Heuberg schweigt - Josef L. Hecker - E-Book

Der Heuberg schweigt E-Book

Josef L. Hecker

0,0
13,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

"Noch sieben Tage …", so prophezeite die anonyme Drohung. Die beiden toten Bauerntöchter sind also offenbar nicht, wie es zunächst schien, Opfer von Unglücksfällen geworden. Ein mysteriöser Fall, der das Interesse des pensionierten Kommissars Barthelmeß und seiner Nichte Maxi weckt. Sie treten einen Wettlauf gegen die Zeit an, denn ein dritter Brief taucht auf: "Noch sieben Tage …" Wer soll das nächste Opfer des Mörders sein? Josef L. Hecker präsentiert uns hier einen Heimatkrimi der besten Sorte, der nicht nur Spannung bis zum Schluss bringt, sondern uns auch intensiv eintauchen lässt in die Welt des bayerischen Alpenrandes.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


LESEPROBE ZU

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2008

© 2017 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

www.rosenheimer.com

Titelfoto: Johannes Schollwöck, Stephanskirchen am Simssee

eISBN 978-3-475-54671-6 (epub)

Worum geht es im Buch?

Josef L. Hecker

Der Heuberg schweigt

„Noch sieben Tage …“, so prophezeite die anonyme Drohung. Die beiden toten Bauerntöchter sind also offenbar nicht, wie es zunächst schien, Opfer von Unglücksfällen geworden. Ein mysteriöser Fall, der das Interesse des pensionierten Kommissars Barthelmeß und seiner Nichte Maxi weckt. Sie treten einen Wettlauf gegen die Zeit an, denn ein dritter Brief taucht auf: „Noch sieben Tage …“ Wer soll das nächste Opfer des Mörders sein? Josef L. Hecker präsentiert uns hier einen Heimatkrimi der besten Sorte, der nicht nur Spannung bis zum Schluss bringt, sondern uns auch intensiv eintauchen lässt in die Welt des bayerischen Alpenrandes.

1

Kommissar Barthelmeß füllt seine Pfeife langsam und genußvoll mit goldgelbem Tabak. Seine Nichte Maxi sitzt ihm gegenüber und schaut ihm zu. Sie hat eine Vorliebe für den Platz mit dem Rücken zum Fenster. Was auf der Kaiserstraße vor sich geht, interessiert sie nicht, sie richtet ihr Augenmerk lieber auf die Gäste, die zur Tür hereinkommen.

An diesem Vormittag geht es ruhig zu beim Flötzinger, ein paar ältere Bürger sind da und Bauern, die ihre Geschäfte nach Rosenheim geführt haben. Für sie ist es eine Selbstverständlichkeit, daß sie beim Flötzinger einkehren und bei einer Maß Bier den grauen Werktag für eine Stunde vergessen. Für Johann Barthelmeß und seine Nichte ist es an diesem Vormittag auch selbstverständlich, das altgewohnte Stammlokal aufzusuchen. Sie haben fünf Wochen Tirol hinter sich, eine hübsche Sommerreise, die ihnen schon deswegen besonderen Spaß gemacht hat, weil sie mit ihrem Auto nicht wenig Aufsehen und Staunen erregt hatten. Der alte, chromblitzende Opel hatte eben seine Mucken und wenn er auch in seinem glänzenden Lack noch prächtig dastand, so hatte er in letzter Zeit doch immer häufiger Probleme mit seinem technischen Innenleben. So mancher Einheimische spazierte dann genüßlich und mit spöttischem Blick vorbei, wenn Barthelmeß und seine Nichte mit fragenden Gesichtern unter der geöffneten Motorhaube brüteten. Jetzt sind sie zurück und sitzen beim Flötzinger, das ist gewissermaßen das Schönste, an vertrauter Stätte angenehmen Erinnerungen nachzuhängen.

Barthelmeß hat die Pfeife nun gestopft. Maxi brennt ein Streichholz an und reicht es ihm. Über die Flamme hinweg gleitet ihr Blick durch den Raum. Ihre Brauen heben sich unvermittelt. Während er gemächlich die ersten Züge tut, wendet der Kommissar den Kopf. Ein dunkelhaariger Mann, Mitte der Zwanzig, in grauem Sportanzug ist eingetreten. Er steuert auf den Tisch der beiden zu.

„Den Weg nach Hofleiten hätte ich mir sparen können“, bemerkt er, indes er die Hand drückt, die Barthelmeß ihm entgegenstreckt. „Wo anders als beim Flötzinger trifft man Pensionisten und nichtstuende junge Damen an!“

„Vor unserer Tirol-Fahrt hätten Sie mich als nichtstuend bezeichnen können“, sagt Maxi. „Jetzt nicht mehr. In diesen fünf Wochen hab ich täglich wenigstens dreimal unseren Wagen angeschoben oder irgendwelche Kleinigkeiten repariert. Ich könnte es wahrscheinlich jederzeit mit einem Mechanikermeister aufnehmen.“

„Ich verbessere mich und bezeichne Sie als schwerarbeitende junge Dame“, sagt der Mann im Sportanzug und reicht Maxi die Hand. Er hat ein klein wenig Mühe, das Gesicht nicht zu verziehen, so kräftig drückt Maxi seine Rechte. Sie ist noch keine achtzehn und versteht sich nicht nur auf das Reparieren eigenwilliger Automotoren.

„Setzen Sie sich, Herr Mücke“, fordert sie ihn auf, „und rücken Sie mit Ihren Neuigkeiten heraus. Als Kriminalinspektor begeben Sie sich nicht erst nach Hofleiten und dann hierher, bloß um meinen Onkel zu fragen, wie es in Tirol gewesen sei. Sie haben einen Fall! Schießen Sie los!“

„Wenn es ein Fall ist“, läßt Inspektor Mücke verlauten, „dann ist es der geheimnisvollste, mit dem ich je zu tun gehabt habe. Solch einer Sache hat sich noch keiner gegenüber gesehen.“

„Herr Mücke!“ sagt Maxi und rückt ihm unwillkürlich näher. „Darauf haben wir doch nur gewartet! Es war herrlich in Tirol, aber ich will die fünf Wochen auf der Stelle vergessen, wenn Sie uns eine tolle Sache auftischen. So eine, wo die ganze Kripo kopfsteht. Onkel Johann wird damit fertig!“

Sie legt ihre Hand leicht auf den Arm des Inspektors. Er wendet ihr das Gesicht zu und mustert sie unter nachdenklich gefurchten Brauen. Er hat sie schon gekannt, als sie noch mit Burgen und Bleisoldaten gespielt hat. Puppen hat sie auch besessen, aber das andere ist ihr lieber gewesen. Dennoch ist sie nicht unweiblich. Das Gegenteil ist der Fall, obwohl sie das blonde Haar kurz trägt wie ein Gassenbub.

Stefan Mücke bekommt ein Glas Bier hingestellt. Er stößt mit dem Kommissar an, und als er das Glas niedersetzt, greift Maxi wieder nach seinem Arm. Dessen hätte es nicht bedurft. Stefan Mücke hat sich nur deswegen hier eingefunden, um die Dinge loszuwerden, die ihm und Oberinspektor Stettner von der Kriminalaußenstelle unlösbare Rätsel aufgeben. Indes er den Blick einmal auf Barthelmeß und dann wieder auf Maxi richtet, erzählt er, was ihm auf dem Herzen brennt.

„In Nußdorf ist, ungefähr vierzehn Tage bevor Sie zu Ihrer Tiroler Reise aufgebrochen sind, ein junges Mädchen ertrunken. Eine gewisse Mathild Schweighofer. Bauerntochter. Der Hergang der Dinge ist oder scheint recht einfach. Die Schweighofer hat mit ihren Brüdern und ihrer Mutter Heu eingefahren. Es ist mordsheiß gewesen an dem Tag, die Wiese liegt unmittelbar am Bach, und da ist’s dem Mädchen eingefallen, sich ein bißchen zu erfrischen. Das Wasser dort reicht einem noch nicht bis an die Knie. Die Schweighofer Mathild rafft ihren Rock und steigt hinein. Das hat ihre Mutter vom Traktor aus gesehen. Gleich darauf ist die Mathild hinterm Strauchwerk verschwunden, und wie sie nicht wieder zum Vorschein kommt, schauen ihre Brüder nach. Ein genauer Zeitpunkt ist nicht zu ermitteln, es können drei bis fünf Minuten vergangen sein, bis sich einer an den Bach begibt, und der findet seine Schwester im Bach liegend, das Gesicht unter Wasser. Er hat sie herausgeholt und den anderen geschrien. Die Mathild hat sich nicht mehr gerührt. Vielleicht hätten Wiederbelebungsversuche Erfolg gehabt, aber darauf hat sich keiner verstanden, und bis sie den Arzt geholt haben, einen gewissen Reischlinger, ist so viel Zeit vergangen, daß auch die wirksamste Hilfe nichts mehr genutzt hätte. Die Mathild ist also ertrunken. An ihrer linken Schläfe hat man eine leicht blauverfärbte Schwellung festgestellt. Der Doktor hat gesagt, die jähe Abkühlung in dem sehr kalten Wasser habe eine Herzattacke ausgelöst, was glaubhaft ist, da die Mathild ein Jahr zuvor schon wegen Herzbeschwerden in Behandlung war. Sie ist gestürzt, sagt der Doktor, und beim Aufschlagen auf ein Wurzelstück in dem sehr seichten Wasser hat sie sich die Verletzung an der Schläfe zugezogen. Eine an sich unbedeutende Sache, aber die Erschütterung mag eine Bewußtlosigkeit ausgelöst haben, und so ist das Mädchen hilflos ertrunken. Drei Tage später hat man sie begraben.“

Maxi hat etwas ganz anderes erwartet. Ihr Blick ist groß auf den Inspektor gerichtet, als sie sagt: „Wir haben das in der Zeitung gelesen. Es ist als reiner Unglücksfall hingestellt worden. War’s kein Unglücksfall?“

„Die Geschichte hat noch ein Kapitel“, fährt Stefan Mücke fort, ohne die an ihn gerichtete Frage zu beachten. „Das spielt in Flintsbach, einige Zeit nach der Beerdigung der Schweighofer Mathild. In Flintsbach gab es auf dem Lechnerhof eine Tochter namens Anni. Die Anni hat eines Nachmittags in der Scheune zu tun. Sie steigt die Leiter zum Heustock hinauf, die Leiter ist gerutscht, die Anni ist heruntergestürzt und hat sich das Genick gebrochen. Es hat also wiederum eine Tote gegeben.“

„Was haben die beiden Vorgänge miteinander zu tun?“ fragt Maxi und läßt den Mund ein wenig offenstehen.

„Das ergibt sich aus dem dritten und vorläufig letzten Kapitel dieser mysteriösen Geschichte“, antwortet der Inspektor. „Nun kommt das Eigentliche, das Einmalige und Unfaßliche. Die Lechner Anni liegt aufgebahrt in ihrer Kammer, ihre Eltern und Geschwister sind immer noch fassungslos ob des Unglücks, wo doch nie eins von der Leiter gestürzt ist. Die Mutter verrichtet einiges in der Kammer der Toten, dabei macht sie die Schublade vom Nachtkastl auf, und da stößt sie auf einen Briefumschlag mit Trauerrand. Der Umschlag enthält in Blockschrift den Namen ihrer verunglückten Tochter, Fräulein Anni Lechner, Flintsbach am Inn, sogar die Hausnummer ist angegeben. Die Frau stutzt, sie weiß nichts von diesem Brief, einen Brief mit Trauerrand hat sie lange nicht mehr in der Hand gehabt. Sie nimmt aus dem Umschlag eine Briefkarte heraus, auch mit Trauerrand, schaut sie vorn und hinten an und findet weder die Mitteilung von einem Todesfall noch eine Danksagung, wie eigentlich zu erwarten wäre. Die schwarzumrandete Karte enthält nichts weiter als in Blockschrift die Worte: Noch sieben Tage. Dahinter folgen drei Punkte und nach den Punkten ein schwarzes Kreuz, mit Tinte ein bißchen wacklig hingemalt. Und ganz unten steht als Datum der 27. Juni.“

Maxi hat atemlos zugehört. Jetzt kommt, wie von einem Bogen abgeschossen, ihre Frage: „Wann ist die Lechner Anni verunglückt?“

„Am 4. Juli, Sie ahnungsvolles Kind“, sagt der Inspektor. „Sie hat, wie angekündigt, noch genau sieben Tage gelebt, hernach ist sie von der rutschenden Leiter gestürzt.“

„Onkel Johann!“ Maxi greift mit beiden Händen nach dem Arm des Kommissars. „Die Leiter ist bestimmt nicht von selber ins Rutschen gekommen! Was meinst du?“

„Ich meine, unser guter Mücke ist mit seinen Eröffnungen noch nicht zu Ende“, versetzt Barthelmeß und nimmt die Pfeife aus dem Mund. „Er hat seinen Bericht in drei Kapitel eingeteilt. Ich vermisse noch den Bezug des ersten Kapitels zu den beiden folgenden.“

„Den sollen Sie sofort haben“, erklärt Inspektor Mücke. „Die Lechner in Flintsbach haben sich über den Trauerbrief und seinen Inhalt nicht lange den Kopf zerbrochen. Sie wissen ja, wie’s bei den Bauern ist, die Arbeit geht vor. Den Brief haben sie dem Polizisten am Ort gezeigt, dem Brandl Korbi, der hat auch weiter nichts in die Wege geleitet, bloß Reden in der Wirtschaft gehalten, so ist die Sache mit dem Brief langsam unter die Leute gekommen. Zwei Tage später hören die Schweighofer in Nußdorf davon und werden rebellisch, denn sie haben im Zimmer ihrer verunglückten Tochter auch einen Trauerbrief mit genau demselben Inhalt gefunden. Noch sieben Tage. Drei Punkte und ein schwarzes Kreuz, darunter als Datum der 6. Juni. Am 13. Juni, also genau nach sieben Tagen, ist die Schweighofer Mathild im Bach ertrunken.“

Maxi sitzt da, sie hat die Hände mit den gestreckten Fingern auf der Tischdecke liegen, ihr Blick wandert zwischen den beiden Männern hindurch zum Schanktisch und durch die Mauer dahinter in irgendeine geheimnisvolle Ferne. Sie hat zusammen mit ihrem Onkel schon einige Fälle erlebt, in denen sich örtliche und übergeordnete Dienststellen nicht zu helfen wußten, und das Tagebuch ihres Onkels, das seine vierzig Dienstjahre bei der Münchner Kriminalpolizei zum Inhalt hat, kennt sie nahezu auswendig. Es sind Begebenheiten darunter, die eine unglaubliche Raffinesse des Täters sowohl als auch des ihn überführenden Kommissars dartun. Aber so etwas, wie Inspektor Mücke es ihnen eben unterbreitet hat, ist ihr nie zu Ohren gekommen. Trauerbriefe, die einen Tod ankündigen, der dann auf den Tag genau eintritt. Ihre Augen richten sich auf ihren Onkel.

„Ich nehme an, daß man unverzüglich die Gerichtsmediziner bemüht hat“, bemerkt Barthelmeß.

„Das ist geschehen“, bestätigt Mücke. „Der Befund im Fall Anni Lechner hat einwandfrei Tod durch Genickbruch und keinerlei sonstige Einwirkung ergeben. Die Schweighofer Mathild ließ der Staatsanwalt exhumieren. Die Obduktion stellte Tod durch Ertrinken fest. In beiden Fällen nicht der leiseste Hinweis auf eine fremde Hand.“

„Mit Ihrem fehlenden Hinweis auf eine fremde Hand kommen Sie nicht weit“, meint Maxi. „Nehmen Sie die Schweighofer. Die steht erhitzt und ahnungslos im Wasser, in den Händen hält sie ihren Rock, es ist anzunehmen, daß sie auf ihre Füße niederschaut, sie will wissen, wohin sie tritt. Plötzlich versetzt ihr jemand aus dem Gebüsch heraus einen Hieb an die Schläfe. Einen ganz leichten Hieb nur. Sie bricht vor Schreck zusammen. Am Ufer käme sie alsbald wieder zu sich, im Wasser ertrinkt sie. Der Täter verschwindet im Strauchzeug. Die Schwellung an der Schläfe hat sie sich beim Hinfallen zugezogen. Aus! Und in Flintsbach lauert einer in der Scheune. Als die Lechner die Leiter hochsteigt und schon fast oben ist, fünf oder sechs Meter überm Boden, bringt er die Leiter durch einen Ruck ins Rutschen. Das Mädchen stürzt und bricht sich das Genick. Und in beiden Fällen stellt die Obduktion fest: Kein Hinweis auf die Einwirkung einer fremden, besser gesagt, einer mörderischen Hand.“

„Mit der Unzulänglichkeit gewisser Maßnahmen und Methoden findet sich die Polizei bereits ab, seit es eine Polizei gibt“, bemerkt Barthelmeß. Er hat seine Pfeife neu gestopft. Maxi reicht ihm ein brennendes Streichholz. Er nimmt es entgegen und wendet sich an Mücke: „Mich interessieren diese Briefe. Wo sind sie aufgegeben worden? Haben die Empfängerinnen Furcht empfunden? Gibt es einen Hinweis auf den Schreiber der Briefe?“

„Ich will versuchen, diese Fragen nach dem Stand unserer bisherigen Ermittlungen zu beantworten“, sagt Inspektor Mücke. „Die Briefe haben weder Marke noch Stempel enthalten, sie sind also privat abgegeben worden. Den einen hat man im Nachtkästchen, den anderen in der Tasche einer im Kleiderschrank hängenden Schürze gefunden. Der eine war aufgerissen, der andere mit einer Schere aufgeschnitten. Die Mädchen haben um die Briefe und ihren Inhalt also gewußt. Aber sie haben niemandem davon erzählt. Eltern und Geschwister und auch Freundinnen und anderweitig Bekannte haben keinerlei Kenntnis davon gehabt. Es hat ganz den Anschein, daß sich beide nicht geängstigt haben. Das ist irgendwie verständlich. Es sind Bauerntöchter, keine Kinogängerinnen oder Leserinnen von Gruselromanen. Keine hat sich in der Woche vor ihrem Tod anders benommen als sonst. So wird allgemein behauptet. Ein paar Stimmen freilich wollen besagen, ein bißchen anders ist die Anni doch gewesen, etwas scheint sie bedrückt zu haben. Und die Mathild hat am Abend, bevor es passiert ist, fast nichts gegessen und kaum ein Wort geredet. Sagen ihre Geschwister. Ihrer Mutter ist nichts aufgefallen. Insgesamt habe ich den Eindruck, daß sich beide Mädchen durch die Briefe nicht aus der Ruhe bringen ließen. Andernfalls hätten sie kaum geschwiegen und die Briefe, wenn sie schon keine Furcht empfanden, wenigstens den eigenen Leuten gezeigt. Das ist nicht geschehen, und das mutet um so merkwürdiger an, als die Mädchen doch eiskalt bedroht wurden. Tatsächlich sind beide genau sieben Tage nach dem jeweils in den Briefen genannten Datum ums Leben gekommen.“

„Vielleicht ist das gar nicht so merkwürdig“, meint Barthelmeß. „Wir wissen, wie die Dinge weitergegangen sind, und erfassen die Drohung. Die Mädchen haben sie nicht erfaßt, sie haben das Ganze für einen Scherz oder für eine Verwechslung gehalten, jedenfalls für eine Sache, die sie nichts anging. Schleierhaft bleibt freilich, warum keine ein Wort daheim sagt. Warum fragen sie nicht, wie die Briefe in ihre Zimmer gelangt seien? Sie erwähnen die Briefe und ihren rätselhaften Inhalt mit keinem Wort. Und sterben acht Tage später.“

„Ob ihnen durch einen zweiten Brief oder auf andere Weise Schweigen anbefohlen wurde?“ bemerkt der Inspektor.

Der Kommissar schüttelt den Kopf: „In diesem Fall hätten sie sich geängstigt, und ihre Umgebung wäre aufmerksam geworden. Tatsächlich haben die Mädchen, wie Sie ausführten, Ruhe und Stillschweigen bewahrt, und die Briefe sind erst nach ihrem Tod gefunden worden. In keinem Versteck, wie Sie darlegten. Der eine offen im Nachtkästchen, der andere in einer Schürzentasche.“

„Was sagen denn die Leute in den beiden Ortschaften?“ wendet sich Maxi an den Inspektor. „Die Dinge müssen doch eine ziemliche Aufregung hervorgerufen haben?“

„Man kann geradezu von einer Panik sprechen, insbesondere nach der Exhumierung der Schweighofer Mathild“, antwortet Stefan Mücke. „So etwas hat es hierzulande noch nicht gegeben. Auch von schwarzen Briefen mit Kreuz und Todesdatum hat früher nie jemand gehört. Überall sind die Leute durcheinander, auch in Degerndorf und Brannenburg. Aus Neubeuern weiß ich sogar den Namen einer Furchtsamen. Eine Hedwig Stadler. Sie wollte in Nußdorf bei einer gewissen Apollonia Bittner das Nähen erlernen. Nun hat sie abgesagt. So sehr sitzt die Angst in den Leuten, obwohl die Zeitung, das muß ich zu ihrem Lob sagen, in ihren Meldungen sehr zurückhaltend gewesen ist, um die Aufregung nicht noch zu steigern.“

„Und wie sollen die Dinge weitergehen?“ erkundigt sich Barthelmeß.

„Das dürfte mit einiger Sicherheit auch von dir abhängen“, sagt Maxi. „Inspektor Mücke hat dich nur noch nicht förmlich zur Mitarbeit eingeladen.“

„Nun haben Sie mir die Einladung abgenommen“, erklärt Mücke und legt seine Hand flüchtig auf Maxis Arm. Dann wendet er sich an den Kommissar: „Unsere Ermittlungen werden fortgesetzt. Reine Routinefragen da und dort. Was sollen wir auch machen? Ihr Kopf ist unbelastet und hat, so hoffe ich, noch Raum für einen weiterhelfenden Gedanken. Um es klipp und klar zu sagen, unsererseits geschieht kaum etwas. Wir warten auf einen dritten Brief. Wobei wir natürlich hoffen, daß dieser dritte Brief nicht geheimgehalten wird wie seine beiden Vorgänger. Die Zeitung hat das den Leuten deutlich genug ans Herz gelegt. Den Brief gar nicht erst anrühren, sondern liegenlassen, wo er gefunden wird, und sofort die Polizei verständigen. Der Briefschreiber wird das vermutlich auch lesen und sich etwas Neues einfallen lassen, zumindest wird er bemüht sein, uns keine Fingerabdrücke zu liefern.“

Stefan Mücke tut einen Blick auf seine Uhr und steht auf. Sein Blick ist auf den Kommissar gerichtet: „Was werden Sie tun?“

„Wir werden uns zunächst ein ordentliches Mittagessen zu Gemüte führen“, antwortet Barthelmeß und gibt dem Inspektor die Hand.

„Wir können doch jetzt nicht zum Essen heimfahren“, bemerkt Maxi vorwurfsvoll, als der Inspektor gegangen ist. „In Nußdorf und in Flintsbach gibt’s die tollsten Dinge zu ermitteln, und wir vertrödeln die Zeit in Rosenheim.“

„Wer hat denn davon geredet, daß wir zum Essen heimfahren? Meinst du, in Nußdorf bekommen wir nichts?“

2

Eine Stunde später sind sie in Nußdorf.

Der Heuberg wuchtet wie ein stumpfer grüner Kegel vor ihnen auf, im Sonnenlicht grüßt das Weiberl am Backofen von seiner einsamen Höhe herunter. In tiefem Frieden liegt das Dorf, nur ein Traktor brummt und rasselt irgendwo. Kinderlachen klingt aus einem Garten, vom anderen Ortsteil herüber bellt ein Hund. Durch sattes Grün fließt ein Bach, derselbe, der einem blühenden Menschenleben vor wenigen Wochen zum Verhängnis geworden ist. Ein Mühlrad dreht sich, ein altes Rad schon, wie silberne Perlen tropft das Wasser vom morschen Holz.

Ein alter Mann mäht Gras. Er ist barfuß und hemdärmelig und sieht aus wie der Tod von Eding. Mit knöchernen Armen schwingt er die Sense, er kann nicht anders, man sieht’s ihm an, er ist’s von Kind auf gewohnt, die Arme zu regen. Wenn er einmal in der Stube sitzt, hineingekrümmt in den Herrgottswinkel und verurteilt, den Jüngeren bei ihrem Tun zuzusehen, dann dauert’s nicht mehr lang mit ihm. Der Doktor kann sich den Weg zu ihm ersparen, und zum Pfarrer wird er sagen, schau auf meine Händ’, Hochwürden! Wenn der Herrgott meine Händ’ sieht, die abgeschundenen und schwieligen, meinst nicht, daß er dann ein hinters Eckerl in seinem Himmel für mich übrig hat? So einer ist der Alte mit der Sense, Bauernblut in den Adern bis hinauf zum eisgrauen, zerbeutelten Haar.

Der Kommissar hält das Auto an und steigt aus. Er zieht den Hut. Maxi grüßt laut und freundlich. Der alte Mann läßt die Sense nur flüchtig sinken. Zwei Städtische, will ihm scheinen. Die Städtischen haben Zeit zum Herumstehen und zum Herumfahren. Die hat er nicht, aber er erwidert den Gruß und beantwortet ihre Frage.

Zu Fuß legen die beiden die letzte Wegstrecke zurück, dann nähern sie sich dem Anwesen der Schweighofer. Es ist ein schöner Hof mit Blumen auf dem Balkon und an den Fenstern, der Wurzgarten davor verrät eine pflegende Hand, alles wirkt licht und freundlich und ganz und gar ohne Schatten. Und doch ist in diesem Haus ein Brief gefunden worden, ein schwarzumrandeter Brief, der Unglück und Tod bedeutet hat.

Maxi bleibt stehen und schiebt ihre Hand unter den Arm ihres Onkels: „Wenn eins hier steht und das Haus ansieht und den Heuberg und den blauen Himmel, ist’s dann überhaupt vorstellbar, daß es Menschen gibt, die mit solch einem Brief in ein friedliches Haus schleichen und ihn hinlegen, wie ein anderer Gift gegen Ungeziefer hinlegt? Was sind das für Menschen?“

„Es hilft uns nicht weiter, wenn wir darüber nachdenken“, erwidert Johann Barthelmeß. „Wir müssen sie aus dem Dunkeln hervorholen und zur Rechenschaft ziehen. Oder versuchen, ihnen zu helfen, wenn es sich um Kranke handelt.“

„Kranke!“ widersetzt sich Maxi. „Wenn es um Raub und Mord und Gemeinheiten aller Art geht, sind sie ganz schön gesund und leistungsfähig. Vor dem Richter klappen sie zusammen und spielen das erbarmungswürdige Häufchen Elend.“

„Man kann die Dinge nicht in Bausch und Bogen abtun, darum schlage ich vor, wir beschränken uns auf den Fall, den wir vor uns haben. Wir versuchen, die Dinge zu klären, und wenn uns das gelungen ist, machen wir uns Gedanken darüber, mit welcher Art von Mensch wir es bei dem Täter zu tun haben. Einverstanden?“

„Ja, Onkel Johann“, sagt Maxi. „Man wird aber schon vorwegnehmen dürfen, daß ein Mensch, der Todesbriefe in Häuser trägt, ein ganz und gar unerfreulicher Zeitgenosse ist.“

Eine Frau ist aus dem Haus getreten, groß, nicht eben mager, barfuß und ein dunkles Tuch auf dem Kopf. Sie will sich dem Zaun des Wurzgartens zuwenden, an dem einige Tücher hängen, als sie die beiden bemerkt, die sich dem Hause nähern. Sie bleibt stehen und sieht ihnen entgegen. Ihre Mienen wirken kalt und verschlossen.

„Frau Schweighofer?“ fragt der Kommissar, und als die Frau nickt, fährt er fort: „Mein Name ist Barthelmeß. Ich möchte ein paar Fragen an Sie stellen.“

„Wegen der Mathild?“ sagt die Frau, und gleichzeitig rinnen ihr die Tränen über die Wangen. Sie wischt mit dem Handrücken über ihr Gesicht. Und Maxi wundert sich wieder einmal. Die vierzig Jahre bei der Münchner Kriminalpolizei müssen irgendeine Wirkung auf die Leute ausüben. Immer noch ausüben. Kaum jemals ergeht an ihren Onkel die Frage, wieso er dazu käme, Auskünfte einzuholen. Vielleicht liegt’s in seinem Wesen und in seinem Auftreten, vielleicht in seinen Augen und in seiner gelassenen Stimme, er stößt kaum je auf Widerstand. Auch hier nicht. Die Schweighoferin nickt nur und tupft wieder Tränen aus ihrem Gesicht.

„Wenn’s Ihnen nichts ausmacht, möcht ich mir zunächst das Zimmer Ihrer Tochter ansehen.“

Die Frau nickt wieder und geht voran ins Haus. Barthelmeß und Maxi folgen ihr. Im Hausflur taucht der Bauer auf, ein mittelgroßer Mann mit finsterer Miene und zottigem Haar. Die rechte Schulter liegt merklich tiefer, vielleicht ist es angeboren, vielleicht kommt es vom Säcketragen. Er knurrt seine Frau an. Die dreht sich um und deutet auf den Kommissar. Der sagt: „Kommissar Barthelmeß“ und streckt dem Mann die Hand hin. Schweighofer beißt und schluckt, dann ergreift er stumm die Hand. Die Frau öffnet eine Tür.

Das ist das Zimmer, eigentlich ist es nur eine Kammer mit einem Fenster. Das Bett steht an der Längswand seitlich vom Fenster, ein paar Kleider liegen darauf. Am Fußende des Bettes ein Kleiderschrank, bemalt mit Rosen und Nelken und viel grünem Gerank. An der Wand gegenüber eine Kommode, ein kleiner Tisch, auf dem eine Vase mit eingetrockneten Wiesenblumen steht. Drei Bilder sind an den Wänden angebracht, eins zeigt einen Wasserfall, das zweite ein Mühlrad, auch mit gischendem Wasser, das dritte einen Bergsee. Die Frau ist vor dem Bett stehengeblieben. Sie nimmt eins der dort liegenden Kleider in die Hand und weint haltlos.

„Wann haben Sie den Brief gefunden?“ fragt Barthelmeß.

„Am Tag, an dem ’s passiert ist“, kommt die Antwort von der Tür her. Ein junger Bursche steht dort, vielleicht siebzehn Jahre alt, ein netter Kerl mit lockigem dunklem Haar. Seine Stiefel sind naß und voller Grasreste.

„Ein Sohn?“ erkundigt sich Barthelmeß.

„Der Sepp“, sagt die Frau und nickt, und der Bursche fährt fort: „D’ Mutter hat den Brief aus ’m Schrank raus.“

„Du warst ja gar nicht dabei“, wehrt die Schweighoferin ab. „Die Gamaschen-Berta hat der Mathild ’s Sterbekleid angezogen und hat s’ aufgebahrt, in dem Bett da, und ich hab ein Trumm im Schrank g’sucht. Der Jakl ist dabei gewesen, unser Jüngster, der hat auf einmal g’sagt, was steckt denn da für ein Brief in dem Schurz drin? Und er hat ’n raus aus dem Schurz. Auf dem Papier hat’s nur geheißen, noch sieben Tage, und unten ist ein Datum gestanden. Der Jakl hat sich weiter nichts gedacht und ich auch nicht. Sie wissen ja, wie’s bei uns ist auf’m Land. Der Jakl und der Vater haben wieder in den Stall müssen, unser’ Sterndlkuh hat gekalbt, und auf mich hat der Kramer Vinzenz von Erl in der Küch gewartet. Zum Nachdenken und Sinnieren kommt unsereins nicht. Die Gamaschen-Berta hat d’ Mathild im Bett hergerichtet, Blumen hat s’ ihr ins Haar gesteckt und gestreichelt hat sie s’, wenn’s auch bloß zum Schein war, sie hat d’ Mathild nicht mögen.“

„Wer ist die Gamaschen-Berta?“ erkundigt sich Barthelmeß.

„Kennen S’ die nicht?“ sagt der Sepp, „’s Leichenweib. Die sagt ein, wenn eins stirbt, und herrichten tut s’ die Toten auch. Sie heißt Rankl Berta, aber d’ Leut sagen nur Gamaschen-Berta, weil s’ nach dem Krieg von einem gefangenen Franzosen Wickelgamaschen gekriegt hat. Die zieht s’ heut noch im Winter an.“

„Warum soll die Gamaschen-Berta nicht gut auf Ihre Tochter zu sprechen gewesen sein?“

Die Frau hebt die Schultern. „Sie hat was gegen d’ Mathild gehabt.“

„Aber erst, seit d’ Mathild den Kandlinger Vitus sausen lassen hat“, erklärt der Sepp.

„Red doch keinen Schmarrn!“ verweist die Schweighoferin ihren Buben. „Was geht’s d’ Berta an, ob’s unsere Mathild mit dem Kandlinger oder mit sonst einem g’habt hat!“

„Wer ist Kandlinger?“ fragt der Kommissar.

„Mit dem war doch überhaupt nichts“, ereifert sich die Frau. „Er hat ihr schön getan, und sie hat sich’s gefallen lassen, vielleicht vierzehn Tag lang, bis s’ draufgekommen ist, daß ihm andere auch nicht gleichgültig gewesen sind, da hat s’ ihn marschieren lassen. Er wär auch viel zu alt gewesen für sie, bald dreißig. Beim Losch hat er sich einquartiert, schon vor einem Jahr. Der Losch ist ein Wirt und Viehhändler, und der Kandlinger hilft ihm beim Handel. Ist immer unterwegs.“

„Es bestand also kein ernsthaftes Verhältnis zwischen Ihrer Tochter und ihm?“

„Keine Spur. Sie ist halt stehengeblieben, wenn er s’ angeredet hat, und hat sich von ihm erzählen lassen, daß s’ schöne Augen hat und Grüberl in den Wangen. Bis s’ ihn gestampert hat. Ihm hat’s nichts ausgemacht und ihr schon zweimal nicht.“

„Aber d’ Gamaschen-Berta hat unsere Mathild auf der Straße ein dummes Frauenzimmer und eine überspannte Gans geheißen“, mischt sich Sepp wieder ins Gespräch.

„Könnt das mit dem Kandlinger zusammenhängen?

„Mit was denn sonst?“ sagt die Frau. „Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, was die Gamaschen-Berta das angeht. Vielleicht war s’ auf ein Kuppelgeld aus. Hat ein paarmal zur Mathild gesagt, der Kandlinger, das wär einer, der Geld mitbringt. Ist aber nicht so aus mit seinem Geld. Was er einnimmt auf seinen Handelsfahrten, das verhaut er wieder.“

„Und nun weiter mit dem Brief“, sagt Barthelmeß. „Was haben Sie damit angefangen?“

„Was soll ich damit angefangen haben? Mir war der Kopf voll. Die Tote liegt da, ’s Leichenweib hantiert in der Kammer, im Stall gibt’s ein Kalb, keiner kümmert sich darum, der Mann lehnt am Türstock und rührt sich nicht, die Buben rühr’n sich nicht, jedes steht da wie vom Blitz g’streift. Ich hab den Brief wieder in den Schurz hineingesteckt, und d’ Arbeit ist weitergegangen. Kein Mensch hat mehr an das Schreiberts denkt, bis bald vier Wochen später beim Lechner in Flintsbach auch so ein Brief gefunden worden ist. Wär g’scheiter gewesen, ich hätt von dem unsern nichts g’sagt.“

„Warum?“

„Ausgegraben haben sie s’! Keine Ruh hat s’ gehabt im Friedhof. Die ist nicht natürlich gestorben, haben s’ gesagt, und d’ Lunge haben s’ ihr herausgeschnitten und was weiß ich, und dann haben s’ gesagt, sie ist doch natürlich gestorben. Alles wegen dem dummen Brief.“

„Haben Sie eine Ahnung, auf welche Art und Weise der Brief ins Haus gekommen ist? Marke war keine drauf, also hat ihn nicht die Post, sondern sonst jemand ins Haus gebracht. Wer?“

„Kann ich mir nicht vorstellen.“

„Aber die Mathild hat den Brief gelesen?“

„Natürlich hat s’ ihn gelesen. Mir wär’s nicht aufgefallen, aber der Jakl hat g’sagt, schau her, wie schlampig s’ den Umschlag aufgerissen hat. Eine Haarnadel hätt s’ wenigstens benützen können.“

„Das könnte ein Anhaltspunkt sein“, läßt der Kommissar verlauten. „Sie hat den Inhalt des Briefes also zur Kenntnis genommen. Eigentlich hätte sie zu ihren Angehörigen laufen und sagen müssen, schaut her, das find ich grad in meinem Zimmer. Noch sieben Tage. Drei Punkte, ein schwarzes Kreuz, darunter ein Datum. Was bedeutet das? Wer hat den Brief in mein Zimmer gelegt? Hat sie nicht so oder so ähnlich gesagt?“

Die Schweighoferin schüttelt den Kopf.

„Herr Schweighofer!“

„Zu mir hat s’ nichts g’sagt.“ Es ist das erste Mal, daß der Mann den Mund auftut. Er beißt und schluckt wieder. Im Stall und auf dem Feld fühlt er sich wohler als diesem fremden Kommissar gegenüber.

„Sepp!“

„Nichts hat s’ g’sagt“, erklärt der Bub. „Kein Wörtl. Der Brief war ihr wurst, sonst hätt’ s’ geredet. Sie hat’s mir voriges Jahr ja auch g’sagt, wie s’ mit dem Goldbrunner Jakob aufgehört hat.“

„Jetzt kommst mit dem Krampf auch noch daher!“ schimpft die Schweighoferin. „Mit dem Goldbrunner war nichts. Ich hätt mich schön bedankt. Der Goldbrunner ist kein Bauer. Der liest lieber Romanheftl und läßt seine Mutter und seine Geschwister werkeln. D’ Mathild hat ein paarmal mit ihm getanzt, das war alles.“

„Ist dieser Goldbrunner ein Einheimischer?“

„Er gehört zur Nachbarschaft. Der nächste auf unserer Seite ist der Siffi, gegenüber ist der Goldbrunner.“

„Siffi?“ wiederholt Maxi und schaut die Frau an.

Die nickt. „Ein gspaßiger Name, aber ganz patente Leut, bis auf die Älteste, die Michaela. Die lernt grad ’s Nähen bei der Apollonia Bittner. Andere lernen’s auch und richten und flicken zusammen, was daheim anfällt. D’ Siffi Michaela ist nur an Kleidern interessiert, an so Fetzen, wie sie s’ in der Stadt anhaben. Unsere Mathild ist auch zur Bittnerin gegangen, zwei- oder dreimal in der Woche, wie s’ halt Zeit gehabt hat. Das Gewand da“, die Frau macht den Schrank auf und zeigt auf ein helles Kleid, „hat s’ in der Woche, bevor’s passiert ist, noch bei der Bittnerin gemacht. Bis auf die Knopflöcher ist s’ damit fertig geworden. Die Knopflöcher hat die Bittnerin genäht oder nähen lassen, dann hat s’ das Kleid gebracht, grad wie die Gamaschen-Berta d’ Mathild im Bett hergerichtet hat. Ich darf nicht dran denken.“

„Da sind so viele unbegreifliche Dinge“, bemerkt der Kommissar. „Ein ganz und gar ungewöhnlicher Brief wird ins Haus geschmuggelt, und kein Mensch denkt sich etwas dabei. Ist die Mathild auch am letzten Tag nicht irgendwie anders gewesen?“

Die Schweighoferin schüttelt stumm den Kopf.

Sie wollen wissen, wie es weitergeht?Dann laden Sie sich noch heute das komplette E-Book herunter!

Besuchen Sie uns im Internet:www.rosenheimer.com