Der Hummer war schon tot - Sissy Scheible - E-Book

Der Hummer war schon tot E-Book

Sissy Scheible

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Beschreibung

Christina Blume ist unter ihrem Pseudonym "Tina Christie" eine erfolgreiche Krimiautorin. Doch nun hat sie ein Problem. Der Verlag drängt auf ein neues Buch, aber sie hat eine Schreibblockade. Um ihren Kopf freizubekommen, fliegt sie mit ihrer Freundin Marcella in den Urlaub nach Kuba. Doch der Plan, zwei Wochen lang nicht mehr an Mord und Totschlag zu denken, scheitert, als die beiden Frauen am Strand eine Leiche entdecken. Die Polizei geht von einem tragischen Unfall aus. Christina hingegen ist sich sicher, dass es sich um einen Mord handelt und begibt sich auf Spurensuche. Ein humorvoller Krimi, der zugleich Frauenroman und Reisebuch ist.

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Seitenzahl: 288

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Prolog

Das hatten wir davon, dass wir unbedingt den billigsten Flug buchen mussten. Hätten wir doch wenigstens die Businessclass genommen! Aber wir konnten diesen tollen Preisvergleichsseiten im Internet ja einfach nicht widerstehen. Und schließlich wollten wir nicht die Doofen aus der Werbung sein, die ihren Platz teurer bezahlt hatten als der Sitznachbar. Aber kaum waren wir, meine Freundin Marcella und ich, ins Flugzeug eingestiegen, da offenbarte sich uns auch schon, weshalb die Plätze 17A und 17C so unschlagbar günstig gewesen waren. Das war alles so typisch für mich und mein Leben!

Aber halt! Ich habe vergessen, mich vorzustellen. Mein Name ist Tina Christie, ich bin 32 Jahre alt und erfolgreiche Kriminalautorin.

Okay, ich gestehe, mein eigentlicher Name ist Christina Blume. Aber seien wir doch mal ehrlich, mit dem Namen könnte ich bestenfalls ein paar billige Kitschromane verkaufen. Da ich aber nie das Bedürfnis verspürt habe, über liebestolle Bergdoktoren oder heißblütige Latinos zu schreiben, wurde es bei mir dann doch lieber Mord und Totschlag.

Anfangs war es für mich nur ein Hobby. Ich war nach meinem Germanistikstudium kurzzeitig arbeitssuchend. Okay, ja, ich war schon seit über einem Jahr arbeitssuchend und langsam fiel mir die Decke auf den Kopf. Meine Wohnung in meinem Studienort Bayreuth hatte gerade mal 22 Quadratmeter. Neben einer Küchenzeile, einem winzigen Bad, einem Bett, einem Fernseher und meinem Kleiderschrank, passte dort nicht mehr viel hinein, so dass ich nicht einmal einen richtigen Computer besaß, sondern nur einen kleinen, alten Laptop.

Sich die Zeit mit dem alten Kasten im Internet zu vertreiben, war damals noch sehr umständlich. Ich musste immer ein Kabel einstecken und mich dann erst ins Internet einwählen. Ich habe heute noch das fiepende Geräusch in den Ohren, wenn ich daran zurückdenke.

Während andere ihre freie Zeit wohl damit genutzt hätten, nach draußen zu gehen und aktiv zu sein, verschanzte ich mich lieber in meiner Minibude. Es war tiefster Winter, da hätten mich keine zehn Pferde nach draußen gebracht. Sport machte ich grundsätzlich keinen und schon gar nicht bei Eis und Schnee.

Das Einkaufszentrum in Bayreuth kannte ich bereits auswendig. Zudem war es viel zu deprimierend, dort bummeln zu gehen, da ich mir von meinem Arbeitslosengeld kaum etwas leisten konnte.

Meine Studienfreunde hatten Bayreuth bereits in alle Windrichtungen verlassen. Sie hatten tolle Jobs in großen Städten wie München, Berlin oder Hamburg angenommen. Nur ich war noch immer dort und fragte mich, was ich mit meinem Leben anfangen sollte.

Ich fand einfach keinen Job, der zu mir passte. Zudem hatte ich mir eingebildet, in der Region bleiben zu wollen. Aber Oberfranken hatte Germanisten zu wenig zu bieten. Die einzige Möglichkeit wäre gewesen, weiter an der Uni zu bleiben, meinen Doktor zu machen und dann eine neue Generation angehender Arbeitsloser zu unterrichten. Aber selbst wenn ich gewollt hätte, so war die Note meiner Magisterarbeit mit einer Drei zu schlecht, als dass die mich an der Uni genommen hätten.

So saß ich also in meiner kleinen Wohnung. Ich hatte gerade zum x-ten Mal „Mord im Pfarrhaus“, einen Krimi von Agatha Christie zu Ende gelesen. Ich liebte die Hauptfigur, die schrullige, alte Miss Marple einfach so sehr, dass ich die Bücher immer wieder lesen musste. Doch wie immer nach der Lektüre, begann ich im Selbstmitleid zu versinken.

Ach wenn ich doch auch nur so schreiben könnte, wie Agatha Christie. Wenn mir doch auch nur eine so tolle und einzigartige Figur einfallen würden, nach der sich die Leser verzehren. Ach wenn, ach wenn, ach wenn …

Aber warum eigentlich nicht? Ich weiß nicht, ob die dicken, herumwirbelnden Schneeflocken, die heiße Schokolade in meinen Händen oder irgendetwas anderes der Auslöser war, aber plötzlich überkam mich ein Gefühl der Zuversicht. Ich war immerhin eine Magistra Artium. Als solche sollte ich doch ein einigermaßen lesbares Buch zustande bringen.

Aus der plötzlichen Idee wurde Ernst. Ich schnappte mir meinen Laptop und geriet in eine regelrechte Schreibwut, die nicht nur an diesem Tag, sondern über Wochen anhielt. Ich meldete mich nicht mehr bei meinen Freunden und auch nicht bei meiner Familie. Ich vergaß die Welt um mich völlig.

Exakt drei Monate später war mein erster Großstadtkrimi, mit meiner Heldin, der indischen Taxifahrerin Sunita geboren. Diese tat es natürlich Miss Marple gleich und steckte ihre Nase in allerlei Angelegenheiten, die sie eigentlich nichts angingen.

Mit diesem Buch hatte meine Pechsträhne ein Ende. Ich fand schnell einen Verlag, der meine Bücher tatsächlich drucken wollte. Nur musste ich meinen Lebenslauf ein klein wenig beschönigen. Niemand hätte einem aus Oberfranken stammenden Landei wie mir einen Krimi abgekauft, der in Berlin spielt.

Um ehrlich zu sein, ich weiß auch nicht so genau, warum ich das als den Hauptort meiner Krimis ausgesucht habe. Ich hasse Großstädte! Vielleicht ja einfach nur deshalb, weil Morde dort öfter geschehen, als in Bayreuth und ich meine Figuren dort sehr breit gestreut ansetzen konnte?

Jedenfalls musste mit dem neuen Lebenslauf auch ein neuer Name her und zu Ehren meines großen Vorbildes nannte ich mich dann Tina Christie.

Meine Stammleser werden sich nun Fragen, warum nicht unsere beliebte Heldin Sunita, mit ihrem kastanienbraunen Haar und ihren Rehaugen,nun in dem Flugzeug sitzt, sondern ich, die leicht pummelige Landpomeranze mit den straßenköterblonden Haaren, die zudem zu Spliss neigen. Immerhin hat sie mir insgesamt acht Platzierungen in der Spiegel-Bestsellerliste verschafft.

Aber eben da liegt das Problem. Meine große Leserschaft fordert jährlich von mir ein neues Buch ein. Sie wollen wissen, wie es mit ihrer Heldin weitergeht, und das immer möglichst schnell. Doch nach acht von Sunita aufgeklärten Kriminalfällen, vom rätselhaften Diebstahl des Pergamonaltars bis hin zu einem Mord mitten in einer Bundestagssitzung, war mir irgendwie die Luft ausgegangen. Mir wollte kein neues Verbrechen einfallen, dessen die taffe Taxifahrerin sich annehmen konnte.

Kurz gesagt: Ich hatte eine Schreibblockade.

Meinem Verlag gefiel das natürlich gar nicht, so dass ich auch noch von meiner Lektorin Druck bekam. Ich fuhr also mal wieder zur Recherche nach Berlin, in der Hoffnung, dass ich dort einen guten Einfall hätte.

Dankenswerterweise durfte ich jedes Mal, wenn ich in die Abgründe der Hauptstadt eintauchen musste, wieder bei meiner Freundin Marcella übernachten. Sie hatte mir auch schon oft mit Rat und Tat zur Seite gestanden, insbesondere was die Eigenheiten des typischen Berliners angeht.

Marcella hat auch in Bayreuth studiert, obwohl sie ursprünglich aus Berlin stammt. Sie hatte die Großstadt damals satt und hatte nach einem beschaulicheren Studienort gesucht. Den hatte sie in der Wagnerstadt definitiv gefunden.

Wir hatten uns in einem Seminar über Franz Kafka kennengelernt, mit einem Dozenten, der selbst ein wenig kafkaesk wirkte. Nach einer heißen Diskussion darüber, ob Kafka nun einen Vaterkomplex hatte, oder nicht, wussten wir, dass wir dafür gemacht waren, beste Freundinnen zu sein.

Selbst als Marcella nach dem Studium zurück nach Berlin ging, blieben wir weiter in enger Verbindung. Sie hatte dort einen Job in einer Werbeagentur angenommen. Vor meiner Autorenkarriere hatte sie immer wieder versucht, mich auch nach Berlin zu holen, doch die Stadt war mir einfach zu groß. Auf die Dauer hätte ich mich dort nie wohl gefühlt. Ich bin und bleibe eben ein Landkind.

Jedenfalls war ich nun mit meiner Schreibblockade wieder bei ihr zu Besuch. Wir tranken gemütlich eine Flasche Wein auf ihrem Balkon und ich verkniff es mir mal wieder einen bissigen Kommentar über die Stadtluft vom Stapel zu lassen. Aber mal ehrlich, wie konnte man nur jeden Tag so einen Smog einantmen, ohne sich eine ernsthafte Vergiftung zuzuziehen?

Irgendwann begann ich ihr lallend von meinem Problem zu erzählen, dass mir einfach nichts mehr für meine Romane einfiel. Dass ich, egal wo ich war, nur noch nach potenziellen Mordopfern Ausschau hielt und einfach nicht mehr wusste, wo mir der Kopf stand. Ich hatte das Gefühl, meine Heldin Sunita war tot.

Marcella hörte sich geschlagene 1,5 Stunden mein Gejammer an, ehe sie dann mit der entscheidenden Lösung daher kam.

„Du musst aufhören, an Kriminalfälle zu denken.“

Ich meinte erst nicht richtig zu hören, doch nach einer längeren Diskussion waren wir uns einig, dass ich einfach mal abschalten musste.

Doch wie sollte ich das machen? Zwar lebte ich inzwischen in einer schönen, großen Vierzimmerwohnung direkt neben dem Bayreuther Stadtpark, aber an meiner privaten Situation hatte sich nichts geändert.

Ich war mit meinen 32 Jahren immer noch Single. Obwohl ich nach einer festen Beziehung suchte, hatte ich das Talent, immer an die falschen Männer zu geraten. Von notorischen Fremdgängern bis hin zu Männern mit sehr eigenartigen Vorlieben (Ich war schon immer der Meinung, dass Gurken zum Essen da sind und nur dafür!), ich hatte alles schon durch. Länger als acht Wochen hatte eine Beziehung bei mir noch nie gehalten. Und so saß ich meist alleine in meinen 90 Quadratmetern.

Ohne das Schreiben und ohne meine Whirlpoolbadewanne, die der einzige Luxus war, den ich mir von meinem Autorennverdienst bislang gegönnt hatte, wäre mir auch dort schon die Decke auf den Kopf gefallen. Wie also sollte ich mich alleine in meinen vier Wänden vom Schreiben ablenken?

Doch auch dafür hatte Marcella schon eine Lösung parat. Da sie ohnehin noch einige Wochen Urlaub übrig hatte, schlug sie vor, dass wir gemeinsam verreisen könnten. Und da wir gerade eine CD vom Buena Vista Social Club eingelegt hatten, fiel uns als Reiseziel gleich Kuba ein. Sturzbetrunken wie wir waren, setzten wir uns gleich an Marcellas Computer, wo wir dank High Speed Internet in kürzester Zeit unsere Reise zusammengestellt hatten.

Es sollte nach Varadero gehen, dem beliebtesten Badeort auf ganz Kuba. Da wir uns in ein irre teures Hotel verliebt hatten, musste am Flug gespart werden, meinten wir zumindest.

Was als eine Schnaps- oder beziehungsweise Weinidee begann, wurde mit dem Klicken auf den Buchungsbutton ernst. Und so saß ich nun mit meiner besten Freundin in einem Billigflieger, dessen Fluggesellschaft ich wohl besser nicht nennen sollte, in Richtung Kuba.

Und genau dort, auf den Plätzen 17 A und 17C, begann die Geschichte, über die ich euch in diesem Roman berichten will. Sie ist mir wirklich so passiert, weshalb ich sie nicht meiner fiktiven Romanheldin andichten möchte. Sie ist aber mindestens genauso spannend, weshalb ich hoffe, dass Sunitas Leser auch daran ihre Freude finden werden.

Mir selbst kommt es ein wenig merkwürdig vor, zur Heldin meines eigenen Romans geworden zu sein. Mal sehen, wie ich mich darin schlagen werde.

Kapitel 1

Vielleicht fange ich mit meiner Erzählung doch ein bisschen weiter vorne an. Marcella und ich hatten uns für einen Direktflug nach Kuba entschieden. Es gibt nichts Schlimmeres, als stundenlang in einem abgeriegelten Flughafenbereich auf den Weiterflug zu warten. Dafür nahmen wir es auch in Kauf, mit dem Zug bis nach Frankfurt zu fahren, um dann von dort aus abzuheben.

Marcella reiste von Berlin aus an, ich von Bayreuth. Ich hatte meine schönsten Sommersachen eingepackt und freute mich, diese benutzen zu können, während in Deutschland noch nicht einmal der Frühling richtig begonnen hatte. Es war zwar schon Anfang Mai, jedoch hatte es in der vergangenen Woche sogar noch einmal geschneit. Also galt für uns: Nichts wie weg!

Der Flughafen Frankfurt ist für Reisende perfekt ausgelegt. Er hat sogar einen eigenen ICE-Halt. An diesem kam ich viel zu früh an. Ich war nicht sicher gewesen, ob ich mit dem späteren Zug rechtzeitig angekommen wäre. Deshalb nahm ich den früheren ICE und musste geschlagene zwei Stunden auf Marcellas Ankunft warten.

In dieser Zeit hatte ich bereits aus lauter Langeweile ein Eis, einen Hot Dog und ein Stück Kuchen verputzt. Ich musste wirklich mein Essensverhalten mehr unter Kontrolle bringen, wenn ich nicht aufgehen wollte wie eine Dampfnudel. Aber erst nach dem Urlaub, sagte ich mir, denn in unserem Hotel gab es gleich vier À-la-carte-Restaurants, die ich mir alle nicht entgehen lassen wollte.

Ich hätte statt dem Bikini vielleicht doch lieber den Bauchweg-Badeanzug einpacken sollen, den ich für satte 49,90€ beim Teleshopping erstanden hatte, nur um ihn dann nie zu tragen. Ob es hier auf dem Flughafen wohl auch ein Bademodengeschäft gab? Aber noch ehe ich die Zeit hatte, danach zu suchen, rief eine Stimme hinter mir:

„Tina, hier bin ich!“

Marcella eilte mit einem schweren Koffer im Schlepptau in Stöckelschuhen auf mich zu.

„Was machst du denn schon hier? Ich dachte, dein Zug kommt erst in einer halben Stunde?“, fragte ich sie, während wir uns zur Begrüßung umarmten.

„Ich war mir nicht sicher, ob der Zug nicht vielleicht doch Verspätung haben könnte. Ich habe dann doch lieber den um 6.30Uhr genommen. Jetzt renne ich mir hier seit mehr als einer Stunde von Geschäft zu Geschäft die Füße wund, weil ich dachte, ich müsste noch auf dich warten. Aber wie ich sehe, bist du auch eher hier!“

Das war wieder einmal typisch für uns beide. Keine von uns war auf die Idee gekommen, der anderen Bescheid zu geben, dass sie schon eher am Flughafen ist. Das ist schon seltsam, wenn man zu spät kommt, gibt man immer Bescheid, aber nur selten, wenn man zu früh dran ist.

Auch wenn wir uns nun gefunden hatten, so waren es trotzdem noch gute zwei Stunden bis zum Flug. Immerhin hatte der Schalter zum Einchecken schon geöffnet, so dass wir unsere Koffer loswurden.

Zu zweit verging die Zeit viel schneller, so dass es nach noch einem Kaffee und zwei Toilettengängen auch schon Zeit für die Passkontrollen, den Körperscanner und letztlich für das Boarding war.

Es war unglaublich, wie viele Flugzeuge an diesem Flughafen an einem Tag abgefertigt wurden. Wir waren uns sicher, dass unseres recht groß sein musste, immerhin musste es einen Langstreckenflug von elf Stunden bewältigen. Doch letztlich war es genauso groß wie die Maschinen, mit denen ich auch schon kürzere Strecken, zum Beispiel nach Mallorca, geflogen war.

Vom Terminalfenster aus begutachteten wir den Flieger zuerst, bevor wir einstiegen. Er sah nicht allzu vertrauenserweckend aus. In großer, roter Farbe war der Name der Fluggesellschaft auf die Seiten geschrieben, nennen wir sie hier einfach mal Billigfly. Der Untergrund war wohl irgendwann einmal weiß gewesen, war nun aber eher mit schmutziggelb zu beschreiben. Und waren das etwa Rostflecken, die ich da an den Tragflächen sah? Durfte das sein?

In mir stieg Panik auf. Ich konnte doch nicht in ein Flugzeug steigen, das schon rostete! Wieso sah mein Flieger nicht so neu und topmodern aus, wie all die anderen Flugzeuge hier?

Marcella sah mir meine Panik an. Sie kannte das schon, denn ich hatte vor vielen Sachen Angst. Das fing bei einigen Tierarten an, zum Beispiel Zecken, die immerhin eine Hirnhautentzündung übertragen konnten, und Katzen, gegen die ich schwer allergisch war. Ich fürchtete mich aber auch vor anderen, banalen Dingen, wie zum Beispiel Autobahnen.

Meine Autofahrkünste waren eher schlecht als recht. Musste ich auf der Autobahn fahren, fuhr ich kaum schneller als 100 km/h. Natürlich wurde ich dann ständig von heranrasenden Audi- oder BMW-Fahrern bedrängt. Aber hey, selbst langsam fahrende Fiats hatten das Recht, einen Lastwagen zu überholen, auch wenn sich dieser beinahe schneller bewegte als das eigene Auto.

Jedenfalls mied ich Autobahnen deshalb lieber und die meisten mieden es auch Beifahrer zu sein, wenn ich dort fuhr.

So, was war denn noch auf meiner langen Liste von Ängsten … Natürlich Gewitter, aber welche Frau fürchtete sich nicht davor? Ach und ich habe Angst vor allem, was mit dem Tod zu tun hat. Deshalb meide ich von jeher alte Menschen, Seniorenheime und Krankenhäuser.

Ja, das mag komisch erscheinen, vor allem für jemanden, der in seinen Büchern regelmäßig über barbarisch entstellte Leichen schreibt. Aber ich bin nicht gerne mit dem Gedanken meiner eigenen Vergänglichkeit konfrontiert. Mit dem Tod kann ich mich nur in meinen Büchern auseinandersetzten, und auch nur deshalb, weil ich weiß, dass meine Morde alle erfunden sind.

Jedenfalls sah mir dieses Flugzeug schon sehr nach Tod aus. Wieso fiel mir immer erst am Flughafen wieder ein, dass ich auch ein zwiespältiges Verhältnis zu Flugzeugen hatte? Ich liebte diese Maschinen dafür, dass sie mich überall hinbringen konnten, wo ich wollte, aber es war mir noch immer suspekt, wie diese schweren Teile sich in der Luft halten konnten. Und wenn dann auch noch Rostflecken darauf waren …

„Augen zu und durch!“, beruhigte mich Marcella. „Du wirst sehen, von innen schaut das gleich ganz anders aus!“

Ich hoffte sehr, dass sie Recht hatte. Doch zunächst galt es erst einmal, durch den langen, tunnelartigen Gang in das Flugzeug zu gehen. Jetzt mal im Ernst, da bekommt doch jeder so einen kleinen klaustrophobischen Moment, oder? Wenn man diesen Tunnel erst einmal betreten hatte, dann würde man erst wieder festen Boden unter den Füßen haben, wenn man gelandet war. Und in meinem Fall lagen dazwischen satte elf Stunden.

Hätten wir doch nur nicht dieser Weinlaune nachgegeben oder uns zumindest ein näheres Urlaubsziel gesucht, schimpfte ich mich selbst. Wenn wir abstürzten, dann würden meine Leser auch keinen neuen Großstadtkrimi mehr von mir bekommen. Ich konnte also genauso gut lieber auf festem Boden bleiben.

Kaum hatten wir dann das Flugzeug betreten, legte sich meine Furcht. Marcella hatte Recht. Es sah hier innen tatsächlich viel besser aus. Es gab große, schalenartige Sitze mit sehr viel Beinfreiheit. Zu jedem Sitz gehörte ein eigener Touchbildschirm, der in der Kopflehne des jeweils vorderen Sitzes verbaut war. Kuschelige Decken waren ausgelegt und die Stewardessen standen mit einem Glas Sekt bereit.

Vielleicht konnte ich diesen Flug ja doch ganz locker überstehen, freute ich mich. Doch wie sich schnell herausstellte, war der Sekt nicht für uns. Die Stewardess kontrollierte unsere Bordkarte und verwies uns dann auf Plätze, die hinter einem Vorhang lagen. Die kuscheligen Schalensitze und der Begrüßungssekt seien nur für Gäste der First Class, meinte sie zu uns und schenkte uns einen Blick des Bedauerns.

Na gut, sollten die dämlichen Mehrbezahler doch ihren Sekt haben, dachte ich mir. Deshalb würden sie dennoch genauso lang in dieser Rostlaube sitzen wie ich!

Doch als wir durch den Vorhang gingen, wusste ich, dass es besser gewesen wäre, auch zu den Mehrbezahlern zu gehören. Nicht nur, dass hier nur die typischen, unbequemen Flugzeugsitze waren, nein, die Sitzreihen waren auch so eng zusammengequetscht, als wäre dies kein großes Flugzeug, sondern eine Sardinendose. Statt kuscheligen Decken fand sich nur ein schäbiges kleines Kissen mit dem Firmenlogo auf den Plätzen.

Wie sollte ich mit meinen 1,78m elf Stunden so eingeengt überstehen?

Vielleicht hätte ich doch nicht so eitel sein und den Rat meiner Mutter annehmen sollen. Als diese von meinem bevorstehenden Langstreckenflug gehört hatte, bekniete sie mich regelrecht, mir Thrombosestrümpfe zu besorgen, die ich während des ganzen Fluges tragen sollte. Thrombosestrümpfe! Ich war doch keine alte Frau. Aber mit Blick auf die engen Sitzreihen fühlte ich jetzt schon, wie meine Beine einschliefen, anschwollen und ich am Ende tatsächlich noch ein Venenproblem bekam.

Und ein Nackenproblem würde ich auch bekommen, denn die Bildschirme hier waren nicht in den Sitzen, sondern an der Decke angebracht, in einem Winkel, in dem man sich den Kopf zwangsläufig verdrehen musste! Aber immerhin, so tröstete ich mich, schien es auch für die billigen Plätze ein Unterhaltungsangebot zu geben.

Als wir zu unseren Plätzen 17A und 17C kamen, wussten wir, dass wir es tatsächlich geschafft hatten, die billigsten Plätze im ganzen Flugzeug zu ergattern. Doch wir verzichteten darauf, uns stolz darüber auf die Schultern zu klopfen. Die Sitze grenzten direkt an die Bordtoilette. Auf dieser hatte es sich anscheinend schon jemand bequem gemacht, dem die Reise wohl auf die Verdauung schlug. Das konnten wir nicht nur lautstark hören, sondern leider auch riechen. In diesem Moment beschloss ich, nie wieder eine Preisvergleichsseite im Internet zu nutzen. Marcella hingegen war mal wieder der Optimismus in Person.

„So, dann machen wir es uns mal bequem!“, meinte sie fröhlich lächelnd zu mir.

Sie hatte gut reden, mit ihren 1,60m würde es ihr viel leichter fallen, in dieser Sardinenbüchse eine bequeme Sitzposition zu finden. Doch ich fügte mich meinem Schicksal, schließlich wollte ich uns den Urlaub nicht schon von vornherein verderben. Ich tröstete mich mit den Gedanken an unser Luxushotel. Und vielleicht konnten wir ja noch wenigstens für den Rückflug unsere Sitze upgraden?

Die Stewardessen machten ihre üblichen Sicherheitseinweisungen, während sich das Flugzeug bereits auf das Rollfeld bewegte. Täuschte ich mich, oder hatten wir hier hinten sogar weniger Notausgänge, als die Leute auf den teuren Plätzen? Ich hoffte, dass sie wenigstens nicht auch noch an meiner Sauerstoffmaske gespart hatten.

Das Schlimmste am Fliegen waren für mich schon immer der Start und die Landung. Wäre Marcella ein gutaussehender Mann, so hätte diese Angst wenigstens etwas Gutes, denn dann könnte ich mich in seine starken Arme kuscheln und mich von ihm beschützen lassen. So musste ich das nun aber durchstehen, ohne meiner armen Freundin die Hand zu zerquetschen. Diese hatte sie mir mitleidig gereicht, als sie sah, wie blass ich geworden war.

„Das geht ganz schnell und dann haben wir schon die Reiseflughöhe erreicht!“, beruhigte sie mich.

Der Start war irre laut und man hatte das Gefühl, die Maschine würde von den auf sie wirkenden Kräften auseinandergerissen. Ich wurde in meinen Sitz zurückgedrückt und hielt für gefühlte zehn Minuten die Luft an. Erst als Marcella mich anstieß, erinnerte ich mich daran, zu atmen und meinen festen Griff um ihre Hand zu lockern.

Als das Flugzeug endlich die Reiseflughöhe erreicht hatte, wurden meine Absturzgedanken auch gleich schon von zwei Stewardessen abgelenkt, die mit ihrem Servierwägelchen Kaffee im Pappbecher und ein Stück trockenen Kuchen offerierten. Danach gab es auch gleich schon etwas Bordshopping, aber ich konnte den angebotenen Parfüms, Alkoholika und weiß Gott was noch alles widerstehen. Vielleicht, so sagte ich mir, konnte ich ja auf dem Rückflug noch etwas einkaufen. Je nachdem, wie viel Geld ich in Kuba liegen ließ.

Nach dem Bordshopping war aber erst mal die große Langeweile angesagt. Es sollte noch drei oder vier Stunden dauern, bis ein kleines Abendessen serviert wurde. Bis dahin galt es, sich irgendwie zu unterhalten.

Marcella war schon vor einer halben Stunde eingeschlafen, während sie mit ihrem MP3-Player Musik hörte. Ich wollte derweil sehen, was das Bordprogramm hergab. Die Auswahl war tatsächlich fantastisch. Einige tolle Filme, die ich noch nicht gesehen hatte, waren im Angebot, zum Beispiel The Imitation Game, mit meinem Lieblingsschauspieler Benedict Cumberbatch, oder Fuck You Goethe 2, mit dem ebenfalls sehr ansehnlichen Elyas M'Barek.

Na damit ließe sich der Flug sicherlich gut überstehen, dachte ich. Doch als ich den ersten Film anschauen wollte, machte mir mal wieder unser Sparpreis einen Strich durch die Rechnung. Auf dem Bildschirm erschien die Meldung:

Dieses Programm ist nur für Premiumkunden. Für nur acht Euro können Sie sich diesen Film von einer Stewardess freischalten lassen. Ansonsten können Sie sich gerne kostenlos einen der Filme aus unserer Sparpreiskategorie ansehen.

Musste man denn hier für alles extra zahlen? Und dann acht Euro, für nur einen Film? Davon könnte ich mir in ein paar Wochen auch einfach die DVD kaufen oder gar ein ganzes Netflixabo abschließen.

Ich entschloss mich dazu, einen Blick in die Sparpreisfilme zu werfen. Die Auswahl hier war leider sehr krimilastig. Sie hatten sämtliche Sherlock Holmes Filme, allerdings die ganz alten, nicht die Serie mit Benedict Cumberbatch. Dann gab es eine ganze Reihe alter Tatortfolgen zu sehen, Pater Brown, ein paar alte Edgar Wallace Filme, und so weiter.

Während ich sonst einem Krimi eigentlich nicht abgeneigt gewesen wäre, so schreckte mich doch das Alter der angebotenen Filme und die Tatsache, dass ich mich ja eigentlich von dem Thema ablenken wollte. Wenn ich jetzt meinen Urlaub gleich wieder mit Mord und Totschlag begann, so würde ich nie auf andere Gedanken kommen.

Ich entschied, dass das Bordprogramm nichts für mich war und schaltete den Bildschirm wieder aus. Doch was sollte ich nun tun? Ich hatte zwar ein Buch dabei, einen richtig schönen Kitschroman, aber auf den hatte ich gerade auch keine Lust. Ich ging also stattdessen einem meiner Lieblingshobbys nach: People Watching.

Eine Frau in der Sitzreihe neben uns las ein Buch, das sie offensichtlich völlig in ihren Bann gezogen hatte. Es war amüsant ihr dabei zuzusehen, wie sie sich in einem Moment davon abhielt laut loszulassen und schon zwei Seiten weiter anfing, sich Tränen aus den Augen zu wischen. Es schien ein zugleich sehr lustiges und trauriges Buch zu sein. Es war mir leider nicht möglich, den Titel zu erkennen.

Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf den Mann im Sitz vor ihr. Dieser war so korpulent, dass ich mich unweigerlich fragte, ob die Airline ihm für sein Übergewicht eine Extrazahlung abverlangt hatte. Er schien zudem den festen Vorsatz zu haben, seinen Körperumfang weiter zu steigern, denn gleich nachdem er ein Snickers verputzt hatte, schob er noch einen Marsriegel und eine halbe Tüte M&Ms hinterher. Während ich mit Entsetzen beobachtete, wie er danach eine Tüte Daim aus seinem Rucksack holte, wurde ich von einem anderen Mann abgelenkt.

Er kam aus der First Class durch den Vorhang nach hinten. Er war von oben bis unten schwarz gekleidet und sah so fast aus wie ein Auftragskiller. Ebenso schwarz wie seine Kleidung waren auch seine Haare. Nur an den Seiten schimmerten sie bereits silbergrau. Er hatte ein sehr markantes Gesicht, das überaus attraktiv hätte sein können. Doch seine tiefdunklen Augenringe ließen ihn um einiges Älter aussehen, als er vermutlich war.

Ich schätze ihn auf Mitte oder Ende Vierzig, doch so genau ließ sich das nicht sagen. Jedenfalls schien er lange Zeit nicht mehr geschlafen zu haben oder er war krank, doch seine Statur sah eher stark und gesund aus.

Er sah sich auffällig im hinteren Teil des Flugzeugs um. Interessierte ihn, was den Leuten auf den billigen Plätzen geboten wurde? Was wollte er sonst hier hinten?

Auf einmal trafen sich unsere Blicke. Seine Augen waren eisblau, wie die eines Huskys. Ein Schauer durchfuhr meinen ganzen Körper. Wer war dieser Mann?

Sein Blick machte mir Angst. Verschreckt schaute ich weg und tat so, als hätte ich eben nur zufällig in seine Richtung geblickt. Ich fing an, in meiner Handtasche zu wühlen, um einen arglosen Eindruck auf ihn zu machen. Es schien zu funktionieren, denn der Mann ging weiter, direkt an mir vorbei und verschwand in der Toilette.

Hatten die im Premiumbereich nicht ihre eigenen Toiletten? Oder waren die Klos vorne kaputt gegangen und nun kam ein First Class Kunde nach dem anderen hier hinter, um hier sein Geschäft zu verrichten? Ich hatte an diesem Tag schon weitaus genug Geräusch- und Geruchsattacken hinter mir. Wenn die Toiletten vorne nicht mehr funktionierten, dann würde das nun wohl kein Ende mehr nehmen.

Doch halt! Mir fiel auf, dass ich nichts hörte, absolut nichts. Und ganz ehrlich, man hörte wirklich alles, was auf diesem WC passierte. Der merkwürdige Kerl jedoch schien sich da drinnen nicht zu rühren und sich auch keinerlei Bedürfnisses zu entledigen. Was machte er nur?

Ich lauschte noch angespannter. Was auch immer der Typ tat, er ging nicht aufs Klo, soviel stand fest. Dies bestätigte sich auch, als er, ohne die Klospülung zu betätigen oder sich die Hände zu waschen, wieder aus der Toilettenkabine herauskam. Schnurstracks marschierte er auf den Vorhang zu und verschwand dann wieder in der First Class, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Meine Neugierde war kaum zu bremsen. Ich musste wissen, was der geheimnisvolle Mann in der Klokabine gemacht hatte.

Als ich eben aufstehen wollte, um in der Toilette nachzusehen, kam ein Steward aus der First Class durch den Vorhang nach hinten. Mir verschlug es fast den Atem! Er hatte sonnengebräunte Haut, wunderschöne grüne Augen und braunes, frech geschnittenes Haar. Unter seiner Uniform konnte man seine Muskeln spielen sehen und als er an mir vorbeiging, verströmte er einen unglaublich guten Duft von einem Parfum, in dem eine klare Moschusnote dominierte.

Der merkwürdige, schwarz gekleidete Mann war sofort vergessen. Ich hatte nur noch Augen für den Steward. Dieser schien die Funktionsfähigkeit der hinteren Toiletten zu überprüfen, da er einen gründlichen Blick in alle Kabinen warf, auch in die direkt hinter mir.

Als er seinen Kontrollgang beendet hatte, ging er wieder in Richtung Vorhang, nicht aber ohne mir im Vorbeigehen zuzuzwinkern und mir dabei ein unverschämt sexy Lächeln zuzuwerfen.

Es war um mich geschehen. Ich war, im wahrsten Sinne des Wortes, auf Wolke sieben. In meinem Kopf malte ich mir allerlei Situationen aus, wie ich dem Steward noch einmal begegnen konnte. Ich stellte mir vor, wie ich ihn ansprach, wie er mir sanft die Hand auf die Schulter legte und …

Irgendwie war ich dann wohl doch eingeschlafen. Umso überraschter war ich, als ich bemerkte, dass mein sexy Steward tatsächlich die Hand auf meiner Schulter hatte.

Er stand mit dem Servierwagen für das Abendessen vor mir und hatte mich wachgerüttelt, damit ich mein Tablett ausklappte. Mit Entsetzen stellte ich fest, dass ich mit offenem Mund eingeschlafen war und mir Speichel über das Gesicht lief. Wie peinlich! So hatte ich mir das aber nicht ausgemalt.

Ich lief vermutlich so rot an wie eine Tomate, wischte mir mein Gesicht ab, klappte das Tablett aus und wagte es vor lauter Scham nicht mehr, den Steward anzuschauen. Er legte mir wortlos ein belegtes Sandwich hin, reichte mir dazu einen Tetrapack Wasser und verschwand zu den Reihen hinter mir.

„Was war denn das eben?“, fragte mich Marcella amüsiert.

Sie schien schon vor mir wieder aufgewacht zu sein und hatte offensichtlich genug Zeit gehabt, nicht nur ihre Frisur, sondern auch ihr Make-Up zu richten. Sie sah wunderschön aus, während ich total verschlafen und zerzaust war.

Selbst wenn der Steward mir heute schon ein Lächeln geschenkt hatte, so würden seine Gedanken sich jetzt vermutlich nur noch um Marcella und ihr wallendes, braunes Haar drehen, das aussah, wie direkt aus der Glisskur-Werbung entsprungen. Eigentlich hätten wir beide in dem Spot mitspielen können, ich im Vorher- und sie im Nachherszenario.

Gekonnt ignorierte ich ihre Frage und lenkte die Aufmerksamkeit auf das labbrige Sandwich: „Meinst du, es ist ratsam, das zu essen? Oder wollen die uns am Ende hier alle vergiften? Die Salami hier drauf ist bestimmt aus Pferdefleisch!“

Marcella lachte laut und meinte nur: „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!“

Sie nahm einen kräftigen Bissen von dem Sandwich und verschluckte sich prompt daran. Hustend griff sie nach ihrem Wasser und trank ein paar Schlucke.

„Okay, vielleicht ist es ein bisschen trocken, aber durchaus essbar.“ Wie um ihre Worte zu bestätigen, nahm sie einen weiteren Bissen von dem Sandwich, der diesmal allerdings wesentlich kleiner und zaghafter war.

Nachdem wir beide unsere trockene Mahlzeit heruntergeschluckt hatten, erzählte ich ihr alles, was ich beobachtet hatte, während sie schlief. Von dem merkwürdigen Typen mit den eisblauen Augen, bis hin zum Steward mit dem umwerfenden Lächeln.

„Dachte ich mir schon, dass der genau dein Typ ist“, schmunzelte Marcella.

„Ja, nur werde ich jetzt wohl null Chancen mehr bei ihm haben, nachdem er mich so gesehen hat“, entgegnete ich traurig.

„Aber Christina, du hättest ihn doch sowieso nie wieder gesehen, nachdem wir aus dem Flugzeug hier aussteigen. Also vergiss ihn einfach.“

Mir fiel auf, dass sie mir nicht widersprochen hatte, in dem Sinne von „Ach nein, er findet dich bestimmt trotzdem noch sexy!“ Aber das liebte ich so an Marcella, sie war die ehrlichste Person, die ich kannte.

Ich versuchte, mir den Steward aus dem Kopf zu schlagen. Doch wie immer, wenn man versucht, an etwas nicht mehr zu denken, dachte ich nur umso mehr an ihn. Dann fiel mir jedoch siedend heiß etwas ein.

Marcella war fast schon wieder eingeschlafen, also stupste ich sie an und flüsterte ihr zu: „Marcella, wach auf. Mir ist da was aufgefallen.“

Müde rieb sie sich die Augen und schaute mich an. „Was ist denn? Hat dir noch jemand zugezwinkert?“

Ihren Scherz nicht weiter beachtend sagte ich: „Marcella, der Steward ist direkt nach dem auffälligen Typen in die Toilettenkabine gegangen. Danach kam niemand mehr aus der ersten Klasse nach hinten, um hier aufs Klo zu gehen. Findest du das nicht merkwürdig?“

„Was soll daran denn bitte merkwürdig sein? Vielleicht hat der Steward die Toilette vorne ja repariert und dann hier hinten nachgeschaut, ob es hier auch etwas gibt, was gerichtet werden muss.“

Okay, das klang plausibel, doch mir wollte ein Gedanke einfach nicht aus dem Kopf. „Und was ist, wenn die Toilette vorne nie kaputt war? Wenn der schwarz gekleidete Mann hier hinten auf dem WC etwas versteckt hat und der Steward hat es abgeholt? Vielleicht stecken die beiden bei etwas unter einer Decke. Eventuell geht es ja um Schmuggelware, einen gestohlenen Datensatz oder gar um Drogen?“

Marcella streichelte mir mit einer Hand sanft über die Wange, lächelte mich an und sagte: „Na siehst du, wie gut dir die Reise tut. Wir sind erst im Flugzeug und dir fallen schon wieder allerlei Räuberpistolen ein. Aber jetzt schlaf ein bisschen, sonst sitzt dir die Zeitverschiebung in den Knochen und die ersten Urlaubstage werden dann alles andere als erholsam für dich.“

Sie streifte sich ihre Schlafmaske über und schlief beinahe umgehend ein. Widerwillig tat ich es ihr gleich und verfiel auch schon nach kurzer Zeit in einen unruhigen Schlaf, in dem mich huskyblaue Augen verfolgten.

Kapitel 2

Wir kamen sehr spät in unserem Hotel Playa las Palmas in Varadero an. Zumindest war es in deutscher Zeit sehr spät, auf Kuba war es gerade mal 21 Uhr.

Obwohl wir schon im Flugzeug ein wenig geschlafen hatten, fielen wir nach dem Einchecken wie tot in unsere Betten. Das war ja klar, denn allzu tief schlief man in sitzender Position nicht. Außerdem war ich ständig aufgewacht, aus Angst, ich könnte schon wieder vor mich hin sabbern und dabei vom Steward gesehen werden. Diesen hatte ich dann nur noch beim Aussteigen getroffen, als er sich von allen Passagieren am Ausgang verabschiedete. Dabei hatte er mich frech angegrinst, als ob er sich bei meinem Anblick noch immer über meinen Fauxpas amüsieren würde. Ich selbst beließ es bei einem knappen „Auf Wiedersehen!“, was ich allerdings nicht so gemeint hatte, denn ich wollte ihn nie mehr wiedersehen. Die ganze Sache war mir noch immer viel zu peinlich, und das, obwohl der Steward sicher öfter mal Passagiere mit offenem Mund schlafen sah.

Statt um die verlorene Chance eines heißen Flirts mit dem Stewart zu trauern, wollte ich Marcella lieber den Mann mit den Huskyaugen zeigen. Ich war mir sicher, dass wir ihn im Shuttlebus oder an der Gepäckausgabe nochmal sehen würden, doch er war wie vom Erdboden verschluckt. Die Passagiere der Premium Class schienen wohl nicht nur ein eigenes Shuttle bekommen zu haben, sondern auch eine ganz eigene Gepäckabfertigung, anders konnte ich mir nicht erklären, warum der Mann so schnell verschwunden war.

„Ist doch egal.“, hatte Marcella gesagt. „Jetzt schalte deinen kriminalistischen Verstand endlich mal ab und fang an, den Urlaub zu genießen!“