Der Kampf der Highlanderin - Eva Fellner - E-Book

Der Kampf der Highlanderin E-Book

Eva Fellner

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Beschreibung

Enja und das Schicksal der Highlands.

Im Jahre 1315 starten die schottischen Brüder Robert und Edward de Bruce die Invasion Irlands. Lady Enja wird durch einen persönlichen Schicksalsschlag in den Kampf der Völker getrieben. Ein geheimnisvoller Assassine wird zur größten Herausforderung der Highlanderin, denn er heftet sich an ihre Fersen. Unterdessen setzt Papst Johannes in Avignon alles daran, den Krieg zu Englands Gunsten zu beenden. Ein mörderischer Wettlauf um die Zeit beginnt. Kann Enja den Lauf der Geschichte ändern und ihre Freunde retten? 

Die packende Geschichte einer furchtlosen Heldin im Schottland des 14. Jahrhunderts geht jetzt in Irland weiter.

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Seitenzahl: 647

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Über das Buch

Die Highlanderin Enja weiß, dass der Krieg zwischen den Schotten und den Engländern in Irland weiter tobt. Ihr eigenes Schicksal ist fest verwoben mit Sieg oder Niederlage dieser Insel. Ausgerechnet der Papst in Avignon wird ihr zum Verhängnis. Er versucht, England politisch zu unterstützen und sendet eine päpstliche Abordnung. Aber nicht nur das, ein Assassine soll den Hochkönig von Irland töten. Enja versucht, den Mörder mit allen Mitteln zu stoppen. Um ihrem irischen Freunden zu helfen, unternimmt sie einen gewagten Schritt, denn die große Entscheidung zwischen den verfeindeten Völkern spitzt sich dramatisch zu. Wird sie es schaffen, den kampftechnisch überaus versierten Auftragsmörder zu stoppen und Irland zum Sieg zu führen?

Über Eva Fellner

Eva Fellner, mit vollem Namen Eva Fellner von Feldegg, wurde 1968 im oberbayerischen Murnau geboren und arbeitete zunächst als Chefredakteurin einer Fachhandelszeitschrift. Sie gründete eine Agentur für digitales Marketing und unternahm zahlreiche Reisen. China und Südafrika wurden ihr dabei zu einer zweiten Heimat. Neben asiatischer Kampfkunst interessiert sie sich schon immer für Geschichte, für starke Frauen und die Welt des Mittelalters. Sie ist davon überzeugt, dass die schönsten Geschichten das Leben selbst erzählt.

Im Aufbau Taschenbuch liegen ebenfalls ihre Romane »Die Highlanderin«,»Der Weg der Highlanderin« und »Der Clan der Highlanderin« vor.

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Eva Fellner

Der Kampf der Highlanderin

Historischer Roman

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

Prolog

Kapitel 1 — Avignon, Grafschaft Provence, im Juli 1317

Kapitel 2 — Magh Lurgh Castle, Loch Key, Irland, im Juli 1317

Kapitel 3 — Caerlaverock im Juli 1317

Kapitel 4 — Westport, Irland, im August 1317

Kapitel 5 — Dunguaire, Irland, im September 1317

Kapitel 6 — Caerlaverock im Januar 1318

Kapitel 7 — Caerlaverock, Schottland, im Januar 1318

Kapitel 8 — Burg Caerlaverock, Schottland, im Mai 1318

Kapitel 9 — Castle Dunguaire im Mai 1318

Kapitel 10 — Coleraine, Irland, im Juni 1318, wenige Tage nach Kalays Tod

Kapitel 11 — Armagh, Irland, im Juni 1318

Kapitel 12 — Dundalk, Irland, im Oktober 1318

Kapitel 13 — Kloster Gleann Dá Locha, Irland, ein paar Tage zuvor, Anfang Oktober 1318

Kapitel 14 — Faughart, Irland, 11. Oktober 1318

Kapitel 15 — Faughart, Irland, am 14. Oktober 1318

Kapitel 16 — Roscommon, Ende Oktober 1318

Kapitel 17 — Galway, Irland, Anfang November 1318

Nachwort der Autorin

Impressum

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Prolog

Die Invasion Irlands nahm im Januar 1317 mit der Landung von Robert de Bruce und seinen Truppen an der Nordküste der Insel neuen Schwung auf. Gemeinsam mit Veteranen der Unabhängigkeitskriege in Schottland und ihren irischen Verbündeten zog der designierte schottische König nach einer Ratsversammlung von der zuvor eroberten Burg Carrickfergus los, um Irland endgültig einzunehmen.

Carrickfergus, eine strategisch wichtige Festung an der Nordostküste Irlands, war nach einer fast einjährigen zermürbenden und für beide Seiten blutigen Belagerung durch Roberts Bruder Edward de Bruce, den Hochkönig Irlands, in die Hände der Schotten gefallen. Die Gegenwehr der anglo-irischen Streitkräfte und das ständige Katz-und-Mausspiel mit dem irischen Adel hatten jedoch die schottische Armee geschwächt. Hunger und Missernten taten ihr Übriges, um sowohl Kämpfer als auch die Zivilbevölkerung gleichermaßen zu demoralisieren.

Zusammen mit seinem Bruder Robert hinterließ Edward de Bruce in einem beispiellos brutalen Streifzug durch die Provinzen von Meath und Ulster eine Schneise der Verwüstung. Noch hielten die Prediger des Landes zu den beiden Brüdern, die an ein geeintes Land unter dem Schirm von Papst Johannes XXII. glaubten. Aber vor den Toren der Stadt Dublin, die der englische Gesandte John Hotham im Auftrag seines Königs Edward II. zu einer uneinnehmbaren Festung ausgebaut hatte, kam das Kriegsheer zum Stehen. Angesichts des drohenden Angriffs waren auf Befehl von Hotham sämtliche Gebäude und Bebauungen abgetragen oder niedergebrannt worden. Selbst vor den Kirchen hatten die Schutz suchenden Bewohner keinen Halt gemacht. Dann wurde der innere Kern der Stadt mit dem Baumaterial verbarrikadiert. Das strategisch so wichtige Dublin hatte sich für eine harte Belagerung gerüstet.

Stattdessen aber ließ das schottische Heer, ausgehungert und müde, die Stadt einfach links liegen und zog weiter südwestwärts nach Leinster und Munster. Viele der anglo-irischen Stämme, die vom englischen König großzügig mit Ländereien beschenkt worden waren, wollten sich Edward de Bruce nicht anschließen. Auf seinem brutalen Kriegszug gewann das schottische Heer zwar Land, aber die Schotten hungerten und litten mit den verarmten Einwohnern Irlands.

Enttäuscht von der Machtlosigkeit und der Zurückhaltung der Iren gegenüber der schottischen Expansionspolitik hatte König Robert im Mai 1317 der irischen Insel den Rücken gekehrt. Obwohl er dort nicht viel hatte ausrichten können, verkaufte er den Adelshäusern und seinen Günstlingen in Schottland den Einmarsch in Irland als politischen Erfolg. Tatsächlich konnte er mit dem Druck der neuen Front in Irland und den Unruhen in Wales König Edward II. die Anerkennung als ein eigenständiges und freies Schottland abringen. Auch wenn die Erklärung von Arbouth erst 1320 von allen schottischen Baronen und Robert de Bruce selbst unterschrieben werden sollte, hatte der schottische König bereits mit dem Einfall in Irland wirkungsvoll sein Sicherungsstreben verdeutlicht.

Die schottische Vormachtstellung in der Irischen See löste sich nach der Gefangennahme und Hinrichtung des Freibeuters Thomas Dun am 2. Juli 1317 gänzlich auf. Sir Roger Mortimer, dem die Gefangennahme Duns zugeschrieben wird, setzte einen wichtigen Meilenstein in der englischen Kriegsgeschichte. Im Sommer 1317 hatte er die Familie de Lacy, einen der wichtigsten Verbündeten der Bruce-Brüder, aus Meath vertreiben können. Damit fehlten den beiden kraftvolle Unterstützer ihres Krieges in Irland. Edward de Bruce dagegen sonnte sich mit seinen Anhängern derweil im Erfolg der eroberten Territorien. Vielleicht hatte er seinen Feind schon zu diesem Zeitpunkt gewaltig unterschätzt.

Im Jahre 1317 blieb es still um den zaudernden Edward de Bruce. Bis auf ein paar wenige Scharmützel fehlte sein Name in diesem Jahr in den Geschichtsbüchern. Aber auf einem anderen Flecken dieser Erde wurde bereits über sein Schicksal entschieden. Und diesen Feind hatte Edward de Bruce tatsächlich unterschätzt: den amtierenden Papst Johannes XXII. und mit ihm die katholische Kirche.

Kapitel 1

Avignon, Grafschaft Provence, im Juli 1317

Die Nacht war sternenklar und warm. Die Glut des Tages hatte die Steine der Häuser erhitzt, und die aufgestaute Wärme wurde erst am Abend wieder an die kühlere Luft abgegeben. Stille herrschte in dem provençalischen Städtchen Avignon, dem neuen Zentrum der christlichen Macht im Jahre des Herrn 1317. Die Priester, Bischöfe und auch der Papst hatten sich zur Ruhe begeben. Zwei Stunden vor Mitternacht löschten Diener in den Schlafkammern die letzten Kerzen, damit ihre Herren in aller Herrgottsfrühe für das Morgengebet ausgeruht waren.

Notre-Dame-d’Avignon, die große Kathedrale im Norden der Stadt, thronte auf einen Felssporn oberhalb des Papstpalastes. Es war ein beeindruckendes Bauwerk, das mit der Verlegung des Papstsitzes von Rom in die Grafschaft Provence eine neue Bedeutung gewann. Der französische König Philipp IV. hatte es ein Jahrzehnt zuvor auszunutzen gewusst, dass ihm mit Papst Clemens V. ein schwaches Kirchenoberhaupt gegenüberstand, das sich ihm willenlos unterwarf. Mit der Hand über dem Papst und der katholischen Kirche auf seiner Seite hatte der König die Templer der Häresie bezichtigt und gnadenlos hinrichten lassen. Inzwischen waren Philipp und Clemens seit drei Jahren tot, und wenn man dem italienischen Dichter Dante Alighieri glauben durfte, schmorte der Papst für seine Verbrechen in der Hölle.

Aber das scherte die vermummte Gestalt nicht, die sich soeben in eine Nische in der Kirchenmauer drückte. Die dunkle Kleidung verschmolz mit den Schatten zu nahezu undurchdringlicher Schwärze. Der Assassine war bereits an den Wachen vorbeigehuscht und von Straßenecke zu Straßenecke geschlichen, ohne dass jemand ihn bemerkt hätte, denn er war darauf geschult, sich die Dunkelheit zunutze zu machen, um einem Ziel näher zu kommen. Nicht einmal die Tauben schreckten auf, als die lautlosen Schritte über den Kirchenplatz in Richtung des Papstpalastes huschten.

Die Hitze des Sommertages schwelte noch in den engen Gassen von Avignon. Die ineinander verschachtelten Steinmauern sahen aus wie Bienenwaben, nur ohne Honig. Der Himmel war klar, und die Sterne funkelten über den schwarzen Umrissen der Häuser, Türme und Erker. Ein Halbmond hatte sich soeben über den Horizont erhoben und ließ die Rhône in ihrem Flussbett vor Avignon im silbrigen Schein schimmern. Das Licht der unzähligen Sterne strahlte über der Stadt wie glitzernder Staub. Die meisten Fenster standen offen, um die abkühlende Luft ins Innere der Gebäude zu lassen. Es war eine leise Nacht. Nur ab und an bellte ein Hund oder weinte ein Kind. Die Bewohner erholten sich nach dem heißen Tag.

Atemlos lehnte sich der Auftragsmörder an die Wand des Burgpalastes. Es waren einige Schritte gewesen, die er von der Kathedrale aus hatte zurücklegen müssen. Sein Pferd war im Stall des Gasthauses geblieben, aus dem er sich mitten in der Nacht fortgeschlichen hatte. Die Herberge befand sich im belebteren Teil der Stadt, den der Fremde zu Fuß durchquert hatte, um sein Ziel zu finden. Jetzt stand er vor der Residenz des amtierenden Papstes!

Fast eintausend Jahre war der Lateranpalast in Rom der Sitz der Päpste gewesen. Erst mit Clemens V. und seinem Residenzwechsel in die provençalische Stadt begann die Ära des Papsttums zu Avignon, die den Universalanspruch der römischen Päpste unterwanderte, das Oberhaupt der Christenheit zu stellen. Der französische König ließ gleichsam seinen eigenen Papst in der Grafschaft seiner Vettern aus dem Hause Anjou als Marionette auftreten. Der schwache Kirchenfürst war so zu einem Spielball französischer Machtinteressen geworden und hatte seine Autorität als überparteiliche Macht verloren.

Nun stand der Assassine vor dem imposanten vierstöckigen Gebäude aus großen Sandsteinquadern und vergitterten Fenstern, horchte und ließ den Blick schweifen. Kein Balkon würde ihm hier beim Aufstieg helfen. Die Wand war glatt und sicher vor Eindringlingen geschützt.

Sein Blick kreiste umher, während er nach einem geeigneten Zugang suchte. Die Palastwachen am Haupteingang beobachteten aufmerksam jede Bewegung in ihrer Umgebung, deshalb konnte der Schattenkrieger dort nicht vorbei. Aber er konnte sich Zeit lassen. Bis jetzt war sein Plan aufgegangen. Aber hier, vor den Mauern des am besten bewachten Palastes in Avignon, fiel ihm keine Möglichkeit ein, wie er in die oberen Stockwerke gelangen konnte. Er war gänzlich in Schwarz gekleidet. Selbst sein Gesicht war vermummt, nur Sehschlitze für die Augen waren ausgespart, die nun ruhelos nach einer Möglichkeit suchten, in das Gebäude einzudringen. Noch einmal prüfte er den Sitz seines Krummdolches. Es war die einzige Waffe, die er bei sich trug.

Plötzlich sah er die Chance, nach der er gesucht hatte. Am hinteren Teil des Palastes waren an der Außenfassade hölzerne Gerüststangen für Ausbesserungsarbeiten in den Löchern im Mauerwerk angebracht worden. Auf diese Stangen war eine Holzplatte aufgelegt, die eine Art Plattform vor dem zweiten Stockwerk bildete. So konnten die Handwerker gefahrlos ihre Arbeit fortsetzen – ein gewöhnlicher Anblick in einer Stadt, in der ständig Bauwerke erneuert oder aufgestockt wurden.

Das Problem war, dass die Leiter zur Plattform fehlte, um Unbefugten den Zutritt nach oben zu verwehren. Sie wurde am Abend von den Wachen weggetragen. Aber das sollte für den Assassinen heute Nacht kein Problem darstellen. Im Schatten der Palastmauer drückte sich der gedungene Mörder um die Gebäudeecke und ergriff die unterste Holzstange. Wie ein Affe hangelte sich der durchtrainierte Schattenkämpfer an dem Gerüst in den zweiten Stock hoch und zog sich auf den Mauervorsprung, der unterhalb jeder Fensterreihe entlanglief. Von dort musterte er die unverschlossenen Fenster. Manche standen weit offen, um die Kühle der Nacht hineinzulassen. Sie waren nicht vergittert, also gehörten sie noch nicht zu den Gemächern des Papstes, denn dessen Schlafräume waren üblicherweise bestens gesichert. Und diese Räume waren das eigentliches Ziel des Assassinen. Genauer gesagt die Kammer, in der Johannes XXII. nächtigte.

Vorsichtig zog der Assassine den schweren Brokatvorhang zurück und spähte in den dunklen Raum dahinter. Zwischen den Sehschlitzen in seinem Turban, den er sich um den Kopf gewickelt hatte, erblickte er einen großen Schreibtisch mit einem schweren Stuhl davor. Allem Anschein nach handelte es sich um das Arbeitszimmer des Papstes. Dicke Teppiche dienten dazu, die Schritte der Besucher zu dämpfen, und goldvertäfelte Wände ließen den Prunk erahnen, der sich durch den gesamten Papstpalast zog. In Anbetracht eines solchen Reichtums musste sich jeder Gläubige winzig klein im Universum Gottes vorkommen. Doch für all diese Goldpracht hatte die schwarz gekleidete Gestalt keinen Blick. Sie suchte nur einen passenden Durchgang zu den päpstlichen Gemächern.

Der Assassine verharrte auf dem Fenstersims, um seine Augen an die Dunkelheit im Gebäude zu gewöhnen. Der Stein unter seinen Händen war rau und vom Steinmetz nur grob in seine Form gehauen. Der Assassine war gerade im Begriff, ins Gebäude einzusteigen, als er schräg über sich einen Laut vernahm. Es waren Schritte von nackten Füßen. Hastig zog sich die schwarz gekleidete Gestalt in die Nische des breiten Fenstersimses zurück, um neugierigen Blicken zu entgehen. Als von oben ein Gluckern erklang, dauerte es keine Sekunde, bis dem gedungenen Mörder klar wurde, was vor sich ging. Es roch nach menschlichen Exkrementen, als der Schwall aus dem Pott knapp an ihm vorbei auf die Straße gekippt wurde. Vermutlich wollte jemand den Gestank aus seinem Zimmer fernhalten und leerte mitten in der Nacht seinen Eimer aus.

Fast unmerklich ließ der Assassine den Atem entweichen, den er beim ersten Geräusch angehalten hatte. Er wusste, würde man ihn hier so nah am Papstpalast entdecken, wären sämtliche Ausreden nutzlos. Je näher er seinem Ziel kam, desto gefährlicher wurde seine Mission. Deshalb stand sein Körper unter ständiger Spannung.

Vorsichtig drückte er den Vorhang auf die Seite und ließ sich vom Sims auf den Boden im Inneren der Kammer gleiten. Er war aus poliertem Stein und schluckte jegliche Geräusche. Der Assassine hatte sich vorsorglich die Füße in weiches Leder gewickelt, aber dieser Boden würde ihn nicht verraten. Erleichtert durchquerte er den Raum und drückte das Türschloss hinunter. Der Riegel bewegte sich nicht; die Tür war von außen verschlossen.

Der Eindringling murmelte etwas, das sich wie ein Fluch anhörte, und seine Hände wurden feucht vom Schweiß. Er musste es in einem der anderen Räume versuchen. Sein Weg führte ihn wieder zurück durch das Fenster, um einen anderen Eingang zu den Schlafräumen zu finden. Wieder hangelte er sich außen am Sims entlang und erreichte das danebenliegende Zimmer, das ebenfalls unvergittert war. Der Raum, in den er schaute, war ein wenig schmuckloser ausgestattet, ebenfalls mit einem Schreibtisch, aber mit wesentlich mehr Pergament, Wachsstempeln, Tintenfässchen und Federkielen. Offenbar war es die Schreibstube des päpstlichen Amtsgehilfen und besaß eine Verbindungstür zum Arbeitszimmer. Aber es gab auch einen Durchgang zum Treppenhaus, der sogar offen stand. Keiner hier hatte mit einem so frechen Eindringen über das Fenster im oberen Stockwerk gerechnet.

Zufrieden glitt der Assassine vom Fenstersims auf den Boden ins Innere der Kammer und spürte auch hier die kühlen Steine, die seine Schritte unhörbar machten. Es brannte kein Licht in diesen Räumen. Doch inzwischen hatten seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt. Schattengleich und zielsicher bewegte er sich durch den Treppenzugang und huschte zu einer pompösen Steintreppe.

Sie befand sich in der Mitte des Palastes und verband sämtliche Stockwerke. Die Treppe war ebenso ausladend wie der Rest des überdimensionierten Gebäudes. Aufwendige Wandteppiche mit christlichen Motiven und Mosaike aus kleinen Keramikplättchen zierten bunt und bildgewaltig die Wände. Sie erzählten von den Heldentaten der christlichen Märtyrer. Kräftige Männer auf ebensolchen Rössern kämpften gegen das Böse. Die Darstellungen waren in feinster Webtechnik gefertigt worden. Sogar die Feinheiten der Gewänder auf den Abbildungen waren zu erkennen, wie auch der Ausdruck auf den kunstfertig herausgearbeiteten Gesichtern.

Hier waren auf jeder Ebene des Aufgangs kleine Öllampen angebracht, denn das im Inneren des Gebäudes liegende Treppenhaus war ansonsten völlig unbeleuchtet. Weit und breit war niemand zu sehen, der den tödlich gefährlichen Eindringling hätte aufhalten können.

Vorsichtig schlich sich der Auftragsmörder weitere zwei Stockwerke nach oben. Vorbei an Bibliotheken und Arbeitszimmern, großzügigem Wandschmuck und einer Vielzahl von Kreuzsymbolen gelangte er in die vierte Etage. Allein an der Ausstattung der Räume erkannte er, dass er in der päpstlichen Loge angekommen war. Mächtige Figuren standen Spalier neben Pfeilern aus Marmor und waren mit Blattgold bedeckt. Eine große Flügeltür kennzeichnete den Eingang zum Gemach von Johannes XXII., dem Papst aus Frankreich. Der Weg wäre frei gewesen, hätte der Assassine nicht das Pech gehabt, dass vor dem päpstlichen Gemach der Leibwächter Seiner Heiligkeit auf Posten stand. Trotz der späten Stunde war der Mann hellwach und aufmerksam. Vermutlich wurden die Posten alle zwei Stunden abgelöst.

Der Assassine musste sich etwas einfallen lassen. Aber er war für solche Vorhaben ausgebildet worden und entsprechend präpariert. Aus seiner Hüfttasche zog er ein kleines gefaltetes Seidenpapier mit Sprengpulver und einer Zündvorrichtung, die Feuer entfachte, sobald sie aufschlug. Mit einer blitzschnellen Bewegung warf der Assassine die winzige Sprengladung ins Treppenhaus. Beim Aufprall explodierte das Pulver und alarmierte die Wache. Wie vom Assassinen vorausgeahnt, eilte der Soldat mit der Hellebarde hastig zur Treppe, um die Quelle des Geräusches aufzuspüren. Dort angekommen, würde er nach unten lauschen, sich aber nicht weit von seinem Platz entfernen, um seinen Schutzbefohlenen nicht ohne Bewachung zu lassen.

Diesen Moment, in dem die Tür frei war, nutzte der Assassine, um sich Zutritt zu verschaffen. Wie erwartet war der Eingang zu den päpstlichen Gemächern nicht abgeschlossen, um im Notfall der Leibgarde Zugang zu gewähren.

Ohne einen Laut sprang die Tür auf und hinter der schwarzen Gestalt wieder zu. Atemlos, aber erleichtert lehnte sich der Assassine an das Türblatt. Der gefährlichste Teil seines Vorhabens lag hinter ihm. Ab jetzt wäre alles nur noch ein Kinderspiel. Er ließ seinen Augen Zeit, sich an das Dunkel des Raumes zu gewöhnen, bis er sich orientieren konnte. Er befand sich in einer unbeleuchteten Kammer, bei der es sich um einen Empfangsraum zu handeln schien, in dem der Papst vermutlich Vertraute oder seinen Camerlengo empfing. Dies war der zweithöchste Amtsträger, der die Finanzen des Vatikans überwachte. Ein einfacher Schreibtisch stand schräg in einer Ecke, dahinter ein einfacher Stuhl. In den Regalen befanden sich zahllose Bücher und Schriftrollen, deren Titel der Assassine von seiner Position aus jedoch nicht zu erkennen vermochte. Ein dicker Teppich dämpfte hier die Schritte auf dem Holzparkett – ein glücklicher Umstand für jemanden, der nicht gehört werden will.

Es würde nicht mehr lange dauern, dann hatte er sein Ziel erreicht. Er durchquerte den Raum mit schnellen Schritten, die ihn über das weiche Geflecht aus Schafwolle trugen, verharrte neben dem Schreibtisch und horchte an der dort befindlichen Verbindungstür. In dem Raum dahinter vermutete er sein Opfer. Die Flügel der großen Doppeltür waren oben gerundet und ließen sich gewiss nicht ohne Geräusch öffnen, wenn er versuchen würde, das Schloss zu entriegeln. Deshalb benutzte der Eindringling Talg aus einem kleinen Beutel, den er in die Scharniere und auf den Riegel strich, um die Reibung des Metalls zu mindern. Ganz vorsichtig ließ er schließlich seine Hand das Türschloss ausrasten, was ihm fast ohne jedes verräterische Klicken gelang.

Womit er nicht gerechnet hatte, war ein starker Luftzug, da an einem der Fenster der Vorhang zurückgerafft war. Vermutlich hatte der Papst selbst das Fenster eben erst geöffnet, denn als der Assassine vorhin die Gebäudefassade hinaufgeschaut hatte, war dieses Fenster noch geschlossen gewesen.

Rasch drückte er die Tür hinter sich zu, um sich nicht durch die starke Luftbewegung zu verraten. Dann verharrte er mit dem Rücken an der Tür und atmete ganz flach, um eventuelle und verräterische Geräusche hören zu können. Doch seine alarmierten Sinne beruhigten sich schnell wieder. Der Papst lag in dem großen Bett, das sich deutlich im Gemach abzeichnete, und schien nicht aufgewacht zu sein. Deutlich sah der Meuchelmörder, wie sich Johannes’ Brust unter der Decke in gleichmäßigen Zügen hob und senkte.

Das Bett des Kirchenoberhaupts war riesig. Es stand rechts mit dem Kopfende an der Wand, die vollständig mit dunklem Brokat verkleidet war. Vier gedrehte Säulen hielten einen Baldachin, der sich schwer auf das Bett herabsenkte.

Der Stoff allein musste einige Zentner wiegen, ging es dem Assassinen durch den Kopf. Aber das sollte ihn jetzt nicht beschäftigen, besann er sich und machte sich daran, den Papst nicht nur seines Schlafes zu berauben. Es waren lediglich ein paar Schritte bis zum Bett und zu seinem Ziel.

Doch dann geschah etwas, mit dem er nicht gerechnet hatte. Die Person richtete sich plötzlich auf und schwang ihre Füße über die linke Seite des Bettes. Der draußen so helle Mondschein schickte aus seinem ungünstigen Winkel nur wenig Licht durch das Fenster und erhellte das Profil leicht. Papst Johannes besaß einen Charakterkopf mit einer großen Hakennase und fliehendem Kinn. Sein Schädel war rasiert, und auch im Gesicht war kein Bart zu sehen. Sein Hals schien unmittelbar auf den Schultern zu sitzen, was ihm eine gedrungene Statur verlieh. Er wirkte, als würde er ständig die Schultern einziehen. Jetzt ließ er den Kopf hängen und seufzte hörbar.

Der Assassine beobachtete von der Tür aus, wie der Mann aufstand und ans Fenster trat. Schritt für Schritt tänzelte der Schattenkrieger nach rechts in den Schutz eines mannshohen Garderobenschranks, der ihm genügend Deckung gab.

Der Papst schien ihn nicht zu bemerken, denn er wanderte direkt vor den beiden einzigen Fenstern in seiner Kammer unruhig auf und ab. Schließlich, ein wenig gefasster, begab er sich wieder ins Bett zurück. Irgendetwas schien ihn zu bedrücken und um den Schlaf zu bringen.

Der Assassine versicherte sich, dass das Kirchenoberhaupt wieder eingeschlummert war. Dann erst machte er sich daran, die letzten paar Schritte zum Bett zurückzulegen. Lautlos und unbemerkt von seinem Opfer erreichte er das Kopfende. Jetzt war der kahl rasierte Kopf direkt vor ihm. Mit einem zufriedenen Grinsen zog der Auftragsmörder seinen Dolch aus dem Gürtel. Er hatte es geschafft …

Papst Johannes XXII. stammte aus dem südwestlichen Frankreich und war als Jacques Arnaud Duèze, Sohn eines Schuhmachers, im Jahre 1249 in Cahors geboren worden. Erst als Jacques sich als Mönch der Kirche anschloss, war es ihm möglich geworden, Medizin und Rechtswissenschaften zu studieren. Seine Intelligenz und sein unermüdlicher Fleiß brachten ihn in seiner Karriere so weit, dass er zum Kanzler des neapolitanischen Königs Karl II. von Anjou ernannt worden war. Erst um 1300 wurde er Bischof von Fréjus. 1312 war er bereits Kardinalbischof von Porto-Santa Rufina. Die Wahl eines französischen Bischofs hatte Johannes dem späteren König Philipp V. von Poitou zu verdanken.

In der zweijährigen Sedisvakanz des Papststuhls nach dem Tod von Clemens V. im Jahre 1314 war ein erbitterter Streit um die Wahl des neuen Oberhaupts ausgebrochen. Der bereits erwähnte Dante Alighieri persönlich, der große Dichter und Philosoph aus Florenz, hatte die sieben italienischen Kardinäle in einem Brief beschworen, wieder einen Italiener zum Papst zu wählen. Aber die italienischen Kirchenfürsten konnten sich nicht gegen die siebzehn französischen Kardinäle durchsetzen. Nach einer beispiellosen halbjährigen Bedenkzeit der im Kloster von Lyon eingesperrten Kardinäle wurde Johannes schließlich zum Papst gewählt, weil er einen Trick angewandt hatte.

Mithilfe eines in seine Täuschung eingeweihten Arztes gab er vor, ohnehin bald sterben zu müssen. Auf diese Weise wollte er das Problem umgehen, dass wieder ein französischer Papst gewählt wurde. Schließlich einigten sich die Kardinäle auf Johannes, den Schuhmachersohn, weil sie ihn als geringstes Übel ansahen. Und er war ja ohnehin dem Tod geweiht, wie er hatte verlauten lassen.

»Fuchs aus Cahors« nannten ihn so manche, die seine Klugheit schätzten. Und er dachte nicht im Traum daran, frühzeitig zu sterben. Als französischer Papst residierte er wie schon sein Vorgänger in Avignon und nicht, wie von vielen gewünscht, im Vatikan zu Rom.

In dieser Nacht plagten ihn Magenschmerzen. Vielleicht war es das schwere Essen, das er am Vorabend zu sich genommen hatte. Vielleicht lag ihm auch der Streit der Mächte England und Irland im Magen, deren Kardinäle den Wunsch nach Schlichtung an ihn herangetragen hatten. Es rumorte im Bauch des kirchlichen Oberhaupts. Sein Darm entleerte sich drastisch im Nachttopf, den er auch gleich aus dem Fenster schüttete, um den Gestank zu vermeiden. Anschließend hatte er sich müde hingelegt, um wieder Schlaf zu finden. Aber diesmal hielten ihn seine Gedanken wach, nicht mehr sein Bauch.

Der irische Kardinal Michael Mac Lochlainn hatte ihn in Avignon aufgesucht. Er legte ihm ein von allen Bischöfen Irlands unterschriebenes Gesuch vor, um den Krieg in Irland und den Zwist um den Hochkönig zu beenden. Der schottisch-englische Streit um die Regentschaft in Irland hatte nun das Oberhaupt der christlichen Kirche erreicht. Weit weg von Avignon tobte der Krieg der Bruce-Brüder nun schon seit zwei Jahren in diesem zerrissenen Land.

Mac Lochlainn war Franziskaner, ein Orden, der sich der kirchlichen Armutslehre verschrieben hatte. Im Gegensatz zu Papst Johannes verzichteten diese christlichen Brüder völlig auf weltlichen Pomp und Protz – eine Lebenshaltung, die Johannes mächtig gegen den Strich ging. Im Gegenteil, er glaubte, Armut zu predigen sei Häresie, und kämpfte gezielt gegen die Lehren des Franziskanerordens. Dass mit Mac Lochlainn nun einer der führenden Bischöfe Irlands zu ihm gekommen war, um von ihm politische Hilfe zu erbitten, hatte ihn misstrauisch gemacht. Deshalb ließ er auch den päpstlichen Legaten von England, Gausculin de Jean, zu sich nach Avignon rufen. Gausculin war der Sohn von Johannes’ Schwester Margarite Duèze und stammte aus der Familie der Herren von Saint-Félix‑en-Quercy. Der Papst war ihm als Familienmitglied sehr wohlgesinnt.

Die drei kirchlichen Würdenträger hatten sich im Studierzimmer des Papstes lange beraten. Sie hatten sich an den schweren ovalen Tisch gesetzt, um das Anliegen des irischen Erzbischofs anzuhören. Anders als Lochlainn waren der Papst und der Legat in ihre samtroten Soutanen gekleidet. Goldene Ketten hingen ihnen von den Schultern. Die Bischofsmützen wiegten sich bei jedem ihrer Worte auf den Köpfen.

Neben dem Legaten Gausculin war auch der päpstliche Finanzberater zugegen, der vor allem die weltlichen Vermögen im Blick hatte. Er beachtete die Gruppe kaum und studierte lieber durch ein in Gold gefasstes Glas ein Büchlein, das er vor sich aufgeschlagen hatte. Die Anwesenheit des päpstlichen Finanziers und die Wichtigkeit von dessen Amt schien vor allem Mac Lochlainn nicht zu gefallen. Denn was hatte Irland schon gegen die reiche Übermacht Englands auszurichten? Das Land war arm, es hatte kein Geld, aber die Menschen waren unbeirrt im Kampf gegen die englische Besatzung.

Genauso hart kämpfte der drahtige Ire unter Einsatz seiner beredten Zunge. Er sprach Latein, während sich Johannes und Gausculin auf Französisch verständigten. Vielleicht lag es an Mac Lochlainns fehlender Sprachkenntnis oder der Tatsache, dass er Franziskaner war – der Papst jedenfalls ließ sich nicht dazu herab, Edward de Bruce als Hochkönig in Irland zu unterstützen. Er beharrte darauf, dem englischen König in seinen Absichten beizustehen und den Bruder von Robert de Bruce mit allen Mitteln zu stürzen. Auch der Finanzberater blickte kurz von seinen Zeilen auf, teilte diese Ansicht und ließ Mac Lochlainn ebenfalls im Regen stehen. Weit weg vom eigentlichen Geschehen richteten zwei Geistliche ihre Entscheidung nach so profanen Dingen wie Macht, Geld und Einfluss aus.

Enttäuschung machte sich im Gesicht des alten Kämpfers breit. Mac Lochlainn war den weiten Weg gekommen, um seinem Land zu helfen. Mit der unscheinbaren braunen Kutte der Franziskaner und dem Strick, der um seine Leibesmitte geschlungen war, hatte er den sichtbaren Nachteil der Schlichtheit, ja Unscheinbarkeit gegenüber den herausgeputzten Bischöfen. Der Papst sah in seiner Bitte sogar reine Zeitverschwendung, denn im Vergleich zu den englischen Steuern lieferte Irland nur einen trockenen Kanten Brot. Die Welt des asketischen Priesters zerbrach.

Johannes starrte mit offenen Augen zur Decke. Seine Gedanken kreisten. Er richtete sich auf und setzte sich auf die Bettkante. Ein Seufzer entfuhr ihm. Er hatte wieder das Gesicht des irischen Franziskaners vor Augen, dessen schockierte Miene, als er ihn mit seiner Entscheidung konfrontierte. Letztlich ging doch alles um Geld. Natürlich hatte Johannes von König Edward II. aus London eine gehörige Summe an Goldmünzen erhalten, die den Papst milde stimmen sollten. Trotzdem brachte ihn das Wissen um die Tapferkeit und den Stolz eines Michael Mac Lochlainn in arge Bedrängnis, denn insgeheim bewunderte er diesen Mann und seinen Kampf für die Gerechtigkeit, die er seinem Volk entgegenbringen wollte. Aber Johannes musste auch seine Schäfchen ins Trockene bringen und sein Vermögen mehren. Dafür sollte selbst Gott ein Auge zudrücken. Er tat es nur für ihn und die Erhaltung seines Reiches.

Jetzt stand der Papst auf und ging ein wenig am Fenster hin und her. In seinem Gedärm gärte und grummelte es immer noch. Während er tagsüber sicher und gezielt seine Entscheidungen traf, überfielen ihn nachts oft Gewissensbisse. Vor dem Zubettgehen hatte er das Fenster geöffnet, um die kühle Luft zu genießen, die sich jetzt über der Stadt ausbreitete. Eine große Hitzewelle hatte Avignon in diesem Juli heimgesucht. Erst seit ein paar Tagen kühlte die Luft wenigstens in der Nacht wieder ab.

Johannes atmete vor dem Fenster tief ein und aus. Die Geschehnisse des heutigen Tages beschäftigten ihn so sehr, dass er nicht schlafen konnte. Vor allem die Begegnung mit dem irischen Franziskaner, der die weite Reise aus seiner Heimat angetreten hatte, um ihn aufzusuchen, ließ ihn nicht los. Der Moment, als sein Besucher erkennen musste, dass er verloren hatte, war ihm besonders nahegegangen. Tränen waren in den Augen des alten Kämpfers gestanden. Das nahm selbst den Papst mit, denn Mac Lochlainn war ein tapferer Mann und gläubiger Katholik, der für sein Volk eintrat.

Der irische Erzbischof hatte sich nach der Absage tief enttäuscht von seinem Gesprächspartner verabschiedet, seinen Stock genommen und stumm den Raum verlassen.

Zwischen den Beratern war es daraufhin still geworden. Betreten hatten sie die Besprechung beendet und sich aus dem Studierzimmer zurückgezogen. Nur Gausculin, der Neffe des Papstes, der eigens aus England angereist war, hatte sich vertraulich zu Johannes hinübergesetzt. Er hatte seinem Onkel zuvor bedeutet, ihn unter vier Augen sprechen zu wollen. Die Palastwachen sowie der Camerlengo entfernten sich daraufhin ebenfalls aus dem Besprechungszimmer. Nur die aufwendig gefertigten Teppiche, die acht verbliebenen unbenutzten Stühle und der schwere Tisch, der auf kunstvoll geschnitzten Holzbeinen stand, wurden Zeugen der nun folgenden Unterredung.

Gausculin hatte seine Familie lange nicht mehr gesehen, und seine ersten Bemerkungen galten dem Wohle seines Vaters und seines Onkels. Johannes, der nichts Verwerfliches darin sah, plauderte seinerseits mit seinem Neffen über die Geschicke ihrer Familie. Erst als den familiären Neuigkeiten Genüge getan war, begann Gausculin den wahren Grund seines Bleibens offenzulegen. Der schottische Krieg in Irland schien den jungen Mann sehr einzunehmen, denn er begann ohne Umschweife, den Papst mit seinen Informationen zu bestürmen.

»Könnt Ihr Euch erinnern?«, schwor Gausculin seinen Onkel ein. »Ich hatte Euch im letzten Jahr erzählt, dass in Schottland eine ehemalige Assassinin aus dem Orient Robert de Bruce im Unabhängigkeitskrieg unterstützte.«

Johannes dachte kurz nach. Frauen spielten in der Geschichte der Schotten eine untergeordnete Rolle. Politisch konnte er sich das schwache Geschlecht schon gar nicht unter den rauen Kriegern der Highlands vorstellen. Aber dann erinnerte er sich doch noch an die verrückte Geschichte, die ihm sein Neffe schon vor einiger Zeit erzählt hatte. Johannes stutzte, als diese nun wieder zum Gesprächsthema wurde. Dabei war ihm diese Frau von Anfang an verdächtig vorgekommen.

»Meint Ihr Enja von Caerlaverock, die Frau des schottischen Generals James Douglas?«, fragte er vorsichtig und mit hörbarem Widerwillen. Vage kam ihm die Geschichte in den Sinn. Eine Frau, die sich anschickte, einen Clan in den schottischen Highlands zu führen. Johannes gab nicht viel darauf und nahm an, dass sie bei ihrem Vorhaben gescheitert sei. Frauen hatten seiner Meinung nach weder ein Recht noch einen Platz auf dem Schachbrett der Politik. Immerhin war sie nun als Ehefrau unter dem Befehl ihres berüchtigten Mannes James Douglas gut aufgehoben. Gausculin hatte ziemlich schnell Geschichten dieser Art parat, die sein Onkel als das Geschwätz adeliger Damen und gelangweilter Barden abtat. Allzu häufig suchte sein Neffe die Gesellschaft solcher Menschen und glaubte auch noch, was diese ihm ins Ohr setzten.

Gausculin nickte begeistert auf die Frage seines Onkels. Dessen unüberhörbare Abneigung gegenüber solchem Tratsch schien ihn nicht zu bremsen.

»Ich habe auf dem Londoner Markt einen schottischen Barden getroffen, der diese Enja von Caerlaverock gut gekannt hat. Sein Name war Alistair MacMhuirich, und er wusste Unglaubliches aus dem Leben dieser Kriegerin zu berichten.« Die Begeisterung Gausculins wuchs. Seine unsteten Augen leuchteten.

Johannes seufzte schwer. Er hatte es geahnt. Gausculin war einem Tunichtgut aufgesessen, einem echten Märchenerzähler. Aber wie es schien, hatte der Barde bei seinem Neffen mächtig Eindruck hinterlassen.

»Diese Frau war als Sklavin in einem Mätressenhaus und wurde später eines der Bettelkinder in Bagdad«, erzählte Gausculin weiter, als wäre ihm der Unmut seines Onkels gleichgültig. »Von dort nahm sie ein Medicus mit, der sich später einer Sekte anschloss. Diese stand unter der Führung des Orientalen Hassan I‑Shabbah. Dort wurde Enja als Assassinin ausgebildet und kam mit einem Tempelritter und einem nicht unerheblichen Vermögen nach Schottland. Angeblich ist sie sogar in den Heilkünsten bewandert. Und nicht nur das.« Gausculins Stimme klang erregt, als wäre er ganz und gar fasziniert von dieser Geschichte. »Sie kann kämpfen wie ein Mann und verübt Mordanschläge auf die Feinde ihres Landes. Die Mitglieder dieser Sekte sind angeblich die besten Kämpfer der Welt, ob im Morgen- oder Abendland. Von einem Mittelsmann habe ich erfahren, dass diese Sekte gegen üppige Bezahlung Mordaufträge annimmt, die gnadenlos und mit aller Konsequenz ausgeführt werden. Oft verlieren die Mörder dabei selbst ihr Leben, aber für ihren Sektenführer gehen die Assassinen freiwillig in den Tod.«

Gausculin schüttelte ungläubig den Kopf, war er doch von dieser unfassbaren Opferbereitschaft zutiefst erschüttert. Wie konnte sich jemand aus freien Stücken in den sicheren Tod begeben?

Johannes kamen Parallelen zu den Martyrien der ersten Christen in den Sinn, und er verbiss sich einen Kommentar. Seine Gedanken kreisten jetzt wider seinen Willen um diese seltsame Frau. Vielleicht hatten die Muselmanen sie absichtlich ins Abendland geschickt, um den englischen König zu töten? Von den Tempelrittern wusste er, dass sie sich die Assassinen gegen hohe Zahlungen vom Hals gehalten hatten. Diese Killer waren gefährlich und skrupellos und taten für Geld schlichtweg alles. Aber eine Frau?

Papst Johannes fragte sich, was seinen Neffen an dieser Sekte so sehr faszinierte. Aber Gausculin war schon immer ein sonderbarer Mönch gewesen, der sich für Teufelswerk und Hexenmagie interessierte. Als Papst hatte Johannes dafür gesorgt, dass der Sohn seiner Schwester in der Bibliothek an den heiligen Schriften arbeiten konnte. So hatte er ihn immer im Blick, während er seinen Neigungen nachging. Nicht die gefährliche Neugier, sondern seine Intelligenz und die profunden Kenntnisse der heiligen Schriften hatten Gausculin rasch die Leiter des Erfolgs innerhalb der Kirche hinaufsteigen lassen. Mittlerweile war er Legat des Londoner Bistums. In dieser Eigenschaft war er heute hier, und ihm brannte anscheinend eine Sorge auf der Seele. Deshalb ließ Gausculin sich durch das geringe Interesse des Papstes keineswegs entmutigen, sondern legte seinen Plan dar.

»Warum bezahlen wir nicht einen oder sicherheitshalber zwei dieser Assassinen, um den irischen Hochkönig zu beseitigen? Damit ersparen wir dem englischen König die Schmach einer drohenden Niederlage. Die katholische Kirche wird sicher niemanden des Mordes bezichtigen!«

Im Gesicht des jungen Mannes stand die Hoffnung geschrieben, mit seiner brillanten Idee die Politik in Irland in die richtige Richtung lenken zu können. Aber für den »Fuchs aus Cahors« entstammte dieser Plan wohl eher den Märchen und Legenden dieser Zeit. Ein wenig genervt schüttelte Johannes den Kopf.

»Ich habe für so etwas keine Zeit«, erklärte er, »und sehe ohnehin keine Aussicht auf Erfolg. Edward de Bruce wird von seinen Leuten scharf bewacht. Wie sollte ein Assassine zu ihm durchkommen? Und keine Bange, lieber Neffe, der englische König wird die Schotten ganz sicher schlagen. Ich habe soeben den irischen Franziskaner in seine Heimat zurückgeschickt, um seinen Schäfchen die Entscheidung des Papstes beizubringen. Das wird diesem störrischen Volk das Kreuz brechen.«

»Lochlainn wird nicht aufgeben, Onkel«, erwiderte Gausculin schroff und ohne Respekt vor Johannes’ Amt. »Er wird Truppen ausheben, um den Schotten zu helfen. Er war immer schon ein Kämpfer. Ihr unterschätzt ihn völlig!«

Johannes konnte nicht glauben, was er da hörte. Hatte er Mac Lochlainn nicht deutlich klargemacht, dass er sich heraushalten sollte? Dass er den irischen Provinzialfürsten eintrichtern solle, die Finger vom angestrebten Hochkönig zu lassen? Hatte Gausculin den Franziskaner womöglich besser eingeschätzt?

»Ich werde keinen muslimischen Mörder schicken, um den christlichen Hochkönig der Iren zu töten!«, blaffte der fassungslose Johannes seinen Neffen an. Seine Geduld war am Ende.

Aber der junge Mann gab sich nicht geschlagen; er redete sich jetzt erst richtig in Rage. »Ich könnte den Kontakt zu einem Mittelsmann der Sekte herstellen. Wenn Edward de Bruce des Nachts ermordet wird, hätte auch der irische Erzbischof keine Unterstützung mehr«, gab er dem Papst zu bedenken und lehnte sich weit im Stuhl zurück, auf einen erneuten plötzlichen Wutausbruch seines Onkels gefasst. Dessen heftige Reaktion hatte ihn erstaunt. Sein Onkel war wohl doch nicht ein so starker Mann, wie er ihn bisher eingeschätzt hatte.

Gausculin musste mit seinen Worten irgendetwas in der Haltung des Papstes erreicht haben, denn Johannes hielt kurz inne. Seine Gedanken schienen sich mit einer Idee zu beschäftigen.

»Wenn wir Lochlainn einen Begleiter mitgeben könnten …«, dachte der Würdenträger laut nach, und ein zweifelnder Blick richtete sich auf den Sohn seiner Schwester. Gausculins unruhige Augen huschten hin und her, nur nicht zu seinem Onkel – ein Tick, den der junge Mann von seiner Mutter Margarite geerbt hatte. Leider hatte er auch deren Allüren im Blut, die ihn beinahe seine Karriere als Mönch gekostet hätten.

Johannes’ Stirn kräuselte sich. »Nein«, entschied er dann in einem Tonfall, der keinen Widerstand duldete. »Ich werde niemanden ermorden lassen. Mord ist eine Todsünde, auch wenn ein Muslim dieses schreckliche Verbrechen ausführt. Für mich ist das keine Alternative. Wenn der Assassine erwischt wird, führt seine Spur womöglich zurück zu mir.«

Gausculin schwieg enttäuscht. Der Papst hatte seinen Plan nicht gewürdigt, wie er erhofft, ja erwartet hatte, sondern schroff zurückgewiesen. Dabei hatte er alles so geschickt eingefädelt und sogar schon erste Schritte unternommen, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Doch er verschwieg seinem Onkel wohlweislich, dass er bereits nach einem Assassinen geschickt und dem Meuchler einen Auftrag erteilt hatte. Vielleicht, so ging es Gausculin durch den Kopf, musste er die Dinge ein wenig anschieben. Denn die misstrauische Haltung des Papstes machte seine Pläne und die des englischen Königs zunichte. Aber das würde er nicht zulassen! Er würde die Geschichte Irlands auf seine Weise beeinflussen, koste es, was es wolle. Gausculin konnte nicht ahnen, zu welchem Entschluss der Papst in der Zwischenzeit gekommen war.

Ein leichtes Lächeln legte sich auf das ernste Gesicht des Kirchenoberhaupts. »Aber Ihr habt mich zu einer guten Idee inspiriert, mein lieber Gausculin. Ich werde Euch mit Mac Lochlainn und meiner persönlichen Bulle nach Irland schicken. Ihr werdet ihn begleiten und darauf achten, dass er in seiner Heimat die richtige Botschaft verbreitet. Sollten die beiden Armeen irgendwann in Irland aufeinandertreffen, wird meine Entscheidung eine gewichtige Rolle spielen. Und Ihr seid mit Erzbischof Michael Mac Lochlainn vor Ort.«

Erleichtert legte sich der Papst wieder in sein Bett zurück und zog die Decke bis zur Brust. Seine Schlafkammer war nicht sehr groß; das üppige Doppelbett nahm am meisten Raum ein. Ein hölzerner Baldachin mit einem kunstvollen Ölgemälde in der Mitte überspannte das quadratische Holzgeviert. Bestickte Kissen lagen rechts und links neben seinem Kopf, und eines der Fenster direkt neben ihm ließ ein wenig kühle Nachtluft in die Schlafkammer. Johannes starrte missmutig hinaus, ohne wirklich etwas zu sehen. Am Stand des Mondes erkannte er, dass es weit nach Mitternacht sein musste. Zuvor war er einige Zeit zwischen den Fenstern auf und ab gelaufen, um seine Gedanken zu ordnen.

Johannes war froh, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Ein Papst, der einen Mörder beauftragt, das war selbst ihm zu viel gewesen. Er, der sonst gern hinter verschlossenen Türen seine politischen Schachzüge ausführte, hatte starke Bedenken, muslimische Mörder auf christliche Männer loszulassen. Außerdem hatte er den Lobpreisungen seines Neffen wenig Glauben geschenkt. Ein Mann gegen die geballte Kampfkraft schottischer Krieger? Das hatte er Gausculin nicht wirklich abgenommen. Irgendjemand hatte ihm da einen Bären aufgebunden. Und dieser jemand trug den Namen Alistair MacMhuirich – möge der Teufel diesen schottischen Barden holen!

Michael Mac Lochlainn war jetzt mit Gausculin de Jean auf dem Weg zurück nach Irland. Der irische Erzbischof hatte enttäuscht seine wenigen Sachen gepackt und war am nächsten Tag abgereist. Aber Johannes war zufrieden, denn Mac Lochlainn übte großen Einfluss auf die irischen Adeligen aus. Sie würden die Entscheidung des Papstes zu würdigen wissen. Das enttäuschte, wettergegerbte Gesicht des alten Geistlichen stand Johannes immer noch vor Augen. Der sichtbare Schock, den seine Entscheidung bei dem älteren Mönch ausgelöst hatte, weckte seltsame Gefühle in ihm. Mac Lochlainn war ein guter, frommer, intelligenter Mann, und er vermochte seine Zuhörer stets zu fesseln. Außerdem war sein Ansehen in Irland unter den Provinzfürsten makellos. Das würde ihm helfen, die Hiobsbotschaft leichter unter den Adeligen in Irland zu verbreiten.

Johannes lag erst einige Minuten ausgestreckt in seinem Bett, als er ein leises Geräusch hörte. Es kam aus der Ecke des Schranks mit der Auswahl an Habiten. Dort hing auch der kunstvolle Hermelinmantel mitsamt einem Säckchen Lavendel, um die Motten fernzuhalten. Das Geräusch drang nur flüchtig an Johannes’ Ohr, aber er hatte es gehört – ein Scharren wie von Füßen über den Steinboden. War jemand hier? Hier, in seinem Zimmer?

Plötzlich wurde ihm die Kehle eng. Wollte ihn jemand beseitigen lassen? Womöglich von einem Assassinen? Wie dem, von dem Gausculin ihm erzählt hatte? Aber vielleicht hatte er sich alles auch nur eingebildet. Gewiss spielten seine überreizten Sinne ihm einen Streich. In diesem Augenblick hörte Johannes den Atem eines anderen Menschen, der sich unverkennbar hier im Schlafgemach befand. Panik machte sich in seinem Brustkorb breit, und die Härchen auf seinen Armen stellten sich auf. Es war beängstigend, unheimlich. Beobachtete irgendein Fremder ihn etwa schon die ganze Zeit? Dieser verdammte Gausculin und seine Gräuelgeschichten!

An Johannes’ Wirbelsäule bildeten sich Eiskristalle. Mit verkrampften Fingern zog er sich die Decke bis zum Kinn. Sollte er die Palastwache rufen? Aber dann würde ihn der Fremde vielleicht auf der Stelle töten. Sollte er dem Mörder ein Angebot machen, sein Leben gegen einen hohen Lohn zu verschonen?

Wer war so vermessen, den Papst zu töten?

Es dauerte nur Sekunden, bis die große schwarze Gestalt vor ihm stand. Wie aus dem Nichts tauchte sie auf. Johannes’ Atem setzte kurz aus. Selbst wenn er jetzt hätte schreien wollen, wäre ihm kein Laut über die Lippen gekommen. Er lag da wie gelähmt, wie ein Schaf auf der Schlachtbank, zitterte am ganzen Körper und fing an, stumm zu beten. Offenbar war es Gottes Wille, dass er in dieser Nacht sterben sollte, hier und jetzt, und er machte sich bereit für seinen letzten Atemzug.

Der Assassine hatte bereits sein Messer gezogen. Als Schatten war er unheimlich gewesen, riesig und furchteinflößend, doch je näher er kam, desto kleiner wirkte er. Sein Körper schien eher hager und sehnig als muskulös und massig zu sein. Sicher war er ein gestählter Kämpfer, schoss es Johannes durch den Kopf. Dieser geballten Kampfkraft hatte ein schwächlicher alter Mann wie er nichts entgegenzusetzen. Doch der Fremde schien keine Anstalten zu machen, ihn ermorden zu wollen.

»Ihr seid wach?«, hörte Johannes den Schwarzvermummten in der Sprache der Angelsachsen fragen. Er hatte einen starken Akzent, den Johannes nicht zuordnen konnte. Und die Stimme war hell und klangvoll. Es war die Stimme einer Frau!

Johannes’ Gedanken irrlichterten. Wie kam eine Frau in seine Kammer und, vor allem, wieso hatte sie ihn nicht schon längst getötet? Aus dem Mund des Papstes, der sonst mit gewichtiger Stimme zu reden vermochte, kam jetzt nur ein hilfloses Krächzen. Es klang wie das Husten eines Esels.

»Ich bin hier, um den Befehl Eures Neffen auszuführen«, erklärte die gedungene Mörderin unbeirrt. »Ich sollte Euch demonstrieren, wie ich mich erfolgreich in Eure Kammer schleichen und Euren Ring abnehmen kann. Monseigneur Gausculin sagte mir, wo ich diesen Ring finden kann. Ihr legt ihn stets auf Eurer Nachtkommode ab, um ihn am Morgen wieder überzustreifen.«

Der Blick aus zwei Augenpaaren richtete sich auf das besagte Schmuckstück. Tatsächlich lag der Ring dort, wo Johannes ihn abgelegt hatte. Der große, in Gold gefasste Rubin wirkte im Dunkel des Zimmers fast schwarz. Seelenruhig ergriff die Assassinin das kostbare Stück und zog sich zurück. Ihr Auftrag war ausgeführt. Als Gegenleistung für den Ring ließ sie ihren Dolch auf dem Kopfkissen des in Schweiß gebadeten Opfers zurück. Im nächsten Moment war die Assassinin wie ein Schatten aus Johannes’ Kammer verschwunden.

Der Blick des Papstes richtete sich auf die Waffe, die nun rechts neben seinem Gesicht lag. Er stand noch so sehr unter Schock, dass er sich nicht traute, den Kopf zu wenden. Das Gold auf dem Griff spiegelte das Mondlicht, das durchs Fenster fiel. Es war ein arabischer Krummdolch. Läge der Dolch nicht neben seinem Kopf – Johannes wäre überzeugt gewesen, alles nur geträumt zu haben.

Wenige Tage später entsandte Papst Johannes XXII. einen Boten. Der Auftrag an die Assassinin würde in wenigen Stunden erteilt sein. Selten in seinem Leben war er so voller Furcht gewesen wie in jener Nacht in seinem Schlafgemach. Eine Mörderin wie diese Frau, die schnell und lautlos neben seinem Bett erschienen war, hätte ihn sicher ebenso schnell und lautlos zu töten vermocht, ohne Spuren zu hinterlassen. Der Auftrag an die Assassinin kostete Johannes ein kleines Vermögen. Aber es war nur ein Bruchteil dessen, was ihm England in diesem Jahr an Kirchensteuern bezahlt hatte. Und es war auch nur ein kleiner Teil dessen, was der englische König bezahlen würde, um den Krieg in Irland für sich zu entscheiden. Vielleicht, so schloss Johannes aus seiner dunklen Erfahrung, würde diese Art der Warnung auch einen so harten Franziskaner wie Lochlainn umstimmen.

Gausculin hatte recht behalten.

Kapitel 2

Magh Lurgh Castle, Loch Key, Irland, im Juli 1317

Morgen, am 29. Juli 1317, wird mein Sohn ein Jahr alt, ging es mir ausgerechnet jetzt durch den Kopf. Spielten meine Sinne mir einen Streich? Ich musste mich auf die Aufgabe konzentrieren, die vor mir lag. Anstatt meine Gedanken mit meinem Sohn Conor zu verschwenden, sollte ich mich auf den Überfall vorbereiten, den ich mit Cathal sorgfältig durchdacht hatte.

Auf der abschüssigen, mit Moos überwucherten Felsplatte hatte ich mich vorsichtig an die Ruine der Burg Magh Lurgh herangeschlichen, deren bröckelige Mauern düster emporragten. Im schwachen Licht der Morgensonne konnte ich das mächtige Bauwerk leicht ausmachen. Wie spitze Knochen ragten die verwitterten Türme aus dem Gerippe der zerstörten Festung. Die dichten Büsche, die rund um die Burg üppig wuchsen, waren ein perfekter Sichtschutz, um sehr nahe an das verlassene Gemäuer heranzukommen. Es dauerte nicht lange, und ich kauerte dicht unterhalb der einzigen Mauer, die noch vollständig erhalten war. Hier war der Wind, der weiter oben kräftig blies, kaum spürbar.

Die Sonne warf die ersten hellen Strahlen über den Loch Key, der die Burginsel in einem weiten Bogen umgab. Dieser idyllische See mit seinen dicht bewaldeten Inseln lag nicht weit von Roscommon. Auf einer dieser Inseln thronten die Überreste der einst mächtigen Burg im Besitz des MacDiarmott-Clans. Irgendwann war sie vom Blitz getroffen worden und größtenteils niedergebrannt. Wie es schien, hatten die offenbar abergläubischen Besitzer der Burg kein Interesse mehr daran gehabt, sie wieder aufzubauen. Schwarze Mauern und verkohltes Holz zeugten von der immensen Kraft der Verwüstung, die der Blitz und das anschließende Feuer hier angerichtet hatten.

Meine Finger gruben sich in die Ritzen der steinernen Außenmauer und zeigten mir den Zustand des Gebäudes. Aber das durfte kein Hindernis für uns sein. Wir würden die geborstenen Mauern überklettern und die Engländer überraschen, die im Inneren der Ruine auf die Übergabe warteten. Mit einem Angriff von der Nordseite, der intakten Burgmauer, rechneten die Männer bestimmt nicht. Mit dem MacDiarmott-Clan, der sich gegen die Engländer verschworen hatte, hatten wir ausgemacht, dass die von Süden anrückenden Engländer am Seeufer abgefangen werden sollten. Danach hätten wir freie Bahn. Es ging um eine große Menge Silbermünzen, die den englischen Vormarsch beschleunigen sollten. Die Menschen in Irland waren vom Krieg und den schlechten Ernten in die Knie gezwungen worden.

Das Schicksal meines Freundes Cathal O’Conchobhar, den ich schon seit meiner Jugend im Orient kannte, war weit erfreulicher gewesen als das seiner Landsleute. Seine Burg Dunguaire lag glücklicherweise in der Nähe der Bucht von Galway, die von den schnellen schottischen Birlinns angesegelt werden konnte. In der Hafenstadt entwickelte sich ungestört vom Kriegsgeschehen ein reger Handel, den die Kaufmannsfamilien dort selbst beschützten. Als Provinzialfürst bekam Cathal nicht nur Abgaben aus dem Seehandel, sondern auch Zugang zu sämtlichen Waren.

In Dunguaire hatte ich am 29. Juni des letzten Jahres einen gesunden Jungen entbunden. Es war das Kind meines Liebhabers Ragnar, von dem ich während der Schlacht um Cathals Burg schwanger geworden war. Doch nach der Aussöhnung mit meinem Ehemann James Douglas wollte ich unser gemeinsames Glück nicht mit einem Kind der Schande belasten, wenngleich es völlig unschuldig an meinem Fehltritt war. Rechtzeitig, bevor sich das verräterische Bäuchlein zeigte, war ich unter einem Vorwand zurück nach Irland zu Cathal gereist und hatte dessen Ehefrau Moira gebeten, mir bei der Entbindung zu helfen.

Der Junge war gesund und bildhübsch. Wie meine Tochter Fionna hatte er meine helle Haut und statt Haaren einen hellen Flaum auf dem winzigen Kopf. Erst jetzt, nach vielen Monaten, zeigten sich die ersten weißblonden Härchen. Das Auffallendste war die unterschiedliche Farbe seiner Augen. Anders als bei seinem Vater und mir selbst waren bei ihm nicht beide Augen von einem klaren Blau, sondern nur eines. Im anderen Auge war die Iris von einem braunen Schatten durchfärbt. Eine Laune der Natur, aber so einzigartig wie das Kind selbst.

Anders als im restlichen Irland ging es den Menschen in Dunguaire gut, und mein Sohn war in Moiras liebevollen Händen bestens aufgehoben. Als ich nach Caerlaverock zurückgekehrt war, sah man mir meine geheime Schwangerschaft nicht mehr an. Mein gestählter Körper hatte auch die zweite Geburt ohne Veränderung weggesteckt.

Meinen Sohn nannte ich Conor, zur Freude meines Paten, weil er irische Wurzeln hatte. Cathal versprach, einen großen Kämpfer aus ihm zu machen, und ich vertraute ihm blind. Er würde Conor wie einen eigenen Sohn behandeln, hatte mir Cathal noch mit auf den Weg nach Hause ins schottische Dumfries mitgegeben.

Wie immer, wenn ich an das ungewöhnliche Gesicht meines Jungen dachte, machte sich ein seltsames Gefühl in mir breit. Ich hoffte inständig, er möge mehr nach mir schlagen, seiner Mutter. Ragnar, seinen Vater, hatte ich aus meinen Gedanken verbannt. Er war tot, doch mein Leben und das unseres Sohnes gingen weiter. Irgendwann würde Conor zu einem Mann heranreifen, der seinen eigenen Weg ging, und es sollte Cathals Vorbild sein, dem er folgte.

Fionna, meine Tochter, war mein Sonnenschein. Als ein Kind der Liebe aus meiner Ehe mit James war sie kurz nach dem überwältigenden Sieg der Schotten in Bannockburn geboren worden. Die kleine Fee hatte bereits heute im Alter von zwei Jahren die Herzen der Einwohner von Caerlaverock erobert. Mir ihrem lockigen weißen Haar und den blauen Augen sah sie wie ein kleiner Engel aus, konnte mit ihrem ständigen Gebrabbel aber auch die reinste Nervensäge sein. Für James war seine Tochter alles auf der Welt, und die beiden verband eine innige Liebe, trotz der wenigen Zeit, die mein Mann in Caerlaverock verbrachte. Ich war stolz auf meine beiden Kinder, auch wenn sie ein unterschiedliches Zuhause und verschiedene Väter hatten.

Konzentriere dich auf deine Aufgabe, ermahnte mich meine innere Stimme. Mit einiger Mühe wischte ich jeden Gedanken an meine geliebten Kinder beiseite und begann den gefährlichen Aufstieg von der Felsenplatte über die Mauer der MacDiarmott-Festung. Vor jedem Griff und jedem Tritt musste ich die verwitterten Steine unter meinen Händen und Füßen auf ihre Festigkeit testen, bevor ich sie belastete. Es kostete Zeit und manchmal auch Nerven, die Konzentration zu wahren.

Schnell hatte ich den größten Teil der Mauer passiert, und ein altbekanntes Gefühl erfüllte mich. In großen Höhen verspürte ich stets ein seltsames Vibrieren im Bauch. Beinahe so, als würden Ameisen darin krabbeln. Ich pausierte und atmete ein paar Mal ein und aus, bevor das leichte Schwindelgefühl wieder abebbte.

Ich war die Erste, die sich auf den Weg nach oben gemacht hatte, und musste eine geeignete Stelle finden, an der ich ein Seil befestigen konnte. Von dort sollte ich es zu den anderen hinabwerfen, damit sie mir folgen konnten. Daher gab es für mich keine Sicherung. Nur die Rillen im Stein und die Unregelmäßigkeiten des Mauerwerks gaben mir Halt.

Ein Blick nach oben vermittelte mir ein wenig Zuversicht. Es war nicht mehr weit bis zu den zerstörten Zinnen am oberen Ende der Mauer. Dort würde ich sicher sein. Mit dem Ärmel wischte ich mir den Schweiß von der Stirn, der mir auch über den Rücken lief. Der Aufstieg kostete mich viel Kraft, aber ich hatte mein Ziel vor Augen. Meine Muskeln in den Armen brannten; Krämpfe ließen mich immer wieder verweilen.

Kurz bevor ich den höchsten Punkt erreichte, hielt ich noch einmal inne, denn der Ausblick, der sich mir bot, war atemberaubend. Grüne Wipfel im dichten Baumbewuchs wiegten sich in der leichten Brise unter mir wie Wasser in einer Bucht. Daneben erstreckte sich goldglänzend der See, den wir in kleinen Booten durchquert hatten. Wie ein Maler, der sich noch ein paar Farbtupfer erlaubte, erleuchtete die Sonne üppige Sträucher mit roten Blüten und eine bunte Blumenpracht. Von Weitem erkannte ich satte grüne Wiesen und ausgedehnte Kornfelder. Hätte das ganze Land diesen wundervollen Anblick geboten, hätte man glauben können, Irland gedeihe prächtig. Leider war das Gegenteil der Fall. Tod und Krankheit, Hunger und Krieg beherrschten weite Teile des gebeutelten Landes. Der Landsitz der MacDiarmotts am Loch Key entpuppte sich als einer der wenigen fruchtbaren Flecken der irischen Insel.

Eine kleine Pflanze über mir erregte meine Aufmerksamkeit. Wie ein Edelstein stach sie aus dem geschwärzten Stein hervor und trotzte den Widrigkeiten der Natur. Dort, zwischen hartem und trockenem Stein, hatte eine rote Blume, die sich entschlossen der Sonne entgegenstreckte, Wurzeln geschlagen. Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. Die Blume und ihre Hartnäckigkeit erinnerten mich an die irischen Frauen, die selbst aus einem toten Acker Früchte hervorzauberten und deren Haare in der Sonne rot leuchteten. Die farbenfrohe Blüte war samtig und voller Pracht, sicher würde sie noch einige Tage ihre beste Seite zeigen. Ich berührte das zarte Geschöpf mit meinen wunden Fingern, und die Berührung verlieh mir neue Kraft. Noch einmal atmete ich tief ein und wappnete mich für das letzte Wegstück.

Nach wenigen Tritten und Griffen war ich oben am verwitterten Umgang angelangt. Dort musste ich mich erst einmal setzen, um die zitternden Beine zu entlasten. Erst dann wickelte ich das vorbereitete Seil um eine intakte Zinne und warf das restliche Stück mit den Knoten im Armabstand in die Tiefe.

An der Spannung des Seils erkannte ich sofort das Gewicht am anderen Ende. Es zeigte mir, dass der erste Mann jetzt seinen Aufstieg begann. Währenddessen spähte ich bereits unauffällig in den Burghof. Anders als zunächst vermutet, war er aufgeräumt und bot Platz für mehrere Männer an einem Lagerfeuer. Den Geruch, der von dem Feuer aufstieg, hatte ich außerhalb der Mauern kaum wahrnehmen können, hier oben jedoch zog der Duft von gebratenem Fleisch verlockend in meine Nase. Die Engländer waren an dieser Stelle gut geschützt, so dachten sie jedenfalls. Offenbar waren sie nicht auf den Gedanken gekommen, Feinde könnten von außen über die Mauer eindringen.

Ich machte etwa zwanzig Soldaten aus, die dort unten saßen oder noch schliefen. Sie hatten es nicht eilig, denn der Zeitpunkt der Übergabe war für morgen angesetzt. Es hieß, eine große Menge an Silbermünzen würde von den eingeschleusten englischen Soldaten an die Garnison der im Norden Irlands ausharrenden Engländer geschickt. Dort unten bei den Soldaten lagerte den Informationen der MacDiarmotts zufolge viel Münzgeld, in diesen Zeiten ein rares Gut. Es war genug, um die Armee eines Königs für weitere vier Monate zu unterhalten.

Beiden verfeindeten Armeen, Engländern wie Schotten, wurde der Nachschub knapp. Münzgeld war rar geworden, insofern bedeutete selbst eine kleine Menge ein wahres Vermögen. Ein Vermögen, das ich für Edward de Bruce’ Armee nun beschlagnahmen wollte.

Als Cathal mir vor einigen Wochen eine Nachricht nach Caerlaverock schickte, in der er mich bat, ihn bei einem Überfall in Irland zu unterstützen, war ich seiner Aufforderung liebend gern gefolgt. Ich nutzte jeden guten Vorwand, um meinen Sohn wiederzusehen. James, meine Ehemann, wurde nicht misstrauisch, denn der Krieg der Schotten ging in Irland in aller Härte weiter. So entließ er mich guten Gewissens in das Kriegsgebiet von Edward de Bruce, dem Bruder seines Königs Robert.

Caerlaverock, meine Burg im schottischen Dumfries, deren Burgherrin ich war, wirkte so ganz anders als Cathals Dunguaire in Irland. Geprägt von der Krankenstation war in Caerlaverock ein geschäftiges Treiben an der Tagesordnung. Bewohner, Besucher, Kranke und Kaufleute wechselten sich ab, denn der Zugang zur Brücke über den kleinen See, in dessen Mitte die Burg errichtet worden war, stand stets offen.

In meiner Burg herrschten den ganzen Tag Lärm und Gelächter. In Dunguaire hingegen war es oft beklemmend still, als wären Mensch und Tier vor Angst erstarrt. Die Geräusche der wenigen Bewohner, die noch dort lebten, durchbrachen die Phalanx des Todes nicht, die ich in jedem Winkel dieser Trutzfestung spürte. Wären nicht so viele Freunde dort gewesen, hätte ich keinen Grund gehabt, dorthin zu reisen. Aber ich hatte mich auf das Wiedersehen mit meiner alten Freundin und ihrer Kinderschar, meinem langjährigen Kumpel Cathal und meinem Sohn Conor gefreut. Vor wenigen Tagen war ich mit dem Schiff an der Küste Galways angekommen. Ein geschickter schottischer Seefahrer brachte mich und meine beiden tapferen Kriegerinnen Kalay und Winnie in einem Birlinn fast bis an Cathals Burgtor.

Es würde wohl mein Schicksal bleiben, dass meine Kinder an verschiedenen Orten dieser Welt aufwuchsen. Aber solange sie am Leben waren und es ihnen gut ging, war es mir recht.

Ein Geräusch schreckte mich aus meinen Gedanken. Es kam von der Stelle, an der das Seil über der Mauerkante hing. Schnaufend und prustend zog sich Liam MacLeod, der groß gewachsene Schotte mit dem schwarzen Vollbart, über die übrig gebliebene Zinne. Er fluchte unterdrückt, als ich ihm auf die Beine half. Selbst mit dem Seil war es für einen ausgewachsenen Krieger anstrengend, bis auf den Mauervorsprung zu klettern. Mit einem Finger an meinen Lippen bedeutete ich ihm zu schweigen und zeigte erklärend auf das Feuer im Burghof. Sofort verstummte Liams schottisches Gezeter, und er nickte entschuldigend. Geschickt und leise half er mir, den nächsten Mann über die Außenmauer zu ziehen. Es war Cathal, dessen massige Gestalt Liam mit einer Hand stützte. Deutlich erkannte ich die Doppelaxt, die Cathal sich mitsamt seinem Breitschwert auf den Rücken geschnallt hatte. Bei jedem anderen Mann hätte solch eine Bewaffnung lächerlich ausgesehen. Bei dem tätowierten Hünen war sie unabdingbar.

Liam MacLeod gehörte mit Cathal und meinen beiden engsten Vertrauten, den Amazonen Kalay und Winnie, zum harten Kern der Truppe. MacLeod ließ sich seltsamerweise kaum von den beiden trennen. So hatte ich immer ein Dreiergespann neben mir, denn meine beiden Amazonen begleiteten mich überallhin.

Zusammen warfen die beiden Männer jetzt weitere Seile über die Mauer, und es dauerte nicht lange, bis auch die hochgewachsene Kalay und die zwergenhafte Winnie sowie die restlichen schottischen Kämpfer den Burghof oben auf der Außenmauer umzingelt hatten. Es waren jetzt sicher ein Dutzend bis an die Zähne bewaffnete Schotten hier oben.

Dort unten schien kein Mensch die Gefahr zu erahnen, die sich hoch über ihren Köpfen zusammenbraute. Waren sie wirklich so naiv? Hatten sie denn keine Wachen aufgestellt?

Sosehr ich mich auch bemühte, ich konnte keine Posten ausmachen. Nicht hier oben auf der Mauer, und auch nicht unten am Ufer. Es war, als würden sie sich vollkommen sicher fühlen. War das wirklich der Fall? In einem Land, in dem der Krieg tobte, und im Besitz eines Schatzes, der Soldaten zu Mördern machte? Irgendetwas kam mir seltsam vor. Entweder hatten die Soldaten gar nichts Wertvolles bei sich, oder es war eine Falle. Doch die Informanten kamen aus dem Kreis der Familie de Lacy, treue Verbündete und Unterstützer der Bruce’schen Invasion. Diese hatten den Clan der MacDiarmotts in den Plan eingeweiht, sodass die irische Seite Wind von dem Werttransport bekam. Sie würden uns sicher nicht in eine Falle laufen lassen.