Der kleine Buchladen am Meer - Anjali Banerjee - E-Book
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Der kleine Buchladen am Meer E-Book

Anjali Banerjee

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Beschreibung

Zum Wohlfühlen kuschlig, zum Träumen schön: Der Feelgood-Roman »Der kleine Buchladen am Meer« von Anjali Banerjee jetzt als eBook bei dotbooks. Ehemann, Haus, ein perfektes Leben – alles Geschichte! Doch statt Trübsal zu blasen, beschließt die junge Investment-Managerin Jasmine: Wenn das Leben dir dunkle Wolken schickt, dann tanz einfach im Regen. Kurzerhand fährt sie nach Shelter Island, um in dem heimeligen Städtchen Fairport ihrer Tante auszuhelfen, die für längere Zeit verreisen muss und dringend jemanden sucht, der ihre kleine Buchhandlung weiterführt. Als der besondere Zauber des Ladens bald auf Jasmine übergeht, hat sie zum ersten Mal das Gefühl, im Leben wirklich angekommen zu sein: Es gelingt ihr, für jeden Kunden das Buch zu finden, das er insgeheim schon so lange sucht. Aber was hat es mit dem mysteriösen jungen Mann auf sich, der immer wieder im Buchladen auftaucht – und Jasmines eigene geheimste Wünsche zu kennen scheint? »Erfrischend und höchst unterhaltsam. Ich habe jedes Wort geliebt!« Bestsellerautorin Susan Elizabeth Phillips »Eine Geschichte, die auch nach der letzten Seite nicht loslässt.« Bestsellerautorin Susan Wiggs »Wunderbar, magisch und anrührend.« happy-end-buecher.de Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der charmante Liebesroman »Der kleine Buchladen am Meer« von Anjali Banerjee bietet ein Wiedersehen mit liebenswerten Figuren aus der Reihe »Die Frauen von Shelter Island«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 310

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Über dieses Buch:

Ehemann, Haus, ein perfektes Leben – alles Geschichte! Doch statt Trübsal zu blasen, beschließt die junge Investment-Managerin Jasmine: Wenn das Leben dir dunkle Wolken schickt, dann tanz einfach im Regen. Kurzerhand fährt sie nach Shelter Island, um in dem heimeligen Städtchen Fairport ihrer Tante auszuhelfen, die für längere Zeit verreisen muss und dringend jemanden sucht, der ihre kleine Buchhandlung weiterführt. Als der besondere Zauber des Ladens bald auf Jasmine übergeht, hat sie zum ersten Mal das Gefühl, im Leben wirklich angekommen zu sein: Es gelingt ihr, für jeden Kunden das Buch zu finden, das er insgeheim schon so lange sucht. Aber was hat es mit dem mysteriösen jungen Mann auf sich, der immer wieder im Buchladen auftaucht – und Jasmines eigene geheimste Wünsche zu kennen scheint?

»Wunderbar, magisch und anrührend.« happy-end-buecher.de

Über die Autorin:

Anjali Banerjee wurde in Indien geboren und ist in Kanada und Kalifornien aufgewachsen. Sie studierte in Berkeley und lebt heute mit ihrem Mann und fünf Katzen in einem kleinen Cottage in den Wäldern von Nordamerika. Sie liebt das Wandern, Schwimmen und Klavierspiel.

Anjali Banerjee veröffentlichte bei dotbooks auch ihre Romane:

»Der kleine Inselladen der Träume – Die Frauen von Shelter Island, Band 1«

»Der kleine Stoffladen des Glücks«

»Der kleine Hochzeitsladen am Meer«

***

eBook-Neuausgabe Januar 2021

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2011 unter dem Originaltitel »Haunting Jasmine« bei Penguin, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2011 unter dem Titel »Die Bücherflüsterin« bei Blanvalet.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2011 by Anjali Banerjee

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2011 by Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / Andrew Zerndl / Massimo Santi / Ariana P Habich / Cantemir Olarin / Jones M / Andrii Spy_k / Zerbor / Paolo Paradiso / rsooll / IndustryAndTravel

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96655-563-0

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Anjali Banerjee

Der kleine Buchladen am Meer

Roman

Aus dem Amerikanischen von Karin Dufner

dotbooks.

Im Gedenken an meinen Freund Keith Curtiss

Kapitel 1

Ich hatte wirklich nicht mit dieser Wendung der Ereignisse gerechnet. Mein Exmann Rob hatte seinen Charme als Waffe eingesetzt, ohne sich darum zu kümmern, wem er damit das Herz brach – oder das Leben ruinierte. Es interessierte ihn auch nicht, in wessen Bett er aufwachte. Tja, Jasmine, pflegte meine Mutter zu sagen. Das ist eben ein amerikanischer Penis. Du hättest einen Bengalen heiraten sollen. Treu, gutmütig und traditionsgebunden. Ihre Worte lassen mich stets an einen bengalischen Penis, eingehüllt in die traditionelle churidar kurta denken, dessen Kopf bei unserer traditionellen indischen Hochzeit aus der mit Gold bestickten Seide ragt. Aber der Wunsch meiner Mutter wird niemals in Erfüllung gehen. Denn ich werde nicht wieder heiraten.

Da die Scheidung nun durch ist, brauche ich eine Auszeit von Los Angeles und von meinem auf Abwege geratenen Ex, den ich einmal für das Allergrößte gehalten habe. Ich stehe allein auf der Fähre nach Shelter Island, einem grünen Punkt, der sich in der regendurchtränkten Dunkelheit im Puget Sound abzeichnet. Draußen an Deck peitscht der Wind mein Haar und erinnert mich daran, dass ich noch lebe und die Kälte noch spüren kann. Auf dem Display meines Mobiltelefons leuchtet Roberts Nummer auf – die grünen Ziffern, die ich inzwischen zu hassen gelernt habe. Ich ignoriere den Anruf und lasse ihn in der tauben Gleichgültigkeit meiner Mailbox versickern. Soll sich Robert doch selbst um den Immobilienmakler und die Aasgeier kümmern, die sich auf unsere Eigentumswohnung stürzen wollen. Ich habe mich vorübergehend in die Einsamkeit geflüchtet.

Während wir uns der Insel nähern, taucht ihre Ostküste aus einer Nebelwand auf. Kiefern und Föhren wachsen in wildem Durcheinander bis hinunter zu den zerklüfteten Buchten der Steilküste. Bewaldete Hügel ragen in einen bleigrauen Himmel. Die Stadt Fairport mit ihren Altbauten und funkelnden Lichtern schmiegt sich in die Rundung des Hafens. Mein Herz klopft. Was mache ich eigentlich hier? Bald wird das inseltypische Moos zwischen meinen Fingern, in den Nasenlöchern und in den Taschen meines dünnen Regenmantels wuchern. In einer dieser Taschen steckt der Brief meiner Tante, ihre dringende Bitte, die mich nach Hause gerufen hat.

Obwohl wir mittlerweile im Zeitalter der E-Mails leben, schreibt sie mir lieber auf die altmodische Weise. Ich hole den Brief aus seinem Versteck und schnuppere am Papier – ein zarter Rosenduft. Bei jedem Entfalten riecht der Brief anders. Gestern war es Sandelholz. Vorgestern Jasmin. Doch der Text, festgehalten in der geneigten Schrift meiner Tante und in goldenen Buchstaben, bleibt immer derselbe:

Ich muss nach Indien. Ich brauche dich, damit du während meiner Abwesenheit den Buchladen führst. Nur du kannst das.

Als ich sie anrief, um sie nach dem Grund zu fragen, antwortete sie, sie müsse in Kalkutta etwas für ihre Gesundheit tun. Sie hat nichts weiter hinzugefügt. Und wie kann ich meiner alten, gebrechlichen Tante etwas abschlagen? Außerdem hat sie mir einen Zufluchtsort bei den Klassikern angeboten. Dabei hatte ich seit Jahren nicht mehr die Zeit, Romane zu lesen. Die Gründe dafür verbergen sich in meiner überdimensionalen Handtasche. Eine zusammengerollte Ausgabe des Forbes Magazine, ein BlackBerry und ein Netbook. Die Technologie zerrt schwer an meinem Schulterriemen. Außerdem habe ich kaum noch Platz für die üblichen Utensilien: Puderdose, Lippenstift, Aspirin, Allergietabletten, Kreditkarten, Quittungen und einen Schlüsselbund, an dem auch der zum Fitnessraum in der Firma hängt. Kein einziger Roman. Aber was habe ich zu verlieren? Es kann doch eigentlich nicht so schwer sein, die neue Nora Roberts oder Mary Higgins Clark zu verkaufen?

Einen Monat in einem Buchladen auf der Insel herumzusitzen ist nur ein kleines Opfer, das ich für meine geliebte Tante bringe. Außerdem habe ich etwas zum Arbeiten dabei, damit mir nicht langweilig wird, wie zum Beispiel einige Berichte der Anwaltskammer, die ich aus zeitlichen Gründen noch nicht gelesen habe.

Als die Fähre andockt, reißt mir ein Windstoß den Brief meiner Tante aus der Hand. Das rosafarbene Papier flattert ins Wasser, und für einen Moment leuchtet ihre Handschrift im Abendlicht. Dann löst sie sich in kleine Pünktchen auf, während der Brief untergeht. Ich überlege, ob ich ihm nachspringen soll – schließlich wäre ertrinken eine willkommene Erlösung von meiner Niedergeschlagenheit. Aber der Ruf einer Möwe ermahnt mich, den Kopf nicht hängen zu lassen und Rob diese Genugtuung nicht zu gönnen.

Also straffe ich die Schultern und reihe mich in die Herde der Passagiere ein, die die Rampe hinunter zur Harborside Road schlurfen. Die von gusseisernen Laternenmasten und riesigen alten Pappeln gesäumte Straße schlängelt sich am Ufer entlang und verschwindet dann im silbrig schimmernden Dunst. Ich male mir aus, wie ich in diesen Dunst hineingehe und auf der anderen Seite eine neue Welt betrete, in der Ehemänner keine Affären haben und in der zwei Menschen die Zeit zurückdrehen und sich wieder ineinander verlieben können, anstatt sich wehzutun. Allerdings weiß ich, dass das unmöglich ist. Die Zeit bewegt sich nur in eine Richtung. Also muss ich weiter zum Buchladen meiner Tante marschieren, obwohl meine Absätze sich nicht für kopfsteingepflasterte Gehwege eignen und mein Mantel für dieses Wetter zu leicht ist.

Seit meinem letzten Besuch vor einem Jahr hat sich in der Stadt nichts geändert. Fahrradgeschäft. Chiropraktiker. Optiker. Spielsteine für jedes menschliche Bedürfnis. Nimmst du einen in die Hand, hast du schon verloren. Im Fenster des Fairport Café, wo die Einheimischen Gerüchte und Kochrezepte austauschen, hängt ein Schild, das für den Kuchenbasar der Rotarier wirbt.

Ich weiß nicht, wann ich zuletzt Zeit hatte, ein Kochbuch aufzuschlagen. In Los Angeles haben Rob und ich uns von Fast Food ernährt, ein Geheimnis, das meine Mutter sicher verärgern würde. Sie findet, dass jede gute bengalische Tochter so sein sollte wie meine Schwester Gita, deren Spezialität Fischcurry ist. Ich hingegen kann mich kaum erinnern, wie man Wasser kocht. Und da ich nun bei meinen Eltern wohnen werde, wird es schwierig sein, meine Lücken in diesem Bereich zu tarnen.

Und so steuere ich auf den Buchladen meiner Tante zu, der sich sechs Häuserblocks entfernt vom Wasser befindet. Es ist ein zweistöckiges ockerfarben und weiß gestrichenes viktorianisches Haus im Queen-Anne-Stil. Als ich näher komme, rennt gerade ein kleines Mädchen weinend zur Tür hinaus. Ihre Mutter folgt ihr.

»Aber ich will Curious George!«, jammert das kleine Mädchen.

»... ein andermal«, sagt ihre Mutter und verfrachtet das Kind in einen VW Käfer.

Vor dem Buchladen bleibe ich stehen. Mein Herzschlag beschleunigt sich. Auf quengelnde Kinder bin ich nicht vorbereitet. Außerdem habe ich vergessen, wie groß das Haus ist. Und wie verschachtelt. Eine Ansammlung von Panoramafenstern, Türmchen und dazu eine ums ganze Gebäude herum verlaufende Veranda. Aus der Nähe betrachtet treten Anzeichen der Vernachlässigung deutlich hervor. Am Geländer blättert die Farbe ab. Am Dach haben sich einige Schindeln gelockert. Meine Tante sollte renovieren, streichen und eine Neonreklame ins Fenster hängen.

Ich hole tief Luft und ziehe meinen Koffer die enge Treppe zur Hintertür hinauf, die inzwischen der Eingang zum Buchladen ist. Ein ausgetretener Pfad führt ums Haus herum zur kunstvoll verzierten Vordertür, die zum Wasser zeigt – Erinnerung an eine vergangene Zeit, als wichtige Gäste noch mit dem Schiff eintrafen. Ich bezweifle, dass wichtige Leute inzwischen auch nur die Schwelle überschreiten.

Als ich die Tür öffne, wehen mir leise Stimmen entgegen. Die Wörter verschmelzen miteinander, ändern dann ihre Meinung und schweben davon. In der Vorhalle ist es bis auf das schwache orangefarbene Schimmern einer Tiffanylampe dämmrig. Ich werde ein paar hellere Lampen anbringen.

Die schwere Tür fällt hinter mir ins Schloss und sperrt die Welt aus. Der Zitronengeruch von Möbelpolitur mischt sich mit Staub; der Dunst von Mottenkugeln hängt schwer in der Luft. Einen Monat in dieser stickigen Atmosphäre, umgeben von nutzlosen Antiquitäten und vergriffenen Buchtiteln werde ich bestimmt nicht überleben.

Und dann dieser Krimskrams! Meine Tante hat alles flächendeckend zugestellt. Links von mir ziert ein staubiger Teppich aus Kaschmir, der in gedeckten Rot- und Goldtönen den Baum des Lebens darstellt, die Wand. Vielleicht hat das Licht ja geflackert oder Ganesh, der elefantenköpfige Gott der Hindus, spielt mir einen Streich. Jedenfalls sitzt die Messingstatue rechts von mir und wartet darauf, die Kundschaft zu verscheuchen. Meine Tante sollte hier die neuesten Bestseller ausstellen, keine Statuen.

Dennoch strecke ich unwillkürlich die Hand aus, um Ganesh den gewaltigen Wanst du reiben. Er wird mich mit einem Bann belegen, weil ich nicht niederknie und seine Füße berühre. Schließlich ist er mächtig, aufbrausend und unberechenbar.

»Vielleicht kannst du ja Rob verfluchen, damit ihm der Schwanz abfällt«, raune ich Ganesh zu. Er antwortet nicht.

Als ich meinen Koffer neben der Statue deponiere, stoße ich beinahe mit einem Mann zusammen, der plötzlich aus dem Nichts erschienen ist. Ich schaue in ein markantes Gesicht unter schweren Lidern, umrahmt von dunklem, vom Wind zerzaustem Haar. Er trägt Freizeitkleidung, eine Kapuzenjacke, eine braune Cargohose und Wanderstiefel. Unter einem Arm hat er einen Bücherstapel. Offenbar hat er viel Zeit zum Lesen.

»Das tut sicher weh«, meint er. Er hat einen sonoren, samtigen Bariton, der über meine Haut streicht, und verströmt einen Geruch von Nadelbäumen und frischer Luft.

»Was tut weh?« Ich kann nicht an ihm vorbei, denn er versperrt mir den Weg und macht keine Anstalten, sich zu rühren.

»Den Familienschmuck zu verlieren.«

»Oh, Sie haben gehört, was ich gesagt habe.« Das Blut steigt mir in die Wangen.

»Gut, dass ich nicht dieser Rob bin.« Ein Lächeln spielt um seine Lippen. Er will mich eindeutig auf den Arm nehmen.

»Glauben Sie mir, wenn Sie Rob wären, wären Sie jetzt tot.« Als ich an ihm vorbeischlüpfen will, stolpere ich beinahe über die Teppichkante.

Er macht Platz. »Sie haben es aber ganz schön eilig.«

»Ich bewege mich in Normalgeschwindigkeit. Habe noch nicht auf Inselzeit umgestellt.«

Er mustert mich eindringlich und ohne eine Spur von Verlegenheit. »Woher kommen Sie denn?«

»L. A. Ich bin nur hier, um meiner Tante zu helfen ... vorübergehend.« Ich brauche eine heiße Dusche und eine Tasse Espresso.

»Ihrer Tante. Die reizende Dame im Sari.«

»Genau die.« Also wirkt sie noch immer anziehend auf jüngere Männer. Und sie trägt auch noch immer einen Sari.

»Die Schönheit muss in der Familie liegen«, stellt er fest.

Meine Ohren fangen an zu glühen. Gut, dass sie unter den Haaren verborgen sind. Ich habe mich schon lange nicht mehr schön gefühlt. »Ziemlich vorwitzig sind Sie, Mr. ...«

»Hunt. Connor Hunt. Dann sind Sie sicher Jasmine.«

»Woher kennen Sie meinen Namen.«

»Ihre Tante hat über Sie gesprochen. Sie hat Sie als eine ausgesprochen faszinierende Person beschrieben.«

Faszinierend? Ich war noch nie faszinierend. »Meine Tante verbreitet also Gerüchte über mich? Was erzählt sie denn sonst noch alles? Ich muss wohl ein Hühnchen mit ihr rupfen.«

»Sie sagt, dass Sie bei ihr arbeiten werden.«

»Mehr nicht? Das ist doch kaum faszinierend.«

»Und dass Sie auf der Flucht sind.«

»Ich auf der Flucht?« Meine Stimme wird lauter, und mein Nacken verkrampft sich. »Erstens geht Sie das nichts an, und zweitens bin ich nicht auf der Flucht. Nur um das mal klarzustellen.«

Er hebt die Hand. »Schon gut ...«

»Ich habe noch viel zu tun. Also gehe ich jetzt besser zu meiner Tante, falls Sie nichts dagegen haben.«

»Haben Sie vielleicht Zeit für einen Kaffee? Oder Tee?«

Der Typ hat vielleicht Nerven. »Ich werde überhaupt keine Zeit für Verabredungen haben, während ich hier bin.« Insbesondere nicht mit Männern wie dir. Männern, die sich an fremde Frauen heranmachen. Männern wie Robert.

»Wer hat denn etwas von einer Verabredung gesagt?« Als er einen Schritt auf mich zumacht, weiche ich zurück.

»Wie würden Sie es denn sonst nennen? Sprechen Sie immer Frauen in Buchläden an?«

»Nur Sie. Und ich kann Sie wirklich nicht überzeugen?«

»Keine Chance.« Am liebsten würde ich ihn eigenhändig vor die Tür setzen. Er ist genau wie Robert, der mit jeder Frau flirten musste, der er begegnet ist. Auf so etwas lasse ich mich nicht mehr ein. Inzwischen habe ich mich in die Festung Jasmine verwandelt.

Er streicht sich mit dem Zeigefinger über eine Augenbraue. »Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich nicht enttäuscht bin. Aber ich hoffe, dass wir uns wieder begegnen.« Er schlüpft zur Tür hinaus und verschwindet in der windigen Nacht.

Kapitel 2

Gut, dass ich ihn los bin.

Eine Frechheit, einfach eine fremde Frau anzubaggern. Ich wette, dass er eine Ehefrau zu Hause sitzen hat. Vielleicht sogar Kinder.

Hat Robert bei seiner ersten Begegnung mit Lauren auch so unschuldig gelächelt und sie gefragt, ob sie mit ihm ausgehen will? Hat er heimlich den Ehering vom Finger genommen und ihn eingesteckt? Hat er so getan, als bedeute sie ihm etwas?

Männer sind testosterongesteuert und glauben, dass sie jede Frau haben können, die ihnen gefällt. Aber mich kriegt niemand mehr. Niemals wieder. Ich muss unbedingt im Büro anrufen, um sicherzugehen, dass die Firma nicht noch jemanden gefeuert hat. Schließlich liegt mir viel daran, an meinen Arbeitsplatz zurückzukehren.

Nachdem ich den Mantel in den Garderobenschrank gehängt habe, gehe ich in das vollgestellte Zimmer rechts von mir, wo ich mein BlackBerry in alle Richtungen halte. Ich versuche es erst in einem Gang, dann im nächsten. Kein Empfang.

Aus dem Gang mit den Geschichtsbüchern, der die Aufschrift ZWEITER WELTKRIEG trägt, dringt lautes Schnarchen. Ein bärtiger Mann ist in einem Lehnsessel eingeschlafen – ein Buch über Kriegsschiffe liegt aufgeschlagen auf seiner Brust. Erstaunlich, wie viel Zeit manche Menschen haben. Schlafen und lesen. Müssen die denn nicht arbeiten? Oder ihre E-Mails abfragen?

»Bippy, meine Lieblingsnichte!«, höre ich meine Tante hinter mir ausrufen. Ihre Stimme ist viel lauter, als ihre Körpergröße vermuten lässt. Sie spricht mich immer noch mit meinem Kosenamen aus Kleinkindertagen an.

»Tante!« Während ich herumwirbele, läuft sie mir mit ausgestreckten Armen entgegen. Sie ist so lebhaft wie ein junges Mädchen, auch wenn ihr schlohweißes Haar, ihr faltiges Gesicht und die Gleitsichtbrille mit dem silbernen Gestell ihr wahres Alter verraten. Ihr Wollpullover mit den aufgestickten Rentieren beißt sich mit dem grünen Chiffonsari. Von ihrer geheimnisvollen Krankheit ist nichts zu sehen.

»Warum hast du dich nicht bemerkbar gemacht?« Sie schließt mich in die Arme und hüllt mich in ihren ganz eigenen würzigen Geruch ein, den Duft meiner Tante, unterlegt mit einem Hauch Pond's Cold Cream. Kindheitserinnerungen strömen auf mich ein. Meine Tante, wie sie Blumenkohlcurry und mishti dor, eine Nachspeise auf Joghurtbasis, macht und mir nagelneue Ausgaben von Curious George und Pu der Bär schenkt ... Habe ich diese albernen Bücher damals wirklich gelesen?

Ich schaue ihr in die Augen und suche nach Anzeichen dafür, dass ihr etwas fehlt. »Ich habe dich gesucht. Wie geht es dir?«

»Ich schlage mich wacker, den Göttern sei Dank.«

Der Typ im Lehnsessel schnarcht weiter.

Ein Mann kommt hereingestürmt und verbreitet eine gereizte Stimmung. Er ist in Herbstfarben gekleidet. Sein schwarzes Haar ist sorgfältig frisiert und geölt. Vermutlich verbringt er jeden Morgen eine Stunde vor dem Spiegel, um jedes Härchen zurechtzuzupfen. Er strahlt einen aristokratischen, eleganten Charme aus. Seine Gesichtszüge sind so abgerundet, als hätte das Wetter sie weich geschliffen.

»Ruma, das Schaufenster ist schon wieder völlig durcheinander, und ich habe das Aufräumen langsam satt.« Kopfschüttelnd betrachtet er den Schnarcher. »Die Wochenendkrieger fangen immer früher an. Wir haben doch erst Montag.«

»Wochenendkrieger?«, wiederhole ich.

Der Mann betrachtet mich. »Leute, die nur zum Rumsitzen und Schlafen hier aufkreuzen.«

»Hoffentlich sind es nicht allzu viele.«

»Wo kommst du denn her, Schätzchen?« Er mustert mich von Kopf bis Fuß. »Ach ja, du musst Jasmine sein.«

»Nett, dich kennenzulernen«, sage ich und frage mich dabei, was meine Tante ihm wohl über mich erzählt hat.

»Das ist Tony«, verkündet meine Tante. »Du wirst mit ihm zusammenarbeiten, während ich weg bin.«

Ich lächle, um das Flattern in meinem Magen zu verbergen. »Ich freue mich schon darauf«, antworte ich höflich.

Tony schüttelt mir so fest die Hand, dass er mir beinahe die Knochen bricht. »Also ziehst du hier ein.«

Ich lasse seine Hand los. »Ich bin nur zu Besuch hier. Übernachten werde ich bei meinen Eltern ein paar Straßen weiter.«

Tonys Lippen formen sich zu einem O. »Oh, nein, das wirst du nicht tun. Du musst die Stellung hier halten, und das heißt, dass du in diesem Haus wohnst.«

Ich wende mich an meine Tante. »Meint er das ernst?«

»Natürlich. Das ist ein Teil der Abmachung. Du musst auch auf das Haus aufpassen.«

»Das geht nicht. Die Nächte werde ich bei Ma und Dad im Gästezimmer verbringen. Ich brauche einen Schreibtisch zum Arbeiten. Deine Mansardenwohnung ist viel zu klein.«

»Aber sie ist der schönste Teil des Hauses.«

»Ma hat das Gästezimmer schon hergerichtet. Dort habe ich jede Menge Platz.«

»Kommt nicht in Frage. Du musst hier sein, falls die Toiletten Mätzchen machen.«

»Die Toiletten? Ich bin doch keine Klempnerin.«

»... oder falls es einen Stromausfall oder, die Götter mögen es verhindern, ein Feuer gibt.«

»Ein Feuer?«

»Wir haben Feuerlöscher. Außerdem finden hier abends und am frühen Morgen einige Veranstaltungen statt. Also musst du hier sein ...«

»Veranstaltungen?« Ich traue meinen Ohren nicht. Was für Veranstaltungen kann sie hier in diesem Provinznest wohl abhalten?

»Am Mittwochvormittag kommt eine Autorin ziemlich früh zur Signierstunde ...«

»Kann Tony das nicht übernehmen?«

»Ich wohne in Seattle«, erwidert Tony stirnrunzelnd, »und pendle mit der Fähre. Normalerweise bin ich nur unter der Woche hier, aber dieses Wochenende bleibe ich, um dir zu helfen.«

Meine Tante tätschelt mir den Arm. »Siehst du? Tony ist sehr engagiert. Der Buchhandel ist eine Lebensaufgabe, nicht nur ein Job. Du hast doch nicht etwa geglaubt, erst erscheinen zu müssen, wenn der Laden öffnet, und zu gehen, wenn er wieder schließt?« Ihre Augenbrauen heben sich wie zwei silberne Hängebrücken.

»Offen gestanden, ja.« Mir rutscht die Handtasche von der Schulter. Hastig ziehe ich den Riemen hoch.

Als Tony kichert, würde ich ihm am liebsten eine runterhauen.

Meine Tante droht mir mit einem von Ringen strotzenden Finger. »So kann man keinen Buchladen führen. Man muss Überstunden machen. In der Mansarde schlafen. Und nachts den Büchern beim Atmen zuhören.«

»Atmende Bücher?« Bitte nicht. Meine Tante sollte besser die Zimmer saubermachen, die Fenster aufreißen, zusätzliche Lampen installieren und die neuesten Bestseller ordern.

»Eine Vollzeitstelle also«, fügt sie hinzu.

»Aber ich muss während meines Aufenthalts hier eine Menge für meinen richtigen ... meinen anderen Job erledigen. Außerdem kriegt mein Mobiltelefon hier keinen Empfang.«

»Wir sind hier in einem Funkloch.« Sie lächelt mir liebevoll zu. »Sie ist so beschäftigt«, erklärt sie Tony. »Sie hilft Menschen, Geld für die Altersvorsorge anzulegen.«

»In sozial verträglichen Fonds«, ergänze ich. Und wenn ich bei meiner Rückkehr nach L.A. der Hoffmann Company keine gelungene Präsentation hinlege, könnte ich meine Stelle loswerden.

Tony mustert mich von Kopf bis Fuß. »Einen guten Klamottengeschmack hast du ja, aber die Sachen eignen sich besser für die Stadt. In diesen hohen Hacken kannst du nicht arbeiten. Da kriegst du Fußschmerzen.«

Die habe ich jetzt schon. »Ich habe ein Paar Turnschuhe im Koffer.«

»Dann zieh sie an. Hoffentlich hast du auch Jeans eingepackt.«

»Nur eine.«

Er verdreht die Augen. »Wenn du dir keine zweite kaufst, wirst du viel Wäsche waschen müssen. Du wirst nämlich den ganzen Tag auf den Beinen sein.«

»Ich dachte, ich helfe an der Kasse aus ...«

Tony lacht brüllend auf. »Unter welchem Felsen hast du dich eigentlich bis jetzt versteckt?«

»Ich lebe in der wirklichen Welt.«

Lachend legt er den Kopf in den Nacken. »Du nennst L. A. die wirkliche Welt?«

Ich beiße mir auf die Lippe, um mir die Retourkutsche zu verkneifen. Der Schnarcher schnarcht inzwischen lauter. An der Decke flackert eine Glühbirne. Der Boden knarzt, und eine Staubwolke weht vorbei. Ich bekomme einen Niesanfall. Die nächsten Wochen werden im Schneckentempo dahinkriechen.

Kapitel 3

Die Tante scheucht uns auf den Flur hinaus.

»Schau dir die Auslage im Salon an«, sagt Tony, bevor er in ein Hinterzimmer entschwindet.

Die Tante geht mit mir nach vorne in den Laden, wo der Staub aufwirbelt wie bei einem Sandsturm. Die in der Luft schwebenden Teilchen erschweren mir das Sehen, und ich habe das starke Bedürfnis, mich zur Tür hinaus- und die Straße hinunterzuflüchten. Sogar ohne meinen Koffer. Was kümmert mich ein Koffer, solange ich meine digitalen Gerätschaften habe?

»Tante, hast du dir je überlegt, mehr Licht hier hereinzulassen. Und wenn du gerade dabei bist, könntest du auch Bücher mit hoher Auflage bestellen, wie die Titel, die in der Flughafenbuchhandlung stehen ...«

»Nicht schon wieder!« Meine Tante hält vor einer Schaufensterdekoration inne und stemmt die Hände in die Hüften. »Was für ein Durcheinander. Oh, Ganesh!«

Es sind alles Klassiker von Jane Austen, Charles Dickens und Charlotte Brontë.

»Genau hier«, fahre ich fort und zeige darauf. »Bring Ordnung hinein. Stelle die neueren Bücher mit dem Titel nach außen sichtbar auf. Du könntest auch deine Empfehlungen auf Kärtchen tippen ...«

»Du musst meinen Laden erst mal kennenlernen, bevor du mit Ratschlägen um dich wirfst.« Sie sammelt die alten Bücher ein. Hinter uns rutscht ein dünner Band aus dem Regal und landet mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden. Den Wohnraum umgestalten. »Ach, hör auf zu meckern«, sagt sie zu dem Buch und steckt es zurück ins Regal.

Ich folge ihr in die Klassikerabteilung und helfe ihr, die Bücher wieder ins Regal zu räumen. »Und die Ausstellungsfläche im Salon ...«

»... ist für die neueren Bücher.«

»Und sortierst du sie nach Titel oder nach ...«

»... Autor. Andere häufige Fragen: Führen Sie Briefmarken? Haben Sie einen Fotokopierer? Gibt es bei Ihnen Internetanschluss? Nein, nein und nein.«

»Aber warum denn nicht? Das Internet würde mehr Kundschaft anlocken. Du könntest auch ein kleines Café aufmachen.«

»Die Toilette ist auf dem Flur«, spricht sie weiter, ohne auf meinen Vorschlag einzugehen. »Und dann wollen sie wissen, ob ich ihnen einen Rabatt einräume, weil sie so viel Geld ausgegeben haben. Oh, Ganesh.«

»Es werden doch sicher nicht viele Leute solche Fragen stellen. Dein Laden liegt schließlich so weit abseits.« Und das Wetter ist miserabel.

»Abseits! Ich habe die beste Adresse am Ort. Die Menschen können ohne meinen Buchladen nicht leben.«

Nicht leben? Sie ist die Königin der Übertreibung. Ich folge ihr in die Literaturabteilung, wo der Staub dick auf den Fensterbrettern liegt. Sie sucht einige Hardcoverbände heraus, die sie im Schaufenster drapiert.

»So, jetzt ist alles wieder beim Alten«, verkündet sie.

»Schaust du in die Bestsellerlisten? Soweit ich informiert bin, haben die unabhängigen Buchläden ihre eigenen ...«

»Das hier ist kein gewöhnlicher Buchladen. Manchmal bemerke ich beim Aufwachen, dass die Bücher sich bewegt haben. Manche hierhin, manche dorthin ...«

»Wer bewegt sie? Tony? Die Kunden?«

»Keine Ahnung. Vielleicht jemand, der sich wünscht, dass die Klassiker nicht in Vergessenheit geraten. Der Übeltäter hat ganz verschiedene Autoren ins Schaufenster gelegt, damit ich nicht dahinterkomme, wer es war. Jetzt komm. Ich zeige dir alles, und dann trinken wir Tee.« Ich habe keine Zeit für Tee. Ich brauche einen Espresso. »Passiert das öfter?«, frage ich, während ich hinter ihr her den Flur hinuntertrotte.

»Ab und zu«, antwortet meine Tante. »Dies und das. Vergessene Gegenstände. Menschen, die auftauchen und wieder verschwinden. Männer, die den ganzen Tag hier schlafen, was für eine Frechheit.« Als sie mir die Wange tätschelt, fühlen sich ihre knorrigen Finger auf meiner Haut an wie trockenes Laub. »Apropos Frechheit: Was ist denn aus diesem Misthaufen geworden, den du deinen Ex nennst?«

Beim Wort Ex fängt mein Herz an zu klopfen. »Leider muss ich mich noch mit ihm auseinandersetzen. Wir verkaufen die Eigentumswohnung.«

»Konntest du sie nicht behalten?«

»Alleine kann ich mir die Raten nicht leisten.« Kein sonnenbeschienener Parkettboden mehr. Keine gemütlichen Mahlzeiten in der Frühstücksecke. Keine Sonnenuntergänge draußen, während Robert die Arme um mich schließt. »Verrate Ma und Dad nichts.«

»Ich werde schweigen wie ein Grab«, erwidert meine Tante und umarmt mich. »Aber ich mache mir Sorgen um dich.«

»Mir geht es gut, wenn man davon absieht, dass die Scheidung mich mein ganzes Geld gekostet hat.« Ich sollte meinen letzten Kontoauszug einrahmen und den nahe bei null liegenden Kontostand mit Markierstift hervorheben.

»Brauchst du etwas?«

»Nein, nein, das wird schon wieder.« Ich bekomme einen Kloß im Hals. Als ich sie wieder umarme, vertreibt ihre Wärme all meine Ängste.

»Hier wirst du Robert vergessen. Die Schriftsteller werden dir dabei helfen.« Sie deutet auf die gerahmten Drucke an der Wand, Bleistift- und Tuschezeichnungen, die berühmte Autoren darstellen: Charles Dickens. Laura Ingalls Wilder.

Ich verkneife mir ein Lachen. Meine Tante war schon immer exzentrisch.

»Die Schriftsteller werden dir helfen«, wiederholt sie. »Ihre Sprache. Der Mann mit der hohen Stirn da ist Edgar Allan Poe. Und das da ist natürlich Jane Austen. Es ist die einzig erhalten gebliebene Zeichnung von ihr, eine Reproduktion.«

»Sie sieht so jung und unscheinbar aus.« Ich berühre ihre Wange auf rauer Leinwand. Janes Augen scheinen mir durch die Jahrhunderte hindurch zu folgen.

»Sprich nicht schlecht über die Toten.« Meine Tante blickt sich um, als könnte Jane Austen jeden Moment aus einer Ecke hervorspringen. »Komm, wir trinken Tee.«

»Ich muss meine Nachrichten abfragen.« Es juckt mir in den Fingern, auf meinem BlackBerry herumzutippen und mein Netbook hochzufahren.

»Dafür ist später noch genug Zeit.« Sie geht vor mir den Flur entlang und biegt plötzlich scharf nach links ins Zimmer mit den Kinderbüchern ab. Natürlich hat sie immer genug Zeit. Schließlich lebt sie im Zeitlupentempo und am äußersten Rand der Zivilisation.

»Die Börsen haben für heute geschlossen, und ich muss mich über die Preise informieren.«

»Wenn sie geschlossen sind, sind sie geschlossen, und das bleiben sie auch die ganze Nacht, oder?«

»Schon, aber ...«

»Erinnerst du dich an dieses Zimmer, Bippy?« Auf dem Teppich liegen Spielsachen herum. Auf einem niedrigen Schreibtisch in der Ecke stapeln sich Bücher.

»Vage.« Ich trete von einem Fuß auf den anderen. Meine Pumps zerquetschen mir die Zehen.

»Der Schreibtisch hat E. B. White gehört. Daran hat er all seine Bücher geschrieben. Sogar Charlotte's Web. Natürlich nicht in diesem Haus, aber an diesem Schreibtisch.«

»Wie interessant.« Als Nächstes wird sie behaupten, dass der verzierte Kerzenleuchter aus dem Besitz von Jane Austen stammt.

Ein Mädchen mit Pferdeschwanz hat sich im Schneidersitz auf dem Boden niedergelassen und liest Peter Rabbit. Sie schaut kurz auf und beugt sich dann wieder über ihr Buch. Hinter ihr an der Wand hängen Aquarelle – Pu der Bär, Die Raupe Nimmersatt, Madeline. Es wundert mich, dass ich die Namen dieser Figuren noch weiß.

»Erinnerst du dich auch daran?« Die Tante drückt mir ein abgegriffenes Exemplar von The Cat in the Hat in die Hand.

»Alle kennen Dr. Seuss.« Ich gebe ihr das Buch zurück.

»Erinnerst du dich sonst noch an etwas?«

»An was denn?« Ich klopfe auf mein Mobiltelefon. »Wenn ich nicht bald Empfang habe, könnte ich einen Kunden verlieren.« Ich brauche die Stelle. Meine Zukunft bei Taylor Investments hängt an einem seidenen Faden.

»Deine Kunden können warten. Wenn sie dich wirklich lieben, werden sie dich nicht fallenlassen.«

Oh, doch, das werden sie. Wie eine heiße Kartoffel. »Wir haben bereits drei Büros an der Westküste geschlossen. Deshalb muss ich mich beweisen. Hier geht es nur um Geld, nicht um die Liebe.«

»Es geht immer um die Liebe«, entgegnet meine Tante und zwinkert wieder mit den Augen.

Ich hole tief Luft. Soll sie doch glauben, was sie will, sie kann es sich erlauben. »Was kommt jetzt?«

»Das Antiquariat.« Sie bringt mich in ein stickiges, mit hohen Bücherregalen vollgestelltes Zimmer. »Schau, der Spiegel da hat Dickens gehört.«

Ich werfe einen flüchtigen Blick auf mein Gesicht in einem reich verzierten rechteckigen Spiegel. Sehe ich wirklich so erschöpft und verschwollen aus? »Toller Spiegel. Ist bestimmt ein Vermögen wert, wenn er wirklich Dickens gehört hat.« Was ich bezweifle.

»Ein typischer Spiegel, wie man ihn im frühen viktorianischen Zeitalter über dem Kamin hängen hatte. Schätzungsweise aus den dreißiger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts.«

Im Gang räuspert sich ein Mann. Sein Gesicht ist in der Dunkelheit nicht zu erkennen.

»Entschuldigen Sie die Störung«, sagt meine Tante und fügt im Flüsterton hinzu: »Wenn er Ruhe will, sollte er in eine Bibliothek gehen.«

Der Mann ist hoch gewachsen und breitschultrig. Im ersten Moment bin ich sicher, dass es sich um Connor Hunt handelt, doch als er ins Licht tritt, bemerke ich meinen Irrtum. Es ist ein gepflegter Mann, der einen grauen Anzug trägt.

Meine Tante geht voraus in ein kleines, überfülltes Büro, wo sich Aktenstöße auf dem Schreibtisch türmen. Jede Fläche ist mit gelben Post-it-Zetteln beklebt. »Irgendwann muss ich hier aufräumen. Aber ich komme einfach nicht dazu.«

Ich bin es nicht gewöhnt, in einem solchen Chaos zu arbeiten. Mein Leben ist organisiert und in Schubladen und Kategorien unterteilt. »Ich könnte für dich saubermachen und diesen ganzen Kram ausmisten«, schlage ich vor, indem ich mit meinen Händen eine Geste des Wegwischens andeute. Auf dem Schreibtisch mischt sich nutzloser Krimskrams, den meine Tante im Laufe der Jahre angehäuft hat, mit den Akten und einer lackierten kanuförmigen Ablage für Stifte voller Pinsel und Füllhalter. Außerdem gibt es noch eine Holzschachtel für Büroklammern, einen flachen grauen Stein, eine Glasflasche mit blauer Tinte und einen antiken weißen Federhalter.

»Wie könnte ich mich jemals von Faulkners Stein trennen?«, fragt sie und deutet mit dem Finger darauf. »Oder von Kiplings Holzschachtel? Das sind seltene Schätze, die man aufbewahren muss. Und jetzt komm mit.« Sie schleift mich in eine offene Teeküche, wo sich seit Jahrzehnten nichts geändert hat. An der einen Wand verläuft eine Arbeitsfläche mit zwei Kochplatten. Außerdem stehen hier ein winziger Kühlschrank, Unterschränke, Sessel und Sofas.

»Für meine Kunden«, erklärt die Tante. »So bleiben sie länger.«

Es ist niemand da. Sie bräuchte unbedingt neue Sofas anstelle dieser abgewetzten Ungetüme aus dem Gebrauchtwarenladen. Außerdem muss eine Espressomaschine her. Und an die Wände gehören gut gefüllte Bücherregale. Sie sollte auch Kaffeebecher mit ihrem Logo, Lesezeichen und Leselampen verkaufen.

Sie schenkt zwei Tassen Tee aus einer Metallkanne ein und weist auf zwei blaue Polstersessel. Ich nehme den mit der durchgesessenen Sitzfläche. Meine Tante lässt sich mir gegenüber nieder, streift die flachen Sandalen ab und bewegt ihre gichtigen Zehen. Ihre Zehennägel sind silbern lackiert. Nach dem ersten Schluck verzieht sie ihr Gesicht, als ob der Tee bitter schmecken würde. »Ich fürchte, ich hinterlasse dir ein ziemliches Tohuwabohu. Du hast doch ein Händchen für Zahlen. Könntest du nicht für immer bleiben und alles in Ordnung bringen?«

»Ich habe einen Job, schon vergessen? Gleich nach meiner Rückkehr nach L. A. habe ich eine wichtige Präsentation bei einem potenziellen Kunden.« Meine Karriere hängt davon ab. Ich bin jetzt wieder solo. Und pleite. Außerdem muss ich an meine Zukunft denken.

»Oh.« Die Miene meiner Tante verdüstert sich. Als sie auf die Armlehne ihres Sessels klopft, klimpert der Schmuck an ihren Handgelenken – ein schrilles Konzert von Gold, Silber und bemalten Armreifen aus Kaschmir.

»Es fehlt dir doch hoffentlich nichts?«, frage ich. »Es wird dir doch nichts Schlimmes passieren?«

Die Tante tätschelt meine Hand. »Keine Sorge, Bippy. Deine alte Tante wird gesund und munter wiederkommen.«

»Oh, gut.« Ich atme erleichtert auf. Obwohl ich wissen will, was sie hat, bedränge ich sie nicht. Denn wenn meine Tante sich unter Druck gesetzt fühlt, macht sie zu wie eine Blume, die nachts ihre Blüte schließt. »Du erklärst mir sicher alles, bevor du abreist, oder?«

»Das wollte ich dir noch sagen. Mein Flug geht morgen früh.«

Ich ersticke fast an meinem Tee. »So bald?«

»Tony wird dir helfen. Ein interessanter Mensch, findest du nicht?«

»Tony?«

»Außerdem werde ich eine Weile nicht erreichbar sein. Ich nehme kein Mobiltelefon mit. Ich habe nämlich keine Ahnung, wie diese dämlichen Dinger funktionieren. Aber das macht nichts, da man hier sowieso keinen Empfang hat.«

»Woher weiß ich dann, ob bei dir alles in Ordnung ist?«

»Schau nicht so besorgt.« Meine Tante nestelt an ihren Armreifen herum. »Ich muss in Indien mein Herz in Ordnung bringen lassen.«

»Dein Herz?« Ich greife nach ihren Händen. Meine liebste Tante, die schon so lange allein lebt und sich so für alle anderen krummgeschuftet hat, hat Herzbeschwerden. »Davon wusste ich überhaupt nichts. Das tut mir so leid.«

Sie hält sich die Teetasse an die Brust. »Ich bin in letzter Zeit immer so müde. Aber jetzt werde ich bald wieder ganz gesund.«

»Kannst du das nicht hier behandeln lassen?«

»Es kann nur in Indien geschehen. Ich muss nach Hause.«

»Wenn du dir so sicher bist ...«

»Verrate es niemandem. Es ist mein Geheimnis. Ich will nicht, dass deine Ma und dein Dad Angst um mich haben.«

»Und wenn ...?«

»Mir wird nichts passieren. Versprich es mir.«

Ich seufze auf. »Ich werde schweigen. Aber halte mich auf dem Laufenden.«

Sie drückt meine Finger. »Zuerst muss ich meine Familie besuchen. Und dann, nun ... wahrscheinlich bin ich in einem Monat zurück.«

Ich nehme ihre Hand und drücke sie an meine Wange. »Ich liebe dich. Bitte pass auf dich auf.«

Sie küsst mich auf die Stirn. »Danke, dass du bereit warst, herzukommen und Tony im Laden zu helfen. Er ist zwar tüchtig und hat Erfahrung, aber ich brauche deine besonderen Talente.«

Ich habe zwar keine besonderen Talente, werde meine Tante jedoch gerne unterstützen, während sie sich um ihre Herzbeschwerden kümmert. »Ich lasse dich nicht im Stich.«

»Du musst versuchen, hier dein Glück zu finden.«

Ich lache spöttisch auf. »Ich achte auf deinen Laden. Von Glück war bislang nicht die Rede.«

Sie mustert mich eindringlich. »Du darfst nie aufhören, an die Liebe zu glauben. Vergiss Robert, diesen Misthaufen.«

»Ich glaube nur an eine neue Liebe für dich. Wehe, wenn du nicht wieder gesund wirst und nach Hause kommst, damit wir einen netten Mann für dich suchen können.«

Ihre Augen funkeln. »Zerbrich dir meinetwegen nicht den Kopf.« Sie steht auf und schlüpft in ihre Sandalen. »Deine Eltern erwarten dich sicher schon zum Essen. Ich zeige dir vorher noch die Mansardenwohnung. Dort oben wirst du die Magie entdecken.«

Kapitel 4

Magie, ach, herrje!

Beim Gedanken in der moosigen, feuchten und dämmrigen kleinen Wohnung der Tante zu übernachten, gruselt es mir. Vermutlich wuchern Schimmelpilze an den Wänden. In diesem knarzenden Spukhaus werde ich nur über meine Leiche bleiben. Andererseits kann ich meiner gebrechlichen Tante nichts abschlagen. Also folge ich ihr die Holztreppe hinauf, die mitten im Haus nach oben führt. »Ich hatte ganz vergessen, wie schmal die Stufen sind«, stelle ich fest.

Ihr Sari raschelt leise, als sie nach Spinnweben schlägt. »Das hier war ursprünglich die Dienstbotentreppe. Die Haupttreppe für alle anderen befindet sich vorne. Erinnerst du dich nicht?«