Der kleine Engel - Patricia Vandenberg - E-Book

Der kleine Engel E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. »Von drauß', vom Walde komm' ich her, ich will euch sagen, es weihnachtet sehr«, begann Dominik von Wellentin-Schoenecker mit betont tiefer Stimme. »Er gibt doch einen guten Knecht Ruprecht ab«, wisperte Pünktchen voller Stolz. »Hoffentlich verplappere ich mich nicht.« Sie war schon jetzt aufgeregt, wenn sie an die Weihnachtsfeier dachte, die die Kinder in Sophienlust kaum noch erwarten konnten. »Hast ja noch ein paar Wochen Zeit«, meinte Malu gutmütig. »Aber die gehen schnell herum«, entgegnete Pünktchen. »Viel zu langsam«, mischte sich der kleine Henrik ein. »Bin ja so gespannt, was mir das Christkind bringt.« »Zuerst kommt mal der Nikolaus«, erwiderte Malu nachsichtig. »Lerne nur dein Sprüchlein richtig, sonst bekommst du kein Geschenk.« »Ich bekomme was, ich war ja immer brav«, versicherte Henrik überzeugt von sich. Dominik gesellte sich zu ihnen. »Wie wäre es denn, wenn wir in diesem Jahr auf die Nikolausgaben verzichten würden, damit arme Kinder beschenkt werden können?«

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Seitenzahl: 150

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Sophienlust Extra – 227 –Der kleine Engel

Elfie wartet auf ihre Eltern

Patricia Vandenberg

»Von drauß’, vom Walde komm’ ich her, ich will euch sagen, es weihnachtet sehr«, begann Dominik von Wellentin-Schoenecker mit betont tiefer Stimme.

»Er gibt doch einen guten Knecht Ruprecht ab«, wisperte Pünktchen voller Stolz. »Hoffentlich verplappere ich mich nicht.«

Sie war schon jetzt aufgeregt, wenn sie an die Weihnachtsfeier dachte, die die Kinder in Sophienlust kaum noch erwarten konnten.

»Hast ja noch ein paar Wochen Zeit«, meinte Malu gutmütig.

»Aber die gehen schnell herum«, entgegnete Pünktchen.

»Viel zu langsam«, mischte sich der kleine Henrik ein. »Bin ja so gespannt, was mir das Christkind bringt.«

»Zuerst kommt mal der Nikolaus«, erwiderte Malu nachsichtig. »Lerne nur dein Sprüchlein richtig, sonst bekommst du kein Geschenk.«

»Ich bekomme was, ich war ja immer brav«, versicherte Henrik überzeugt von sich.

Dominik gesellte sich zu ihnen. »Wie wäre es denn, wenn wir in diesem Jahr auf die Nikolausgaben verzichten würden, damit arme Kinder beschenkt werden können?«, schlug er vor. Immer öfter in letzter Zeit vertrat er die Ansicht, dass man auch über die Grenzen von Sophienlust hinaus Gutes tun solle.

So ganz einverstanden war sein kleiner Bruder damit jedoch nicht. »Dafür sorgt Mutti schon«, äußerte er. »Wir sind doch auch noch klein.«

»Aber uns geht es sehr gut«, warf Pünktchen ein, die ihren Nick unbedingt unterstützen wollte. »Es gibt viele sehr arme Kinder, die sogar frieren müssen.«

»Ich habe noch viele warme Sachen, die mir zu klein geworden sind. Die können sie haben«, erklärte Henrik bereitwillig.

Wolfgang Rennert rief die Kinder zusammen. »Wir wollen unser Weihnachtsspiel proben«, mahnte er. »Hoffentlich könnt ihr heute eure Rollen richtig.«

Gelernt hatten sie schon, aber so recht wollte es noch immer nicht klappen. Da alle bereits voller Erwartung waren, irrten ihre Gedanken leicht ab.

Das Weihnachtsspiel hatte Wolfgang Rennert selbst verfasst. Es handelte von einem kleinen Mädchen, das sehnsüchtig auf seine fernen Eltern wartete und sich vom Christkind nichts anderes wünschte, als sie endlich wiederzusehen. Ein Kinderschicksal, wie sie es in Sophienlust schon häufig erlebt hatten. Doch niemand ahnte, wie bald ein solches Schicksal wieder Wirklichkeit werden sollte.

Jetzt waren sie mit Feuereifer dabei, das Spiel einzustudieren. Pünktchen spielte das kleine Mädchen, obwohl sie für diese Rolle schon ein wenig zu groß war. Aber von den kleineren Kindern war dafür keines so recht geeignet gewesen.

Das kleine Mädchen in dem Weihnachtsspiel hieß Christel, es war in den Wald gegangen, um den Nikolaus zu suchen. Den spielte natürlich Nick. Mit tiefer, so richtig gütiger Stimme fragte er das Mädchen, was es sich denn wünsche.

»Dass meine Eltern kommen und mich heimholen«, erwiderte Pünktchen als Christel.

»Halt, du musst das ganz anders sagen«, mischte sich Wolfgang Rennert ein. »Es muss sehr sehnsüchtig klingen.«

»Das kann ich nicht«, erklärte Pünktchen.

»Aber warum denn nicht? Versuch es doch mal«, forderte Wolfgang Rennert sie auf.

»Ich kanns nicht, weil ich mir gar nicht wünsche, dass meine Eltern kommen, damit ich wieder bei ihnen sein kann«, beharrte Pünktchen trotzig. »Man kann nicht etwas sehnsüchtig sagen, wenn man es sich nicht auch sehnsüchtig wünscht.«

Wolfgang Rennert seufzte in sich hinein. Er kannte Pünktchen nun schon lange genug, um zu wissen, dass sie nur ihren Gefühlen nachgab. Schon sah er deshalb das hübsche Spiel zum Scheitern verurteilt. Doch vielleicht konnte er sich hinter Nick stecken, damit dieser Pünktchen entsprechend zuredete. Ob das aber Erfolg haben würde, stand in den Sternen.

Nick wiegte bedächtig den Kopf, als Wolfgang Rennert mit ihm sprach. »Pünktchen ist darin ganz eigen«, meinte er. »Was sie nicht will, das will sie nicht. Außerdem sollte es auch ein kleineres Mädchen sein. Pünktchen muss doch auch noch das lange Gedicht aufsagen, und das macht sie sehr gut.«

Doch woher ein kleineres Mädchen nehmen, das die Rolle so spielte, wie Wolfgang Rennert sie sich gedacht hatte?

Ein Zufall sollte ihnen zu Hilfe kommen.

*

»Mutest du dir nicht ein bisschen zu viel zu, mein Liebes?«, fragte Alexander von Schoenecker seine Frau Denise. »Wenn du mit allen Kindern auf den Weihnachtsmarkt gehst, hast du doch gar keine Übersicht.«

»Andrea und Malu passen schon mit auf die Kleinen auf«, erwiderte sie, »nicht zu vergessen Nick.«

»Der sich aber sehr schnell ablenken lässt«, warf Alexander ein.

»Mach dir nur keine Gedanken«, meinte sie lächelnd. »So groß, dass sie sich verlaufen können, ist der Markt ja nicht. Außerdem haben sie jetzt alle riesigen Respekt vor dem Nikolaus. Sie freuen sich doch schon so sehr.«

»Aber das Wetter«, gab er zu bedenken. »Es ist so feuchtkalt. Deine Erkältung bist du gerade erst los.«

»Ich ziehe mich warm an«, versprach sie. »Es ist doch so schön, wenn die Kinder mit ihren strahlenden Augen dastehen und alles bewundern. Und es gehört nun mal zur Vorweihnachtszeit.«

Die Kinder wären maßlos enttäuscht gewesen, wäre aus diesem Vorhaben, den Weihnachtsmarkt in der Stadt zu besuchen, nichts geworden. Die Größeren, die ins Gymnasium gingen, sollten nach der Schule gleich in der Stadt bleiben. Andrea ging mit ihnen zum Mittagessen in ein nettes kleines Lokal, wo Denise schon einen Tisch für sie bestellt hatte. Dort wollten sie sich treffen und dann gemeinsam zum nahe gelegenen Markt gehen.

Für Pünktchen war es ein Ereignis, dass sie einmal ohne Aufsicht in ein Restaurant gehen durften. Sorgfältig studierte sie die Speisekarte.

»Brauchst eigentlich gar nicht so lange zu überlegen«, meinte Nick gutmütig. »Du nimmst dann ja doch Schnitzel.«

»Was ist denn Cordon bleu?«, fragte Pünktchen interessiert.

»Das ist auch ein Schnitzel, aber ein dickes, das gefüllt ist«, erklärte ihr Andrea.

»Womit gefüllt?«, fragte Pünktchen.

»Mit irgend so ’nem Zeug«, warf Nick ein. »Mir schmeckt ein richtiges Schnitzel besser.«

Dann wollte Pünktchen selbstverständlich auch nichts anderes haben.

Die Kinder waren so mit sich beschäftigt, dass ihnen der Herr am Nebentisch gar nicht auffiel, der immer wieder zu ihnen herüberblickte.

»Was sind das für Kinder?«, fragte er den Ober so leise, dass niemand als dieser ihn verstehen konnte.

»Sie fühlen sich doch nicht etwa gestört, mein Herr«, fragte dieser betroffen. »Es sind sehr wohlerzogene Kinder. Sie gehören zum Kinderheim Sophienlust.«

»Ich fühle mich durchaus nicht gestört«, erwiderte der Fremde. »Ich finde diese kleine Gesellschaft reizend. Könnte ich sie einladen?«

»O nein, das wäre Frau von Schoenecker bestimmt nicht recht«, erwiderte der Ober. »Sie wird nachher kommen und die Kinder abholen. Sie wollen heute auf den Weihnachtsmarkt, und da sie in der Stadt zur Schule gehen, sollten sie auch gleich hierbleiben.«

Dr. Clemens Reining, der sich rein zufällig in diesem Restaurant aufhielt, weil diese Stadt auf seiner Reiseroute lag, versank in Nachdenken. Er mochte den Ober nicht noch weiter ausfragen, damit die Kinder nicht doch noch aufmerksam wurden. Nacheinander betrachtete er sie. Die reizvolle Andrea, die schon eine richtige junge Dame war, Malu, das blonde, schon recht ernsthaft wirkende Mädchen, den frischen, bildhübschen Nick, der so besorgt um seine kleine Nachbarin war, die Pünktchen genannt wurde, und zwei weitere hübsche Mädchen, von denen das eine Angelika und das andere Isabel genannt wurde. Sie waren alle heiter, ohne jedoch aufzufallen, und sehr höflich zu dem Personal. Auch schien bestes Einvernehmen unter ihnen zu herrschen.

Eigentlich hatte Dr. Reining schon aufbrechen wollen, aber nun hielt ihn ein unbestimmtes Gefühl fest. Er hatte Probleme, die selbst ihm, dem erfahrenen Kinderarzt, Sorgen bereiteten. Doch irgendwie hatte er das sichere Gefühl, dass diese zufällige Begegnung helfen könnte, diese Probleme zu lösen.

Mit gesundem Appetit verspeisten die Kinder ihre Mahlzeit. Kaum hatten sie diese beendet, ging die Tür auf. Eine bildschöne Frau trat ein, die direkt auf den Tisch der Kinder zusteuerte.

Nick sprang auf. »Da bist du ja schon, Mutti«, sagte er zu Dr. Reinings Überraschung, und auch Andrea begrüßte Denise mit einem Kuss auf die Wange.

»Ihr seid früher da, als wir dachten«, sagte das Mädchen. »Die Trabanten können es wohl kaum erwarten?«

»So ist es«, lächelte Denise. Sie ließ sich vom Ober die Rechnung geben, bezahlte und fragte die Kinder: »Hat es euch geschmeckt?«

»Prima«, erwiderte Nick.

»Ganz toll«, sagte Pünktchen.

»Dann können wir ja gehen«, meinte Denise. »Gott sei Dank regnet es nicht.«

»Ist auch blöd, wenn es im Dezember noch regnet«, stellte Nick fest. »Schneien müsste es halt.«

»Das wird schon noch kommen«, lächelte Denise und warf unwillkürlich einen Blick zum Nebentisch. Der Fremde sah sie so intensiv an, dass sie unwillkürlich errötete.

Dr. Reining rang mit sich. Am liebsten wäre er gleich auf Denise zugetreten und hätte ihr die Fragen gestellt, die ihn beschäftigten, aber er wagte es nicht. Außerdem hatte er gehört, dass noch andere Kinder warteten. So beschloss er, noch hierzubleiben und den Ober zu interviewen.

Von seinem Fensterplatz aus sah er, wie Frau von Schoenecker und die Kinder auf einen roten Kleinbus zusteuerten, der die Aufschrift »Kinderheim Sophienlust« trug. Jedenfalls schien es ein recht renommiertes Kinderheim zu sein, da es sich einen eigenen Bus leisten konnte.

Der Ober wurde bald darauf in ein recht langes Gespräch verwickelt, beantwortete aber bereitwillig alle Fragen, die ihm der Fremde, der sich als Dr. Reining, Chefarzt einer Kinderklinik, vorgestellt hatte, stellte.

Dieses Gespräch sollte Dr. Reinings Entschluss, seine Reise sofort fortzusetzen, ändern. Er wollte sich dieses Kinderheim persönlich anschauen.

Denise und die Kinder ahnten nichts von diesem Interesse. Sie fuhren nun zum Weihnachtsmarkt, auf dem, trotz der frühen Nachmittagsstunde, schon reges Treiben herrschte.

Die kleinen Kinder klammerten sich ein wenig ängstlich an die Größeren, als sie den mächtigen Nikolaus sahen, der mit wallendem weißem Bart, im langen roten pelzbesetzten Mantel, ein dickes Buch und eine Rute in den Händen, am Eingang stand.

»Seid ihr auch alle brav gewesen?«, fragte er mit noch tieferer Stimme, als Nick sie in dieser Rolle nachzuahmen pflegte.

Ein paar Sekunden blieb alles still. »Wir sind alle sehr brav«, erwiderte dann Henrik schüchtern. »Wir kommen nämlich von Sophienlust.«

»So, von Sophienlust«, meinte der große Nikolaus. »Nun, da werde ich euch ja bald einen Besuch abstatten. Jetzt wollen wir mal sehen, ob ihr auch hier brav seid.«

»Der ist aber auch überall«, flüsterte Henrik seiner Mutti zu. »Vielleicht mag er es nicht, dass Nick auch einen Nikolaus spielt.«

»Mach dir nur keine Sorgen«, beschwichtigte ihn Denise. »Nick ist ja nicht der Einzige, der diese Rolle spielt.«

Henrik nickte. »Er kann ja nicht in jedem Weihnachtsstück selbst mitspielen«, stellte er fest. »Weißt du, Mutti, er könnte uns vielleicht ein armes Kind nennen, zu dem er die Sachen bringt, die er eigentlich für uns bestimmt hat. Nick hat schon recht, dass das besser wäre.«

»Überlassen wir es ruhig dem Nikolaus, das zu tun, was er für richtig hält«, riet Denise ihrem Jüngsten.

Sie gingen nun von Bude zu Bude. Was es da alles zu sehen gab! Christbaumschmuck, Engelchen, viele kleine Nikolausfiguren, Spielsachen, Holzschnitzereien, bunt bemalte Nussknackerfiguren und vieles andere mehr.

Aber auch Karussells waren da und hübsche kleine Ponys, auf denen man reiten konnte. Das gefiel aber den Kindern aus Sophienlust gar nicht so sehr, weil die Ponys immer im Kreis herumtraben mussten und nicht so liebevoll behandelt wurden wie auf Sophienlust.

Es duftete nach frisch gebrannten Mandeln und Nüssen, nach Lebkuchen und Äpfeln, nach Bienenwachskerzen und Zuckerwatte.

»Schau mal, Mutti, das ist eine wunderschöne Weihnachtskrippe«, sagte Andrea. »Könnten wir die nicht Claudia schenken? Sie wünscht sich eine.«

Denise fragte nach dem Preis und dachte, dass es Claudia Brachmann sicher nicht recht sein würde, dass sie so viel Geld für sie ausgab, aber das brauchte diese ja nicht zu wissen. Claudia konnte den Weihnachtsmarkt nicht selbst besuchen, weil sie gerade erst eine schwere Grippe überwunden hatte.

»Wir kaufen sie«, erklärte sie, »aber erst zum Schluss, sonst müssen wir zu viel tragen.«

Auch die Kinder sahen dieses und jenes, was sie von ihrem Taschengeld kaufen wollten. Da es sich dabei aber meist um Geschenke handelte, die für manch einen bestimmt waren, der unter ihnen weilte, das Geheimnis aber doch gewahrt bleiben sollte, entwickelte sich alles ein wenig aufregend. Denise konnte ihre Augen nicht überall haben, aber plötzlich fiel ihr Blick auf ein kleines Mädchen, das abseits stand und sehnsüchtige Blicke auf die Kinder warf.

Es war ein zierliches Geschöpfchen. Wirre dunkle Haare schauten unter einer Kapuze hervor, das Näschen war rot gefroren. Ganz allein stand das Kind da, so richtig verloren. Es erinnerte Denise daran, dass sie aufpassen musste, damit nicht auch eines ihrer Kinder verloren ging. Doch die hatten sich unter Andreas und Malus Aufsicht schon wieder zusammengefunden. Als Denise kurz darauf wieder nach dem kleinen Mädchen Ausschau hielt, dessen Anblick sie so gerührt hatte, war dieses verschwunden.

Seine Eltern werden bei ihm sein, tröstete sich die immer besorgte Denise. Dann steuerten sie alle wieder auf den Verkaufsstand zu, wo sie die Weihnachtskrippe gesehen hatten.

Sorgfältig wurde diese verpackt. Denise bezahlte, doch da bemerkte sie, dass Henrik entwischt war. Während Andrea das Paket in Empfang nahm, lief sie ihm nach. Er war zu einer Bude gelaufen, in der es Spieldosen gab, die Weihnachtslieder spielten.

Henrik sah seine Mutti verzeihungsheischend an, als sie nach seiner Hand griff. Sie konnte ihm auch nicht böse sein, als sie in die strahlenden Kinderaugen blickte. Doch zu ihrem Erschrecken bemerkte sie, dass sie ihre Handtasche vergessen hatte. Auch Andrea hatte sie nicht an sich genommen. Schnell eilte Denise wieder auf die Bude zu, doch da stand wieder das fremde kleine Mädchen vor ihr und hielt ihr ihre Tasche entgegen.

»Ich habe gesehen, dass Sie die Tasche vergessen haben«, sagte es mit leisem, heiserem Stimmchen.

Als Denise die heiße Kinderhand fühlte, wurde die Handtasche sofort Nebensache. »Du hast ja Fieber«, sagte sie erschrocken. »Es ist sehr lieb, dass du so aufmerksam bist. Aber wo sind deine Eltern?«

Die Kleine senkte den Kopf. »Weit fort«, flüsterte sie, »auf einem großen Schiff. Aber Weihnachten kommen sie bestimmt zu uns.«

Pünktchen und Nick waren näher gekommen und hatten die Worte vernommen.

Pünktchen stieß Nick an. »Wie in unserem Weihnachtsspiel«, wisperte sie ihm zu. »Das Mädchen wartet auch auf seine Eltern.«

Denise war nicht entgangen, dass das Kind zu »uns« gesagt hatte. Sie beugte sich zu der Kleinen hinab. »Du bist doch nicht allein hier«, sagte sie leise und fragend. »Wie heißt du denn?«

»Elfie«, erwiderte das Kind. »Großpapa verkauft Christbäume. Dort hinten.« Sie deutete mit einer Handbewegung an das Ende des Weihnachtsmarktes. »Ich verlaufe mich schon nicht. Ich schaue mir nur die Leute an. Sind das alles Ihre Kinder?«

»So ungefähr«, erwiderte Denise. »Wir haben ein Kinderheim. Aber nun werde ich dich zu deinem Großpapa bringen. Eine Belohnung sollst du auch bekommen, weil du so lieb warst und mir meine Tasche gebracht hast.« Doch vor allem war ihr wichtig, dem Großvater dieses Kindes klarzumachen, dass es ins Bett gehörte. Er konnte doch nicht zulassen, dass ein fieberndes Kind bei diesem Wetter draußen herumlief.

»Geht ihr schon zum Bus«, sagte sie zu der kleinen Schar. »Dass ja keines davonläuft, sonst wird der Nikolaus böse. Ich bringe Elfie zu ihrem Großpapa.«

»Elfie heißt sie«, sagte Pünktchen zu Nick. »Sie wäre gerade recht für unser Weihnachtsspiel.«

»Wir wissen doch gar nicht, ob sie die Rolle spielen kann«, meinte Nick skeptisch. »Außerdem ist sie ja nicht in Sophienlust. Aber du kannst dich ja mal in ihre Lage versetzen. Vielleicht gelingt es dir dann besser, richtig sehnsüchtig zu reden.«

»Ich kanns doch nicht«, protestierte Pünktchen, »und wenn ich es noch so oft versuche.« Ein abgrundtiefer Seufzer folgte. »Ich habe eben keine Sehnsucht«, fügte sie danach hinzu.

Nick schwieg. Er wusste nur zu gut, dass Pünktchen restlos glücklich war in Sophienlust, und eigentlich war er froh, dass sie sich nicht, wie andere Kinder, nach Vater und Mutter sehnte. Es wäre für ihn zu arg gewesen, wenn jemand gekommen und sie geholt hätte.

*

Währenddessen hatten Denise und das Kind den Christbaumstand erreicht. Zutraulich lag die kleine heiße Hand geborgen in Denises kühlen Fingern.

»Das ist Großpapa«, flüsterte die Kleine.

Ein hagerer, gebeugter Mann im verschlissenen Lodenmantel verkaufte gerade eine Tanne. Denise hörte, wie der Käufer den Preis herunterhandeln wollte, und sie sah die resignierte Miene des alten Mannes, der schließlich dem Drängen des Käufers nachgab.

»Großpapa hat es schwer«, fuhr die Kleine mit ihrem heiseren Stimmchen fort.

»Manche Leute sind richtig böse. Ich verstehe das nicht. Weihnachten müssten sie doch wenigstens lieb sein. Für alles geben sie viel Geld aus, aber die Weihnachtsbäume wollen sie am liebsten geschenkt haben. Hoffentlich kommt Vati nun bald, damit Großpapa sich nicht so viel Sorgen machen muss.«

Denise konnte ihren Gedanken nicht mehr nachhängen, denn nun drehte sich der alte Mann zu ihnen um.

»Da bist du ja, Elfie«, sagte er erleichtert. »Ich habe schon Ausschau nach dir gehalten. Du darfst nicht so weit weggehen.«

Es war allem Anschein nach nicht so, wie Denise anfangs vermutet hatte, dass er ein nachlässiger Großvater war. Sie blickte in ein von Leid und Sorgen gezeichnetes Gesicht, in gute, wenn auch kummervolle Augen. Die Ermahnungen, die sie hatte aussprechen wollen, blieben ungesagt.

Nun musterte der alte Mann Denise mit einem forschenden Blick.

»Die Dame hat viele Kinder, Großpapa«, wisperte Elfie. »Ein ganzes Kinderheim.«

Fragend sah er Denise an.

»Elfie hat meine Handtasche gebracht, die ich an einem Stand liegen ließ«, erklärte sie. »Kann ich Sie einen Augenblick sprechen, Herr …?« Sie machte eine kleine Pause, und er nannte rasch seinen Namen: »Ruprecht.«

Das passt ja so richtig in diese Zeit, ging es Denise durch den Sinn. Ein alter Mann, der Ruprecht hieß und Weihnachtsbäume verkaufte, und seine kleine Enkelin mit dem Namen Elfie.

»Herr Ruprecht, das Kind hat Fieber«, sagte Denise leise. »Ich fürchte sogar, ziemlich hohes Fieber.«

Sein Gesicht wurde fahl. »Mein Gott«, sagte er erschrocken, »das hat uns gerade noch gefehlt. Was soll ich nur machen? Die Bäume müssen doch verkauft werden, sonst …« Er unterbrach sich und ließ deprimiert den Kopf sinken.

»Sie haben niemanden, der sich um die Kleine kümmern könnte?«, fragte Denise.

Er schüttelte den Kopf. Ein bitterer Zug legte sich um seinen Mund. »Die Menschen haben doch alle mit sich selbst zu tun«, sagte er rau. »Wer kümmert sich denn schon um ein Kind? Es gibt keine Nächstenliebe mehr, gnädige Frau.«