Der Konzern - Veit Etzold - E-Book

Der Konzern E-Book

Veit Etzold

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Beschreibung

Eine junge Bankerin gegen die Strippenzieher der Finanzwelt: Im 3. Teil der brandaktuellen Thriller-Reihe von Bestseller-Autor Veit Etzold geht es um noch mehr Geld und noch dunklere Geschäfte. Viel Zeit bleibt der jungen Bankerin Laura Jacobs aus Berlin nicht, um sich von der fingierten Mord-Anklage zu erholen, mit der man sie aus dem Verkehr ziehen wollte: Ihr Arbeitgeber scheint in einen katastrophalen Skandal verwickelt, bei dem die Altersversorgung von Millionen von Deutschen auf dem Spiel steht. Während Laura gezwungen ist, der Sache auf den Grund zu gehen, gerät sie ein weiteres Mal ins Visier des Konsortiums. Sie kann nicht ahnen, dass es ihrem unsichtbaren und oft genug übermächtigen Gegner diesmal nicht mehr genügen wird, ihr das Zuhause, die Freiheit oder ihren Mann zu nehmen … Hat Laura sich ein Mal zu oft mit den Big Playern der Finanzwelt angelegt? Hochspannend & erschreckend realistisch: Auch im Thriller »Der Konzern« verbindet Bestseller-Autor Veit Etzold aktuelles Insider-Wissen aus der Finanzwelt mit einer temporeichen Story zu einem Pageturner, der Gänsehaut verursacht. Die Finanz-Thriller um die junge Bankerin Laura Jakobs aus Berlin sind in folgender Reihenfolge erschienen: - Die Filiale - Die Zentrale - Der Konzern

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Seitenzahl: 303

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Veit Etzold

Der Konzern

Allein gegen die MachtThriller

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Viel Zeit bleibt der jungen Bankerin Laura Jacobs nicht, um sich von der fingierten Mordanklage zu erholen, mit der man sie aus dem Verkehr ziehen wollte: Ihr Arbeitgeber scheint in einen katastrophalen Skandal verwickelt, bei dem die Altersversorgung von Millionen von Deutschen auf dem Spiel steht. Während Laura gezwungen ist, der Sache auf den Grund zu gehen, gerät sie ein weiteres Mal ins Visier des Konsortiums. Sie kann nicht ahnen, dass es ihrem unsichtbaren und oft genug übermächtigen Gegner diesmal nicht mehr genügen wird, ihr das Zuhause, die Freiheit oder ihren Mann zu nehmen … Hat Laura sich ein Mal zu oft mit den Big Playern der Finanzwelt angelegt?

Inhaltsübersicht

Widmung

Prolog

Kapitel 1

DIENSTAG

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

MITTWOCH

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

DONNERSTAG

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

FREITAG

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

SAMSTAG

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

SONNTAG

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

MONTAG

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Epilog

Leseprobe »Die Zentrale«

Für Saskia

Prolog

Die junge Frau ging mit federnden Schritten die Treppe zum Eingang der Filiale hinauf. Another day, another dollar. Ein neuer Tag, ein neuer Dollar, sagten die Amerikaner. Der Spruch traf insofern auf sie zu, als sie heute mit Geld, mit viel Geld zu tun haben würde. Allerdings nicht, indem sie hohe Summen für vermögende Kunden anlegte, was eigentlich ihr Job war, sondern indem sie an der Kasse aushelfen musste, weil mal wieder die Hälfte der Belegschaft krank, schwanger, tot oder in Urlaub war.

Neben der Treppe hatte man eine Rampe für Rollstühle und Rollatoren angebracht, da Barrierefreiheit in dem ursprünglichen klassizistischen Gebäude nicht vorgesehen war. Barrierefreiheit war generell wichtig, aber für die BWG, deren Kunden immer älter wurden, war sie eine absolute Notwendigkeit. Böse Zungen in der Bank sprachen schon von einem Geschäftsmodell, bei dem die Filiale direkt im Erdgeschoss eines Altenheims untergebracht war. Die Bewohner kamen einmal die Woche herunter zum Berater, das Depot wurde auf links gedreht, die Bank kassierte fünf Prozent Provision, und wenn das Geld alle war, wurde der Stecker der Beatmungsmaschine gezogen. Begleitung bis zum Tod nannten einige dieses Geschäftsmodell.

Sie war gestern wieder einmal zu spät ins Bett gekommen, und die Müdigkeit lag schwer wie ein nasser Stein in ihrem Kopf. Zu spät rein und zu spät raus, dachte sie. Passt zusammen, ist aber trotzdem falsch. Da sie zu spät aus dem Bett gekommen war, musste sie die letzten Meter rennen, um pünktlich in die Filiale zu kommen. Sie atmete tief durch, bevor sie die Tür aufstieß. Im Inneren war es angenehm kühl, und die Frau seufzte erleichtert auf. Sie war noch erleichterter, als sie bemerkte, dass die Kunden noch nicht in die Filiale gekommen waren und dass ihre Kollegen noch mit der Vorbereitung ihrer Arbeitsplätze beschäftigt waren. Dennoch konnte sie spüren, wie ihre Wangen rot wurden.

Sie betrat die Filiale und zog ihre Karte durch. Ein Blick auf die Uhr. 8.15 Uhr . Noch gut in der Zeit. Die Bank hatte früher um 9 Uhr aufgemacht und dann plötzlich um 9.30 Uhr. Was dazu führte, dass sich die Bankmitarbeiter eine Zeit lang durch wartende und schimpfende Kunden drängen mussten, denen sie auch noch klarmachen durften, dass sie noch nicht in die Bank eingelassen wurden. Warum Menschen sich bereits morgens um kurz vor 9 Uhr vor die Tür einer Bank stellten, entzog sich allerdings ihrer Fantasie. Klar, manche wollten etwas erledigen, bevor sie selbst arbeiten mussten, aber ihr schien es plausibler, dass die typisch deutsche Untertanenhaltung dahintersteckte; einen Deutschen machte es besonders glücklich, wenn er als Bittsteller an einem Schalter stehen konnte – egal ob es eine Behörde oder eine Bank war. Wobei manche Kunden den Bankmitarbeiter ja auch als »Bankbeamten« bezeichneten, obwohl gar keine Beamten in den Banken arbeiteten. Es gab nur eine Sache, die den Deutschen noch glücklicher machte, als vor einem Schalter Schlange zu stehen – nämlich hinter dem Schalter zu sitzen.

Sie schaute nach oben, wo es über vier Treppenstufen zu den Beraterplätzen ging. Tom Harding, der Filialleiter, war bereits da und saß an seinem Pult ganz vorne. Der Platz sorgte dafür, dass er alles im Blick hatte und möglichst viele der Kunden, die gern um kurz vor 9 Uhr den Bankeingang belagerten, aber ohnehin kein Geld brachten, an die Kollegen weiterreichen konnte.

Sie ließ ihren Blick über die Filiale schweifen. Lachen und Erträge machen, dieser uralte Spruch, der immer wieder in der Bank kursierte, flackerte auf einem der Monitore, der nur von den Beratern gesehen werden konnte, den aber die Kunden trotzdem sahen, da er sich in einem der Fenster spiegelte.

Die Frau nickte den Kolleginnen, die schon an der Kasse waren, kurz zu. Na dann mal los, dachte sie.

Heute war sie mit der Post dran. Das hieß, am Abend die papiernen Überweisungsträger, die sehr viele Kunden noch immer in rauen Mengen in die Bank brachten, an die Regionalzentrale zu schicken und morgens auch den Briefkasten zu öffnen, wo viele Kunden abends oder nachts Briefe und weitere Überweisungsträger hineinwarfen.

Sie steckte den Messingschlüssel in das Schloss am Briefkasten. Hörte das Klicken.

Sie hörte einen furchtbaren Knall.

Ohne dass sie etwas spürte.

Sah ein grelles Leuchten.

Und dann gar nichts mehr.

Kapitel 1

In einem riesigen Bürogebäude

Die hohe Glastür öffnete sich mit einem Zischen.

Endlich.

Sie hatten ihn lange warten lassen. Wahrscheinlich war es Absicht gewesen. Nein, es war ganz sicher Absicht gewesen. Erstens, um ihm zu zeigen, wer hier das Sagen hatte. Zweitens, weil sie nicht mit ihm zufrieden waren. Gar nicht zufrieden.

Der Mann hatte Zeit gehabt, sich umzusehen.

Er befand sich im soundsovielten Stock eines riesigen Gebäudes. Vor einer imposanten Wand stand ein überdimensionierter Schreibtisch. Daneben ein gigantischer, zwölf Quadratmeter großer Konferenztisch, der, wie es aussah, aus einer einzigen Steinplatte herausgesägt worden war.

Er hatte schon einige eindrucksvolle Arbeitsstätten gesehen, aber das hier war das größte und furchteinflößendste Büro, in dem er jemals gewesen war.

Er schaute nach draußen. Die Lichter Tausender Fenster blitzten in der Dunkelheit der Nacht, gemeinsam mit den Sternen am Abendhimmel, die hin und wieder verdeckt wurden von Wolkenfetzen, die, von einem kalten Ostwind getrieben, kamen und gingen.

Die Nacht war schon weit vorangeschritten. Irgendwo am Himmelsäquator entdeckte er das Sternbild des Orion mit seinen charakteristischen markanten Linien. Ansonsten war das meiste Licht von Menschen gemacht. Die Lichter der Autos bewegten sich wie ein Strom, der durch die Straßen floss, und die Türme der anderen Wolkenkratzer ragten streng und rechtwinklig in den Himmel. Die Lichter in den Fenstern blinkten und warfen ein diffuses Licht auf die Straßen. Schwach hörte er das Rauschen der Stadt, die niemals schlief, das dumpfe Dröhnen der Subway, die Sirenen und das Hupen der Autos. Dann wandte er seinen Blick wieder auf das Innere des Raumes.

An einem Ende des riesigen und tonnenschweren Steintisches nahm der Seniorpartner der Kanzlei Platz. Am anderen Ende der Mann mit den ausdruckslosen Augen, dessen einzige Aufgabe es war, für Stille zu sorgen. Jedenfalls war das die Aufgabe, von der der Mann wusste. Ob dieser Mann mit den ausdruckslosen Augen noch einen anderen Job hatte, war ihm nicht bekannt.

Der Mann, der dauerhaft für Stille sorgte und deswegen Silence genannt wurde, schaute nach draußen, die beiden riesigen Hände vor sich gefaltet, sodass es aussah, als würde er um sich herum eine Mauer aus gewaltigen Fingern bauen.

Einen kurzen Moment fragte sich der Mann, ob die Statik in dieser Etage verstärkt worden war, um den protzigen Tisch zu tragen. Oder ob irgendwann alle mit einem lauten Krachen in die unteren Stockwerke stürzen würden. Dann verflüchtigte sich der Gedanke schon wieder.

Der Mann nahm all seinen Mut zusammen, um seine Stimme zu erheben. In irgendeinem Seminar hatte man ihm einmal gesagt, dass es immer besser war, die Initiative zu ergreifen, anstatt zu warten, bis die andere Person anfing. Besonders da er befürchtete, dass die Leute im Raum mit ihm nicht zufrieden waren, wollte er seine Position nicht allzu schwach und sich selbst so unzögerlich wie möglich erscheinen lassen.

Sein Kampfsporttrainer hatte ihm früher einmal gesagt: »Es ist völlig blödsinnig, in die Verteidigung zu gehen, wenn du auch angreifen kannst. Wenn du siehst, dass der andere dir eine reinhauen möchte, dann hau ihm vorher eine rein. Warte nicht lange, sondern schlag einfach zu.«

Schnell und unberechenbar sein und immer den ersten Ball spielen, das war es, was der Mann wollte. So wie es Mao über die Guerillakämpfer gesagt hatte. Der Guerilla greift an, wann er will. Er ist wie der Fisch im Wasser, während die feindlichen Landtiere in seinem Element ertrinken. Gleichzeitig merkte der Mann, dass er mehr an sich zweifelte, als es ihm in dieser Situation guttat.

Er musste an den Film Im Auftrag des Teufels denken, in dem Al Pacino den Teufel spielte, der Chef einer Anwaltskanzlei war. Sein Büro und seine Wohnung bestanden ebenfalls nur aus einem einzigen Raum. Kevin Lomax, der junge Anwalt, der vom Teufel eingestellt worden war, fragte sich dann auch:

Wo isst er?

Wer sagt, dass er isst?

Wo schläft er?

Wer sagt, dass er schläft?

Wo fickt er?

Überall!

Was für ein blöder Gedanke, dachte der Mann, gerade jetzt, wo er sich konzentrieren musste.

»Kommen wir zur Sache?«, hörte er seine eigene Stimme.

Der Seniorpartner hob eine Augenbraue und blickte den Mann halb abschätzig, halb amüsiert an. Dann schaute er zu Silence hinüber, der keine Miene verzog, und dann wieder zurück auf den Mann, der vor den beiden stand wie ein Schüler in der mündlichen Prüfung.

»Die Frage ist«, sagte der Seniorpartner, »welche Sache Sie meinen?«

Mit diesen Worten wies er auf den einzigen freien Stuhl, auf den sich der Mann setzen sollte. Genau zwischen Silence und dem Seniorpartner, tatsächlich wie bei einer Prüfung. Oder einem Tribunal.

Der Seniorpartner faltete ebenfalls die Hände. »Also, welche Sache? Die Sache, dass Laura Jacobs noch immer am Leben ist? Die Sache, dass die Bank gerettet wurde, und zwar mit viel mehr Kapital, als wir es vermutet hatten? Die Sache, dass wir dadurch mit unserem Leerverkauf, bei dem wir gegen die Bank gewettet hatten, viel weniger verdient haben als geplant und uns dieses Geld jetzt fehlt?«

»Hortinger ist tot«, sagte der Mann. »Und Laura Jacobs ist eine Weile abgelenkt.«

Der Seniorpartner nickte. »Hortinger ist tot. Und das ist gut. Und das«, er schaute ihn an, »ist der Grund, warum Sie hier noch stehen. Lebend.« Er lenkte seinen Blick auf Silence. Der nickte ebenfalls.

Der Mann schluckte. »Laura Jacobs, wie gesagt, ist erst einmal abgelenkt. Sie muss sich um ihren Mann kümmern, der derzeit in Untersuchungshaft sitzt.«

»Das ist auch gut«, sagte der Seniorpartner, »aber sie hat einen sehr guten Anwalt, der den ganzen Spuk ziemlich bald beenden könnte. Jedenfalls schneller, als es uns lieb ist. Zudem hat sie sehr gute Kontakte zu den Ermittlungsbehörden.«

Bevor der Mann etwas entgegnen konnte, sprach der Seniorpartner weiter. »Gleichzeitig …«, er schaute wieder zu Silence, »… gleichzeitig werden unsere Investoren unruhig.« Silence nickte wieder.

Der Mann musste zugeben, dass nicht annähernd alle seine Pläne aufgegangen waren. Es waren immer noch zu viele Leute am Leben, vor allem die falschen. Es waren noch lange nicht alle Ziele erreicht, und es war völlig unklar, in welche Richtung sich alles entwickeln würde.

Er musste zugeben, dass von seiner ursprünglichen Absicht, die Initiative zu ergreifen und dadurch die Situation zu steuern, nicht viel übrig geblieben war. Vielleicht war es diese Hilflosigkeit, die ihn dazu brachte, eine nicht sonderlich intelligente Frage zu stellen.

Er schaute Silence und den Seniorpartner an. »Was also sollen wir tun?«

War das schlau?, dachte er sofort. Wer fragte, was er tun sollte, der saß nicht auf dem Fahrersitz: hatte nicht den driver seat, wie man es so schön nannte.

Beifahrersitz, Rücksitz, Kindersitz.

Der Seniorpartner hob erneut die Augenbrauen, schaute wieder Silence an und blickte dann nach draußen über die unzähligen Lichter der riesigen Stadt.

»Was sollen wir tun?«, wiederholte der Seniorpartner. »Kennen Sie den Witz mit den zwei Fischen?«

Der Mann brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass er selbst angesprochen war. Er wollte gerade den Kopf schütteln, da fing der Seniorpartner schon an zu erzählen: »Treffen sich ein Walfisch und ein Thunfisch. Fragt der Walfisch den Thunfisch: Was sollen wir tun Fisch? Da sagt der Thunfisch zum Walfisch: Du hast die Wahl Fisch!«

Er ließ seine Worte kurz nachklingen.

Der Mann war sichtlich irritiert. Was sollte dieses dumme Wortspiel?

»Auch Sie haben die Wahl. Sie haben die Wahl, Ihren Job nicht zu machen, mit allen Konsequenzen …« Der Seniorpartner machte eine Pause, ohne genauer auszuführen, was das für den Mann bedeuten würde, sondern klopfte nur auf sein Dreitausend-Euro-Jackett. »… Oder Sie machen Ihren Job. Sehen Sie zu, dass die Bank sturmreif geschossen wird und der Preis noch günstiger wird. Wir haben jemanden, der die Bank gern kaufen will. Aber nicht zu jedem Preis. Wenn Sie das schaffen, bekommen Sie das versprochene Geld und noch viel mehr.«

Der Mann hatte sich die ganze Zeit gefragt, was das Jackett des Seniorpartners mit dem Auftrag zu tun hatte.

»Wenn nicht …«, sagte der Seniorpartner. Er zögerte kurz, griff dann in die Innentasche seines Sakkos, so als wollte er aus dem Inneren eine Pistole hervorziehen. Es war aber keine Pistole, sondern ein Foto. »Wenn nicht, passiert Ihnen das hier«, vollendete er den Satz.

Der Mann blinzelte. Als er sah, was auf dem Bild zu sehen war, schluckte er.

»Sie«, stotterte er, »Sie können sich auf mich verlassen. Zu hundert Prozent. Dieses Mal wird alles klappen, das verspreche ich Ihnen.«

»Das tue ich«, sagte der Seniorpartner, »und hoffe, dass ich damit richtigliege.«

Der Mann verließ das riesige Büro mit dem monumentalen Steintisch.

Er wusste, was es bedeuten würde, den Seniorpartner zu enttäuschen.

Den Seniorpartner und vor allem Silence.

DIENSTAG

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 2

Landeskriminalamt, Tempelhofer Damm, Berlin

Laura hatte in der Nacht schlecht geschlafen und war viel früher aufgewacht als sonst. Nur der schwache Schein des Morgengrauens war durch die halb geschlossenen Vorhänge gedrungen. Laura hatte noch eine Zeit lang im Bett gelegen und gegrübelt, warum sie so lange vor dem Weckerklingeln aufgewacht war. Normalerweise schlief sie gut.

Sie hatte dann aufrecht im Bett gesessen und ihren Kopf in ihre Hände gestützt. Die Ereignisse der vergangenen Nacht waren wie Schatten durch ihren Geist getanzt, doch sie waren viel zu schnell vor ihrem inneren Auge vorbeigezuckt, als dass sie sie hätte greifen können. Sie hatte irgendetwas geträumt, aber sie wusste nicht mehr, was. Nur an eine Stimme, die von fern kam, und an einen riesigen Wasserfall erinnerte sie sich. Was sollte das bedeuten?

Das Bett neben ihr war leer gewesen. Im ersten Moment kam ihr das ganz normal vor. Denn ihr Mann stand als Handwerker normalerweise über eine Stunde vor ihr auf. Nur dass er im Moment gar nicht zu Hause war und deshalb auch nicht auf seiner Seite des Bettes schlafen konnte.

Im Spiegel hatte sie in ihre geröteten Augen geschaut und sich gefragt, warum sie nicht schlafen konnte. Die Zeiten waren noch immer turbulent, hatte sie gedacht, ihr Mann saß in Untersuchungshaft, aber diese Unruhe, die jetzt in ihr wütete, war etwas Neues. Was war passiert?, hatte sie gedacht. Sie erinnerte sich nur bruchstückhaft. Ein lautes Geräusch … Schritte … und dann … Dunkelheit.

Sie hatte instinktiv eine Hand auf ihren Bauch gelegt. Ein Gefühl der Beklemmung hatte sie überkommen. Der Schlafmangel, hatte sie instinktiv zu sich selbst gesagt. Sie hatte das Badezimmerfenster geöffnet, um frische Luft zu atmen. Sie hatte den Garten draußen betrachtet, die frühherbstliche Natur und im Kontrast dazu ihr blasses Spiegelbild. Und sie hatte gemerkt, wie stark ihr Blick von einer unerklärlichen Müdigkeit gezeichnet war.

 

Jetzt stand sie mit ihrem Anwalt, Niels Frehse, genannt Freispruch Frehse, vor dem Eingang des LKA am Tempelhofer Damm. Gegenüber befand sich der frühere Flughafen Tempelhof, der mittlerweile ein riesiges Museum für was auch immer war, während sich das dahinterliegende Tempelhofer Feld zu einer Mischung aus Liegewiese, Drogenumschlagplatz und ungenutzter Fläche entwickelt hatte. Eine riesige Freifläche mitten in der Stadt, die sich Berlin trotz eklatanter Wohnungsnot nach wie vor leistete.

Zum Glück hatte Laura sich seit einiger Zeit vorgenommen, keine lokalen Nachrichten mehr über Berlin zu lesen, weil sie sich darüber sowieso immer nur ärgerte, ohne irgendetwas daran ändern zu können. Mediendiät oder News Detox nannte sie das, denn die meisten Nachrichten, die aus der Hauptstadt kamen, waren, wie fast alle anderen Nachrichten auch, ohnehin negativ und führten nur dazu, dass sie sich aufregte und sofort Mordfantasien gegenüber bestimmten Politikern entwickelte. Vor dem Hintergrund der letzten Nacht war es sicher eine gute Idee gewesen, dass sie nicht noch irgendwelche Horrornachrichten gesehen hatte. Sie hatte in irgendeinem Mindset-Kurs von dieser Mediendiät gelesen und musste zugeben, dass es ihr seitdem sehr viel besser ging.

Sie hatte ihren Social-Media-Konsum auf ihrem Smartphone und überhaupt auch ihren Internetkonsum stark gedrosselt. Hermann, der Coach der BWG, hatte in einem Seminar einmal eine Furcht einflößende Rechnung aufgemacht. »Rechnet einmal durch«, hatte er gesagt, »wie viele Stunden ihr pro Tag mit Medien, Facebook oder Fernsehen verwendet.« Bei den meisten waren es bestimmt drei Stunden pro Tag, und zwar dreihundertfünfundsechzig oder dreihundertsechsundsechzig Tage im Jahr, da die meisten am Wochenende oder im Urlaub keinesfalls weniger Medien, sondern eher noch mehr konsumierten. Pro Jahr waren das locker tausend Stunden. »Ein Arbeitstag hat acht Stunden«, hatte Hermann gesagt. »Jetzt teilt mal tausend Stunden durch acht.« Das waren dann sage und schreibe hundertfünfundzwanzig Tage! »Ihr habt«, hatte Hermann gesagt, »hundertfünfundzwanzig zusätzliche Arbeitstage, in denen ihr all das machen könnt, was ihr immer schon machen wolltet. Also kommt nicht mehr mit der Ausrede, ihr hättet nicht genug Zeit, um eure Ziele zu erreichen und eure Träume umzusetzen.« Die meisten in dem Seminar hatten schockiert und betreten dreingeschaut, würden aber wahrscheinlich nichts daran ändern. Das war halt das Problem der meisten Menschen: Sie waren Wissensgiganten, aber Umsetzungsdilettanten. Denn eigentlich wussten alle sehr gut, was zu tun war. Wie hatte es Jesus gesagt: Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun, dachte Laura. Umgekehrt konnte man auch sagen: Herr, vergib ihnen, denn sie tun nicht, was sie wissen.

Wozu Laura aber bisher keinen Abstand hatte gewinnen können, das waren SMS und andere Nachrichten. Sie war noch immer so konditioniert, dass sie wie ein pawlowscher Hund auf das Handy schaute, sobald es piepte und vibrierte, und sie musste auf Teufel komm raus in jede Nachricht schauen. Das war kein Wunder, denn die Gehirnareale, die bei einer SMS aktiviert wurden, waren die gleichen wie damals in der Steinzeit, wenn vor der Höhle der Säbelzahntiger brüllte.

Meistens waren es irgendwelche irrelevanten Grüße oder Wünsche von irgendwelchen Freunden, Bilder von Pflanzen, Kindern, Besäufnissen, überflüssige Silvesternachrichten oder auch bescheuerte Videos und Kurzfilme von Katzen und Hunden von irgendwelchen Bekannten oder Kollegen aus der Bank.

Sie dachte wieder an den Traum.

Die Stimme, der Wasserfall.

Doch diesmal war es etwas anderes.

Komischerweise kamen jetzt, mit etwas Abstand, die Bilder aus ihrem Traum zurück. Sie konnte den Traum immer deutlicher sehen. Manche beauftragten Coaches, um ihr Leben besser zu verstehen, weil die meisten Menschen, was ihr eigenes Leben anging, betriebsblind waren. Gab es so etwas wie Traumblindheit?

Die Bilder wurden noch klarer: Eine düstere und neblige Traumlandschaft erstreckt sich vor ihr. Alte, verfallene Gebäude ragen wie Schatten in den Himmel. Die Luft ist mit einer geheimnisvollen Stille erfüllt.

Sie ist in ein altes, zerschlissenes Kleid gehüllt. Sie schreitet zögernd durch die verlassenen Straßen, deren Pflastersteine von Moos überwuchert sind. Eine unerklärliche Melancholie liegt in der Luft. Und dann das Rauschen des Wasserfalls, obwohl nirgends ein Wasserfall zu sehen ist. Wo sollte, in diesen Straßen, auch ein Wasserfall sein, der ein solches Getöse verursachen könnte?

Im Hintergrund hört sie entferntes Lachen und Flüstern, als ob die Geräusche aus einer anderen Zeit kämen.

Sie setzt ihren Weg fort und erreicht einen alten Park, in dem die Äste der Bäume sich krakenhaft in den Himmel strecken. Der Mond wirft unheimliche Schatten auf den Boden. War es nicht eben Tag gewesen? Ist jetzt Nacht? Aber im Traum fragt man nicht nach Logik.

Sie dachte plötzlich an den Satz aus dem Film Matrix, den Timo mehrfach rezitiert hatte: Wenn du einen Traum hast, der dir vollkommen real erscheint, und du wachst aus diesem Traum nicht mehr auf – woher weißt du dann, ob es ein Traum ist oder Realität?

Plötzlich taucht eine dunkle Silhouette in der Ferne auf. Ein Mensch mit einem Umhang, der sein Gesicht verbarg. Laura spürt eine unerklärliche Furcht, doch sie kann sich nicht abwenden.

Wer bist du?, fragt sie.

Die Silhouette kommt näher, und die Gestalt enthüllt langsam ihr Gesicht. Es ist …

Mehr kam nicht.

Ein seltsamer Traum. Und dann noch die seltsame SMS von der Bank. Der Tag, der noch gar nicht allzu alt war, war auch so schon furchtbar genug gewesen. Sie hatte ein langes Gespräch mit Frehse geführt. Timo war noch immer in der Untersuchungshaft, und der Staatsanwalt war nicht bestrebt, ihn frühzeitig zu entlassen. Seiner Ansicht nach sprachen einfach zu viele Beweise gegen ihn, und aufgrund der Tatsache, dass Laura derzeit beruflich viel unterwegs war, befürchtete man, dass Timo mit Laura zusammen fliehen konnte. Das konnte doch wirklich nicht wahr sein, dachte Laura, dass ihr der Bankjob schon wieder einen Strich durch die Rechnung machte und ihr Mann anstatt bei ihr zu Hause in einer Zelle in der Untersuchungshaft am LKA am Tempelhofer Damm versauerte.

»Wir kriegen ihn schon raus«, hatte Frehse auf sie eingeredet, »aber eben nicht heute und vielleicht nicht morgen, aber wir kriegen das auf alle Fälle hin. Ich werde die Typen schon weichkochen.« Laura bewunderte Frehses Optimismus, aber das war schließlich auch sein Job. »Und dann«, hatte Frehse gesagt, »werden wir die verklagen, das wird richtig teuer für die.«

»Wir werden die verklagen?«, hatte Laura gefragt.

»Ja, natürlich«, hatte Frehse geantwortet, »die wissen doch genau, dass Timo Jacobs die Straftat nicht begangen hat, für die er in U-Haft sitzt. Da werden wir uns noch schön Entschädigungszahlungen holen für die Zeit, die er in U-Haft gesessen hat. So etwas machen die mit uns nicht noch einmal!«

Laura war in diesem Moment wieder heilfroh gewesen, dass sie einen üblen Kettenhund von Anwalt hatte, der zwar knapp tausend Euro pro Stunde wollte, aber dafür auch nicht irgendein gutmenschenartiger Pflichtverteidiger war, der vom Staatsanwalt schon im ersten Plädoyer abgebügelt wurde, sondern einer, der gewinnen wollte. Und der, hoffentlich auch dieses Mal, regelmäßig gewann.

 

All das war ihr durch den Kopf gegangen, als die SMS kam.

Frehse lief neben ihr. Er trug einen dunkelblauen Anzug, ein blütenweißes Hemd, Manschettenknöpfe und eine rote Krawatte, die sicherlich aussagen sollte: Nehmt euch in Acht, heute bin ich auf Krawall gebürstet. Das war er ihrer Ansicht nach aber auch ohne rote Krawatte. Er hatte das Piepsen der SMS ebenfalls gehört, und ihm, der Gesichter sehr gut lesen konnte, war Lauras besorgter Blick nicht entgangen.

Er schaute sie an. »Ist alles okay?« Er hatte offenbar gleich erkannt, dass für Laura, als sie die SMS sah, gar nichts okay war. Denn es war ein ähnlicher Moment wie vor einigen Wochen, als sie diesen komischen Brief von der Bank bekommen hatte, in dem man ihr und Timo quasi nebenbei ganz lapidar mitteilte, dass sie ihr Haus verlieren würden. Auch wenn diese Kuh jetzt erst einmal vom Eis war, war auch das Thema Haus und Grundstücke in Blankenfelde-Mahlow noch längst nicht ausgestanden. Ihre Kollegin Sandra hatte sicher ein ähnliches Gesicht gemacht, als sie als Erste von allen die drei Bankräuber gesehen hatte, die die Filiale der BWG überfielen. Oft zeigte ein Gesicht schon das Grauen und den Schrecken, das es sah. Und gerade in den Augen reflektierte sich das Unheil, das sich die Seele des Betrachters schon in den grauenvollsten Farben ausmalte, selbst wenn noch gar nichts entschieden war.

»Ist alles okay?«, fragte Frehse erneut.

Auf Lauras Stirn war eine steile Falte, als sie auf die SMS starrte.

»Nein«, sagte sie, »wenn das hier so stimmt, dann ist gar nichts okay.«

»Was steht denn da? Wenn ich fragen darf?«

»Na ja«, sagte Laura, »was für Geheimnisse soll ich vor Ihnen noch haben. Ich hoffe nur, dass das ein blöder Scherz ist und nichts weiter. Obwohl ich das überhaupt nicht witzig finde.«

»Nun zeigen Sie schon her«, sagte Frehse. »Ich bin Ihr Anwalt, ich darf alles sehen, solange ich Ihnen helfen kann. Oder ist das zu privat?«

»Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht«, sagte Laura, »was genau das ist.«

Sie zeigte ihm die Nachricht.

Kapitel 3

Landeskriminalamt, Tempelhofer Damm, Berlin

Hier.« Sie schauten beide auf die SMS.

In der SMS war ein Screenshot eines Briefes abgebildet, darauf eine Renteninformation, wie sie Millionen von Menschen jährlich von der Rentenversicherung erhielten. Im Briefkopf ihr Name, Laura Jacobs, ihre Adresse, und darunter, wo normalerweise immer die Rentenschätzung stand, die natürlich viel zu hoch und unrealistisch war, stand hier nur eine einzige Zahl.

Ihre monatliche Rentenerwartung beträgt 0 €.

Sie merkte, wie ihr Herz einen Moment aus dem Tritt geriet.

Frehse verzog leicht das Gesicht. »Das soll doch wohl ein blöder Scherz sein«, sagte er. »Auch wenn ich vermute, dass das bei unserem windschiefen Rentensystem schon eher der Realität entspricht als das, was normalerweise auf den Bescheiden draufsteht.«

Laura schüttelte den Kopf. »Aber warum kriege ich das? Da hat sich doch scheinbar irgendeiner tatsächlich die Mühe gemacht, meine Adresse auf einen Rentenbescheid zu kleben und das Ganze abzufotografieren, oder was soll das sein?«

Sie klickte in die SMS hinein und versuchte, das Bild zu vergrößern. Dann sah sie, dass es sich um eine PowerPoint-Datei handelte. »Das scheint in einer Präsentation zu sein«, murmelte sie. Die Handynummer, von der die SMS kam, kam ihr in irgendeiner Weise auch bekannt vor, sie hatte die Nummer nur noch nicht abgespeichert, aber schon mehrfach angerufen. Sie öffnete ihre vergangenen Anrufe und scrollte die Liste nach unten hindurch, bis sie die Nummer wiederfand.

»Das ist die Nummer von Sina«, sagte sie. Sina Ramirez war IT-Expertin in der BWG und arbeitete in der Abteilung für Informationssicherheit und Blockchain-Technologie. Früher war sie Hackerin gewesen und war dann, vom BKA, vor die Wahl gestellt worden, entweder in die Legalität oder in den Knast zu gehen. Die Wahl war ihr leichtgefallen.

Laura mochte Sina. Und fragte sich umso mehr, warum sie gerade von ihr diese blöde Panik-SMS bekam. Laura hatte nun wirklich genug Probleme, als dass sie noch so einen dämlichen Scherz brauchen konnte. Und ein Teil ihres Gehirns fragte sich, ob das tatsächlich nur ein dämlicher Scherz war oder etwas anderes? Vielleicht wollte Sina sie auch warnen, und das Ganze war tatsächlich um einiges ernster, als sie glaubte?

»Herr Frehse«, sagte sie, »wir sind hier doch durch?«

»Sind wir?«, fragte der. »Was hat es denn mit dieser SMS auf sich?«

»Von einer Kollegin. Das kläre ich. Sonst melde ich mich.« Sie schaute wieder auf die SMS. »Ich meine, mit der Sache hier am LKA sind wir erst mal durch?«

Frehse lächelte kurz. »Wir sind durch, wenn wir durch sind. Oder wie heißt es so schön bei Rocky: It’s not over til it’s over. Aber ja, für heute sind wir durch. Sagen Sie Bescheid, wenn ich in dieser SMS-Sache doch noch etwas für Sie tun kann.«

»Das mache ich«, sagte Laura, »als Erstes rufe ich die Kollegin einfach an und frage, was es mit dieser komischen Nachricht auf sich hat.«

»Tun Sie das.« Frehse streckte seine Hand aus, und Laura ergriff sie. »Wenn das ein Scherz sein soll, dann ein relativ geschmackloser. Auch wenn ich die Rentenerwartungen, wie sie die Regierung verschickt, überhaupt nicht teile und eher denke, dass es in diese Richtung gehen wird.« Er machte mit dem Kinn eine Geste Richtung Lauras Handy. »Ich selbst traue den Analysen, die mein Vermögensberater mir schickt, deutlich mehr als den jährlichen Briefen, die das Anwalts-Versorgungswerk mir schickt. Nur leider bin ich dort Zwangsmitglied und kann nicht austreten.«

Okay, dachte Laura, du wirst auch genug Geld haben, was du anlegen kannst, bei deinen Stundensätzen. In dem Moment fand sie, dass das ein unnötig negativer Gedanke war. Frehse arbeitete hart, und dafür bekam er eben einiges. Sollte er das Geld doch kriegen, wenn er einen guten Job machte und Timo früher freikam und es ihnen vielleicht auch noch gelang, das LKA zu verklagen. Dann würde Laura ohnehin alles von der Rechtsschutzversicherung zurückbekommen, und die Welt war ein kleines bisschen besser geworden. Das hoffte sie jedenfalls.

»Wir telefonieren«, sagte Frehse. »Sie sind erreichbar heute?«

»Klar, ich kann hier ja nicht weg, solange Timo in U-Haft ist.«

»Und ich mach dem Staatsanwalt weiter Feuer unter dem Hintern. Bald ist das alles vorbei.« Mit diesen Worten war er schon auf der anderen Straßenseite und winkte sich ein heranfahrendes Taxi herbei. Frehse fuhr immer Taxi, da er die Parkplatzsuche zu zeitintensiv fand.

Ein Lächeln huschte über Lauras Gesicht. Es war schön, mal jemanden um sich zu haben, der bei positiven Dingen zuversichtlich war und kein Bedenkenträger, wie es so viele in der Bank waren.

Sie tippte auf Sinas Nummer.

Die ging nach dem zweiten Klingeln ans Telefon.

Kapitel 4

Landeskriminalamt, Tempelhofer Damm, Berlin

Sina«, schnappte Laura und fiel sofort mit der Tür ins Haus. »Soll das ein blöder Witz sein, oder was schickst du mir da ?«

»Ich wünsche dir auch einen guten Morgen«, sagte Sina stattdessen.

»Ich bin höflich«, sagte Laura, »wenn andere es auch sind. Was schickst du mir da für eine komische Panik-SMS, völlig ohne Zusammenhang? Meine Rente ist bei null Euro? Soll das ein blöder Witz sein?«

»Nein, deine Rente ist natürlich nicht bei null Euro«, sagte Sina, »aber Fink hat dich doch vorgewarnt.«

»Fink hat mich was?« Laura hatte von Fink seit gestern nichts mehr gehört.

»Dich vorgewarnt.«

»Dass meine Rente auf null Euro sinkt?«

»Nein, aber er wollte dich dazu anrufen.«

»Hat er nicht«, begann Laura. Sie schaute auf ihr Handy und sah, dass noch der Nicht-stören-Modus aktiviert war. Nur SMS wurden durchgelassen. Sie hatte mit Timo in der Besucherzelle des LKA gesessen. In diesem Moment war nur Timo wichtig, und sie wollte nicht durch irgendwelche Anrufe gestört werden. SMS gingen aber durch, weil Frehse ihr einige Zwischenstände der Verhandlungen geschickt hatte. Bei der Nicht-stören-Funktion gab es nur eine Person, die sie trotzdem anrufen konnte, und das war Timo. Der aber hatte ihr gegenübergesessen, und sein Handy hatte man ihm abgenommen.

Dann sah sie es: zwei Anrufe in Abwesenheit. Eine 069-Nummer. Festnetzapparat von Sören Fink in der Zentrale der BWG. Auf der anderen Straßenseite sah sie das Taxi mit Frehse verschwinden. Sören Fink war zunächst Leiter der Konzernstrategie gewesen und seit Kurzem für den Übergang Vorstandschef der BWG, nachdem sein Vorgänger Heinrich Hortinger vergiftet worden war – was Laura fast ebenfalls ins Gefängnis gebracht hätte. Fink sollte die Stelle erst einmal übergangsweise übernehmen.

»Verdammt ja, er hat angerufen«, sagte Laura. »Ich war in dem Moment gerade bei Timo in der U-Haft. Weißt ja …«

»Üble Sache«, sagte Sina. »Dann hat Fink dich also gar nicht erreicht?«

»Nein, hat er offenbar nicht. Was wollte er mir denn sagen? Jetzt sag nicht, dass ich keine Rente kriege!«

»Du bekommst deine Rente. Und wenn nicht, na ja, bist du nicht die Einzige.«

»Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.«

»Es geht um eine Sache, bei der dieses Szenario gar nicht so unwahrscheinlich sein könnte«, sagte Sina.

»Dass ich tatsächlich keine Rente kriege?« Offensichtlich war das Ganze doch mehr als ein dämlicher Scherz.

»Nicht nur, dass du keine Rente kriegst, sondern dass ein ganzer Haufen Angestellter und Leute, auch Mitarbeiter aus dem öffentlichen Dienst, keine Rente kriegen.«

Laura atmete genervt aus. »Ich bin es ja mittlerweile wirklich gewohnt, dass hier ständig neue Katastrophenszenarien über uns einbrechen, aber wie genau soll es denn bitte schön dazu kommen?«

»Zugegeben«, sagte Sina, »Das klingt auf den ersten Blick alles ziemlich absurd, ist aber leider plausibler, als man denken könnte.«

»Jetzt komm endlich zur Sache!« Laura verlor allmählich die Geduld.

Sina sprach weiter. »Wir haben in einer Stunde, also um 11 Uhr, einen Zoom-Call mit der Zentrale. Das wollte Fink dir auch sagen und fragen, ob du teilnehmen kannst.«

Laura schaute auf die Uhr. »Hat er nicht, aber …«

In dem Moment fiel Laura auf, dass Fink ihr offenbar eine Voicemail hinterlassen hatte. »Doch«, sagte sie, »hier ist eine Voicemail. Höre ich mir gleich mal an.«

»Genau darum geht es«, sagte Sina. »Judith, die Assistentin aus Finks Büro, schickt gleich einen Invite raus oder hat es schon getan. Wär super, wenn du dich auch einloggen könntest.«

»Und dann erfahre ich, warum unser aller Rente in Gefahr ist?«

»Das und noch einiges mehr«, sagte Sina. »Wann bist du überhaupt wieder in Frankfurt?«

»Tja«, sagte Laura, »erst mal würde ich gerne meinen Mann aus dem Knast holen, wenn es gestattet ist.«

»Klar, das geht vor.« Sina machte eine kurze Pause. »Wenn wir oder ich da irgendwie helfen können, sag Bescheid. Notfalls hacke ich mich in die LKA-Datenbank ein und lösche einige Beweise, die gegen deinen Mann sprechen. Dann haben die keine Grundlage für die U-Haft mehr.«

Laura zweifelte keine Sekunde daran, dass Sina das tatsächlich machen würde.

»Da spricht wieder die ehemalige Black-Hat-Hackerin.« Laura musste lächeln.

»White-Hat-Hackerin«, sagte Sina. »Das ist ja für die gute Sache. Soll ich?«

Laura stellte sich das Chaos vor, das Sina durch eine Aktion bei der Berliner Polizei verursachen würde.

»Vielen Dank«, sagte sie dann. »Ich habe einen ziemlich scharfen Kettenhund von Anwalt, der hoffentlich einige Wunder wirken kann. Außerdem bin ich mir sicher, dass es in der Digitalwüste Deutschland noch Papierakten gibt, die einfach nur neu eingescannt werden müssten. Wahrscheinlich würde das das Verfahren gegen Timo sogar noch verzögern.«

»Okay. Digitale Dritte Welt kann man nicht hacken«, sagte Sina. »Aber gib Bescheid, wenn ich irgendwas tun kann, ja?«

»Klar.«

»Gut, dann hören wir uns nachher im Zoom-Call um 11 Uhr?«

Laura nickte, obwohl Sina sie gar nicht sah. »Definitiv. Ich logge mich von zu Hause ein. Will ja schon wissen, was jetzt wieder für Bomben platzen. Mein Gott, wenn man euch in Frankfurt mal ein paar Tage allein lässt …«

»Noch platzen die Bomben nicht«, sagte Sina, »aber die Zünder ticken schon bedrohlich laut.«

»Okay«, sagte Laura, »das ist bei der BWG nicht unbedingt was Neues.«

Kapitel 5

Blankenfelde-Mahlow, bei Berlin

Laura hatte die Stille des Hauses erwartet. Aber nicht das.

Schon als sie heranfuhr, hatte sie kleine Busse und Autos gesehen, die Männer und wenigen Frauen mit den Kameras und Mikrofonen. Sie hatte überlegt, abzubiegen, aber wo hätte sie hinfahren wollen? Als sie aus ihrem Auto stieg, war vollkommen klar, wer da auf sie wartete. Es war die gleiche Szene wie letzten Freitag vor dem Berliner Hauptquartier der BWG.

»Frau Jacobs, können Sie uns ein paar Fragen beantworten?«, rief einer der Journalisten, während er mit einem Mikrofon auf sie zukam. »Wir haben gehört, dass Ihr Mann in Untersuchungshaft sitzt. Stimmt das?«

Laura fühlte, wie ihr Herzschlag beschleunigte. Sie wusste zwar, wovon die Journalisten sprachen, aber sie wusste nicht, woher sie das wussten. Sie wusste auch, dass sie jetzt nicht einfach weglaufen konnte. Sie entschied sich, ruhig zu bleiben und höflich zu antworten.

»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen«, sagte sie ruhig. »Ich bitte Sie höflichst, mir etwas Platz zu lassen und meine Privatsphäre zu respektieren.« Diesen Satz hatte sie irgendwann in einem Medienseminar gelernt.