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Im Schrank eines Mädchens warten Kuscheltiere Tag für Tag darauf, gewählt zu werden - geliebt, gebraucht, gesehen. Doch als das Mädchen sich verändert, beginnt auch ihre kleine Welt zu wanken. Streit bricht aus. Fragen entstehen. Und aus dem leisen Rauschen am Rand erhebt sich eine vergessene Stimme. Der Kreis aus Stoff ist eine poetische Parabel über Aufmerksamkeit, Zugehörigkeit und das große Bedürfnis, gehört zu werden. Ein stilles Manifest für das Wir in einer lauten Welt.
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Seitenzahl: 32
Veröffentlichungsjahr: 2025
Für alle, die zuhören, bevor sie urteilen. Und für jene, die sich erinnern, wenn andere vergessen.
Kapitel 1: Die tägliche Wahl
Kapitel 2: Der König kehrt zurück
Kapitel 3: In der Nacht
Kapitel 4: Die Tage danach
Kapitel 5: Der Spalt
Kapitel 6: Die Reihen zerfallen
Kapitel 7: Die Rückkehr zur Ordnung
Kapitel 8: Der Moment der alles bricht
Kapitel 9: Die erste Stimme
Kapitel 10: Die Geschichten erwachen
Kapitel 11: Der neue Kreis
Kapitel 12: Was wir gelernt haben
Kapitel 13: Ein neuer Ort
Kapitel 14: Der Neue
Kapitel 15: Der Kreis bleibt offen
Kapitel 16: Erinnerung ist, was bleibt
Nachwort – Wenn eine Geschichte, mehr wird als ein Spiel
Anhang 1 – Die Idee hinter dem Kreis
Anhang 2 – Die Nacht der Ideen
Für meine Familie - und für all jene die mich geprägt haben
Wenn das erste Licht durch den Vorhang schlich und der Schrank noch ganz in Schatten lag, begann das Flüstern.
Ein Rascheln, ein Recken, ein kollektives Zurechtrücken. Stoffaugen blitzten auf, Knöpfe glänzten, Schleifen wurden glattgezogen.
Dies war ihre Welt. Ihr Ritual. Ihr Morgen.
„Heute bin ich dran“, sagte Bodo mit sonorer Stimme.
Er saß ganz vorn, wie ein König auf seinem Thron. Groß, fest gebaut, mit weichem Fell in sanftem Braun – seine rote Schleife war leicht ausgefranst, aber das trug er mit Stolz.
Er war einer der Ersten. Und einer der Wichtigsten. Zumindest dachte er das.
„Dein Tag war vorgestern. Und gestern. Und... vorgestern“, knurrte Rumpel.
Ein zerzauster, grüner Stoffdrache mit abgeblätterten Glitzerschuppen und einem geflickten Flügel.
Er lag halb eingerollt in der zweiten Reihe und blickte mürrisch nach vorne.
„Ihr streitet schon wieder“, seufzte Lulu, das Einhorn.
Ihr weißer Körper war weich und etwas verblichen, das Horn aus Silberstoff hatte eine Falte vom ewigen Anlehnen.
Sie hatte etwas Entrücktes – als wäre sie immer halb woanders.
„Vielleicht wählt sie heute gar keinen von euch.“
„Oh bitte“, stöhnte Mina, während sie ihr Kleid zurechttupfte.
Makellos, wie immer – hellrosa mit weißer Spitze. Ihre Haare waren gebürstet, ihr Gesicht tadellos.
„Sie braucht doch jemanden mit Stil. Nicht mit Staub.“
„Sie braucht Effizienz“, klang es metallisch von links.
Tock, der silberne Roboterhund, hatte sich millimetergenau aufgerichtet. Sein Display blinkte kurz auf: BEREIT. „Ich kann bellen, wedeln und in 3,6 Sekunden Emotionen simulieren. Das reicht.“
Ein leises, kaum hörbares Wispern durchzog den Schrank.
Wie Wind, der sich verirrt hatte. Oder ein kaum wahrnehmbares Zittern.
Niemand reagierte. Niemand erwähnte es.
Die Figuren rückten sich zurecht. Ein wenig näher zur Tür. Ein wenig aufrechter. Denn das war das Spiel. Das tägliche Spiel. Das immer gleich war.
Wer gesehen werden wollte, musste glänzen. Wer glänzte, wurde gewählt.
Ein Klicken.
Die Schranktür öffnete sich einen Spaltbreit. Licht flutete herein wie ein Atemzug.
Alle sahen nur eines: den Schatten der Hand.
Die Finger, die näher kamen.
Bodo spannte sich auf. Tock piepste leise. Mina lächelte geübt.
Dann – die Berührung.
Und wieder war es Bodo.
Watteherzen sanken. Schultern aus Stoff sanken noch tiefer.
Die Tür schloss sich.
Die Welt im Schrank fiel zurück in ihr gewohntes Muster.
Nur das Wispern war geblieben.
Leise.
Hartnäckig.
Die Tür schloss sich mit einem gedämpften Klicken.
Draußen verklang das Tapsen von kleinen Schritten.
Drinnen herrschte für einen Moment nur Stille.
Dann: ein Poltern. Bodo richtete sich auf, polierte seine Schleife – und schwieg. Er saß dort, aufrecht, mächtig, stolz.
Er streckte sich, räusperte sich und sah sich um. „Sie hat mich gewählt“, sagte er mit tiefer Stimme. „Sie hat mich den ganzen Nachmittag nicht aus der Hand gelegt.“
Ein leises Raunen ging durch die Reihe. Niemand widersprach, aber niemand applaudierte.