Der Krieg der Welten - H. G. Wells - E-Book

Der Krieg der Welten E-Book

H G Wells

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Beschreibung

Ein seltsames Objekt liegt da auf der Wiese, vom Himmel gefallen wie ein Meteorit. Ihm entsteigen hässliche Wesen. Neugierig nähern sich Londons Bürger den Besuchern aus dem All, bald liegen die ersten tot da, verkohlt durch einen brutalen Hitzestrahl. Und sie sind nicht die letzten Opfer dieser Invasoren mit ihren perfiden Waffen. Was wollen sie, wo kommen sie her und was kann ihr Zerstörungswerk aufhalten? »Der Krieg der Welten« ist der erste Roman, der eine Begegnung mit Außerirdischen schildert – ein frühes Meisterwerk der Science-Fiction-Literatur.

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H. G. Wells

Der Krieg der Welten

Aus dem Englischen von Jan Strümpel

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Titel der englischen Originalausgabe:

The War of the Worlds (London 1898)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter www.dnb.de abrufbar.

© 2017 Anaconda Verlag, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Umschlagmotive: Martian Invaders Retro Vector Illustration, shutterstock.com / Tim the Finn. – London in rain fog, shutterstock.com / Sundari. – Vintage summer typography design with labels, icons elements collection, shutterstock.com / Apple Art

Umschlaggestaltung: www.katjaholst.de

ISBN 978-3-7306-9173-1V002

www.anacondaverlag.de

Inhalt

Erstes Buch: Die Ankunft der Marsianer

1 Der Vorabend des Krieges

2 Die Sternschnuppe

3 Auf der Weide bei Horsell

4 Der Zylinder öffnet sich

5 Der Hitzestrahl

6 Der Hitzestrahl in der Chobham Road

7 Wie ich nach Hause gelangte

8 Freitagabend

9 Der Kampf beginnt

10 Im Sturm

11 Am Fenster

12 Was ich von der Zerstörung von Weybridge und Shepperton sah

13 Wie ich an den Vikar geriet

14 In London

15 Was in Surrey geschah

16 Der Exodus aus London

17 Die »Thunder Child«

Zweites Buch: Die Erde unter den Marsianern

1 Unterwegs

2 Was wir von dem zerstörten Haus aus sahen

3 Die Tage des Eingesperrtseins

4 Der Tod des Vikars

5 Die Stille

6 Das Werk von fünfzehn Tagen

7 Der Mann auf dem Putney Hill

8 Totes London

9 Verwüstung

10 Epilog

»Wer aber soll hausen in jenen Welten,falls sie bewohnt sind? … Sind wir oder siedie Herren des Alls? … Und ist dies allesdem Menschen gemacht?«

(Kepler, zitiert in Die Anatomie der Melancholie)

Erstes Buch

Die Ankunft der Marsianer

1 Der Vorabend des Krieges

In den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts hätte niemand geglaubt, dass Intelligenzen, größer als die menschliche und doch ebenso sterblich, diese Welt neugierig observierten; dass sie die Menschen prüften und studierten, während diese ihren Angelegenheiten nachgingen, und zwar in fast ebensolcher Nahsicht, wie ein Mensch unter dem Mikroskop die flüchtigen Wesen studiert, die in einem Tropfen Wasser umherwimmeln und sich vermehren. In grenzenlosem Behagen liefen die Menschen geschäftig auf diesem Erdball umher, völlig gelassen im festen Glauben daran, dass man alles im Griff hatte. Möglich, dass es die Infusionstierchen unter dem Mikroskop ebenso hielten. Niemand verschwendete einen Gedanken daran, dass von den älteren Himmelskörpern im Weltraum den Menschen Gefahr drohen könnte, oder dachte allenfalls an sie, um die Vorstellung von Leben auf ihnen als unmöglich oder ganz unwahrscheinlich abzutun. Wenn man sich heute in Erinnerung ruft, wie über so manches damals gedacht wurde, muss man sich wundern. Im äußersten Fall stellten sich die Erdbewohner vor, dass es andere Menschen auf dem Mars gab, die ihnen möglicherweise unterlegen wären und eine Forschungsmission bereitwillig empfingen. Doch betrachteten Geister, uns etwa so überlegen wie unser Verstand demjenigen des Viehs, gewaltige, kalte, gefühllose Verstandeskräfte, weit hinten im Schlund des Weltalls diese Erde mit neidischem Blick und schmiedeten so langsam wie beharrlich ihre Pläne gegen uns. Und zu Beginn des 20. Jahrhunderts zerplatzte das große Trugbild.

Der Mars, ich muss den Leser wohl kaum daran erinnern, kreist in einer mittleren Entfernung von 140 000 000 Meilen um die Sonne, und er empfängt von der Sonne kaum halb so viel Licht und Wärme wie unser Planet. Sofern die Nebularhypothese zutrifft, ist er älter als die Erde, und lange bevor diese aufgehört hatte, sich zu verdichten, muss auf seiner Oberfläche bereits Leben aufgetreten sein. Da der Mars nicht einmal ein Siebtel des Volumens der Erde hat, dürfte er verhältnismäßig rasch abgekühlt sein bis auf eine Temperatur, bei der sich Leben ausprägen kann. Er verfügt über Luft und Wasser und bietet auch sonst alles, was Lebensformen ihr Dasein ermöglicht.

Doch so eitel ist der Mensch und durch seine Eitelkeit so blind geworden, dass sich bis ans Ende des 19. Jahrhunderts kein Autor je zu der Möglichkeit geäußert hat, dort könne sich intelligentes Leben weit oder doch immerhin klar über dem irdischen Niveau ausgeprägt haben. Auch wurde aus der Tatsache, dass der Mars älter ist als die Erde, kaum ein Viertel ihrer Oberfläche hat und weiter von der Sonne entfernt ist, nie der notwendige Schluss gezogen, dass das Leben dort nicht nur eher begonnen hat, sondern sich auch eher dem Ende zuneigt.

Die zunehmende Abkühlung, die eines Tages auch über unseren Planeten kommen wird, ist bei unserem Nachbarn bereits weit fortgeschritten. Seine physische Beschaffenheit ist kaum enträtselt, doch wir wissen heute, dass selbst im Bereich seines Äquators die Tageshöchstwerte kaum die Temperaturen unserer kältesten Winter erreichen. Die Luft ist dort viel dünner als bei uns, seine Meere haben sich so weit zurückgebildet, dass sie nur noch ein Drittel der Oberfläche bedecken, und durch den langsamen Wechsel seiner Jahreszeiten sammeln sich an beiden Polen gewaltige Schneemassen an, die wieder schmelzen und dabei stets aufs Neue die gemäßigten Zonen überschwemmen. Jenes letzte Stadium der Auszehrung, das uns noch so unglaublich fern ist, bereitet den Bewohnern des Mars längst Probleme. Der unmittelbare Handlungsdruck hat ihre geistigen Fähigkeiten geschärft, ihre Kräfte erhöht und ihre Herzen verhärtet. Mit ihren Apparaturen und Geistesgaben, von denen wir selbst nicht einmal träumen können, blicken sie nun ins Weltall, und da sehen sie in nächster Nähe, nur 35 000 000 Meilen sonnenwärts entfernt, einen Morgenstern der Hoffnung, unseren eigenen, wärmeren Planeten, grün vor Vegetation und grau vor Wasser, mit einer wolkenbedeckten Atmosphäre, die Fruchtbarkeit verheißt, und zwischen den Wolkenfeldern freier Sicht auf breite Abschnitte besiedelten Landes und enge Meere voller Schiffe.

Und wir Menschen, die Bewohner dieser Erde, müssen ihnen als mindestens so andersartige und niedere Wesen erscheinen wie uns die Affen und Lemuren. Der kluge Teil der Menschheit hat längst begriffen, dass das Leben ein unentwegter Kampf ums Dasein ist, und auf dem Mars sieht man dies wohl ebenso. Deren Welt ist schon viel weiter abgekühlt und unsere noch reich bevölkert, wenngleich mit Lebewesen, die für sie nichts als minderwertige Tiere darstellen. So bleibt ihnen denn als einzige Rettung vor der Vernichtung, die Generation für Generation schleichend näher rückt, den Krieg sonnenwärts zu tragen.

Bevor wir zu streng über sie urteilen, müssen wir uns vor Augen halten, welch skrupellose und totale Zerstörung unsere eigene Gattung ins Werk gesetzt hat, nicht nur bei ausgestorbenen Tieren wie dem Bison oder dem Dodo, sondern auch bei unterlegenen Rassen. Ihrer Menschengestalt zum Trotz wurden die Tasmanier in einem von europäischen Einwanderern geführten Ausrottungskrieg binnen fünfzig Jahren völlig von der Erde getilgt. Sind wir solche Apostel des Erbarmens, dass wir uns beklagen könnten, wenn die Marsianer uns in demselben Geist bekriegen?

Die Marsianer – deren mathematische Kenntnisse den unsrigen offenkundig weit überlegen sind – scheinen ihre Landung sehr exakt berechnet und ihre Vorbereitungen in nahezu völliger Einmütigkeit getroffen zu haben. Wären unsere Instrumente dazu in der Lage gewesen, so hätten wir schon viel früher im 19. Jahrhundert erkennen können, welches Unheil sich da zusammenbraute. Männer wie Schiaparelli beobachteten den roten Planeten – ist es übrigens nicht seltsam, dass der Mars seit Jahrhunderten als Stern des Krieges gilt? –, doch sie missdeuteten die ständigen Veränderungen auf der von ihnen so sorgsam kartografierten Oberfläche. In dieser ganzen Zeit müssen sich die Marsianer bereitgemacht haben.

Während der Opposition von 1894 wurde auf dem angestrahlten Teil der Scheibe ein großes Licht registriert, erst im Lick-Observatorium, dann von Perrotin in Nizza, schließlich von weiteren Beobachtern. Englische Leser erfuhren davon durch die Nature-Ausgabe vom 2. August. Ich neige zu der Ansicht, dass dieses Leuchten von einer riesigen Kanone herrührte, aufgestellt in einer gewaltigen Senke ihres Planeten, von wo aus sie ihre Schüsse auf uns abfeuerten. Sonderbare, noch ungedeutete Verschattungen wurden während der nächsten beiden Oppositionen nahe der Stelle dieses Ausbruchs gesichtet.

Vor sechs Jahren dann brach der Sturm über uns los. Als der Mars sich der Opposition näherte, gab Lavelle auf Java über die Leitung der astronomischen Meldestelle die unglaubliche Mitteilung von einer gewaltigen Explosion weißglühenden Gases auf dem Planeten durch. Das war am 12. gegen Mitternacht geschehen; und das Spektroskop, das er sofort zum Einsatz brachte, deutete auf eine glühende Gasmasse hin, im Wesentlichen Wasserstoff, die sich mit enormer Geschwindigkeit auf die Erde zubewegte. Dieser Feuerstrahl war gegen Viertel nach zwölf nicht mehr zu sehen. Lavelle verglich ihn mit einer ungeheuren Stoßflamme, die mit einem Mal heftig aus dem Planeten schoss »wie entzündetes Gas aus einem Geschütz«.

Diese Formulierung erwies sich als denkbar passend. Am nächsten Tag allerdings war in den Zeitungen bis auf eine kleine Meldung im Daily Telegraph nichts über das Thema zu lesen, und so war die Welt ohne Kenntnis von einer der schlimmsten Gefahren, die die Menschheit je bedroht hat. Vielleicht hätte auch ich nichts von der Eruption erfahren, wäre ich nicht in Ottershaw dem bekannten Astronomen Ogilvy begegnet. Die Nachricht hatte ihn ganz munter werden lassen, und im Überschwang seiner Empfindungen lud er mich ein, in der nächstfolgenden Nacht gemeinsam mit ihm den roten Planeten einer gründlichen Prüfung zu unterziehen.

Trotz allem, was seither passiert ist, erinnere ich mich noch sehr genau an jene Nachtwache: an das stillschwarze Observatorium, den matten Lichtschein, den die dunkle Laterne auf den Boden in der Ecke warf, das beständige Ticken des Uhrwerks am Teleskop, den kleinen Spalt im Dach – ein länglicher Schlund, durch den der Sternennebel zog. Ogilvy ging umher, nicht sichtbar, doch hörbar. Beim Blick durchs Teleskop sah man einen tiefblauen Kreis, in dem der kleine runde Planet schwebte. Ganz zart wirkte er, so hell und reglos, leicht gekerbt von querlaufenden Streifen und nicht vollkommen kreisrund. Er war so klein, so silbrig-warm – ein Stecknadelkopf aus Licht! Es schien, als zittere er, doch dies rührte vom Teleskop her, das vibrierte, wenn es mithilfe des Uhrwerks neu auf den Planeten ausgerichtet wurde.

Während ich hindurchsah, schien der Planet größer und wieder kleiner zu werden, näherzukommen und zurückzuweichen, doch dies lag allein an meinem müden Auge. Vierzig Millionen Meilen war er von uns entfernt – mehr als vierzig Millionen Meilen des Nichts. Wenige Menschen sind sich der immensen Leere bewusst, in der der Staub des stofflichen Universums schwebt.

Im Sichtfeld dicht neben ihm, so weiß ich noch, befanden sich drei schwache Lichtpunkte, drei teleskopische Sterne unendlich fern, und drum herum war nichts als die gähnende Finsternis des leeren Alls. Man kennt die Finsternis, wie sie in einer sternklaren Frostnacht herrscht. Durchs Teleskop betrachtet wirkt sie noch weit tiefer. Und für mich nicht zu erkennen, weil es so fern und klein war, bewegte es sich schnell und unaufhaltsam über diese unglaubliche Entfernung auf mich zu, kam es über Tausende von Meilen mit jeder Minute näher, jenes Ding, das zu uns gesandt wurde, das Ding, das der Erde so viel Not und Unglück und Tod bescheren sollte. Nicht im Traum hätte ich mir dies ausmalen können, als ich so durch das Teleskop blickte, niemand auf Erden hätte sich auch nur im Traum dieses unfehlbare Geschoss ausmalen können.

In dieser Nacht stob ein weiteres Mal Gas aus dem fernen Planeten hervor. Ich habe es gesehen. Den roten Blitz am Rand, die minimale Auswölbung am Umriss, eben als die Uhr Mitternacht schlug; ich erzählte Ogilvy davon, er nahm meinen Platz ein. Die Nacht war warm und ich hatte Durst, daher streckte ich die müden Beine und tastete mich durch die Dunkelheit zum kleinen Tisch mit dem Siphon, während Ogilvy aufschrie, als er den auf uns zufliegenden Gasstrahl sah.

In dieser Nacht machte sich ein weiteres unsichtbares Geschoss auf den Weg vom Mars zur Erde, fast auf die Sekunde genau vierundzwanzig Stunden nach dem ersten. Ich erinnere mich, wie ich dort in der Finsternis am Tisch saß; grüne und rote Flecken schwebten mir vor den Augen. Ich hätte gern ein Streichholz gehabt, um rauchen zu können, und mir fehlte eine rechte Vorstellung von der Bedeutung des winzigen Schimmers, den ich gesehen hatte, und all den Folgen, die sich bald für mich daraus ergeben sollten. Ogilvy blieb noch bis eins am Teleskop, dann hatte er genug, wir steckten die Laterne an und gingen hinüber zu seinem Haus. Unter uns in der Dunkelheit befanden sich die Hunderte Bewohner von Ottershaw und Chertsey in friedlichem Schlaf.

Ogilvy äußerte in dieser Nacht lauter Mutmaßungen zur Beschaffenheit des Mars und spottete über die volkstümliche Ansicht, dass er Bewohner habe, die uns Zeichen sendeten. Seiner Ansicht zufolge ging vielleicht ein heftiger Meteoritenschauer auf dem Planeten nieder oder ein gewaltiger Vulkanausbruch fand gerade statt. Er wies mich darauf hin, wie unwahrscheinlich es sei, dass die Evolution auf zwei benachbarten Planeten denselben Verlauf genommen habe.

»Die Wahrscheinlichkeit für irgendetwas Menschenähnliches auf dem Mars liegt bei eins zu einer Million«, sagte er.

Hunderte von Menschen in den Observatorien sahen in dieser und der folgenden Nacht gegen Mitternacht die Flamme, auch in der Nacht darauf und so weiter insgesamt zehn Nächte lang, eine Flamme pro Nacht. Warum nach der zehnten keine weiteren Schüsse mehr folgten, hat auf der Erde niemand zu erklären versucht. Vielleicht bereiteten die zum Abschuss verwendeten Gase den Marsianern Beschwerden. Dichte Wolken aus Staub und Rauch, die auf der Erde durch ein leistungsstarkes Teleskop als unbeständige kleine graue Flecken zu erkennen waren, legten sich über die klare Atmosphäre des Planeten und tauchten seine vertraute Erscheinung in Dunkel.

Die Tageszeitungen nahmen schließlich doch noch Notiz von den Störungen, und überall erschienen gern gelesene Artikel über die Vulkane auf dem Mars. Ich weiß noch, dass das Satireblatt Punch dies zum Anlass für eine politische Karikatur nahm. Und ohne dass es jemand ahnte waren die Geschosse, die die Marsianer auf uns abgefeuert hatten, mit vielen Meilen pro Sekunde im leeren Schlund des Alls unterwegs Richtung Erde, kamen Stunde für Stunde, Tag für Tag näher und näher. Heute bin ich geradezu fasziniert davon, wie die Menschen im Zeichen dieser heranrasenden Gefahr weiterhin so emsig dahinlebten, wie sie es taten. Ich erinnere mich, wie Markham strahlte, nachdem er als Chefredakteur der Illustrierten, für die er zu dieser Zeit arbeitete, eine neue Fotografie des Planeten an Land gezogen hatte. Die Menschen von heute haben kaum einen Begriff von der Themenfülle und dem Unternehmungsgeist der Presse im 19. Jahrhundert. Ich selbst lernte damals eifrig Radfahren und arbeitete an einer Reihe von Schriften, in denen ich mich mit dem mutmaßlichen Wandel von Moralvorstellungen mit fortschreitender Kulturentwicklung befasste.

Eines Abends (das erste Geschoss war damals wohl keine 10 000 000 Meilen mehr entfernt) ging ich mit meiner Frau spazieren. Der Himmel war sternenklar, ich erklärte ihr die Tierkreiszeichen und zeigte ihr den Mars, einen zenitwärts kriechenden hellen Lichtpunkt im Visier zahlreicher Teleskope. Es war ein warmer Abend. Auf dem Rückweg ging eine Gruppe Ausflügler aus Chertsey oder Isleworth singend und musizierend an uns vorbei. Die oberen Fenster der Häuser waren erleuchtet, denn die Leute gingen zu Bett. Vom Bahnhof in der Ferne war das Geräusch rangierender Züge zu hören, ein Klirren und Rumpeln, das die Distanz fast zu einer Melodie abmilderte. Meine Frau machte mich auf das Leuchten der roten, grünen und gelben Signallichter aufmerksam, die gegen den Himmel in einem Rahmen hingen. Alles wirkte so sicher und ruhig.

2 Die Sternschnuppe

Dann kam die Nacht der ersten Sternschnuppe. Früh am Morgen sah man sie in östlicher Richtung über Winchester hinwegschießen, eine Flammenlinie hoch oben in der Atmosphäre. Hunderte müssen zugesehen und es für eine gewöhnliche Sternschnuppe gehalten haben. Albin hielt fest, sie habe einen grünlichen Streif hinter sich hergezogen, der einige Sekunden lang glühte. Denning, unsere größte Kapazität in Sachen Meteoriten, gab an, dass sie sich bei ihrem Erscheinen in einer Höhe von etwa neunzig bis hundert Meilen befunden habe. Nach seiner Einschätzung sei sie rund einhundert Meilen östlich von ihm niedergegangen.

Ich war zu diesem Zeitpunkt gerade zu Hause und schrieb in meinem Arbeitszimmer; und obwohl meine Balkontür Richtung Ottershaw weist und die Jalousie hochgezogen war (denn damals blickte ich so gern in den nächtlichen Himmel), bekam ich nichts davon mit. Und doch muss dieses seltsamste Objekt, das je aus dem Weltraum zur Erde gelangt ist, just als ich dort saß niedergegangen sein, vor meinen Augen, hätte ich sie nur im rechten Moment gehoben. Manche, die ihren Flug verfolgt hatten, sagten, ein zischendes Geräusch sei damit einhergegangen. Ich habe nichts dergleichen gehört. In Berkshire, Surrey und Middlesex müssen viele Menschen Zeuge gewesen sein und allenfalls gedacht haben, dass da wieder einmal ein Meteorit zur Erde stürzt. In dieser Nacht hielt es offenbar niemand der Mühe wert, nach der herabgeflogenen Masse zu schauen.

Doch am Morgen stand der arme Ogilvy, der die Sternschnuppe gesehen hatte und überzeugt war, dass irgendwo zwischen Horsell, Ottershaw und Woking ein Meteorit lag, sehr früh auf mit dem Ziel, ihn zu finden. Und fündig wurde er kurz nach Tagesanbruch, ganz in der Nähe der Sandgruben. Durch den Aufschlag des Geschosses war ein riesiges Loch entstanden, Sand und Kies waren mit großer Wucht ringsumher über die Heide geschleudert worden, noch eineinhalb Meilen entfernt sah man sie in Haufen daliegen. In östlicher Richtung brannte das Heidekraut, und dünner blauer Rauch stieg vor der Dämmerung auf.

Das Ding lag fast vollständig von Sand bedeckt zwischen den verstreuten Splittern einer Tanne, die es bei der Landung zu Kleinholz gemacht hatte. Der offen daliegende Teil sah aus wie ein riesiger Zylinder, den eine dicke, schuppige, graubraune Verkrustung überzog und seine Konturen im Unklaren ließ. Er hatte einen Durchmesser von knapp dreißig Metern. Ogilvy trat an den Klumpen heran, überrascht von seiner Größe und erst recht von seiner Form, da Meteoriten zumeist ganz oder annähernd rund sind. Er war von seinem Flug durch die Luft gleichwohl noch immer so heiß, dass man nicht allzu nah an ihn herantreten konnte. Ein rumpelndes Geräusch aus dem Zylinder führte er auf das ungleichmäßige Abkühlen seiner Oberfläche zurück; denn da war ihm noch nicht in den Sinn gekommen, dass er hohl sein könnte.

Am Rand der Grube, die das Ding sich selbst gegraben hatte, blieb er stehen und blickte unverwandt auf sein seltsames Aussehen, verblüfft insbesondere über seine ungewöhnliche Form und Farbe und bereits mit einem unbestimmten Gefühl, dass sich sein Eintreffen mit irgendeiner Absicht verband. Der frühe Morgen war herrlich still, und die Sonne, die eben auf die Kiefern in Richtung Weybridge schien, wärmte schon. Er erinnerte sich nicht, an diesem Morgen bereits Vogelgezwitscher gehört zu haben, kein Lüftchen regte sich und außer dem leisen Rumpeln aus dem Innern des Zylinders war nichts zu hören. Er war ganz allein auf der Heide.

Da bemerkte er mit einem Mal voller Schrecken, dass sich am kreisrunden Rand des Zylinderendes ein Stück der grauen Schlacke, dieser den Meteoriten überziehenden aschigen Verkrustung löste. Sie fiel bröckchenweise ab und rieselte hinab in den Sand. Plötzlich brach ein großes Stück herunter und schlug mit derartiger Wucht auf, dass sein Herz bis zum Hals schlug.

Eine Minute lang begriff er kaum, was dies zu bedeuten hatte, und der extremen Hitze zum Trotz kletterte er in die Grube bis dicht an den Klumpen heran, um das Ding besser zu erkennen. Noch immer sah er im Abkühlen eine mögliche Erklärung für das Bröckeln, doch gegen diese Annahme sprach der Umstand, dass die Asche ausschließlich vom Ende des Zylinders abbrach.

Und dann bemerkte er, dass sich das kreisrunde obere Ende des Zylinders ganz langsam um seine eigene Achse drehte. Die Bewegung war derart sacht, dass er sie nur entdeckte, weil ihm auffiel, dass ein schwarzer Fleck, der fünf Minuten zuvor noch direkt zu erkennen gewesen war, nun auf der anderen Seite der Kreislinie stand. Und weiterhin begriff er kaum, worauf dies hindeutete, als er ein leises Kratzgeräusch vernahm und sah, wie der schwarze Fleck ein paar Zentimeter vorruckte. Da durchzuckte ihn die Erkenntnis. Der Zylinder war ein künstliches Objekt – hohl – mit einem Ende, das sich herausdrehte! Etwas im Innern des Zylinders schraubte die Spitze ab!

»Du lieber Himmel!«, sagte Ogilvy. »Da steckt ja ein Mensch drin – Menschen! Halb zu Tode geröstet! Die sich zu retten versuchen!«

Und schon hatte er rasch kombiniert und eine Verbindung zwischen dem Ding und dem Blitz auf dem Mars hergestellt.

Der Gedanke an das eingesperrte Geschöpf peinigte ihn, sodass er ganz die Hitze vergaß und auf den Zylinder zutrat, um beim Drehen zu helfen. Zum Glück jedoch hielt ihn die dumpfe Strahlung so auf Distanz, dass er sich die Hände an dem noch immer glühenden Metall nicht versengte. Einen Moment lang stand er unschlüssig da, dann drehte er sich um, kletterte aus der Grube und lief so schnell er konnte nach Woking. Das war etwa gegen sechs Uhr. Er begegnete einem Fuhrmann, dem er sich mitzuteilen versuchte, doch was er zu erzählen hatte, war ebenso irritierend wie sein Aussehen – seinen Hut hatte er in der Grube verloren –, dass der Mann einfach weiterfuhr. Auch bei dem Wirt, der eben die Tür seiner Schenke nahe Horsell Bridge aufschloss, hatte er keinen Erfolg. Der Kerl hielt ihn für einen entsprungenen Irren und machte einen erfolglosen Versuch, ihn in seiner Schankstube einzuschließen. Das brachte ihn ein Stück zur Besinnung, und als er den in London tätigen Journalisten Henderson in seinem Garten sah, rief er über den Zaun hinweg nach ihm und verschaffte sich Gehör.

»Henderson«, rief er, »haben Sie eigentlich letzte Nacht diese Sternschnuppe gesehen?«

»Wieso?«, fragte Henderson.

»Sie liegt jetzt bei Horsell auf der Weide.«

»Donnerwetter!«, sagte Henderson. »Ein niedergegangener Meteorit! Nicht schlecht.«

»Aber es ist allemal mehr als ein Meteorit. Es ist ein Zylinder – ein künstlicher Zylinder, Mensch! Und in dem steckt was drin.«

Mit seinem Spaten in der Hand beugte sich Henderson etwas vor.

»Was ist los?«, fragte er. Er war auf einem Ohr taub.

Ogilvy erzählte ihm alles, was er gesehen hatte. Henderson brauchte eine Weile, um zu begreifen. Dann ließ er seinen Spaten fallen, schnappte nach seiner Jacke und trat auf die Straße. Die beiden Männer liefen sofort zurück zur Weide, wo der Zylinder noch in der gleichen Position dalag. Doch die Geräusche aus seinem Innern waren verstummt, und zwischen der Spitze und dem Rumpf des Zylinders war ein schmaler Ring aus glänzendem Metall zu sehen. Durch ihn strömte leise zischend Luft hinein oder heraus.

Sie lauschten, schlugen mit einem Stock auf das fleckig versengte Metall, und da nichts zur Antwort kam, schlussfolgerten sie, dass der Mensch oder die Menschen darin bewusstlos oder tot waren.

Die beiden konnten nun freilich gar nichts tun. Sie riefen etwas, das Trost und Hoffnung spenden sollte, und gingen wieder zurück in den Ort, um Hilfe zu holen. Das muss ein Anblick gewesen sein, wie sie sandverschmiert, erregt und zerzaust bei strahlender Sonne die kleine Straße entlanggelaufen kamen, während die Kaufleute eben ihre Läden aufsperrten und die Leute ihre Schlafzimmerfenster öffneten. Henderson begab sich direkt in den Bahnhof, um die Neuigkeit nach London zu telegrafieren. In Zeitungsartikeln waren die Leser bereits auf den Erhalt einer derartigen Nachricht eingestimmt worden.

Um acht Uhr hatten sich etliche Jungs und unbeschäftigte Männer Richtung Weide aufgemacht, um sich die »toten Menschen vom Mars« anzusehen. In dieser Form machte das Ereignis die Runde. Ich erfuhr gegen Viertel vor neun davon durch den Zeitungsjungen, bei dem ich mir den Daily Chronicle besorgte. Ich war natürlich bestürzt und machte mich unverzüglich auf den Weg über die Brücke von Ottershaw in Richtung der Sandgruben.

3 Auf der Weide bei Horsell

Dort stand ein Grüppchen von vielleicht zwanzig Leuten um das gewaltige Loch mit dem Zylinder darin. Wie das mitten im Boden steckende riesige Objekt aussah, habe ich bereits geschildert. Gras und Kies drum herum wirkten versengt wie aufgrund einer plötzlichen Explosion. Zweifellos hatte der Aufprall eine Stichflamme erzeugt. Henderson und Ogilvy waren nicht vor Ort. Ich nehme an, dass sie im Bewusstsein, aktuell nichts tun zu können, zum Frühstücken zu Henderson nach Hause gegangen waren.

Am Rand der Grube saßen vier oder fünf Jungs, ließen die Beine baumeln und hatten – bis ich diesem Treiben ein Ende setzte – ihren Spaß daran, Steine nach dem Riesending zu werfen. Nachdem ich mit ihnen geredet hatte, begannen sie inmitten der Umherstehenden Fangen zu spielen.

Unter ihnen befanden sich zwei Radfahrer, ein Aushilfsgärtner, der gelegentlich für mich arbeitete, ein Mädchen mit einem Baby auf dem Arm, Schlachter Gregg mit seinem kleinen Sohn und zwei, drei Nichtsnutze und Handlanger, die sich für gewöhnlich in Bahnhofsnähe herumtrieben. Gesprochen wurde sehr wenig. Kaum ein normaler Mensch hatte damals in England auch nur die leiseste Ahnung von Astronomie. Die meisten gafften einfach still auf das große, abgeflachte Ende des Zylinders, an dem sich, seit Ogilvy und Henderson gegangen waren, nichts verändert hatte. Die allgemeine Erwartung, einen Haufen verkohlter Leichen vorzufinden, wurde angesichts dieser leblosen Masse sicher enttäuscht. Manche gingen fort, während ich da war, andere Leute kamen. Ich kletterte in die Grube und hatte das Gefühl, dass es unter meinen Füßen leise rumorte. An der Spitze immerhin drehte sich nichts mehr.

Erst als ich ganz nahe dran war, wurde mir die Fremdartigkeit dieses Objekts recht bewusst. Auf den ersten Blick war es kaum spannender als ein umgekippter Karren oder ein quer über die Straße gestürzter Baum. Weniger sogar, eigentlich. Es sah aus wie ein rostiger Leuchtturm. Man musste schon über einige Fachkenntnis verfügen, um zu erkennen, dass die grauen Ablagerungen auf dem Ding kein gewöhnliches Oxyd waren und dass das gelblich-weiße Metall, das in dem Spalt zwischen Kappe und Zylinder schimmerte, einen unvertrauten Farbton hatte. Der Begriff »extraterrestrisch« hätte den meisten Schaulustigen nichts gesagt.

Zu dieser Zeit war ich mir bereits ganz sicher, dass das Ding vom Planeten Mars gekommen war, doch ich hielt es für unwahrscheinlich, dass irgendein Lebewesen darin steckte. Die Drehbewegung konnte eine Automatik bewirkt haben. Anders als Ogilvy glaubte ich aber weiterhin, dass es Lebewesen auf dem Mars gab. Schon spielte ich mit dem Gedanken, dass sich womöglich Manuskripte darin befanden, welche Probleme uns ihre Übersetzung bereiten würde, ob wir im Innern wohl Münzen und Modelle fänden und so weiter. Es war aber doch ein wenig zu groß, um mir dieser Vorstellung gewiss sein zu können. Ungeduldig sah ich dem Moment entgegen, da es sich öffnete. Weil sich weiterhin nichts tat, ging ich gegen elf nach Maybury zu mir nach Hause, von allerhand derlei Gedanken erfüllt. Doch es fiel mir schwer, mit meiner theoretischen Studie voranzukommen.

Am Nachmittag herrschte auf der Weide ein anderes Treiben. Die frühen Ausgaben der Abendblätter hatten ganz London mit riesigen Schlagzeilen aufgeschreckt:

BOTSCHAFT VOM MARS ERHALTENBERICHT AUS WOKING SORGT FÜR AUFSEHEN

und dergleichen mehr. Zudem hatte Ogilvys Mitteilung über das telegrafische Netzwerk der Astronomen jedes Observatorium in den drei Königreichen in erhöhte Bereitschaft versetzt.

Ein halbes Dutzend oder noch mehr Mietgespanne vom Bahnhof Woking standen auf der Straße bei den Sandgruben, ein Einspänner aus Chobham sowie eine recht herrschaftliche Kutsche. Zu ihnen gesellten sich allerhand Fahrräder. Außerdem mussten sehr viele Leute trotz der Hitze zu Fuß aus Woking und Chertsey gekommen sein, sodass insgesamt ein erhebliches Getümmel herrschte, in dem auch einige farbenfroh gekleidete Damen auszumachen waren.

Es war extrem heiß, ohne ein Wölkchen am Himmel oder den leisesten Windzug, allein ein paar einzelne Kiefern spendeten Schatten. Das Heidekraut brannte nicht mehr, doch die Ebene Richtung Ottershaw war schwarz so weit das Auge reichte, und noch immer schlängelte sich Rauch schnurgerade aus ihr empor. Ein geschäftstüchtiger Händler aus der Chobham Road hatte seinen Sohn mit einer Wagenladung grüner Äpfel und Ingwerbier hergeschickt.

Als ich an den Rand der Grube trat, sah ich, dass sich einige Männer in ihr befanden: Henderson, Ogilvy und ein großer Blonder – Stent, der Astronom des Königs, wie ich später erfuhr – samt einigen Arbeitern, die Schaufeln und Spitzhacken schwangen. Stent befehligte sie mit klarer, hoher Stimme. Er stand auf dem Zylinder, der sich offenbar deutlich abgekühlt hatte; sein Gesicht war hochrot und schweißüberströmt, und er schien sich über irgendetwas zu ärgern.

Der Zylinder war nun weitgehend freigelegt, nur sein unteres Ende steckte noch in der Erde. Als Ogilvy mich inmitten der gaffenden Menge am Rand der Grube stehen sah, rief er mich zu sich herunter und fragte, ob es mir etwas ausmache, nach dem Gutsherrn Lord Hilton Ausschau zu halten.

Die anwachsende Menge, sagte er, behindere sie zunehmend bei ihren Grabungsarbeiten, besonders die Jungen. Ein leichtes Geländer müsse aufgestellt werden, das die Leute auf Distanz hielt. Er erzählte mir, dass aus dem Innern weiterhin ab und zu ein schwaches Rumpeln dringe, dass es den Arbeitern jedoch nicht gelungen sei, das Objekt oben aufzuschrauben, da sie es nirgendwo zu fassen bekämen. Seine Außenhaut erwies sich als außerordentlich dick, und es war möglich, dass die leisen Geräusche, die wir vernahmen, von einem lautstarken Tumult im Innern herrührten.

Seiner Bitte kam ich sehr gern nach, denn so würde ich zu den glücklichen Zuschauern zählen, die sich vor der geplanten Umzäunung aufhalten durften. Zu Hause traf ich Lord Hilton nicht an, doch es hieß, dass man ihn mit dem Sechs-Uhr-Zug ab Waterloo Station aus London zurückerwarte; und da es erst etwa Viertel nach fünf war, ging ich heim, aß eine Kleinigkeit und begab mich zum Bahnhof, um ihn abzupassen.

4 Der Zylinder öffnet sich

Als ich zur Weide zurückkehrte, ging die Sonne eben unter. Verstreute Grüppchen eilten aus Richtung Woking herbei, und ein, zwei Leute kamen wieder zurück. Die Menge um die Grube herum – einige hundert Menschen vielleicht – war angewachsen und zeichnete sich schwarz gegen den zitronengelben Himmel ab. Laute Stimmen waren zu hören, und an der Grube schien es irgendein Gerangel zu geben. Unheimliche Vorstellungen gingen mir durch den Kopf. Als ich näherkam, hörte ich Stents Stimme:

»Zurück! Zurück!«

Ein Junge kam auf mich zugerannt.

»Das bewegt sich«, sagte er im Vorüberlaufen, »dreht sich immer weiter auf. Ich mag das nicht. Da geh ich lieber nach Hause.«

Ich näherte mich der Menge. Es schienen wirklich um die zwei-, dreihundert Leute zu sein, die einander schubsten und anrempelten, besonders aktiv waren die wenigen Damen unter ihnen.

»Er ist in die Grube gestürzt!«, rief einer.

»Zurück!«, sagten welche.

Die Menge schwankte etwas, ich zwängte mich hindurch. Alle wirkten sehr erregt. Aus der Grube vernahm ich ein eigentümliches Summgeräusch.

»Hören Sie!«, sagte Ogilvy. »Helfen Sie mir, diese Idioten abzudrängen. Schließlich wissen wir überhaupt nicht, was in diesem verdammten Ding drinsteckt!«

Ich sah einen jungen Mann – er war Verkäufer in Woking, glaube ich –, der auf dem Zylinder stand und aus dem Loch zu klettern versuchte. Die Menge hatte ihn hineingestoßen.

Das Ende des Zylinders wurde von innen aufgeschraubt. Fast zwei Fuß ragte die glänzende Schraube bereits hervor. Jemand stolperte gegen mich, und nur mit Glück konnte ich verhindern, auf das Ende der Schraube zu stürzen. Ich drehte mich um, und genau in diesem Moment muss sich die Schraube gelöst haben, denn mit ohrenbetäubendem Scheppern fiel die Kappe des Zylinders in den Kies. Ich versetzte jemandem hinter mir einen Stoß mit dem Ellbogen, dann wandte ich mich wieder dem Ding zu. Einen Moment lang wirkte der kreisrunde Hohlraum völlig schwarz. Mich blendete die untergehende Sonne.

Wohl jedermann erwartete, dass nun ein Mensch herauskam – vielleicht nicht ganz in der Art wie wir Erdenmenschen, doch im Großen und Ganzen menschlich. Ich jedenfalls tat es. Nach einer Weile sah ich, wie sich im Schatten etwas rührte: grau aufsteigende Bewegungen, eine über der anderen, und dann zwei leuchtende Scheiben – wie Augen. Etwas wie eine kleine graue Schlange, ungefähr so dick wie ein Spazierstock, kroch nun aus der sich wälzenden Mitte empor und bewegte sich durch die Luft auf mich zu – dann ein zweites.

Mich schauderte. Hinter mir hörte ich eine Frau laut aufkreischen. Ich drehte mich halb um, behielt jedoch den Zylinder im Blick, aus dem nun weitere Tentakel herauslugten, und begann mir einen Weg fort vom Rand der Grube zu bahnen. Ich sah, wie das Erstaunen auf den Gesichtern der Menschen um mich herum in Entsetzen umschlug. Von allen Seiten hörte ich unartikulierte Schreie. Alles drängte nach hinten. Ich sah, wie sich der Verkäufer noch immer zum Grubenrand emporzukämpfen versuchte. Dann stand ich allein da und bemerkte, wie die Leute auf der anderen Seite der Grube fortrannten, unter ihnen Stent. Ich blickte wieder zum Zylinder, und da packte mich das kalte Grausen. Starr vor Schreck stand ich da und staunte.

Ein massiger runder grauer Körper, etwa so groß wie ein Bär, erhob sich langsam und beschwerlich aus dem Zylinder. Als er herausragte und Licht auf ihn fiel, glänzte er wie feuchtes Leder.

Zwei große dunkle Augen blickten mich unverwandt an. Die Masse um sie herum, der Kopf dieses Dings, war rund und bildete so etwas wie ein Gesicht. Unterhalb der Augen war ein Mund, dessen lippenloser Rand zitterte und keuchte und Speichel absonderte. Die gesamte Kreatur wogte und vibrierte heftig. Ein dünnes tentakelartiges Gliedmaß griff über den Rand des Zylinders, ein zweites wedelte durch die Luft.

Wer nie einen lebenden Marsianer gesehen hat, macht sich kaum einen Begriff von seiner entsetzlichen Erscheinung. Der seltsam V-förmige Mund mit seiner spitz zulaufenden Oberlippe, das Fehlen von Augenbrauen, das Fehlen eines Kinns unterhalb der keilförmigen Unterlippe, das pausenlose Zittern seines Mundes, die gorgonenhaft gefügten Tentakeln, das japsende Atemholen in einer für die Lunge ungewohnten Atmosphäre, die aufgrund der größeren Gravitation auf der Erde sichtlich schwerfallenden und schmerzenden Bewegungen und insbesondere die ungemeine Intensität der riesigen Augen – all dies wirkte direkt bedrohlich, penetrant, unmenschlich, entstellt und monströs. Die ölige braune Haut hatte etwas Pilzartiges, und in der plumpen Trägheit der mühsamen Bewegungen lag etwas unbeschreiblich Garstiges. Schon bei dieser ersten Begegnung, gleich auf den ersten Blick, war ich von Furcht und Ekel übermannt.

Mit einem Mal war die Missgeburt fort. Sie war über den Rand des Zylinders gestürzt und mit einem Geräusch wie beim Aufklatschen einer großen Menge Leder in der Grube gelandet. Ich hörte, wie es einen seltsam heiseren Schrei von sich gab, sofort erschien eine weitere dieser Kreaturen dunkel im tiefen Schatten der Öffnung.

Ich wandte mich ab und rannte wie besessen auf die nächste Baumgruppe in etwa hundert Metern Entfernung zu; doch ich lief kreuz und quer und stolperte immer wieder, denn mein Blick konnte sich nicht von diesen Dingern lösen.

Zwischen jungen Kiefern und Ginsterbüschen hielt ich keuchend an und wartete die weitere Entwicklung ab. Die Weide um die Sandgruben herum war voller Menschen, die wie ich voller Angst und zugleich auch fasziniert dastanden und auf die Kreaturen blickten, besser gesagt auf den gehäuften Kies am Rand der Grube, in der sie sich befanden. Und dann sah ich, erneut voller Entsetzen, etwas Rundes, Schwarzes am Rand der Grube auf und ab hüpfen. Es war der Kopf des hineingefallenen Verkäufers, der sich vor der glimmenden Sonne im Westen jedoch nur als kleines rundes Objekt abzeichnete. Jetzt hatte er Schulter und Knie heraufgebracht, schien aber wieder abzugleiten, bis nur noch sein Kopf zu sehen war. Plötzlich verschwand er, und mir war, als sei ein schwacher Schrei zu mir gedrungen. Kurz verspürte ich den Impuls, hinzugehen und ihm zu helfen, doch dem widersetzte sich meine Angst.