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Wie lange kann man jemanden festhalten, der schon längst gegangen ist? Rentnerin Elise lebt allein. Die Kinder sind längst ausgezogen, der Kater spricht nicht mehr mit ihr – und ihr Mann ist tot. Theoretisch jedenfalls. Denn jeden Dienstag um Punkt fünf steht er da. Wie immer: frisch rasiert, wortkarg, im besten Anzug. Ganz so, als wäre nichts passiert. Elise stört das nicht. Tote Ehemänner können schließlich genauso zuverlässig sein wie lebende. Doch als das Haus abgerissen werden soll, gerät ihr geordnetes Rentnerleben ins Wanken und sie muss einsehen, dass Liebe manchmal einfach bleibt - auch wenn der Abschied unausweichlich ist.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Katharina Kirsch
Der letzte Dienstag
1. Auflage · 2025
© 2025 Katharina Kirsch
Alle Rechte vorbehalten.
Covergestaltung: Katharina Kirsch · Canva-Vorlage
Dieses Werk wurde ohne Einsatz von KI-Textgeneratoren erstellt.
Jede Verwertung ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung der Autorin ist unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigung, Verbreitung, Übersetzung und öffentliche Wiedergabe – auch auszugsweise und in digitaler Form.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Impressum
Celine Gilbert
40833 Ratingen
Deutschland
Wie lange kann man jemanden festhalten, der schon längst gegangen ist?
Rentnerin Elise lebt allein.
Die Kinder sind längst ausgezogen, der Kater spricht nicht mehr mit ihr – und ihr Mann ist tot. Theoretisch jedenfalls. Denn jeden Dienstag um Punkt fünf steht er da.
Wie immer: frisch rasiert, wortkarg, im besten Anzug. Ganz so, als wäre nichts passiert.
Elise stört das nicht.
Tote Ehemänner können schließlich genauso zuverlässig sein wie lebende. Doch als das Haus abgerissen werden soll, gerät ihr geordnetes Rentnerleben ins Wanken und sie muss einsehen, dass Liebe manchmal einfach bleibt - auch wenn der Abschied unausweichlich ist.
Hinter dem Pseudonym Katharina Kirsch verbirgt sich eine junge Autorin aus NRW.
Wenn sie nicht gerade Tee kocht, mit ihrer Katze redet oder ihren Gedanken nachhängt, sammelt sie Geschichten.
Leise, schräge, melancholische.
Solche, die sich zwischen Fensterritzen und Erinnerungslücken verstecken und manchmal erst beim zweiten Blick zu erzählen beginnen.
"Der letzte Dienstag" ist ihre ganz persönliche Geschichte über das Bleiben und Gehen, über Liebe, Verlust und über die Dinge, von denen wir uns nur schwer trennen können, weil sie uns einmal wichtig waren.
Ein stilles Debüt über das Alter, das Erinnern und die kleine Hoffnung, dass manchmal auch ein leerer Stuhl noch etwas sagen kann.
Für alle, die losgelassen haben–
und für alle, die noch immer festhalten.
Die Uhr im Flur ging zwei Minuten vor. Elise wusste das. Jeden Dienstag sah sie es, jedes Mal, wenn der Blick wie von selbst an den schief hängenden Zeigern hängen blieb.
Sie ließ es so. In einem Leben, in dem vieles zu spät gekommen war, war eine Uhr, die zu früh war, ein Trost.
Der kleine Holztisch war gedeckt. Zwei befüllte Tassen standen nebeneinander, die eine mit dem feinen Sprung am Rand. Niemand bemerkte ihn, außer ihr. Eine Kerze stand in der Mitte. Der Teelöffel lag gerade, fast wie mit dem Lineal ausgerichtet, das Zitronenplätzchen leicht verrutscht – ein kleiner Fehler, den sie nicht korrigierte. Der Tee dampfte leicht. Schwarztee, wie immer. Ein Hauch von Honig, nicht mehr. Süßes hatte er nie gemocht. Elise stellte die Kanne zurück auf das Stövchen, prüfte das Flackern der kleinen Kerze, setzte sich und ignorierte das Ziehen ihrer müden Glieder.
Sie faltete ihre rauen Hände und lehnte sie in den Schoß.
Die Fingerkuppen berührten sich, als hielten sie etwas Festes. Dabei war da nichts. Nur das Ticken der Uhr und der scharfe Windzug aus dem gekippten Fenster.
Um Punkt fünf wurde die Luft dichter.
Kein Knall, kein Licht, kein Spuk.
Nur diese veränderte Schwere im Raum, wie ein Atem, den man anhielt. Elise hob nicht den Blick. Es gehörte sich, zu warten, bis er sprach. So war es schon früher gewesen, wenn er heimkam, wortlos den Mantel ablegte, ehe ein schlichtes «Bin da» den Flur füllte. Heute war es:
«Hast du wieder den guten Honig genommen?»
Sie nickte. Worte waren nicht nötig. Er verstand sie auch so.
Sie sah keine Bewegung als er nach seiner Tasse griff, hörte aber, wie das Porzellan die Untertasse berührte und ein kaum wahrnehmbares Geräusch entstand. Seine rauen Worte durchzuckten die Stille. Als sie jung war und die Kinder klein, hatte er denselben Satz gesagt, wenn er im Herbst von der Arbeit heimkam und der Mantel noch feucht vom Regen war.
Später, als die Kinder aus dem Haus waren, blieb der Satz.
«Es wird kühl.»
Er war nie einer für große Worte gewesen, aber dieses kleine Beobachten war seine Art gewesen, sie einzuschließen in das, was draußen geschah. Nicht nur das Wetter, sondern die Welt.
Und auch jetzt, wo er längst nicht mehr hätte sprechen können, klang es vertraut wie ein Schlüssel, der die Jahre aufschloss. Elise legte die Finger enger ineinander, nickte kaum merklich. Es war genug, dass er sprach. Mehr brauchte sie nicht. Sah nicht direkt zu ihm, sondern nur über die Spiegelung im Fensterglas und lies ihren Blick über ihn schweifen. Seine Hände mochte sie am liebsten: schlank, wach, nur einen Hauch zu durchscheinend. Hände, die früher Schrauben festgezogen und Brotlaibe geschnitten hatten, die Zeitung glatt gestrichen oder ihr im Vorübergehen über die Schulter gestrichen hatten. Jetzt lagen sie fast reglos auf der Tischkante, wie damals in der Kirche, wenn er den Gesang nur mit halben Lippen begleitet hatte. Elise sah sie so lange an, bis die Spiegelung im Fenster verschwamm und ihre Augen trocken wurden. Es war ein kleiner Trost für sie, dass selbst in der Erinnerung seine Hände gleich blieben.
Stimmen verschwammen, Gesichter verblassten – aber die Hände – seine Hände – die blieben.
Sie sprachen nicht.
Es gab nichts Neues zu sagen und doch war die Stille gefüllt. Mit Gesprächen, die schon längst geführt waren. Mit Erinnerungen, die zwischen ihnen saßen wie alte Bekannte. Der Tee kühlte ab, aber keiner trank ihn aus.
Punkt sechs erhob er sich. Er trug keine Uhr, brauchte keine. Er wusste es. Wie sie wusste, dass er nächsten Dienstag wiederkommen würde. Er nickte ihr zu. Kein Lächeln, kein Winken.
Nur dieses stille «Bis dann» in den Augen.
Dann war er fort.
Die Kerze flackerte leicht. Der Tee war kalt. Sie sah auf seine Tasse, auf den fehlenden Abdruck.
Und doch – der Löffel hatte anders gelegen.
Da war sie sich sicher.
Am nächsten Morgen war der Stuhl leer.
