Der letzte Joker - Agatha Christie - E-Book

Der letzte Joker E-Book

Agatha Christie

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  • Herausgeber: Atlantik
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Ein Scherz mit tödlichen Folgen Als ihre Freunde des Mordes verdächtigt werden, stürzt sich die junge Lady Eileen Caterham in Nachforschungen. Was bedeuten die seltsamen Worte, die ihr eines der beiden Opfer kurz vor seinem Ableben zugeflüstert hat? Und was hat es mit den sieben Weckern auf sich, die auf dem Kaminsims des anderen Toten stehen? Bei ihren Ermittlungen gerät die entschlossene Eileen in manche Situation, die so gar nicht ladylike ist.

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Seitenzahl: 273

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Agatha Christie

Der letzte Joker

Kriminalroman

Roman

Aus dem Englischen von Renate von Walter

Atlantik

1

Der sympathische junge Mann Jimmy Thesiger kam die große Treppe in Chimneys heruntergerannt. Seine Talfahrt vollzog sich so rasant, dass er beinahe mit Tredwell, dem vornehmen Butler, zusammenstieß, als dieser gerade mit frischem Kaffee die Halle durchquerte. Nur Tredwells Geistesgegenwart war es zu verdanken, dass kein Unglück geschah.

»Verzeihung«, entschuldigte sich Jimmy. »Sagen Sie, Tredwell, bin ich etwa der Letzte?«

»Nein, Sir. Mr Wade ist auch noch nicht da.«

»Gut«, meinte Jimmy und betrat das Frühstückszimmer.

Außer seiner Gastgeberin war niemand im Raum. Ihr vorwurfsvoller Blick erweckte in Jimmy das gleiche Unbehagen, das ihn immer befiel, wenn er einem toten Dorsch in der Auslage eines Fischgeschäfts in die Augen sah. Warum zum Teufel blickte ihn die Frau überhaupt so an? An einem Landhauswochenende pünktlich um neun Uhr dreißig zum Frühstück zu erscheinen war einfach nicht zu machen. Viertel nach elf war zwar vielleicht wirklich etwas spät, aber trotzdem …

»Ich fürchte, ich bin etwas spät dran, Lady Coote!«

»Oh, das macht gar nichts«, erwiderte Lady Coote mit melancholischer Stimme.

In Wirklichkeit hasste sie Leute, die unpünktlich zum Frühstück kamen. In den ersten zehn Jahren ihrer Ehe hatte Sir Oswald Coote, damals noch einfacher Mr Coote, milde ausgedrückt, ein Höllenspektakel veranstaltet, wenn sein Frühstück auch nur eine halbe Minute nach acht Uhr auf dem Tisch stand. Lady Coote war dazu erzogen worden, Unpünktlichkeit als eine der unverzeihlichsten Sünden zu betrachten. Und Gewohnheiten sterben zäh. Außerdem fragte sie sich, was diese jungen Leute je Anständiges leisten wollten, wenn sie nicht früh aufstanden. Sir Oswald hatte es so oft gesagt, zu Reportern und anderen Leuten: »Ich verdanke meinen Erfolg ausschließlich meinem frühen Aufstehen, meinem einfachen Leben und meinen festen Gewohnheiten.«

Lady Coote war eine große, gut aussehende Frau, doch leider etwas aus der Mode gekommen. Sie besaß dunkle traurige Augen und eine tiefe Stimme. Ein Künstler, der nach einem Modell für »Rachel beweint ihre Kinder« suchte, würde sie auf der Stelle engagieren.

Sie sah so aus, als würde sie an einer geheimnisvollen schrecklichen Sorge tragen, obwohl es in ihrem Leben außer Sir Oswalds meteorhaftem Aufstieg überhaupt keine Sorgen gab. Als junges Mädchen war sie ein heiteres, blühendes Geschöpf gewesen, unglaublich verliebt in Oswald Coote, den hoffnungsvollen jungen Mann vom Fahrradgeschäft neben der Eisenwarenhandlung ihres Vaters. Sie hatten sehr glücklich zusammengelebt; erst in ein paar Zimmern, dann in einem kleinen Haus, dann in einem größeren und dann in einer Reihe von immer größer werdenden Villen, aber immer in vernünftiger Entfernung vom »Betrieb«, bis Sir Oswald zu derartiger Bedeutung aufgestiegen war, dass er und der »Betrieb« keinen unmittelbaren Kontakt mehr brauchten, und es war ihm ein Vergnügen gewesen, das prächtigste Herrenhaus von ganz England zu mieten. Chimneys war ein historisches Bauwerk, und als er es für zwei Jahre von Lord Caterham übernehmen konnte, fühlte er sich am Ziel seiner Wünsche.

Lady Coote war darüber nicht entfernt so glücklich wie ihr Mann. Sie war eine einsame Frau. In den ersten Jahren ihrer Ehe hatte ihre hauptsächliche Entspannung darin bestanden, mit dem »Mädchen« zu sprechen, und selbst als aus dem »Mädchen« drei geworden waren, war die Unterhaltung mit dem Personal Lady Cootes einzige Ablenkung gewesen. Jetzt, mit einem ganzen Stab von Hausmädchen, einem Butler mit der Würde eines Erzbischofs, einer Reihe von allerlei Bediensteten, einem Schwarm flinker Küchen- und Spülmädchen, einem furchteinflößenden fremden Küchenchef mit »Launen« und einer riesenhaften Haushälterin, die stöhnte und ächzte, wenn sie sich nur bewegte, kam sich Lady Coote wie auf einer einsamen Insel ausgesetzt vor.

Jetzt seufzte sie tief und rauschte durch die offene Terrassentür hinaus, sehr zur Erleichterung von Jimmy Thesiger, der sich sofort noch mehr Nieren mit Speck nahm.

Lady Coote blieb einige Minuten in tragischer Pose auf der Terrasse stehen, bevor sie sich dazu aufraffte, MacDonald, den Obergärtner, anzusprechen, der autoritär über das Gebiet, das ihm unterstellt war, herrschte. MacDonald war der Kaiser aller Obergärtner. Er kannte das Reich, das er zu regieren hatte, und er regierte es despotisch.

Lady Coote näherte sich ihm voll Nervosität. »Guten Morgen, MacDonald.«

»Guten Morgen, M’lady.« Er sprach so, wie es sich für einen Obergärtner geziemte – gedämpft, aber mit Würde.

»Ich dachte … könnten wir heute Abend ein paar Trauben …?«

»Sie sind noch nicht so weit«, sagte MacDonald.

»Oh!« Lady Coote nahm allen Mut zusammen. »Gestern probierte ich eine, und …«

MacDonald sah sie an, und Lady Coote errötete. Sie fühlte, dass sie sich eine unverzeihliche Freiheit herausgenommen hatte. Offensichtlich war der verstorbenen Lady Caterham niemals der Schnitzer unterlaufen, eines ihrer eigenen Gewächshäuser zu betreten und sich selbst Trauben zu pflücken.

»Wenn Sie es befohlen hätten, M’lady, wären Ihnen Trauben hineingebracht worden!«

»Oh, danke«, erwiderte Lady Coote. »Ich werde es das nächste Mal so machen.«

»Aber sie sind noch nicht ganz so weit.«

MacDonald schwieg. Lady Coote raffte sich noch einmal auf. »Dann wollte ich auch noch mit Ihnen über das Stück Rasen hinter dem Rosengarten reden. Ich wollte nur fragen, ob man es vielleicht zum Bowlingspielen benützen könnte – Sir Oswald ist ein großer Freund des Bowling.«

Und warum auch nicht, dachte Lady Coote. Sie hatte ihre Geschichte von England gut gelernt. Hatten nicht Sir Francis Drake und seine Mannen irgendein Spiel mit Kugeln gespielt, als die Armada gesichtet worden war? Aber sie hatte nicht mit der Haupteigenschaft eines guten Obergärtners gerechnet, sich jedem Vorschlag zu widersetzen.

»Zweifellos könnte es für diesen Zweck benutzt werden.« MacDonald legte einen entmutigenden Ton in diese Bemerkung, aber sein eigentliches Ziel war es, Lady Coote in ihr Verderben zu locken.

»Wenn man ihn jätete und … äh … mähte …«

»Tja«, sagte MacDonald langsam. »Dann müsste man William von der unteren Rabatte abziehen.«

Die »untere Rabatte« sagte Lady Coote absolut nichts, aber es war klar, dass sie für MacDonald ein unüberwindliches Hindernis darstellte.

»Und das wäre ein Jammer«, fügte MacDonald hinzu.

Lady Coote kapitulierte.

»Oh«, sagte sie. »Ich verstehe vollkommen, was Sie meinen, MacDonald. William soll an der unteren Rabatte lieber weitermachen.«

»Ich vermutete schon, dass Sie zustimmen würden, M’lady«, meinte MacDonald. Er tippte an seinen Hut und ging.

Lady Coote seufzte unglücklich, während sie ihm nachsah. Jimmy Thesiger, bis zum Hals voll mit Nieren und Speck, trat neben sie auf die Terrasse und seufzte ebenfalls, aber auf ganz andere Weise.

»Ein fabelhafter Morgen, nicht wahr?«, sagte er.

»Finden Sie?«, fragte Lady Coote abwesend. »Ich hatte es noch gar nicht bemerkt.«

»Wo sind die anderen? Am See?«

»Ich denke, ja.«

Lady Coote drehte sich um und ging ins Haus zurück. Tredwell blickte gerade in die Kaffeekanne.

»Mein Gott«, sagte sie. »Ist Mr … Mr …«

»Wade, M’lady?«

»Ja, Mr Wade! Ist er noch immer nicht unten?«

»Nein, M’lady.«

»Er wird doch irgendwann herunterkommen?«

»Ganz sicher, M’lady. Gestern war es halb zwölf.«

Lady Coote sah auf die Uhr. Es war jetzt zwanzig vor zwölf. Eine Welle menschlicher Anteilnahme durchflutete sie. »Das ist wirklich Pech, Tredwell. So spät erst abräumen zu können und dann um eins schon wieder das Mittagessen zu servieren.«

»Ich bin es gewöhnt, M’lady.«

Zum zweiten Mal an diesem Morgen errötete Lady Coote. Aber da gab es eine willkommene Unterbrechung. Die Tür öffnete sich, und ein ernsthafter junger Mann streckte seinen bebrillten Kopf herein.

»Oh! Hier sind Sie, Lady Coote! Sir Oswald hat nach Ihnen gefragt.«

»Ich komme sofort, Mr Bateman.« Lady Coote eilte hinaus.

Rupert Bateman, Sir Oswalds Privatsekretär, trat durch die Terrassentür ins Freie, wo Jimmy Thesiger immer noch glücklich herumstand.

»Morgen, Pongo«, sagte Jimmy. »Ich schätze, dass ich jetzt gehen und mich bei diesen schrecklichen Mädchen beliebt machen sollte. Kommst du mit?«

Bateman schüttelte den Kopf und eilte über die Terrasse zur Tür, die in die Bibliothek führte. Jimmy grinste ihm nach. Er und Bateman waren zusammen zur Schule gegangen. Bateman war ein eifriger Junge mit Brille gewesen, und den Spitznamen Pongo hatte er aus keinem bestimmten Grund gekriegt.

Pongo, überlegte Jimmy, war heute eigentlich noch genau wie früher. »Das Leben ist hart, das Leben ist ernst« passte exakt auf ihn.

Er schlenderte langsam zum See hinunter. Die Mädchen waren da, zwei mit dunklen kurz geschnittenen Haaren, eine mit hellen kurz geschnittenen Haaren. Diejenige, die am meisten kicherte, hieß – so glaubte er wenigstens – Helen. Und da war noch eine, die Nancy hieß, und die dritte wurde aus irgendeinem Grund immer mit Socks angeredet. Seine beiden Freunde, Bill Eversleigh und Ronny Devereux – aus rein ornamentalen Gründen im Auswärtigen Amt beschäftigt –, standen bei ihnen.

»Hallo!«, sagte Nancy. »Da ist ja Jimmy!«

»Du willst doch nicht etwa behaupten«, sagte Bill Eversleigh, »dass Gerry Wade immer noch nicht aufgestanden ist? Da muss etwas geschehen.«

»Wenn er nicht aufpasst«, meinte Ronny Devereux, »wird er eines Tages das Mittagessen oder den Tee auf dem Tisch vorfinden, wenn er runterkommt.«

»Es ist eine Schande«, meinte Socks. »Weil es Lady Coote so aufregt. Sie gleicht mehr und mehr einer Henne, die ein Ei legen will und nicht kann. Schlimm!«

»Wir holen ihn aus dem Bett«, schlug Bill vor. »Komm, Jimmy!«

»Ach, lasst uns doch etwas subtiler sein!«, rief Socks. Subtil war ein Wort, das sie sehr liebte.

»Ich bin aber nicht subtil«, erwiderte Jimmy. »Ich weiß nicht, wie man das macht!«

»Lasst uns etwas für morgen früh überlegen«, schlug Ronny vor, »das ihn um sieben Uhr aus dem Bett scheucht. Das bringt den ganzen Haushalt durcheinander.«

»Du kennst Gerry nicht«, warf Jimmy ein. »Vielleicht könnte ein Eimer kaltes Wasser ihn wecken. Aber vermutlich würde er sich nur umdrehen und weiterschlafen.«

»Dann müssen wir uns eben etwas Subtileres ausdenken«, meinte Socks.

»Aber was?«, fragte Ronny schlicht. Niemand hatte eine Antwort parat.

»Wir sollten doch in der Lage sein, uns etwas einfallen zu lassen«, meinte Bill. »Wer hat Hirn?«

»Pongo«, antwortete Jimmy. »Da kommt er ja gerade! Pongo hat schon immer zu denen mit Hirn gehört. Das war von Kindesbeinen an sein Unglück. Setzen wir Pongo auf die Sache an.«

Mr Bateman fand eine Lösung. »Ich würde einen Wecker vorschlagen«, meinte er kurz und bündig. »Ich benütze selbst einen. Ich finde, dass das leise Hereintragen von Tee oft seinen Zweck, jemanden aufzuwecken, verfehlt.« Er eilte davon.

»Ein Wecker!« Ronny schüttelte den Kopf. »Man bräuchte ein Dutzend, um Gerry aufzuscheuchen.«

»Und warum nicht?« Bill war Feuer und Flamme. »Wir gehen in einen Laden und kaufen jeder einen Wecker.«

Es gab Gelächter und Gerede. Bill und Ronny holten ihre Wagen. Jimmy wurde entsandt, das Esszimmer zu überprüfen. Er kam schnell zurück.

»Er ist jetzt da und schlingt Toast und Marmelade runter. Wie machen wir es nur, dass er nicht mitkommt?«

Es wurde beschlossen, Lady Coote einzuweihen. Jimmy, Nancy und Helen erfüllten diesen Auftrag. Lady Coote war verwirrt und misstrauisch.

»Einen Streich? Sie werden doch vorsichtig sein? Ich meine, Sie werden nicht die Möbel ruinieren oder zu viel Wasser nehmen. Nächste Woche müssen wir das Haus übergeben, wissen Sie. Ich möchte nicht, dass Lord Caterham denkt …«

Bill, der von der Garage zurückgekommen war, unterbrach sie voller Zuversicht. »Klar, Lady Coote! Eileen Brent – Lord Caterhams Tochter – ist eine gute Freundin von mir. Und sie wird sich über nichts aufregen – über absolut gar nichts! Das können Sie mir glauben! Außerdem wird kein Schaden entstehen. Eine harmlose Geschichte.«

»Subtil«, ergänzte Socks.

Lady Coote ging bekümmert über die Terrasse, als Gerald Wade aus dem Frühstückszimmer kam. Jimmy Thesiger war ein makelloser, gut aussehender junger Mann, und über Gerald Wade ließ sich nur sagen, dass er noch makelloser und besser aussah und sein leerer Gesichtsausdruck Jimmys Gesicht direkt intelligent erscheinen ließ.

»Guten Morgen, Lady Coote«, grüßte Gerald Wade. »Wo sind denn die anderen?«

»Sie sind einkaufen gefahren.«

»Was?«

»Sie brauchen irgendwas für irgendeinen Streich«, antwortete Lady Coote mit ihrer tiefen melancholischen Stimme.

»Ziemlich früh am Morgen für Streiche«, meinte Mr Wade. »Es ist gar nicht mehr so früh«, bemerkte Lady Coote spitz.

»Ich fürchte, ich bin ein bisschen spät heruntergekommen«, erklärte Mr Wade mit entwaffnender Offenheit. »Merkwürdig, aber ich bin überall immer der Letzte.«

»Warum stehen Sie nicht früher auf?«, fragte Lady Coote.

»Oh!« Die Einfachheit dieser Lösung verschlug Mr Wade die Sprache.

Lady Coote fuhr ernsthaft fort. »Ich habe Sir Oswald so oft sagen hören, dass nichts einen jungen Mann in der Welt weiterbringt als Pünktlichkeit.«

»Ich weiß«, erwiderte Mr Wade. »Und ich bin auch pünktlich, in der Stadt. Ich meine, ich muss gegen elf Uhr im lieben alten Auswärtigen Amt sein. Sie dürfen nicht denken, dass ich immer so eine Schlafmütze bin, Lady Coote … Sie haben aber wahnsinnig schöne Blumen da in der unteren Rabatte. Ich komme im Moment nicht auf den Namen, wir haben zu Hause auch solche … meine Schwester kennt sich da gut aus.«

Lady Coote ließ sich augenblicklich ablenken. Ihr erfolgloses Scharmützel mit MacDonald nagte noch an ihr. »Was haben Sie denn für Gärtner?«

»Nur einen. Einen ziemlich alten Trottel. Hat keine Ahnung, aber tut, was man ihm sagt. Das ist schon viel, nicht wahr?«

Lady Coote stimmte ihm mit einer für sie ungewöhnlichen Inbrunst in der Stimme zu.

Mittlerweile machte die Expedition Fortschritte. Das Uhrengeschäft im Einkaufszentrum wurde gestürmt, und die plötzliche Nachfrage nach Weckern irritierte den Besitzer.

»Ich wünschte, Eileen wäre hier«, murmelte Bill. »Du kennst sie doch, Jimmy. Nein? Du würdest sie sofort mögen. Ein großartiges Mädchen – und sie hat Hirn. Kennst du sie, Ronny?«

Ronny schüttelte den Kopf.

»Sei doch ein bisschen subtiler, Bill«, meinte Socks. »Hör auf, über Mädchen zu quatschen, und mach lieber in unserer Angelegenheit weiter.«

Mr Murgatroyd, der Besitzer des Ladens, floss vor Beredsamkeit förmlich über.

»Wenn Sie gestatten, dass ich Ihnen einen Rat gebe, Miss, würde ich sagen – nicht den zu sieben Shilling zu nehmen. Er ist ein guter Wecker, wirklich, ich will meine Ware nicht schlechtmachen, aber ich würde Ihnen den zu zehn Shilling sechzig doch mehr empfehlen. Er ist sein Geld wert. Ich möchte nicht, dass Sie hinterher sagen …«

Es war ganz offensichtlich, dass Mr Murgatroyd wie ein Wasserhahn einfach abgestellt werden musste.

»Wir brauchen keinen zuverlässigen Wecker«, sagte Nancy.

»Es genügt, wenn er es einmal tut«, ergänzte Helen.

»Wir wollen …«, begann Bill, aber er konnte nicht weiterreden, weil Jimmy, der eine technische Ader besaß, den Mechanismus begriffen hatte. Während der nächsten fünf Minuten war der Laden erfüllt vom lauten Läuten der verschiedensten Wecker.

Schließlich wurden sechs Wecker ausgesucht.

»Und ich will euch etwas sagen«, meinte Ronny großzügig, »ich werde noch einen für Pongo kaufen. Es war schließlich seine Idee! Er soll bei diesem Spaß auch dabei sein.«

»Stimmt«, meinte Bill. »Und ich werde noch einen für Lady Coote mitnehmen. Je mehr, desto lustiger. Und sie leistet schließlich mühsame Kleinarbeit. Sie bequatscht jetzt den alten Gerry.«

In der Tat erzählte Lady Coote in diesem Augenblick gerade eine lange Geschichte von einem preisgekrönten Pfirsich und unterhielt sich herrlich.

Die Wecker wurden eingewickelt und bezahlt. Mr Murgatroyd sah mit verwirrter Miene die Autos davonfahren. Sehr lebhaft, die jungen Leute der besseren Gesellschaft heutzutage, sehr lebhaft, wirklich, und nicht einfach zu begreifen.

2

Wo wollen wir sie aufstellen?«

Das Abendessen war vorüber. Lady Coote war noch einmal eingespannt worden. Sir Oswald hatte ungewollt die Situation dadurch gerettet, dass er vorgeschlagen hatte, Bridge zu spielen – nicht, dass »vorschlagen« das richtige Wort wäre. Sir Oswald hatte – wie es einem Industriekapitän zustand – nur seine Vorliebe für dieses Spiel geäußert, und alle um ihn herum beeilten sich, den Wünschen des großen Mannes gerecht zu werden.

Rupert Bateman und Sir Oswald spielten gegen Lady Coote und Gerald Wade, was ein sehr glückliches Arrangement war. Sir Oswald spielte ausgezeichnet und schätzte gleichwertige Partner. Bateman war ein ebenso hervorragender Bridgespieler wie Sekretär. Beide beschränkten sich auf gelegentliche kurze Bemerkungen wie »zwei ohne«, »verdoppelt« oder »gestochen«. Lady Coote und Gerald Wade waren sehr liebenswürdig und unsachlich, und der junge Mann versäumte es nicht, nach jedem Spiel zu sagen: »Sie waren einfach großartig, Partner«, mit einer Bewunderung, die Lady Coote sowohl als überraschend wie auch als schmeichelhaft empfand. Sie hatten gute Karten.

Von den anderen nahm man an, dass sie im großen Ballsaal zur Radiomusik tanzten. In Wirklichkeit standen sie vor der Tür zu Gerald Wades Zimmer, und die Luft war erfüllt von ihrem unterdrückten Gekicher und dem Ticken der Wecker.

»In einer Reihe unter das Bett«, schlug Jimmy auf Bills Frage hin vor.

»Und auf welche Zeit wollen wir sie einstellen? Sollen sie alle auf einmal klingeln oder in Abständen?«

Dieser Punkt wurde heftig diskutiert. Schließlich wurden die Wecker so gestellt, dass sie ab sechs Uhr dreißig einer nach dem anderen klingelten.

»Und ich hoffe«, sagte Bill mit erhobenem Zeigefinger, »dass ihm das eine gute Lehre sein wird.«

»Hört, hört!«, meinte Socks.

Sie fingen gerade an, die Wecker zu verstecken, als sie plötzlich gestört wurden.

»Pst!« zischte Jimmy. »Da kommt jemand die Treppe herauf!«

Panik brach aus.

»Ist schon gut«, entwarnte Jimmy. »Es ist nur Pongo.«

Mr Bateman war unterwegs zu seinem Zimmer, um sich ein Taschentuch zu holen. Er blieb stehen und überflog mit einem Blick die Szene. Dann gab er einen kurzen und sinnvollen Kommentar ab. »Er wird sie ticken hören!«

Die Verschwörer sahen sich an.

»Was sage ich euch?«, rief Jimmy ehrfürchtig. »Pongo hat schon immer was auf dem Kasten gehabt!«

Pongo ging weiter.

»Das stimmt«, gab Ronny Devereux mit seitlich geneigtem Kopf zu. »Acht tickende Wecker machen einen Heidenlärm. Selbst der alte Gerry kann das nicht überhören, und wenn er noch so ein Esel ist! Er wird vermuten, dass da was nicht in Ordnung ist.«

»Ich möchte wissen, ob es wirklich stimmt«, sagte Jimmy Thesiger.

»Was?«

»Dass er so ein Esel ist, wie wir alle denken!«

Ronny starrte ihn an. »Wir kennen Gerry!«

»Wirklich?«, fragte Jimmy. »Ich habe schon manchmal gedacht … nun, dass es nicht jeder fertigbringt, so ein Esel zu sein, wie Gerry tut.«

Jetzt sahen ihn alle an. Auf Ronnys Gesicht erschien ein ernsthafter Ausdruck. »Jimmy«, sagte er ehrfürchtig, »du hast ja Hirn!«

»Ein zweiter Pongo«, meinte Bill ermutigend.

»Hört doch auf, so subtil zu sein!«, rief Socks. »Was sollen wir jetzt mit den Weckern machen?«

»Da kommt Pongo wieder, am besten, wir fragen ihn«, schlug Jimmy vor.

Pongo, gedrängt, seinen großen Geist auf dieses Problem anzusetzen, entschied: Wartet, bis er eingeschlafen ist! Dann schleicht in sein Zimmer und stellt sie auf den Boden!«

»Der kleine Pongo hat schon wieder recht«, sagte Jimmy bewundernd. »Wir verstauen sie lieber und gehen wieder nach unten, damit man keinen Verdacht schöpft.«

Das Bridgespiel dauerte immer noch an – mit einer kleinen Umbesetzung. Sir Oswald spielte jetzt mit seiner Frau zusammen und erklärte ihr nach jedem Spiel gewissenhaft ihre Fehler.

In Abständen sagte Gerald Wade zu Pongo: »Gut gespielt, wirklich gut gespielt!«

Bill Eversleigh stellte zusammen mit Ronny Devereux Überlegungen an: »Sagen wir, er geht gegen zwölf Uhr ins Bett – wie viel Zeit glaubst du, sollten wir ihm geben? Eine Stunde?« Er gähnte. »Merkwürdig – sonst bleibe ich bis drei Uhr auf, aber heute, weil ich noch warten muss, würde ich viel darum geben, auf der Stelle ins Bett gehen zu können.«

Jeder bestätigte, dass es ihm genauso erginge.

»Meine liebe Maria«, erhob sich die Stimme von Sir Oswald in milder Verwirrung, »ich habe dir doch wieder und wieder gesagt, du darfst nicht zögern, einen Irrpass zu machen, wenn du das vorhast! Damit verrätst du dich.«

Darauf hätte Lady Coote eine sehr gute Antwort gewusst – nämlich, dass es sehr töricht von Sir Oswald sei, ein laufendes Spiel zu kommentieren, wenn es »auf dem Tisch lag«. Aber sie lächelte nur freundlich, lehnte sich mit ihrem üppigem Busen weit über den Tisch und starrte intensiv in Gerald Wades Karten.

Als sie die Königin in seinem Blatt entdeckte, war sie beruhigt und spielte den Buben aus. Sie machte einen Such und legte die Karten hin. »Vier Stiche und den Rubber«, verkündete sie. »Habe ich Glück, was?«

»Glück«, murmelte Gerald Wade, als er seinen Stuhl zurückstieß und sich zu den anderen am Kamin gesellte. »Glück nennt sie das! Die Frau spickt unglaublich!«

Lady Coote sammelte Scheine und Münzen ein. »Ich sehe ein, dass ich keine gute Spielerin bin«, verkündete sie mit melancholischer Stimme, in der unterschwelliges Vergnügen mitschwang, »aber ich habe wirklich Glück im Spiel.«

»Du wirst nie eine Bridgespielerin werden, Maria«, prophezeite Sir Oswald.

»Das sagst du ständig. Dabei gebe ich mir solche Mühe!«

»Das tut sie tatsächlich«, sagte Gerald Wade halblaut. »Sie würde einem sogar den Kopf an die Brust legen, wenn sie anders nicht in die Karten sehen könnte.«

»Ich weiß, dass du dir Mühe gibst«, sagte Sir Oswald. »Es ist nur so, dass du eben keinen Sinn für Karten hast.«

»Ja, mein Lieber«, stimmte Lady Coote ihm zu. »Übrigens schuldest du mir noch zehn Shilling.«

»Wirklich?« Sir Oswald tat erstaunt.

»Ja. Acht Pfund zehn. Du hast mir erst acht Pfund gegeben.«

»Tatsächlich! Entschuldige, das war mein Fehler.«

Lady Coote lächelte ihn verhangen an und nahm die Zehnshillingnote. Sie liebte ihren Mann sehr, aber sie konnte nicht zulassen, dass er sie um zehn Shilling betrog.

Sir Oswald ging zu einem Beistelltischchen und genehmigte sich einen Whisky mit Soda. Es war halb eins, als man sich allgemein gute Nacht wünschte.

Ronny Devereux, der das Zimmer neben Gerald Wade bewohnte, sollte Wache halten. Um Viertel vor zwei schlich er herum und klopfte an die Türen. Die Verschwörer, in Pyjamas und Morgenröcken, versammelten sich leise.

»Vor zwanzig Minuten hat er das Licht ausgemacht«, berichtete Ronny. »Eben habe ich seine Tür geöffnet und gehorcht, er scheint zu schlafen. Fangen wir an?« Da trat eine neue Schwierigkeit auf. »Wir können nicht alle reinmarschieren. Einer soll sich hineinschleichen, und die anderen reichen ihm die Wecker hinein!«, sagte jemand.

Heiße Dispute entbrannten darüber, wer dazu bestimmt werden sollte.

Die Mädchen schieden aus, weil sie kichern würden. Bill Eversleigh wurde wegen seiner Größe und seiner allgemeinen Tollpatschigkeit abgelehnt, wobei er Letztere heftig bestritt. Jimmy und Ronny waren mögliche Kandidaten, aber schließlich entschieden sie sich für Bateman.

»Pongo ist unser Mann«, erklärte Jimmy. »In jeder Beziehung! Erstens schleicht er wie eine Katze – hat er immer schon getan! Und zweitens, falls Gerry aufwachen sollte, wird Pongo bestimmt eine gute Ausrede einfallen!«

Pongo erfüllte seinen Job gewissenhaft. Vorsichtig öffnete er die Tür und verschwand mit den beiden größten Weckern in der Dunkelheit. Kurz darauf erschien er wieder auf der Schwelle, und zwei weitere Wecker wurden ihm übergeben, dann noch zwei und dann die beiden letzten. Schließlich tauchte er wieder auf. Alle hielten die Luft an und lauschten. Gerald Wades gleichmäßiges Atmen war immer noch zu hören, überlagert von dem fröhlichen Ticken der acht Wecker.

3

Zwölf Uhr«, sagte Socks verzweifelt.

Die Sache hatte nicht sehr gut geklappt. Die Wecker allerdings waren losgegangen – mit einer derartigen Lautstärke, dass Ronny Devereux dachte, das Jüngste Gericht sei angebrochen. Wenn das schon die Wirkung im Nachbarzimmer gewesen war, wie erst musste sie in unmittelbarer Nähe gewesen sein? Ronny lief auf den Flur hinaus und legte sein Ohr an die Tür.

Er erwartete wüste Flüche, aber er hörte überhaupt nichts. Die Wecker tickten – laut, aufreizend, doch offenbar hatten sie in Gerald Wade einen zähen Gegner gefunden.

Die Verschwörer waren geneigt, allen Mut zu verlieren.

»Der Kerl ist kein menschliches Wesen«, meinte Jimmy.

»Hat wahrscheinlich gedacht, irgendwo weit weg würde ein Telefon läuten, und sich wieder umgedreht und weitergeschlafen«, vermutete Helen.

»Das erscheint mir sehr bemerkenswert«, erklärte Rupert Bateman ernst. »Ich finde, er sollte deswegen einmal einen Arzt aufsuchen.«

»Irgendein Schaden in den Gehörgängen«, meinte Bill hoffnungsvoll.

»Wenn ihr mich fragt«, sagte Socks, »ich glaube, der legt uns rein. Natürlich haben sie ihn aufgeweckt. Aber er will uns anschmieren und tut, als hätte er sie nicht gehört.«

Alle sahen Socks voll Bewunderung und Respekt an.

»Das ist ein Gedanke«, meinte Bill.

»Einfach subtil«, sagte Socks. »Ihr werdet sehen, heute kommt er besonders spät zum Frühstück – nur um uns reinzulegen!«

Und da es jetzt bereits einige Minuten nach zwölf Uhr war, ging die allgemeine Meinung dahin, dass Socks recht hatte. Nur Ronny Devereux machte Einwände.

»Ihr vergesst, dass ich sofort vor der Tür stand, als der erste Wecker losgegangen war. Was immer Gerry auch später beschlossen hatte, das Klingeln des ersten muss ihn überrascht haben. Er hätte irgendeinen Fluch rauslassen müssen. Wo hattest du denn den ersten hingestellt, Pongo?«

»Auf ein kleines Tischchen direkt neben seinem Ohr«, erwiderte Mr Bateman.

»Das war sehr weise von dir, Pongo«, sagte Ronny. »Und jetzt erzähl mir mal«, er wandte sich an Bill, »wenn um halb sieben Uhr morgens dicht neben deinem Ohr ein Wecker loslegt, was würdest du da tun?«

»Mein Gott«, rief Bill. »Ich würde …« Er hielt inne.

»Eben!«, meinte Ronny. »Ich auch. Jeder normale Mensch würde hochschrecken. Nun, er nicht! Deshalb sage ich, dass Pongo recht hat – wie gewöhnlich – und Gerry irgendein obskures Ohrenleiden hat.«

»Jetzt ist es zwanzig nach zwölf«, stellte eines der Mädchen enttäuscht fest.

»Ich finde«, meinte Jimmy langsam, »dass es ein bisschen zu weit geht!«

Bill starrte ihn an. »Was willst du damit sagen?«

»Nun, irgendwie sieht das Gerry nicht ähnlich.« Jimmy wollte nicht zu viel sagen, und doch … er bemerkte, wie Ronny ihn anblickte. Ronny war plötzlich auf der Hut.

In diesem Augenblick kam Tredwell ins Zimmer und sah sich zögernd um.

»Ich dachte, Mr Bateman sei hier«, erklärte er entschuldigend.

»Er ist eben rausgegangen, durch die Terrassentür«, sagte Ronny. »Kann ich Ihnen helfen?«

Tredwells Augen wanderten von ihm zu Jimmy Thesiger und wieder zurück. Auf diese Weise ausgesondert verließen die beiden jungen Männer mit ihm das Zimmer. Sorgfältig schloss Tredwell die Speisezimmertür hinter ihnen.

»Nun«, sagte Ronny, »was gibt’s?«

»Da Mr Wade immer noch nicht zum Frühstück erschienen war, Sir, nahm ich mir die Freiheit, William in sein Zimmer hinaufzuschicken.«

»Und?«

»William kam gerade ganz aufgeregt heruntergerannt, Sir.« Tredwell hielt kurz inne. »Ich fürchte, Sir, dass der junge Mann im Schlaf verstorben ist.«

Jimmy und Ronny starrten ihn an.

»Das ist doch Unsinn!«, rief Ronny schließlich. »Es … ich gehe selbst hinauf und sehe nach. Vielleicht hat sich William, der alte Trottel, geirrt.«

Tredwell hob abwehrend den Arm. Mit einem merkwürdigen Gefühl der Erleichterung bemerkte Jimmy, dass der Butler die Situation fest im Griff hatte.

»Nein, Sir! William hat sich nicht geirrt! Ich habe schon nach Dr Cartwright geschickt und mir die Freiheit erlaubt, die Tür abzuschließen. Jetzt muss ich Mr Bateman suchen.«

Tredwell lief eilig davon. Ronny blieb wie betäubt stehen. »Gerry«, murmelte er.

Jimmy nahm seinen Freund am Arm und schob ihn durch eine Seitentür auf eine stille Ecke der Terrasse. Dort drückte er ihn auf einen Stuhl.

»Nimm’s nicht so tragisch, alter Knabe!«, sagte er freundlich. »Es geht dir bestimmt gleich wieder besser.« Er hatte gar nicht gewusst, dass Ronny mit Gerry Wade so eng befreundet gewesen war. »Wenn jemand gesund aussah, dann war er es.«

Ronny nickte.

»Das ganze Spiel mit den Weckern kommt mir jetzt richtig gemein vor«, fuhr Jimmy fort. »Merkwürdig, nicht wahr, wie aus einem Spiel oft Ernst wird!«

Er sprach mehr oder weniger rhetorisch, um Ronny Zeit zu geben, sich wieder zu fassen. Ronny bewegte sich unruhig auf seinem Stuhl hin und her.

»Wenn doch nur der Arzt käme. Ich möchte wissen …«

»Was?«

»Woran … er starb.«

Jimmy spitzte seinen Mund. »Herz?«, vermutete er.

Ronny lachte kurz und bitter auf.

Jimmy fand es schwierig weiterzureden.

»Du glaubst doch nicht … du denkst doch nicht etwa, dass er einen Schlag auf den Kopf gekriegt hat oder so was? Weil Tredwell die Tür abgeschlossen hat und all das?« Er schüttelte den Kopf und schwieg. Er wusste nicht, was man außer Warten tun konnte. Deshalb wartete er. Es war Tredwell, der sie aufstöberte.

»Der Arzt würde Sie gern in der Bibliothek sprechen, wenn es Ihnen nichts ausmacht, Sir.«

Ronny sprang auf. Jimmy folgte ihm.

Dr Cartwright war ein schlanker, energischer junger Mann mit einem klugen Gesicht. Er begrüßte sie mit kurzem Nicken. Pongo, der ernster und bebrillter wirkte als je, stellte sie nacheinander vor.

»Wie ich höre, waren Sie ein guter Freund von Mr Wade«, sagte der Arzt zu Ronny.

»Sein bester.«

»Hm. Nun, die Angelegenheit scheint ziemlich klar, wenn auch traurig. Er sah sehr gesund aus. Wissen Sie, ob er Schlafmittel nahm?«

»Schlafmittel?« Ronny war verblüfft. »Er schlief immer wie ein Murmeltier.«

»Nun, der Tatbestand ist ziemlich klar. Trotzdem wird es eine Untersuchung geben, fürchte ich.«

»Wie starb er denn?«

»Da gibt es nicht viele Zweifel: an einer Überdosis Chloral. Das Zeug stand neben seinem Bett, in einem Fläschchen. Dazu ein Glas.«

Es war Jimmy, der die Frage stellte, die seinem Freund auf der Zunge lag. »Dabei sind keine üblen Dinge im Spiel?«

Der Arzt sah ihn scharf an. »Warum fragen Sie das?«

Jimmy sah Ronny an. Wenn Ronny etwas wusste, musste er jetzt sprechen. Aber zu seinem Erstaunen schüttelte Ronny den Kopf. »Es gibt nicht den geringsten Anlass«, sagte er.

»Und … Selbstmord?«

»Ganz bestimmt nicht!« Ronny sagte das mit Nachdruck.

Der Arzt war anscheinend nicht ganz so fest davon überzeugt. »Sie wissen von keinen Schwierigkeiten? Geldgeschichten? Eine Frau?«

Wieder schüttelte Ronny den Kopf.

»Jetzt zu seinen Verwandten. Sie müssen benachrichtigt werden.«

»Er hat eine Schwester – das heißt eine Halbschwester. Sie lebt in Deane Priory. Etwa zwanzig Meilen von hier. Wenn er nicht in der Stadt war, wohnte er bei ihr.«

»Hm«, meinte der Arzt. »Wir müssen sie benachrichtigen.«

»Das übernehme ich«, sagte Ronny und sah Jimmy an. »Du kennst sie, nicht wahr?«

»Flüchtig. Habe ein- oder zweimal mit ihr getanzt.«

»Dann können wir ja in deinem Auto fahren. Es macht dir doch nichts aus mitzukommen?«

»Ich wollte es gerade vorschlagen. Ich geh schon mal und mache den alten Bus startklar.«

Jimmy war froh, etwas zu tun zu haben. Ronnys Benehmen verwirrte ihn. Was wusste oder vermutete er? Und warum hatte er dem Arzt von seinem Verdacht, wenn er tatsächlich einen hegte, nichts gesagt? Kurz darauf fuhren die beiden Freunde ohne Rücksicht auf derart überflüssige Dinge wie Geschwindigkeitsbegrenzungen in Jimmys Wagen los.

»Jimmy«, sagte Ronny unterwegs, »ich glaube, dass du jetzt mein bester Freund bist.«

»Ja … warum?«, fragte er rau.

»Es gibt etwas, das du wissen solltest.«

»Über Gerry Wade?«

»Ja.«

Jimmy wartete. »Nun?«, fragte er schließlich.

»Ich weiß nicht, ob ich reden soll«, sagte Ronny.

»Warum?«

»Ich bin durch eine Art Versprechen gebunden.«

»Dann solltest du es vielleicht lieber lassen.«

Es entstand eine Pause.

»Und trotzdem würde ich gern … weißt du, Jimmy, du bist einfach intelligenter als ich.«

»Vielleicht«, meinte Jimmy unfreundlicherweise.

»Nein, ich kann es doch nicht«, sagte Ronny plötzlich.

»Okay. Wie du willst!«

Nach langem Schweigen fragte Ronny: »Wie ist sie denn?«

»Wer?«

»Das Mädchen. Gerrys Schwester.«

Jimmy schwieg ein paar Minuten, dann sagte er: »Sie ist in Ordnung. Sie ist … ein famoses Mädchen.«

»Gerry hat sie sehr gemocht. Es wird sie hart treffen.«

Sie schwiegen, bis sie Deane Priory erreicht hatten. Miss Loraine, sagte das Dienstmädchen, sei im Garten. Außer, sie wollten Mrs Coker sprechen …

Jimmy versicherte, dass sie nicht zu Mrs Coker wollten.

»Wer ist Mrs Coker?« fragte Ronny, als sie in den leicht verwilderten Garten gingen.

»Die alte Ziege, die bei Loraine wohnt.«

Sie hatten einen gepflasterten Weg betreten. An seinem Ende stand ein Mädchen mit zwei schwarzen Spaniels, sehr blond, in schäbigen alten Tweedhosen. Nicht im Geringsten das Mädchen, das Ronny erwartet hatte. Keineswegs Jimmys Typ. Einen Hund am Halsband haltend kam sie ihnen entgegen.

»Guten Tag«, sagte sie. »Sie brauchen sich vor Elizabeth nicht zu fürchten. Sie hat nur gerade Junge und ist sehr misstrauisch.« Sie sprach ganz natürlich, und als sie aufblickte, wurden ihre roten Wangen noch röter. Ihre Augen waren dunkelblau – wie Kornblumen. Plötzlich weiteten sie sich … vor Angst? Als ob sie etwas ahnte.

Jimmy sagte hastig: »Das ist Ronny Devereux, Miss Wade. Sie haben Gerry sicher oft von ihm sprechen hören.«

»O ja!« Sie wandte sich mit einem offenen warmen Lächeln ihm zu. »Sie waren in Chimneys, nicht wahr? Warum haben Sie Gerry nicht mitgebracht?«

»Wir … äh … das konnten wir nicht«, sagte Ronny.

Wieder sah Jimmy Angst in ihren Augen aufsteigen.

»Miss Wade«, begann er, »ich fürchte … ich meine, wir haben schlechte Nachrichten für Sie.«

Augenblicklich war sie hellwach. »Gerry?«

»Ja … Gerry … er ist …«

Sie stampfte in plötzlicher Ungeduld mit dem Fuß auf.

»Nun reden Sie schon!« Sie wandte sich an Ronny. »Dann sagen Sie es mir!«

Eifersucht durchzuckte Jimmy. In diesem Augenblick wurde ihm klar, was er sich bis jetzt nie hatte eingestehen wollen. Er wusste, warum Helen und Nancy und Socks nur »Mädchen« für ihn waren und sonst nichts.

Er hörte nur halb, wie Ronny antwortete: »Ja, Miss Wade, ich werde es Ihnen sagen: Gerry ist tot!«

Sie bewahrte erstaunlich gut die Fassung. Sie schluckte und trat einen Schritt zurück, aber dann, nach ein paar Augenblicken, stellte sie hastige bohrende Fragen. Wie? Wann?

Ronny antwortete, so gut er konnte.

»Schlafmittel? Gerry soll Schlafmittel genommen haben?«

Der ungläubige Ton in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Jimmy sah sie kurz an. Es war fast wie eine Warnung. Dann erklärte er ihr so schonend wie möglich, warum es eine Untersuchung geben musste. Sie schauderte. Sie lehnte ihr Angebot, mit ihnen nach Chimneys zu fahren, ab und erklärte, sie würde später nachkommen. Sie besaß einen eigenen Zweisitzer.

»Ich möchte ein wenig allein sein«, sagte sie kläglich.

»Ich verstehe«, erwiderte Ronny.

»Ist schon gut«, meinte Jimmy.

Sie sahen sich verlegen und hilflos an.

»Ich danke Ihnen beiden sehr, dass Sie gekommen sind.«

Schweigend fuhren sie zurück. Sie waren irgendwie befangen.