Der letzte Verräter - Peter Watson - E-Book

Der letzte Verräter E-Book

Peter Watson

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Beschreibung

Ein dunkles Geheimnis bedroht das englische Königshaus: Der fesselnde England-Krimi »Der letzte Verräter« von Peter Watson als eBook bei dotbooks. Wie weit darf man gehen, um das Erbe der Krone zu bewahren? – Edward Andover, Verwalter der königlichen Gemäldesammlung, ist sprachlos: Im Paket eines anonymen Absenders verbirgt sich ein echter Raffael – ein Gemälde von unschätzbarem Wert, das von den Nazis geraubt wurde und seitdem verschollen war. Schon bald beschleicht Andover der Verdacht, dass es sich dabei nicht um ein großzügiges Geschenk handelt, sondern um einen teuflischen Plan, der die Monarchie in ihren Grundfesten erschüttern soll. Als ihn kurz darauf ein Anruf aus dem Buckingham Palace erreicht, weiß Andover, dass er auf der richtigen Spur ist – und muss sich die unbequeme Frage stellen: Wie viel weiß die Queen? Ohne einen Ausweg zu haben, wird er so zur Figur in einem heimtückischen Spiel, bei dem unklar ist, wer Freund ist und wer Feind … Der britische Kunstkenner und »Undercover-Journalist« Peter Watson lässt in seinen fesselnden Romanen eigenen Erfahrungen bei der Aufklärung aufsehenerregender Kunstraube einfließen: »Intelligente Action in einem realistischen Thrillersetting!« Mail on Sunday Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der mitreißende Kunst-Krimi »Der letzte Verräter« von Bestsellerautor Peter Watson ist ein Muss für alle Leser von Dan Brown und Martin Suter und wird auch die Fans von True-Crime-Thrillern begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 657

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Über dieses Buch:

Wie weit darf man gehen, um das Erbe der Krone zu bewahren? – Edward Andover, Verwalter der königlichen Gemäldesammlung, ist sprachlos: Im Paket eines anonymen Absenders verbirgt sich ein echter Raffael – ein Gemälde von unschätzbarem Wert, das von den Nazis geraubt wurde und seitdem verschollen war. Schon bald beschleicht Andover der Verdacht, dass es sich dabei nicht um ein großzügiges Geschenk handelt, sondern um einen teuflischen Plan, der die Monarchie in ihren Grundfesten erschüttern soll. Als ihn kurz darauf ein Anruf aus dem Buckingham Palace erreicht, weiß Andover, dass er auf der richtigen Spur ist – und muss sich die unbequeme Frage stellen: Wie viel weiß die Queen? Ohne einen Ausweg zu haben, wird er so zur Figur in einem heimtückischen Spiel, bei dem unklar ist, wer Freund ist und wer Feind …

Der britische Kunstkenner und »Undercover-Journalist« Peter Watson lässt in seinen fesselnden Romanen eigenen Erfahrungen bei der Aufklärung aufsehenerregender Kunstraube einfließen: »Intelligente Action in einem realistischen Thrillersetting!« Mail on Sunday

Über den Autor:

Peter Watson, geboren 1943 in Birmingham, ist der Autor zahlreicher internationaler Bestseller. Er studierte Psychologie und Musik in Durham, London und Rom und war anschließend als Journalist für angesehene Zeitungen wie die »Times« und den »Observer« tätig. Er gilt als einer der besten Kunstspezialisten der Welt und konnte zur Aufklärung zahlreicher Kunstdiebstähle und Fälschungen beitragen.

Bei dotbooks veröffentlichte Peter Watson die Romane »Die sixtinische Auktion«, »Das Gemälde des Todes« und »Die ehrenwerte Familie«.

Die Website des Autors: www.peterwatsonauthor.com

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eBook-Neuausgabe Februar 2022, März 2024

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1991 unter dem Originaltitel »Stone of Treason« bei Hutchinson, London. Die deutsche Erstausgabe erschien 1992 unter dem Titel »Steine des Verrats« bei Econ.

Copyright © der englischen Originalausgabe 1991 by Peter Watson

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1992 Econ Verlag GmbH, Düsseldorf, Wien, New York und Moskau

Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Stefan Hilden, hildendesign.de, unter Verwendung von Bildmotiven von © Shutterstock.com und Midourney.com

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)

ISBN 978-3-96655-882-2

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Peter Watson

Der letzte Verräter

Roman

Aus dem Englischen von Monika Hahn-Prölss

dotbooks.

Vorwort

Im Frühsommer des Jahres 1945, unmittelbar nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs, wurde Anthony Blunt – damals Verwalter der Royal Collection, der Königlichen Gemäldesammlung – von König George VI. in geheimer Mission nach Hessen in Deutschland geschickt. Im Jahre 1979 enthüllte Premierministerin Margaret Thatcher vor dem Unterhaus, daß Blunt nach eigenem Geständnis sowjetischer Spion war, was MI5, der britische Geheimdienst, seit dem Jahre 1964 gewußt hatte.

Soweit die Tatsachen, doch dies ist ein Roman.

Er spielt im Jahre 1996.

Erste WocheDas verschollene Meisterwerk

Kapitel 1

Mittwoch

Edward Andover war sich bewußt, daß es für einen Mann in seiner Position fast schon exzentrisch war, mit dem Fahrrad in London herumzukurven, aber ihm war es nun einmal lieber so. Genaugenommen war es vermutlich unter seiner Würde, dabei gesehen zu werden, wie er die Mall entlangradelte, Bücher und Aktenordner in den Drahtkorb am Lenker gestopft, den linken Daumen ständig an der schrillen Klingel, um Touristen zu warnen, die achtlos die Straße überquerten. Die gelbschwarzen Kopfhörer seines Walkmans waren auch nicht gerade eine Zierde, denn sie hingen von seinem Kopf wie die Bänder einer Haube, während er seine Morgenration Count Basie oder Bruckner in sich aufnahm. Der Verwalter der Gemäldesammlung der Queen, ein Posten, den Edward nun schon fünf herrliche Monate lang innehatte, verbrachte den größten Teil seiner Arbeitszeit in so edler Gesellschaft wie Hans Holbein, Leonardo da Vinci und Sir Peter Paul Rubens. Dazu paßte ein Fahrrad einfach nicht.

Doch an jenem Mittwoch, an dem alles begann, radelte Edward mal wieder zum St. James’s Palace, und dafür gab es gute Gründe. Es war nicht weit von seiner Dienstwohnung im Kensington Palace, es war ein heiterer, sonniger Julimorgen, und außerdem hielt ihn die körperliche Bewegung in Form.

Er bog von der Mall in die Marlborough Road ein. Etwa auf halber Strecke hatte er den kleinen Hof des St. James’s Palace erreicht, bremste und stieg ab. Dann schob er sein Fahrrad zu einer glänzend polierten schwarzen Tür in der Palastmauer, halb versteckt in einem Kreuzgang. Zur Zeit spielte sich sein Leben fast nur in Palästen ab, was daran lag, daß die Königliche Gemäldesammlung, die Royal Collection, auf mehrere prächtige Gebäude verteilt war: Buckingham Palace, Windsor Castle, Hampton Court, Bahnoral Castle, Sandringham und Kensington Palace. St. James’s Palace war jedoch sein Lieblingspalast, und zwar nicht nur, weil er dort sein Büro hatte. Ihm gefiel es, daß St. James’s mitten im Zentrum Londons stand, statt sich hinter hohen königlichen Mauern zu verstecken. Wie angenehm war es für ihn, daß er rasch mal zu Christie’s oder in seinen Club oder quer über die Straße zu Hardy’s gehen konnte, um seine Angelrute reparieren zu lassen oder um einige künstliche Fliegen zu erstehen. Nicht nur die Staatsbibliothek erreichte er in fünf Minuten, sondern auch Paxton & Whitfield, wo es frischen Parmesan zu kaufen gab. In Balmoral war allein die Zufahrt schon drei Kilometer lang, und die Ortschaft lag noch ein Kilometer weiter weg, so daß man einen ganzen Vormittag brauchte, nur um einen Scheck einzulösen.

Edward klopfte an die schwarze Tür. Hinter dem Guckloch bewegte sich etwas, und er vernahm metallisches Klirren, als ein Riegel zurückgeschoben wurde. Die Tür öffnete sich; ein uniformierter Sicherheitsbeamter lächelte ihm zur Begrüßung zu. Edward brauchte keinen Passierschein. Sein Gesicht war sein Passierschein.

Edward Andover war ein hochgewachsener, überschlanker Mann von 35 Jahren. Am auffälligsten war seine Hakennase. Er hatte sie sich gebrochen, als er in der Jazzband seiner Schule Saxophon spielte. Der Schlagzeuger, ein kleiner Waliser mit mehr Enthusiasmus als Begabung, hatte während der Vorführung einer Jelly-Roll-Morton-Nummer die Kontrolle über seine Stöcke verloren, und einer hatte Edward voll ins Gesicht getroffen. Er versuchte sich damit zu trösten, daß er in einem der Skizzenbücher von Leonardo da Vinci eine Nase entdeckt hatte, die seiner glich. Edwards braune Augen kontrastierten mit seinem dichten blonden Haarschopf, der allerdings über der Stirn schon etwas gelichtet war.

Er stellte sein Fahrrad in einem kleinen Innenhof ab, wo die roten Feuerlöscher aufgereiht standen. Nachdem er sich die Kopfhörer abgestreift hatte, nahm er Bücher und Aktenordner aus dem Drahtkorb am Lenker. Eine Tür jenseits des Hofs führte in einen Korridor, den auf einer Seite Fenster säumten. Durch diese Fenster sah man auf eine viereckige Rasenfläche. Dahinter ragte eine Mauer mit Kletterrosen auf, und hinter ihr wiederum gab es eine weitere Rasenfläche. Edward wußte darüber gut Bescheid, obwohl er noch nie dort gewesen war. Es handelte sich um den Garten der Königinmutter. Clarence House, ihr offizieller Wohnsitz, verbarg sich hinter der Mauer und den Gärten. Er bestand aus verblichenem gelbem Sandstein, den Edward haßte. Wenn es nach ihm ginge, würde er Clarence House in die Luft jagen und neu aufbauen.

Am Ende des Korridors kam er in eine große Halle mit einer breiten Treppe aus hellem Eichenholz. Eine Ansicht eines englischen Schlosses, einer der vielen Canalettos aus der Royal Collection, hing über einem nicht benutzten Kamin. Hier saß ein weiterer uniformierter Sicherheitsbeamter an seinem Pult. Edward trat zu ihm und quittierte den Empfang seiner Post. Seit den Briefbombendrohungen der siebziger Jahre wurden alle Postsendungen für den königlichen Hofstaat überprüft. Er nahm die Briefe — es waren an die fünfzehn Umschläge — und begann, die Treppe hinaufzusteigen. Sein Büro lag im ersten Stock.

»Doktor Andover ... hier habe ich noch etwas für Sie.«

Edward drehte sich zu dem Sicherheitsbeamten um. Der Mann griff gerade nach einem Paket, das an seinem Pult lehnte.

Mit leicht gerunzelter Stirn kam Edward zurück, bückte sich und betastete das Paket. Es war flach und fast quadratisch, jede Seite ungefähr einen Meter lang. Die Verpackung bestand aus braunem wasserabstoßendem Papier und fester weißer Schnur. Mit Filzstift waren in schwarzen Druckbuchstaben sein Name und die Palastadresse geschrieben. Rasch hob er das Paket auf. Da es erstaunlich wenig wog, vermutete er, daß es sich um ein Bild handelte. Die Größe stimmte, und das Gewicht stimmte auch, falls kein Rahmen dabei war. Aber wer würde ein Bild mit der Post schicken, wo es doch dabei so leicht beschädigt werden konnte? Und warum? Gewiß, die Royal Collection wurde immer noch erweitert, obwohl Ihre Majestät, Gott segne sie, kein Charles I. war, was ihr Kunstverständnis betraf. Aber Gemälde, seien sie nun wertvoll oder nicht, mit der Post zu schicken, war total ungewöhnlich.

Die Bücher, seinen Walkman und den Rest der Post in einer Hand, griff sich Edward mit der anderen das Paket und stieg zum zweiten Mal die Treppe hinauf.

Man betrat sein Büro durch das Vorzimmer seiner Sekretärin Wilma Winnington-Brown. Wilma war eine attraktive Frau, fast so hochgewachsen wie Edward und mit einer fast identischen Nase. Als Witwe eines Colonels der Blues and Royals erhielt sie eine Pension, mit der sie ihr bescheidenes Gehalt aufbessern konnte, und sie sah immer so »geschniegelt und gebügelt« aus wie die Palastwache. Da sie ausgesprochen energisch war, hieß sie im St. James’s Palace überall nur »General«.

Sie telefonierte gerade, als er hereinkam, schenkte ihm aber ein breites Lächeln. Betäubender Parfumduft füllte das Zimmer. Edward lächelte zurück und ging in sein eigenes Büro, von wo aus man auf die Cleveland Row blickte, ein kleines Geviert, das laut »General« den Zugang zum Clarence House und Lancaster House kontrollierte. Fast immer lag Cleveland Row völlig verlassen da. Autos durften dort nicht mehr parken, und die Straße führte nirgends hin, falls man keiner der wenigen Auserwählten war, die bei der Königinmutter zum Essen geladen waren.

Edward liebte sein Büro. Als erstes fiel einem der fast wellige Fußboden auf. Irgendwann in der Vergangenheit – vielleicht vor 200 Jahren oder auch vor 300, aber jedenfalls vor der Epoche solider Fundamente – war das Palastgebäude ein wenig abgesackt. Die breiten Eichendielen, durch Alter und unablässiges Scheuern fast weiß ausgebleicht, hingen durch, waren bucklig und verzogen, hatten aber standgehalten. Der Raum besaß Charakter.

In Regalen gegenüber den Fenstern reihten sich Bücher und Auktionskataloge, doch an der Wand, auf die Edward von seinem Schreibtisch blickte, hing eine der besonderen Attraktionen seines Jobs: zur Zeit eine weiße Kreidezeichnung von Veronese – ein paar zarte Striche auf blauem Papier. Edward hatte die Royal Collection zur freien Auswahl. Wann immer er Nachforschungen über ein Gemälde anstellte, durfte er es sich mit Erlaubnis Ihrer Majestät, die sie fast immer erteilte, zu Studienzwecken ausleihen. Dann konnte er es wochenlang in aller Ruhe bewundern.

Er lud seine Post und den Walkman auf seinem Schreibtisch ab. Dann legte er das Paket auf einen Tisch, an dem er manchmal Konferenzen abhielt, und begann, jene Bücher ins Regal zurückzustellen, die er am Vorabend nach Hause mitgenommen hatte. Während er damit beschäftigt war, kam Wilma herein und stellte eine Tasse Kaffee neben die ungeöffnete Post auf den Schreibtisch.

»Zwei Anrufe ... Aber zuerst möchte ich konstatieren, daß Sie heute morgen etwas blaß aussehen, Edward. Hoffentlich haben Sie gestern nacht nicht zu lange gelesen? Sie müssen auf sich aufpassen.« Wenige Generäle – übrigens auch wenige Sekretärinnen – waren so mütterlich wie Wilma Winnington-Brown. Sie hatte eine unverheiratete Tochter von 28 Jahren und hoffte immer noch ...

»Was für Anrufe? Und wenn Sie’s unbedingt wissen wollen, ich war gestern abend bei einem Dinner im Marine-Museum. Vom dortigen Essen wird jeder seekrank. Um 22.15 war alles vorbei.«

Er sah den General zufrieden lächeln und fügte hinzu: »Dann ging ich noch in den Albatros Club und hörte mir bis 2.30 Uhr die Louisiana Bigband an. Deshalb bin ich nicht etwa bläßlich, General, sondern total erledigt. Nun aber die Anrufe, Weib, die Anrufe!«

Wilma zog eine kleine Grimasse. Sie sah sich eher in der Rolle eines Adjutanten als in der einer Sekretärin. »Ich habe Süßstoff in Ihren Kaffee getan, und zwar nur eine Tablette. Schmuggeln Sie ja nicht noch mehr hinter meinem Rücken rein. Also ... der erste Anruf kam von Mister Chetwode in Sandringham. Dort gab es gestern abend einen üblen Wolkenbruch, und ein Oberlicht war nicht fest verriegelt. Regen drang hindurch und durchnäßte einen der Watteaus. Chetwode bittet um Instruktionen.«

Edward trank einen Schluck Kaffee.

»Anruf Nummer zwei kam von Geneviève Chombert aus dem Louvre. Man würde dort gerne Ihren Vortrag in der nächsten Woche vom Dienstag auf den Mittwoch verschieben, wenn es Ihnen recht ist. Anscheinend paßt einem der anderen Referenten der Mittwoch nicht, und sie möchte gerne, daß Sie tauschen. Ich sagte, Sie würden ihr noch vor dem Lunch Bescheid geben. Vergessen Sie nicht, daß es dort schon eine Stunde später ist. Ach ja, vergessen Sie auch nicht, daß ich heute gern etwas früher heimgehen würde, denn der Sohn hat Geburtstag.«

Es amüsierte Edward immer wieder, wie der General seine Sprößlinge als »der Sohn« und »die Tochter« bezeichnete, als ob sie nichts mit ihr zu tun hätten. Er stellte die Kaffeetasse auf seinen Schreibtisch und sagte lächelnd: »Ich schlage Ihnen einen Kuhhandel vor. Sie können um 16 Uhr gehen, wenn Sie auf dem Rückweg vom Lunch neue Batterien für mich besorgen. Scarlatti wurde immer langsamer, während ich die Mall entlangradelte.«

»Es ist unter meiner Würde, aber ich werd’s trotzdem tun«, sagte sie, bevor sie in ihrem Büro verschwand. »Ich bin schließlich Sekretärin, nicht etwa Ihre Schwiegermutter.«

Lachend ging Edward zu dem Tisch, auf den er das Paket gelegt hatte. Der Schatten des Fensterrahmens fiel auf das Packpapier und formte Quadrate, was ihn an ein Gemälde von Mondrian denken ließ. Die Handschrift auf dem Paket war ihm unbekannt. Er war natürlich neugierig auf den Inhalt, doch im Grunde empfand er das Ganze als Störung. Er führte ein friedliches, fast schon routinemäßiges Dasein, abseits vom Rampenlicht der Öffentlichkeit. Er wollte es so. Telemanns Oboensonaten waren für ihn aufregend genug. Außerdem war er zur Zeit mit Arbeit überlastet, da Sir James Hillier, Direktor der Royal Collection und Edwards Vorgesetzter, wegen einer Rückenoperation im Krankenhaus lag. Dadurch hatte Edward mehr als seine üblichen Pflichten zu erledigen.

Seufzend nahm er eine Schere und schnitt die Schnur durch. Wie schon vermutet, handelte es sich bei dem verpackten Objekt um ein Bild. Als er es umdrehte, um es zu betrachten, beschleunigte sich sein Puls. Es war ein prachtvolles Bild, eine Zeichnung – Bleistift und Kreide – auf vergilbtem gelbem Papier, das auf Karton aufgezogen war. Dargestellt waren eine Frau und zwei Kinder, zwei pausbäckige Babys, und die drei Figuren bildeten fast so etwas wie eine Pyramide. Das linke Baby schlief, während das rechte zu ihm hinüberdeutete.

Edward untersuchte die Zeichnung genauestens von allen Seiten. Offenbar war sie irgendwann einmal gefaltet worden; die Faltstellen waren noch sichtbar und unterteilten die Komposition in sechs Felder. Kleidung und Hände waren meisterhaft gezeichnet. Es handelte sich ganz eindeutig um die Jungfrau Maria mit dem Jesuskind und – vermutlich – Johannes. Seiner Schätzung nach stammte die Zeichnung aus Italien, Ende 15. oder Anfang 16. Jahrhundert.

Aber warum hatte man sie ihm geschickt?

Edward war so vollauf mit dem Bild beschäftigt und von dessen Schönheit so hingerissen, daß er gar nicht darauf geachtet hatte, ob ein Brief dabeilag. Nun bückte er sich und entdeckte auch tatsächlich inmitten des Packpapiers auf dem Boden einen Umschlag, auf den sein Name getippt war. Er richtete sich auf, legte die Zeichnung auf den Tisch und riß das Kuvert auf. Zum Vorschein kam ein einzelner Bogen Papier, auf den zwei Zeilen mit der Maschine geschrieben waren – auf den ersten Blick wie in Versform. Doch die Botschaft klang prosaisch. Sie lautete:

Dort, woher dies stammt, gibt es noch mehr.

Sie hören wieder von uns. Die »Apollo-Brigade«.

Ratlos wendete Edward das Papier um, doch das war’s auch schon. Keine Unterschrift, keinerlei Hinweis. Also griff er sich noch einmal den Umschlag, aber da stand nur sein Name. Als nächstes untersuchte er das Packpapier und fand den Poststempel, der zwar verwischt war, aber vielleicht London N1 oder N7 heißen konnte. Das Paket war einige Tage zuvor abgesandt worden, und zwar nicht einmal per Einschreiben. Gereizt fragte er sich, wer sich da einen schlechten Scherz erlaubte. Er las noch einmal die Zeilen: Dort, woher dies stammt, gibt es noch mehr. Sollte das heißen, daß es sich um eine Fälschung handelte? Daß man Zeichnungen wie diese hier in jeder beliebigen Anzahl auf den Markt bringen konnte? Nein, er war sicher, daß dieses Bild keine Fälschung war, zumindest keine aus der heutigen Zeit. Eins stand für ihn fest: Was immer hier gespielt wurde, war ernst zu nehmen. Die Zeichnung war einfach zu gut.

Aber das half auch nicht weiter. Warum hatte man das Bild ausgerechnet ihm geschickt?

Auf einem der Aktenschränke neben seinem Schreibtisch stand eine kleine Staffelei aus Holz. Er holte sie nun herunter, stellte sie auf den Tisch und postierte die Zeichnung darauf so, daß er sie von seinem Schreibtisch aus betrachten konnte. Die zweite Zeile der Botschaft kündigte ja an, daß er bald mehr hören würde. Dann würde sich dieses Geheimnis vielleicht von selbst aufklären. Er hatte schließlich viel zu erledigen und machte sich am besten gleich an die Arbeit.

Den Rest des Vormittags verbrachte er am Schreibtisch. Er beauftragte einen Restaurator vom Norwich Museum, nach Sandringham zu fahren und ihm dann zu berichten, wie stark der Watteau beschädigt war. Er rief Geneviève Chombert in Paris an und erklärte, daß er seinen Vortrag über Barockgemälde der Royal Collection ebensogut am Mittwoch wie am Dienstag nächster Woche halten könnte. Doch auch während er telefonierte, ruhte sein Blick fast unverwandt auf der mysteriösen Zeichnung.

Als nächstes machte er sich daran, seinen Vortrag für Paris auszufeilen. Er hatte eine gute Bibliothek in seinem Büro und stand von Zeit zu Zeit auf, um etwas in einem Buch nachzuschlagen. Bei einer dieser Gelegenheiten konnte er der Versuchung nicht widerstehen, die Zeichnung noch einmal besonders genau zu inspizieren. Kurz entschlossen holte er ein Buch aus dem Regal und blätterte darin, bis er eine bestimmte Abbildung gefunden hatte, die er dann mit der Zeichnung auf der Staffelei verglich. Nachdem er die Bildunterschrift gelesen hatte, rief er zu Wilma hinüber: »Verbinden Sie mich bitte mit Michael Arran.«

Schon Sekunden später hatte er Arran am Telefon. Der Direktor der National Gallery war ein vielbeschäftigter Mann, aber Edward Andover war nicht nur sein Freund, sondern auch eine wichtige Figur für Museumsleute. Mindestens zwanzig Hauptattraktionen der National Gallery am Trafalgar Square waren Leihgaben aus der Royal Collection. »Haben Sie schon eine Verabredung zum Lunch, Michael?« »Ja, tut mir leid, Edward. Aber ich müßte eigentlich gegen 3 Uhr zurück sein und bleibe dann den ganzen Nachmittag hier im Museum. Ist es etwas Wichtiges?«

»Wenn ich das wüßte!« Edward erzählte ihm kurz von dem Paket.

»Merkwürdig, da stimme ich Ihnen zu«, sagte Arran. »Aber ich verstehe nicht ganz, warum Sie meine Hilfe brauchen.«

»Nicht Ihre persönliche Hilfe, Michael. Ich benötige die Sachkenntnis Ihrer Mitarbeiter. Dies ist eine merkwürdige Angelegenheit, wie Sie sagen, aber ich glaube allmählich, daß ›merkwürdig‹ nicht das richtige Wort ist.«

»Was soll das heißen?«

»Hier handelt es sich nicht um ein gewöhnliches Bild, Michael. Ich habe ein bißchen nachgeforscht und es mit ähnlichen Zeichnungen in meinen Büchern verglichen. Aber ich bin mir nicht sicher und brauche deshalb Ihre Hilfe. Tja, Michael, ich habe den starken Verdacht, daß diese Zeichnung hier auf meinem Schreibtisch, dieses vergilbte Blatt Papier, das als ganz normales Paket mit der Post verschickt wurde, ein Original von ... Raffael ist. Es muß Millionen wert sein.«

Das Sichtfeld auf Edwards Anrufbeantworter leuchtete ihm aus dem Halbdunkel entgegen. Die Zahl 3 warf einen grünlichen Schimmer über seine Schreibtischplatte. Er hatte bis spät in seinem Büro gearbeitet, in der Hoffnung, mit seinem Vortrag fertig zu werden, es aber nicht geschafft. Vermutlich würde er einen weiteren halben Tag dafür aufwenden müssen. Als er kurz nach 20 Uhr in seiner Wohnung im Kensington Palace eintraf, dämmerte es schon.

Er lockerte seine Krawatte und ging zu seiner Bar – eigentlich nur ein Lacktablett voller Flaschen, das ihm als Bar diente —, mixte sich einen Whisky Soda, hob das Glas an die Lippen und sah sich um. Tapeten, Vorhänge und auch einige der Möbel gehörten zu dieser Dienstwohnung, aber die Bilder waren sein Eigentum. Da gab es ein zauberhaftes Aquarell der Kathedrale von Ely von William Callow in Braun, Gelb und pfirsichfarben. Eine Ansicht des Nils von Edward Lear – schimmerndes Blau und Gold. Über der Tür zum Schlafzimmer hing ein kleines Ölgemälde von Edward Molyneux – zwei Rosen in einem Glas. Das Wasser war perfekt gemalt, die Blütenblätter leuchteten in glühendem Orangerot. Auf Edwards Schreibtisch stand ein Foto von ihm selbst, auf dem er einen 1934er Bugatti in Silverstone fuhr.

Auf dem Fußboden neben seinem Schreibtisch häuften sich etwa einen halben Meter hoch Dokumente – sein Aktenschrank. Er brachte es nicht fertig, etwas wegzuwerfen, und schon gar keine Papiere. In der untersten Reihe des Bücherregals am Fenster gab es einen weiteren Haufen von alten Briefen und Bankunterlagen. Ein dritter war in eine dicke Aktenmappe gestopft, die halb versteckt unter dem Schreibtisch lag. Im ganzen Raum herrschte heilloses Durcheinander. Edward drückte auf die Taste seines Anrufbeantworters.

Nach mehrmaligem Klicken und einer kleinen Pause sagte eine Stimme: »Hier ist Vater, Edward. Schade, daß ich dich nicht antreffe. Barbara läßt herzlich grüßen. Bitte rufe uns zurück, wenn möglich. Hoffe, es geht dir gut. Wiedersehen!« Edward war ein Einzelkind. Sein Vater, ein erfolgreicher Architekt, lebte in Stanford in Kalifornien und hielt an der dortigen Universität Vorlesungen. Er hatte eine neuartige Brücke konstruiert, die Erdbeben standhalten sollte. Nach dem Tod seiner Frau, Edwards Mutter, hatte er Barbara geheiratet, eine Amerikanerin. Die drei trafen sich fast nie, und selbst ein Telefonanruf war ungewöhnlich, obwohl Edward seinen Vater eigentlich sehr mochte. Das Ehepaar verbrachte gerade seinen Urlaub auf den Inseln vor Schottland und würde bald in London eintreffen.

Er trank einen Schluck Scotch, während der nächste Anruf ablief. »Ich bin’s, Samantha. Vergiß ja nicht, daß du versprochen hast, mich in das große Jazzkonzert in der Albert Hall auszuführen. Stell dir vor, Arabella, meine Schulfreundin, möchte auch mitkommen. Falls du’s dir anders überlegt oder es gar vergessen hast, dann garantiere ich dir, daß wir in der Schule Stecknadeln in dein Abbild stechen. Das wär’s. Bye-bye!«

Sammy war Edwards Patenkind, eine hoch aufgeschossene sechzehnjährige Blondine mit gewaltigem Appetit auf neue Erlebnisse. Edward lächelte in sich hinein. Der Abend in der Albert Hall würde bestimmt lustig werden. Noch ein Schluck Whisky, während er auf den dritten Anruf wartete.

»Hallo, hier ist Nancy. Wo steckst du denn? Sag’s lieber nicht, falls es mich eifersüchtig macht. Ich bin gerade in Hackness, Yorkshire, wo es einige interessante Gräber von Matthew Noble gibt, aber das weißt du vermutlich alles schon. Es ist schwer, dir irgend etwas Neues zu bieten. Es ist sogar schwer, mit dir persönlich zu sprechen, denn dies ist schon die dritte Botschaft, die ich deiner verdammten Maschine anvertrauen muß. Wo bist du, Woodie? Hört noch jemand anders zu? Falls ja, schalte jetzt ab.« Nach einigen Sekunden der Stille, in denen Edward sich einen tiefen Schluck Whisky genehmigte, ließ sich Nancys Stimme wieder vernehmen, diesmal fast nur ein Flüstern. »Woodie, ich habe gerade ein Bad genommen und mich noch nicht wieder angezogen. Ich trage nur das Telefon. Wenn du jetzt hier wärst ... Ich habe mir etwas .ausgedacht, das für dich vielleicht doch neu sein könnte. Bis bald.«

Versonnen tippte Edward mit dem Rand seines Whiskyglases gegen seine Zähne. Vor ihm tauchte schemenhaft Nancy Tucker, nackt auf einem Bett liegend, auf. Nancy war eine Kalifornierin, die in London lebte. Sie hatten sich kennengelernt, als Edward an der Kunstakademie Courtauld eine Vorlesung hielt, wo sie Kunstgeschichte mit Schwerpunkt Bildhauerei studierte. Nancy, nun Ende Zwanzig, war an den Stränden um San Francisco aufgewachsen und hatte immer noch das sonnengebleichte Haar und den gesunden gebräunten Teint ihrer Teenagerzeit. Mit zwanzig hatte sie die Kunst entdeckt, war ehrgeizig geworden und hatte das Strandleben gegen Seminare in einem College an der Ostküste eingetauscht. Sie hatte das Abschlußexamen als Beste ihrer Klasse bestanden und war mit einem Stipendium belohnt worden, das es ihr ermöglichte, weitere Studien bei dem berühmten Fritz Lasko in London zu betreiben.

Nancy hatte für immer neue Überraschungen gesorgt. Edward trank sein Glas aus und dachte an ihre erste Begegnung zurück. Für ihn war es schon überraschend, daß sie es gewesen war, die eine Verabredung vorgeschlagen hatte. Sie waren ins Kino gegangen, und hinterher hatte sie ihn wieder überrascht, als sie ihn zum nächstbesten McDonald’s schleppte und »Big-Mac«-Hamburger bestellte. Sie hatte darauf bestanden zu bezahlen und Edward anvertraut, daß sie trotz edler Handtaschen von Fendi, trotz ausgezeichneter Kenntnisse über die größten Bildhauer der Welt und trotz der Tatsache, daß sie einen geheimen Vorrat an persischem Kaviar besaß und eines Tages ein Vierunddreißigstel der Vosné-Romanée-Weinberge in Burgund erben würde, ganz wild auf »Junk food« war.

An ihrem ersten Abend hatte Edward amüsiert beobachtet, wie Nancy ein vollbeladenes Tablett anschleppte. Sie war elegant und trug teure, schlichte Kleider, die dezent waren, aber dennoch ihre Figur bestens zur Geltung brachten. Ihre Haut war so gesund und so abgehärtet, daß sie selbst im kältesten Winter nie verfroren aussah. Ihr langer, zarter Hals war mit dafür verantwortlich, daß sie es auf 1,75 Meter brachte.

Nancy hatte das Tablett abgesetzt und ihm Plastikbesteck gereicht.

»Ob die wohl wissen, daß dies »Regency« ist?« hatte er grinsend gefragt und die Gabel hochgehalten.

»Sei kein solcher Snob, Woodie.« Ihr Bruder war auch ein Edward. Da sie ihn schrecklich vermißte und da er allgemein nur Woodie hieß, kam Edward zu der Ehre, nun ebenfalls so genannt zu werden. Sie hatte mit der Gabel einige Pommes frites aufgespickt und damit in seine Richtung gewedelt. »Fast food machte Amerika groß. Es schmeckt genausogut wie Yorkshirepudding oder Kedgeree.«

»Ich hasse Yorkshirepudding und habe noch nie Kedgeree probiert.«

Nancy hatte nichts erwidert. Es war ihr auch gar nicht möglich gewesen, da sie heiße Pommes frites im Mund hatte und damit beschäftigt war, sich Luft zuzufächeln.

»Ich hielt den Film für reichlich überzogen«, hatte Edward nach einer Weile erklärt. »Amerikanischer Kitsch schlimmster Sorte.«

Sie hatte ihm einen raschen Blick zugeworfen, da sie nicht wußte, ob er es ernst meinte oder sie nur aufzog. »Booshi!« sagte sie mit vollem Mund. Sicher sollte dies »Bullshit!« bedeuten, ein Lieblingswort von ihr. Danach hatte sie die Pommes frites in ihrem Mund mit einem tiefen Schluck eiskalter Coca-Cola abgekühlt.

Edward war ein Schauder über den Rücken gelaufen, hatte dann aber doch gelächelt. »Ich meine es ernst. Sentimental, rührselig und optimistisch wider jede Vernunft.«

Im Film war es einer Krankenschwester in einer Anstalt für geistig Behinderte gelungen, mit einem autistischen Patienten Kontakt aufzunehmen, der Zeuge eines politisch brisanten Verbrechens geworden war.

»Die Zuschauer wollen ein Happy-End.«

»Auf jeden Fall die Amerikaner, mehr als die meisten anderen.«

»Nimm dich in acht, oder du kriegst Ketchup auf deinen Hemdkragen.«

»Hast du kein besseres Argument?«

»Der Film wollte unterhalten, mehr nicht. Nimm’s doch nicht so ernst. Die Produzenten haben schon zweihundert Millionen eingesackt.«

»›Eingesackt‹ ist genau das richtige Wort.«

Wie um ihn zu bestrafen, hatte Nancy damals demonstrativ ihre Finger abgeleckt. Doch Edward erinnerte sich nun im Halbdunkel seiner Wohnung, daß Nancy Tucker, wie amerikanisch sie auch sein mochte, über sehr viel natürliche Grazie und Charme verfügte. Außerdem hatte sie so viele Facetten, daß sie bei jeder Verabredung neu und aufregend für ihn war.

Es hatte Nancy nicht besonders imponiert, daß er sozusagen Angestellter der Queen war. Nancy war überzeugte Republikanerin und der Meinung, daß alle Königsfamilien abgeschafft werden müßten. Nicht hingerichtet oder gedemütigt oder in Armut gestoßen, nein, aber sie sollten in einem modernen Staat keine offizielle Rolle mehr bekleiden. Erst als Edward erklärt hatte, daß seine Hauptaufgabe bei der Royal Collection war, einen Katalog der barocken Gemälde und Skulpturen der Queen zusammenzustellen, war sie bereit gewesen einzugestehen, daß sein Job doch zu einem erwachsenen Mann paßte.

Als sie McDonald’s verlassen hatten, waren am nächtlichen Himmel dicke Wolken aufgezogen, und es roch schon nach Regen. »Wie wär’s mit Jazz?« hatte er vorgeschlagen. Es war noch früh, kurz vor 23 Uhr, und er wollte sich für Nancys Gastfreundschaft revanchieren.

Da hatte sie wieder für eine Überraschung gesorgt. »Nein, lieber nicht«, hatte sie geflüstert. »Ich muß dir etwas gestehen.« Sie hatte ihm tief in die Augen gesehen, ihn dann auf die Wange geküßt und mit ihren Lippen sein Ohr berührt. »Den ganzen Abend lang wollte ich schon sagen: ›Nimm mich zu deinem Palast mit.‹«

»Soso, du willst also keine Queen, fühlst dich aber zu ihren Palästen hingezogen, hm?« Doch er hatte sie natürlich mitgenommen, und sie waren schon an jenem ersten Abend miteinander ins Bett gegangen. Edward genoß immer noch die Erinnerung an die Entdeckungen, die er in jener Nacht gemacht hatte. Nancys brauner Rücken und ihre geschwungenen Hüften glichen einem Hügelkamm in der Wüste – vom Wind geglättet. Ihre Schultern, ihr langer schmaler Hals und die sanfte Kerbe ihres Rückgrats hatten sich im Halbdunkel auf und ab bewegt wie ein fremdartiges Tier im Urwald.

Aber sie hatte später noch eine Überraschung für ihn auf Lager gehabt. Nach dieser ersten Verabredung hatte Edward Nancy fast zwei Wochen überhaupt nicht gesehen. Sie war abgereist, da sie gerade zu der Zeit mit ihrer Bestandsaufnahme von Skulpturen in englischen Kirchen begonnen hatte, und hatte weder ihm noch sonstjemandem verraten, wo sie eigentlich steckte. Nach zehn oder elf Tagen hatte sie ihn angerufen, einen gemeinsamen Filmbesuch vorgeschlagen und war dann ebenso gut gelaunt, spontan und respektlos wie bei ihrer ersten Begegnung gewesen. Als Edward sich nach ihrer Studienfahrt erkundigt hatte, war ihre Antwort sehr vage geblieben. Dieses Verhalten wurde zur Gewohnheit. Wenn sie sich trafen, dann war Nancy so liebebedürftig, daß Edward sich schon fragte, ob sie etwa eine trostlose Kindheit hinter sich hatte. In sexueller Hinsicht war sie unersättlicher als alle Frauen, die er bis dahin gekannt hatte. Aber ihre Unberechenbarkeit machte ihm schwer zu schaffen. Natürlich sehnte er sich nach ihr, wenn sie einmal wieder länger unterwegs war, aber ihr unvorhersehbares Kommen und Gehen war er allmählich leid.

Auch daß sie sich ständig am Telefon verfehlten, war typisch für Nancy. Sie kannte Edwards Tageslauf, schien jedoch fast absichtlich nur dann anzurufen, wenn sie wußte, daß er nicht zu Hause war.

Seufzend wählte er die Nummer des Hotels, wo sie augenblicklich logierte, wie er wußte. Aber natürlich war sie zum Essen ausgegangen. Er lächelte. Was machte sie bloß, falls kein McDonald’s in der Nähe war?

Kapitel 2

Donnerstag

Im obersten Stockwerk der National Gallery am Trafalgar Square befindet sich ein Atelier, das den Neid jedes Künstlers erregen würde. Ein gewaltiges Oberlicht überflutet den Raum geradezu mit gleißender Helligkeit. Selbst an einem trüben Tag ist es so, als wäre man hoch über den Wolken.

Dort werden die Kunstschätze der Nation gereinigt, aufgefrischt oder mit neuem Firnis versehen. Um zu diesem Atelier zu gelangen, wo vier bis fünf riesige Staffeleien herumstehen, muß man einen der größten und sicherlich auch langsamsten Aufzüge der ganzen Welt benutzen, was fast schon ein kleines Abenteuer für sich ist. Als die berühmten venezianischen Meister – Bellini, Tizian, Tintoretto und Veronese – Aufträge von den Dogen, Kardinälen und wohlhabenden Handelsherren der »Serenissima« ausführten, sollten damit die prächtigsten und gewaltigsten Paläste Venedigs geschmückt werden. Ihre Gemälde – üppige Bankettszenen für die Refektorien der Klöster oder gewaltige Darstellungen von Schlachten, die in den staatlichen Machtzentren ihren Platz fanden – waren häufig über sechs Meter breit und fast ebenso hoch. Damit sie heutzutage zum Atelier hoch oben in der National Gallery transportiert werden können, muß der Lift groß genug sein, um sie zu fassen, und sanft genug gleiten, damit es beim Start oder Halt keine jähen Bewegungen gab, die kostbare Farbpigmente ablösen könnten.

Edward Andover stand nun unter dem großen Oberlicht und versuchte zu verstehen, was Michael Arran sagte, obwohl Hagelkörner fast ununterbrochen auf das Glas prasselten und jedes andere Geräusch übertönten. Heute hatte es für Edward kein Fahrrad und keinen Telemann oder Jazz von Jack Teagarden über Kopfhörer gegeben. Hastig strich er sich übers zerzauste und feuchte Haar, denn er war etwas unsicher wegen seiner beginnenden Stirnglatze.

»Ich sagte ...«, Arran deutete entnervt zum Oberlicht, um zu erklären, warum er seine Worte noch einmal wiederholte, »... ich sagte, daß Martin schon auf dem Weg hierher ist. Wir werden Sie nicht lange aufhalten.« Arran war ein schmächtiger Mann und wirkte eigentlich immer nervös.

Edward hatte die Zeichnung am vorherigen Nachmittag selbst in die National Gallery gebracht. Falls es sich dabei wirklich um einen Raffael handelte, war er viel zu wertvoll, um ihn einem Boten anzuvertrauen.

Da Edwards Hauptwissensgebiet Barockkunst und Arran auf deutsche und niederländische Malerei spezialisiert war, hatten sie Martin Ramsay, den Kustos der italienischen Gemäldesammlung in der National Gallery, zu Hilfe geholt. Am gestrigen Nachmittag hatte Ramsay die Zeichnung angestarrt, seine Brille abgenommen, sie wieder aufgesetzt, dann über die Stirn hochgeschoben und schließlich geflüstert: »Oh, mein Gott!« Dann hatte er Edward gebeten: »Kann ich die Zeichnung über Nacht behalten? Ich würde gern noch etwas Bestimmtes überprüfen.« Sie hatten vereinbart, sich heute nach dem Lunch hier zu treffen. Ramsay hatte geheimnisvoll angedeutet, das Atelier sei der günstigste Ort »vom Sicherheitsstandpunkt aus betrachtet«.

Als Edward mit dem Lift hinaufgefahren war, hatte er über diese Ausdrucksweise nachgegrübelt. Was, zum Teufel, hatte Ramsay damit gemeint? War das Bild auf irgendeine Weise in Gefahr? Edward wandte sich nun an Arran, um dessen Meinung zu erkunden. Für einen Moment hatte das Trommelfeuer auf dem Oberlicht nachgelassen.

Bevor er seine Frage stellen konnte, öffneten sich jedoch die Aufzugtüren, und Ramsay kam in Begleitung eines Museumswächters herein. Er musterte die drei oder vier Restauratoren, die im Atelier arbeiteten, und sagte dann zu Arran: »Wenn Sie gestatten, Herr Direktor, ich halte es für das beste, daß Sie alle anderen hinausschicken.«

Arran schüttelte den Kopf. »Aber ich bitte Sie, Martin. Was ...«

»Ich meine es ernst.«

Arran gab nach. Er drehte sich um, winkte den Restauratoren zu und scheuchte sie in Richtung Lift. Nur unwillig folgten sie seiner Aufforderung. Sie waren schließlich mitten in der Arbeit und wollten nicht Pinsel und Farbpigmente einfach so herumliegen lassen. Doch endlich war auch der letzte im Aufzug verschwunden, der Wächter schloß von innen die Türen, und der eigenartig geformte Kasten begann seine langsame Fahrt abwärts.

»Hoffentlich haben Sie einen guten Grund ...«

»Den habe ich«, unterbrach ihn Ramsay. »Ich weiß zwar nicht, ob dadurch Doktor Andovers Geheimnis aufgeklärt wird, aber Sie werden staunen, das verspreche ich Ihnen.« Er ging zu einer der Staffeleien und postierte darauf die Zeichnung. Die anderen folgten ihm, und er drehte sich zu ihnen um. »Es ist ein Raffael! Darüber besteht kein Zweifel«, sagte er.

»Sie meinen, es ist ein bekanntes Bild, das in allen Werkverzeichnissen aufgeführt wird?« Arran machte ein erstauntes Gesicht.

»Nicht in allen, Michael.« Ramsay zeigte ihnen einen Vermerk auf der Rückseite der Zeichnung. »Schauen Sie sich das an: ›1774E‹. Ich war mir schon gestern ziemlich sicher, aber inzwischen fand ich die Bestätigung. Es handelt sich um eine Ankaufnummer – und zwar für die Uffizien in Florenz.«

Edward schnappte nach Luft. »Die Zeichnung stammt aus den Uffizien ...? Sie meinen, daß sie gestohlen ist?«

Ramsays Augen blitzten. »Ja, sie wurde tatsächlich gestohlen. Aber es handelt sich dabei um einen ganz speziellen Diebstahl.« Der Hagel prasselte mit neuer Wucht auf das Glasfenster über ihnen. »Diese Zeichnung wurde nicht etwa letzte Woche oder letzten Monat oder letztes Jahr gestohlen, und deshalb wollte ich auch nicht, daß es irgend jemand außer uns hört. Jedenfalls im Moment noch nicht. Es könnte Ihre Majestät in Verlegenheit bringen.«

Die anderen schauten ihn stumm an, fragend. Die Glasscheiben über ihnen drohten unter der erneuten Attacke des Hagels zu zerbersten.

»Dies ist Raffaels berühmte Zeichnung ›Die Madonna mit dem Schleier‹. Nun aber kommt’s! Sie wurde Anfang der vierziger Jahre in Florenz erbeutet, und zwar von den Nazis.«

»Hallo! Ich bin immer noch in Yorkshire. Heute habe ich mir die Statue des Erzbischofs Tillotson von Joseph Wilton angeschaut, woran du sehen kannst, daß es zügig weitergeht. Ach, übrigens, Yorkshirepudding ist nicht so schlecht, eindeutig besser als Kedgeree. Dabei wollte ich eigentlich gar nicht übers Essen reden, Woodie. Worüber möchte ich denn reden? Du hast recht ... Ruf mich an. Bis bald.«

Edward schmunzelte, als er das Gerät abschaltete. Nancy war die beste Telefoniererin, die er kannte. Sehr sexy. Nun folgte seine übliche Routine. Er schenkte sich ein Glas Whisky ein, bewunderte die schöne arabische Kalligraphie, die neben seinem Bücherregal hing, und wählte die Nummer, die Nancy hinterlassen hatte.

»Du rettest mir das Leben!« rief sie erleichtert, als sie Edwards Stimme vernahm. »Ich wollte gerade meine dritte Tafel Schokolade essen. Mein Gott, ist das hier abends immer langweilig! In Kalifornien könnte ich wenigstens am Strand spazierengehen. Falls ich hier in Yorkshire am Strand spazierenginge, würde meine Spucke gefrieren.«

»Du trägst schon wieder mal zu dick auf.«

»Ich fühle mich auch dick. Schließlich verdrückte ich zwei riesige Tafeln Schokolade.«

»Ich dachte, du fühlst dich ... bei deinem Anruf sagtest du, du möchtest reden über ...«

»Das ist ja Stunden her, Woodie. Ich habe mich mit Schokolade getröstet.« Sie lachte. »Aber ich freue mich, deine Stimme zu hören. Was tut sich am Hof von St. James’s?«

»Erstaunlich viel, wenn du schon fragst.« Er berichtete ihr, was am Nachmittag in der National Gallery geschehen war.

»Ah, das ist mal ein richtiges Geheimnis. Warum wohl ›Apollo-Brigade‹? Was meinst du?«

»Keine Ahnung. Apollo war der griechische Gott der Künste, aber das weißt du ja selbst. Und Brigade ... das klingt militärisch.«

»Vielleicht hat es etwas mit den Nazis zu tun. Vielleicht ist das ein Verbindungsglied.«

»Vielleicht, vielleicht, vielleicht.«

»Was wirst du tun?«

»Ich werde die Sache weiterleiten. Als Verwalter der Königlichen Gemäldesammlung gehöre ich zur Abteilung des Lord Chamberlain. Er war heute nicht im Hause, aber ich bin morgen mit ihm verabredet. Apropos Verabredung ..., wann sehe ich dich wieder?«

»Die Zugfahrt dauert ungefähr drei Stunden.«

»Ich könnte morgen abend bei dir sein.«

»Klingt besser als Schokolade. Aber möchtest du auch wirklich kommen? Ich habe ein winziges Zimmer mit einem winzigen Bett ...«

»Miete etwas Größeres.«

»Ist das ein Befehl?«

»Warum sollen wir es nicht bequem haben?«

»Es ist nicht sehr elegant hier.«

»Wunderbar.«

»Und es ist viel kälter als in London.«

»Willst du mich vergraulen?«

Eine kleine Pause. Dann sagte Nancy leise: »Nein, Woodie, aber nein. Ich versuche nicht, dich zu vergraulen. Im Gegenteil! Ich wünschte, du wärst schon hier.«

Kapitel 3

Freitag

Zu Edwards Erstaunen hatte der Lord Chamberlain, sobald er erfahren hatte, worum es sich handelte, ihn an eine noch höhere Instanz verwiesen: »Das fällt in Mordaunts Ressort, glaube ich.« Edward war sogar mehr als überrascht. Francis Mordaunt war Oberstallmeister der Königin, das heißt ihr Privatsekretär. In dieser Funktion war er der mächtigste Mann im Buckingham Palace. Nichts Wichtiges geschah ohne seine Anordnung, und nichts konnte ohne sein Wissen geschehen. Er war der einzige, der Ihre Majestät täglich sah, und somit ungefähr sechzig Tage pro Jahr häufiger als der Herzog von Edinburgh.

Mordaunt konnte Edward nicht gleich empfangen, da er im Ausland war. Die Queen plante einen Staatsbesuch in Berlin, und er überprüfte dort alle Vorbereitungen. Am Abend wurde er allerdings zurückerwartet. Edward erlebte eine weitere und diesmal sehr unangenehme Überraschung, als er am Nachmittag von einer der drei Sekretärinnen des Oberstallmeisters angerufen und angewiesen wurde, gleich am nächsten Morgen um 10 Uhr bei Mordaunt im Buckingham Palace zu erscheinen.

»Am Samstag?« fragte Edward verblüfft. Eine Verabredung am Wochenende wurde am Königshof äußerst selten getroffen.

»Sir Francis besteht darauf. Er möchte Sie unbedingt sprechen.«

Edward fluchte vor sich hin. Sein spontaner Entschluß, das Wochenende mit Nancy in Yorkshire zu verbringen, war damit zunichte gemacht.

»Aber ich sehe keine Möglichkeit, wie ich mich davor drücken kann«, sagte er schlechtgelaunt zu Nancy am Telefon. »Hillier liegt noch im Krankenhaus, und ich weiß, daß Mordaunt viel von einem Hauptfeldwebel hat.«

»Wenn deine Verabredung um 10 Uhr ist, könntest du hinterher doch immer noch herkommen. Dann hätten wir wenigstens eine Nacht für uns.«

Edward freute sich über Nancys Reaktion und versprach, sie wieder anzurufen, sobald sein Gespräch mit Mordaunt vorbei war. Da er den Abend nun entgegen seiner ursprünglichen Planung in London verbringen mußte, beendete er seinen Vortrag für den Louvre, so daß er noch vor seiner Verabredung im Buckingham Palace in seinem eigenen Büro Fotokopien des Manuskripts anfertigen konnte. Er wollte seinen Vortrag einem oder zwei Kollegen zum Lesen geben, bevor er ihn in Frankreich hielt.

Als er im St. James’s Palace eintraf, um den Fotokopierer zu benutzen, entdeckte er, daß wieder ein Paket auf ihn wartete. Ein zweites Bild war mit der Post geschickt worden.

Kapitel 4

Samstag

Edward war nur einmal zuvor in der Privatwohnung des Oberstallmeisters im Buckingham Palace gewesen, und zwar kurz nachdem man ihn zum Verwalter ernannt hatte. Damals war er zu einem Glas Sherry geladen worden.

Am Seiteneingang zum Palast in Buckingham Gate wurde er von einer Frau in mittleren Jahren eine lange Treppe hinaufgeführt. Sie trug ein Kostüm aus leichtem Wollstoff, denn im Palast wollte man nämlich soweit wie möglich auf Uniformen verzichten. Die von einem Oberlicht erhellte Treppe mündete in einen weitläufigen Korridor, der zum offiziellen Treppenhaus führte. An einer Seite des Treppenhauses befand sich der prächtige Balkon mit Blick auf die Mall, wo sich die Königsfamilie nach Krönungen, Hochzeiten oder bei Paraden versammelte. Auf der anderen Seite des Treppenhauses gelangte man zu einem kleineren Balkon und dann zu einem schmalen Korridor, der Edward entfernt ans Parlament erinnerte, im Gegensatz dazu jedoch nicht auf künstliche Beleuchtung angewiesen war. Einige Sofas – blauer Satin mit vergoldetem Gestell – säumten die eine Seite des Korridors, während eine ganze Reihe getäfelter Türen von der anderen Seite abgingen. Der dicke, flauschige Teppich war tiefblau – an den Wänden hingen englische Porträts aus dem 18. Jahrhundert. Sie gefielen Edward recht gut, auch wenn sie nach Museumsmaßstäben nur zweitklassig waren. Die Royal Collection war wirklich sehr umfangreich.

Im letzten Drittel des Korridors stand eine Tür offen. Edward wurde hindurchgeführt. Das Büro, wo werktags Sekretärinnen emsig tätig waren, lag nun verlassen da. Durch eine zweite, ebenfalls offene Tür konnte Edward Francis Mordaunt sehen, der auf einem Sofa saß und Zeitung las.

»Hier herein!« rief Mordaunt, faltete die Zeitung zusammen und sprang auf. Er bedankte sich bei der Frau, die wieder auf den Korridor hinaustrat, und schloß hinter ihr die Tür. Erst dann ergriff er Edwards Hand und führte ihn zum Sofa. »Kaffee gibt’s leider nicht am Samstag. Mineralwasser?«

»Nein, danke.«

Der helle, lichte Raum hatte ein rundes Erkerfenster mit Blick auf die Gärten, den Teich und die obere Hälfte des »Hilton Hotels«. Hauptschmuck waren unzählige Fotografien. Francis Mordaunt – pardon, Sir Francis natürlich, aber heutzutage gibt es im Palast ebenso viele von der Königin Geadelte, wie es in früheren interessanteren Zeiten königliche Mätressen gab – stammte aus einer guten Westcountry-Familie mit vielen Tanten und Onkeln, Nichten und Neffen, Patenkindern und Schoßtieren, die alle irgendwie und irgendwo in diesem Zimmer abgebildet waren. Ansonsten war es perfekt aufgeräumt. Hier gab es keine Zeitungshaufen, die sich wie Wolkenkratzer in Hongkong hochtürmten. Aber schließlich hatte Mordaunt ja auch drei Sekretärinnen.

Sie setzten sich nebeneinander auf das Sofa. Der fast schmächtig zu nennende Mordaunt war heute ausnahmsweise fast lässig gekleidet. Er trug einen Blazer, ein weißes Hemd ohne Krawatte, blaßgraue Flanellhosen und braune handgearbeitete Slipper. Der dunkle Blazer ließ ihn nicht nur schmächtig, sondern auch extrem blaß erscheinen. Bei der ersten Begegnung konnte man sich versucht fühlen, den Oberstallmeister für einen unbedeutenden Mann zu halten.

Edward wußte genau, daß dies nicht stimmte. Mordaunts graue Augen konnten eisig blicken, falls sich jemand mit ihm anlegte. Sein Durchhaltevermögen war legendär, und seine frühere Ausbildung als Diplomat befähigte ihn dazu, ein Problem gleichzeitig von allen Gesichtspunkten aus zu betrachten – und das normalerweise rascher als jeder andere. Er war nun schon seit fast zwei Jahrzehnten Privatsekretär der Queen.

Mordaunt begann, seine Brille mit einem Taschentuch zu polieren. »Man berichtete mir, daß Ihnen anonym ein Bild geschickt wurde, das möglicherweise von den Nazis im Zweiten Weltkrieg gestohlen wurde.«

»Heute morgen kam ein zweites.«

Das Polieren hörte auf, wenn auch nur für einen Moment.

»Erzählen Sie mir alles, und zwar von Anfang an.«

Edward schilderte das bisherige Geschehen und schloß mit dem Eintreffen des zweiten Paketes an diesem Morgen. »Es war in das gleiche Papier verpackt wie das erste und trug dieselbe Handschrift. Dieses zweite Bild sieht für mich aus wie ein Canaletto. Eine Ansicht von Venedig ... Kanäle, Palazzi, kurzum die übliche Mischung.«

»Ebenfalls Nazi-Beute?«

Edward schüttelte den Kopf. »Das wüßte ich auch gern. Aber ich hatte noch keine Zeit, es zu überprüfen.«

»Lag ein Schreiben bei?«

»Ja, ich habe es hier.« Er griff in sein Jackett, zog einen Umschlag heraus und reichte ihn Mordaunt. Wie zuvor stand Edwards Name in Maschinenschrift auf dem Kuvert, und wie zuvor waren es nur zwei Zeilen Text:

Hiermit müßte unsere Glaubwürdigkeit eigentlich bewiesen sein. Wie Sie sehen, wurden sie nicht zerstört. Die »Apollo-Brigade«.

»Wenn Sie erlauben, möchte ich dies behalten«, sagte Mordaunt, faltete das Papier, schob es in das Kuvert zurück und verstaute es in seiner Blazertasche.

Edward hielt es für sinnlos, ihm zu widersprechen. »Haben Sie eine Idee, worum es hier überhaupt geht? Oder was diese ›Apollo-Brigade‹ ist?«

Statt zu antworten, stellte Mordaunt nun selbst eine Frage. »Wie viele Leute wissen schon davon? Sie, der Lord Chamberlain, Arran von der National Gallery, dieser Ramsay. Ihre Sekretärin ...?«

Edward schüttelte den Kopf. »Sie hat zwar den Raffael gesehen, ahnt aber nichts von dessen Bedeutung.« Er fixierte den Oberstallmeister. »Was das betrifft, so bin ich selbst übrigens auch nicht schlauer.«

Mordaunt biß bei diesem Köder nicht an. »Wann können Sie herausfinden, ob dieses zweite Bild ebenfalls Nazi-Beute ist?«

»Sobald ich Martin Ramsay erreiche. Er besitzt ein Buch, genaugenommen ein Dossier, das von Italien und Deutschland in den siebziger Jahren herausgegeben wurde. Darin sind alle bedeutenden Kunstwerke aufgelistet, die nach übereinstimmender Meinung beider Regierungen im Krieg erbeutet wurden und immer noch verschwunden sind.«

»Können Sie das übers Wochenende klären?«

»Ich kann es versuchen, falls es so wichtig ist.«

»Ja, es ist so wichtig!« sagte Mordaunt scharf.

»Ich habe Arrans private Telefonnummer, und er kann mir sicher Ramsays geben. Meinen Sie nicht, Sir Francis, daß dies eine Angelegenheit für Scotland Yard ist ...?«

»Sie haben doch noch niemanden eingeschaltet, oder?« erkundigte sich Mordaunt erschrocken.

»Nein, bisher noch nicht.«

»Gott sei Dank! Dies ist eine interne Angelegenheit des Palastes, Edward, und muß es auch bleiben, zumindest vorläufig. Sie dürfen niemandem erzählen, was Sie mir eben erzählt haben. Niemandem! Wenn Sie diesen ... Ramsay anrufen, dann erwähnen Sie nicht mal das zweite Bild. Denken Sie sich irgendeine Erklärung aus, die vielleicht etwas mit dem ersten Bild zu tun hat. Versuchen Sie, ihm das Dossier abzuluchsen, ohne weitere Informationen zu geben. Überlassen Sie alles übrige mir. Ich werde fürs erste mal annehmen, daß auch dieses zweite Bild im Krieg erbeutet wurde. Aber sobald Sie herausfinden, daß es tatsächlich so ist, müssen Sie es mich wissen lassen. Wie sehen Ihre Pläne fürs Wochenende aus?«

Edward zögerte. Mordaunts heftige Reaktion auf seine Bemerkung über Scotland Yard irritierte ihn. Bisher hatte sich noch keine Gelegenheit geboten zuzugeben, daß er auch Nancy in die Bilderaffäre eingeweiht hatte, und nun konnte er sich nicht mehr dazu aufraffen. »Ich fahre nach Yorkshire, um Freunde zu besuchen. Eigentlich wollte ich schon letzte Nacht los.«

Mordaunt biß sich auf die Unterlippe. »Nein, ganz ausgeschlossen! Ramsay muß für Sie an erster Stelle kommen!«

Edward wollte schon protestieren, doch Mordaunt schnitt ihm das Wort ab. »Sehr bedauerlich, aber auch ich muß meine Pläne über Bord werfen. Wenn Sie Ramsay rasch kontaktieren können, um so besser. Dann können Sie Ihr Wochenende genießen. Aber was auch geschieht, ich lege großen Wert darauf, daß Sie am Montag früh um 9 Uhr in Ihrem Büro sind. Für alle Fälle.«

»Für alle Fälle, Sir Francis? Ich begreife überhaupt nichts mehr.«

Mordaunt stand auf und ging zum Fenster hinüber. »Sie brauchen auch noch nichts zu begreifen, Edward. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Es tut mir leid, aber Sie müssen eben mein Wort dafür nehmen, daß dies eine Palastangelegenheit ist, und zwar eine äußerst prekäre.« Er blieb noch einen Moment stehen und schaute auf den Garten hinunter. Aus der Ferne wurde der jaulende Sirenenton eines Rettungswagens herübergetragen.

Mordaunt schüttelte seine nachdenkliche Stimmung ab und wandte sich zu Edward um. »So, nun machen Sie sich auf die Suche nach diesem Ramsay.« Als Edward sich erhob, fügte er hinzu: »Und vergessen Sie nicht, die zwei Bilder an einem sicheren Ort aufzubewahren. Wir wollen sie schließlich nicht verlieren. Finden Sie allein Ihren Weg nach Bukkingham Gate zurück?«

Edward nickte und machte zum Abschied eine matte Handbewegung. Mordaunt saß inzwischen schon an seinem Schreibtisch, den Blazer aufgeknöpft, die Hand am Telefon. »Schließen Sie doch bitte die Tür hinter sich.«

Edward zog die Tür sachte ins Schloß. Zu den vielen kleinen Dingen, die er inzwischen im Buckingham Palace schätzte, der von außen nicht gerade sein Lieblingsgebäude war, zählten auch die schweren Türen, die so perfekt eingepaßt waren, daß sie sich mühelos und fast lautlos zuziehen ließen.

Bevor sich die Tür ganz schloß, hörte Edward noch die Stimme des Oberstallmeisters, der bereits telefonierte. »Ist dort Windsor Castle? Hier ist Francis Mordaunt. Ich möchte mit Ihrer Majestät verbunden werden. Sie müssen sie finden, wo immer sie auch steckt. Sagen Sie ihr, daß ich es bin und daß es sich um eine sehr dringende Angelegenheit handelt.«

Kapitel 5

Sonntag

Als Edward Ramsay endlich am Sonntag erreichte, war er verständlicherweise miesester Stimmung. Durch Mordaunts Bitte, genauer gesagt Befehl, war sein Wochenende ruiniert worden. Wie sich herausstellte, hatte Ramsay ausgerechnet in Yorkshire den ganzen Samstag verbracht. Da hatte ihn Edward natürlich nicht aufspüren können und folglich in London bleiben müssen.

Nancy war überraschend verständnisvoll gewesen, als er sie anrief und ihr die schlechte Nachricht mitteilte. »Vergiß nicht, daß ich ein lausiger Yankee bin«, hatte sie lachend gesagt. »Für uns kommt die Arbeit immer an erster Stelle. Aber dieser Mordaunt benimmt sich ja wie eine königliche Majestät.«

»Und warum, zum Teufel, klärt er mich nicht auf?« Edward war außer sich gewesen. »Was soll diese ganze Geheimniskrämerei um die Bilder?«

»Ich bin übrigens kein großer Canaletto-Fan. Und wie steht’s mit dir, Woodie?« hatte sich Nancy erkundigt. »Seine Menschen sind nur Schablonen.«

»Sie wecken keine Anteilnahme, da gebe ich dir recht. Aber häng einen Canaletto ins Zimmer, eine Ansicht von Venedig oder von der Themse, und auf einmal entsteht da ein verblüffender Eindruck von Weite.« Edward seufzte. »Es war clever von dir, mich auf das Thema Kunst zu bringen. Schon bin ich nicht mehr ganz so wütend.«

»Ruf mich morgen an«, hatte sich Nancy liebevoll verabschiedet. »Nachdem du diesen Ramsay aufgetrieben hast. Telefonieren ist immer noch besser als nichts.«

Kaum hatte er den Hörer aufgelegt, da hatte das Telefon schon wieder geläutet. Vielleicht endlich Ramsay?

»Kannst du mich verstehen, Edward?«

»Ja, Dad. Sogar gut. Wo steckst du denn?«

»Overbister.«

»Over wo?«

Sein Vater hatte gelacht. »Das liegt auf den Orkney-Inseln. Dort kann man seltene Vögel beobachten. Wir wohnen bei Roddy Dunne und Marjorie, an die du dich noch erinnerst, oder? Er ist die Nummer zwei im RAF-Fliegerhorst hier in Sanday. Aber wir werden am Mittwoch in London sein, da ich einen Ferrari GTO angeboten bekam, den du dir vielleicht auch ansehen möchtest.«

Die Liebe zu Autos war so ungefähr das einzige, was Edward und sein Vater gemeinsam hatten.

»Welches Baujahr?«

«1962.«

»Großer Gott!« Edward wußte auch ohne Erklärung, daß die 1962er GTOs so selten wie Orkney-Vögel waren und weit kostspieliger.

»Coxwold Cars, Eaton Mews West. Mittwoch um 12 Uhr. Wir könnten hinterher zusammen essen.«

»Da bin ich leider in Paris, Dad. Eine Konferenz im Louvre.«

»Verdammt! Und wir fliegen am nächsten Morgen nach Kalifornien zurück.«

»Oh, das ist schade.«

»Ja, das finde ich auch.« Damit war ihr Telefonat beendet gewesen.

Edward hatte geseufzt. Sein Vater glaubte, daß er Barbara nicht leiden konnte. Das stimmte nicht, aber es stimmte, daß sein Vater sich verändert hatte, seit er Barbara kannte. Er versuchte, sich betont jugendlich zu geben, was Edward ausgesprochen peinlich war. Vielleicht hielt er die Sache mit der Konferenz in Paris sogar für eine Lüge. Nun, daran war nichts mehr zu ändern. Edward hatte versucht, sich in bessere Laune zu bringen, indem er die Karten für den Ausflug mit Sammy zur Albert Hall bestellte. Und zwar vier Karten. Nancy hatte sicher Lust, auch mitzukommen.

Ramsay nahm am Sonntag kurz vor Mittag endlich das Telefon ab, konnte Edward aber erst am frühen Nachmittag in seinem Büro in der National Gallery treffen. Wie von Mordaunt instruiert, erwähnte Edward den Canaletto überhaupt nicht, sondern behauptete einfach, daß Mitglieder des königlichen Hofstaats sich mit eigenen Augen davon überzeugen wollten, daß der Raffael tatsächlich auf der Liste der von Nazis erbeuteten Bilder stand, bevor entschieden wurde, was zu tun sei.

»Was passiert mit der Zeichnung, Edward?« erkundigte sich Ramsay.

Edward zuckte die Achseln und erwiderte so beiläufig wie möglich: »Natürlich wird sie irgendwann zurückgegeben. Ich nehme an, auf diplomatischem Weg. Bitte behalten Sie vorläufig alles für sich, seien Sie so gut. Nachforschungen müssen angestellt werden, und der Palast möchte selbst damit an die Öffentlichkeit treten, falls erforderlich. Sie möchten uns doch nicht in Verlegenheit bringen, oder?«

»Natürlich nicht. Keine Sorge. Schließlich ist der Palast ja einer unserer Hauptleihgeber. Aber ich wüßte zu gern, was hinter alledem steckt.«

»Sie werden es erfahren, sobald ich mehr weiß. Das verspreche ich Ihnen.«

Ramsay übergab Edward das Dossier über erbeutete Bilder, und er verstaute es in dem Drahtkorb am Lenker seines Fahrrads.

Er fuhr die Pall Mall hinunter, doch sobald er außer Sichtweite von Ramsay und der National Gallery war, bremste er am Straßenrand vor dem »Reform Club« und öffnete das Dossier. Auf Seite 83 sprang ihm eine Ansicht von Venedig förmlich in die Augen. Sie war 1940 aus Parma entwendet worden und stammte von Antonio Canale, besser bekannt als Canaletto.

Noch am selben Nachmittag ließ er sich telefonisch mit Mordaunt in Windsor verbinden und übermittelte die Neuigkeiten. Der Oberstallmeister bedankte sich und verpflichtete ihn noch einmal zu absolutem Stillschweigen. Danach rief Edward Nancy an.

Sie war nicht im Hotel, rief ihn aber am Abend zurück. Als sie sich erkundigte, was inzwischen passiert war, wußte Edward nicht so recht, wie er sich aus der Affäre ziehen sollte. »Mordaunt hämmert mir immer wieder ein, daß ich nichts weitererzählen darf. Am besten vergißt du alles, was ich dir bisher sagte.«

»Ich habe sowieso keine Lust, über all das zu reden. Rate mal, was ich heute getan habe.«

»Du hast dich doch nicht schon wieder über Schokolade hergemacht?«

»Das geht dich verdammt wenig an, mein Lieber. Nein, ich schaute mir die Kollektion von Totenmasken in Milton Rudby an.«

»Gruselig.«

»Nein, überhaupt nicht! Faszinierend! Wir sollten diese Praxis wiederaufleben lassen, denn sie sind viel wirklichkeitsgetreuer, viel echter als Porträts.«

»Ich hätte gerne ein Porträt von dir, Nancy. Ich vergesse nämlich langsam, wie du aussiehst. Wann kommst du zurück?«

»Ich bleibe wohl noch eine Woche hier, aber vielleicht können wir am nächsten Wochenende nachholen, was wir diesmal nicht schafften.«

»Ja. Hoffentlich tauchen keine weiteren Bilder mehr auf.«

»Was für Bilder? Siehst du – ich hab’s schon vergessen. Bis bald.«

Zweite WocheDie »Apollo-Brigade«

Kapitel 6

Montag

Edward saß, wie angeordnet, um 9 Uhr an seinem Schreibtisch. Das Wochenende war ein Reinfall gewesen, aber immerhin blieb ihm die Vorfreude auf Paris. Er hatte sogar schon für ein Abendessen im »L’Ambroisie« an der Place des Vosges einen Tisch reserviert, wo es die besten Ravioli der ganzen Welt gab, Italien nicht ausgenommen. Geraume Zeit verbrachte er damit, seinen Vortrag mit Kollegen durchzusprechen. Jedesmal, wenn das Telefon klingelte, erwartete er, daß Mordaunt anrief, aber selbst als er zum Lunch ging, hatte sich der Oberstallmeister noch nicht gemeldet.

Edward speiste mit Thierry Dinant, einem hervorragenden belgischen Gelehrten vom Königlichen Museum in Brüssel. Als Dinant eine Woche zuvor angerufen hatte, um Hillier zu sprechen, und bei dieser Gelegenheit erfahren hatte, daß der Direktor der Royal Collection im Krankenhaus lag, hatte er statt dessen Edward ins »Overton’s« eingeladen.

Edward kam kurz nach 13 Uhr in das Restaurant, das auch zu seinen Lieblingslokalen zählte. Der Belgier war hochgewachsen und wirkte recht streng, was durch seine dicken Brillengläser noch verstärkt wurde. Er saß bereits am Tisch und begrüßte Edward aufs liebenswürdigste in perfektem Englisch.

»Montag ist nicht gerade ideal für Fisch, wie ja jeder weiß. Aber ich kann hier nie widerstehen, Fisch zu bestellen. Ich hoffe, das stört Sie nicht.«

Edward schüttelte lächelnd den Kopf. »Sie scheinen hier mehr Stammgast zu sein als ich, und dabei liegt mein Büro genau gegenüber.«

»Ich bin in letzter Zeit viel gereist, das stimmt, und natürlich auch nach England. Ich werde Ihnen gleich erzählen, warum ... Aber vielleicht geben wir lieber erst unsere Bestellung auf.«

Dinant winkte den Ober herbei und war eine Weile ganz damit beschäftigt, die Speisenfolge zu besprechen. Edward war amüsiert darüber, mit welcher Ernsthaftigkeit er dies betrieb. Als Dinant fertig war, lehnte er sich bequemer auf der gepolsterten Bank zurück und schaute Edward fragend an.

»Wie ist Hilliers Befinden?«

»Das kann man noch nicht sagen. Er wurde wegen eines Bandscheibenvorfalls operiert, eine sehr heikle Angelegenheit. Manche Leute erholen sich rasch und vollständig, andere wieder nicht. In seinem Fall ist es noch zu früh, um dies zu beurteilen.«

»Dann weihe ich eben Sie in alles ein.«

»Was in aller Welt meinen Sie denn damit?«

»Ich erwähnte vorhin, daß ich erklären würde, warum ich so viel herumgereist bin. In den letzten drei Jahren hatte ich neben meiner Arbeit am Königlichen Museum von Brüssel auch noch die Leitung des sogenannten Rubens-Forschungsprojekts. Wie Sie wissen, produzierte Rubens ungeheuer viel und hatte ein großes Atelier mit mehreren Mitarbeitern. Gegen Ende seines Lebens bekam er Gicht. Diese Tatsachen zusammengenommen ergeben, daß es einwandfrei gewisse Gemälde gibt, die ihm zugeschrieben wurden, aber nicht von ihm sind. Es ist Aufgabe des Rubens-Forschungsprojekts, die Spreu vom Weizen zu trennen.«

Dinant hielt inne, um mit Kennermiene den Wein zu probieren, den der Ober brachte.

»Während der vergangenen Monate habe ich angebliche Rubensgemälde in – oh, Madrid, Mailand, Melbourne und Moskau inspiziert. Angenehme Arbeit, aber recht anstrengend. Auch die Bilder aus Ihrer Royal Collection sah ich mir natürlich an.«

Edward warf ihm einen erstaunten Blick zu. Das mußte mit Hillier verabredet worden sein, denn Edward hörte zum ersten Mal davon. Was würde er weiter zu hören bekommen?

Dinant hatte sich im Eifer des Gesprächs nach vorn gebeugt, lehnte sich nun aber wieder zurück, als sein Fischgericht serviert wurde. Er preßte eine Zitronenscheibe darüber aus.

»Sie – oder besser gesagt Ihre Majestät – hat ein Bild mit dem Titel ›Die drei Marien am Grab‹. Leider muß ich Ihnen nun eröffnen, daß meine Kollegen und ich nicht glauben, daß es vom Meister selbst stammt.« Er zerlegte geschickt seinen Fisch.

Noch bevor Dinant es aussprach, hatte Edward schon vermutet, was er zu hören bekommen würde. Er stocherte mit der Gabel in seinem Essen herum. Was sollte er erwidern?

Dinant ergriff wieder das Wort. »Ich teile Ihnen dies aus reiner Gefälligkeit mit. Unser Bericht wird erst im nächsten Jahr veröffentlicht werden, aber vielleicht möchten Sie Ihre Majestät im voraus warnen und möglicherweise Ihre eigene Beurteilung abändern, um zu verhindern, daß irgendwelche Boulevardzeitungen eine Riesenaffäre daraus machen, daß ein Rubens in der Royal Collection eine Fälschung ist.«