Die sixtinische Auktion - Peter Watson - E-Book
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Die sixtinische Auktion E-Book

Peter Watson

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Beschreibung

Die spektakulärste Versteigerung der Welt: Der fesselnde Vatikan-Thriller »Die sixtinische Auktion« von Peter Watson jetzt als eBook bei dotbooks. Wenn Machthunger, Geldgier und Niedertracht aufeinandertreffen … David Colwyn leitet eines der berühmtesten Auktionshäuser Londons und hat es mit seinen großen Coups zu internationaler Anerkennung gebracht. Doch nichts davon kann ihn auf das vorbereiten, was dann passiert: Er wird zu einer Geheimaudienz nach Rom beordert – wo der Papst ihm unterbreitet, dass er die legendären Kunstschätze des Vatikans versteigern lassen will, um den Armen zu helfen! Zunächst ist Colwyn begeistert, als Organisator der größten Kunstauktion aller Zeiten in die Geschichte einzugehen. Aber der Papst hat noch weitaus größere Pläne – und einen gewissenlosen Gegner, der vor nichts zurückschreckt. Bald schon ist Colwyn in einem Netz aus Geheimnissen, Intrigen und Brutalität gefangen, aus dem es kein Entkommen zu geben scheint … Er erzählt in seinen Krimis aus erster Hand – der renommierte Kunstkenner Peter Watson hat selbst schon bei der Aufklärung spektakulärer Kriminalfälle mitgewirkt: »Non-stop Action, die eine unglaubliche Anziehungskraft besitzt!« Publishers Weekly Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der mitreißende Kunst-Krimi »Die sixtinische Auktion« von Bestsellerautor Peter Watson wird alle Fans von Dan Brown und Robert Harris begeistern! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Wenn Machthunger, Geldgier und Niedertracht aufeinandertreffen … David Colwyn leitet eines der berühmtesten Auktionshäuser Londons und hat es mit seinen großen Coups zu internationaler Anerkennung gebracht. Doch nichts davon kann ihn auf das vorbereiten, was dann passiert: Er wird zu einer Geheimaudienz nach Rom beordert – wo der Papst ihm unterbreitet, dass er die legendären Kunstschätze des Vatikans versteigern lassen will, um den Armen zu helfen! Zunächst ist Colwyn begeistert, als Organisator der größten Kunstauktion aller Zeiten in die Geschichte einzugehen. Aber der Papst hat noch weitaus größere Pläne – und einen gewissenlosen Gegner, der vor nichts zurückschreckt. Bald schon ist Colwyn in einem Netz aus Geheimnissen, Intrigen und Brutalität gefangen, aus dem es kein Entkommen zu geben scheint …

Er erzählt in seinen Krimis aus erster Hand – der renommierte Kunstkenner Peter Watson hat selbst schon bei der Aufklärung spektakulärer Kriminalfälle mitgewirkt: »Non-stop Action, die eine unglaubliche Anziehungskraft besitzt!« Publishers Weekly

Über den Autor:

Peter Watson, geboren 1943 in Birmingham, ist der Autor zahlreicher internationaler Bestseller. Er studierte Psychologie und Musik in Durham, London und Rom und war anschließend als Journalist für angesehene Zeitungen wie die »Times« und den »Observer« tätig. Er gilt als einer der besten Kunstspezialisten der Welt und konnte zur Aufklärung zahlreicher Kunstdiebstähle und Fälschungen beitragen.

Bei dotbooks veröffentlichte Peter Watson die Romane »Das Gemälde des Todes«, »Der letzte Verräter« und »Die ehrenwerte Familie«.

Die Website des Autors: www.peterwatsonauthor.com

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eBook-Neuausgabe Februar 2022

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1987 unter dem Originaltitel »Crusade« bei Hutchinson, London.

Copyright © der englischen Originalausgabe 1987 by Peter Watson

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1988 Econ Verlag GmbH, Düsseldorf

Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Stefan Hilden, hildendesign.de unter Verwendung von © Shutterstock.com, Songquan Deng

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)

ISBN 978-3-98690-287-2

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Peter Watson

Die sixtinische Auktion

Roman

Aus dem Englischen von Monika Hahn-Prölss

dotbooks.

Prolog

Benedetto schaute verwundert seine Tasse an. Was war denn los? Seit mindestens acht Jahren trank er nun schon jeden Sonntagmorgen seinen Kaffee in Enzos Bar und wartete dort auf seinen Sohn, der bei der Frühmesse im Kirchenchor sang. Wenn der Junge dann kam, bestellte er noch eine Tasse, bevor sie zum Frühstück nach Hause gingen.

Es bestand kein Grund zur Eile, da Pasqualina, seine Frau, die beiden gern aus dem Haus hatte, damit sie wenigstens einmal in der Woche ausschlafen konnte. Enzos Kaffee war hervorragend, der beste von ganz Foligno. Auch heute hatte der erste Schluck gut geschmeckt. Doch nun zeichneten sich auf der dicken Flüssigkeit Ringe ab, als ob der Kaffee von unten geschüttelt würde. Seltsam. Benedetto spürte nichts. Doch im nächsten Moment – laut Zeitung vom darauffolgenden Tag genau um 8.19 Uhr – veränderte sich alles. Die schwarz-weißen Marmorfliesen unter seinen Füßen begannen zu vibrieren, Tassen und Aschenbecher klirrten, und dann stürzte ein ganzes Bord mit Gläsern auf den Boden.

Benedetto hörte das Zersplittern aber gar nicht, da gerade in kaum fünfzig Meter Entfernung jenseits der Piazza ein gewaltiges blaugolden leuchtendes Mauerstück aufs Pflaster krachte, dabei den Zeitungskiosk zertrümmerte und faustgroße Steinbrocken in alle Himmelsrichtungen wegspritzen ließ. Er erkannte das Blau und das Gold: Hoch oben an der Kirchenfassade befand sich ein berühmtes Mosaik, auf dem Christus und ein Papst als Stifter dargestellt waren.

Benedetto duckte sich mit Enzo und zwei anderen Männern hinter die Bar. Keiner von ihnen hatte bisher ein Erdbeben erlebt, doch als Italiener wußten sie, was geschah.

Das gräßliche Geräusch herunterpolternder Mauerbrocken hielt mehrere Minuten an. Dann sahen Benedetto und Enzo die Verwüstung, die das Erdbeben angerichtet hatte: Ein Torbogen, der die Kathedrale mit dem Palazzo Trinci verband, war verschwunden; auch die Nordmauer der Kathedrale, eine wunderbare Kombination aus rosa und weißem Marmor, über achthundert Jahre alt, existierte nicht mehr. Die gewaltige Fensterrosette war anscheinend ins Kircheninnere gefallen und hatte einen Teil des Dachs mitgerissen.

Benedetto mußte mitansehen, wie nun zwei der hohen Säulen des Palazzo Trinci, rot wie Blutorangen, einknickten und umfielen. Der Krach war ohrenbetäubend, lauter als jeder Donner, und dichte Wolken aus rötlichem Staub ließen den Platz wie ein Schlachtfeld erscheinen.

Die Erde war noch immer in Aufruhr. Von überall her war das Geräusch berstender Häusermauern und polternder Gesteinsmassen zu hören. Jetzt brach auch die Kuppel der Kathedrale in sich zusammen. Zuerst gab die südliche Wölbung nach und verlieh der Kuppel ein fast trunkenes Aussehen, dann folgte der Rest und verschwand im Inneren der zerstörten Kathedrale. Der krachende Aufprall klang wie der Schmerzensschrei eines gequälten Riesen.

Endlich hörte das Zittern auf, und die Erde war wieder so ruhig, als wäre nichts geschehen. Benedetto und die anderen warteten noch einige Minuten ab. Sie wollten die Bar erst dann verlassen, wenn das Schlimmste vorüber war.

Benedetto wischte sich mit einem Taschentuch den Staub vom Gesicht und stolperte auf die Straße. Sie lag voller Schutt. Wie zum Hohn war es ein strahlend schöner Tag, als ob mit der Welt alles in Ordnung wäre. Er tastete sich über die Piazza, vorbei an dem, was vom Zeitungskiosk geblieben war, vorbei an total verbeulten Autos, vorbei an dem, was er mit einem Aufstöhnen als das zerquetschte Akkordeon von Aldo, dem Krüppel, erkannte, der den lieben langen Tag auf der Piazza spielte. Sein Körper mußte hier irgendwo unter den Steinmassen sein.

Benedetto wollte zum Nordportal der Kirche. Das stabile, von zwei roten Steinlöwen flankierte romanische Kunstwerk stand immer noch. Sogar die Wände ringsum waren – zum Teil jedenfalls – intakt. Inzwischen drangen ganz andere Laute aus der Stadt herüber – Stöhnen und Wimmern von Verwundeten, klagende Schreie von Überlebenden, deren Angehörige getötet worden waren. Doch Benedetto ging weiter.

Ins Zentrum der Kirche konnte er nicht vordringen. Dorthin waren Rosette und Nordwand gestürzt, und zuletzt war auch noch die Kuppel auf den gewaltigen Steinhaufen gedonnert. Bruchstücke aus rosa Marmor, steinerne Rinnen und verbogene Dachplatten aus Blei ragten an manchen Stellen bis zu drei Meter hoch auf. Eine nun kopflose Steinstatue des heiligen Barnabus fiel ihm auf, dann sah er die Überreste des Baldachins, eine Kopie des von Bernini stammenden Originals im Petersdom. Jetzt wußte Benedetto, daß er seinem Ziel nahe war.

Der bronzene Baldachin diente als Überdachung des Hochaltars. Dahinter befanden sich Orgel und Chorraum. Nun erst begann Benedetto, Schutt und große Steine wegzuräumen. Ab und zu lauschte er angestrengt. Von überall in der Stadt waren immer noch Schreie zu hören, doch hier, wo er stand, herrschte eine unheimliche Stille.

Benedetto machte sich wieder daran, mit bloßen Händen Mauerbrokken aus dem riesigen Haufen herauszuzerren, und hielt dann erneut inne, um zu lauschen. Er arbeitete immer hektischer. Die erste Leiche entdeckte er nach fünf Minuten. Es war der fünfzehnjährige Sohn der Gasparris. Er legte den Körper des Jungen sacht am Rand des Schutthaufens nieder und grub weiter.

Der Mann stieß auf zwei weitere tote Chorknaben. Der eine war der neunzehnjährige Frederico Sangrilli, Sohn des Bäckers; die andere Leiche war zu entstellt, um sie identifizieren zu können. Behutsam trug Benedetto die zwei Leichen zu einer Stelle am Rand des Trümmerhügels. Dann kehrte er wieder dorthin zurück, wo eigentlich das Chorgestühl sein sollte.

Vor ihm lag ein Mauerstück mit Freskomalerei, und er erinnerte sich, daß die Decke der Apsis über dem Altar in Blau, Rosa und Weiß gehalten war. Es handelte sich um Szenen aus dem Leben des heiligen Felix, dem die Kirche geweiht war. Auf dem vor ihm liegenden Fragment schwang ein Engel mit großen Flügeln ein Schwert. Die Farben waren mit Blutspritzern gesprenkelt. Als er den Engel beiseite rückte, durchzuckte ihn ein heißer Schmerz – der Körper seines Sohnes kam zum Vorschein. Eine weißliche Staubschicht bedeckte den Körper, während der Kopf verschmiert war: Schwärzliches Blut vermengte sich mit dem Weiß des Staubes. Die Beine waren auf unnatürliche Weise verdreht, weit offen standen die Augen. Als Benedetto ein Mauerstück noch weiter aus dem Weg schob, rutschte der rechte Arm seines Sohnes ein Stück tiefer, und diese Bewegung ließ den Vater einen grausamen Moment lang hoffen, der Junge sei noch am Leben. Er beugte sich hinunter und schüttelte ihn.

»Lorenzo! Lorenzo!«

Nichts. Sein Sohn war erschlagen und zermalmt wie die anderen achtzehn Chorknaben.

Benedetto küßte seinen Sohn, berührte die klebrige Stelle an der rechten Kopfseite und spürte die schartigen Risse in der Schädeldecke. Er begann zu weinen. Während er an den Schuttbrocken zog und zerrte, kam es ihm so vor, als werde er es nie schaffen, den staubigen, schwerfälligen Körper seines toten Kindes freizukriegen. Die Tränen liefen ihm übers Gesicht und fielen, warm wie das Leben, auf seine schmutzigen Hände, die im Geröll wühlten. Schließlich wurden Lorenzos Füße in Turnschuhen sichtbar, die so gar nicht zu dem feierlichen Chorhemd paßten. Mit siebzehn war der Junge schon so groß wie sein Vater, jedoch viel schmächtiger. Blind für die anderen, die mittlerweile herbeigeeilt waren und den Trümmerhaufen in der Kirche durchsuchten, hob Benedetto seinen Sohn auf die Schultern und kämpfte taumelnd um sein Gleichgewicht.

Von einer Rettungsmannschaft war nichts zu sehen. Schritt für Schritt suchte Benedetto seinen Weg durch das Chaos. Zerborstenes Chorgestühl mengte sich mit scharfkantigen, farbigen Glassplittern; kostbar verzierte Messinggeräte, nun bizarr verbeult, lugten zwischen gewölbten Dachziegeln hervor; Blumen lagen verstreut über dem formlosen Gebilde, das bisher ein Marmorsarkophag gewesen war. Als Benedetto all das hinter sich hatte, blieb er stehen, lehnte Lorenzos Körper gegen den romanischen Torbogen und wischte sich mit dem Ärmel über das feuchte, schmutzig verklebte Gesicht.

Immer mehr Menschen kamen zur großen Piazza gerannt, als es sich in der Stadt herumgesprochen hatte, daß der Bezirk um die Kathedrale am schlimmsten betroffen war. Sie wagten Benedetto nicht anzusprechen, als ihnen klar wurde, daß er schon gefunden hatte, wovor ihnen allen graute: einen toten Angehörigen unter den Ruinen. ›Es hat keinen Sinn zu warten, ich muß nach Hause‹, sagte sich Benedetto. Er hob gerade wieder die Leiche des Jungen auf seine Schulter, als er den Schrei hörte. Noch bevor er hinsah, wußte er, daß es Pasqualina war. Sie stand vor Enzos Bar. Dort hatte sie zuerst nach ihnen gesucht. Jetzt riß die Frau voller Entsetzen die Arme hoch. Lorenzo war ihr jüngstes Kind, ihr Liebling, ihr einziger Sohn gewesen. Lang hallten ihre Schreie über den Platz. Ihm kam es wie eine Ewigkeit vor.

Stunden später stand der Bürgermeister von Foligno, Sandro Sirianni, neben seinem alten Freund, Pater Umberto Narnucci, auf dem Fußballplatz der Gemeinde. Er lag ungefähr einen halben Kilometer außerhalb der Mauern der Altstadt, an der Straße nach Terni und Rom. Wie so manche Stadt in Italien wurde Foligno von den Kommunisten regiert.

Umberto Narnucci und Sandro Sirianni waren seit der Schulzeit Freunde, und so war der Bürgermeister sehr erleichtert gewesen, als er erfuhr, daß Narnucci, der die weiteren Sonntagsmessen in der Kathedrale abhalten sollte, zum Zeitpunkt des Erdbebens im nahe gelegenen Assisi bei Freunden im Kloster weilte. Siriannis eigener Sohn, der früher Chorknabe in der Kathedrale gewesen war, studierte nun zum Glück an der Mailänder Universität.

Es war ein schwerer Tag für beide Männer gewesen, und sie fühlten sich total erschöpft. Bisher – es war inzwischen sechs Uhr abends – gab es 900 Tote und 1500 Schwerverletzte. Ungefähr 2000 hatten ihr Heim verloren, und an die 350 Bewohner wurden noch vermißt. Narnucci hatte den Hinterbliebenen Trost gespendet, die ersten Vorbereitungen für die Beerdigungen getroffen und für die Obdachlosen Unterkünfte besorgt. Sirianni hatte fast noch mehr geschuftet: Er hatte kaputte Wasserleitungen repariert, Betten für die Verwundeten aufgetrieben, eine provisorische Stromversorgung für die schwer beschädigten Krankenhäuser organisiert, Campingzubehör verschafft, Zelte angefordert. Vom Militär, das in der Gegend stationiert war, hatte er eine gewisse Unterstützung bekommen, doch bis jetzt waren von der Regierung keine Rettungsmannschaften nach Foligno abkommandiert worden. Immer dieselbe alte Geschichte. Beide Männer waren der Verzweiflung nahe.

Sirianni war heute schon zum zweitenmal auf dem Fußballplatz. Beim erstenmal hatte er Carlo Volpe begrüßt, den italienischen Staatspräsidenten, der mit dem Hubschrauber von Rom gekommen war, sobald ihn die Kunde von dem Erdbeben erreicht hatte. Er hatte sich mit eigenen Augen vom Ausmaß der Katastrophe überzeugen wollen und sofortige Hilfe versprochen. Nun war Sirianni hier, um den Papst zu verabschieden, der ebenfalls per Hubschrauber einen Besuch abgestattet hatte. Der Heilige Vater hatte alle sonstigen Verabredungen des Tages abgesagt, um einen Rundgang durch die zerstörte Stadt zu machen. Der neue Pontifex – er war kaum drei Monate im Amt – war vor zwei Stunden eingetroffen, hatte alles besichtigt, war zu den Verwundeten im Krankenhaus gegangen und hatte eine Messe in einer Schule abgehalten, die wie durch ein Wunder fast unbeschädigt geblieben war und nun als Notunterkunft diente.

Sirianni und Narnucci mußten warten, da sich der Papst noch mit dem Erzbischof der Stadt unterhielt, bevor er wieder in den Hubschrauber stieg, der ihn nach Rom zurückbringen sollte.

Für viele war es ein Schock gewesen, als das Kardinalskollegium nach einem dreizehntägigen Konklave ausgerechnet einen Amerikaner zum neuen Papst gewählt hatte. Vor allem in Italien war man unglücklich über diese Wahl und ärgerte sich darüber, daß er erst neunundfünfzig war, denn das bedeutete eine lange Ära unter einem Ausländer auf dem Heiligen Stuhl. Doch Papst Thomas – er behielt als Pontifex seinen eigenen Namen, was vor ihm nur zwei andere Heilige Väter taten – sprach immerhin fließend italienisch, hatte eine Schwäche für italienisches Eis und auch für alte Bugattis, wie er einem Journalisten gestand. Nach und nach gewann er die Herzen der Italiener.

Die Rotoren der drei Hubschrauber begannen sich zu drehen. Nach dem Attentatsversuch auf Johannes Paul II. war der Hubschrauber des Papstes anfangs mit Radar überwacht worden; darüber hinaus war eine Staffel immer in Alarmbereitschaft, um sofort einzugreifen, falls ein Versuch unternommen würde, den Helikopter abzufangen. Seit kurzem erfüllte ein zweiter Hubschrauber – sozusagen ein Beschatter – den gleichen Zweck; außerdem war er billiger und effizienter. Im dritten Helikopter flogen Presseleute mit, denn wohin er auch kam, der neue amerikanische Papst war immer eine Zeitungsmeldung wert.

Als Seine Heiligkeit und der Erzbischof ihr Gespräch beendet hatten, kamen die beiden samt Gefolge zu Sirianni und Narnucci herüber. Papst Thomas war von Natur aus hochgewachsen, wirkte aber durch die weiße, nun etwas beschmutzte Soutane noch größer. Er hinkte leicht. Narnucci ließ sich auf ein Knie nieder und küßte den Ring des Papstes.

Die Rotoren der Helikopter drehten sich nun immer schneller, und der starke Luftstrom ließ einen Kameramann, der gerade rückwärts ging, straucheln und aus Versehen einem kleinen Mädchen auf den Fuß treten, das mit anderen Kindern darauf wartete, vom Papst gesegnet zu werden. Die Kleine schrie vor Schmerz und schlug nach dem Mann. Der ganze Zwischenfall dauerte nur Sekunden, und das Kind war auch nicht richtig verletzt, doch für Sirianni war diese unbedeutende Episode der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. Er war sowieso überreizt und kaputt von den Anstrengungen des Tages – und das Benehmen des Kameramanns ging entschieden zu weit.

Der Papst stand nun vor Sirianni. Er war von seinem Stab informiert worden, daß der Bürgermeister Kommunist war, und erwartete folglich weder Kniefall noch Handkuß. Statt dessen wollte er Sirianni die Hand schütteln. Der nächste Kameramann stand keine drei Meter weit entfernt.

»Sie sehen müde aus, Signor Sirianni. Wir lassen Sie jetzt in Ruhe, denn wir haben Sie schon lange genug aufgehalten. Sie haben noch viel Arbeit vor sich.«

Der Heilige Vater hielt immer noch die Hand ausgestreckt, doch Sirianni ergriff sie nicht. Thomas ahnte, daß es Schwierigkeiten geben würde. Die Kamera war direkt auf ihn gerichtet.

»Sie haben unsere Unterstützung«, redete der Papst weiter und wählte extra nicht das Wort ›Segen‹. »Unsere Gedanken sind bei Ihnen allen. Wir werden helfen, soweit es uns möglich ist. Priester, Krankenschwestern, Fahrer. Ich werde selbst dafür sorgen.

Sirianni schwieg noch immer. Der Papst schaute rasch zu Narnucci hinüber, dann wieder zum Bürgermeister. Da der Kameramann eine gewisse Unsicherheit beim Papst bemerkte, kam er instinktiv näher. Thomas trat einen Schritt nach vorne und nahm Sirianni beim Arm. »Wir müssen gemeinsam arbei ...«

Weiter kam er nicht. Mit einer wilden Bewegung, die in den nächsten paar Stunden in aller Welt auf den Bildschirmen gezeigt werden würde, schüttelte Sirianni die Hand des Papstes ab und schrie ihn an: »Arbeiten! Händeschütteln ist keine Arbeit! Leute segnen und Trost spenden ist keine Arbeit!« Er funkelte den Kameramann an. »Im Fernsehen auftreten ist keine Arbeit!«

Narnucci versuchte ihn zu beruhigen, doch er wehrte auch ihn ab und wandte sich wieder dem Papst zu, der sehr blaß geworden war. »Hunderte sind heute hier gestorben. Diejenigen von uns, die glücklicherweise überlebt haben, sind obdachlos, verwaist. Unsere Herzen sind gebrochen, und Sie versprechen uns Priester und Gebete ...« Er spuckte verächtlich aus. »Der Präsident war auch schon hier und hat uns Versprechen gegeben. Doch dann kehrte er in sein schönes Zuhause in Rom zurück, wie Sie’s auch gleich tun werden.« Seine Stimme wurde immer lauter. »Wohin können wir gehen?« Tränen standen in Siriannis Augen, als er auf seine Uhr deutete. »Sechs Uhr! Sechs Uhr! Fast zehn Stunden sind seit dem Beben vergangen – und immer noch keine Rettungsmannschaften. Keine einzige Decke, kein Karton mit Lebensmitteln, kein Zelt, das wir nicht ganz allein organisieren mußten.«

Der Papst blieb unbeweglich stehen, während Sirianni wütete und die Kameras jedes Detail aufzeichneten. »Sie können Ihre Priester, Gebete und Versprechen behalten. Wir brauchen Geld. Geld! Lire, Dollars, Pfund, Francs, Gold, uns ist alles recht. Aber lassen Sie uns mit Ihren Segnungen, Versprechen und Gebeten in Frieden, die nur dazu führen, daß Sie sich gut fühlen, die uns aber genauso hilflos und elend bleiben lassen, wie wir’s nun mal sind.«

Atemlos und mit tränennassen Augen starrte der Bürgermeister kriegerisch den Papst an, der immer noch schweigend vor ihm stand. Dann veränderte sich jäh Siriannis Gesicht – es wurde unsäglich traurig, und der ganze Haß auf die katholische Kirche wurde aufgesogen von dem großen Leid dieses Tages. Der starke Luftstrom, der durch die Rotoren der drei Hubschrauber aufgewirbelt wurde, zerzauste sein Haar, als er sich aufschluchzend umdrehte und quer über das Fußballfeld zu seiner heimgesuchten Stadt zurücktrottete. Papst Thomas und die Kameras schauten ihm nach.

Teil I

1. Kapitel

David Colwyn nippte an seinem Whisky und schaute auf die lombardische Ebene, die neuntausend Meter unter ihm lag. Im leichten Dunst wirkten Autobahnen und Flüsse wie wirre, farbige Bänder. Aus dieser Höhe sah die verbaute Landschaft idyllisch und ruhig aus. David war jedoch gar nicht ruhig zumute.

Als Geschäftsführer und Hauptauktionator eines der traditionsreichsten Auktionshäuser der Welt war er viel auf Reisen. Das ›Carlisle‹ in New York, das ›Mandarin‹ in Hongkong, das ›Beau Rivage‹ in Genf – in diesen Hotels fühlte er sich fast ebenso zu Hause wie in seiner Londoner Wohnung. Normalerweise standen seine Reisepläne schon Wochen im voraus fest. Die großen Versteigerungen von alten Meistern, Impressionisten, von kostbaren Möbeln oder Schmuck hatten ihren eigenen Rhythmus, dem er jahrein, jahraus folgte. Doch diesmal war es anders. Der heutige Flug nach Rom war völlig ungeplant.

Eigentlich sollte dieser Tag ruhig verlaufen. Vormittags im Büro Vorbereitungen für den kommenden Verkauf von MacIver House, einem weiteren britischen Landsitz, dessen Inventar aufgrund finanzieller Schwierigkeiten auf den Markt kam. Lunch bei ›Wiltons‹ in der Jermyn Street mit dem Kulturredakteur der New York Times, der gerade in London war. Am Nachmittag nichts Wichtiges, wenn man einen Besuch beim Zahnarzt als nicht wichtig ansah, und am Abend schließlich eine Einladung nach Covent Garden von Sir Roland Lavery, Direktor der Tate Gallery. David hatte vermutet, daß Lavery die Gelegenheit benutzen würde, um ihm einiges über die Gemälde zu erzählen, die die Galerie in den kommenden Monaten anzukaufen beabsichtigte. Doch all das war vergessen, als das Telephon am Morgen um 7.30 Uhr geläutet hatte ...

Er war nach dem Schwimmen gerade ins Haus zurückgekehrt und hatte ärgerlich nach dem Hörer gegriffen, weil er so früh gestört wurde, war aber auch gespannt gewesen, da es sich voraussichtlich um etwas Dringendes handelte. Vielleicht rief ein Kollege aus dem Ausland an, da die Auktionsfirma überall Zweigstellen hatte. Irrtum! Eine unbekannte Männerstimme sagte: »Entschuldigung. Spreche ich mit Mr. Colwyn von Hamilton’s?«

»Ja, und wer sind Sie?«

»Einen Augenblick bitte. Ich verbinde Sie mit Monsignore Hale.« Monsignore Hale. David legte seine Schwimmsachen auf einen Stuhl und schaute durchs Fenster. Warum rief Hale ihn zu solch unchristlich früher Stunde an? David hatte den apostolischen Gesandten nur einmal bei einem Ausstellungsempfang getroffen. Doch er wußte, daß Jasper Hale in London einen guten Ruf hatte: weltläufig, witzig, ein Wein- und Sprachkundiger.

Es klickte in der Leitung, als der Gesandte den Hörer aufnahm. »Seien Sie bitte nicht böse, daß ich Sie so früh anrufe, Mr. Colwyn, aber Seine Heiligkeit hält es für dringend.«

»Seine Heiligkeit?« David runzelte die Stirn. Ob der Gesandte wohl wußte, daß David Katholik war?

»Ich hoffe, daß Sie jetzt gehörig beeindruckt sind«, sagte Hale lachend. »Ich war’s jedenfalls, als er mich vor einer halben Stunde höchstpersönlich aus Rom anrief. Allerdings ist man uns dort ja auch um eine Stunde voraus.«

David erwiderte nichts. Hoffentlich kam der Monsignore bald zur Sache. Ihn fröstelte.

»Sicher haben Sie schon das Sprichwort gehört: ›Gottes Wege sind unerforschlich‹, Mr. Colwyn. In meiner Stellung bin ich daran gewöhnt, aber viele Leute sind es nicht. Ich habe ein Geheimnis für Sie.« Er machte eine Pause.

»Wunderbar. Ich bin verrückt auf Geheimnisse.«

»Danke, daß Sie’s mir erleichtern, Mr. Colwyn. Hier kommt die große Neuigkeit: Der Heilige Vater möchte, daß Sie ihn besuchen. Heute noch. Geheimnisvoll ist daran, daß er nicht sagen will, worum es sich handelt. Es ist alles top-secret. Er wählte mich als Vermittler, nicht den Erzbischof von Westminster, weil dort noch ärger der Klatsch gedeiht als bei uns. Seine Heiligkeit verriet mir nichts, sondern bat mich nur, Sie so schnell wie möglich zu ihm zu schicken. Es ist brandeilig.«

David schossen viele Gedanken auf einmal durch den Kopf. »Bin ich ... als Privatperson eingeladen, Monsignore, oder in meiner beruflichen Funktion?«

»Ich wünschte, ich wüßte es, Mr. Colwyn. Aber ich weiß nur, daß ich sofort einen der Sekretäre des Heiligen Vaters anrufen soll, sobald Sie sich entschieden haben. Falls Sie einverstanden sind, wird mein Chauffeur Sie rechtzeitig abholen und zum Flughafen bringen. Die Alitalia-Maschine geht um zwei Uhr nachmittags. Sie haben abends um halb sieben einen Termin bei Seiner Heiligkeit. Im ›Hassler‹ ist ein Zimmer für Sie reserviert – wenn Ihnen das zusagt. Morgen können Sie dann nach London zurückfliegen.«

Es kam ja nicht alle Tage vor, daß ein Papst um eine Unterredung bat. Dennoch zögerte David. »Monsignore, Sie wissen vermutlich, daß ich Katholik bin?«

»Ja, Mr. Colwyn.«

»Wissen Sie auch, daß ich getrennt von meiner Frau lebe, die keine Katholikin ist?« Sarah hatte ihn vor über einem Jahr Hals über Kopf wegen eines Unterstaatssekretärs der Regierung verlassen. Ihr gemeinsamer Sohn Ned wohnte meist bei ihr, was für David am schwersten zu ertragen war. Die letzten Monate waren eine Qual für ihn gewesen, und er kam erst allmählich wieder auf die Beine.

»Ja. Es tut mir leid für Sie.«

»Ich erwähne das nur, weil es vielleicht irgendwann zu einer Scheidung kommt. Es ist noch nicht abzusehen. Doch ich möchte Seine Heiligkeit nicht in Verlegenheit bringen.«

»So kann nur ein gewissenhafter Katholik sprechen, Mr. Colwyn. Bitte vergessen Sie nicht, daß Papst Thomas Amerikaner ist. Zwar nicht so nüchtern wie US-Präsident Roskill, aber eben doch Realist. Die Kirche wird sich unter diesem Heiligen Vater wandeln, daran besteht kein Zweifel. Im Hinblick auf Geburtenregelung und Scheidung, vielleicht sogar im Hinblick auf Priesterehen. Rom ist viel zu lange rückständig gewesen. Deshalb ist gerade er ja auch gewählt worden. Machen Sie sich also keine unnötigen Gedanken. Sie werden in Thomas Murray einen intelligenten und liebenswerten Mann kennenlernen. Einen Macher, um es salopp auszudrücken.«

Über Davids Haus dröhnte ein Jet, der zum Landeanflug in Heathrow ansetzte. Wegen der tiefhängenden Wolken blieb er unsichtbar. – Vielleicht schien in Rom die Sonne ...

»Also gut«, sagte David. »In meinem heutigen Terminplan ist nichts unaufschiebbar. Ich freue mich auf Seine Heiligkeit.«

»Ich danke Ihnen«, erwiderte der Gesandte hörbar erleichtert. »Noch eine Kleinigkeit: Vermutlich haben Sie eine Privatsekretärin, die Sie für alle Fälle über Ihr Reiseziel informieren müssen. Doch der Heilige Vater wäre Ihnen dankbar, wenn Sie anderen gegenüber Stillschweigen bewahren würden.«

»Einverstanden. Meine Sekretärin, Sally Middleton, ist verschwiegen und vertrauenswürdig.«

»Wunderbar. Ich rufe jetzt gleich in Rom an. Mein Chauffeur kann Sie in Ihrem Büro abholen – sagen wir um halb eins? In Rom werden Sie dann auf dem Flughafen erwartet.«

»Da alles top-secret sein soll, nehme ich lieber ein ganz normales Taxi.«

»Sie haben natürlich recht, Mr. Colwyn, ein Taxi ist viel besser. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Flug und hoffe auf ein gutes Ende dieser geheimnisvollen Geschichte.«

Bevor David in Heathrow angelangt war, hatte er unterwegs die Zeitung gelesen und die Nachrichten im Taxiradio gehört. Hauptthema war überall das schwere Erdbeben in Foligno, das schätzungsweise zwölfhundert Menschenleben gefordert hatte. Noch etwas anderes brachten die Medien groß heraus – den Angriff des kommunistischen Bürgermeisters auf den Papst. Alle gaben sich empört darüber, daß der Papst so abscheulich beschimpft worden war, nachdem er alle Termine abgesagt hatte, um nach Foligno zu fliegen – nur die kommunistischen Blätter Italiens waren auf Siriannis Seite. In einigen Boulevardzeitungen wurde die Attacke auf den Papst sogar als die größere Sensation gehandelt. Erdbeben hatte es schließlich schon oft gegeben, doch eine öffentliche Hetztirade auf den Papst – die hatte schließlich Seltenheitswert.

Die Alitalia-Maschine landete pünktlich. Als David aus dem grünen Tunnel kam, sah er einen Chauffeur, der ein Schild mit seinem Namen in die Höhe hob. Dann fuhren sie in einem unaufälligen schwarzen Mercedes los. David war ein großer Kenner der römischen Malerei, insbesondere des 15., 16. und 17. Jahrhunderts, und kannte daher alle Kirchen, Palazzi und Bibliotheken sehr gut. Dazu gehörten auch der Petersdom, die Vatikanischen Museen und das Geheimarchiv, doch im eigentlichen Vatikanstaat, wo der Papst und die Kurie residierten, war er nie gewesen. Er war sehr gespannt darauf.

An der Porta Sant’ Anna, dem eher inoffiziellen Eingang des Vatikan in der Via di Porta Angelica, wurde der Mercedes von einem Posten der Schweizergarde angehalten, doch sofort darauf durchgelassen, da der Gardist den Chauffeur erkannte und folglich annahm, daß David erwartet wurde.

Was dann kam, überraschte David. Als sie das Tor passierten, deutete der Fahrer auf die Bank des Vatikan zur Linken, hinter der die päpstlichen Gemächer lagen, wo die Audienz vermutlich stattfinden würde. Doch nein, sie fuhren durch einen Torbogen in einen weiteren Innenhof, wo links die Borgia-Gemächer und rechts das Geheimarchiv zu sehen waren. Ein weiterer Torbogen wurde passiert, der diesmal in ein Gebäude führte. Gleich darauf ging es nach links eine Rampe mit Kopfsteinpflaster hinauf, die übertunnelt war, und dann hinaus in ein von hohen Mauern umgebenes Geviert. Der Chauffeur wurde erneut von einem Wachposten angehalten, der diesmal jedoch Polizeiuniform trug. Beim Bremsen machte der Fahrer eine beiläufige Handbewegung zu einem Gebäude hin und murmelte: »Sixtinische Kapelle.«

David verrenkte sich fast den Hals, als er hinaufschaute. Ihm war bisher nicht klar gewesen, wie hoch sie war.

Auf den Posten folgte wieder ein Torbogen, worauf David die Apsis des Petersdoms und die vatikanischen Gärten vor sich sah. Der Wagen machte eine scharfe Rechtskehre unter einem weiteren – dem wievielten? – Steinportal hindurch und fuhr dann ungefähr dreihundert Meter eine schnurgerade Straße entlang, rechts flankiert von einem Bau, der nach Davids Schätzung zum Vatikanischen Museum gehörte. Auf der gegenüberliegenden Seite erstreckten sich die Gärten mit Buchsbaumhecken, Koniferen, japanischen Ahornbäumen und einem Wasserfall.

Der Mercedes hielt am Ende der geraden Straße, die hier eine rechtwinklige Kurve machte. Ein weiteres wuchtiges Gebäude ragte vor ihnen auf, und in den Winkel zwischen den beiden großen Bauten war eine unauffällige graugrüne Tür geklemmt. Der Chauffeur stieg aus und führte David direkt dorthin. Die Tür wurde von einem Sicherheitsbeamten geöffnet, der David in einen kleinen Raum brachte, wo er schon bald von einer zierlichen Nonne in grauer Tracht abgeholt wurde. Sie sagte auf englisch: »Mr. Colwyn? Folgen Sie mir bitte.« Zügig stiegen sie nun eine breite Marmortreppe hinauf. Oben angekommen, standen sie in einem großen Vestibül, wo weitere Posten Wache hielten. Jetzt geleitete die Nonne David in einen unglaublich langen Gang; er mochte wohl an die hundertvierzig Meter sein. »Bitte warten Sie hier, Mr. Colwyn. Der Heilige Vater wird gleich kommen.« Sie ließ ihn mit den Wachposten allein.

Da erst wurde David klar, daß es sich beileibe nicht um einen gewöhnlichen Gang handelte; man hatte ihn in die Pinakothek des Vatikan gebracht.

Die Galerie bestand aus einer wahren Flucht von Räumen, die hintereinander auf einer Achse lagen, und durch die Verbindungstüren konnte man vom einen Ende bis zum anderen schauen. Er war natürlich schon einmal hier gewesen, doch das lag lange zurück.

David schaute auf die Uhr. Kurz vor halb sieben. Papst Thomas war ein vielbeschäftigter Mann und würde sich vermutlich einige Minuten verspäten. Also schlenderte David die Galerie entlang. Warum wollte ihn der Heilige Vater ausgerechnet hier treffen? Das Ganze wurde immer geheimnisvoller.

Die ersten Räume beherbergten frühe Gemälde, ikonenhafte Bilder auf prächtigem Goldgrund, meistens aus dem 14. Jahrhundert, aus Siena, Florenz, Rimini. David kannte Sammler, die nicht mal vor Mord zurückschrecken würden, um in den Besitz solcher Bilder zu gelangen, doch ihn ließ diese Kunst eher kalt. Einer der nächsten Räume gefiel ihm schon besser, wo Pinturicchio und Perugino vertreten waren. David liebte Pinturicchios Überschwang, sein leuchtendes Grün und Rot. Auf seinen Bildern war Leben.

Gerade als David weitergehen wollte, entstand hinter ihm Unruhe. Er schaute sich um. Aus dem großen Vestibül kam der Papst gehinkt, fast unwirklich in seiner weiß leuchtenden Soutane. Mehrere Gestalten umringten ihn. David ging der Gruppe entgegen, unschlüssig über die Form der Begrüßung. Sollte er niederknien? Oder nur die Hand schütteln? Der Heilige Vater schien heute besonders stark zu hinken. Warum hinkte er eigentlich? David hatte es vergessen, falls er es überhaupt jemals gewußt hatte.

Als der Papst noch einige Meter entfernt war, rief er schon: »Vielen Dank, daß Sie gleich gekommen sind, Mr. Colwyn. Sie haben schließlich einen vollen Terminkalender. Ich stehe in Ihrer Schuld. Aber ich hoffe, daß es für Sie keine Zeitverschwendung sein wird.« Dann streckte er die Hand aus, und es war ganz eindeutig, daß er keinen Handkuß erwartete.

»Monsignore Hale ist sehr überzeugend, Eure Heiligkeit.«

Der Papst lächelte. Er war etwas größer, als David erwartet hatte, und wirkte bemerkenswert fit, wenn man davon absah, daß er das linke Bein hinterherzog. Sein graumeliertes Haar war dicht und glänzend, die Augen – grünlich, falls das Licht nicht täuschte – wirkten hellwach, und der volle Mund war alles andere als verkniffen. Es war ein offenes, wenn auch beherrschtes Gesicht. Als sie sich die Hand schüttelten, registrierte David überrascht, daß der Papst nicht nur nach teurer Seife, sondern sogar nach Eau de Cologne roch.

Seine Heiligkeit stellte nun seine Begleiter vor. Aus Höflichkeit zuerst die einzige Frau in der Runde, Elizabeth Lisle, die Pressereferentin des Vatikan. Kurz nach seiner Wahl zum Papst, die sowieso schon umstritten war, hatte Thomas Murray mit der Ernennung Elizabeth Lisles für weitere Aufregung gesorgt. Eine Frau auf diesem wichtigen Posten, und Amerikanerin war sie noch dazu! Doch im Grunde war es gar kein so kühner Schritt, wie manche behaupteten. Die »Päpstliche Kommission für Öffentlichkeitsarbeit« – so die vatikanische Bezeichnung für das Pressebüro – hatte auf untergeordneten Posten schon seit langem Frauen beschäftigt, häufig Amerikanerinnen. Der Papst wollte dadurch, daß er einer Frau die Leitung übertrug und sie in sein Vertrauen zog, etwas Entscheidendes für die Gleichberechtigung tun, ohne zu fundamentalen Veränderungen innerhalb der Kirchenpolitik gezwungen zu sein. Auf diese Weise konnte er ohne lange interne Querelen der Welt signalisieren, daß sich in Rom ein Wandel anbahnte. Es war ein kluger Schachzug, der Thomas als den geborenen Politiker erkennen ließ. Viele von denen, die anfangs äußerst kritisch reagiert hatten, gaben dies inzwischen zu.

David reichte Elizabeth die Hand. Sie trug ein dunkles Kostüm und eine weiße Seidenbluse. »Willkommen im Vatikan, Mr. Colwyn«, begrüßte sie ihn. »Ich habe alles für Sie arrangiert. Beschweren Sie sich also bitte bei mir, wenn Ihnen etwas nicht paßt.«

David schüttelte lächelnd den Kopf. »Bisher nicht nötig. Das ›Hassler‹ ist in Rom seit jeher mein Lieblingshotel.«

Dann wandte er seine Aufmerksamkeit dem streng aussehenden Mann mit Brille zu, der links neben ihr stand. Er erkannte Kardinal Ottavio Massoni, den zweitmächtigsten Mann im Vatikan, Staatssekretär des Papstes. Als Italiener und Konservativer war er bei der Papstwahl Thomas’ stärkster Rivale gewesen. Die beiden Männer waren so verschieden wie Peter und Paul. Es war eine Überraschung für alle Beteiligten, als Thomas ausgerechnet Massoni den wichtigen Posten anbot, doch noch erstaunlicher war, daß der Italiener ihn annahm. Der fast siebzigjährige kahlköpfige Massoni erinnerte fatal an einen Totenschädel und war bekannt für seine Schweigsamkeit. Von den Spaßvögeln im Staatssekretariat wurde er nur P. A. genannt, was für »pronto – arrivederci« stand, die einzigen Worte, die er angeblich je am Telephon äußerte. Also wunderte es David nicht, als der Kardinal nur einen Schritt vortrat, ihm die Hand gab, »buona sera« sagte und wieder zurücktrat.

Ein zweiter Kardinal wurde David als Luciano Zingale, Präsident des Patrimoniums des Heiligen Stuhls, vorgestellt. Rundköpfig und dick, ähnelte er mehr einem Boxer als einem Kirchenmann, was auch durch die randlose Brille nicht aufgehoben wurde. Doch er verbeugte sich höflich, als er David die Hand gab.

Dann war da noch Pater Patrick O’Rourke, der erste Privatsekretär des Papstes, und daneben stand Dottore Mauro Tecce, Generalsekretär der apostolischen Bauten, Museen und Galerien. Den dritten Mann kannte David persönlich. Es war Dottore Giulio Venturini, Kurator der Gemäldegalerie, wo sie sich nun alle befanden. David hatte ihn oft in Ausstellungen und ein paarmal sogar bei Versteigerungen gesehen, hatte seine Bücher gelesen und schon neben ihm im Geheimarchiv des Vatikans gesessen. Venturini lächelte ihm flüchtig zu, eher argwöhnisch als freundlich. Was war denn los?

»Hier entlang, Mr. Colwyn«, sagte der Papst und führte ihn weiter in die Galerie hinein. Die anderen folgten. Thomas ging an mehreren toskanischen Statuen des 13. und 14. Jahrhunderts vorbei, an Pinturicchio und Perugino, bis er zu einem Saal am Ende gelangte. Von Deckenlampen und einem großen Oberlicht erhellt, schien der Raum blaugrün zu schimmern, da der Marmorfußboden hauptsächlich in Grün gehalten war, während die Gobelins an den Wänden das fast schon typische Blaßblau uralter Gewebe zeigten.

An der rückwärtigen Wand hingen drei große Gemälde. Auf dem mittleren schwebte Christus über einer Gruppe von etwa zwanzig Menschen, die vor Verwunderung wie erstarrt wirkten – mit aufgerissenen Mündern und Augen. Das Bild zur Rechten zeigte in der oberen Hälfte die Krönung der Jungfrau Maria und darunter die zwölf Apostel, die das leere Grab umstanden und gen Himmel blickten. Der Papst stellte sich vor das Gemälde auf der linken Seite.

Thomas gab den Wachposten, die das päpstliche Gefolge begleitet hatten, mit einer Handbewegung zu verstehen, daß sie gehen sollten. Dann wandte er sich an seinen Gast: »Mr. Colwyn, unsere Unterhaltung ist streng vertraulich. Ich kann mich doch auf Sie verlassen?« David nickte.

»Gut. Offen gesagt, hoffe ich, daß wir ins Geschäft kommen können. Falls nicht, hat diese Zusammenkunft nie stattgefunden. Ist das klar?«

»Völlig klar.« David platzte fast vor Ungeduld.

Papst Thomas schaute die Gemälde an und sprach weiter: »Ich habe gehört, daß Sie nicht nur Geschäftsführer von Hamilton’s sind, sondern auch ein Experte für römische Malerei. Deshalb sind Ihnen diese Meisterwerke vermutlich vertrauter als mir.« Der Papst warf David einen scharfen Blick zu, kritisch und abwartend.

David hatte sich in der Kunstwelt einen Namen gemacht; nicht nur als fähiger Auktionator, sondern auch als Kunstgeschichtler mit gutem Gespür. Seine Entdeckungen, seine »großen Coups« hatten ihm internationale Anerkennung verschafft. Der erste war ihm schon zu Beginn seiner Karriere gelungen, als er auf einige Schriftstücke im Besitz einer römischen Patrizierfamilie stieß, die ihn auf die Fährte einer verschwundenen Skulptur des großen Barockbildhauers Gianlorenzo Bernini brachten. Er verfolgte die Spur weiter bis zu einer Familie in Deutschland, die keine Ahnung hatte, welchen Schatz sie in ihrem Wintergarten beherbergte. Beim zweiten Coup ging es um ein kleines Madonnenbild in einer schwedischen Privatsammlung, Es war falsch katalogisiert worden, und David konnte nachweisen, daß es von Raphael stammte und einst dem habsburgischen Kaiser Rudolf II. gehörte, der in Prag residiert hatte. Später war es in die Hände der schwedischen Königin übergegangen, deren Truppen im Dreißigjährigen Krieg viele Bilder in Prag erbeuteten ... Der Besitzer der kleinen Madonna zierte sich denn auch nicht lange, sondern ließ sie von Hamilton’s versteigern – für über zehn Millionen Pfund.

David musterte aufmerksam das Gemälde, vor dem der Papst stand. Es zeigte in der oberen Hälfte eine Madonna mit Kind, umrahmt von einem großen goldenen Heiligenschein und vielen Wölkchen in Form von Cherubinen. Darunter standen und knieten mit emporgewandten Gesichtern ein kleiner Engel und mehrere Heilige. Das Bild leuchtete in satten Rot- und Goldtönen, in rauchigem Blau und saftigem Dunkelgrün.

Der Heilige Vater half ihm mit keinem Wort weiter, und David war einen Moment verwirrt durch das allgemeine Schweigen. Also schaute er wieder das Gemälde in der Mitte an, Raphaels Meisterwerk ›Die Verklärung Christi‹, dann das rechte, das ebenso beeindruckende Bild ›Die Krönung Mariä‹. Endlich ging ihm ein Licht auf. Als er die Titel der Bilder rekapitulierte, erkannte er, auf welchen Zusammenhang es dem Papst ankam. Das Gemälde vor ihnen war Raphaels ›Die Madonna von Foligno‹.

»Ich möchte es verkaufen, Mr. Colwyn, und den Erlös den Erdbebenopfern von Foligno zukommen lassen.«

»Was!« David merkte zu spät, daß er förmlich schrie. Der Papst legte ihm die Hand auf den Arm, als wolle er ihn beruhigen. Die anderen schwiegen immer noch.

»Sicher haben Sie heute schon Zeitung gelesen, Radio gehört oder den Fernseher eingeschaltet. Also wissen Sie auch von dem Angriff des Bürgermeisters von Foligno, einem Kommunisten. Vermutlich sollte ich dankbar sein, daß die Medien anscheinend mehr auf meiner Seite sind als auf seiner. Aber man wäre schlecht beraten, wollte man all das glauben, was über einen verbreitet wird, noch dazu, wenn man erst so kurz im Amt ist. Vielleicht ist Ihnen wie mir aufgefallen, daß in einigen Fällen die Nachricht über Signor Siriannis Ausbruch wichtiger genommen wurde als das Erdbebenunglück selbst.«

Der Papst rieb sich gedankenverloren den Oberschenkel. Dabei fiel David plötzlich ein, daß Thomas als junger Mann in kirchlichen Angelegenheiten nach Kambodscha geschickt worden war und dort eine Schußverletzung davongetragen hatte, die ihn von da an hinken ließ. »Setzen wir uns lieber hin«, sagte der Papst jetzt lächelnd und deutete zu einigen Holzsesseln unter einem Gobelin hinüber. Sie setzten sich nebeneinander, während die anderen stehenblieben.

»Tecce! Darf ich hier rauchen?«

»Aber natürlich, Eure Heiligkeit.«

Der Papst zog aus seiner Soutane eine Packung Zigaretten und bot sie David an, der den Kopf schüttelte.

Thomas ließ sein Feuerzeug klicken und blies den bläulichen Rauch in die Luft. »Ein Raucher ist heutzutage fast noch einsamer als ein Papst. Außer mir scheint hier kein Mensch dieser Angewohnheit zu frönen«, sagte er schmunzelnd. »Mr. Colwyn, sind Sie vielleicht gerade wieder auf der Suche nach einem verschwundenen Bild?« fragte er dann.

David lächelte. »Eines der ältesten Geheimnisse in der Kunst hat mich total in seinen Bann gezogen. Ich beschäftige mich in meiner freien Zeit nur noch damit.«

»Oh, lassen Sie mich hören«, bat Thomas, der David offenbar Zeit geben wollte, sich an den kühnen Vorschlag zu gewöhnen, den er ihm gemacht hatte.

»Es geht um Leonardo da Vinci. Wie Sie vielleicht wissen, besitzen die Londoner National Gallery und der Louvre in Paris jeweils ein Bild von ihm, das ›Die Jungfrau in den Felsen‹ heißt. Sie sind fast identisch. Der Witz dabei ist, daß nur eines der beiden echt ist, das andere eine Fälschung, die bisher aber nicht entlarvt werden konnte. Da Leonardo viele unvollendete Arbeiten hinterließ, ist es ausgeschlossen, daß er zwei Bilder mit dem gleichen Motiv malte und auch vollendete; er wurde einer Sache sehr leicht überdrüssig und hätte niemals beide fertig gemalt. Die vorhandenen Unterlagen deuten darauf hin, daß wohl die Londoner das Original haben; andererseits ist das Pariser Bild nach gewissen Stilmerkmalen aber das frühere.«

»Und was haben Sie bisher herausgefunden?«

»Tja, es gibt ein Jahr im Leben Leonardos, das völlig im dunkeln liegt, das Jahr 1482. Nun habe ich hier im Vatikan einige Dokumente gefunden, die sich darauf beziehen. Vielleicht geben sie etwas Aufschluß über die Aktivitäten des großen Meisters.«

»Ich habe früher einmal Archäologie studiert, bin dann aber vom rechten Weg abgekommen und hier gelandet«, sagte der Papst lächelnd, rauchte ein paar Züge und schien sich über etwas schlüssig werden zu wollen. »Mr. Colwyn, der Bürgermeister von Foligno hatte recht. Er sprach zu mir nicht als Kommunist, sondern als müder, frustrierter Mann, dessen Stadt in Trümmern liegt. Er hatte auch damit recht, daß Kirche und Regierung für die Opfer solcher Tragödien nicht genug tun. Erinnern Sie sich an das Erdbeben in Neapel von 1981?« Der Papst schlug mit der Faust auf die Armlehne seines Stuhls. »Eine Schande! Es dauerte Tage, bis die ersten Hilfsgüter eintrafen, und dann stahl die Mafia auch noch die Hälfte der Decken und viele Nahrungsmittel – ganze Lastwagen verschwanden spurlos.« Er befingerte sein Brustkreuz. »Oder denken Sie an die Hungersnot in Äthiopien, 1984. Was haben Regierungen und Kirchen damals getan? Nicht besonders viel, kann ich Ihnen verraten, denn ich habe es nachgeprüft. Das Volk mußte sich selbst helfen. Doch es geht auch anders. Erinnern Sie sich an das Mammutkonzert, ›Live Aid‹ genannt? Ihm folgten ›Fashion Aid‹, ›Sports Aid‹, alle möglichen Veranstaltungen, die Millionen von Dollar einbrachten.« Thomas änderte seine Taktik. »Mein Staatssekretär, der ein erfahrener Mann ist, hält es für falsch, wenn ich mich als Papst von einem kommunistischen Bürgermeister beeinflussen lasse. So etwas würde mich schwach wirken lassen und wäre außerdem ein klares Eingeständnis, daß die Kirche weniger getan hat, als sie tun kann oder tun sollte.« Er nahm wieder einen Zug und inhalierte. »Nun bin ich der Ansicht, daß die Kirche tatsächlich mehr tun könnte, Mr. Colwyn. Und ich empfinde es nicht als Schwäche, auf jemanden zu hören, der etwas Richtiges sagt, ganz egal, welcher Partei er angehört. Ich sehe es lieber als einen Beweis für die Demut der Kirche an. Wenn ein Papst nicht demütig sein kann, wer dann?« Er machte eine kurze Pause.

»Deshalb möchte ich das Bild verkaufen. Die Welt glaubt immer, daß wir über enorme Reichtümer verfügen, und in gewisser Hinsicht stimmt das auch. Doch das heißt noch lange nicht, daß wir jederzeit viel Bargeld spenden können. Wir haben Investitionen, die ein gewisses Einkommen garantieren, haben aber auch viele Verpflichtungen – Schulen, Krankenhäuser, Missionsstationen und die Kirchen selbst. Nach rein geschäftlichen Gesichtspunkten – ich rede schon wie ein Managementberater! – büßt das Unternehmen Vatikan alljährlich etwas Geld ein. Ohne die Vermächtnisse frommer Bürger und die jährlichen Einnahmen aus dem Peterspfennig steckten wir noch tiefer in den roten Zahlen. So schaffen wir’s wenigstens noch, ohne größeren Verlust abzuschließen ... Mit dem Verkauf dieses Gemäldes bewirke ich mehreres. Ich kann der Welt zeigen, daß wir theoretisch zwar reich sein mögen, aber nicht aus dem vollen schöpfen können, da uns Bargeld fehlt. Andererseits kann ich mit dieser Geste beweisen, daß die katholische Kirche wahrhaft karitativ ist.« David merkte plötzlich, was ihm schon längst hätte auffallen müssen: Im Gefolge des Papstes befand sich kein Vertreter der Finanzabteilung.

Thomas sprach schon weiter. »Die Verbindung zwischen der Naturkatastrophe und dem Raphael kommt mir geradezu perfekt vor. Dieses Votivbild wurde von einem Mann in Auftrag gegeben, der glaubte, er habe es der Madonna zu verdanken, daß sein Haus von einem Blitz verschont geblieben war. Viele Jahre hing es in der Annenkirche in Foligno, bis Napoleons Truppen es erbeuteten. Später gelangte es in die Vatikanische Sammlung, doch eine Kopie hing weiterhin in der Kathedrale, die gestern zerstört wurde ... Ich persönlich bin sicher, daß Raphael mit meinem Plan einverstanden wäre. – Wieviel wird dafür geboten werden, Mr. Colwyn? Was meinen Sie?«

David verfügte normalerweise über einen sehr raschen Verstand, doch nun war er wie vor den Kopf geschlagen. Meinte der Papst es wirklich ernst? Würde er überhaupt die Erlaubnis bekommen? Er wollte immerhin einen Raphael aus dem Vatikan verkaufen! Es war unmöglich, unerhört! Andererseits aber auch sensationell, spektakulär. Nun verstand er, warum Dottore Venturini so mitgenommen aussah.

Die grünlichen Augen des Papstes schauten ihn gespannt an, und auch die Blicke aller anderen ruhten auf ihm. Er holte tief Atem.

»Sie wissen sicher, Eure Heiligkeit, daß die Preise stetig gestiegen sind. 1984 wurde Lord Clarks ›Turner‹ für über sieben Millionen Pfund verkauft, der ›Northampton Mantegna‹ brachte 1985 über acht Millionen Pfund. 1987 gab es einen großen Sprung, als van Goghs ›Sonnenblumen‹ für fast fünfundzwanzig Millionen Pfund versteigert wurden. Seither kamen ein van Eyck und ein Duccio di Buoninsegna auf den Markt.«

Je mehr David darüber nachdachte, desto verrückter kam ihm diese Unterhaltung vor. Der Papst konnte keinen Raphael verkaufen! Oder etwa doch? Es würde in aller Welt einen gewaltigen Aufschrei geben. David redete laut weiter: »Jeder beliebige Raphael wird mindestens solche Preise erzielen. Doch hier handelt es sich nicht um einen beliebigen, sondern um einen der drei großen Raphaels des Vatikan. Es ist nicht nur ein Gemälde, sondern Teil der Kirchengeschichte, einstmals von Napoleon geraubt, dann vor über hundert Jahren zurückgegeben. Und nun will ein Papst es aus einem höchst ungewöhnlichen Grund verkaufen. Offen gesagt, gibt es für dieses Unterfangen keinen Präzedenzfall. Vielleicht werden vierzig Millionen Pfund dafür gezahlt, vielleicht noch mehr.« David lächelte. »Schon der Gedanke daran bringt mich zum Schwitzen.« Bevor jemand etwas erwidern konnte, redete er schon weiter. »Eure Heiligkeit, es wäre natürlich eine große Ehre für Hamilton’s, den Raphael für Sie zu versteigern, falls Sie das im Sinn haben sollten. Aber ... wäre es auch richtig? Es wird garantiert einen Aufschrei der Entrüstung geben. Das Erbe des Vatikan und Italiens zu verkaufen! Können Sie es rechtlich und auch ethisch überhaupt vertreten?«

Massoni, Zingale und die übrigen drängten näher heran. Offenkundig waren sie der Ansicht, daß der Papst kein Recht hatte, seinen Plan in die Tat umzusetzen. David vermutete, daß er in die erste prinzipielle Auseinandersetzung des Papstes mit seinem Staatssekretär geraten war.

Papst Thomas legte David wieder die Hand auf den Arm; diesmal als Geste, die moralische Unterstützung bieten sollte.

»Natürlich wird es viel Kritik geben, Mr. Colwyn, das gebe ich gern zu. Doch ich hege nicht den geringsten Zweifel, daß es eine richtige Entscheidung ist. Die Kirche hat Mitglieder verloren, das ist kein Geheimnis. Doch sie hat auch an Autorität verloren, und das ist vielleicht noch schlimmer. Wir müssen beidem entgegensteuern. Foligno bietet uns die beste Gelegenheit, es gleich zu tun.«

»Und rechtlich?«

Papst Thomas stieg das Blut ins Gesicht, doch er antwortete mit ruhiger Stimme: »Rechtlich kann ich tun, was mir beliebt, Mr. Colwyn. Natürlich gibt es Traditionen und Bräuche, doch als Papst bin ich in weltlichen Angelegenheiten ein absoluter Herrscher. Was ich im Vatikanstaat sage, ist Gesetz.« Er fuhr etwas lauter fort: »Doch lassen wir das. Von entscheidender Wichtigkeit ist für mich, im Namen der Kirche das Richtige zu tun, und die Welt soll Zeuge sein. Es muß rasch geschehen, damit die Bürger von Foligno neue Hoffnung schöpfen.«

Da kam David ein ganz anderer Gedanke. »Vielleicht irre ich mich mit den Preisen, Eure Heiligkeit, aber etwas weiß ich ganz genau: Es wird Wochen, wenn nicht Monate dauern, bis die Versteigerung stattfinden kann. Und es wird eine Ewigkeit dauern, bis das Geld ausgezahlt wird. Dann aber ist es für die Leute von Foligno sicher zu spät.«

Der Papst lächelte amüsiert. »Da denke ich etwas weiter als Sie, Mr. Colwyn. Der Vatikan könnte sich das Geld im Hinblick auf die Versteigerung natürlich leihen. Doch ich habe gerade eine viel bessere Idee: Es heißt, daß Auktionshäuser heutzutage selbst als Banken fungieren, um sich ein Geschäft zu sichern. Genau darum bitte ich Sie nun. Sie sagten, das Bild sei – rechnen wir in Dollar – sechzig Millionen wert. Schießen Sie mir ein Drittel dieser Summe vor – zwanzig Millionen Dollar sind viel weniger als der von Ihnen geschätzte Verkaufswert.«

Er schmunzelte. »Nennen wir’s eine kleine Vorbedingung, damit wir Ihnen den Auftrag erteilen.«

Bis zu diesem Tag war David von dem neuen Papst durchaus angetan gewesen, da auch er der Meinung war, die Kirche müsse sich verändern, müsse moderner werden. Doch der Papst hatte nach seinem Geschmack etwas zu fortschrittliche Ideen, was Finanzierungen betraf.

Die anderen warteten gespannt auf seine Antwort. Doch was sollte er sagen?

Sein Verstand arbeitete endlich wieder auf Hochtouren. Sobald diese Nachricht an die Öffentlichkeit drang, gab es garantiert einen Skandal. Viele Katholiken würden empört reagieren, da konnte der Papst die Sache noch so sehr rechtfertigen. In allen europäischen Ländern versuchte eine strenge Gesetzgebung zu verhindern, daß nationale Kunstschätze ins Ausland verkauft werden. Für sie alle wäre es ein Schlag, wenn bekannt würde, daß der Papst bereit war, einen Raphael versteigern zu lassen. Für Hamilton’s würde dieser Auftrag natürlich gewaltige Publicity bedeuten. Es würde die größte Versteigerung aller Zeiten sein, und Hamilton’s wäre von da an das berühmteste Auktionshaus der Welt. Wenn nun aber die Publicity wie ein Schuß nach hinten losginge? Was dann? Was wäre, wenn der Plan des Papstes auf solch massiven Widerstand stieße, daß er das Gemälde zurückziehen müßte, nachdem es schon angeboten worden war? Vielleicht würde es sogar Demonstrationen vor der Hamilton’s Gallery geben. Heutzutage war alles möglich. Doch trotz aller Zweifel riet Davids Instinkt ihm, ja zu sagen. Es war eine kühne Idee, einfallsreich und idealistisch, die eigentlich Erfolg haben mußte.

»Wie bald muß ich mich entscheiden?« fragte er.

»Am besten gleich. Ich will den Erdbebenopfern Hoffnung geben, und das kann ich nur durch eine rasche öffentliche Bekanntmachung. Morgen oder spätestens übermorgen. Ich machte zuerst Ihnen den Vorschlag, weil Sie Rom kennen und Kunsthistoriker sind, nicht etwa nur Geschäftsmann, und natürlich auch ... weil sie Katholik sind. Falls Sie die Sache jedoch nicht übernehmen wollen, dann muß ich mir rasch etwas Neues einfallen lassen. Sicher wird jemand von einem anderen Londoner Auktionshaus schon morgen abend hier sein können. Nun, wie lautet Ihre Antwort?« Der Papst lächelte. »Ist es weißer oder schwarzer Rauch?«

David stand auf und ging zu der Madonna hinüber. Es war ein wunderschönes, heiteres, frisches Bild. Zwanzig Millionen Dollar. Es machte ihm keine Schwierigkeiten, das Geld zu bekommen. Hamilton’s hatte mit seinen Banken eine Vereinbarung bezüglich Überziehungskrediten geschlossen, die auch ein solches Vorhaben zuließ. Genaugenommen mußte David den Vorstand konsultieren, sobald es sich um eine höhere Summe als fünf Millionen Pfund handelte, doch er verfügte auch über besondere Vollmachten, falls es um eine brandeilige Entscheidung ging. David drehte sich um.

»Meine Antwort ist ja, Eure Heiligkeit. Es ist mir eine große Ehre, Ihnen behilflich zu sein. Ich bin sicher, daß ich Ihnen das Geld spätestens übermorgen bei Schalterschluß in Rom zu Verfügung stellen kann.«

»Wunderbar! Man sagte mir schon, daß auf Sie Verlaß ist.«

David schaute zu Massoni hinüber. Er wirkte noch leichenhafter als sonst und preßte die Lippen fest zusammen.

Eine weitere Runde im alten Konflikt innerhalb der Kirche zwischen Konservativen und Liberalen stand wohl bevor. Dessen war sich David sicher.

Der Papst sprach mit Elizabeth Lisle und seinem Sekretär, O’Rourke. »Ich möchte meine Ankündigung morgen machen, rechtzeitig für die Abendnachrichten im Fernsehen und die Morgenzeitungen am Mittwoch. Sorgen Sie dafür, daß alle Maßgeblichen in der Presse ein Photo des Gemäldes bekommen. In einigen Tagen wird es das berühmteste Bild der Welt sein.« Er wandte sich an Venturini. »Giulio, die Madonna soll gleich abgehängt und verpackt werden, denn morgen wimmelt es hier ja wieder von Touristen.« Er trat mit Elizabeth Lisle zu David. »Ich bin Ihnen sehr dankbar, Mr. Colwyn. Sie sind ein mutiger Mann, und ich hoffe, daß Ihr Mut belohnt wird. Sicher müssen Sie sich jetzt um viele Details kümmern. Leider habe ich eine andere Verabredung, doch ich schlage vor, daß Sie mit Elizabeth alle Probleme erörtern, die Ihnen Kopfzerbrechen machen. Sie können Elizabeth vertrauen, Mr. Colwyn. Ich tu’s auch.« O’Rourke drängte den Heiligen Vater zum Gehen, da er sowieso schon spät dran war. Doch bevor Thomas davonhinkte, bestand er darauf, wie jeder beliebige Geschäftsmann das Abkommen mit Handschlag zu besiegeln.

David trank einen Schluck Wein und schaute sich im Restaurant um. Auf einem Wandbord gegenüber fing eine Reihe tiefroter Krüge das Licht ein. Sie saßen an einem Tisch im ›Manetti’s‹ in der Via Piemontese bei den Gärten der Villa Borghese.

Ursprünglich hatte Elizabeth Lisle vorgeschlagen, sich erst am nächsten Tag in ihrem Büro zu treffen, doch David wollte möglichst rasch nach London zurück, um seine Kollegen von Hamilton’s zu informieren, bevor der Heilige Vater seine Ankündigung machte. Also bestand er auf einer Verabredung am Abend. Sie ließ ihm Zeit, sich im ›Hassler‹ ein frisches Hemd anzuziehen, und holte ihn dann mit dem Wagen ab. »Ein zu touristisches Lokal kommt nicht in Frage, weil Sie erkannt werden könnten«, sagte sie unterwegs. »Im ›Manetti’s‹ können wir in aller Ruhe reden.«

David ließ gerade den ersten Schluck Wein auf seiner Zunge zergehen und nickte anerkennend. »Wer oder was ist Manetti?« wollte er von seiner Begleiterin wissen.

»Ein Gegner Savonarolas«, erwiderte Elizabeth leichthin. »Hier ist man nämlich der Meinung, daß Feuer nur zum Kochen verwandt werden sollte. Ein etwas makabrer Scherz, wie ihn die Italiener lieben. Aber wir brauchen keine Konversation zu machen, Mr. Colwyn. Es gibt genug Wichtiges zu besprechen.«

David lächelte. »Stimmt, doch ich kann mit vollem Magen besser denken und reden, und ich hatte heute nur einen Whisky mit Soda im Flugzeug. Wir sollten erst mal bestellen.«

Der Ober nahm ihre Bestellung entgegen und verschwand. Die aufregenden Ereignisse des Tages und der hervorragende Wein ließen in David eine fast euphorische Stimmung aufkommen, obwohl Elizabeth Lisle sich bisher überaus zugeknöpft und sachlich gab.

»Die Madonna ist bereits abgehängt worden, Mr. Colwyn«, sagte sie nun. »Gleich morgen früh wird sie als Diplomatengepäck nach London geflogen, um alle Risiken zu vermeiden. Dort wird sie einige Tage im Palais des Apostolischen Nuntius bleiben, wo neue Photos für Ihren Katalog und für die Medien gemacht werden können. Außerdem müssen Sie natürlich eine ganz spezielle Versicherung abschließen. Sobald das getan ist und wir die zwanzig Millionen Dollar haben, übergeben wir Ihnen das Gemälde. Seine Heiligkeit möchte übrigens so bald wie möglich wissen, wann die Versteigerung stattfinden wird.«

Der erste Gang wurde serviert, und David ließ sich mit der Antwort etwas Zeit. »Wir haben jetzt die zweite Aprilwoche«, überlegte er laut. »Die morgige Ankündigung wird einen Riesenrummel in der Presse auslösen, und dann sollten wir dem Drama ruhig Zeit und Raum zur Entfaltung lassen. Nur nichts überstürzen! Falls Venturini irgendeine unveröffentlichte Dokumentation über das Bild hat, könnten wir sie zu einem späteren Zeitpunkt an die Öffentlichkeit geben. Wir – ich meine Hamilton’s – laden eventuell den Bürgermeister von Foligno zur Versteigerung ein. Natürlich auf unsere Kosten. Mit diesem Hinweis können wir die allgemeine Neugier weiter anstacheln.« David trank einen Schluck Merlot. »Selbst die Sicherheitsvorkehrungen, die in diesem Fall natürlich besonders aufwendig sein müssen, lassen sich publizistisch vermarkten. Kurz vor dem Versteigerungstermin können wir dann einige Sonderbesichtigungen für ausgesuchte Interessenten organisieren. Man kann also viel tun, um das öffentliche Interesse an dem Gemälde wachzuhalten.«

Elizabeth Lisle befingerte das goldene Kreuz, das sie an einer schlichten Kette um den Hals trug. »Wunderbar, mir gefallen Ihre Ideen«, sagte sie lächelnd. »Vor der Aushändigung der Madonna im Palais des Nuntius sollten Sie uns bitte eine Aufstellung über die Sicherheitsvorkehrungen zukommen lassen.«

»In Ordnung. Noch vor dem Wochenende.«

»Wird die Madonna eigentlich allein versteigert?«

»Das steht noch nicht fest. Ich muß mich erst mit meinen Kollegen beraten. Unsere diesjährige große Auktion alter Meister, zu der jeder nach London kommt, der sich solche Bilder leisten kann, findet am 11. Juli statt. Die Madonna könnte ganz zuletzt aufgerufen werden, doch ich weiß es wirklich noch nicht. Vielleicht machen wir auch eine Abendauktion – dunkler Anzug, Champagner, TV –, weil das am spektakulärsten ist. Aber wir dürfen das nicht voreilig entscheiden. Schließlich muß noch die Reaktion des Publikums auf die Ankündigung berücksichtigt werden. Gibt es massiven Protest, wäre eine rasche Versteigerung am besten, damit sich der Widerstand nicht organisieren kann. Falls Papst Thomas die Leute jedoch davon überzeugt, daß seine Entscheidung richtig ist, dann können wir’s uns leisten, abzuwarten und die Spannung zu schüren.«

Der Ober räumte ihre Teller ab.

»Bedenken Sie bitte, daß es sich um eine ganz ungewöhnliche Versteigerung handelt. Wir wissen nicht, wer mitbieten wird, abgesehen von den größten Museen der Welt. Aber vielleicht wollen auch irgendwelche Firmen in katholischer Hand oder unter katholischer Leitung unbedingt ein Gemälde besitzen, das bisher im Vatikan hing. Doch selbst bei den Galerien kann man von einem Monat zum anderen nicht sicher sein, ob sie gerade über die nötigen Geldmittel verfügen. Neben den europäischen und amerikanischen Museen zeigen die Japaner immer mehr Interesse, und nun treten auch noch die Australier in ihre Fußstapfen. Möglich wäre auch, daß fromme Katholiken einer reichen Gemeinde sich zusammentun, um die Madonna für ihre Kirche zu kaufen. Wer weiß? Natürlich sind unsere Möglichkeiten nicht unbegrenzt, doch mit Hilfe einer optimalen Präsentation können wir vermutlich eine ganze Menge Leute davon überzeugen, daß die Madonna auch für sie durchaus in Frage kommt.« Elizabeth Lisle lauschte konzentriert. In solchen Momenten klemmte sie wie ein kleines Mädchen die Zungenspitze zwischen die Zähne. David erwärmte sich allmählich für das kühne Vorhaben. Unter der Dusche im ›Hassler‹ hatte er erste Schritte erwogen und kam nun immer mehr zu der Überzeugung, daß es für ihn eine einmalige Chance war, kühne Einfälle in die Tat umzusetzen, kurzum, Neuland zu betreten. Hamilton’s würde mit diesem Coup alle Konkurrenten weit hinter sich lassen ... Er lächelte Elizabeth Lisle wie einer Komplizin zu, gab ihr dadurch aber gleichzeitig zu verstehen, daß er Herr der Lage war, ein Fachmann im besten Sinne. Als sie zurücklächelte, wußte er, daß er sie überzeugt hatte.

Der Hauptgang wurde aufgetragen, und David schenkte Wein nach. Nachdem Elizabeth die ersten Bissen gekostet hatte, sagte sie: »Mr. Colwyn, wir werden in den nächsten Wochen viel miteinander zu tun haben. Deshalb finde ich, daß wir Ihre Auftragsbedingungen schon heute abend klären sollten.« Sie schaute ihn fragend an.

Dies war der kritische Moment des Abends. David vermutete, daß sie versuchen würde, ihn – natürlich sehr charmant – herunterzuhandeln. »Zehn Prozent ist die übliche Vereinbarung«, antwortete er mit gespieltem Gleichmut.

»Aber es handelt sich um eine ungewöhnliche Auktion, wie Sie vorhin ja selbst erwähnten. Schon die Tatsache, daß es sich um ein Bild aus dem Vatikan handelt, verschafft Ihnen ungeheure Publicity. Nehmen wir außerdem an, das Bild geht für sechzig Millionen Dollar weg und die Auktion dauert vielleicht nur zwei Minuten. Meinen Sie nicht, daß sechs Millionen Dollar für zwei Minuten Arbeit etwas überhöht sind?« fragte sie reichlich polemisch, wie David fand.