Der Lotse oder: Abenteuer an Englands Küste - James Fenimore Cooper - E-Book

Der Lotse oder: Abenteuer an Englands Küste E-Book

James Fenimore Cooper

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Beschreibung

Der Held des Buches ist Paul Jones, der über eine dunkle Vergangenheit und ein noch dunkleres Schicksal hadert. Während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges segelt ein Schiff im Auftrag des neu gegründeten amerikanischen Kongresses nach England, ins Herz des britischen Empires. Aber das waghalsige Landemanöver wird nur dank der Kenntnisse des geheimnisumwitterten Lotsen gelingen können. Cooper schafft es, das raue Leben auf den Segelschiffen der damaligen Zeit hautnah zu vermitteln. Null Papier Verlag

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James Fenimore Cooper

Der Lotse oder: Abenteuer an Englands Küste

Komplettausgabe

James Fenimore Cooper

Der Lotse oder: Abenteuer an Englands Küste

Komplettausgabe

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019Übersetzung: . r. EV: Adolf Wienbrack, Leipzig, 1824 1. Auflage, ISBN 978-3-962816-17-9

null-papier.de/653

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Ers­ter Teil.

Vor­re­de.

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

Zwei­ter Teil

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

Drit­ter Teil

Vor­wort.

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

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Erster Teil.

Zum letz­ten Mit­tel, wenn kein an­de­res mehr Ver­fan­gen will, ist – das Schwert ge­ge­ben!

Schil­ler.

Vorrede.

Ver­steht es je­mand, den Kin­dern der Fan­ta­sie zu ih­ren Spie­len einen his­to­ri­schen Grund und Bo­den zu ge­ben; so ist es, au­ßer Wal­ter Scott, irrt sich der Über­set­zer nicht, der Ame­ri­ka­ner Cooper, des­sen »An­sied­ler« be­reits so gern ge­le­sen wer­den, so gut be­ur­teilt wur­den. Dort wird der Le­ser in eine jun­ge ame­ri­ka­ni­sche Ko­lo­nie ver­setzt. Die Na­tur und das Le­ben des Men­schen, wie bei­de in Ame­ri­ka sind, wer­den mit der ge­üb­ten Hand ei­nes Land­schaft­ma­lers ge­zeich­net. Hier, in dem Loot­sen,1 ma­chen wir die Fahrt längs Eng­lands nörd­li­chen, stei­len Klip­pen, und schau­en die furcht­bars­ten Aben­teu­er auf dem stür­mi­schen Mee­re, der Küs­te selbst. Nicht blo­ße Fan­ta­sie malt uns hier die Ge­stal­ten ei­nes Barn­sta­ble, ei­nes Grif­fith, des ge­heim­nis­vol­len Loot­sen. Der Name des letz­tern we­nigs­tens steht in den An­na­len des ame­ri­ka­ni­schen Frei­heits­krie­ges mit un­aus­lösch­li­chen Zü­gen ein­ge­gra­ben. Wohl zit­ter­te Eng­lands Volk vor dem furcht­ba­ren Paul Jo­nes, der mit sei­nem klei­nen Ge­schwa­der an Eng­lands Küs­te vor Scar­bo­rougs Ha­fen ein eng­li­sches viel grö­ße­res die See­gel zu strei­chen nö­tig­te. Der Über­set­zer be­merkt nur noch, dass er bei sei­ner Ar­beit eine dop­pel­te Klip­pe zu um­schif­fen hat­te. Die große Men­ge Wör­ter aus der Schiffs­ter­mi­no­lo­gie wa­ren im Deut­schen von ei­nem Man­ne, der nur im­mer »süs­ses Was­ser« sah, mit Mühe wie­der­zu­ge­ben; sie muss­ten aber auch so wie­der­ge­ge­ben wer­den, dass sie an­de­ren, wel­che gleich ihm nie das fes­te Land ver­lie­ßen, nicht lang­wei­lig und un­ver­ständ­lich wur­den. Ob er zwi­schen die­sen Klip­pen glück­lich durch­ge­kom­men ist, wird ihm die bil­li­ge Kri­tik ei­nes see­män­ni­schen Re­zen­sen­ten sa­gen. Dass er statt ei­ni­ger aus eng­li­schen Dich­tern ge­nom­me­nen Ru­bri­ken hof­fent­lich pas­sen­de aus deut­schen un­ter­schob, wird wohl kei­ner Ver­tei­di­gung be­dür­fen. Das Mot­to auf dem Ti­tel: List! Ye Lands­men all, to me! hät­te sich für uns am We­nigs­ten ge­eig­net.

Leip­zig, den 20. Ju­ni­us 1824.

Der Ti­tel des Ori­gi­nals ist: The pi­lot; a Tale of the Sea. In three Vol. Lond. 1824. 8.  <<<

I.

Dro­hend kommt das Meer ge­zo­gen, Bricht sich an des Schif­fes Bauch.

Lied.

Ein Blick auf die Land­kar­te wird den Le­ser so­gleich mit der öst­li­chen Küs­te der In­sel von Groß­bri­tan­ni­en in Hin­sicht ih­rer Lage be­kannt ma­chen. Die Ge­sta­de des fes­ten Lan­des sind ihr ge­gen­über. Zwi­schen bei­den fin­det sich die Grän­ze des klei­nen Mee­res, das seit Men­schen­al­tern der gan­zen Welt als die Büh­ne von so vie­len Ta­ten zur See, als der große Kanal be­kannt war, auf wel­chem Krieg und Han­del die Flot­ten der nörd­li­chen Völ­ker Eu­ro­pas lei­te­ten. Die In­sel­be­woh­ner mach­ten lan­ge Zeit dar­auf einen An­spruch, den die ge­sun­de Ver­nunft auf die Heer­stra­ße al­ler Völ­ker kei­ner Macht ein­räu­men kann und wel­cher häu­fig zu Strei­tig­kei­ten führ­te, die mit ei­nem Blut­ver­gie­ßen, ei­nem Auf­wan­de en­de­ten, dass bei­des mit dem Ge­win­ne, der je aus der Be­haup­tung sol­cher nutz­lo­sen und un­si­chern Rech­te ent­sprin­gen kann, in kei­nem Ver­hält­nis stand. Auf die Ge­wäs­ser die­ses in An­spruch ge­nom­me­nen Ozeans wol­len wir un­se­re Le­ser in Ge­dan­ken zu ver­set­zen su­chen, in­dem wir einen Zeit­rah­men für un­se­re Aben­teu­er wäh­len, der na­ment­lich für je­den Ame­ri­ka­ner teu­er ist. Er wur­de der Ge­burts­tag die­ses Vol­kes. Er war der Au­gen­blick, wo Ver­nunft und Ge­mein­sinn an die Stel­le der Ge­wohn­heit und des Feu­dal­rechts bei den An­ge­le­gen­hei­ten der Völ­ker tra­ten.

Bald nach­dem die Er­eig­nis­se der ame­ri­ka­ni­schen Re­vo­lu­ti­on die Kö­nig­rei­che Frank­reich und Spa­ni­en und die Re­pu­blik Hol­land in die­sen Krieg ver­wi­ckelt hat­ten, war eine Zahl von Land­leu­ten auf ei­nem Fel­de bei­sam­men, das dem Win­de des Ozeans an der Nord­ost­küs­te Eng­lands of­fen ge­gen­über lag. Sie such­ten sich ihre müh­se­li­ge Ar­beit, die trau­ri­ge Dun­kel­heit ei­nes De­zem­ber­ta­ges durch Mit­tei­lung ih­rer schlich­ten Mei­nun­gen über Po­li­tik und die Aus­sich­ten der Zeit zu er­leich­tern, auf­zu­hel­len. Dass Eng­land mit ei­ni­gen sei­ner Staa­ten auf der an­de­ren Sei­te des Ozeans im Krie­ge war, galt ih­nen als lang be­kann­te Tat­sa­che, in­so­weit das Gerücht von ent­fern­ten, sie we­nig an­ge­hen­den Din­gen ihre Auf­merk­sam­keit in An­spruch nahm. Al­lein jetzt hat­ten sich auch Völ­ker, mit de­nen Eng­land in Streit zu lie­gen ge­wohnt war, hin­ein­ge­mischt, und das Geräusch der Waf­fen stör­te selbst die Ruhe die­ser ein­sam woh­nen­den und un­ge­bil­de­ten Land­leu­te. Die Haupt­spre­cher bei die­ser Ge­le­gen­heit wa­ren ein schot­ti­scher Vieh­trei­ber, und ein ir­län­di­scher Feld­ar­bei­ter, der den Weg über den Kanal und so wei­ter ins In­ne­re der In­sel, in­dem er dem Ta­ge­lohn nach­ging, ge­fun­den hat­te.

»Die Schwar­zen1 wür­den ein Spaß für Alt-Eng­land sein, ohne Ir­land zu rech­nen«, sag­te der letz­te­re, »wenn die Fran­zo­sen und Spa­nier sich nicht in die Sa­che ge­mengt hät­ten. Ich den­ke, wir sind ih­nen da­für nicht viel Dank schul­dig, wenn ein Mensch so nüch­tern sein muss, wie ein Pries­ter in der Mes­se, bloß aus Furcht, sich sonst un­ter die Sol­da­ten ge­nom­men zu se­hen, ehe er dar­an nur ge­dacht hat.«

»Bah, bah! Ihr wisst viel, wie ge­wor­ben wer­den muss, ihr in Ir­land, wenn ihr nicht eine Trom­mel auf eine Ton­ne mit Whis­key stellt«, be­merk­te der an­de­re und wink­te den üb­ri­gen Land­leu­ten. »Ja, da hier im Nor­den dür­fen wir nur pfei­fen, und dann fol­gen sie dem Du­del­sack so wil­lig, als wenn es am Sonn­tag in die Kir­che geht. Ich habe die Lis­te von ei­nem ganz hoch­schot­ti­schen Re­gi­men­te auf ei­nem Pa­pier­chen ge­se­hen, das ei­nes Mäd­chens Hand be­de­cken konn­te. Es wa­ren bloß Ca­me­rons und M’Do­nalds und doch pa­ra­dier­ten 600 Mann. – – Aber was gibts denn da? Der Bur­sche scheint mir für einen See­mann zu viel Ap­pe­tit zum fes­ten Lan­de zu ha­ben und wenn der Grund so ist, wie die Ober­flä­che der See, kann er leicht Schiff­bruch lei­den.«

Die un­er­war­te­te Wen­dung in der Rede zog al­ler Au­gen auf den Ge­gen­stand, den ih­nen der Stab des Spre­chen­den be­merk­lich mach­te. Zum großen Er­stau­nen al­ler An­we­sen­den um­se­gel­te ein klei­nes Fahr­zeug die Land­spit­ze, wel­che eine der bei­den Sei­ten der klei­nen Bai bil­de­ten, auf de­ren an­de­ren das Feld der Land­leu­te lag. In dem Äu­ßern des un­ge­wöhn­li­chen Zu­spru­ches war et­was ganz Be­son­de­res, und dies trug zu dem Stau­nen, das sei­ne Er­schei­nung in die­ser fer­nen Ge­gend er­reg­te, nicht we­nig bei. Nur die kleins­ten Fahr­zeu­ge, aber auch die­se sel­ten, und in lan­gen Zwi­schen­räu­men ein ver­zwei­feln­der Schmugg­ler, wa­ren da­für be­kannt, dass sie sich un­ter den Sand­bän­ken und ver­bor­ge­nen Klip­pen, die an die­ser Küs­te in so großer Men­ge lie­gen, so nahe ans Land wag­ten. Die küh­nen See­leu­te, wel­che jetzt die­se ge­fähr­li­che und, wie es schi­en, ohne al­len Kopf be­gon­ne­ne Fahrt wag­ten, wa­ren auf ei­nem klei­nen Schoo­ner, des­sen Bau­art mit den hoch­auf­stre­ben­den Mas­ten in gar kei­nem Ver­hält­nis­se stand. Die letz­tern tru­gen eine leich­te­re auf­ge­setz­te Spit­ze, die am äu­ßers­ten Ende so dünn aus­ging, dass sie nicht stär­ker er­schi­en, als der trä­ge Wim­pel, der sich bei dem schwa­chen Win­de um­sonst zu ent­wi­ckeln such­te.

Der kur­ze Tag in je­ner nörd­li­chen Brei­te ging be­reits zu Ende, die Son­ne warf schon ihre schei­den­den Strah­len schief über das Ge­wäs­ser und ver­sil­ber­te hier und da die düs­tern Wo­gen mit ih­rem blas­sen Lich­te. Dem Schei­ne nach war der stür­mi­sche Wind des deut­schen Ozeans ein­ge­schlä­fert. Zwar roll­ten die Wo­gen an der Küs­te un­auf­hör­lich, und mach­ten den An­blick, die düs­te­re Stun­de noch grau­sen­der. Al­lein ein sanf­ter vom Land her we­hen­der Wind zer­schnitt doch die Flu­ten. Nur in dem dump­fen, hoh­len Mur­meln, dem ei­nes Vul­kans am Abend, ehe er aus­bricht, ähn­lich, war trotz des letz­tern güns­ti­gen Um­stan­des, et­was, das die Un­ru­he, die Furcht stei­ger­te, mit wel­cher die Land­leu­te die­se un­ge­wöhn­li­che Stö­rung der Ruhe in ih­rer klei­nen Bai wahr­nah­men. Das große Se­gel war auf dem Fahr­zeu­ge al­lein in Tä­tig­keit, ein leich­tes Fock­se­gel ab­ge­rech­net, das weit über den Vor­der­bord hin­aus leicht und luf­tig flat­ter­te und den Zuschau­ern ganz wie ein Zau­ber­bild vor­kam. Sie wen­de­ten den ver­wun­dern­den Blick in stil­lem Stau­nen auf ein­an­der selbst. End­lich mein­te der Vieh­trei­ber ganz ernst­lich:

»Der das Steu­er­ru­der hat, muss ein ke­cker Bur­sche sein. Und wenn sein Schiff im Kiel mit Holz aus­ge­füt­tert ist, wie die Bri­gan­ti­nen, die zwi­schen Lon­don und dem Frith bei Leith hin- und her­fah­ren, er ist doch in grö­ßern Ge­fah­ren, als ein klu­ger Mann es wün­schen möch­te. Jetzt ist er bei dem Fel­sen, der sich in die Höhe hebt, wenn die Flut ver­lau­fen ist. Er ist glück­lich her­um. Aber lan­ge kann kein Mensch an ei­ner sol­chen Küs­te steu­ern, ohne bald Was­ser über dem Land zu­sam­men­zu­tref­fen.«

Der klei­ne Schoo­ner aber steu­er­te im­mer zwi­schen Klip­pen und Sand­bän­ken da­hin und mach­te so leich­te Wen­dun­gen, dass man wohl sah, er sei un­ter der Lei­tung ei­nes Man­nes, der sei­ne Lage ken­ne. Nach­dem er end­lich so­weit in die Bai ge­fah­ren war, als die Klug­heit ge­stat­ten konn­te, wur­de das Se­gel ein­gerefft, ohne dass eine Hand da­bei tä­tig zu sein schi­en. Das Schiff fuhr ei­ni­ge Län­gen über die Wo­gen da­her, die der Ozean her­ein­strö­men ließ, schwank­te in der Flut noch hin und her und lag end­lich ru­hig an sei­nem An­ker.

Die Bau­ern mach­ten nun man­che küh­ne­re Be­mer­kun­gen über das, was der Be­such wol­le, wer er sei. Ei­ni­ge mein­ten, er wäre wohl mit Con­tre­ban­de be­la­den. An­de­re, es sei­en hier feind­li­che Ab­sich­ten und Krieg da­hin­ter. Es kam so­gar von fer­ne der Zwei­fel zur Spra­che, ob hier ein wirk­li­ches Schiff zu se­hen sei; denn, mein­te ei­ner und der an­de­re, kein von Men­schen be­mann­tes Fahr­zeug wür­de es wa­gen, an ei­ner so ge­fähr­li­chen Küs­te zu ei­ner Zeit zu steu­ern, wo der un­er­fah­rens­te Land­mann den be­vor­ste­hen­den Sturm vor­aus­sa­gen kön­ne. Der Schot­te hat­te bei al­ler Tä­tig­keit, die sei­nen Lands­leu­ten ei­gen ist, doch auch kei­nen klei­nen Teil von ih­rem Aber­glau­ben. Er neig­te sich da­her gar sehr zu der letz­tern Mei­nung hin und fing eben an, sei­ne Ge­dan­ken mit Be­dacht­sam­keit und Um­sicht aus­zu­spre­chen, als der Ir­län­der, der mit sei­ner An­sicht nicht völ­lig in Rich­tig­keit war, ihn un­ter­brach.

»Mei­ner Treu!« rief er. »Ein großes und ein klei­nes! Wenn das See­geis­ter sind, so lie­ben sie Ge­sell­schaft wie an­de­re Chris­ten­menschen!«

»Zwei?« wie­der­hol­te der an­de­re. »Zwei? Das be­deu­tet für einen von uns ein Un­glück. Zwei Schif­fe, die nie­mand führt, an ei­ner so ge­fähr­li­chen Stel­le, und wo kei­nes Men­schen Auge hin­reicht, die Ge­fahr alle zu zei­gen, droht dem, der hin­guckt, Ge­fahr. Ei! ein Jähr­ling ist das nicht, der da an­kommt. Seht; seht! das ist ein schö­nes Schiff; ein großes!«

Er hielt inne, nahm sein Bün­del vom Bo­den auf, warf noch einen for­schen­den Blick auf die Ge­gen­stän­de sei­nes Ver­dachts, sah dann be­däch­tig sei­ne Um­ge­bun­gen an und nahm dann lang­sam den Weg tiefer ins Land, in­dem er mein­te: »Ich wun­de­re mich gar nicht, wenn das große Schiff einen Be­fehl vom Kö­nig Ge­org am Bord hat. Nun, ich gehe nach der Stadt. Mir ah­net et­was. Die zwei Schif­fe sind mir ver­däch­tig. Das klei­ne nimmt einen Men­schen weg, mir nichts, dir nichts, und das große ver­schluckt uns alle und noch zwei­mal so­viel, wie wir hier sind.«

Die­ser heil­sa­me Rat mach­te eine all­ge­mei­ne Be­we­gung rege, denn eine tüch­ti­ge Ma­tro­sen­pres­se war be­reits ein Gerücht des Ta­ges ge­wor­den. Die Män­ner raff­ten ihr Ar­beits­ge­rä­te zu­sam­men und gin­gen heim. Zwar war­fen man­che einen neu­gie­ri­gen Blick auf die Be­we­gun­gen der Schif­fe von den fer­nen Hü­geln, aber we­ni­ge von ih­nen wag­ten es, sich den Klip­pen zu nä­hern, die die Bai selbst um­gür­te­ten. Hat­ten sie doch nichts un­mit­tel­bar mit den ge­heim­nis­vol­len Fremd­lin­gen zu tun.

Das Schiff, das alle die­se Un­ru­he er­reg­te, war ein großes Ge­bäu­de. Sei­ne ho­hen Mas­ten, sei­ne vier­e­cki­gen Raaen, lie­ßen es in der Abend­däm­merung über das Meer wie einen aus der Tie­fe em­por­stei­gen­den Berg an­schau­en. Es führ­te nur we­nig Se­gel und ob es schon sorg­fäl­tig ver­mied, sich mehr dem Lan­de zu nä­hern, das der Schoo­ner be­reits er­reicht hat­te, so war doch die Über­ein­stim­mung al­ler Be­we­gun­gen von bei­den groß ge­nug, auf die Ver­mu­tung zu kom­men, bei­de sei­en mit ei­nem Zwe­cke be­schäf­tigt. Die Fre­gat­te, – denn zu die­ser Ord­nung ge­hör­te das Schiff, – lief bis an den Ein­gang der Bai ma­je­stä­tisch hin und ma­nö­vrier­te nicht mehr als nö­tig war, um dem Ge­fähr­ten ge­gen­über die Se­gel­stan­gen ge­ra­de zu stel­len und ru­hig zu hal­ten. In­des­sen der Wind, der bis jetzt ihre Se­gel ge­schwellt hat­te, ließ nach. Die Land­luft hör­te eben­falls auf. Die Wo­gen, vom deut­schen Mee­re her­an­wäl­zend, fan­den kei­nen Wi­der­stand mehr, und so trie­ben sie die Fre­gat­te mit der Strö­mung ver­ei­nigt nach ei­ner der Spit­zen von der Bai, wo die schwar­zen Häup­ter der Fel­sen aus dem Mee­re her­auf­tauch­ten. Die Mann­schaft warf hier sei­nen An­ker und reff­te alle Se­gel ein. Wäh­rend das Schiff am Tau schwank­te, ward eine große Flag­ge auf­ge­hisst und ein schar­fes Lüft­chen ent­fal­te­te bald das wei­ße Feld und rote Kreuz, das Eng­lands Wap­pen schmückt, in dem Maa­ße, dass selbst der be­däch­ti­ge Vieh­trei­ber in der Freie ste­hen ge­blie­ben war, hin­zu­schau­en. Als in­des­sen ein Boot aus dem einen und dem an­de­ren Schif­fe her­ab­ge­las­sen war, so be­schleu­nig­te er sei­ne Schrit­te und mach­te sei­nen sich wun­dern­den Ge­fähr­ten be­merk­lich: »Die Schif­fe wä­ren ei­nes wie das an­de­re; aber weit da­von zu sein, blie­be am bes­ten!«

Eine star­ke Mann­schaft stieg in die Scha­lup­pe, die von der Fre­gat­te her­ab­ge­las­sen war. Sie nahm einen Of­fi­zier und einen jun­gen, un­ter sei­nem Be­fehl ste­hen­den Mann ein und ging dann mit ab­ge­mes­se­nem Ru­der­schlag ge­ra­de in das In­ne­re der Bai. Als sie nicht fern vom Schoo­ner war, stieß eine klei­ne Bar­ke, von vier kräf­ti­gen Män­nern ge­führt, auch von die­sem ab, über die Flu­ten mehr hintan­zend, als sie durch­schnei­dend, und mit wun­der­vol­ler Schnel­lig­keit auf sie zu­ei­lend. Kaum wa­ren die Fahr­zeu­ge ein­an­der nahe, als die Mann­schaft, den von den Of­fi­zie­ren ge­ge­be­nen Si­gna­len zu­fol­ge, das Ru­dern ein­stell­te und bei­de ei­ni­ge Au­gen­bli­cke an­hiel­ten. Wäh­rend des­sen fand fol­gen­des Ge­spräch statt.

»Ist denn der alte Mann när­risch?« rief der jun­ge Of­fi­zier in der Bar­ke, als sei­ne Leu­te mit Ru­dern inne ge­hal­ten hat­ten. »Denkt er denn, der Kiel des Ari­els ist von Ei­sen und ein Fel­sen kann ihm kei­nen Leck bei­brin­gen? Oder glaubt er, wir sind Al­li­ga­tors, die nicht er­sau­fen kön­nen?«

Ein be­däch­ti­ges Lä­cheln spiel­te einen Au­gen­blick in den Zü­gen des jun­gen Man­nes, der hin­ten in der Scha­lup­pe mehr lag, als saß. Dann be­merk­te er:

»Er kennt eure Klug­heit viel zu gut, Ka­pi­tän Barn­sta­ble, als dass er fürch­ten soll­te, euer Schiff könn­te un­ter­ge­hen oder eure Mann­schaft er­sau­fen. Wie viel Fa­den habt ihr?«

»Ich mag gar nicht son­die­ren«, er­wi­der­te Barn­sta­ble. »Wenn ich die Klip­pen so wie die Meer­schwei­ne her­aus­g­cu­ken sehe, fürch­te ich mich die Hand ans Senk­blei zu le­gen.«

»Nun ihr seid doch noch flott!« rief der an­de­re mit ei­ner Hef­tig­keit, die eine in­ne­re Un­ru­he ver­riet.

»Flott?« wie­der­hol­te sein Freund. »Ja, der Ari­el wür­de in der Luft flott sein.«

Wäh­rend er so sprach, sprang er auf, nahm die le­der­ne Schiffs­müt­ze ab und strich das schwar­ze lo­cki­ge Haar aus dem von der Son­ne ge­bräun­ten Ge­sich­te zu­rück, wäh­rend er nach sei­nem klei­nen Schiff mit dem Wohl­ge­fal­len ei­nes See­man­nes schau­te, der auf die Ei­gen­schaf­ten des­sel­ben stolz ist.

»’s ist aber doch ein bö­ses Stück Ar­beit, Grif­fith, auf ei­nem sol­chen Orte und in so ei­ner Nacht und mit ei­nem An­ker lie­gen zu blei­ben. Nun, wie lau­ten denn die Be­feh­le?«

»Ich soll so weit vor­drin­gen, als ich kann, und dann an­le­gen; ihr sollt Mer­ry an Bord neh­men und das Ufer zu ge­win­nen su­chen.«

»Ufer?« er­wi­der­te Barn­sta­ble. »Nennt ihr einen senk­rech­ten Fel­sen von hun­dert Fuß Höhe ein Ufer?«

»Wir wol­len nicht über Aus­drücke strei­ten!« ver­setz­te Grif­fith lä­chelnd. »Aber ihr müsst schon so ma­nö­vrie­ren, dass ihr das Land ge­winnt. Wir ha­ben das Si­gnal vom Lan­de und wis­sen, der schon so lan­ge er­war­te­te Loot­se ist da, an Bord bei uns zu ge­hen.«

Barn­sta­ble schüt­tel­te den Kopf mit be­denk­li­cher Mie­ne.

»Das ist eine wun­der­li­che Fahrt«, brumm­te er für sich; »erst lau­fen wir in eine un­be­kann­te Bai ein, die vol­ler Klip­pen, Sand­bän­ke und Un­tie­fen ist, und dann be­kom­men wir un­sern Loot­sen. – Ja, aber wie soll ich ihn denn er­ken­nen?«

»Mer­ry wird euch die Pa­ro­le ge­ben und sa­gen, wie ihr ihn zu su­chen habt. Ich wür­de selbst ans Land ge­hen, aber mei­ne Wei­sung ver­bie­tet dies. Trefft ihr auf Schwie­rig­kei­ten, so lasst nur drei Ru­der in die Höhe he­ben, und ich kom­me euch zu Hil­fe. Drei Ru­der in die Höhe ge­hal­ten und ein Pis­to­len­schuss brin­gen mei­ne Ge­weh­re zum Schuss, und so wie die Scha­lup­pe das Si­gnal wie­der­holt, gibt die Fre­gat­te Feu­er.«

»Gro­ßen Dank!« rief Barn­sta­ble sorg­los, »großen Dank! Ich den­ke, auf der Küs­te will ich mei­ne Fein­de, die etwa hier zu tref­fen wä­ren, ganz al­lein be­kämp­fen. Der alte Mann ist aber wahr­lich när­risch. Ich wür­de« –

»Ihr wür­det sei­nem Be­fehl ge­hor­chen, wenn er hier wäre, und wer­det jetzt so gut sein, dem mei­ni­gen zu ge­hor­chen!« war Grif­fiths Ge­gen­re­de, in ei­nem Ton, dem der freund­li­che Blick des Au­ges wi­der­sprach. – »Macht fort und sucht einen klei­nen Mann in dun­kel­grü­ner Ja­cke auf. Mer­ry wird euch die Pa­ro­le ge­ben. Ant­wor­tet er dar­auf, so bringt ihr ihn an Bord.«

Die bei­den jun­gen Män­ner grüß­ten ein­an­der, freund­lich mit dem Kop­fe ni­ckend, und der jun­ge Mann, Na­mens Mer­ry, eil­te aus der Scha­lup­pe in die an­de­re Bar­ke. Barn­sta­ble nahm sei­nen Platz wie­der ein und wink­te mit der Hand. Die Ma­tro­sen leg­ten aufs Neue Hand an ihre Ru­der. Das leich­te Fahr­zeug ent­fern­te sich ge­schwind von sei­nem Ge­fähr­ten und eil­te dem fel­si­gen Ge­sta­de zu. Es fuhr erst eine Stre­cke längs dem­sel­ben hin, um einen be­que­men Lan­dungs­platz zu su­chen, und end­lich bot sich, als es die Flu­ten durch­schnit­ten hat­te, ein Punkt dar, wo be­quem aus­ge­stie­gen wer­den konn­te.

Die Scha­lup­pe folg­te wäh­rend des­sen in ei­ni­ger Ent­fer­nung lang­sa­mer und vor­sich­tig, und als sie sah, die Bar­ke habe an der Sei­te des Fel­sens an­ge­legt, warf sie einen An­ker aus, wäh­rend die Mann­schaft zum Ge­wehr griff, beim ers­ten Zei­chen feu­ern zu kön­nen. Je­der­mann schi­en stren­gen Be­feh­len zu ge­hor­chen, die schon vor­her ge­ge­ben sein muss­ten, denn der jun­ge Mann, den un­se­re Le­ser be­reits un­ter dem Na­men Grif­fith ken­nen ge­lernt ha­ben, sprach nur we­nig und dann bloß in kräf­ti­gen Aus­drücken, wie man sie von Leu­ten hört, die wohl wis­sen, dass man ih­nen ge­hor­chen muss. Als die Scha­lup­pe vor An­ker lag, warf er sich auf sei­ne ge­pols­ter­te Bank und zog nach­läs­sig den Hut über das Auge. Dann schi­en er ei­ni­ge Mi­nu­ten in Ge­dan­ken ver­tieft, die sei­ner ge­gen­wär­ti­gen Lage ganz fremd zu sein schie­nen. Manch­mal stand er auch auf und warf einen Blick auf die Küs­ten, als wol­le er sei­ne Ka­me­ra­den aus­spä­hen. Dann blick­te er wie­der aus­drucks­voll nach dem Ozean, und sein zer­streu­tes gleich­gül­ti­ges We­sen mach­te dann dem be­sorg­ten, ver­stän­di­gen Blick ei­nes See­man­nes Platz, des­sen Er­fah­rung den Jah­ren vor­aus­ge­eilt ist. Sei­ne an Be­schwer­den ge­wöhn­ten kräf­ti­gen Leu­te sa­ßen, als sie sich in Ver­tei­di­gungs­zu­stand ge­setzt hat­ten, in tie­fem Still­schwei­gen, die eine Hand in die Ja­cken ge­steckt, das Auge im­mer ernst­lich auf alle Wol­ken ge­rich­tet, die in der dro­hen­den At­mo­sphä­re zer­streut wa­ren. So oft sich die Scha­lup­pe hö­her als ge­wöhn­lich hob, wenn eine Woge vom Ozean in die Bai mit stei­gen­der Schnel­lig­keit und Grö­ße ein­drang, war­fen sie sich gar be­denk­li­che Bli­cke zu.

Spott­na­me für die Ame­ri­ka­ner  <<<

II.

Ein Reu­ter­wamms muss dei­ne Schön­heit ber­gen. Tritt küh­ner auf, ver­birg des Mäd­chens Schein, Bei Män­nern wirst du dann ein ke­cker Mann auch sein.

Pri­or.

Als die Bar­ke die oben be­schrie­be­ne Stel­lung ein­ge­nom­men, sprang der jun­ge Lieut­nant, den man, weil er einen Schoo­ner kom­man­dier­te, ge­wöhn­lich Ka­pi­tän nann­te, auf das Ufer und ihm folg­te der jun­ge Ka­det, der, wie wir im vo­ri­gen Ka­pi­tel sa­hen, die Scha­lup­pe ver­ließ, um an der ge­fähr­li­chen Fahrt An­teil zu neh­men.

»Hier gibts, wenns hoch kommt, eine Art Ja­cobs­lei­ter zu er­stei­gen«, be­merk­te Barn­sta­ble und warf einen Blick in die Höhe auf die zu er­klim­men­de Fel­sen­mas­se: »Und wenn wir oben sind, wis­sen wir noch gar nicht, dass wir gut auf­ge­nom­men wer­den.«

»Wir sind ja un­ter den Ka­no­nen der Fre­gat­te!« er­wi­der­te der Ka­det. »Erin­nert euch dar­an, Sir, drei Ru­der und ein Pis­to­len­schuss, den die Scha­lup­pe wie­der­holt, lässt sie Feu­er ge­ben.«

»Ja, auf eu­ren Kopf. Bur­sche, traue ja nicht so ei­nem fer­nen Schus­se. Er macht viel Qualm und ein bi­schen Lärm, aber es ist ein ent­setz­lich un­ge­wis­ses We­sen, wenn solch alt Ei­sen um­her­ge­wor­fen wird. Bei so ei­ner Ge­schich­te, wie die­se ist, traue ich Tom Coffin und sei­ner Har­pu­ne, wenn ich sie im Hin­ter­hal­te weiß, mehr, als der bes­ten Lage von al­len drei De­cken ei­nes Schif­fes mit neun­zig Ka­no­nen. – Frisch! nimm die Kno­chen zu­sam­men, sieh, ob du auf dem fes­ten Lan­de fort­kom­men kannst, Mas­ter Coffin.«

Der Boots­mann, der auf sol­che eben nicht tröst­li­che Art an­ge­re­det wur­de, stand lang­sam von dem Plat­ze auf, wo er als Bei­schiffs­füh­rer der Bar­ke ge­ses­sen hat­te, und schi­en in eben dem Maa­ße hö­her zu wer­den, als er sei­nen mehr­fach zu­sam­men­ge­beug­ten Kör­per aus­ein­an­der­streck­te. Wie er da stand, hielt er reich­li­che sechs Fuß und eben so­viel Zoll, und doch war er, selbst wenn er mög­lichst senk­recht stand, im­mer mit Kopf und Schul­tern vor­wärts ge­neigt, – eine Fol­ge sei­nes ge­wöhn­li­chen Auf­ent­hal­tes in nied­ri­gen Woh­nun­gen. Sei­nem Äu­ßern fehl­te die run­de Li­nie ei­nes wohl­ge­bil­de­ten Man­nes. Aber die un­ge­heu­ern Hän­de lie­ßen so­viel Kno­chen und Seh­nen se­hen, dass sie wohl einen Vor­schmack von sei­ner Rie­sen­kraft ga­ben. Ein klei­ner brau­ner Hut mit krum­mer Spit­ze, gab sei­nen rau­en Zü­gen noch mehr Aus­druck und un­ter­stütz­te dar­in den schwar­zen Ba­cken­bart, den be­reits das Al­ter ein we­nig grau zu fär­ben be­gann. Eine sei­ner Hän­de griff me­cha­nisch gleich­sam nach dem Schaft ei­ner Har­pu­ne, de­ren Spit­ze fest auf den Fel­sen ein­ge­setzt wur­de, und so ver­ließ er, dem Be­feh­le sei­nes Füh­rers zu­fol­ge, das Plätz­chen, das er, ob es schon, in Be­treff sei­nes ge­ra­den Um­fan­ges, einen un­ge­mein klei­nen Raum ge­währ­te, bis jetzt ein­ge­nom­men hat­te.

Als Ka­pi­tän Barn­sta­ble sei­ne Kräf­te so ge­stei­gert sah, gab er erst der Mann­schaft in der Bar­ke noch ei­ni­ge vor­läu­fi­ge Wei­sun­gen und be­gann den schwie­ri­gen Ver­such, auf den Fel­sen zu klet­tern. Trotz sei­ner Kühn­heit und Ge­len­kig­keit wür­de er da­bei ge­schei­tert sein. Al­lein von Zeit zu Zeit stand ihm der Bei­schiffs­füh­rer bei, dem sei­ne un­ge­heu­re Stär­ke, sei­ne un­ge­mein lan­gen Glie­der An­stren­gun­gen er­laub­ten, die die meis­ten ver­geb­lich ma­chen wür­den. Als nun noch ei­ni­ge Schrit­te zu er­klim­men wa­ren, mach­ten sie auf ei­nem Vor­sprun­ge Halt, teils um Rat zu zu hal­ten. Bei­des schi­en für das, was fer­ner ge­sche­hen soll­te, gleich sehr nö­tig.

»Das ist ein bö­ser Platz zum Rück­zu­ge, wenn wir auf Fein­de sto­ßen!« sag­te Barn­sta­ble. »Wo sol­len wir denn aber den Loot­sen fin­den, Mer­ry, und wie ihn ken­nen? Seid ihr denn auch ge­wiss, dass er uns nicht hin­ter­ge­hen wird?«

»Die Fra­ge, die ihr ihm vor­zu­le­gen habt, steht auf dem Pa­pier da«, ver­setz­te der Ka­det und reich­te Barn­sta­ble die Pa­ro­le hin. »Wir be­ka­men von der Fel­sen­spit­ze je­nes Hor­nes von der Bai das Si­gnal, und da er un­se­re Bar­ke ge­se­hen ha­ben muss, so wird er wohl hier­her kom­men. Trau­en müs­sen wir ihm, denn er hat das Ver­trau­en des Ka­pi­täns Mun­son, der nicht auf­ge­hört hat, nach dem Si­gnal zu schau­en, so bald wir Land sa­hen.«

»Ei«, brumm­te der Lieut­nant, »ich kann nun lan­ge nach ihm schau­en, jetzt da wir am Lan­de sind. Ich fah­re nicht gern so dicht an der Küs­te und habe zu ei­nem Ver­rä­ter kein Ver­trau­en. Was meinst du, Mas­ter Coffin?«

Der raue, alte See­mann dreh­te sich, so an­ge­re­det, ge­gen sei­nen Be­fehls­ha­ber.

»Gebt mir nur Fahr­was­ser und gut Ta­kel­werk«, sag­te er mit ge­zie­men­dem Erns­te, »und wir brau­chen kei­nen Loot­sen. Ich für mei­nen Teil bin am Bord ei­ner Schebe­cke zur Welt ge­kom­men und habe nie ein­se­hen ler­nen, wozu man mehr Land braucht, als etwa eine klei­ne In­sel ist, um ein Paar Ret­ti­ge mit­zu­neh­men oder einen Fisch zu trock­nen. Ich darf nur Land se­hen, so wird mir schon übel, wenn nicht ein fri­scher Wind von da­her weht.«

»Bist ein ge­schei­ter Bur­sche, Tom!« rief Barn­sta­ble, halb ernst, halb lus­tig. »Aber wir müs­sen ma­chen. Die Son­ne will schon da hin­ter den Wol­ken am Ho­ri­zon­te ver­sin­ken, und Gott be­wah­re uns da­vor, auf ei­nem sol­chen Plat­ze in der Nacht vor An­ker lie­gen zu müs­sen.«

Er leg­te die Hand auf den Vor­sprung und schwang sich hö­her. Zwei- oder drei­mal den ver­zwei­fel­ten Satz wie­der­hoh­lend, stand er end­lich auf der Klip­pe. Der Boots­mann schob be­dacht­sam den Ka­de­ten sei­nem Lieut­nant nach, und vor­sich­ti­ger, ohne so große An­stren­gung, war er bald selbst an der Sei­te des Letz­tern.

Als sie auf der Flä­che stan­den, die ober­halb der Klip­pen lag, und nun so mit neu­gie­rig for­schen­dem Blick die Um­ge­bung über­schau­ten, sa­hen un­se­re Aben­teu­rer ein an­ge­bau­tes Land, das in ge­wöhn­li­cher­wei­se durch Mau­ern und He­cken ge­trennt war. In­des­sen stand im Um­krei­se von ei­ner Mei­le nur eine ein­zel­ne Woh­nung und auch die­se war halb ver­fal­len. Die meis­ten Ge­bäu­de la­gen den See­ne­beln und Düns­ten so weit ent­fernt, als mög­lich.

»Hier ist nichts zu fürch­ten, aber auch nicht zu fin­den, was wir su­chen;« be­merk­te Barn­sta­ble, als er das Gan­ze in Au­gen­schein ge­nom­men hat­te. »Ich fürch­te, wir sind um­sonst aus­ge­stie­gen, Mer­ry. – Was sagst du, lan­ger Tom? Siehst du, was wir nö­tig ha­ben?«

»Ei­nen Loot­sen nicht«, war des Boots­man­nes Ant­wort, »aber das wär’ ein schlech­ter Wind, der kei­nem zu­sag­te; da ist ein Maul voll fri­sches Fleisch hin­ter der He­cke dort, das wohl eine dop­pel­te Por­ti­on für alle Leu­te auf dem Ari­el her­gä­be.«

Der Ka­det lach­te, als er Barn­sta­ble den Ge­gen­stand von der Sorg­sam­keit des Bei­schiffs­füh­rers zeig­te. Es war ein fet­ter Och­se, der ru­hig hin­ter ei­ner He­cke, ohn­fern von ih­nen, wie­der­käu­te.

»Wir ha­ben man­chen hung­ri­gen Pa­tron am Bord, der Toms Mo­ti­on gern un­ter­stüt­zen wür­de«, be­merk­te Mer­ry la­chend, »wenn nur Zeit und Um­stän­de uns er­laub­ten, das Tier zu tö­ten.«

»Dazu ge­hört ein Au­gen­blick«, ver­setz­te Tom, ohne eine Mus­kel sei­nes Ge­sichts zu ver­zie­hen, in­dem er mit dem Har­pu­nen­schaf­te derb auf die Erde stieß, und dann eine Be­we­gung mach­te, als wer­fe er die Waf­fe. »Lasst den Ka­pi­tän Barn­sta­ble ein Wort sa­gen, und ich trei­be ihm das Ei­sen, mir nichts dir nichts, durch den Leib. Das ist schon in man­chen Wall­fisch ge­gan­gen, der nicht so eine Fett­ja­cke an­hat­te, wie die­ser Bur­sche.«

»Still! Hier bist du nicht auf der Wall­fisch­jagd, wo al­les, was auf­stößt, gute Pri­se ist;« rief Barn­sta­ble, sah aber nach ei­nem an­de­ren Orte hin, als fürch­te er sich selbst vor der Ver­su­chung. – »Seid ru­hig! Ich sehe je­man­den hin­ter der He­cke kom­men. Macht euch fer­tig, Mer­ry; das Ers­te, was wir hö­ren, ist viel­leicht ein Schuss.«

»Von dem Kreu­zer nicht!« be­merk­te der an­de­re. »Der ist ja noch jün­ger als ich, und wür­de nicht ge­gen eine so furcht­ba­re Macht an­rücken, wie wir auf­stel­len.«

»Habt recht, Ka­det!« stimm­te Barn­sta­ble bei, und zog die Hand zu­rück, die er ans Pis­tol ge­legt hat­te. »Er nä­hert sich be­däch­tig, als fürch­te er sich. Groß ist er nicht. Sein Rock ist braun. Eine Ja­cke ist das kaum zu nen­nen. Soll­te das un­ser Pa­tron sein? Bleibt bei­de hier. Ich will ihn an­re­den.«

Barn­sta­ble ging rasch nach der He­cke hin, die den Frem­den zum Teil ver­barg. Der letz­te­re blieb plötz­lich ste­hen, und schi­en in Zwei­fel, ob er wei­ter ge­hen soll­te oder nicht. Be­vor er sich zu dem einen ent­schlos­sen hat­te, stand der See­mann nur we­nig Fuß vor ihm.

»Mit Ver­gunst«, sag­te der letz­te­re, »was für Was­ser ha­ben wir in die­ser Bai?«

Eine un­ge­wöhn­li­che Be­we­gung er­griff den Frem­den bei die­ser Fra­ge. Er dreh­te sich un­will­kühr­lich seit­wärts, als wol­le er sein Ge­sicht ver­ber­gen, be­vor er mit kaum hör­ba­rer Stim­me ant­wor­te­te:

»Ich soll­te mei­nen, das wäre Was­ser aus dem deut­schen Mee­re.«

»Wirk­lich? Du musst nicht we­nig Zeit ge­braucht ha­ben, um in der Geo­gra­fie so­weit zu kom­men!« ver­setz­te der Lieut­nant. »Nun, viel­leicht bist du auch so klug und sagst mir, Pa­tron, wie lan­ge wir dich fest­hal­ten, wenn wir dich als Ge­fan­ge­nen mit­neh­men, um über dei­nen Witz zu la­chen.«

Der so an­ge­re­de­te Jüng­ling gab auf die­se be­un­ru­hi­gen­de Be­mer­kung kei­ne Ant­wort. Er dreh­te sich nur im­mer um und ver­hüll­te das Ge­sicht mit bei­den Hän­den. Der See­mann glaub­te, bei sei­nem Zu­hö­rer einen heil­sa­men Ein­druck rege ge­macht zu ha­ben, und woll­te mit neu­en Fra­gen be­gin­nen. Die wun­der­li­che Un­ru­he bei dem jun­gen Man­ne be­stimm­te ihn aber doch, noch ei­ni­ge Au­gen­bli­cke län­ger zu schwei­gen, als er zu sei­nem großen Er­stau­nen ent­deck­te, dass das, was er für Un­ru­he ge­nom­men hat­te, nur Fol­ge des Be­stre­bens war, ein recht lau­tes La­chen zu un­ter­drücken.

»Nun, bei al­len Wall­fi­schen im Mee­re!« rief Barn­sta­ble, »jetzt ist nicht die Zeit zum La­chen. Es ist schlimm, in so ei­ner Bucht, wie die­se, an­kern zu müs­sen, wenn der Sturm vor sicht­li­chen Au­gen im An­zu­ge ist, ohne lan­den zu dür­fen, um dann von ei­nem Na­se­weis aus­ge­lacht zu wer­den, der nicht Kraft ge­nug hat, einen Bart zu tra­gen, wenn er einen hät­te. Ei­gent­lich soll­te ich das of­fe­ne Meer su­chen, um Leib und See­le zu ret­ten. In­des­sen ich wer­de wohl mehr von Euch und eu­ern Spä­ßen er­fah­ren, wenn ich euch selbst ins Ge­bet neh­me und an Bord brin­ge, dass ihr mich mun­ter er­hal­tet, so­lan­ge ich hier kreu­ze.«

Mit die­sen Wor­ten nä­her­te sich ter Com­mend­ant des Schoo­ners dem Frem­den nicht ohne den Schein, ein we­nig derb Hand an ihn zu le­gen. Der letz­te­re sprang vor sei­nem aus­ge­streck­ten Arme zu­rück.

»Barn­sta­ble!« rief er, mit ei­nem Tone, in wel­chem der wirk­li­che Schreck die Freu­de zu ver­drän­gen schi­en, »gu­ter Barn­sta­ble, willst du mir was zu Lei­de tun?«

Der See­mann fuhr ei­ni­ge Schrit­te bei die­sem un­er­war­te­ten Zu­ru­fe zu­rück. Er rieb sich die Au­gen und zog die Müt­ze her­ab.

»Was hör’ ich, was seh’ ich?« rief er. »Hier liegt der Ari­el und dort ist die Fre­gat­te. Kann dies Ka­tha­ri­na Plow­den sein?«

Sei­ne Zwei­fel, wenn noch ei­ni­ge da wa­ren, schwan­den bald, denn der Frem­de setz­te sich an den Rand ei­nes Gra­bens in ei­ner Art, wo weib­li­che Ver­schämt­heit lieb­lich ge­gen die männ­li­che Klei­dung ab­stach, und ließ die Freu­de end­lich ohne Zwang in lau­tes La­chen über­ge­hen.

Von dem Au­gen­bli­cke an wa­ren, wie es schi­en, alle Ge­dan­ken an sei­nen Dienst, an den Loot­sen, selbst an den Ari­el, aus der Brust des See­manns ent­fernt. Er sprang zu dem Mäd­chen hin, und lach­te mit ihm um die Wet­te, ob er schon nicht wuss­te, warum es lach­te.

Als das lus­ti­ge Mäd­chen all­mäh­lich ein we­nig ru­hi­ger ge­wor­den war, wand­te sie sich an ih­ren Ge­fähr­ten, der ganz un­schul­dig ne­ben ihr saß und sie im­mer­hin la­chen ließ.

»Das ist aber nicht bloß ein­fäl­tig; es ist grau­sam ge­gen an­de­re;« sag­te sie. »Ich bin euch eine Er­klä­rung von mei­nem un­er­war­te­ten Er­schei­nen und viel­leicht auch von mei­nem un­ge­wöhn­li­chen An­zu­ge schul­dig.«

»Ich kann mir al­les im Voraus den­ken;« ver­setz­te Barn­sta­ble. »Du hör­test, wir wä­ren an der Küs­te und eil­test her­bei, dein mir in Ame­ri­ka ge­ge­be­nes Wort zu lö­sen. Ich fra­ge wei­ter gar nicht. Der Ka­pel­lan auf der Fre­gat­te –«

»Kann pre­di­gen wie ge­wöhn­lich, und mit eben so we­ni­gem Nut­zen«, un­ter­brach ihn die ver­klei­de­te Ka­tha­ri­ne, »al­lein sei­nen Ehe­se­gen soll er über mich nicht aus­spre­chen, bis ich den Zweck mei­nes ge­wag­ten Un­ter­neh­mens ge­ärnd­tet habe. Du bist ja sonst nicht so ei­gen­nüt­zig, Barn­sta­ble; willst du denn, dass ich das Wohl an­de­rer aus den Au­gen set­zen soll?«

»Von wem sprichst du denn?«

»Von mei­ner Base, mei­ner ar­men Base. Ich hör­te, dass zwei Schif­fe, die der Be­schrei­bung von Ari­el und der Fre­gat­te ent­spre­chen, längs der Küs­te se­gel­ten, und be­schloss gleich, mit dir zu­sam­men zu kom­men. Ich folg­te eu­ren Be­we­gun­gen wohl eine gan­ze Wo­che lang, im­mer so ge­klei­det, ohne aber eher als jetzt glück­lich zu sein. Heut sah ich euch der Küs­te nä­her kom­men, als ge­wöhn­lich, und glück­lich ist mein Wag­stück be­lohnt wor­den.«

»Ja, Gott weiß, nahe ge­nug dem Lan­de sind wir! Weiß denn aber Ka­pi­tän Mun­son, dass du be­reit bist, bei ihm an Bord zu ge­hen?«

»Ge­wiss nicht. Nie­mand weiß das, als du. Ich glaub­te, wenn du und Grif­fith un­se­re Lage ken­nen lern­test, so wür­dest du ver­sucht wer­den, uns aus un­se­rer Not zu be­frei­en. Da hast du ein Pa­pier. Ich habe eine Schil­de­rung ent­wor­fen, die alle eure rit­ter­li­che Tap­fer­keit rege ma­chen wird. Da­nach könnt ihr eure Ma­nö­vres ein­rich­ten.«

»Un­se­re Ma­nö­vres?« un­ter­brach sie Barn­sta­ble. »Ach du musst selbst der Loot­se sein!«

»Dann wä­ren zwei da!« sag­te eine Stim­me hin­ter ih­nen.

Das er­schro­cke­ne Mäd­chen schrie und sprang auf, in­dem sie sich doch, wie von Na­tur ge­trie­ben, fest an ih­ren Ge­lieb­ten schloss. Barn­sta­ble er­kann­te gleich die Stim­me sei­nes Bei­schiffs­füh­rers. Er warf einen zor­ni­gen Blick auf das nüch­ter­ne Ge­sicht, das über die He­cke her­vor­rag­te, und frag­te nach der Ur­sa­che die­ser Un­ter­bre­chung.

»Nun, Sir Mer­ry sah euch an der Küs­te hin­strei­chen, und da er fürch­te­te, ihr könn­tet auf den Strand lau­fen, hielt ers fürs Bes­te, euch ein Ret­tungs­boot zu sen­den. Ich sag­te ihm, ihr wür­det wohl bloß weg­zu­be­kom­men su­chen, was für Flag­ge das Schiff füh­re, wor­auf ihr Jagd mach­tet. Al­lein er war Of­fi­zier und ich konn­te also bloß Ord­re pa­rie­ren.«

»Geht, geht da­hin, wo ich sag­te, dass ihr blei­ben soll­tet, und Sir Mer­ry soll er­war­ten, was mir gut­dünkt!« er­wi­der­te Barn­sta­ble.

Der Bei­schiffs­füh­rer grüß­te sub­or­di­na­ti­ons­mä­ßig in ge­wöhn­li­cher See­manns­art. Be­vor er aber die He­cke ver­ließ, streck­te er doch einen sei­ner kräf­ti­gen Arme nach dem Mee­re aus.

»Ka­pi­tän Barn­sta­ble«, sag­te er in ei­nem Tone, des­sen Ernst sei­ner Mie­ne, sei­ner Be­denk­lich­keit ent­sprach, »ich habe euch den ers­ten Kno­ten knüp­fen und die Raa­b­än­der zu­sam­men­zie­hen ge­lehrt, denn ich glau­be nicht, dass ihr so ein Ding ver­stan­det, als ihr an Bord der Spal­ma­cit­ty kamt. So et­was kann der Mensch bald ler­nen. Aber das gan­ze Le­ben ge­hört dazu, das Wet­ter weg­zu­be­kom­men. Dort strei­chen Wind­gal­len übers Was­ser hin, die spre­chen so deut­lich zu al­len, wel­che sich auf Got­tes Wol­ken ver­ste­hen, als ihr es je mit eu­rem Sprach­rohr könnt, wenn die Se­gel ein­gerefft wer­den sol­len. Au­ßer­dem – hört ihr nicht die See brau­sen, als wüss­te sie, die Stun­de sei da, wo sie aus dem Schla­fe er­wa­chen soll?«

»Ja, Tom«, be­merk­te der Of­fi­zier, und ging nach dem Fel­sen­ran­de, in­dem er mit See­manns­au­ge den Ozean und den Him­mel mus­ter­te, »die Nacht wird wirk­lich fürch­ter­lich. Al­lein der Loot­se muss doch – und«

»Ist er das viel­leicht?« un­ter­brach ihn Tom. Er zeig­te auf einen Mann, der nicht weit von ih­nen stand, und, in­dem er auf­merk­sam auf ihr Be­neh­men Acht gab, wie­der sei­ner­seits vom jun­gen See­ka­de­ten be­ob­ach­tet wur­de. – »Nun, wenn er es ist, so gebe Gott, dass er sein Hand­werk ver­steht, denn der Kiel braucht gute Au­gen, falls er den Weg aus die­sem Grun­de fin­den soll.«

»Das muss der Mann sein!« rief Barn­sta­ble, auf ein­mal sei­ner Pf­licht wie­der­ein­ge­denk. Er sprach ei­ni­ge Wor­te mit sei­nem weib­li­chen Ge­fähr­ten, den er hin­ter der He­cke ließ und ging vor, den Frem­den an­zu­re­den. Als er nahe ge­nug war, um ver­stan­den zu wer­den, frag­te er ihn:

»Was für Was­ser ha­ben wir in die­ser Bai?«

Der Frem­de schi­en die­se Fra­ge er­war­tet zu ha­ben.

»Ge­nug«, ant­wor­te­te er, ohne An­stand, »um alle in Si­cher­heit her­aus­zu­brin­gen, die mit Ver­trau­en ein­ge­lau­fen sind.«

»Ihr seid der Mann, den ich su­che«, rief Barn­sta­ble. »Und ihr wollt mit­gehn?«

»Mit­gehn, von Her­zen gern!« war des Loot­sens Ge­gen­re­de. »Und zwar ist Eile nö­tig. Ich woll­te gleich die schöns­ten hun­dert Gui­ne­en ge­ben, die je ge­schla­gen wur­den, wenn ich die Son­ne, wel­che uns ver­lässt, zwei Stun­den län­ger ha­ben könn­te, und wär’ es auch nur eine Stun­de von ih­rem noch vor­han­de­nen Däm­mer­lich­te.«

»Denkt ihr denn, un­se­re Lage sei so schlecht?« frag­te der Lieut­nant. »Folgt, wenn das ist, dem jun­gen Mann ins Boot. Ich wer­de gleich bei euch sein; in­des ihr hin­ab­klimmt, hof­fe ich noch einen Mann mehr an­zu­wer­ben.«

»Die Zeit ist ed­ler, als die Men­ge von Hän­den!« ver­setz­te der Loot­se und schau­te un­ter den di­cken Brau­en un­ge­dul­dig her­vor. »Wer den Auf­schub ver­ur­sacht, mag auch die Fol­ge da­von tra­gen!«

»Und die­se werd’ ich bei al­len auf mich neh­men, wel­che ein recht ha­ben, nach mei­nem Be­neh­men zu fra­gen!« ent­geg­ne­te Barn­sta­ble mit Wür­de.

Mit je­ner War­nung und die­sem Ver­wei­se trenn­ten sie sich. Der jun­ge Of­fi­zier eil­te un­ge­dul­dig nach dem Orte, wo er sein Mäd­chen ge­las­sen hat­te, und mach­te sei­nem Ver­druss in halb­lau­ten Flü­chen Luft, wäh­rend der Loot­se me­cha­nisch den le­der­nen Gür­tel sei­ner Ja­cke um den Leib zu­sam­men­zog, und mit düs­tern Schwei­gen dem Boots­mann und See­ka­de­ten ins Boot folg­te.

Barn­sta­ble fand das ver­klei­de­te weib­li­che We­sen, das sich selbst als Ka­tha­ri­na Plow­den ver­ra­ten hat­te; aber in je­dem Zuge ih­res sin­ni­gen Ant­lit­zes mal­te sich die hef­tigs­te Un­ru­he. Er fühl­te ganz, wie sehr er in sei­ner Lage ver­ant­wort­lich sei, so kalt er auch dem Loot­sen geant­wor­tet hat­te. So nahm er has­tig Ka­tha­ri­nens Arm, ohne wei­ter an ihre Ver­klei­dung zu den­ken, und führ­te sie vor­wärts.

»Komm, Ka­tha­ri­ne«, sag­te er, »die Zeit drängt.«

»Was treibt euch denn so zur un­mit­tel­ba­ren Ab­fahrt?« frag­te sie, sich sanft von sei­nem Arme los­ma­chend.

»Hast du nicht die be­denk­li­che Wet­ter-Pro­phe­zei­ung mei­nes Boots­man­nes ge­hört. Ich muss sei­ner Mei­nung bei­stim­men. Eine stür­mi­sche Nacht be­droht uns, ob ich schon nicht böse bin, die Bai hier ge­kom­men zu sein, da ich dich hier ge­trof­fen habe.«

»Gott be­wah­re uns, dass ei­ner von uns Ur­sa­che fän­de, dies zu be­reu­en!« rief Ka­tha­ri­ne, in­dem die blas­se Furcht die Pur­pur­rö­te ver­jag­te, wel­che die fri­schen Wan­gen des Mäd­chens schmück­te. – »In­des­sen du hast das Pa­pier. Fol­ge sei­nen Wei­sun­gen und komm zu un­se­rer Ret­tung. Du wirst uns als wil­li­ge Ge­fan­ge­ne fin­den, wenn Grif­fith und du un­se­re Sie­ger sind.«

»Was meinst du, Ka­tha­ri­ne?« frag­te ihr Ge­lieb­ter. »Zum Min­des­ten sollst du jetzt in Si­cher­heit kom­men. Es wäre Tor­heit, das Schick­sal noch ein­mal zu ver­su­chen. Mein Schiff kann und soll dich schüt­zen, bis dei­ne Base ge­ret­tet ist, und dann er­in­ne­re dich, ich habe ein Recht auf dich, so lan­ge ich lebe.«

»Und was woll­test du denn in der Zwi­schen­zeit mit mir an­fan­gen?« sag­te das Mäd­chen, in­dem es sich vor sei­ner Has­tig­keit zu­rück­zog.

»Auf dem Ari­el sollst du Com­mend­ant sein – beim Him­mel! Ich will bloß dem Na­men nach kom­man­die­ren.«

»Schö­nen Dank, schö­nen Dank, Barn­sta­ble; ich habe nur ein we­nig Miss­trau­en in mei­ne Fä­hig­keit für sol­chen Pos­ten!« war Ka­tha­ri­nens Ant­wort, die sie mit La­chen gab, ob­schon die Far­be, die wie­der ihr ju­gend­li­ches Ant­litz über­zog, nur dem Strahl der Abend­son­ne glich. »Ver­steh mich nicht falsch, Hitz­kopf! Wenn ich mehr tat, als mein Ge­schlecht ge­stat­ten will, so er­in­ne­re dich, es ge­sch­ah aus ei­ner rei­nen Ab­sicht. Wag­te ich mehr, als ein Weib tun darf, so ge­sch­ah es –«

»Um dich über die Schwä­che dei­nes Ge­schlechts zu er­he­ben und dir so Ge­le­gen­heit zu ge­ben, mir dein ed­les Ver­trau­en zu be­wei­sen.«

»Um mich dar­auf vor­zu­be­rei­ten, und wür­dig zu sein, ei­nes Ta­ges dein Weib zu hei­ßen!« rief sie, fort­sprin­gend, und so ge­schwind hin­ter eine nahe He­cke ver­schwin­dend, dass sie sei­ne Ver­su­che, sie zu­rück­zu­hal­ten, ver­ei­tel­te. Ei­nen Au­gen­blick stand Barn­sta­ble vor Stau­nen ganz be­we­gungs­los. Dann eil­te er ihr nach. Al­lein er sah nur im Zwie­licht den Um­riss ih­rer schlan­ken Ge­stalt und aufs Neue ver­schwand sie in ei­nem et­was fer­nen di­cken Ge­sträu­che.

Noch woll­te er ihr nach­fol­gen, als ein Blitz plötz­lich durch die Luft leuch­te­te und ein Ka­no­nen­schuss längs den Klip­pen don­nernd hin­roll­te, von al­len Ber­gen im In­nern wie­der­hal­lend.

»Ja doch, al­ter Schwät­zer, ich ver­ste­he!« brumm­te der jun­ge See­mann für sich, dem Si­gnal vol­ler Ver­druss Ge­hor­sam leis­tend. »Du gehst eben so ge­schwind dar­an, aus der Ge­fahr her­aus­zu­kom­men, wie du hin­ein­zu­kom­men wuss­test.«

Drei Mus­ke­ten­schüs­se aus der Scha­lup­pe zu sei­nen Fü­ßen trie­ben zu grö­ße­rer Eile. Sorg­los sprang er die rau­en, ge­fähr­li­chen Klip­pen her­ab, und be­hielt im­mer das wohl­be­kann­te Licht, auf der Fre­gat­te schei­nend, im Auge, die da­mit die bei­den Bar­ken zu­rück­rief.

III.

In sol­cher Zeit, wie die­se, Darf uns ein bö­ses Wört­chen nicht ent­zwei­en.

Sha­ke­s­pea­re.

Die Klip­pen war­fen ihre dun­keln Schat­ten über das Was­ser und die Abend­däm­merung war so weit vor­ge­rückt, dass man nicht wahr­nahm, wie die ge­wöhn­lich of­fe­ne Stirn Barn­sta­bles jetzt sehr fins­ter war, als er vom Fel­sen ins Boot sprang und sei­nen Platz ne­ben dem schwei­gen­den Loot­sen nahm.

»Stoßt ab!« rief der Lieut­nant, in ei­nem Tone, den sei­ne Leu­te recht gut ver­stan­den, um ihm zu ge­hor­chen. »Ei­nes See­manns Fluch kom­me auf die Narr­heit, die sol­cher Fahrt Plan­ken und Le­ben Preis gibt, um ein paar alte Wraks mit Zim­mer­holz zu ver­bren­nen oder ein sol­ches Schiff weg­zu­neh­men. – Frisch drauf los, frisch!«

Trotz der star­ken und ge­fähr­li­chen Bran­dung, die an den Fel­sen auf eine be­un­ru­hi­gen­de Wei­se brach, trie­ben die Ma­tro­sen doch glück­lich das leich­te Fahr­zeug über die Wel­len hin.

In we­nig Au­gen­bli­cken wa­ren sie von dem Punk­te, wo die größ­te Ge­fahr war, ent­fernt. Barn­sta­ble hat­te, wie es schi­en, die be­denk­li­che Lage un­be­ach­tet ge­las­sen. Er sah zer­streut auf den Schaum, den Wel­le für Wel­le her­vor­brach­te, bis die Bar­ke auf den großen Wo­gen re­gel­mä­ßig da­hing­litt und er nun rings in der Bai her­um­schau­te, um die Scha­lup­pe wahr­zu­neh­men.

»Ah«, brumm­te er, »Grif­fith ist’s müde ge­wor­den, sich auf sei­nem Kis­sen zu wie­gen, und will uns nach der Fre­gat­te hin­lo­cken, statt dass wir dar­an ge­hen soll­ten, den Schoo­ner aus dem ver­teu­fel­ten Lo­che weg­zu­füh­ren. Das ist ein Plätz­chen, wie es ein schmach­ten­der Lieb­ha­ber wün­schen kann! Ein bi­schen Was­ser, ein bi­schen Land, und Fel­sen vollauf. Höre, Tom, ich bin bei­na­he dei­ner Mei­nung, dass ein See­mann wei­ter kein fes­tes Land braucht, als manch­mal eine In­sel.«

»Das heißt Ver­stand ha­ben und ver­nünf­tig spre­chen!« er­wi­der­te der erns­te Boots­mann; »und was das bi­schen Land an­be­trifft, das man braucht, so müss­te es im­mer wei­chen Grund oder Sand ha­ben, dass der An­ker gut fass­te und das Son­die­ren rich­tig vor sich gin­ge. Ich habe auf Fel­sen­grun­de manch großes Senk­blei ein­ge­büßt, ohne die Dut­zen­de von klei­nen zu rech­nen. Aber ich lobe mir eine Rhe­de, wo ein Senk­blei leicht und ein An­ker schwer auf­fällt. – Da un­ten ist eine Bar­ke, ge­gen­über dem Vor­ders­te­ven; Ka­pi­tän, soll ich dar­auf zu­fah­ren oder aus­beu­gen?«

»Das ist die Scha­lup­pe!« rief der Of­fi­zier. »Sie hat mich doch nicht ver­las­sen, bei al­le­dem!«

Ein lau­ter Zu­ruf aus dem sich nä­hern­den Fahr­zeu­ge be­stä­tig­te die­se Mei­nung. In we­nig Au­gen­bli­cken wa­ren die Bar­ke und Scha­lup­pe voll­kom­men ne­ben ein­an­der. Grif­fith blieb nicht län­ger auf sei­nem Kis­sen. Er sprach ernst­lich mit ei­nem An­strich des Ver­wei­ses in sei­ner Art.

»Wie habt ihr so vie­le Au­gen­bli­cke vor­bei­ge­hen las­sen kön­nen, wo jede Mi­nu­te uns mit neu­en Ge­fah­ren be­droht?« frag­te er. – »Ich ge­horch­te eben dem Si­gnal, als ich eure Ru­der hör­te und rück­wärts eil­te, den Loot­sen ein­zu­neh­men. Seid ihr glück­lich ge­we­sen?«

»Da ist er; und wenn er sei­nen Weg durch die Klip­pen her­aus­fin­det, wird er sei­nen Na­men mit Recht füh­ren. Das scheint eine Nacht zu wer­den, wo man eine Bril­le auf­set­zen kann, wenn man den Mond se­hen will. Wenn ihr aber er­fahrt, was ich auf dem ver­wünsch­ten Fel­sen ge­se­hen habe, wer­det ihr mein Aus­blei­ben ge­wiss ent­schul­di­gen!«

»Nun ihr habt den rech­ten Mann ge­se­hen, hoff’ ich, denn sonst ha­ben wir uns in die­se Ge­fahr ohne Nut­zen be­ge­ben.«

»Nun ja, ich habe den rech­ten Mann ge­se­hen, aber auch Je­man­den, der’s nicht ist;« er­wi­der­te Barn­sta­ble emp­find­lich. »Ihr habt ja den Ka­det hier, fragt nach­her, was des jun­gen Man­nes Auge be­ob­ach­tet hat?«

»Soll ich re­den?« rief der Ka­det la­chend. »Nun, ich sah ein klei­nes Fahr­zeug un­ter falscher Flag­ge ein tüch­ti­ges Kriegs­schiff über­se­geln, das ge­wal­ti­ge Jagd dar­auf mach­te; einen leich­ten Kor­sa­ren mit falscher Flag­ge, der mei­nem Mühm­chen glich.«

»Still, Schwät­zer!« rief Barn­sta­ble mit ei­ner Don­ner­stim­me. »Wollt ihr die Fahrt mit eu­rem tö­rich­ten Un­sin­ne in ei­nem Au­gen­bli­cke, wie die­ser, auf­hal­ten? Fort in die Scha­lup­pe, und wenn ihr Grif­fith dazu be­reit fin­det, so er­zählt ihm eure Ver­mu­tun­gen, wie’s euch ge­fällt.«

Mer­ry sprang ge­wandt aus der Bar­ke in die Scha­lup­pe, wo­hin be­reits der Loot­se vor­her ge­stie­gen war, und als er sich et­was är­ger­lich an Grif­fiths Sei­te ge­setzt hat­te, sag­te er:

»Nun, das wird so­lan­ge nicht dau­ern. Ich weiß, Herr Grif­fith denkt und fühlt an Eng­lands Küs­te, wie er dach­te und fühl­te, als er in der Hei­mat war.«

Ein Druck der Hand, mit dem dies der jun­ge Lieut­nant schwei­gend er­wi­der­te, be­vor er Barn­sta­bles Ab­schieds­gruß zu­rück­gab, war die gan­ze Ant­wort. Sei­ne Ru­de­rer er­hiel­ten Be­fehl, nach dem Schif­fe hin­zu­fah­ren.

Die Fahr­zeu­ge trenn­ten sich. Das Rau­schen der Ru­der ließ sich be­reits hö­ren, als die Stim­me des Loot­sen jetzt zum ers­ten Male laut wur­de.

»Halt!« rief er. »Rück­wärts ge­ru­dert, ich bit­te euch!«

Die Ma­tro­sen be­folg­ten sei­ne Wei­sung. Sie wand­ten nach der Bar­ke um.

»Ihr setzt gleich die Se­gel auf, Ka­pi­tän Barn­sta­ble«, rief er die­sem mit glei­chem fes­ten Tone zu, »und sucht aufs of­fe­ne Meer zu kom­men, so ge­schwind es sein kann. Nehmt euch in Acht vor der nörd­li­chen Land­spit­ze, und pas­siert bei uns vor­bei, dass man euch an­ru­fen kann.«

»Nun die Kar­te ist deut­lich ge­nug, Herr Loot­se«, war Barn­sta­bles Er­wie­der­ung. »Al­lein wer soll denn mei­ne Ab­fahrt ohne Ord­re beim Ka­pi­tän Mun­son recht­fer­ti­gen? Ich habe es schwarz auf weiß, den Ari­el auf dies Flau­men­bett zu brin­gen, und muss min­des­tens ein an­de­res Si­gnal, ein Wort von mei­nen Obern ha­ben, be­vor der Schoo­ner eine Wel­le an­ders durch­schnei­det. Der Weg her­aus mag wohl so schwer sein, als der hin­ein. Ja, wenn ich den Tag so vor mir hät­te, und eure Wei­sun­gen zu Pa­pie­re ge­bracht.«

»Wollt ihr denn hier lie­gen blei­ben, um in so ei­ner Nacht um­zu­kom­men?« frag­te der Loot­se ernst. »Noch zwei Stun­den und die­se wil­den Wo­gen to­ben dann an dem­sel­ben Punk­te, wo jetzt euer Schiff ru­hig vor An­ker liegt.«

»Wir den­ken bei­de gleich. Al­lein sink’ ich, so sink’ ich laut Ord­re. Geht aber eine Plan­ke am Schoo­ner hin, weil ich eu­rer Wei­sung ge­horch­te; so ist das ein Leck, der nicht bloß See­was­ser her­ein­lässt, son­dern auch nach In­sub­or­di­na­ti­on schmeckt.«

»Das heißt ver­nünf­tig sein!« brumm­te der Bei­schiffs­füh­rer des Schoo­ners mit ver­nehm­li­cher Stim­me, »al­lein ’s ist im­mer hart für einen ehr­li­chen Mann, auf so ei­nem Fle­cke lie­gen zu müs­sen.«

»Nun so lasst eu­ren An­ker und folgt ihm selbst nach!« sag­te der Loot­se übel­lau­nig für sich selbst. »Mit ei­nem Nar­ren zu strei­ten, ist noch är­ger, als mit dem Stur­me. Aber wenn –«

»Nicht doch, nicht; nichts von Nar­ren!« un­ter­brach ihn Grif­fith. »Barn­sta­ble ver­dient den Na­men nicht, ob er schon im Diens­te bis zum Äu­ßers­ten geht. – Lich­tet ihr nur, Barn­sta­ble, und ver­lasst die Bai so ge­schwind, als mög­lich!«

»Ei, ihr könnt mir den Be­fehl nicht halb so gern ge­ben, als ich ihn aus­füh­ren wer­de! Frisch zu, Kin­der! Der Ari­el soll sei­ne Kno­chen nicht auf so ei­nem har­ten Bet­te las­sen, so lan­ge ich da­bei hel­fen kann.«

Der Kom­man­dant vom Schoo­ner mach­te die­se Be­mer­kung mit sei­nem lau­ni­gen Tone, und sei­ne Leu­te bra­chen von selbst in ein Freu­den­ge­schrei aus. Die Bar­ke eil­te schnell aus dem Be­reich der Scha­lup­pe und bald schwand sie in den düs­tern Schat­ten, den die Klip­pen her­über­war­fen.

Wäh­rend des­sen blie­ben die Ru­de­rer in der Scha­lup­pe nicht mü­ßig. Ihre kräf­ti­gen Arme führ­ten das Fahr­zeug rasch durch die Flu­ten. In we­nig Mi­nu­ten hielt sie zur Sei­te der Fre­gat­te.

Der Loot­se hat­te in­zwi­schen in ei­ner Art, die von dem be­fehls­ha­be­ri­schen, stol­zen We­sen, das sich in dem kur­z­en Ge­spräch mit Barn­sta­ble äu­ßer­te, kei­ne Spur mehr zeig­te, Grif­fith er­sucht, ihm die Na­men der auf dem Schif­fe be­find­li­chen Of­fi­zie­re zu nen­nen. Der jun­ge Lieut­nant war be­reit dazu.

»’s sind lau­ter bra­ve, recht­li­che Män­ner, lie­ber Loot­se«, be­merk­te er, als er zu Ende war. »Für einen Eng­län­der mag das, was ihr jetzt tut, ge­fähr­lich sein, aber un­ter uns ver­rät euch kei­ner. Wir ha­ben euch nö­tig und er­war­ten von euch Treu’ und Glau­ben. Die sollt ihr aber aber auch bei uns fin­den.«

»Und warum denkt ihr denn, dass ich dar­auf rech­nen muss?« frag­te der Loot­se in ei­ner Art, die sei­ne völ­li­ge Gleich­gül­tig­keit da­für be­zeich­ne­te.

»Ihr sprecht zwar gut Eng­lisch, wie Ein­ge­bor­ne«, un­ter­brach ihn Grif­fith, »aber habt doch einen ge­wis­sen Ak­zent, der nach der Zun­ge von un­ser ei­nem auf der an­de­ren Sei­te des Ozeans in Be­we­gung schmeckt.«

»Wo der Mensch ge­bo­ren ist und wie er spricht, dar­auf kommt we­nig an;« er­wi­der­te der Loot­se kalt. »Wenn er nur sei­ne Schul­dig­keit or­dent­lich und red­lich tut!«

Vi­el­leicht war es, um das Ge­spräch nicht zu stö­ren, gut, dass die Düs­ter­heit, wel­che jetzt zur voll­komm­nen Fins­ter­nis wur­de, den spöt­ti­schen Blick ver­barg, wel­cher die hüb­schen Züge des jun­gen See­manns durch­kreuz­te.

»Ja, ja«, wie­der­hol­te er da­bei, »wenn er nur sei­ne Schul­dig­keit or­dent­lich und red­lich tut. Aber wie Barn­sta­ble sag­te, müsst ihr den Weg durch die Klip­pen bei ei­ner sol­chen Nacht gut zu fin­den wis­sen. Wie viel Was­ser ha­ben wir denn?«

»Ge­nug für eine Fre­gat­te, und ich wer­de euch im­mer vier Fa­den zu hal­ten su­chen. We­ni­ger wäre ge­fähr­lich.«

»’s ist ein schö­nes Schiff!« be­merk­te Grif­fith, »und ge­horcht dem Steu­er­ru­der, wie ein See­sol­dat dem Kor­po­ral beim Ex­er­zie­ren. Aber Raum müsst ihr da­für schaf­fen, denn es schießt da­hin, als woll­te es den Wind über­ei­len.«

Der Loot­se hör­te mit ge­üb­tem Ohre die Be­schrei­bung der Ei­gen­hei­ten, die das Schiff be­saß, das er aus ei­ner au­ßer­or­dent­lich ge­fahr­vol­len Lage lei­ten soll­te. Nicht ein Wort ging bei ihm ver­lo­ren. Als Grif­fith schwieg, be­merk­te er mit der ihm ei­ge­nen, sein gan­zes We­sen be­zeich­nen­den Käl­te:

»In so ei­nem en­gen Fahr­was­ser ist das eine eben so vor­teil­haf­te als nach­tei­li­ge Ei­gen­schaft. Für die Nacht, wo wir das Schiff her­aus­brin­gen sol­len, ist die let­ze­re, fürch­te ich, über­wie­gend.«

»Ich den­ke, wir wer­den un­sern Weg mit dem Senk­blei her­aus­su­chen müs­sen«, sag­te Grif­fith.

»Au­gen und Senk­blei – bei­de sind nö­tig;« er­wi­der­te der Loot­se und kam wie­der un­merk­lich auf sein ein­sil­bi­ges We­sen zu­rück. »Ich bin in dunk­lern Näch­ten, als die­se ist, hier ein- und aus­ge­fah­ren, al­lein nur mit Schif­fen, die bloß zwei und einen hal­b­en Fa­den brauch­ten.«

»Dann, beim Him­mel, könnt ihr nicht un­ser Schiff durch die Fel­sen und Klip­pen durch­brin­gen. Eure Fahr­zeu­ge, die nicht tief ge­hen, wis­sen gar nicht, wie viel Was­ser un­ter ih­nen ist. Nur der tiefer ge­hen­de Kiel sucht ein tie­fes Fahr­was­ser. – Loot­se! Loot­se! Nimm dich in Acht, mit uns ein Spiel der Un­wis­sen­heit zu trei­ben. Un­ter Fein­den ist so et­was ein ge­wag­tes Ding!«

»Jun­ger Mann, ihr wisst nicht, was und wem ihr droht!« be­merk­te der Loot­se fins­ter, ob­schon sein ru­hi­ges We­sen im­mer un­ge­stört blieb. – »Ihr ver­ge­sst, dass über euch je­mand ist und über mir nie­mand.«

»Das hängt von der Treue ab, mit der ihr eu­rer Pf­licht nach­kommt!« rief Grif­fith, »denn –«

»Ru­hig!« un­ter­brach ihn der Loot­se. »Wir sind dem Schif­fe nahe. Lasst uns ru­hig zu­sam­men­sein.«

Er zog sich auf sei­nen Sitz zu­rück, in­dem er so sprach, und Grif­fith war zwar nichts we­ni­ger als ru­hig, weil er die Fol­gen über­dach­te, die die Un­wis­sen­heit oder Ver­rä­te­rei des Loot­sen ha­ben möch­te, al­lein er be­kämpf­te doch sei­ne Ge­füh­le so weit, dass er schwei­gen konn­te. Bei­de bei­stie­gen die Fre­gat­te, dem Schei­ne nach im bes­ten Ein­ver­ständ­nis.

Die Fre­gat­te trieb be­reits im­mer auf den ho­hen Wel­len, die vom Ozean mit grö­ße­rer Ge­walt her­ein­stürm­ten. In­des­sen hing das große und klei­ne Top­se­gel an den Raaen ganz schlaff da. Die Luft kam zwar noch dann und wann vom Lan­de her, ohne aber im­stan­de zu sein, die schwe­re Lein­wand auf­zu­blä­hen.

Wie Grif­fith und der Loot­se die Trep­pe hin­auf­stie­gen, hör­te man nichts, als das dump­fe Geräusch der ge­gen die Sei­ten des Schif­fes an­pral­len­den See und die gel­len­de Pfei­fe des Boots­manns, der die Mann­schaft auf die Trep­pen­sei­te rief, dem ers­ten Lieut­nant und sei­nem Ge­fähr­ten die schul­di­ge Ehre zu be­zeu­gen, in­dem sie eine dop­pel­te Rei­he bil­de­ten.

Still­schwei­gen herrsch­te un­ter den Hun­der­ten, die auf dem großen Ge­bäu­de haus­ten. Das Licht von ei­nem Dut­zend La­ter­nen, die auf den ver­schie­de­nen Tei­len der Ver­de­cke an­ge­zün­det wa­ren, brach­te so­viel Hei­lig­keit her­vor, dass man nicht nur ziem­lich deut­lich je­den ein­zel­nen Mann im großen Ge­drän­ge, son­dern selbst die Mi­schung von Neu­gier und Un­ru­he wahr­neh­men konn­te, die sich uf den meis­ten Ge­sich­tern ab­spie­gel­te.

Auf den Gän­gen, um die Mas­ten her­um und auf den Se­gel­stan­gen, wa­ren zahl­rei­che Grup­pen. Nicht we­ni­ger la­gen auf den Un­ter­raaen, oder guck­ten aus den Mast­kör­ben und mach­ten den Hin­ter­grund des Ge­mäl­des. Alle aber zeig­ten in ih­ren Mie­nen, wie viel An­teil sie an der Rück­kehr der Scha­lup­pe nah­men.

So­viel Hau­fen je­doch auch auf al­len an­de­ren Punk­ten ver­sam­melt wa­ren, im­mer blieb doch das Hin­ter­deck bloß von den Of­fi­zie­ren ein­ge­nom­men, die nach ih­rem ver­schie­de­nen Ran­ge her­um­stan­den, und üb­ri­gens so still und auf­merk­sam, als die üb­ri­ge Mann­schaft wa­ren. Vorn er­blick­te man eine Ge­sell­schaft von jun­gen Leu­ten, die, in glei­cher Uni­form, Ka­me­ra­den von Grif­fith und mit ihm vom näm­li­chen Gra­de, ob­schon die jüngs­ten Lieut­nants wa­ren. Auf der an­de­ren Sei­te sah man eine grö­ße­re Grup­pe, an de­ren Spit­ze Herr Mer­ry stand. An der Spil­le wa­ren Drei oder Vier, de­ren ei­ner einen blau­en Rock mit schar­lach­ro­ten Auf­schlä­gen und der an­de­re die schwar­ze Klei­dung ei­nes Schiffs­kaplans trug. – Hin­ter ih­nen, dicht un­ter Trep­pe, die zu der Ka­jü­te führ­te, aus der er eben ge­kom­men war, stand die lan­ge, ha­ge­re Ge­stalt des Kom­mend­an­ten vom Schif­fe.

Grif­fith grüß­te flüch­tig sei­ne Ka­me­ra­den. Der Loot­se folg­te ihm lang­sam nach dem Orte hin, wo der alte Be­fehls­ha­ber bei­de er­war­te­te. Der jun­ge Mann zog has­tig den Hut und grüß­te um­ständ­li­cher, als ge­wöhn­lich sei­ne Art war.

»Al­les ist in Ord­nung ge­bracht! Sir«, sag­te er, »ob­schon mit mehr Zeit und Auf­ent­halt, als wir er­war­tet hat­ten.«

»Aber den Loot­sen habt ihr ja nicht?« ent­geg­ne­te der Ka­pi­tän zwei­fel­haft. – »Ohne ihn ist alle un­se­re Ge­fahr und Un­ru­he um­sonst.«

»Hier ist er!« ver­setz­te Grif­fith, seit­wärts tre­tend, und strek­te sei­nen Arm nach dem Man­ne aus, der hin­ter ihm stand und in sei­ne raue Ja­cke bis ans Kinn ein­ge­wi­ckelt war. Die her­ab­fal­len­den Kräm­pen ei­nes brei­ten Hu­tes, der schon lan­ge und sau­re Diens­te ge­leis­tet hat­te, be­schat­te­ten sein Ge­sicht.

»Das ist er?« rief der Ka­pi­tän. »O welch ein häss­li­cher Miss­griff! – Das ist nicht der Mann, den ich ha­ben woll­te, und den auch kein an­de­rer er­set­zen kann!«

»Ich weiß nicht, wen ihr er­war­tet, Ka­pi­tän Mun­son!« sag­te der Frem­de ru­hig und kaum ver­nehm­lich. »Aber wenn ihr nicht den Tag ver­ges­sen habt, wo eine an­de­re Flag­ge als die­ses Bild der Ty­ran­nei, das jetzt auf eu­rem Rah­me weht, zum ers­ten Male im Win­de flat­ter­te, so wer­det ihr auch der Hand ge­den­ken kön­nen, die sie auf­pflanz­te.«

»Licht her!« rief der Kom­mend­ant has­tig.

Eine La­ter­ne ward nach dem Loot­sen hin­ge­hal­ten. Der Schein fiel auf sei­ne Züge. Ka­pi­tän Mun­son staun­te, als er das durch­drin­gen­de blaue Auge und das blas­se, aber ru­hi­ge Ant­litz sah. Un­will­kühr­lich zog der Ve­teran den Hut und ent­blö­ßte sein Sil­ber­haar.

»Er ist es!« brach er aus. – »Aber so ver­än­dert!«

»Dass ihn sei­ne Fein­de nicht er­ken­nen!« un­ter­brach ihn der Loot­se schnell. Dann nahm er den Ka­pi­tän bei dem Arme und führ­te ihn auf die Sei­te.

»Auch sei­ne Freun­de dür­fen ihn nicht ken­nen«, setz­te er lei­ser hin­zu, »bis Zeit und Stun­de ge­kom­men ist.«

Grif­fith war zu­rück­ge­gan­gen, um den drin­gen­den Fra­gen sei­ner Ka­me­ra­den Rede zu ste­hen. Kei­ner der Of­fi­zie­re hör­te da­her das klei­ne Ge­spräch, ob sie schon bald wahr­nah­men, dass ihr Be­fehls­ha­ber sei­nen Irr­tum ein­ge­se­hen habe und froh sei, den rech­ten Mann an Bord ge­bracht zu sehn. Bei­de blie­ben ei­ni­ge Mi­nu­ten, in ein erns­tes Ge­spräch ver­tieft, auf ei­ner Ecke des Hin­ter­decks bei­sam­men.

Grif­fith hat­te nicht viel zu er­zäh­len. Die Neu­gier sei­ner Zu­hö­rer war bald ge­stillt und al­ler Au­gen rich­te­ten sich nun auf den ge­heim­nis­vol­len Füh­rer, der sie aus Ge­fah­ren brin­gen soll­te, die be­reits groß wa­ren und je­den Au­gen­blick in der Tat zu­nah­men.

IV.

Da sieh die Se­gel! Ein Wind treibt sie, den nie­mand merkt, da­hin. Und lan­ge Fur­chen zieht der Kiel im Mee­re, trot­zend Al­len Wo­gen. –

Sha­ke­s­pea­re.

Es ist be­reits von uns an­ge­deu­tet wor­den, dass in der At­mo­sphä­re so Man­ches da war, was in der Brust des See­man­nes erns­te Un­ru­he rege ma­chen konn­te. Sah man von den Fel­sen­schat­ten hin­weg, so war die Nacht kei­nes­we­ges so fins­ter, um nicht in mä­ßi­ger Fer­ne alle Ge­gen­stän­de zu ent­de­cken. Am öst­li­chen Him­mel zog sich aber im dun­keln Ge­wäs­ser ein hel­ler Strei­fen be­denk­li­cher Art da­hin. Das Brau­sen des hohl­ge­hen­den Mee­res ward mit je­dem Au­gen­blick stär­ker und da­mit be­un­ru­hi­gen­der. Meh­re­re di­cke Wol­ken hin­gen über dem Schif­fe, und die turm­ho­hen Mas­ten des­sel­ben schie­nen die schwar­zen Düns­te zu tra­gen, wäh­rend nur we­ni­ge Ster­ne mit mat­tem Lich­te in dem hel­lern Strei­fe blink­ten, der den Ozean um­gür­te­te. Noch weh­te ge­le­gent­lich ein sanf­ter Land­wind, mit den fri­schen Düns­ten der Küs­te ge­schwän­gert, al­lein zu leicht, zu un­re­gel­mä­ßig, um nicht sein gänz­li­ches Erster­ben si­cher pro­phe­zei­hen zu kön­nen. Das Brau­sen der Wo­gen an der Küs­te brach­te ein ein­för­mi­ges Geräusch her­vor, das nur dann und wann von ei­nem noch stär­kern Brül­len un­ter­bro­chen ward, wenn eine Wel­le, grö­ßer als ge­wöhn­lich, hef­tig ge­gen eine Höh­le im Fel­sen an­schlug. Kurz al­les ver­ein­te sich, die Sze­ne düs­ter und be­denk­lich er­schei­nen zu las­sen, ob­schon kei­ne Furcht für den Au­gen­blick da war: denn noch schweb­te das Schiff leicht auf den Wo­gen, ohne selbst das schwe­re Tau an­zu­zie­hen, das es an sei­nem An­ker hielt.

Die Ober-Of­fi­zie­re wa­ren alle bei der Spil­le ver­sam­melt, und in erns­te Ge­sprä­che über ihre Lage, ihre Aus­sich­ten ver­tieft, in­des­sen ei­ni­ge der äl­tes­ten und be­güns­tig­tes­ten Ma­tro­sen ih­ren kur­z­en Weg bis zu den be­stimm­ten Schran­ken des Hin­ter­decks aus­dehn­ten, um mit be­gie­ri­gem Ohre die Ver­mu­tun­gen auf­zu­schnap­pen, die hier von ih­ren Obern fie­len. Zahl­los wa­ren die un­ge­dul­di­gen Bli­cke, wel­che die Of­fi­zie­re, wie die Ma­tro­sen, auf den Kom­mend­an­ten und den Loot­sen war­fen. Bei­de stan­den im­mer noch in ei­nem ent­fern­te­ren Tei­le des Schif­fes im ge­hei­men Ge­sprä­che be­grif­fen. Ei­nen der jun­gen Ka­de­ten führ­te ent­we­der un­be­sieg­ba­re Neu­gier oder die Un­be­son­nen­heit sei­ner Jah­re da­hin. Al­lein ein der­ber Ver­weis vom Ka­pi­tän schick­te den Jüng­ling be­schämt und ver­wirrt zu­rück, sei­nen Ver­druss un­ter den Ka­me­ra­den zu ver­ber­gen. Die äl­tern Of­fi­zie­re nah­men dies als Wei­sung an, dass die Be­ra­tung, wel­che bei­de mit­ein­an­der hiel­ten, durch­aus un­ver­letz­lich sein sol­le. In kei­ner Art un­ter­drück­ten sie frei­lich die wie­der­hol­ten Aus­brü­che ih­rer Un­ge­duld. Aber sie wag­ten doch nicht, das Ge­spräch un­mit­tel­bar zu stö­ren, so sehr es auch alle als un­zei­tig und über die Maa­ßen lang ge­dehnt er­klär­ten.

»Jetzt ist nicht die Zeit, über Lage und Ent­fer­nung zu spre­chen«, be­merk­te der Of­fi­zier, wel­cher Grif­fith im Ran­ge am Nächs­ten war. »Wir müs­sen alle Hand ans Werk le­gen und die Fre­gat­te her­aus­zu­bug­sie­ren su­chen, so lan­ge noch das Meer ein Boot tra­gen will.«

»Das wäre eine eben so un­nüt­ze als be­schwer­li­che Ar­beit!« er­wi­der­te Grif­fith. »Ein Schiff mei­len­weit zu bug­sie­ren, wenn das Meer ge­gen den Boogs­priet an­stößt! Al­lein der Land­wind geht noch in der Ober­luft frisch, und wenn ihn un­se­re leich­ten Se­gel an­neh­men und die Ebbe mit­hilft, so kön­nen wir dann wohl von der Küs­te weg­kom­men.«

»Ruft doch die Wa­che im Kor­be an!« sag­te der an­de­re. »Fragt, ob sie Wind be­merkt. Es wird zum Min­des­ten ein Wink sein, den al­ten Mann und sei­nen Hans von Loot­sen in Be­we­gung zu brin­gen.«

Grif­fith lach­te, in­dem er dem Be­geh­ren Ge­nü­ge tat. Als er die ge­wöhn­li­che Ant­wort auf den Ruf be­kam, frag­te er mit lau­ter Stim­me:

»Von wel­cher Sei­te her kommt der Wind da oben?«

»Von Zeit zu Zeit kommt ein Wind­zug vom Lan­de her!« er­wi­der­te der mun­te­re Boots­mann; »al­lein un­ser Bram­se­gel hängt steif her­un­ter und rührt sich nicht.«

Ka­pi­tän Mun­son und sein Ge­fähr­te mach­ten eine Pau­se, wäh­rend Fra­ge und Ant­wort hier mit­ein­an­der wech­sel­ten. Dann aber fuh­ren sie im Ge­spräch so eif­rig fort, als hät­te kei­ne Un­ter­bre­chung Statt ge­fun­den.

»Das Bram­se­gel könn­te gehn wie es woll­te, bei un­serm Herrn hül­f’ es doch nichts!« be­merk­te der ers­te Of­fi­zier von den See­sol­da­ten, des­sen Un­wis­sen­heit im See­we­sen ihm die Ge­fahr noch grö­ßer er­schei­nen ließ. In­des­sen der Mü­ßig­gang ließ ihn mehr Scherz zu Tage för­dern, als je­den an­de­ren auf dem Schif­fe. »Der Loot­se«, fuhr er fort, »will mit den Ohren einen fei­nen Wink nicht wahr­neh­men, – Herr Grif­fith, ich däch­te, ihr nähmt ihn ein­mal bei der Nase.«

»Ach, wir hat­ten in der Scha­lup­pe ein Lauf­feu­er!« er­wi­der­te der ers­te Lieut­nant, »und er scheint nicht der Mann, der sol­che Win­ke, wie ihr meint, ver­dau­en kann. So sieht er sanft und stil­le, al­lein ich zweifle doch, dass er sich mit dem Bu­che Hiob viel zu schaf­fen macht.«

»Wozu soll­te er denn das?« frag­te der Ka­pel­lan, des­sen Furcht zum Min­des­ten der des Of­fi­ziers von den See­sol­da­ten gleich kam. »Ich weiß ge­wiss, es wäre das großer Zeit­ver­lust. Hier sind so man­che See­kar­ten und Bü­cher über die Küs­ten­schiff­fahrt zu stu­die­ren, dass er ge­wiss sei­ne Zeit bes­ser an­wen­den kann.«

All­ge­mei­nes La­chen war die Fol­ge von die­ser Be­mer­kung bei Al­len, die sie hör­ten, und wie es schi­en, hat­te sie die so sehn­lich er­war­te­te Fol­ge. Sie mach­te der ge­heim­nis­vol­len Un­ter­hal­tung des Ka­pi­täns mit dem Loot­sen ein Ende. Der letz­te­re kam auf die er­war­tungs­vol­le Men­ge zu.

»Lasst den An­ker ein­zie­hen und die Se­gel stel­len!« sag­te er zum Lieut­nant Grif­fith mit der ru­hi­gen und fes­ten Hal­tung, die den Haupt­zug sei­nes Cha­rak­ters bil­de­te. »Die Stun­de ist da, wo wir fort müs­sen!«

Das freu­di­ge: »Ja! Ja! Sir!« des jun­gen Lieut­nants war kaum her­aus, als das Ge­schrei von ei­nem Halb­dut­zend Ka­de­ten er­tön­te, die je­den Boots­mann und sei­ne Ma­tro­sen zum Diens­te rie­fen.

Eine all­ge­mei­ne Be­we­gung kam nun in die le­ben­den Mas­sen, die um den Haupt­mast, auf den Raaen, den Lei­tern her­um wog­te, ob­schon die ge­wohn­te Manns­zucht alle einen Au­gen­blick in Er­war­tung hielt. Das Still­schwei­gen un­ter­brach zu­erst die Pfei­fe des Boots­manns. Ihr folg­te das raue Ge­schrei: »Je­der­mann an den An­ker! frisch da­bei!« Der tie­fe Ton der Pfei­fe wech­sel­te in der Dun­kel­heit mit ei­nem gel­len­den, der wie­der über dem Was­ser hin­schwand. Das Ge­schrei hall­te im gan­zen Schif­fe wie­der, wie das dump­fe Rol­len ei­nes fer­nen Don­ners.

Wun­der­bar war die Ver­än­de­rung, die die­se ge­wöhn­li­chen Zei­chen zu Wege brach­ten. Men­sch­li­che Ge­stal­ten spran­gen un­ter den Ka­no­nen her­vor, husch­ten aus den Lu­ken her­aus, schwan­gen sich mit sorg­lo­ser Eile von den Raaen her­ab, und ka­men aus je­dem Win­kel so schnell her­bei, dass das gan­ze Ver­deck der Fre­gat­te mit Men­schen be­deckt war. Das tie­fe Schwei­gen, das bis­her bloß von dem lei­sen Ge­spräch der Of­fi­zie­re un­ter­bro­chen ward, wich nun den erns­ten Be­feh­len der Lieut­nants, die das lau­te­re Ge­schrei der Ka­de­ten, die Don­ner­stim­me des Boots­manns und sei­ner Ge­fähr­ten wie­der­hol­te. Die Stim­me der Letz­tern war stär­ker als je­der Lärm und alle die­se Vor­be­rei­tun­gen.