Der magische Elfenbund - Zarias Sehnsucht - Victoria Hanley - E-Book

Der magische Elfenbund - Zarias Sehnsucht E-Book

Victoria Hanley

4,9
11,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Das Elfenland schwebt in großer Gefahr. Der schützende Zauber, der das Reich umgibt, ist geschwächt. Daran ist allein die machtgierige Lily Morganit schuld. Der Hohe Rat bittet Zaria und Leona um Hilfe. Denn nur sie als Violette sind mit ihren magischen Kräften in der Lage, Lily in die Knie zu zwingen. Doch Zarias Zauberkräfte sind noch stärker, als der Hohe Rat und Zaria selbst es zunächst ahnen. Sie ist im Besitz einer kleinen blauen Flasche, die einen kostbaren Zauber enthält. Zaria muss vorsichtig sein, denn Lily Morganit wird alles tun, um die Flasche in ihren Besitz zu bringen -

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 286

Bewertungen
4,9 (16 Bewertungen)
15
1
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Inhalt

Cover

Über die Autorin

Titel

Impressum

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

31

32

33

34

35

36

37

38

39

40

41

42

43

44

45

46

47

48

49

Über die Autorin

Victoria Hanley wurde in Kalifornien geboren. Ihre Fantasyromane wurden in zehn Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Zurzeit lebt sie am Fuß der Rocky Mountains, wo sich Elfen, Feen, Trolle und Gnome Gute Nacht sagen.

Victoria Hanley

Aus dem amerikanischen Englischvon Ann Lecker-Chewiwi

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Die englischsprachige Originalausgabe erscheint 2012

unter dem Titel »Indigo Magic« bei Random House UK, London

Für die Originalausgabe: Text © 2011 Victoria Hanley

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2011 by Boje Verlag in der Bastei Lübbe AG, Köln

Aus dem amerikanischen Englisch von Ann Lecker-Chewiwi

Textredaktion: Frauke Heithecker

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Anke Koopmann, Guter Punkt, München, unter Verwendung von Motiven von Shutterstock

Reihenschriftzug: © Andrea Glanegger, Büro für Buch + Gestaltung, München

E-Book-Produktion: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN 978-3-8387-1194-2

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Das Klopfen an meiner Tür war knapp und präzise – ein Klopfen voller Autorität.

Ich beachtete es nicht und konzentrierte mich auf die goldene Teetasse meiner Mutter. Es war ihre Lieblingstasse gewesen, aber sie hatte sie seit über fünf Jahren nicht mehr angerührt. Ich drehte sie in meiner Hand und bewunderte traurig ihre schlichte Eleganz.

Draußen vor meinem Fenster war die Sonne von Elfenland untergegangen und hatte den Himmel in ein lilafarbenes Licht getaucht, in das sich ein immer dunkler werdendes Blau mischte. So ein friedvoller Anblick. Wenn ich doch nur ein wenig von diesem Frieden in mir spüren könnte.

»Öffne die Tür, Kind!«, rief jemand.

Kind. Offenbar vergaßen mächtige Elfen jedes Mal, wenn sie mich belügen wollten, dass ich Zaria hieß, und nannten mich stattdessen Kind. Auch wenn ich erst vierzehn war, war ich kein Kind. Ganz und gar nicht.

Das Klopfen wurde lauter.

Ich seufzte und stellte die Tasse zurück an ihren Stammplatz, ganz hinten im Zinnschrank. Mein Blick fiel auf das untere Regal, auf dem eine hohe indigoblaue Glasflasche stand. Sie war mit einem feinen, dunkel glänzenden Pulver gefüllt, das von einer unbekannten und so furchterregenden Magie durchdrungen war, dass ich die Flasche noch nie geöffnet hatte.

Erneutes Klopfen. Ich schloss den Schrank mit einem Klicken und glitt zur Tür.

Magistria Magnetit, Oberstes Mitglied des Hohen Rates von Elfenland, schwebte wenige Zentimeter über dem kleinen, mit Steinen gepflasterten Hof vor meinem Haus. Ihre schwarzen Flügel hoben sich von ihrer blendend weißen Haut ab. Um den Hals trug sie einen Rubin Oberons, Symbol ihrer Macht, der in der Dämmerung glitzerte.

Sie war in Begleitung der Ratsmitglieder Wolframit und Zirkon, die ebenfalls Rubine Oberons trugen; ihre waren jedoch in schwere Armbänder eingefasst. Ich mochte sie beide nicht und war mir sicher, dass sie mich auch nicht mochten. Zirkon lächelte nicht, als er mich sah, obwohl sein Sohn Meteor einer meiner besten Freunde war. Er starrte mich einfach nur aus grünen Augen an, die so tief lagen, dass man den Eindruck hatte, sie steckten in ihren Höhlen fest. Wolframits Nase zuckte, als versuche er, ein Problem aufzuspüren.

»Guten Abend, meine Liebe«, sagte die Magistria.

Jetzt war ich ihre Liebe.

Obwohl ich sie nicht hereinbat, glitten sie und Wolframit auf mich zu. Seine Nase stieß als Erstes gegen die magische Schranke, mit der ich mein Haus umgeben hatte. Er prallte im gleichen Augenblick rücklings mit Zirkon zusammen, als eine Flügelspitze der Magistria mit meinem Zauber in Berührung kam. Die stämmige Elfe zuckte zusammen.

»Zaria, ein Schutzzauber gegen uns?«, fragte sie.

Ach. Sie konnte sich also doch an meinen Namen erinnern.

Ich antwortete nicht. Es bestand kein Grund, sie darüber aufzuklären, dass mein Haus dank meines Zaubers jedem den Zutritt verwehrte, der mir nicht wohlgesinnt war. Es überraschte mich nicht, dass die anwesenden Ratsmitglieder nicht hereinkommen konnten.

Zirkon berührte den Rand meines Zaubers mit der Spitze seines Zauberstabs. Sein Gesicht zeigte keine Gefühlsregung, doch er wich zurück. »Was ist das für ein Zauber?«

Ich schwieg.

Magistria Magnetit seufzte. »Das ist eine schwierige Zeit für dich, Zaria. Du bist gewiss sehr bekümmert.«

Bekümmert. Das beschrieb nur zum Teil, wie ich mich fühlte. Noch zutreffender wäre rasend vor Wut.

»Ganz gleich, welchen Zauber du benutzt hast, du solltest ohne die Anleitung eines Mentors keine Magie ausüben«, fuhr die Magistria fort.

Bei dem Wort »Mentor« funkelte ich sie böse an.

»Zaria.« Wolframits Granataugen sahen aus wie Perlen, die ihm jeden Moment aus dem Gesicht zu fallen drohten. »Du darfst nicht zulassen, dass deine Verbitterung die Oberhand gewinnt. Wir möchten dir helfen.«

Ich blickte ihn fest an. »Sie glauben, ich bin verbittert?«

Seine Nase zuckte ununterbrochen. »Du lebst seit Tagen allein in dem Haus, in dem dein Vormund gestorben ist. Und wie es scheint, hast du irgendeinen merkwürdigen Zauber angewandt, um andere von dir fernzuhalten. Das sieht dir nicht ähnlich, Kind.«

»Ach, nein?« Was weißt du schon von mir?

»In den Berichten deines Vormunds stand, du wärst ruhig und gehorsam«, erklärte die Magistria.

»Beryl«, stieß ich wütend hervor. »Ihr Name war Beryl Danburit.«

Sie blinzelte. »Natürlich, Beryl Danburits Berichte über dich …«

»Waren positiv. Ja. Und was hat mir das eingebracht? Man hat mir eine Mentorin zugeteilt, die versucht hat, meinen Zauberstab zu stehlen. Ich wurde zur Verbrecherin erklärt. Man hat mich gejagt.« Und ohne meine eigenen Zauberkräfte wäre ich jetzt tot, durch Troll-Magie ausgelöscht.

»Das war ein Irrtum«, erwiderte die Magistria kühl. »Wir waren verzaubert, wie du sehr wohl weißt.«

Ich presste die Lippen aufeinander, um sie nicht anzuschreien. Sie hatte recht: Der gesamte Hohe Rat hatte unter einem Zauber meiner ehemaligen Mentorin Lily Morganit gestanden, einer bösen Elfe, wie sie Elfenland noch nie zuvor gesehen hatte.

Ich wartete darauf, dass sie mir erklärten, warum sie hier waren.

Wolframit durchbrach die bedrückende Stille. »Du bist zu einem Treffen geladen, Zaria. Morgen Vormittag im Turmzimmer des Elfenordens der Magie in Oberon-Stadt.«

»Warum dort?«

»Du weißt bestimmt«, sagte die Magistria kaum lauter als ein Flüstern, »dass Lily Morganit eine ständige Bedrohung darstellt. Sie ist mächtig genug, um jegliche Zauber zu brechen, die sie von dir fernhalten sollen.«

Ich bezweifelte, dass der Rat irgendwelche Zauber angewandt hatte, um mich vor Lily zu beschützen oder zu irgendeinem anderen Zweck. Eben deshalb hatte ich meine eigenen Schutzzauber geschaffen.

»Sie könnte jetzt hier sein«, fuhr die Magistria fort. »Uns unsichtbar belauschen. Aber im Turmzimmer sind jegliche Zauber nutzlos.«

»Wer kommt sonst noch zu diesem Treffen?«, wollte ich wissen.

»Niemand außer den hier Anwesenden«, erwiderte sie.

Ihr Lächeln gefiel mir nicht, und ich wollte mich nicht mit ihnen an einem Ort treffen, an dem Magie wirkungslos war.

Ich richtete mich zu meiner vollen Größe auf. Ich bin keine hochgewachsene Elfe – mein Anblick ist alles andere als furchterregend. Von meinen violetten Flügeln einmal abgesehen bin ich ziemlich farblos; meine Haut und mein Haar sind gräulich lavendelfarben. Zum Glück haben meine Augen die gleiche Farbe wie meine Flügel, was mich davor rettet, ganz und gar langweilig auszusehen. Meine eintönige Erscheinung ist für eine Elfe sehr ungewöhnlich, aber es macht mir nichts aus; durch meine unauffällige Färbung kann ich mühelos mit dem Hintergrund verschmelzen, wo ich mich am liebsten aufhalte. Nicht dass es mir in letzter Zeit wirklich gelungen wäre, im Hintergrund zu bleiben. Das hatte ich allein dem Hohen Rat zu verdanken.

»Ich werde mich nur mit Ihnen treffen, wenn meine Freunde dabei sein dürfen«, erklärte ich.

Die Magistria entfaltete ihre schwarzen Flügel, wodurch sie noch größer wirkte. Sie zog ihre dunklen Augenbrauen hoch. »Wie kannst du es wagen.«

Vor einem Monat wäre ich jedem Befehl eines Ratsmitglieds sofort gefolgt. Ich wäre von jeglicher Aufforderung des Hohen Rates geblendet gewesen, hätte alles getan, um ihren Anordnungen Folge zu leisten.

Aber jetzt zog ich meinen schmalen Zauberstab aus meinem Kleid.

Meine Besucher wichen zurück.

Die Gesichter von Magistria Magnetit und Ratsmitglied Zirkon waren wie versteinert. Nur Wolframit zwang sich zu einem Lächeln.

»Zaria«, sagte er, »wir müssen wichtige Dinge besprechen, die sowohl dich als auch Elfenland betreffen.« Ich traute meinen Augen nicht, als er sich vor mir verbeugte. »Wir bitten dich, zu diesem Treffen zu kommen.«

Die Magistria und Zirkon verbeugten sich nicht. Beide schuldeten mir eine umfassende Entschuldigung, was sie jedoch nie zugeben würden.

Ich hätte ihnen allen am liebsten den Rücken zugekehrt, aber sie regierten Elfenland. Sie konnten mir das Leben noch schwerer machen, als es bereits war.

Ich wandte mich an Ratsmitglied Wolframit: »Ich werde nur an Ihrem Treffen teilnehmen, wenn meine Freunde dabei sein dürfen.«

»Welche Freunde?«, fuhr mich die Magistria an. Als ob sie es nicht wüsste.

»Leona Blutstein. Meteor Zirkon. Andalonus Kupfer.«

Die Magistria spitzte die Lippen. »Dieses Treffen betrifft dich.«

»Und Elfenland«, erinnerte ich sie. »Somit betrifft es auch meine Freunde.«

Wolframit beugte sich zur Magistria. »Leonas Anwesenheit könnte hilfreich sein.« Er nickte Zirkon zu. »Und Meteors natürlich auch. Andernfalls müssen wir uns einzeln mit ihnen treffen.«

»Also gut.« Die Magistria runzelte ungehalten die Stirn. »Leona und Meteor können auch kommen.«

»Und Andalonus«, beharrte ich.

»Meine Liebe, du musst einsehen, dass Andalonus schwach ist. Ein gewöhnlicher Roter der Stufe 4!« Sie zuckte mit den Schultern. »Kaum ein angemessener Freund für eine violette Elfe wie dich.«

Ich schäumte vor Wut. Magische Kräfte waren das Einzige, was diese Ratsmitglieder schätzten. Nicht Mut. Nicht Güte. Und ganz bestimmt nicht Liebe. Denn Andalonus besaß all diese Eigenschaften, und dennoch verachteten sie ihn, weil er nur über wenig Magie verfügte.

»Er ist alles andere als gewöhnlich«, wandte ich ein.

»Er ist ein roter Elf«, gab die Magistria zurück. »Und wird nie mehr sein.«

Meine Flügel zitterten. »Wenn Sie möchten, dass ich zu Ihrem Treffen komme, müssen Sie Andalonus auch einladen.«

Sie schüttelte den Kopf. »Es ziemt sich nicht.«

Ich wandte mich ab und begann, die Tür zu schließen.

Ich hörte Wolframit flüstern. »Welchen Schaden kann er schon anrichten? Lassen Sie ihr doch ihren Willen.«

Ich wartete.

»Zwei Stunden nach Tagesanbruch, Zaria«, fauchte die Magistria. »Wir werden deine Freunde einladen.«

Als sie weg waren, streifte ich durchs Haus und kämpfte gegen die Verzweiflung an, die sich über meine Flügel breitete. Am Ende blieb ich neben dem Kupferofen, den ich seit Beryls Tod nicht mehr angezündet hatte, in der Luft stehen. Ich hatte mich nicht einmal dazu durchringen können, den Kessel aufzusetzen und mir ohne sie eine Tasse Tee zu kochen. Beryl und ich hatten so oft zusammen Tee gekocht.

Eine Frage quälte mich unentwegt. Wenn ich bei ihrem letzten Versuch, mit mir zu reden, auf sie gehört hätte, wäre sie dann noch am Leben?

Ich öffnete den Zinnschrank und starrte die indigoblaue Flasche an. Sie schien mit tausend Augenpaaren zurückzustarren. Mehrere Male streckte ich die Hand nach ihr aus, zog sie jedoch jedes Mal wieder zurück.

Ich schloss den Schrank und glitt zu dem Hochsitz, auf dem ich den Großteil meiner Zeit verbracht hatte. Lustlos schüttelte ich die abgewetzten Kissen auf und ließ mich auf sie fallen. Ihre Weichheit konnte mich jedoch nicht trösten.

Vielleicht hätte ich meine Trauer durch die leeren Räume herausschreien sollen. Aber ich konnte mir keine Tränen erlauben. Wenn ich erst einmal anfing zu weinen, würde mich der reißende Strom zermalmen wie ein Platzregen ein brüchiges Blatt.

Deshalb lag ich zusammengekauert in meinen Flügeln und atmete erst ein, dann zwei Mal tief durch.

Am Morgen trafen meine Freunde ein. Mit seinem Haar wie blauer Seifenschaum und seinen glänzenden kupferfarbenen Augen betrat Andalonus als Erster das Haus. Hinter ihm schwebte Meteor herein und nahm aufgrund seiner Größe übermäßig viel Platz in Anspruch. Leona kam mit ihren silbrig schimmernden Flügeln nach den beiden Jungs hereingeschwirrt. An ihrem rechten Flügel und ihrer rechten Hand hatte sie Brandwunden, die immer noch feuerrot und scheußlich anzusehen waren – beide Verletzungen hatte sie sich bei einer schrecklichen Begegnung mit einem rachsüchtigen Menschen zugezogen. Ich wandte den Blick von ihren Verbrennungen ab. Sie erinnerten mich daran, dass es in Elfenland keine Heilzauber gab. Diese Brandwunden würden bald Narben bilden, die sie für den Rest ihres Lebens behalten würde.

»Seid ihr so weit?«, fragte Meteor. Seine Augen waren so grün wie die seines Vaters, aber ganz offen – nicht eingesunken und verborgen.

Andalonus hüpfte auf und ab. »Der Hohe Rat hat mich zu einem Treffen eingeladen. Ich habe meinen Eltern gesagt, es läge daran, dass ich jetzt ein berühmter Elf bin.« Er zwinkerte. »Sie platzen fast.«

Leona verdrehte die Augen. »Vor Abscheu?« Sie hatte den Ratsmitgliedern nicht verziehen, wie sie uns in der Vergangenheit behandelt hatten.

Diese drei Elfen zu meinen Freunden zählen zu können, munterte mich auf. Ich lächelte. Zu viert würde es uns viel leichter fallen, dem Hohen Rat gegenüberzutreten.

Als wir durch die Pforte von Galena nach Oberon-Stadt glitten, rief jemand: »Da sind sie!«

Eine Elfenschar hatte auf der anderen Seite der Pforte auf der Lauer gelegen und näherte sich uns jetzt in Windeseile.

Leona hatte mir beibringen wollen, mit den Massen zurechtzukommen. Sie und ich waren die ersten violetten Elfen, die es seit unzähligen Generationen gegeben hatte. Als solche waren wir mit außergewöhnlicher Magie gesegnet – oder gestraft. Es war also nur natürlich, dass sich Elfen in großen Trauben um uns scharten. Und natürlich wollten sie wissen, was wir taten und wohin wir gingen. Würde die Pforte uns nicht vor diesen Schaulustigen beschützen, wären wir Tag und Nacht umringt. Leona hatte sich damit abgefunden, aber ich fühlte mich dabei alles andere als wohl und versuchte, mich in ihrem Schatten zu verstecken.

Eine Elfe mit blauem Gesicht und großen Flügeln drängte sich zu Leona vor. »Wann werdet ihr die dauerhaften Zauber wieder in Ordnung bringen?«, quäkte sie.

»Ja!«, riefen andere. »Wann?«

Leona zog ihren schimmernden und mit Filigran verzierten Platin-Zauberstab hervor. Die blaugesichtige Elfe wich flatternd zurück.

Leonas Stimme war laut genug, um von allen gehört zu werden: »Erwartet nicht, von uns gerettet zu werden.«

Entrüstete Schreie.

»Aber Elfenland könnte untergehen!«

»Warum tut ihr nichts dagegen?«

»Trolle und Menschen werden uns überrennen!«

»Du und Zaria Turmalin habt mehr Magie als wir alle zusammen! Ihr solltet euch schämen!«

Leona blieb in der Luft stehen, wobei ihr verletzter Flügel ganz unregelmäßig schlug. »Ihr solltet euch schämen. Zaria und ich sind vierzehn Jahre alt. Wir haben die dauerhaften Zauber nicht geschwächt. Wir haben die Magie-Steuer nicht unterschlagen. Das war Lily Morganit! Und jetzt geht uns aus dem Weg.«

Ich dachte, sie würden versuchen, uns aufzuhalten, aber Leona hatte sie beeindruckt – wie immer. Sie ließen uns vorbei. Allerdings hörten sie nicht auf zu murren und folgten uns wie eine wogende Wolke, ohne uns jedoch den Weg zu versperren.

Als wir im Hauptquartier des Elfenordens der Magie – der EOM-Kuppel – ankamen, wartete Ratsmitglied Wolframit bereits vor den großen Türen auf uns. Er führte uns hinein, und die Türen fielen mit einem Knall vor der Menge ins Schloss.

Mir gefiel es nicht in dem sich langsam drehenden Rubin auf der Spitze der gewaltigen Kuppel. Seine Pyramidenform bot kaum genug Platz für eine Versammlung von sieben Elfen. Das Licht strömte so rot durch die Wände, dass das weiße Gesicht der Magistria pinkfarben leuchtete.

Ich zog mich in eine Ecke zurück. Meteor und Andalonus standen mit eingezogenen Köpfen da. Sie mit ihren magischen Füßen flach auf dem Boden stehen zu sehen, war ein merkwürdiger Anblick. Leona lehnte an der Wand zwischen ihnen, ihre silbrigen Flügel gefaltet.

Die Magistria begann: »Wie ihr wisst, sind die Zauber, die Elfenland beschützen, kurz davor, ihre Wirkung zu verlieren.«

Sie erwähnte mit keinem Wort, welche Rolle der Hohe Rat dabei gespielt hatte. Er hatte einer teuflischen Elfe zu viel Macht verliehen. Ja, die Ratsmitglieder hatten Lily Morganit zum Forcier von Elfenland ernannt. In dieser Funktion hatte Lily von unschuldigen Elfen Radia-Steuern eingenommen, mit denen sie die dauerhaften Zauber hätte erneuern sollen. Doch entgegen ihres Versprechens, die Zauber aufzufrischen, hatte sie die Magie unterschlagen, um sich selbst zu bereichern. Sie hatte sich mit einem riesigen Radia-Schatz davongemacht.

Als wäre das nicht genug, hatte Lily auch noch Beryl umgebracht, dessen war ich mir sicher. Ich konnte es nur nicht beweisen. Aber wer würde sonst eine alte Elfe umbringen, die nie jemandem ein Leid zugefügt hatte? Am Abend vor ihrem Tod hatte mir Beryl etwas Wichtiges erzählen wollen – etwas über das Verschwinden meiner Eltern und was Lily damit zu tun hatte.

Man hatte mir immer gesagt, Menschen hätten meine Eltern und meinen Bruder auf der Erde getötet. Niemand schien irgendetwas Genaues zu wissen, am wenigsten Beryl, die mein Vormund wurde, als meine Familie nicht zurückkehrte. Aber in den Tagen nach meinem vierzehnten Geburtstag, als ich erfuhr, dass ich eine violette Elfe war, hatte sich Beryls Verhalten mir gegenüber verändert. Sie meinte, es wäre an der Zeit, dass ich die Wahrheit erfuhr.

Sie starb, bevor sie mir mitteilen konnte, was sie zu sagen hatte. Man hatte sie für immer zum Schweigen gebracht.

Die Magistria lamentierte in einem fort, welche Gefahren das Schwächerwerden der dauerhaften Zauber darstellte.

Leona hatte schnell genug davon. Ihre Stimme hallte laut in dem kleinen Raum. »Und was beabsichtigen Sie dagegen zu tun?«

Die Magistria blähte ihre Flügel auf. »Zügle dein freches Mundwerk, Leona Blutstein. Ich wollte gerade sagen, dass wir beschlossen haben, eine neue Steuer einzuführen. Alle Elfen mit Ausnahme der Roten müssen zwanzig Prozent ihrer Radia abführen.«

»Alle Elfen?«, hakte Leona nach.

»Alle Elfen über vierzehn Jahre«, fügte die Magistria knapp hinzu.

Was?! Die Magie in dieser Rubinpyramide war mächtig. Mein Zauberstab fühlte sich so leer an wie ein Plastikstrohhalm von der Erde.

»Oh.« Andalonus hörte auf, seine Füße zu mustern. »Das gilt dann wohl auch für Ratsmitglieder.«

Die Magistria gab einen missbilligenden Laut von sich. »Natürlich nicht«, schnaubte sie. »Die Ratsmitglieder müssen ihre Radia-Vorräte schonen – für Notfälle.«

Andalonus grinste. »’tschuldigung. Als Sie alle sagten, dachte ich, Sie meinten auch alle Mitglieder des Hohen Rates.«

Meteors Stirn verfinsterte sich, und seine weißen Augenbrauen trafen sich in der Mitte.

»Sie wollen, dass wir dafür bezahlen, was Lily Morganit getan hat?« Er warf seinem Vater einen fragenden Blick zu. Der tat jedoch so, als höre er seinen Sohn nicht.

»Nicht nur ihr. Alle müssen bezahlen«, gab die Magistria zurück.

Leona sah aus, als wollte sie sie alle in Kröten verwandeln.

»Aber Sie wollen mit uns anfangen – vierzehnjährige Elfen, die noch vier Jahre lang keine Steuern zahlen sollten.«

»Ihr seid am reichsten«, entgegnete die Magistria. »Außer eurem roten Freund natürlich.«

Sie ließ den Blick auf mir ruhen. »Zaria? Da du von uns allen über die größten Vorräte verfügst, hoffen wir, dass du uns als Erste helfen wirst.«

Nun ja, ich war die reichste Elfe in Elfenland – wenn man Lily Morganit nicht mitzählte. »Ich werde Ihnen folgen«, sagte ich. Meine Freunde würden verstehen, was ich damit meinte. Oh ja, ich würde den Ratsmitgliedern folgen. Sobald sie Elfenland Radia schenkten, würde ich es auch tun.

»Danke, Zaria.« Die Magistria wirkte zufrieden. »Du wirst deinem neuen Vormund alle Ehre machen.«

»Neuer Vormund!«

»Wir werden bald eine geeignete Elfe für dich auswählen. Du kannst nicht allein leben. Du musst noch ganze vier Jahre in Galena bleiben.«

Galena, das Land, wo Kinder und Eltern in Sicherheit leben konnten. Galena, das von der verzauberten Pforte geschützt wurde, die allen anderen den Zutritt verwehrte.

»Niemand kann Beryl ersetzen!«, entgegnete ich.

»Wir haben beschlossen …«

Leona fiel ihr noch einmal ins Wort. »Sollten Sie nicht lieber über einen Plan nachdenken, wie sie Lily Morganit fangen können, anstatt ein Kindermädchen für Zaria zu suchen?«

Zirkon blickte, wenn das überhaupt möglich war, noch ernster als zuvor. Wolframits Nase zuckte entrüstet.

Und Magistria Magnetits blasse Finger strichen über den Rubin um ihren Hals. »Ihr könnt jetzt gehen«, teilte sie uns kühl mit. »Zaria, Leona, Meteor, ihr werdet uns morgen Vormittag um neun vor der Goldenen Station treffen. Dort werden wir mit der Auffrischung der dauerhaften Zauber auf den Portalen zur Erde beginnen.«

Die Goldene Station! Der Ort, von dem Elfen zur Erde und wieder zurück reisten. Kein Ort, den ich in Begleitung von Ratsmitgliedern aufsuchen wollte, die mich wie ein Kind behandelten, dem Erdreisen ganz und gar untersagt sein sollten.

Ich sah zu Andalonus hinüber. Ich wusste, dass ihm die Verachtung der Magistria nichts ausmachte. Aber daran erinnert zu werden, dass er nie zur Erde würde reisen können, traf ihn zweifellos. Er besaß nicht einmal genügend Magie für einen einzigen Besuch.

Ich wünschte, ich könnte etwas für ihn tun; ich hätte ihm gern die Radia für so viele Reisen gegeben, wie er wollte. Aber keine Menge Radia konnte etwas an seiner angeborenen Magie-Stufe ändern. Andalonus war ein Elf der Stufe 4. Um zur Erde zu reisen, brauchte man mindestens Stufe 5.

Wolframit führte uns zu einem hohen Fenster in der Kuppel, und wir entflohen durch die Luft. Ich war froh, dass wir der Horde Elfen aus dem Weg gehen konnten, die immer noch vor dem EOM-Eingang versammelt war.

»Trefft ihr euch morgen früh mit ihnen?«, fragte Andalonus, sobald wir außer Reichweite der Kuppel waren.

Meteor knurrte etwas, das wie ein »Ja« klang, aber Leona rümpfte die Nase. »Da lasse ich mich lieber von einer Menschenfamilie adoptieren«, erklärte sie.

Ich grinste sie an. »Und ich feiere lieber mit einer Horde Gnome.«

Wir glitten durch die Pforte von Galena und flogen weiter zu dem bescheidenen Steinhaus, das mein Vater Gilead Turmalin gebaut hatte. Er hatte stets dafür gesorgt, dass das Platindach auf Hochglanz poliert war – bis er verschwand.

Als wir auf dem kleinen Hof vor meinem Haus landeten, war ich mir keiner Gefahr bewusst. Warum auch? Die Pforte von Galena beschützte uns wie immer. Aber als ich die Hand nach der Tür ausstreckte, packte mich etwas am Handgelenk.

Ich wand mich, konnte meine Angreifer jedoch nicht abschütteln. Hinter mir hörte ich einen Schrei. Ich drehte den Kopf und sah, wie Leona einen unsichtbaren Gegner abwehrte. Meteor und Andalonus zuckten, als hätte man Stricke an ihren Gliedern befestigt und stramm gezogen.

Meteor riss seine Hände los. Er spannte seinen kraftvollen Körper an, schnellte vor und schlug mit Fäusten und Füßen wild um sich. Andalonus stieß seine spitzen Ellbogen in die Luft.

Von unseren verborgenen Angreifern kam ein Ächzen, Schreien und Stöhnen. Wie viele konnten es sein?

Die Jungs sprangen nach vorne. Andalonus ließ die Fäuste fliegen. Meteor kämpfte sich zu mir durch, während er mit unsichtbaren Händen rang. Ich schrie auf, als etwas an meinen Flügeln zerrte.

Die scharlachroten Blüten des nahe gelegenen Orchideenfelds, die wie unruhige Wasser zu wogen anfingen, teilten sich und legten den Blick auf eine Horde stämmiger Wesen frei, die auf uns zumarschiert kamen.

»Zwerge!«, schrie ich.

Die Zwerge trugen Helme und Brustharnische aus Messing und schwangen Knüppel aus gehämmertem Eisen. Eisen!

Meteor prallte mit mir zusammen und beförderte mich zur Tür. Ungeschickt hantierte ich am Riegel herum. Die Tür flog weit auf, Meteor und ich hechteten hindurch und fielen in den dahinterliegenden Raum.

Er sprang sofort wieder auf die Füße, schnappte sich einen Schürhaken aus Messing vom Kamin, flog wieder nach draußen und drosch auf die Luft ein. Ich hörte Schmerzensschreie, als der Schürhaken seine Ziele traf. Wer auch immer Leonas Flügel festhielt, ließ sie los, woraufhin sie sich wie ein großer silberner Fächer ausbreiteten, während Meteor und Andalonus Leona ins Haus drängten.

Ich schlug die Tür zu und vernahm von draußen wütendes Geschrei. Dann spürte ich ein Beben, so als wäre die Luft selbst von einem Rudel Trolle durchgerüttelt worden. Ein tiefes, ohrenbetäubendes Tosen hallte aus allen Richtungen.

Wieder bebte es, dieses Mal stärker und lauter. Meine Freunde und ich warteten schwer atmend und am ganzen Körper zitternd.

Plötzlich war alles still.

Ich flog zum Fenster, die anderen direkt hinter mir. Als ich nach draußen spähte, sah ich Zwerge auf dem Boden liegen. Manche waren bewusstlos. Andere taumelten benommen hin und her.

Eine Wolke von unbekannten weiblichen und männlichen Elfen schwirrte über den Zwergen. Unsere Angreifer waren sichtbar geworden. Die weiblichen Elfen hatten schmutzige Flügel und trugen abgerissene Kleider. Die Männer waren in Lumpen gekleidet.

Und zwei Flügelspannweiten entfernt, auf der anderen Seite der Kristallscheibe, tauchte Lily Morganit auf.

Seit unserer letzten Begegnung waren nur ein paar Tage vergangen, aber in meiner Vorstellung hatte ich sie all ihrer Schönheit beraubt. Jetzt starrte ich sie mit offenem Mund an. Wie konnte es sein, dass in ihrem Gesicht nichts von all dem Bösen zu erkennen war, das sie angerichtet hatte? Sie hatte Beryl umgebracht, und dennoch war ihre pinkfarbene Haut makellos, ihr safrangelbes Haar voller Glanz und mit Rubinen geschmückt, und ihre Perlmutt-Augen funkelten, während ihre blendend weißen Flügel gleichmäßig in der Luft schlugen.

Natürlich! Nur Lily konnte diesen Angriff angeführt haben. Niemand anderes besaß genügend Radia-Einheiten, um so viele Elfen unter einen Unsichtbarkeitszauber zu stellen. Sie musste sie auch mit einem Zauber belegt haben, damit sie glaubten, dass meine Freunde und ich unsere Gefangennahme verdienten.

Während ich sie so fasziniert betrachtete, hob Lily den Eisenknüppel eines gefallenen Zwergs auf. Bei der Berührung mit ihrer Haut zuckte sie zusammen, ließ ihn jedoch nicht fallen. Sie wirbelte ihn in hohem Bogen über dem Kopf und schleuderte ihn gegen mein Fenster.

Meine Freunde und ich sprangen nach hinten.

Der Knüppel hätte die Kristallscheiben zerschmettern müssen. Er hätte durchs Zimmer fegen und jeden auf seinem Weg niederknüppeln müssen. Eisen wirkte sich immer negativ auf Magie aus. Aber dieser Knüppel prallte von meinem Zauber ab, als wäre er ein lebendes Wesen, das mich verabscheute.

Leona atmete laut aus. »Oberons Krone. Ein Zauber, der Eisen abwehrt?«

»Du hast das ganze Haus mit einem Zauber belegt?«, fragte Meteor ehrfurchtsvoll.

Konnte ich das bewirkt haben? Mein Zauber war so gestaltet, dass er niemanden ins Haus ließ, der mir nicht wohlgesinnt war. Aber Eisen? Und Zwerge?

»Wir sind problemlos durch die Tür gekommen«, sagte Meteor. »Du hast es irgendwie so eingerichtet, dass deine Freunde nicht von dem Zauber betroffen sind.«

»Wie hast du das gemacht, Zari?«, wollte Leona wissen.

»Ich erkläre es euch später«, murmelte ich, während ich mich fragte, was sie denken würden, wenn ich ihnen erzählte, dass die Zuneigung, die sie für mich empfanden, den Zauber außer Kraft setzte.

Ich blickte zum Fenster. Lily berührte ihren Hals. Ihre Lippen bewegten sich, und dann konnte ich sie deutlich hören: »Öffne die Tür, Zaria!«, sagte sie mit magisch verstärkter Stimme. »Du weißt, dass ich deinen Zauber nicht durchdringen kann. Aber ich habe dir etwas zu sagen.«

Meteor hielt den Schürhaken in die Höhe. »Mach nicht auf«, riet er mir.

»Finde heraus, was sie will«, meinte Leona.

»Stich ihr ins Auge«, sagte Andalonus.

Ich öffnete die Tür. Mit dem Blick starr auf Lily gerichtet wünschte ich mir, meine Flügel würden nicht so zittern. Die magische Schranke hatte sich bewährt, aber es war immer noch beängstigend, ihr ohne eine Wand oder eine Fensterscheibe zwischen uns gegenüberzustehen.

Ihre Augen sahen aus wie fiebrige Perlen. »Deine Zauber sind meisterhaft gestaltet, Zaria … und übertreffen selbst mein Können. Vorerst.«

»Sie sagten, Sie hätten mir etwas zu sagen.«

»Ich warne dich«, fuhr sie zuckersüß fort. »Meine Magie-Vorräte sind hundert Mal größer als deine und die Leona Blutsteins zusammengenommen.« Sie ließ ihren Zauberstab durch die Luft schnellen. »Aber es wäre unsinnig, unsere Radia damit zu verbrauchen, uns gegenseitig zu bekämpfen. Schließlich gilt mein Unmut nicht dir, sondern dem König und der Königin und dem herrschenden Rat. Ich möchte den Vergessenen Gerechtigkeit widerfahren lassen.« Mit einer ausladenden Handbewegung deutete sie auf die verletzten Zwerge und die zerlumpten und verbitterten Elfen.

»Warum habt ihr uns dann angegriffen?«, fragte ich.

»Bitte entschuldige. Meine Anhänger waren übereifrig.«

»Übereifrig?« Ich betrachtete den wütenden Schwarm Elfen, der hinter ihr in der Luft schwebte, und die Zwerge, die sich mühevoll aufzurichten versuchten, und fragte mich, was sie ihnen versprochen hatte.

»Sie wissen, dass du mir etwas entwendet hast, das mir gehört«, fuhr Lily fort. »Eine Flasche mit den Überresten eines Troll-Mantels, den du einmal getragen hast.«

Wie ungezwungen sie darüber sprach! Dieser Mantel hatte mich fast zu Tode gequetscht, und das wusste sie nur zu gut.

»Sie haben denen erzählt, die Flasche würde Ihnen gehören?«, stieß ich hervor und war mir sofort meines Fehlers bewusst. Ich hätte nicht zugeben dürfen, dass die Flasche existierte.

»Sie gehört mir. Aber da sie in deinem Besitz ist, bin ich bereit, die Flasche gegen etwas anderes zu tauschen, Zaria.«

Ein Elf mit gelb-weiß marmorierter Haut und schmutzigen Haaren nickte eifrig.

»Aber Sie haben nichts …« Ich verstummte. Ich hatte ihr entgegnen wollen, dass sie nichts besaß, das von Interesse für mich war. Doch ich vermutete das Gegenteil.

»Ich biete dir an, dir die Wahrheit über deine Familie zu erzählen«, sagte sie. »Sowie einen Waffenstillstand.«

»Ich glaube Ihnen kein Wort.«

»Du hast zehn Minuten, bevor ich das Angebot zurückziehe«, erklärte Lily.

Ich schloss die Tür.

Vorsichtig nahm ich die indigoblaue Flasche in die Hand. »Ich wünschte, ich wüsste, was Lily davon hätte, dieses Pulver zu besitzen.«

»Wenn sie es haben will …«, begann Meteor und zog vielsagend die Augenbrauen hoch.

Leona schmiegte einen Flügel an meinen. »Du wirst deine Familie nicht zurückbekommen, ganz gleich, ob du die Wahrheit über sie erfährst oder nicht.«

»Vielleicht doch«, erwiderte ich. Da. Ich hatte es ausgesprochen. Die Hoffnung, die mich angetrieben hatte, lag nicht mehr im Verborgenen. »Sie könnten noch am Leben sein.«

Andalonus blinzelte. Leona verdrehte die Augen. Meteor runzelte die Stirn.

Ich steckte die Flasche in die größte Tasche meines Kleids. »Sie sind gegangen und nie wieder zurückgekommen. Niemand hat je ihre Leichen gesehen. Niemand weiß, was passiert ist. Die Ratsmitglieder haben mir gesagt, Menschen hätten sie umgebracht, aber daran glaube ich nicht mehr. Sie waren zu klug, um sich von Menschen fangen zu lassen.«

Erschrockenes Schweigen.

»Ich habe gehört, dass Lily Morganit sie möglicherweise gefangen hält … in Gletschergewebe«, platzte ich heraus.

Jedes Mal, wenn ich an meine Mutter, meinen Vater und meinen Bruder dachte, ergriff mich ein Gefühl der Dringlichkeit. Man hatte mir erzählt, dass jeder, der in Gletschergewebe gebannt war, jegliches Zeitgefühl verlor; sie würden kein Gefühl der Dringlichkeit verspüren. Aber die Bedeutung von Zeit blieb mir nicht verborgen. Meine Familie war seit fünf Jahren verschwunden. Fünf wirkliche Jahre, in denen ich ohne sie hatte leben müssen.

Meteor kniff die Augen zusammen. »Wo hast du das gehört?«

»Ganz gleich, wo sie es gehört hat«, ging Leona ungeduldig dazwischen, »wir haben jetzt keine Zeit, darüber zu reden. Lily will eine Antwort.« Sie klopfte sich mit ihrem Zauberstab auf die Handfläche. »Zari, seit du die Flasche hast, hat sich deine Magie verändert. Sie scheint immer stärker zu werden.«

Ich dachte darüber nach. »Du könntest recht haben.«

»Ihr glaubt, die Flasche hat die Macht, Zauber zu verstärken?« Meteor klang skeptisch.

Leona warf ihr dunkles Haar nach hinten. »Wenn es so ist und Lily sie in die Finger bekommt, könnte sie alles überwinden, was wir gegen sie unternehmen. Es ist schlimm genug, dass sie hundert Mal so viele Radia wie wir besitzt.«

»Dann wäre sie unbesiegbar«, stellte Andalonus fest.

Ich öffnete wieder die Tür.

Lily schwebte direkt vor ihr. »Ja?«

»Nein«, antwortete ich. »Ich stimme dem Austausch nicht zu.«

»Darf ich fragen, warum? Möchtest du noch irgendetwas anderes?« Sie warf ihren Anhängern einen Blick zu und zuckte mit den Schultern, als wolle sie sagen, dass sie natürlich mit dieser habgierigen jungen Elfe würde feilschen müssen.

»Ich traue Ihnen nicht.«

»Ich habe dir nie etwas versprochen, das ich nicht gehalten habe, Zaria.« Ihre Stimme war leise und lieblich.

Ich konzentrierte mich auf die Gesichter ihrer Anhänger. »Sie wird euch nichts als Kummer einbringen«, sagte ich. »Und Tod.«

Der Elf mit der marmorierten Haut glitt nach vorne und erwiderte hämisch: »Was weißt du schon, Zaria Turmalin? Du hast deine Schäfchen hier in deinem hübschen Heim in Galena im Trockenen. Was weißt du schon von der Welt da draußen?«

Ich machte die Tür zu.

Andalonus schob die abgewetzten Vorhänge zur Seite und spähte nach draußen. »Sie ist wütend.« Er zog die Vorhänge zu.

Ich berührte eine der magischen Kugeln und brachte sie zum Leuchten. »Es tut mir leid, dass ihr da mit hineingeraten seid.«

Leona lächelte. »Mir nicht. Lily Morganit versteht die Macht der Freundschaft nicht, aber wir schon.«

Ich holte die indigoblaue Flasche aus meiner Tasche. »Wir müssen herausfinden, was das hier ist.« Ich ließ mich auf den nächstgelegenen Hochsitz fallen. »Wenn es Zauber wirklich stärker macht, wie tut es das? Ich habe die Flasche nie geöffnet.«

»Welche Zauber hast du bei deinem Haus angewandt?«, wollte Meteor wissen. Er hatte sich auf einem höheren Hochsitz niedergelassen und ließ seine langen Beine über den Rand baumeln.

Leona machte es sich auf den Kissen neben mir bequem. Andalonus setzte sich uns gegenüber.

Es war Zeit, es ihnen zu sagen.

Ich schlang meine Flügel um meine Schultern. »Ich habe ein Geheimnis.«

Sie beugten sich erwartungsvoll vor.

Die indigoblaue Flasche lag schwer in meinem Schoß. Ich legte beide Hände um ihre glatte Oberfläche. »Ihr müsst mir versprechen, niemandem davon zu erzählen.«

Sie versprachen es.

»Ich habe Zauber mit gewöhnlichen Worten ausgeführt, anstatt die alte Sprache zu verwenden.«

»Was?« Meteor beugte sich so weit vor, dass er vom Hochsitz rutschte und sich nur mit Mühe auffangen konnte, bevor er auf den Boden knallte.

»Wie?«, fragte Leona.

Andalonus starrte mich an. Als roter Elf hatte er sich nie eingehender mit dem Erschaffen von Zaubern auseinandergesetzt, weil er für diese Kunst keinen Nutzen hatte. Aber wie allen anderen Bewohnern von Elfenland hatte man ihm beigebracht, dass Zauber nur mit den Worten der alten Sprache ausgeführt werden konnten.

»An dem Tag, als ich Lily zum ersten Mal getroffen habe, hat sie mich mit einem Zauber belegt«, erklärte ich. »Ich fühlte mich, als wäre ich in einem Netz klebrigen Schlafs gefangen.« Leona und Meteor tauschten Blicke. Sie wussten, was ich meinte; dasselbe war auch ihnen widerfahren. »Ich musste ihr entkommen und wusste nicht, was ich tun sollte. Ich war so verzweifelt, dass ich schließlich meinen Zauberstab benutzt und gesagt habe: Jegliche Zauber, in deren Bann ich stehe, sind unwirksam. Es hat funktioniert.«

Leonas Flügel kräuselten sich im magischen Licht. »Bist du sicher?«