Der Mann gegenüber - Danilo Fender - E-Book

Der Mann gegenüber E-Book

Danilo Fender

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Beschreibung

Er versuchte die Bilder aus seinem Kopf zu vertreiben. Bilder von einer Serie von Verbrechen, für die der Täter ein Leben lang hätte bezahlen sollen. Und doch war er wieder auf freiem Fuß.

Hitzkopf Hunter Bell wollte immer alles richtig machen – und lag doch oft genug daneben. Sein Jähzorn, seine Unruhe und die Wut aufs Leben vermasselten seine Karriere als Polizist. Seitdem hält er sich als Privatdetektiv über Wasser und hat für sich und seine Frau eine bescheidene Existenz aufgebaut. Doch dann ziehen neue Nachbarn in das Haus gegenüber. Darunter ein sehr gefährlicher Mann, an den Hunter sich noch gut erinnert.

Floyd Tipps ist groß, schwer und ein brutaler Frauenmörder. Hunter war es vor Jahren gelungen, ihn hinter Gitter zu bringen. Das Gericht verurteile Tipps zu einer lebenslangen Haft. Doch nun ist er unerwartet wieder auf freiem Fuß und zieht ausgerechnet in Hunters Nähe. Denn Floyd hat einen Plan.

Hunter weiß, dass er kämpfen muss, wenn er sein altes Leben behalten will. Doch wie es scheint, hat Floyd einige Eisen im Feuer, auf die der Detektiv nicht vorbereitet ist. Denn schon bald steht Hunter selbst als Mörder unter Verdacht.

Ein packender Psychothriller voll unvorhersehbarer Wendungen, der einem den Atem verschlägt. Perfekt für Fans von Sue Watson und Laura Elliot.

Hierbei handelt es sich um eine Neuauflage von "Begleiche deine Schuld".

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Personenverzeichnis
Prolog
Teil 1
Teil 2
1
2
3
4
Teil 3
1
2
3
4
5
6
7
8
Teil 4
1
2
3
4
5
6
Teil 5
1
2
3
4
Teil 6
1
2
3
4
5
6
7
Epilog
Weitere Veröffentlichungen

Danilo Fender

Der Mann gegenüber

Über das Buch:

 

Er versuchte die Bilder aus seinem Kopf zu vertreiben. Bilder von einer Serie von Verbrechen, für die der Täter ein Leben lang hätte bezahlen sollen. Und doch war er wieder auf freiem Fuß.

 

Hitzkopf Hunter Bell wollte immer alles richtig machen – und lag doch oft genug daneben. Sein Jähzorn, seine Unruhe und die Wut aufs Leben vermasselten seine Karriere als Polizist. Seitdem hält er sich als Privatdetektiv über Wasser und hat für sich und seine Frau eine bescheidene Existenz aufgebaut. Doch dann ziehen neue Nachbarn in das Haus gegenüber. Darunter ein sehr gefährlicher Mann, an den Hunter sich noch gut erinnert.

 

Floyd Tipps ist groß, schwer und ein brutaler Frauenmörder. Hunter war es vor Jahren gelungen, ihn hinter Gitter zu bringen. Das Gericht verurteile Tipps zu einer lebenslangen Haft. Doch nun ist er unerwartet wieder auf freien Fuß und zieht ausgerechnet in Hunters Nähe. Denn Floyd hat einen Plan.

 

Hunter weiß, dass er kämpfen muss, wenn er sein altes Leben behalten will. Doch wie es scheint, hat Floyd einige Eisen im Feuer, auf die der Detektiv nicht vorbereitet ist. Denn schon bald steht Hunter selbst als Mörder unter Verdacht.

 

 

 

Der Autor:

 

 

Danilo Fender lässt am liebsten seine Bücher für ihn sprechen. Die haben viel mehr zu sagen und sind um einiges spannender als ein Autor, der abseits seines Schriftstellerdaseins ein eher beschauliches Familienleben führt. Vielleicht macht das seine Romane umso authentischer. Denn wie jeder Thriller-Leser weiß, lauern hinter der Fassade der Bürgerlichkeit oft die schlimmsten Albträume. Sagen Sie also nicht, Sie wären nicht gewarnt worden!

Danilo Fender

Der Mann gegenüber

Thriller

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die

Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

Mai © 2024 Empire-Verlag

Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer

 

Lektorat: Birgit van Troyen – https://www.korrektorat-adlerauge.de/

Korrektorat: Johannes Eickhorst

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur

mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

 

Cover: Chris Gilcher

https://buchcoverdesign.de/

Illustrationen: Adobe Stock ID 116547787

 

 

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Personenverzeichnis

 

Hunter Bell – Privatermittler

 

Cassidy »Cassie« Bell – Hunters Frau

 

Maggie Grace – Hunters Mutter

 

Josh Chambers – Hunters Freund, Großgrundbesitzer

 

Mary Beth Chambers – Joshs Mutter

 

Ashley Parkinson – Joshs Verlobte

 

Abigail Belrose – Cassies Schwester

 

Andy Berkowitz – lernt Hunter kennen

 

Emersyn Derry – beauftragt Hunter

 

Floyd Tipps – hat eine Rechnung offen

 

Jorge Romero – Sheriff von Darnell

 

Brian Logan – Deputy

 

Lizzie Banks – Nachbarin von Hunter

 

Selma Hollister – Lizzies Schwester

 

Trevor Wesley – Sektenpfarrer

 

Emmett Burglar – Schlangenbeschwörer

 

Jonathan Ryder – Weinhändler aus Laguna Beach

 

 

 

Prolog

 

Auszug aus dem Register des Iowa News Service:

Cedar Rapids, IA - Die Behörden suchen weiterhin nach einem Mann aus Cedar Rapids, der seit Sonntag vermisst wird. Parker Williams, 18, verließ am vergangenen Samstagabend sein Haus, um »in die Stadt zu gehen und die Jungs zu treffen«, wie seine Eltern aussagten. Freunde von Williams behaupteten später, dass sie ihn gegen zwei Uhr morgens vor dem Bahnhof von Cedar Rapids absetzten, wo sein Auto parkte.

Williams kehrte nicht zu seinem Haus zurück, das vier Meilen südlich von Cedar Rapids liegt. County Sheriff Dennis Brunswick sagte, sein Büro sei am Sonntagabend über das Verschwinden des Jugendlichen informiert worden. Er sagte weiterhin, dass seine Beamten Helikopter eingesetzt hätten, um nach Williams’ Auto zu suchen und Gräben in der Gegend zu überprüfen.

Williams war mit einem weißen Honda CR-V, Baujahr 2005, unterwegs. Er trug blaue Jeans, ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift Metallica und rote Stoffturnschuhe der Marke Converse. Er ist 1,83 m groß, wiegt 170 Pfund, hat braune Augen und kurzes braunes Haar. Es wird nicht ausgeschlossen, dass Williams auf eigenen Wunsch die Stadt verlassen hat.

 

Rialto, Kalifornien (AP) - Eine Autopsie von Skelettresten, die letzte Woche im südlichen San Bernadino County gefunden wurden, lieferte die Beschreibung eines jungen Mannes, gab aber bisher keinen Aufschluss über die Todesursache, so die örtlichen Behörden.

Die Autopsie, die im Community Hospital durchgeführt wurde, ergab, dass es sich bei dem Opfer um einen weißen Mann im Alter zwischen 15 bis 25 Jahren handelte, der etwa 170 Pfund wog und etwa 1,85 m groß war.

Allerdings »gab es keinerlei Hinweise auf die Todesursache«, so der zuständige Lt. Burt Keller. »Im Autopsie-Bericht wird es wohl auch keine geben, da das gesamte Weichteilgewebe zerstört wurde.«

Die Todesursache könne, wenn überhaupt, wahrscheinlich eher durch polizeiliche Ermittlungen als durch weitere medizinische Untersuchungen festgestellt werden, sagte er.

Das Opfer war irgendwann zwischen ein und zwei Jahren vor dem Auffinden der Überreste gestorben, so Keller.

 

Auszug aus dem Register des Iowa News Service:

Cedar Rapids, IA – Der in Kalifornien gefundene Leichnam eines jungen Mannes konnte als der aus Cedar Rapids stammende Parker Williams identifiziert werden. Seine sterblichen Überreste wurden inzwischen nach Hause gebracht. Es gibt Hinweise, dass der junge Mann, der vor etwas mehr als einem Jahr verschwand, nach Kalifornien gegangen war, um dort in homosexuellen Kreisen zu verkehren. Über die genaue Todesursache ist weiterhin nichts bekannt. Es besteht allerdings die Möglichkeit, dass Williams das Opfer eines Serientäters wurde, da im Umkreis des Fundortes in den letzten Jahren immer wieder junge Männer gewaltsam zu Tode kamen. Zusammen mit Williams’ Eltern hat die zuständige Polizei eine Summe von 20.000 Dollar ausgelobt, die zur Aufklärung des Verbrechens führen soll.

 

Teil 1

 

Hunter Bell starrte aufs Wasser. Es war bereits früher Nachmittag. Die Sonne färbte die Luft golden, und vom Meer wehte eine leichte Brise hoch zur Promenade. Es war einer jener typischen kalifornischen Sommertage, über die so gern in Liedern gesungen wurde – hell, luftig und sonnendurchflutet. Sogar die Luft roch nach Freiheit – eine unnachahmliche Mischung aus Salz, Sonnenöl und der Zuckerwatte, die der Stand hinter Hunter verkaufte. Die Jungen und Mädchen um ihn herum präsentierten hemmungslos ihre trainierten Körper, und alle Sorgen dieser Welt schienen so weit weg wie der nächste Winter.

Hunter gehörte nicht zu jenen Jungen, die auf ihren Inline-Skates an ihm vorbeirauschten, sich unten am Strand im Beach-Volleyball maßen oder mit ihren Surfbrettern auf die nächste Welle warteten. Er wartete auch, aber auf etwas anderes. Auf jemand anderen, um genau zu sein. Auf jemanden, von dessen Aussehen er nur eine vage Vorstellung hatte.

Der Siebenundzwanzigjährige spürte, wie ihm der Schweiß unter dem ärmellosen T-Shirt den Rücken hinabrann. Mit seinen verblichenen Jeans und den ausgetretenen Cowboy-Stiefeln war er viel zu warm angezogen. Den Jungen vom Land sah man ihm damit gleich an. Was gut war, denn sein Gammel-Look war gewollt. Hunter hatte herausgefunden, dass auch die anderen Jungen Fremde gewesen waren. Keiner von ihnen hatte zu den Typen da unten am Strand gehört. All die Jungen, um die es Hunter ging, waren allein und hatten Anschluss gesucht.

Nun, wo er allerdings den sechsten Tag in Folge an der Promenade abhing, ohne dass etwas passierte, kamen ihm erste Zweifel. Hatte er die Lage falsch eingeschätzt? Sein bisschen Geld reichte vielleicht noch eine Woche. Dann musste er zurück nach Hause.

Nach Hause, das war Arizona. Eine andere Welt.

Die Sommer dort waren ebenfalls heiß und sonnig. Aber das Licht wirkte weniger golden als hier, es war eher grell. Die Menschen waren weniger entspannt. Heiße Sommer bedeuteten Trockenheit, Dürre und doppelte Anstrengung in der Landwirtschaft. Statt ihre Körper der Sonne auszusetzen, trugen die Menschen lange Kleidung, um sich nicht zu verbrennen. Sie sahen besorgt über die Hänge der Berge, um den nächsten Wald- oder Buschbrand frühzeitig zu erkennen. Und sie fragten sich, wie lange die Flüsse noch genügend Wasser führen würden, um das Vieh zu tränken.

So war es zumindest dort, wo Hunter herkam. In Darnell.

Müßig ließ er seinen Blick weiter über den Strand schweifen und dachte darüber nach, was in den letzten Monaten alles in seinem Leben schiefgelaufen war und wie er es wieder geradebiegen sollte. Er hatte da verschiedene Ideen, und diese hier erschien ihm am erfolgversprechendsten. Wenn sie überhaupt funktionierte. Hinter seiner verspiegelten Sonnenbrille beobachtete er zwei Mädchen, die sich gerade mit Sonnencreme einrieben und überlegte, ob er sich vorn im Liquor Shop noch ein letztes alkoholfreies Bier leisten könnte, als ein leises Räuspern neben ihm erklang.

Er schob die Sonnenbrille von der Nase und drehte sich um.

Hinter ihm stand ein Mann. Er war älter als Hunter, zehn oder zwölf Jahre vielleicht. Mit seiner ordentlichen Kleidung, dem kurzärmeligen Hemd, das in einer adretten Hose steckte, passte er noch viel weniger hierher als Hunter. Seine Augen standen weit auseinander, sein markantes, frisch rasiertes Kinn verriet eine gewisse Entschlossenheit. Ansonsten war er ein unscheinbarer Jedermann, weder besonders groß noch übermäßig kräftig. Nicht der Mann, auf den Hunter wartete.

»Ist hier noch ein Platz frei?«, fragte er höflich und wies auf die Balustrade, auf der der junge Mann saß. Seine Stimme klang sanft und warm.

Hunter zuckte mit den Schultern und zog die Beine ein Stück ein. »Ist ein freies Land.«

Dann widmete er sich wieder den Mädchen am Strand.

Eine Weile saßen sie so schweigend nebeneinander. Auch der Mann nippte an einem alkoholfreien Bier. Als Hunter seine leere Dose zerdrückte, zog er ein neues Bud Zero hervor und reichte es Hunter mit einem konspirativen Lächeln. Nach kurzem Zögern nahm Hunter an.

»Auch fremd hier?«, fragte der Mann.

Hunter nickte und schob sich eine Haarsträhne aus der Stirn.

»Ich bin auf der Durchreise«, erklärte der Mann und nahm einen kurzen Schluck aus seiner Dose. »Gerade auf dem Weg zurück nach Kanada.«

Hunter nickte erneut. Kanada sollte schön sein. Die saubere und präzise Art, wie der Mann sprach, erinnerte ihn an TV-Serien, die dort spielten. Der Kerl entsprach so ziemlich genau der Vorstellung, die Hunter von einem Kanadier hatte.

»Mein Name ist Andy.«

»Ich bin Josh«, log Hunter. Sein richtiger Name ging den Mann nichts an.

»Woher kommst du, Josh?«

»Aus Colorado.«

»Da war ich bisher noch nie.«

»Lohnt sich auch nicht.«

»Was machst du in Kalifornien?«

»Keine Ahnung. Abhängen.«

Hunter spürte, dass er brüsker klang als beabsichtigt. Dabei hatte sich der Mann für das spendierte Bier sicher nur ein lockeres Gespräch erhofft. Er gab sich einen Ruck. Der Kerl, auf den er wartete, würde heute sowieso nicht mehr auftauchen. Wenn er es überhaupt jemals tat.

»Und Sie?«, fragte er also. »Was haben Sie hier gemacht?«

»Ich bin Fotograf.«

»Was fotografieren Sie denn?«

»Porträts, Menschen. Bilder für Zeitschriften. Willst du ein paar sehen?«

Hunter nickte unentschlossen. Wenn es sein musste. Der Mann kramte in seiner Tasche und holte ein paar zerfledderte Magazine heraus. Männerzeitschriften, die man in Tankstellen mit Sichtschutz kaufen konnte. Hunter musste grinsen. So spießig, wie der Typ aussah, hätte er ihm das gar nicht zugetraut. Dieser bemerkte den Blick des Jungen und zuckte entschuldigend mit den Schultern.

»Man tut, was man kann, um über die Runden zu kommen.«

Hunter wies auf ein Titelfoto mit einer dunkelhaarigen Schönheit in Spitzenunterwäsche, die sich lasziv zur Kamera umschaute.

»Haben Sie die auch fotografiert? Die sieht heiß aus.«

Andy warf einen kurzen Blick drauf und nickte. »Stehst du auf Dunkelhaarige?«

Hunter grinste ertappt.

»Du hast schöne Zähne«, stellte Andy fest. »Wurdest du denn schon mal fotografiert?«

Hunter schüttelte peinlich berührt den Kopf. »Bisher noch nicht!« Zumindest noch nicht auf die Weise. Von ihm gab es allenfalls Schnappschüsse.

»Ich mache auch seriöse Porträtfotos. Von Frauen und Männern. Nicht nur diesen Kram hier. Damit verdiene ich bloß mein Geld.«

»Nein, danke!«

»Wie du willst«, lenkte Andy ein und schaute runter auf sein Bier. Wie es schien, war es leer. »Dann wird es wohl für mich Zeit, weiterzuziehen.« Für einen Moment schien er unschlüssig. »Es sei denn, du willst auch noch was trinken.«

Hunter schaute zum Strand, wo die ersten Surfer ihre Sachen packten. Das goldene Licht der kalifornischen Sonne ging schleichend in einen matten Bronzeton über. Er hatte heute nichts mehr vor.

»Warum nicht.«

 

Während der nächsten Stunden saßen beide Männer auf der Mauer und unterhielten sich. Andy erwies sich als liebenswürdiger Gesprächspartner, freundlich und entspannt. Er hatte ein ziemliches Allgemeinwissen, und mehrfach hätte Hunter fast verraten, dass er nicht Josh hieß, dass er nicht aus Colorado stammte und auch sonst nicht viel über die Welt da draußen wusste.

Am frühen Abend leerte sich der Strand endgültig, was Hunter fast schade fand. So einen entspannten Nachmittag hatte er lange nicht erlebt.

Wie aufs Stichwort schaute Andy auf seine Uhr.

»Ich muss jetzt wirklich los, auschecken aus meinem Hotel. Muss dafür noch ein Stück laufen.«

»Ist es weit weg?«, fragte Hunter.

Andy sah ihn fragend an.

»Ich könnte dich hinfahren, wenn du willst.« Hunter wies auf seine Kawasaki, die nur ein paar Meter entfernt stand. Er fand, nach all den Bieren, die Andy ihm ausgegeben hatte, war er ihm zumindest das schuldig. Der Mann nahm dankbar an und kurz darauf saßen sie zusammen auf der Maschine und brausten los.

Zwar hatte Hunter den ganzen Nachmittag über nur alkoholfreies Bier getrunken. Dennoch fühlte er sich nun leicht benebelt, als er die Strandpromenade hinaufdüste. Er spürte den warmen Wind auf seinen nackten Armen, roch die blaue Luft und musste in sich hineingrinsen, als er den festen Griff seines Fahrgastes an seinen Hüften bemerkte. Wahrscheinlich hatte Andy Angst, während der Fahrt hinunterzufallen.

»Also dann, war schön, dich kennengelernt zu haben.«

Andy reichte ihm die Hand, als sie vor dem Hotel angekommen waren. Er hatte immer noch sichtbar weiche Knie, wie er da vor Hunter stand, was diesen erneut leicht grinsen ließ.

»Wirklich schöne Zähne!«

Hunter erwiderte seinen Händedruck. »War ein toller Nachmittag.«

»Wenn du mal nach Kanada kommst, musst du uns unbedingt besuchen. Meine Frau und mich.«

Hunter nickte. Bisher hatte sein neuer Freund nicht erwähnt, dass er verheiratet war. Aber es passte ins Bild und beruhigte Hunter irgendwie. Gerade wollte sich Andy abwenden, als er den Finger an den Mund legte und nachdachte. Als ob ihm eben etwas eingefallen wäre. »Was ich noch fragen wollte: Magst du eigentlich Whisky?«

Hunter mochte jeden Alkohol, und wenn er umsonst war, noch lieber.

»Mein letzter Kunde hat mir nämlich eine Flasche geschenkt«, erklärte Andy, »und ich trinke das Zeug nicht.«

»Immer her damit«, entgegnete Hunter.

Andy nickte. »Magst du kurz raufkommen und die Flasche holen?«

Wo bei Hunter sonst erste Alarmglocken geläutet hätten, war er nun, nach diesem Nachmittag, völlig entspannt. Er warf sich seinen Rucksack über die Schultern und folgte seiner neuen Bekanntschaft aufs Zimmer.

Das Hotel war schäbiger als erwartet. Eine richtige Absteige. Billiger, als er es Andy zugetraut hatte, der den ganzen Nachmittag keine Probleme damit hatte, ein Bier nach dem anderen auszugeben. Auch das Zimmer war nicht besser. Ein schmales Bett mit Metallstreben am Kopfende, eine Kommode mit Spiegel. Daneben ein großer Koffer. Ein kleiner Fernseher. Der stockige Teppich hatte Flecken.

Auf der Kommode stand eine Tasche, neben der eine große Kamera lag. Was das betraf, hatte sein neuer Freund also nicht gelogen. Hunters kurze Irritation legte sich wieder.

»Hast du keine Angst, dass dir jemand das Ding klaut?« Besonders hier.

»Ich bin versichert«, lautete die lapidare Antwort, während Andy sich an seiner Tasche zu schaffen machte und erwartungsgemäß eine Flasche Jack Daniels hervorzauberte.

»Hier ist sie.«

Dann zog er überrascht zwei weitere Dosen Bier hervor. Diesmal mit Alkohol. »Was haben wir denn hier noch?«

Triumphierend hielt er sie Hunter hin.

»Was denkst du? Noch eine letzte Abschiedsrunde?«

Der junge Mann wurde unsicher. Er hatte noch einen längeren Weg vor sich und eigentlich genug. »Ich weiß nicht.«

»Ach, komm schon. Nur noch einen letzten Schluck!«

Kurz darauf saßen sie auf den beiden klapprigen Stühlen und prosteten sich ein letztes Mal zu. Hunter nahm nun große Schlucke. Er wollte den Tag gern beenden, ohne seinen Gastgeber zu enttäuschen. Als er wieder absetzte, bemerkte er, dass Andy ihn aufmerksam ansah. Geradezu unverhohlen musterte er ihn von oben bis unten.

»Was ist denn?«, fragte Hunter.

Es war, als würde er Andy mit der Frage aus seinen Gedanken reißen. »Gar nichts. Ich habe nur gedacht, dass wir uns wahrscheinlich nie wiedersehen werden.«

»Davon ist leider auszugehen«, nickte Hunter, nun fast erleichtert.

»Das finde ich wirklich schade. Wäre es für dich okay, wenn ich ein Abschiedsfoto von dir mache?«

In Hunters Bauch begann es zu grummeln. »Nein, besser nicht.«

»Bitte versteh mich nicht falsch, es ist nicht für mich«, beeilte Andy sich zu versichern. »Das Modemagazin, für das ich ab und zu arbeite, ist immer auf der Suche nach neuen Gesichtern für ihre Fotostrecken.«

»Mag sein. Aber ich denke, das ist nichts für mich.«

»Wieso denn nicht? Es bringt gutes Geld. Manchmal mehrere tausend Dollar!«

Hunter machte große Augen. »Tausend Dollar?«

»Manchmal sogar mehr.« Andy nickte bekräftigend.

Hunter überlegte einen Moment. Was hatte er zu verlieren? »Also gut«, willigte er schließlich ein. »Aber nur ein Foto, okay?«

»Selbstverständlich.«

Der Fotograf stellte seine Kamera ein, zog zu Hunters Verwunderung die Vorhänge am Fenster zu und positionierte ihn vor einer der leeren, mattgrün gestrichenen Wände. Hunter kam sich blöd vor, wie er dastand und verschiedene Stellungen einnahm, die Andy ihm zurief.

»Ja, so ist toll! – Schau mich an. – Jetzt zur Seite. – Streich mal die Haare aus dem Gesicht. - Das Kinn nach oben. – Den Arm nach hinten.«

Er fühlte sich plump und unbeholfen und wollte den Mann gerade daran erinnern, dass von einem einzigen Foto die Rede war, als Andy die Kamera runternahm. Es war, als hätte er Hunters Gedanken erraten.

»Entschuldige, ich konnte nicht anders. Weißt du eigentlich, wie fotogen du bist?«, meinte er. »Richtig hübsch.«

»Echt?« Ohne es zu wollen, fühlte Hunter sich geschmeichelt.

Andy war jedoch noch nicht zufrieden.

»Wenn ich meinen Auftraggebern die Fotos zeige, sind sie sicher ganz aus dem Häuschen. Besser wäre es jedoch, wenn wir ihnen noch etwas mehr bieten könnten. Verstehst du?«

Hunter schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Zieh doch mal dein Shirt aus.«

»Wieso das denn?«

»Na, damit sie sehen, wie du oben ohne aussiehst. Was, wenn sie mit dir ein paar Strandaufnahmen machen wollen. Mit dir und der heißen Schwarzhaarigen.«

»Ich mache aber keine Pornos.«

Andy ließ ein schallendes Lachen ertönen. »Um Gottes willen, darum geht es doch nicht. Ich will doch bloß mal zeigen, wie du so gebaut bist.«

Hunter kam sich immer blöder vor.

»Ist schon okay«, seufzte Andy und setzte die Kamera ab. »War ja nur ein Vorschlag. Lassen wir das ruhig. Ich fürchte nur, dass es dann nichts wird mit einem Auftrag.«

»Also gut«, murrte Hunter und zog sich widerstrebend das Shirt über den Kopf. Er hatte keine Ahnung, wie er aus dieser Situation rauskommen sollte, ohne seine Bekanntschaft zu verprellen. »Aber dann muss ich wirklich los.«

»Natürlich.«

Ein paar weitere Aufnahmen. Andy reichte Hunter sein Bier. Es war ein neues, das er von wer weiß woher gezaubert hatte. Hunter trank, um das Schamgefühl zu unterdrücken. Andy fotografierte weiter und machte ihm dabei immer wieder Komplimente.

»Was meinst du«, sagte er schließlich, »könntest du vielleicht noch den obersten Knopf deiner Jeans öffnen?«

Hunter erstarrte. Das war der entscheidende Punkt, an dem sein Kopf wieder klar wurde. Zumindest für den Moment. Was machte er hier überhaupt? Er brach ab und griff nach seinem Shirt. »Ich muss wirklich gehen.«

»Okay, dann nicht. Warte, du musst nicht gleich verschwinden«, rief Andy. »Das war doch nur ein Vorschlag.«

»Nein, ich will aber gehen.«

»Dann trink wenigstens noch dein Bier aus.«

Hunter wollte kein Bier mehr. Er fühlte sich sowieso schon total rammdösig, obwohl er fast den ganzen Tag nur alkoholfreies Bier getrunken hatte. Und dieses eine mit Alkohol hier oben auf dem Zimmer. Oder waren es zwei? Dieses ständige Fotografieren hatte ihn ganz kirre gemacht.

»Das wievielte ist das überhaupt?«, fragte er genervt und fummelte sein Shirt auseinander, das völlig in sich verdreht war. Woher kamen nur seine Orientierungsschwierigkeiten?

»Wo ist mein Rucksack?«

»Wieso? Was ist denn in deinem Rucksack?«

Andy hatte die Kamera abgesetzt und beobachtete ihn ganz genau. Sein Blick war nun nicht mehr wohlwollend, sondern lauernd.

»Warum ist mir so schwindelig?«, rief Hunter und stürzte ins Bad, wo er den Kopf unter den Wasserhahn hielt und das brackig schmeckende Wasser in sich hineinlaufen ließ. Was war in dem Bier gewesen?

Dann spürte er einen dumpfen Schlag auf den Hinterkopf, der ihn nach vorn sacken ließ und dafür sorgte, dass einer seiner Schneidezähne am Wasserhahn abbrach.

 

Er war nicht ganz weggetreten. Oder nur so kurz, dass er bald wieder zu sich kam. Halbwegs zumindest. Er lag mit dem Rücken auf dem Bett, sein Oberkörper weiter nackt. Andy saß auf ihm und war gerade dabei, sein rechtes Handgelenk mit einer Handschelle an die Metallstreben zu fesseln. Er musste ihn vom Badezimmer aufs Bett gewuchtet haben.

Noch bevor Hunter die Augen öffnete, schossen grausige Bilder durch seinen Kopf. Abgetrennte Schädel, lose Gliedmaßen. Aus einem Auto gestoßene Leichen. Körper, die an einen Baum im Wald gebunden waren. An den Füßen aufgehängt. Lebendig verbrannt. Grausam vergewaltigt. Zu Tode gefoltert.

Wie es schien, war Hunter das nächste Opfer.

War er wirklich so blöde gewesen?

Er konnte es kaum fassen. Andy war der Mann, auf den er die ganze Zeit gewartet hatte. Und als er ihn fand, bemerkte Hunter es nicht einmal. Im Gegenteil, er hatte sich die ganze Zeit sicher gefühlt. Was war er nur für ein lausiger Detektiv?

Scheiße, scheiße, scheiße!

»Ich sehe, dass du wach bist«, gurrte Andy und zog die Handschelle so fest es ging. Dann kam er mit dem Gesicht ganz nah an Hunters linkes Ohr. »Ich sehe nämlich alles! Die ganze Woche schon habe ich dich beobachtet. Und du hast mich nicht einmal bemerkt.«

Er kicherte und roch für einen Moment an Hunters Haaren, bevor er dessen andere Hand griff, um sie ebenfalls ans Bettgestell zu fesseln. Hunter spürte seinen harten Griff, als er den Arm mit routinierter Bestimmtheit nach oben bog und sich auch hier das glatte Metall um sein Handgelenk schloss. Er war hilflos. Ausgeliefert.

Andy, oder wie immer er hieß, saß auf Hunters Brust und betrachtete ihn eingehend.

»Schade um deinen Zahn«, grinste er und fuhr Hunter mit dem Daumen erst über dessen trockene Lippen und dann über die verbliebenen Zähne. »Das mit den schönen Zähnen habe ich ernst gemeint. Schon beim ersten Anblick wollte ich sie dir ausschlagen.«

Kurz überlegte Hunter, ob er einfach zuschnappen sollte. Vielleicht könnte er Andy im Gegenzug für seinen verlorenen Zahn den Daumen abbeißen. Aber was hätte das gebracht?

Ohne Vorwarnung bekam er eine Faust ins Gesicht. Der Schlag war so heftig, dass er entsetzt die Augen aufriss. Das sich ihm bietende Bild brauchte ein paar Sekunden, bevor es sich vor Hunter zusammensetzte und wieder scharf wurde. Dann schaute er in das grinsende Gesicht jenes Mannes, der in den letzten Jahren wahrscheinlich immer wieder junge Männer umgebracht hatte. Sie auf widerwärtigste Art zu Tode folterte, mit Methoden, die Hunter sich gar nicht vorzustellen vermochte. Es war eine fürchterliche, bösartige Fratze, die ihn da ansah. Hochrot, mit dicken Adern, die an den Schläfen hervortraten. Die Fratze des Todes, der Qualen, welche die ganze Zeit unter der Larve des Biedermannes, des kanadischen Geschäftsmannes und vermeintlichen Familienvaters gelauert hatte. Wie eine Muräne kam sie erst hervorgeschossen, wenn sich ein ahnungsloser Fisch näherte. Und diesmal war Hunter dieser Fisch.

Der nächste Hieb folgte, sorgte dafür, dass Hunter zuckende Sterne sah. Dann gleich noch einer. Hart und präzise. Weitere Zähne fielen heraus und landeten in Hunters Mund, zusammen mit dem Blut. Hunter musste husten und bäumte sich auf. Die Handschellen schnitten ihm dabei tief ins Fleisch und begrenzten seinen Bewegungsraum. Dennoch hatte er sich genügend gewunden, um Andy kurz um die Balance kämpfen zu lassen.

»Oha!«, frohlockte dieser anerkennend. »Unser kleiner Cowboy hat es immer noch drauf!« Er schien begeistert von seinem eigenen Witz. Und von Hunter. »Nur, dass du heute das Pferdchen bist.«

Ein weiterer Faustschlag ins Gesicht. Und noch einer. Unter Hunters Auge platzte etwas auf, brannte plötzlich wie Feuer. Andy kam mit dem Gesicht ganz nah an die Wunde heran, so als wolle er sie untersuchen. Hunter konnte seinen warmen, stoßweise gehenden Atem riechen. Der Mann war aufgeregt, erregt. Zuerst dachte Hunter, Andy wolle ihn küssen und presste instinktiv die Lippen aufeinander. Dann aber spürte er Andys nasse, warme Zunge über seine Wange gleiten, hörte sie über seine Bartstoppeln kratzen. Offenbar leckte er das Blut ab. Langsam und genussvoll. Die schmatzenden Geräusche, die er dabei verursachte, ekelten Hunter beinahe mehr an als das Gefühl selber.

In seinem Kopf arbeitete es verzweifelt. Was tun? Welche Möglichkeiten blieben ihm? Denk nach, schrie er sich innerlich an. Finde eine Lösung! Oder du bist tot.

Hunter hatte Angst.

Andy bedeckte sein Gesicht mit weiteren feuchten Küssen, die immer wieder in begieriges Lecken und Saugen übergingen. Die Stirn, das Kinn, die Augen. Er saugte tatsächlich an Hunters Augen! Dann arbeitete er sich vom Gesicht zum Hals hinunter. Dem jungen Mann fielen Zeitungsmeldungen ein, die er gelesen hatte. Von zerbissenen Kehlen. Über von Zähnen aufgerissene Halsschlagadern. Dass der Mörder möglicherweise das Blut seiner Opfer trank. Dass er ein Vampir wäre. Und tatsächlich zupften Andys Zähne nun sanft an der dünnen Haut von Hunters Hals. Dieser kniff die Augen zusammen und wartete auf das Unvermeidliche. Hoffentlich ging es wenigstens schnell. Doch Andy ließ sich Zeit. Sein Mund wanderte weiter über Hunters Schultern, atmete seinen Geruch ein, seinen Schweiß, seine Angst, leckte und schnüffelte, als suche er eine geeignete Stelle für seine erste Attacke. Er gelangte zum rechten Arm, zu dessen Unterseite, die nach oben zeigte, weil der Arm zusammen mit Hunters anderem über dem Kopf gefesselt war.

Dann plötzlich ein scharfer Schmerz!

Andy hatte ihn tatsächlich tief gebissen. Ins weiche Fleisch unter der Achsel. Hunter brüllte vor Schreck auf und warf sich so heftig herum, dass Andy die Kontrolle verlor und von ihm herunterfiel. Er plauzte auf den abgetretenen Teppich und tauchte mit verdutzter, blutverschmierter Visage wieder auf. Dann grinste er wieder und beobachtete amüsiert, wie sein Opfer verzweifelt um sein kümmerliches Leben kämpfte. Hunter trat um sich herum und erinnerte dabei tatsächlich an eines der ungezähmten Pferde, die er bei seinem Kumpel auf der Ranch früher zugeritten hatte. Die Schmerzen im Arm, im Gesicht und den Handgelenken ignorierend, wälzte er sich auf dem Bett umher wie ein tollwütiger Hund.

Er wusste, dass seine Lage aussichtslos war, wollte aber nicht kampflos aufgeben. Solange noch ein Quäntchen Leben in ihm war, wollte er sich wehren. Weil er seine Hände nicht benutzen konnte, musste der Rest des Körpers herhalten. Irgendwas musste ihm einfallen. Musste er sich diesen Irren vom Leib halten. Welche Möglichkeiten blieben?

Dann hatte er eine Idee.

So gut es ging, umfasste er die Bettstreben, an die er gekettet war und hielt sich daran fest. Dann warf er die Beine nach oben und schlug sie über seinen Kopf. Er machte eine Rückwärtsrolle. Wie erhofft, landete dabei mit den Füßen an der Wand über sich, stemmte sich dagegen und schob das Bett unter sich weg. Dass er mit den Stiefelabsätzen dabei Löcher in die dünne Wand trat, gab ihm neue Hoffnung. Vielleicht hörte jemand den Krach.

»Hilfe!«, schrie er so laut er konnte und schwang sich hinter das Bett. »Ich brauche Hilfe!«

Beim Aufkommen auf dem Boden kugelte er sich beinahe die Schultern aus. Brach sich fast die Arme. Aber noch etwas anderes spürte er: Eine der Streben wackelte. Logisch wackelt sie, dachte Hunter, sie ist so billig wie alles hier. Vielleicht konnte er sie rausbrechen.

Doch schon kam Andy zähnefletschend nach oben. Wütend wollte er sich auf diesen kleinen Stricher stürzen. Doch bevor er abspringen konnte, schleuderte Hunter ihm das wacklige Gestell so heftig entgegen, dass er davon erneut zu Boden gedrückt wurde. Der junge Mann heulte triumphierend auf. Schon überlegte er, wie er es fertigbringen könnte, Andy mit dem Bettgestell an die Wand zu drücken, als dieser die Flasche Jack Daniels ergriff, die während der ersten Rangelei vom Tisch gefallen war. Blitzschnell schleuderte er sie Hunter entgegen. Dieser wurde davon völlig überrascht. An der Stirn getroffen, ging er taumelnd zu Boden. Andys Chance! Im Nu war er über dem Bett, packte den zusammengesunkenen jungen Mann bei den Haaren und riss seinen Kopf brutal nach oben.

Hunter stöhnte.

»Du bist ja ein ganz toller Hecht, kleiner Cowboy!«, schnaufte Andy und spuckte seinem Opfer ungeniert ins verquollene Gesicht. Dieser hing so unglücklich über dem Bettende, dass er sich nun wirklich kaum bewegen konnte.

»Hilfe!«, keuchte er atemlos, viel zu leise, als dass ihn jemand hören könnte.

»Nichts mit Hilfe! Dir werde ich es zeigen.«

Andy wollte nun Fakten schaffen und machte sich daran, Hunters Hose zu öffnen. Er würde ihm zeigen, wozu er fähig war. Weil Hunter sich in seiner Angst aber mit dem Becken fest gegen das Bett drückte, kam Andy nicht an den obersten Knopf der Jeans heran. Wütend versuchte er Hunter fortzuziehen, umschlang den schmalen Körper seines Opfers und biss diesem dabei immer wieder in Rücken und Hüften, damit es seinen Widerstand aufgab. Doch Hunter heulte und schrie zwar, rückte jedoch nicht ab von seiner Position. Andy fluchte lauthals, als er sich einen Fingernagel an den Nieten der Jeans blutig riss.

Derweil spürte Hunter, wie sich die Metallstange an seinem linken Handgelenk durch das Gerangel immer weiter löste. Verzweifelt rüttelte er daran herum. Und dann fiel sie herunter. Ganz plötzlich. Für Hunter war es wie eine Erlösung! Die Stange plumpste aufs Bett, und die Handschelle rutschte heraus.

Andy hatte von all dem nichts mitbekommen. Er war so mit der Hose beschäftigt, mit seinem Gesicht irgendwo in Hunters Leistengegend, dass dieser das Metall unbemerkt aufnehmen konnte.

»Na warte, du Drecksau!«, hauchte er mit neu erwachter Kraft, eigentlich eher zu sich selbst als seinem Peiniger. Als Andy fragend aufblickte, zögerte er nicht und hieb ihm die Stange mit der schartigen Spitze direkt in dessen erstauntes Gesicht. Das scharfe Metall drang durch Andys linke Wange, zerfetzte seine Mundhöhle und bohrte sich tief in den Rachenbereich hinein. Würgend und gurgelnd fuhr Andy nach oben und fingerte nach der Stange. Wollte sich taumelnd wegdrehen, aber Hunter nutzte seinen erweiterten Spielraum, packte den Mann mit der freien Hand bei den Haaren und zog ihn zurück. Andy war so beschäftigt mit seiner Verletzung, dass er es zunächst willenlos mit sich geschehen ließ. Erst als Hunter ihn fester am Hinterkopf packte und sein Gesicht mit voller Kraft auf das metallene Bettgestell, dessen Matratze irgendwo am Boden lag, krachen ließ, begann er zu zappeln. Versuchte, Hunter mit den Händen fortzuschieben, rutschte jedoch immer wieder an dessen verschwitztem Leib ab. Seine Fingernägel verursachten lange blutige Striemen auf Hunters Körper, gesellten sich zu den Bissspuren, konnten aber nicht zugreifen. Schälten stattdessen wie stumpfe Rasierklingen die Haut an Hüften und Rücken ab, immer und immer wieder, was Hunter durch die Menge an Adrenalin, das durch seinen gemarterten Körper raste, gar nicht mitbekam.

Fortwährend, wie im Rausch, stieß er das Gesicht seines Peinigers gegen das Bettgestell, hörte etwas in Andys Gesicht knacken und ließ trotzdem erst los, als sein Opfer leblos unter ihm wegsackte. Ob Andy tot oder nur bewusstlos war, wusste Hunter nicht. Nur dass dieser endlich Ruhe gab. Es war alles, was zählte.

Benommen blickte Hunter auf.

Plötzlich waren fremde Leute im Zimmer und starrten ihn mit großen fragenden Gesichtern an. Weit aufgerissene Münder, ungläubige Blicke. In ihnen stand Fassungslosigkeit. Entsetzen. Durch seine verquollenen Augen erkannte Hunter einen von ihnen als den Mann, der Andy erst den Schlüssel zu seinem Zimmer ausgehändigt hatte. Sie schauten ihn an und konnte offenbar nicht begreifen, was sie da sahen: einen halbnackten, blutenden Mann, mit einer Hand ans Bett gefesselt und heruntergelassenen Hosen. Und einen zweiten Mann, der reglos in einer Blutlache zu seinen Füßen lag.

Einen kultivierten Zeitgenossen hätte dieses Bild möglicherweise an Dantes Inferno erinnert. Weniger belesene Menschen an eine Splatterszene aus einem Horrorfilm.

»Kann mal einer die Polizei holen«, krächzte Hunter mit belegter Stimme. Dann verließen auch ihn die Lebensgeister und er brach ohnmächtig zusammen.

 

Drei Wochen später durfte Hunter zum ersten Mal wieder auf sein Motorrad. Der Arzt meinte zwar, er solle es langsam angehen lassen. Die Schwellungen im Gesicht waren aber fast verheilt. Gebrochen war zum Glück nichts. Die provisorische Zahnschiene drückte noch etwas, aber damit konnte er leben. Genau wie mit den vielen Narben, die er wohl zurückbehalten würde. Da wo Andy ihn zerkratzt und zerbissen hatte. Nur sein linker Oberarm tat immer noch weh. Die Stelle, an der Andrew Berkowitz, so hieß der Mann, ihm ein Stück Fleisch herausgerissen hatte. Mochte er dafür in der Hölle schmoren! Ärmellose T-Shirts konnte sich Hunter damit jedenfalls abschminken. Zumindest, wenn er sich keine dummen Fragen anhören wollte.

Davon abgesehen fühlte er sich großartig! Er war nun um mindestens zwanzigtausend Dollar reicher. So hoch war die Summe gewesen, die für die Aufklärung des Mordes an dem Jungen aus Iowa ausgesetzt worden war. Und da man in Berkowitz’ Haus, das übrigens nicht in Kanada, sondern in der Nähe von San Diego stand, Bilder des Jungen gefunden hatte, die den Aufnahmen mit Hunter ähnelten, ging die Polizei davon aus, dass auch Parker Williams eines seiner Opfer war.

In den nächsten Monaten würde sicher noch die eine oder andere weitere Summe auf Hunters Konto fließen. Sobald sich herausstellte, für welche Verbrechen dieser Psychopath noch verantwortlich war. Mindestens elf Morde an jungen Männern konnte man ihm jetzt schon nachweisen. Die meisten Ausreißer, so wie Hunter es zuvor recherchiert hatte. Interessant war, dass Berkowitz zum Zeitpunkt seines Zusammentreffens mit Hunter bereits an fortgeschrittenem Bauchspeicheldrüsenkrebs litt. Vielleicht wäre Hunter deshalb auf ganz natürliche Weise sein letztes Opfer gewesen. Außerdem fand die Polizei bei ihm ein Vermögen von über neunzigtausend Dollar. Es war die Summe, welche die Eltern eines anderen Opfers an Berkowitz gezahlt hatten, in der irrigen Hoffnung, ihren Sohn dafür lebend zurückzubekommen. Der war zum Zeitpunkt der Übergabe aber bereits tot. Hing im Wald, schwer misshandelt und ausgeblutet.

Es war gut, dass Berkowitz, dieses Ungeheuer, aus dem Verkehr gezogen war. Und all dies hatte die Gesellschaft Hunter Bell zu verdanken.

Er wäre ein guter Polizist geworden. Wenn sie ihn nicht von der Polizeiakademie geworfen hätten. Wenn er sich dort nur etwas mehr zusammengerissen hätte. Wenn ihn der andere, den er ins Koma geprügelt hatte, nicht immer wieder einen Hurensohn genannt hätte, dessen Mutter für fünf Dollar mit seinem Vater geschlafen hatte.

Doch Hunter grämte sich nicht mehr.

Mit zwanzigtausend Dollar ließ sich eine Menge anstellen. Ein neuer Anfang. Sein Leben, das ihm vor wenigen Wochen noch ziel- und trostlos erschienen war, ohne jede rechte Perspektive, leuchtete nun hell und freundlich wie die Straße vor ihm. Wie die Sonne, die über ihm schien und seine Fahrt auf dem Highway begleitete wie eine wohlmeinende Fee.

An einer Tankstelle hielt er an. Er war der einzige Kunde. Während er im Verkaufsraum nach etwas zu essen stöberte, bemerkte er das Mädchen hinter der Kasse. Sie war groß und schlank, mit grünen Augen und langen schwarzen Haaren, die von einem weißen Band gehalten wurden. In diesem Augenblick war Hunter Bell der Meinung, nie eine schönere Frau in seinem Leben erblickt zu haben.

Er trat an die Kasse und stellte zwei Dosen Cola und eine Packung Trockenfleisch auf den Tresen. Das Mädchen scannte die Produkte, ohne ihn anzusehen. Hunter betrachtete erst ihre nackten Schultern, die lediglich von zwei Spaghetti-Trägern bedeckt waren, dann die Falte zwischen ihren Augen und merkte, dass sie traurig wirkte. Er probierte es mit einem Lächeln.

»Hi!«

Endlich schaute sie auf und lächelte unbeholfen zurück.

»Hey!«

»Warum so traurig? Es ist so ein toller Tag. Die Sonne scheint.«

Sie runzelte spöttisch die Stirn. »Ach, wirklich? Die Sonne scheint? In Kalifornien? Wirklich unglaublich.«

Entweder hatte sie einen sehr speziellen Humor oder gar keinen. Hunter wollte nicht aufgeben.

»Was hältst du davon, wenn ich dich nach deiner Schicht zu einer Tasse Kaffee einlade? Oder was immer du magst.«

Sie musterte ihn schweigend. Schien sich zu fragen, ob er es ernst meinte. Wer er überhaupt war.

»Ich bin übrigens Hunter«, erklärte er, um das Schweigen zu überbrücken.

»Hunter?« Sie zog die Augenbrauen nach oben. »Wie der Jäger?«

Für einen Moment verrutschte sein Lächeln. Diesen Witz hatte er zu oft gehört.

»Ganz genau. Wie der Jäger.«

»Was hast du mit deinem Gesicht gemacht, Hunter? Bist du in einen Unfall geraten?«

»So was Ähnliches. Einen Ringkampf.«

Endlich lächelte sie. »Einen Ringkampf? Hast du gewonnen?«

»Ich gewinne immer.«

»Du hast eine ganz schön große Klappe.« Sie zögerte kurz. »Ich bin Cassidy.«

Hunter freute sich über seinen Erfolg.

»Ein schöner Name! Also, Cassidy, hättest du Lust, mit mir einen Kaffee zu trinken?«

Ihr Lächeln zog sich zurück wie ein Tintenfisch, der wieder in seinem Loch verschwindet.

»Ich fürchte, ich kann nicht. Ich … es ist kompliziert.« Offenbar wusste sie nicht weiter.

»Dein Leben lässt dich nicht?«, half er ihr weiter.

Sie nickte unglücklich. »So könnte man es ausdrücken.«

Hunter überlegte einen Moment. Dann griff er, von einer Welle der Überlegenheit gepackt, nach ihren schlanken Händen, die auf dem Tresen lagen, und drückte sie sanft.

»Also, Cassidy«, sprach er sanft, »was würdest du davon halten, wenn ich dich für immer aus diesem Leben raushole?«

Als Hunter Bell diese Worte aussprach, glaubte er an sie. Denn an diesem Tag hatte er das Gefühl, es mit der ganzen Welt aufnehmen zu können. Und Cassidy Belrose ließ sich davon einwickeln. Sie glaubte diesem jungen Mann, weil sie ihm glauben wollte. Doch obwohl er ihr gleich beim Reinkommen in den Laden aufgefallen war, wäre sie ihm zu einem anderen Zeitpunkt wohl nie so blind in sein Leben gefolgt, wie sie es jetzt tat. Es war dieser besondere Tag, das Licht, sein Zauber und der richtige Moment dafür. Um beider Leben von nun an eine neue Richtung zu geben.

 

Teil 2

1

 

Behäbig wie eine träge alte Frau zog sich die Sonne an der Kante der Berge hinauf. Kletterte mühsam an ihr empor, so als koste sie dieses tägliche Ritual von Mal zu Mal mehr Mühe. Die schwarzblauen Felsen, die reglos und schweigend die Nacht abgewartet hatten, wurden langsam in sanftes Rot getaucht, bis ihre Ränder zu glühen begannen. Als würden sie in Flammen stehen.

So muss es sich für ein Küken anfühlen, wenn es aus dem Ei schlüpft, dachte Hunter. Eine unendliche Anstrengung als Vorbereitung für das, was das Leben zu bieten und zu fordern hat. Oder im Fall der Sonne – dieser neue Tag.

Dann war es geschafft. Die gleißenden Strahlen schoben sich befreit über das Tal, berührten zaghaft die Bäume und das in Nebelschwaden gehüllte Gras und verkündeten den Anbruch des Morgens.

Drüben auf der Koppel wieherten leise die Pferde. Ihr Fell war noch feucht von der Nacht, und mit diesen ersten Sonnenstrahlen verdunstete diese Feuchtigkeit und stieg als warmer Schleier von den massigen Leibern auf. Zwei junge Hengste übten einander im ersten Kräftemessen und stellten sich auf die Hinterbeine. Ein schöner, ein erhabener Anblick, der Hunter glücklich machte und friedfertig stimmte.

Er legte die Beine übereinander, lehnte sich rücklings gegen das Geländer und genoss die morgendliche Ruhe.

Noch vor Tagesanbruch hatte er Phoenix verlassen, war aber erstaunlicherweise kein bisschen müde. Er mochte die Stadt nicht. Vielleicht deshalb, weil er dort zumeist vor Gericht aussagen musste. Schildern musste, wie er einem Angeklagten auf die Schliche gekommen war. Welche Beweise er gesammelt hatte. Wo er der überforderten Polizei einen Schritt vorausgewesen war. Für Hunter Bell war es der unangenehme Teil seines Jobs. Der lästige, pflichtschuldige Part. Die insgeheime Freude, den Cops zeigen zu dürfen, was sie sich vor nun über zehn Jahren durch die Lappen gehen ließen, welchen fähigen Kollegen sie davongejagt hatten, bevor er seine Dienste unter Beweis stellen konnte, hatte sich längst gelegt. Zwar bohrte die Enttäuschung noch immer in ihm, wenn er zu lange darüber nachdachte. Aber die Schadenfreude fühlte sich abgenutzt und schal an.

Unter dem Fuß der Holztreppe, auf der Hunter saß, kam eine große Spinne hervorgeschossen. Es war eine Wolfsspinne, die ein unvorsichtiges Insekt auf Futtersuche in ihr Loch zog. Jetzt war das Insekt ihr Frühstück. Augen auf, dachte Hunter und überblickte weiter das Gelände.

So viele Erinnerungen, die er hiermit verband. Meist schöne Dinge. Was nicht so sehr mit den Erinnerungen selbst zusammenhing, sondern damit, dass sie einer Zeit entstammten, in der sein Dasein sorgloser schien. Sicher hatte er auch damals schon gehadert und geglaubt, sein Schicksal wäre befleckt und kompliziert. Dass man ihm den Bastard an der Nasenspitze ansah. Aber es war doch nichts im Vergleich mit der heutigen Zeit: Den ständigen Geldsorgen, den festgefahrenen Träumen, der noch immer wunderschönen Frau daheim, die er einst mit großen Versprechungen hierhergelockt hatte und der er doch nie das Leben bieten konnte, das sie verdiente.

Ein leises Knirschen ließ Hunter aufhorchen. Bevor er sich umdrehen konnte, spürte er, wie sich hartes Metall zwischen seine Schulterblätter bohrte. Es war der Lauf eines Gewehrs.

»Ganz ruhig, Kumpel!«, empfahl eine leise Stimme. »Schön die Hände hoch! Aber ganz langsam.«

Hunter tat, wie ihm befohlen und hob die Arme.

»Und jetzt aufstehen!«

Hunter stand auf, ebenfalls langsam. Dann aber drehte er sich blitzschnell um, griff nach dem Gewehr und drückte es zur Seite. Josh war davon so überrascht, dass er nicht schnell genug reagieren konnte. Ehe er sich versah, hatte Hunter ihn entwaffnet.

»Das ist unfair!« Josh klang ehrlich entrüstet. »Ich bin noch nicht mal richtig wach.«

Hunter grinste und gab ihm das Gewehr zurück.

»Ist das Ding überhaupt geladen?«

»Was denkst du denn?«

Josh lehnte das Gewehr an die Hauswand und umarmte Hunter kurz. »Was machst du hier um diese Tageszeit? Es ist ja noch nicht einmal sechs Uhr.«

Hunter setzte sich wieder hin.

»Ich hatte Sehnsucht nach der Ranch. Bin gerade aus Phoenix zurückgekommen.«

Josh nickte verstehend und setzte sich neben den Freund auf die Treppenstufen. »Du solltest lieber Sehnsucht nach deiner Frau haben.«

Hunter bedachte ihn mit einem kurzen Seitenblick. Josh trug seine Schlafhose, darüber ein verwaschenes Unterhemd. Die aschblonden Haare standen wirr vom Kopf ab.

»Hattest du wirklich gedacht, ich wäre ein Fremder?«, fragte er ungläubig.

Josh zuckte mit den Schultern. »Im ersten Moment schon. Keine Ahnung, was ich dachte. Nur, dass ein Typ auf unserer Terrasse sitzt, der da nichts zu suchen hat. Man kann nie vorsichtig genug sein.«

»Dann kann ich ja froh sein, dass du mich nicht erschossen hast.«

»Ganz genau! Du verdankst mir jetzt dein Leben.«

Kurz darauf saßen die beiden Männer bei einem Kaffee und beobachteten gemeinsam, wie der Tag zum Leben erwachte. Sie redeten nicht viel. Das war auch nicht nötig, denn nach so vielen Jahren, die sie sich kannten – beinahe ihr ganzes Leben –, mussten sie einander nichts mehr beweisen, brauchten einander nichts vorzugaukeln. Sie verstanden die Gefühle und Gedanken des jeweils anderen ohne Worte. Von Kindesbeinen an waren sie Freunde. Obwohl Josh weit draußen auf der Ranch wohnte, Meilen weg von Darnell, wo Hunter bei seiner Mutter aufgewachsen war, verbrachte dieser die meiste Zeit hier draußen. Beide Jungen hatten gemeinsam gecampt und geangelt, Reiten gelernt und mit Joshs Familie die Kühe zusammengetrieben. Sie brachten einander draußen im Fluss das Schwimmen bei, und Hunter rettete Josh, als dieser dabei fast ertrunken wäre. Dafür schleppte Josh Hunter zu seiner Großmutter, als dieser von einer Schwarzen Witwe gebissen wurde und zu ersticken drohte. Die Großmutter rettete damals Hunters Leben. Als junge Männer betranken sie sich zum ersten Mal gemeinsam und baggerten die Mädchen bei den Tanzabenden in den umliegenden Dörfern an. Anfangs eher plump, später versierter. Sie deckten einander vor diesen Mädchen, wenn einer von ihnen ein Alibi brauchte, und hielten bei Schlägereien (die meist von Hunter angezettelt wurden) den Kopf für den anderen hin. Über die Jahre hatten sie einander durch Kindheit und Jugend begleitet und beim Erwachsenwerden beobachtet. Zu jenen Männern, die sie heute waren. Und waren lange stillschweigend davon ausgegangen, auf ewig zusammen durchs Leben zu ziehen. Wie zwei Brüder.

Und dennoch schlugen sie irgendwann getrennte Wege ein. Es war ein schleichender Prozess gewesen, der stille Tod ihrer Vorstellung von einer gemeinsamen Zukunft. Trotzdem war keiner am Ende davon überrascht gewesen. Während Hunter von der Welt da draußen träumte, davon, Polizist zu werden und Verbrechern das Handwerk zu legen, war Josh auf der Ranch geblieben. Für ihn war es so klar wie das Wasser im Fluss, dass er das weite Land, das seine Familie besaß, nie verlassen würde. Dass er hier eine Familie gründen und alt werden wollte. Insgeheim hatte ihn Hunter darum stets beneidet. Und ein wenig verachtet. Beneidet um das viele Geld, das Josh nie würde verdienen müssen. Das immer schon da war, von der Familie über viele Generationen zusammengerafft. Und verachtet deshalb, weil der Freund damit den einfachen, den ausgetretenen und vorhersehbaren Pfad einschlug. Hunter konnte mit Joshs damals immer deutlicher zu Tage tretender Häuslichkeit wenig anfangen und empfand ihn zunehmend als langweilig und spießig. Er vermisste den Abenteurer aus Kindheitstagen. Als Erwachsener strebte Josh nach nichts Höherem mehr und war zufrieden mit dem, was das Leben ihm gab. Selbst in seinem Äußeren spiegelte sich diese Farblosigkeit inzwischen wider – den ausgeblichenen Haaren, dem stets blassen Teint mit den vielen Sommersprossen und den gutmütigen grauen Augen.

Wie anders war da Hunter, der mit seinen schwarzen Haaren, dem feurigen dunklen Blick und seiner aufbrausenden Art schon äußerlich einen scharfen Kontrast bildete. Inzwischen waren beide Männer wie Feuer und Wasser. Und verstanden sich dennoch weiter blendend. Vielleicht gerade deshalb. Jeder hatte seinen Bereich, den der andere respektierte und niemals überschritt.

»Was machen die Hochzeitsvorbereitungen?«, fragte Hunter nun.

Josh nahm einen großen Schluck aus der Blechtasse und nickte bedächtig vor sich hin.

»Sie gehen voran.«

Obwohl er seine Verlobte erst seit einem halben Jahr kannte, sollte die Hochzeit schon im nächsten Monat stattfinden. Hunter hatte dies als zu schnell empfunden, als Josh ihm davon erzählte.

»Du kennst sie ja noch nicht einmal richtig.«

»Na, und?«, hatte sein Freund gekränkt geantwortet. »Wie lange hast du denn Cassie gekannt, bevor ihr geheiratet habt?«

»Das war doch etwas anderes«, maulte Hunter, und obwohl er das auch meinte, musste er sich eingestehen, dass es eben nichts anderes war. Im Vergleich mit ihm hatte Josh sich fast eine Ewigkeit Zeit gelassen. Als Hunter Cassie damals in der Tankstelle kennenlernte, waren sie noch am selben Tag nach Las Vegas aufgebrochen und hatten dort geheiratet. In den darauffolgenden Nächten war dann beinahe die Hälfte der zwanzigtausend Dollar, die Hunter mit der Ergreifung von Andy Berkowitz verdient hatte, draufgegangen. Danach waren sie gemeinsam nach Darnell zurückgekehrt. Als Mann und Frau.

Hunter dachte gern an diese Zeit zurück. Er würde es jederzeit wieder so machen.

»Habt ihr schon eine Band?«, fragte er.

Josh nickte erneut. »Bob Rodgers und seine Jungs werden spielen. Ashley hätte zwar gern etwas Moderneres gehabt. Aber sie wird lernen müssen, dass man sich mit den Nachbarn gut stellen muss, wenn man hier leben will.«

Er grinste amüsiert in sich hinein. Wahrscheinlich war es nicht einfach gewesen, Ashley davon zu überzeugen, dass eine mittelprächtige Dorf-Combo aus der Nachbarschaft ihre Hochzeit musikalisch begleiten sollte. Hunter fand es erstaunlich, wie sehr diese Frau, die irgendwann aus dem Nirgendwo aufgetaucht war und über die kaum jemand etwas Genaueres wusste, bereits das Leben auf der Ranch bestimmte. Hunter war sich sogar sicher, dass sie als die treibende Kraft hinter dem baldigen Hochzeitstermin steckte. Josh hatte sich von ihr einwickeln lassen. Was Hunter in gewisser Weise sogar verstand. Ashley war wunderschön, unterhaltsam und voller Lebenslust. Sie hatte lange blonde Haare und strahlende blaue Augen. Dazu einen Körper, der einen Mann um den Verstand bringen konnte. Sie sah aus wie ein typisches kalifornisches Mädchen und war hier auf dem kargen Land fast verschwendet.

Dass sie aus dem Sonnenstaat kam, war eines der wenigen Dinge, die sie bisher über sich preisgegeben hatte. Ansonsten war weder über ihre Familie noch über ihren sonstigen Hintergrund etwas bekannt. Josh redete oft davon, dass Ashley und Cassie, Hunters Frau, sich endlich einmal kennenlernen sollten. Weil doch beide aus Kalifornien stammten und einander sicher viel zu erzählen hatten. Doch weder Cassie noch Ashley legten dafür ein gesteigertes Interesse an den Tag. Sie hatten sich bisher nur ein einziges Mal auf der Straße getroffen, und es war Abneigung auf den ersten Blick gewesen.

»Die wird hier eingehen wie eine Primel«, hatte Hunters Frau danach gemeint. Und wenn er beobachtete, wie Ashley sich beim Einleben auf der Ranch so anstellte, musste Hunter seiner Frau sogar recht geben. Ashley konnte nicht mal richtig reiten.

»Ist das da der Hengst von den Hendersons?«

Hunter zeigte auf einen der jungen Hengste, die auf der Koppel immer wieder aneinandergerieten. Ein wunderschönes, weiß-braunes Tier, dessen Farben so gleichmäßig ineinanderflossen, dass es aussah wie gemalt.

Josh nickte. »Kaum zu glauben, dass sie Wurst aus ihm machen wollten, oder?«

Sie standen auf und schlenderten rüber zum Zaun. Unterwegs erzählte Josh, warum die Nachbarn den Mustang loswerden wollten. Wie es schien, gehörte er zu einer Herde Wildpferde, von denen es dank Schutzmaßnahmen wieder mehr in der Gegend gab. Als der Hengst alt genug war, seine Gruppe zu verlassen und eine eigene Familie zu gründen, geriet er an die Tiere auf der Henderson-Ranch. Die rossigen Stuten der Besitzer hatten es ihm angetan, und er belästigte sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Da sie ihn nicht erschießen durften, versuchten die Hendersons ihn zu vertreiben. Als dies nicht klappte, fingen sie ihn ein.

»Ist ein schönes Tier.« Josh legte müßig die Arme über den hohen Zaun. »Als Reitpferd bekommt man für ihn sicher eine anständige Summe.«

Hunter stellte sich neben ihn. »Und warum haben sie ihn dann nicht behalten?«

»Kennst ja den alten Dale Henderson. Hatte noch nie viel Geduld. Und mit Pferden umgehen kann er auch nicht. Meinte, das Tier wäre der Teufel und wollte ihn deshalb nach ein paar Wochen zum Schlachter bringen. Für hundert Dollar hat er ihn mir verkauft.«

Während die Männer sprachen, wackelte der Teufel mit den Ohren, als würde er hören, dass es bei dem Gespräch um ihn ging.

»Wie weit bist du mit ihm?«, fragte Hunter.

»Er läuft gut am Zügel und dreht seit ein paar Tagen nicht mehr durch, wenn man ihm den Sattel überstreift. Ist zwar immer noch etwas aufgeregt und hibbelig. Aber es wird besser. Ich dachte, ich versuche heute mal vorsichtig auf ihn raufzukommen.«

»Heute?«

Hunter grinste und Josh entdeckte in den Augen seines Freundes dieses unheilvolle Funkeln, das er nicht mochte.

»Von mir aus. Aber mach bloß keinen Scheiß!«

»Keine Sorge! Ich doch nicht.«

 

Nachdem Josh sich umgezogen hatte, bereiteten sie den Hengst vor. Noch immer war dieser skeptisch, tänzelte nervös und scheute, sobald sich einer der Männer zu schnell bewegte. Doch immerhin ließ er zu, dass sie ihm das Zaumzeug anlegten und den Sattel befestigten. Auch dass Hunter ihn anschließend am Zügel über die Koppel führte, war kein Problem. Gehorsam trottete das Tier hinter ihm her, während Hunter beruhigend auf es einredete. Nach einer Weile schien es sogar Gefallen daran zu finden, dass Hunter alle paar Meter kleine Leckereien aus seiner Hose zog. Es ließ zu, dass dieser ihm den Kopf streichelte und es hinter den Ohren kraulte.

»Ich weiß gar nicht, was der alte Henderson hatte«, rief Hunter verwundert zu seinem Freund herüber, der mittlerweile auf dem Zaun saß und die Szene von einem schattigen Platz aus beobachtete. »Er ist doch lammfromm.«

»Hast offenbar einen guten Tag erwischt.«

»Ich glaube, er mag mich einfach.« Hunter streichelte das Tier weiter und wechselte dabei langsam von dessen Kopf auf die Seite. »Habe ich recht, mein Großer? Du magst mich doch, oder?«

Das Pferd blähte die Nüstern und folgte ihm mit den Augen. Argwöhnisch legte es die Ohren nach hinten. Josh stellte sich gespannt am Zaun auf.

»Sei vorsichtig!«

Hunter nickte unmerklich. Dieses Pferd war nicht das erste, welches er zureiten würde. Beruhigend redete er weiter auf den Hengst ein, streichelte ihn und prüfte dabei noch einmal die Festigkeit von Sattel und Steigbügel.

»Alles gut.«

Mehrfach sprang er vor dem Pferd auf und nieder, täuschte ein Aufsitzen vor, ohne es zu vollenden. Das Tier stand wie festgewurzelt, ohne sich zu rühren. Wenigstens scheute es nicht. Einige Mitarbeiter auf der Ranch, die in der Nähe waren, blieben stehen und beobachteten das Spektakel.

Nun kam der heikle Teil der Aktion.

Hunter täuschte das Aufsitzen nicht mehr nur vor, sondern legte sich behutsam mit dem Bauch in den Sattel. Das Pferd stand immer noch lammfromm.

»Alles gut, mein Hübscher!«

Nachdem er einen Moment abgewartet hatte, das Tier ihn aber nicht abwarf, wagte Hunter den entscheidenden Schritt. Langsam zog er sich herum, winkelte das rechte Bein an und legte es behutsam über den Rücken des Pferdes. Dann zog er sich hoch und saß mit einem Mal aufrecht im Sattel. Er hatte es geschafft!

Auf dem Hof war es für einen Moment ganz still. Alle warteten, was nun passieren würde. Würde der Hengst in die Luft gehen? Versuchen, seinen Reiter abzuwerfen? Anfangen, rückwärts zu laufen, um das ungewohnte Gewicht abzustreifen? Nichts davon geschah. Der Mustang stand einfach nur still.

»Alles gut!«, rief Hunter den Umstehenden zu. Und dann zu Josh: »Ich glaube, ich habe einen neuen Freund gefunden.«

Er begann sich zu entspannen.

Schon wollten die meisten Männer zu ihrem Tagwerk zurückkehren, als der Hengst ohne Vorwarnung doch in die Höhe schoss.

Wiehernd bäumte er sich auf, streckte den Rücken und versuchte, Hunter abzuwerfen. Dieser war zwar überrascht, reagierte aber geistesgegenwärtig und verklemmte sich im Sattel. Daraufhin fiel das Pferd in sich zusammen, machte einen Katzenbuckel und schlug anschließend weit nach hinten aus. Dann begann es sich im Kreis zu drehen. Trat dabei in alle Richtungen aus, als würde es gegen eine Meute Wölfe kämpfen.

Josh sprang von seinem Zaun.

»Komm da runter, Alter!«, brüllte er Hunter zu. »Er ist noch nicht so weit.«

Doch Hunter kam nicht herunter. Davon abgesehen, dass er es nicht konnte – höchstens in einem hohen Bogen -, wollte er es auch nicht. Dieser vierbeinige Mistkerl hatte tatsächlich versucht, ihn auszutricksen. Und so etwas mochte Hunter gar nicht.

»Ich schaff das schon!«, brüllte er hochkonzentriert, während sein Körper von oben bis unten durchgeschüttelt wurde. Noch saß er sicher im Sattel. Die Frage war, wie lange. Wer zuerst die Nerven verlor. So lauteten zumindest die ungeschriebenen Regeln.

Doch der Hengst dachte gar nicht daran, sich an diese zu halten. Während Josh und ein paar andere herankamen, spannte er den Körper und setzte ohne Vorwarnung mit einem gewaltigen Sprung über den Zaun der Koppel hinweg. Hunter war so überrascht, dass er im ersten Moment gar nicht reagieren konnte. Auch die anderen Männer blieben mit offenem Mund stehen. Untätig schauten sie dem unfreiwilligen Paar hinterher, wie es nun gemeinsam in Richtung der Berge davonraste.

Josh gab sich schließlich einen Ruck, rannte zu einem der anderen Pferde, welches ein Mitarbeiter gerade für die erste Morgenrunde gesattelt hatte, und sprengte seinem Freund hinterher.

Hunter hatte derweil alle Mühe, sich auf dem durchgehenden Tier zu halten. Dabei war nicht so sehr die Balance das Problem, sondern, dass er den Hengst nicht unter Kontrolle bekam. Ziellos und mit weit geblähten Nüstern preschte dieser Dämon drauflos, nahm Geröll und meterhohe Saguaro-Kakteen mit, die immer zahlreicher wurden, je weiter sie sich vom fruchtbaren Weideland der Ranch entfernten. Bald ließ der trockene Boden braune Staubwolken hinter ihnen aufwirbeln. Einmal streiften Ross und Reiter den tiefhängenden Arm eines Kaktusses so dicht, dass Hunter gerade noch den Kopf einziehen konnte, bevor ihm das Gesicht zerkratzt wurde und er womöglich ein Auge einbüßte. So spürte er nur, wie die spitzen Dornen nach dem Ärmel seines Hemdes griffen und diesen zerrissen. Das Fell des Tieres stand vor Schweiß, während ihm schaumiger weißer Ausfluss aus Maul und Nase trat. Doch es rannte weiter. Auch Hunter selbst war komplett durchgeschwitzt. Zudem spürte er, wie seine Kräfte nachließen. Doch das Pferd war nicht zu bremsen, galoppierte in gestrecktem Galopp davon, während sein Reiter nichts weiter tun konnte, als im Sattel zu bleiben und darauf zu warten, dass auch der Hengst erlahmte.

In halsbrecherischer Geschwindigkeit näherten sie sich den Bergen. Hier wurde das Gelände uneben, das lose Geröll zahlreicher. Ein falscher Tritt, und das Tier würde der Länge nach hinstürzen. Mehrfach versuchte Hunter, es sanft in eine Kreisbahn zu lenken, doch es war weiter wie von Sinnen. Arbeitete sich blindlings einen ansteigenden Pfad hinauf, ohne Rücksicht auf das dichte Strauchwerk und die dornigen Akazienbüsche zu nehmen, die dort wuchsen. Hunter fühlte, wie sich unzählige Sporen und Stacheln im Aufschlag seiner Hosenbeine verfingen und merkte, dass er absolut nicht die passende Kleidung für ein derartiges Unterfangen trug.

Irgendwann wurde der Hengst endlich langsamer. Hunter könnte abspringen, aber dann bestand die Gefahr, dass ihm das Tier fortlief und er Josh hundert Dollar schuldete. Also blieb er auf ihm sitzen. Zumindest wurde es weiter oben schattiger. Die Felsen wuchsen höher, die Bäume nahmen zu. Hunter kannte die Gegend. Gleich würden sie eine steile Schlucht erreichen, danach kam eine Art natürliche Sackgasse, wo er das Pferd ausbremsen könnte. Wenn es auf dem schmalen Pass nicht wieder die Nerven verlor. Die Schlucht führte mindestens dreißig Meter in die Tiefe!

Während der Reiter wusste, was auf sie zukam, wurde der Mustang erwartungsgemäß davon überrascht. Jäh bremste er ab, als er den Abgrund gewahrte, der sich weit und gähnend wie ein hungriger Schlund vor ihm auftat. Für einen Moment schien es, als würde er endlich stehenbleiben. Er wackelte unwillig schnaubend mit dem großen Kopf, haderte und hätte Hunter möglicherweise absteigen lassen. Wenn nicht plötzlich ein verräterisches Rasseln unter einem Stein hervorgedrungen wäre.

Eine Klapperschlange!

Hunter redete gerade besänftigend auf den Hengst ein und wollte ihn wegleiten, als das Pferd unwillig mit den Hufen aufstampfte. Die Schlange fühlte sich davon bedroht und vollführte einen kurzen Scheinangriff. Das reichte, um das Pferd erneut die Nerven verlieren zu lassen. Es verdrehte die Augen, stellte sich auf und schlug laut wiehernd mit den Vorderhufen aus. Diesmal war Hunter nicht darauf gefasst, verlor das Gleichgewicht und fiel rücklings vom Pferd. Zum Glück in einen dürren Busch, der jedoch so nah am Hang stand, dass Hunter über ihn hinweg fast in die Tiefe rutschte. Wild um sich greifend, bekam er eine freiliegende Wurzel zu packen und konnte sich gerade noch daran festhalten, bevor er fiel. Das Pferd trabte, endlich von seinem verhassten Reiter befreit, über die schmale Felswand davon. Jetzt konnte Hunter auch die Schlange sehen, die sich unter ihren Stein zurückzog und dort weiterklapperte. Es war kein besonders großes Exemplar und stellte keine Gefahr auf die vier oder fünf Meter Entfernung dar, die ihn von ihr trennten. Doch Hunter hatte nun ein viel größeres Problem. Wenn er es nicht schaffte, sich aus der Wand zu ziehen, würde er hinabstürzen. Seine Kräfte waren fast am Ende. Das feste Umklammern des Zügels hatte seinen Griff erlahmen lassen. Zudem waren seine Handflächen rutschig und aufgerieben. Kurz wagte er einen Blick nach unten, suchte einen Vorsprung oder eine andere Stelle im Hang, auf die er sich gegebenenfalls fallen lassen konnte. Aber da waren nur nackte schorfige Wände, während weiter unten noch mehr Geröll, Kakteen und ein paar trockene Bäume warteten. Fiel er da runter, würde er sich mindestens ein paar Knochen brechen. Wenn nicht Schlimmeres. Verbissen versuchte er, sich an der Wurzel nach oben zu ziehen, aber es wollte ihm nicht gelingen. Brennender Schweiß lief ihm in die Augen und ließ ihn blinzeln. Bald krochen die ersten Ameisen über seine Finger, wanderten den Arm hinauf und verschwanden unter seinem Hemd.

---ENDE DER LESEPROBE---