Der Mann vom Meer - Julius Regis - E-Book

Der Mann vom Meer E-Book

Julius Regis

4,8

Beschreibung

Ein Kriminalroman zwischen Stockholm und den Schären-Inseln: Der Ingenieur Erik Reynold hat lange im Ausland gearbeitet - und kehrt nun nach Schweden zurück, um seinem Vater in einer wichtigen Angelegenheit zu Seite zu stehen: Dieser hat finanzielle Probleme und muss die Insel Jägarö, die seit Generationen im Familienbesitz ist, früher oder später verkaufen. Es sei denn das seit langem verschollene Millionenerbe der Familie taucht wieder auf … In Schweden galt Maurice Wallion in den 1910er und 1920er Jahren als einheimische Antwort auf Sherlock Holmes: Allerdings ist er robuster als sein Londoner Vorbild - und weniger exzentrisch. Heute könnte man ihn genauso gut als eine Art "Urvater" von Stieg Larssons Protagonisten Mikael Blomkvist bezeichnen: Wallion ist nämlich kein herkömmlicher Privatdetektiv, er ist Journalist. Sein Ruf eilt ihm voraus: Der "Detektivreporter" und "Problemjäger" vom Dagens Kurir. krimischaetze.de 1. Auflage (Vollständig, überarbeitet, kommentiert) Umfang: 233 Buchseiten bzw. 212 Normseiten Null Papier Verlag

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Julius Regis

Der Mann vom Meer

Maurice Wallion ermittelt.Ein Schwedenkrimi aus den 1920er Jahren

Julius Regis

Der Mann vom Meer

Maurice Wallion ermittelt.Ein Schwedenkrimi aus den 1920er Jahren

Original: München,Georg Müller, 1929

Übersetzung: E. von Kraatz

Überarbeitung, Umschlaggestaltung: Null Papier Verlag

1. Auflage, ISBN 978-3-95418-530-6

Umfang: 212 Normseiten bzw. 233 Buchseiten

www.krimischaetze.de

 

Über krimischaetze.de

Kriminalromane sind heutzutage erfolgreich wie nie. Krimi-Klassiker? Da denken die meisten sofort an Agatha Christie (1890-1976) oder Edgar Wallace (1875-1932). Tatsächlich gehörten die britischen Autoren zu den ersten, die in den »wilden« 1920er Jahren ins Deutsche übersetzt wurden. Krimi-Fans kennen oft auch den Schweizer Friedrich Glauser (1896-1938), den Namensgeber des Glauser-Preises – eine der wichtigsten Auszeichnungen für deutschsprachige Krimi-Autoren. Wie vielfältig die Krimi-Szene in der Weimarer Republik war, ist in der breiten Öffentlichkeit jedoch vollkommen in Vergessenheit geraten. Für krimischaetze.de haben sich Jürgen Schulze, Verleger des Null Papier-Verlages, und Sebastian Brück, Autor und Journalist, zusammengetan, um alte Krimi-Bestseller neu zu entdecken und als E-Book verfügbar zu machen – überarbeitet, in neuer Rechtschreibung und mit erklärenden Fußnoten versehen.

Das krimischaetze.de-Programm startet zunächst mit sechs Titeln – sowohl Übersetzungen aus dem Englischen (S.S. Van Dine) und Schwedischen (Julius Regis), als auch deutschsprachige Originale: In je zwei Fällen ermitteln Philo Vance, der »amerikanische Sherlock Holmes«, und Maurice Wallion, der »Detektivreporter« und »Urvater« von Stieg Larssons »Millenium«-Protagonist Mikael Blomqvist. Ebenfalls vertreten sind die vergessenen Werke zweier jüdischer Autoren: Die in Budapest, Paris und San Sebastián spielende Krimikomödie »Fräulein Bandit« des Österreichers Joseph Delmont sowie der humorvolle Kriminalroman »Das verschwundene Haus – oder: Der Maharadscha von Breckendorf« des Frankfurters Karl Ettlinger.

In Zukunft werden bei www.krimischaetze.de regelmäßig weitere Titel erscheinen.

Über den Autor

Julius Regis Pettersson schuf die erste schwedische Krimiserie, in der ein Journalist die Hauptrolle übernimmt. Seine Maurice-Wallion-Romane waren ein großer Erfolg – sowohl in seiner Heimat, als auch darüber hinaus (Übersetzungen unter anderem ins Englische und Deutsche).

Regis wurde 1889 in Stockholm als Sohn einer Kaufmannsfamilie geboren und machte 1909 im Stadtteil Södermalm seinen Schulabschluss. Danach studierte er an der Stockholms Högskola Literaturgeschichte und arbeitete als Schlussredakteur in einem Verlag. Nebenbei begann er zu schreiben: Meist kurze Abenteuergeschichten – stark beeinflusst von dem in Schweden sehr populärem Jules Verne –, die in verschiedenen Literaturzeitschriften erschienen. Von den ersten Erfolgen angespornt, kündigte er seine Stelle und startete eine erfolgreiche Doppelkarriere als Filmkritiker und von Arthur Conan Doyle und Gaston Leroux inspirierter Kriminalschriftsteller. Außerdem war er als Übersetzer tätig und verantwortete unter anderen einige schwedische Ausgaben der Werke von Robert Louis Stevenson. Regis war nicht verheiratet und hatte keine Kinder. Er starb 1925, mit nur 35 Jahren und auf dem Höhepunkt seiner Karriere, an einer chronischen Herzmuskelentzündung.

Über den Romanhelden Maurice Wallion

In Schweden galt Maurice Wallion in den 1910er und 1920er Jahren als einheimische Antwort auf Sherlock Holmes: Allerdings ist er robuster als sein Londoner Vorbild – und weniger exzentrisch. Heute könnte man ihn genauso gut als eine Art »Urvater« von Stieg Larssons Protagonisten Mikael Blomkvist bezeichnen: Wallion ist nämlich kein herkömmlicher Privatdetektiv, er ist Journalist. Sein Ruf eilt ihm voraus: Der »Detektivreporter« und »Problemjäger« vom Dagens Kurir.

Maurice Wallion wohnt am Valhallavägen im noblen Stockholmer Bezirk Östermalm Mit seiner breiten Stirn und dem vorspringenden Kinn ist er zwar nicht besonders gutaussehend, wohl aber eine energische und charismatische Persönlichkeit, die Menschen für sich einnimmt. Er hat eine tiefe Stimme, graue Augen und ein scharfgeschnittenes, stets glattrasiertes Gesicht. Wallion ist elegant gekleidet, raucht viel und glaubt nicht an Zufälle: Er sieht in jedem Ereignis das Glied einer Kette, »und wenn man diese Kette verfolgt, findet man allemal die Erklärung.« Wallion kann sehr charmant sein – wenn er jedoch in gefährliche Situationen gerät, in denen ihm seinen intellektuellen Fähigkeiten nicht mehr weiter helfen, zögert er keine Sekunde, seine Fäuste einzusetzen.

Über dieses Buch

Ein Kriminalroman zwischen Stockholm und den Schären-Inseln: Der Ingenieur Erik Reynold hat lange im Ausland gearbeitet – und kehrt nun nach Schweden zurück, um seinem Vater in einer wichtigen Angelegenheit zu Seite zu stehen: Dieser hat finanzielle Probleme und muss die Insel Jägarö, die seit Generationen im Familienbesitz ist, früher oder später verkaufen. Es sei denn das seit langem verschollene Millionenerbe der Familie taucht wieder auf …

Auf dem Weg zu seinem Vater hat Erik den Ingenieurskollegen Maximilian Colt kennen gelernt, der ebenfalls in Stockholm zu tun hat. Nach einem Restaurantbesuch unternehmen sie eine Spritztour mit Colts Wagen und übernachten spontan in einer verlassenen Villa am Stadtrand. Was zunächst wie ein spätpubertärer Streich anmutet, entpuppt sich am nächsten Morgen als Tragödie: Als Erik aufwacht, sind seine Hände blutverschmiert, und auf dem Flur liegt ein Toter, erstochen mit einem Degen aus der in der Villa befindlichen Waffensammlung. Ist Eriks Neigung zum Schlafwandeln verantwortlich? Hat er den Einbrecher überrascht und getötet? Welche Interessen verfolgt Maximilian Colt? Und gibt es den »Mann vom Meer« wirklich, der angeblich schon im 18. Jahrhundert zum ersten Mal auf Jägarö erschienen und vor kurzem wieder aufgetaucht ist? Diesen und noch viel mehr Fragen muss sich Journalist und »Problemjäger« Maurice Wallion stellen, als er von Erik beauftragt wird, Licht ins Dunkel zu bringen …

Handelnde Personen

Maurice Wallion: Journalist mit detektivischen Fähigkeiten

Erik Reynold: Ingenieur, hat lange Zeit im Ausland gearbeitet, zuletzt in Algier.

Hugo Reynold: Sein Vater, lebt auf der Schäreninsel Jägarö.

Marta Hegelius: Seine Cousine, die 24jährige führt für Hugo Reynold den Haushalt.

Tobias: Haushofmeister auf Jägarö

Maximilian Colt: Ingenieurskollege von Erik Reynolds, ist auf Geschäftsreise, arbeitet normalerweise als Wegebauer in Südafrika.

Adam Drakenborch: Kubaner mit spiritistischen Vorlieben, hat auf der Nachbarinsel von Jägarö ein Sommerhaus gemietet.

Dolores Drakenborch: Seine Tochter, ein Medium.

Napoleón: Deren Diener, von Adam Drakenborch oft abgekürzt Poleón genannt.

Lindström: Hat auf Jägarö Ackerland von den Reynolds gepachtet.

Knut: Sein Sohn.

Ewald Seburg: Ingenieur und Tauch-Spezialist, soll den Meeresgrund vor Jägarö absuchen.

Lang: Adlatus von Maurice Wallion.

Jourdain: Belgischer Polizeibeamter aus Brüssel

Aspeland: Polizeikommissar in Stockholm

Die Nacht hat tausend Augen

I.

Die beiden Herren, die am Tisch neben der Balkontür zur Nacht aßen, erregten hier und da Aufmerksamkeit. Jetzt schwiegen sie beide, aber erst nach einem heftigen Wortwechsel, den der jüngere von ihnen durch eine laute, hitzige Antwort abgebrochen hatte: »Nach Südafrika reise ich nicht!«

Seine bisher knabenhaft frohen Augen hingen finster an dem Weinglas, das er zwischen den Fingern hin und her drehte. Das blonde Haar erschien wegen des sonnengebräunten Gesichts noch heller. Er zählte neunundzwanzig bis dreißig Jahre. Sein etwa um zehn Jahre älterer Begleiter hatte ein dunkles, hübsches Gesicht mit energischen Zügen, die unverwandt an dem anderen hingen.

Fast alle Tische des strahlend erleuchteten Restaurants waren besetzt, und das Stimmengewirr nahm zu, als auf ein Geigensolo fröhliche Revueschlager folgten. Die milde Luft des Juli-Abends stand still und durchsichtig über Stockholm, und an den Kais spiegelten sich lange Reihen von Laternen im blanken Wasser.

Eine junge Dame mit einer Zigarette im Munde beugte sich zu ihrem Begleiter hinüber und flüsterte, worauf dieser sich umdrehte und die beiden Herren betrachtete.

»Den Jüngeren kenne ich«, hörte man ihn sagen, als die Musik gerade verstummte. »Es ist Erik Reynold, der vor einigen Jahren als guter Sportsmann bekannt war, aber dann gab es in Uppsala irgendeinen Skandal, weswegen er die Universität verließ, sein Ingenieurexamen machte und außer Landes ging. Er muss erst ganz kürzlich zurückgekehrt sein. Der andere sieht aus wie ein Ausländer.«

Erik Reynolds braune Wangen röteten sich. Er blickte auf und begegnete dem festen Blick seines Tischgenossen. Beide hatten scharfe Ohren.

»Lass uns gehen«, murmelte Erik und leerte sein Glas. »Ich hätte darauf gefasst sein müssen, aber ich gestehe, dass es mich reizt.«

»Das sind so die kleinen Annehmlichkeiten des Daheimseins«, sagte Maximilian Colt lächelnd. »Deine Landsleute haben kräftige Stimmen und ein gutes Gedächtnis. Ich sage ›deine‹, weil man mich beharrlich für einen Ausländer hält. Das ist mir einerlei, aber von diesem ziemlich trinkbaren Sherry möchte ich mich noch nicht trennen.«

Er füllte sein Glas von neuem und richtete den Blick dann sofort wieder auf Erik.

»Hab’ ich dir schon mal erzählt, dass ich Spiritist bin? Zuweilen geben die dunklen Mächte denjenigen, die verstehen, Zeichen. Dir wird es hier nicht gut gehen. Überleg’ es dir, bevor es zu spät ist. Südafrika ist die größte Chance deines Lebens, und ich bin’s, der sie dir bietet.«

»Zum letzten Mal: nein!«

»Du hast deinen Entschluss gefasst?«

»Hab’ ich mich nicht deutlich genug ausgesprochen?«

»Du willst nach Hause zu deinem Vater?«

»Ist das so erstaunlich? Warum sollte ich das letzte kleine Ende der Reise aufgeben, nachdem ich von soweit hergekommen bin!« Erik strich sich über seine von vielem Wein erhitzte Stirn. »Mir ist, als ob ich plötzlich erwachte. Weshalb bin ich drei Tage in Stockholm geblieben, ohne mich entschließen zu können? Das kommt mir jetzt ganz sinnlos vor.«

Colts Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, das nicht von Heiterkeit, sondern von krampfhaftem Nachdenken zeugte. Das Orchester hatte seine Abendaufgabe erledigt, und die Musikanten gingen von dannen.

»Die Reynoldschen Milliarden scheinen ihre Zauberkraft nicht eingebüßt zu haben«, sagte Colt. »Ihr Reynolds seid eine sonderbare Familie. Seit zweihundert Jahren jagt ihr dieser sagenhaften Erbschaft nach, ohne auch nur einen Bruchteil davon zu finden, ohne auch nur ein geschriebenes Testament darüber zu besitzen – ja ohne noch dazu feststellen zu können, wo und wann euer Stammvater gestorben ist. Glaubst du denn wirklich an dieses alte Märchen?«

»Er war nicht mein Vorfahr. Es waren zwei Brüder, Erik und Bernhard Reynold. Der ältere ging ins Ausland, war erst Kaperkapitän in holländischen Diensten und später Plantagenbesitzer und Kaufmann. Dass er ein reicher Mann war, steht fest. Der jüngere blieb in Schweden, und ich bin sein letzter Nachkomme in gerader Linie. Es ist also nur natürlich, dass ich wenigstens den Glauben und die Hoffnung meiner Vorfahren geerbt habe.«

»Als ich dich in Amsterdam traf, schien es nicht so.«

»Du weißt ja, dass ein dringender Brief meines Vaters mich bewog, nach Amsterdam zu fahren, um dort neue Forschungen anzustellen.«

»Und diese ergaben…?«

»Ungefähr ebenso wenig wie frühere Erkundigungen.«

»Und dennoch kommst du artig nach Hause und opferst deine eigene Zukunft, um in einer Ecke zu sitzen und die Illusionen deines Vaters zu teilen.«

Erik Reynold bewegte unmutig den Kopf, als ob sein Kragen zu eng geworden wäre. »Ich habe ja nicht gesagt, dass ich an die Sache glaube. Aber ich lasse meinen Vater nicht im Stich, wenn er mich nötig hat.«

Colt lachte wieder, und der leicht berauschte Erik glaubte verfehlte Ironie in dem dunklen, schmalen Antlitz zu gewahren. »Im Übrigen begreife ich nicht, warum du unbedingt willst, dass ich wieder abreise!«, rief er aus. »Ich hatte dich ja noch nie gesehen, als wir uns vor drei Wochen in Amsterdam kennenlernten.«

»Well my boy, erstens sind wir doch nicht umsonst Kollegen. Allerdings warst du Grubeningenieur in Algier und ich Wegebauer in Südafrika, aber immerhin … Außerdem seh’ ich nicht gern, dass ein junger Mann so unpraktisch ist wie du. Ich wollte dir einen freundschaftlichen Anstoß in die richtige Richtung versetzen – das ist alles.«

»Ich lass mich nicht gern anstoßen«, murmelte Erik und winkte dem Kellner. Sie bezahlten und verließen schweigend das Lokal.

Colt war kühl und gelassen wie immer, während die Bewegung nach dem langen Stillsitzen auf Reynold einwirkte, so dass er lachende Mädchengesichter und strahlend erleuchtete Tramwagen wie durch einen Schleier sah. Colt ging auf sein eigenes kleines graues Sportauto zu. »Und die nächste Station?«, fragte er.

»Es kommt mir vor, als ob wir heute Abend schon genug erlebt haben«, erwiderte Erik. »Ich stimme fürs Hotel.«

»Mir soll’s recht sein.« Colt fuhr langsam und sah aus, als ob er tief nachdachte. Erst nach einer Weile fragte er plötzlich: »Was war das für ein Vorfall in Uppsala?«

Die Frage kam so unerwartet, dass Erik ihn betroffen ansah.

»Oh, du brauchst natürlich nicht zu antworten, wenn du es nicht willst«, fuhr Colt lächelnd fort. »Aber du hast schon mehrfach auf die Sache angespielt, und ich bin bekanntlich ein neugieriger Mensch. Außerdem mach’ ich selbst so oft dumme Streiche, dass es mich freut, wenn andere es auch tun.«

»Ich weiß nicht recht, ob Skandal oder dummer Streich das richtige Wort dafür ist«, erwiderte Erik zögernd. »Aber es war ein sehr unangenehmer Vorfall. Ich war damals dreiundzwanzig Jahre alt und studierte in Uppsala Mineralogie. Mag sein, dass ich ein bisschen wild war. Meine Clique gehörte nicht zu den zahmsten. Aber was sich schließlich ereignete, war gänzlich unvorhergesehen. Nach einem großen Universitätsfest war ich nach Hause gegangen und fest eingeschlafen. Eine Stunde darauf kam ein Student in mein Zimmer herein, um irgendeinen Unfug zu machen. Da sprang ich auf, hob einen Stuhl empor, jagte ihn die Treppe hinab und versetzte ihm zum Schluss einen so furchtbaren Schlag über den Kopf, dass er besinnungslos liegen blieb. Er musste ins Krankenhaus gebracht werden – aber nun kommt das Merkwürdige: Ich war wieder zu Bett gegangen, sobald ich ihn niedergeschlagen hatte, und als ich frühmorgens geweckt wurde, hatte ich keine Erinnerung mehr an den Vorfall.«

Colt warf ihm einen scharfen Blick zu. »Wirklich nicht?«

»Nein, ich hatte es im Schlaf getan. Es wundert mich nicht, dass du es bezweifelst. Das tat man in Uppsala auch. Ich war mit offenen Augen aufgestanden und hatte sogar mit ihm gesprochen, aber dass ich mich in somnambulem Zustand befand, ist Tatsache. Als Kind, bis zu meinem fünfzehnten Jahr, habe ich oft geschlafwandelt, einmal fand man mich oben auf einem hohen Schrank, ohne dass ich wusste, wie ich dahinaufgekommen war. Später glaubte ich meinen Somnambulismus überwunden zu haben, aber jenes Ereignis in Uppsala war ein heftiger Rückfall. Meine Erklärungen fanden keinen Glauben. Man betrachtete mich als einen Unhold, der im Rausch einen Kameraden überfallen hatte. Meine Stellung wurde unerträglich. Deshalb brach ich mein Studium in Uppsala ab, machte meinen Dr. ing. in Stockholm und begab mich ins Ausland. In den algerischen Kupferminen fand ich dann Arbeit, die mir zusagte, und dort bin ich drei Jahre lang geblieben.« Er sprach leise und hastig, als ob es ihn drängte, endlich einmal auszusprechen, worüber er so oft und bitterlich gegrübelt hatte. Colts Augen hingen unverwandt an einem Radfahrer, der in Schlangenwindungen vor dem Auto hin und her fuhr.

»Hast du noch mehr solche Rückfälle gehabt?«, fragte er schließlich.

Die Antwort ließ auf sich warten.

»Ja, als ich in Constantine1 war«, sagte Erik mit sichtlichem Widerstreben, denn er bereute seine Beichte bereits. »Ein Einbrecher kletterte nachts, während ich schlief, zum Fenster herein. Da soll ich mich wie ein Tiger auf ihn gestürzt haben. Glücklicherweise kamen infolge des Lärms sofort Leute angelaufen und rissen uns auseinander, sonst hätte ich ihn vielleicht erwürgt. Er war halb tot, als ich erwachte und ihn von Menschen umringt am Boden liegen sah.«

Bei der Erinnerung an dieses Erwachen schauderte er, und sein Ton rief bei Colt ein halb zynisches, halb mitleidiges Lächeln hervor. »Nimm es nicht so ernst«, sagte er. »Solche Fälle erregen in Algier sicherlich weit weniger Aufsehen als in Uppsala.«

»Oh, man beglückwünschte mich wegen meines Muts, denn der Kerl hatte ein Messer bei sich. Aber es ist eine schreckliche Sache, sich selbst nicht zu kennen, Colt. Die Macht des Unterbewusstseins lockt und beunruhigt mich. Bin ich ein anderer Mensch, wenn ich schlafe? Ein primitiveres Geschöpf, wenn mein wacher Wille abgekoppelt ist? Welch ein demütigender Gedanke!«

Colt drehte den Kopf und betrachtete den jüngeren Mann mit spöttischer Miene. »Man tut fortwährend, was man nicht will«, sagte er. »Für mich selbst habe ich eine sehr praktische Formel gefunden – nämlich stets zu wollen was ich tue. Das beugt inneren Konflikten vor.«

Das Auto näherte sich der Vasagatan2 und machte dann plötzlich an ihrer Ecke halt. Colt saß mit beiden Händen am Lenkrad und starrte zu dem Hotel hinüber.

»Was nun?«, fragte Erik. »Weshalb hältst du denn hier und nicht vor unserem Hotel?«

Colt lenkte das Auto rückwärts in eine Nebenstraße. Dann lachte er und erwiderte: »Ich hatte eine Vision von heißen, staubigen Hotelzimmern. Freiwillig gehe ich in einer Nacht wie dieser nicht in den Stall hinein. – Lass uns wie freie Männer übernachten, und nicht wie das Vieh!« Er drehte um und fuhr denselben Weg zurück, den sie gekommen waren.

Reynold atmete die milde Nachtluft in tiefen Zügen ein. »Wohl gesprochen«, sagte er. »Deine Eingebungen sind ebenso glücklich wie plötzlich. Aber wohin?«

»Along the road to anywhere, the wide world at our feet«, zitierte der andere, und seine Augen blitzten.

Erik Reynold lehnte sich befriedigt zurück. Der starke Luftzug erfrischte ihn, denn Colt, der nun die Richtung nach Norden eingeschlagen hatte, fuhr schnell und immer schneller.

»Hoffentlich sind hier jetzt keine Polizisten!«, bemerkte Erik, als eine ferne Turmuhr auftauchte. Es war schon nach Mitternacht. Bald wurde die Gegend ländlicher. Ein leiser Wind wehte aus Osten. Der kommt von den Inseln, dachte Erik, von Jägarö, dem einzigen Besitz der Familie Reynold, nachdem im Lauf der beiden letzten Jahrhunderte alles andere im Zeichen jenes verhängnisvollen Erbschatzes draufgegangen war.

Erik hatte seinen Vater seit vier Jahren nicht gesehen und wäre noch in Algier geblieben, wenn ein Brief seines Vaters ihn nicht beunruhigt hätte. Zwar war seine Cousine Marta Hegelius seit einiger Zeit ganz nach Jägarö übergesiedelt und eine Stütze für den alten Herrn, aber jener Brief erzählte von schweren Sorgen und der drohenden Gefahr, Jägarö verkaufen zu müssen. Unter diesen Umständen war es wohl kein Wunder, dass Hugo Reynold sich in die uralten Aussichten auf die Riesenerbschaft geflüchtet hatte. Er schrieb, dass er glaube, einen neuen Leitfaden gefunden zu haben, und bat, Erik möge nach Hause kommen und unterwegs gewisse, genau angegebene Nachforschungen anstellen. Das mochte der Sohn ihm nicht abschlagen, obgleich er sich keinerlei Hoffnungen machte und dem alten aussichtslosen Problem so ablehnend gegenüberstand, dass er dem Wiedersehen mit seinem Vater mit starkem Unbehagen entgegensah.

Das Auto raste weiter gen Norden. Jetzt führte der Weg bereits zwischen dichten Laubmassen hindurch, und Colt begann allmählich langsamer zu fahren, um sich zu orientieren. An einer Kurve hielt er an und spähte stumm vor sich hin. Der Motor summte leise. In der Ferne lärmte ein Motorrad, schien aber einen anderen Weg einzuschlagen, denn bald erstarb das Geräusch. Zu Eriks Verwunderung hatte Colts Gesicht einen gespannten, wachsamen Ausdruck angenommen.

»Siehst du irgendetwas?«, lachte Erik. »Fürchtest du dich im Dunkeln?«

Mit einem Ruck setzte Colt den Wagen wieder in Gang. »Im Gegenteil!«, sagte er. »Mit Dunkelheit und dem Meer hab’ ich gern zu tun. Aber das, was sich im Dunkeln und im Meer befindet, ist zuweilen gefährlich.«

»Meinst du damit in diesem Fall Spuk oder Haifische?«

Colt hockte gebückt hinterm Rad, und seine Stimme klang matt, als er entgegnete: »Die Nacht hat tausend Augen – und einige von ihnen sind feindselig.«

Erik konnte sein Gesicht nicht sehen und begriff ihn nicht recht. Es schoss ihm mit einem Mal durch den Kopf, dass er Colts Äußerungen und Benehmen oft völlig verständnislos gegenüberstand. Er wusste auch immer noch nicht recht, ob er ihm Sympathie oder Antipathie einflößte. Ihre erste Begegnung in Amsterdam war freundlicher Natur gewesen, denn als Fachgenossen hatten sie einander manches Interessante zu sagen, und Colt hatte sich von seiner besten Seite gezeigt: fröhlich, nett, gewandt und kameradschaftlich hilfsbereit. Als er von Eriks Vorhaben und Plänen hörte, wurde er geradezu erregt: »Unsinn und Wahnsinn! In Ihrem Alter denkt man an seine Zukunft und nicht an veralteten Aberglauben!« Er versicherte, dass er dank seinen Verbindungen imstande sei, Reynold sofort eine glänzende Anstellung bei einer Minengesellschaft in Transvaal3 zu verschaffen, wenn er sich gleich nach London begeben und in dem dortigen Kontor vorstellen wollte. Darauf wäre Reynold beinah eingegangen, lehnte dann aber doch aus Rücksicht auf seinen Vater ab. »Es ist besser, in Wirklichkeit Gold zu graben, als in der Phantasie!«, sagte Colt, der immer wieder auf seinen Vorschlag zurückkam. Aber Erik hatte nun einmal beschlossen, heimzukehren, und da Colt auch nach Stockholm reiste, entspannen sich unterwegs endlose Gespräche über Pflichten sich selbst oder anderen gegenüber. Colts Beharrlichkeit setzte Erik in Erstaunen und begann nach drei Tagen in Stockholm geradezu lästig zu werden, als ihm die Augen über die minder anziehenden Seiten von Colts Natur aufgingen – über seinen rücksichtslosen Egoismus und die brutale Verachtung gegenüber den Rechten und Ansichten anderer Leute.

Das Auto sauste einen langen Hügel hinab. Erik richtete sich auf und gähnte. »Sind wir nun bald in Russland?«, murmelte er. »Selbst schwüle Hotelzimmer haben ihre Vorzüge. Sie stehen still und enthalten Betten.«

»Die Fahrt ist zu Ende«, erwiderte Colt und stoppte. »Dein Bett erwartet dich in zwanzig Meter Entfernung.«

Erik merkte erst jetzt, dass sie vor einem Staket4 hielten, hinter dem zwischen Bäumen hindurch eine Villa zu sehen war.

»Hier? Aber es ist ja dunkel und zu!«

»Natürlich, da niemand zu Hause ist. Mach’ die Pforte auf, damit ich hineinfahren kann.«

Nachdem er zaudernd gehorcht und die Pforte wieder geschlossen hatte, ging Erik den Kiesweg hinauf. Colt hatte die Autolampen abgestellt. Jetzt stand er mit den Händen in den Taschen und betrachtete das hübsche, zweistöckige Haus. Dann holte er einen Schlüsselbund hervor und begab sich zur Rückseite. »Küchentüren lassen sich leichter überreden«, sagte er.

»Aber – bist du hier schon mal gewesen?«

»Merkst du denn nicht, dass ich mich hier ganz zu Hause fühle?«

»Wem gehört denn die Villa?«

»Einem guten Freund von mir.« Colt probierte einen Schlüssel nach dem anderen aus. »Einem Künstler – Fingal Renberg. Du kennst ihn vielleicht. Er ist jetzt in Italien.«

»Aber …«

»Oh, ihm wird es recht sein, wenn wir hier ungeladen zu Gaste kommen. Er hat mich sogar dazu aufgefordert. Du brauchst dir also keine Gewissensbisse zu machen, old man!«

Erik lachte. Er hatte nichts gegen dieses Abenteuer einzuwenden, das ihn an ausgelassene Studententage erinnerte. Sie betraten einen dunklen Gang, der zur Vorhalle führte, in der Colt den Lichtkreis seiner Taschenlampe tanzen ließ. »Die Treppe hinauf!«, kommandierte er. »Die Schlafzimmer sind oben.«

Sie stiegen die breite, teppichbelegte Treppe hinauf und befanden sich nun in einem Flur, der am äußersten Ende ein Fenster aufwies. An den Wänden prangte eine reichhaltige Sammlung von Stoßwaffen verschiedener Zeitalter: Pallasche, Speere, malaiische Krise, arabische Chandschare, türkische Krummsäbel, Duellwaffen, Assagais und japanische Schwerter.

»Das ist ja ein kriegerischer Künstler!«, bemerkte Erik, als sie das nächste Zimmer betraten. »Und reich muss er auch sein«, fügte er hinzu, als er den Lichtschalter gefunden hatte und sich in dem eleganten Rauchzimmer mit seinen schweren Klubsesseln umsah, während Colt auf das Fenster zuging, hinausblickte und dann die Gardinen vorzog.

»Wenigstens dürfte er guten Whisky haben«, entgegnete er und fand denn auch bald in einem Wandschrank eine Flasche, zwei Gläser und einen Siphon, die er auf den Tisch stellte.

Sie ließen sich nieder und tranken, aber das Gespräch wollte nicht recht in Gang kommen. Colt war zerstreut, begann eine abenteuerliche Geschichte aus Betschuanaland5 zu erzählen und verstummte, bevor sie zu Ende war.

»Du fährst also morgen mit dem Zwölfuhr-Dampfer nach Jägarö?«, fragte er dann ganz unvermittelt und stand auf, als Erik bejahte. »Ich glaube, wir sind reif zum Schlafengehen«, sagte er und blickte mit dem Glas in der Hand auf Erik hinab. »Ein Hoch auf die Reynoldschen Milliarden! Möchten sie bald in die rechten Hände gelangen!«

II.

Es war sieben Uhr morgens, als Erik erwachte. Sein Bewusstsein wogte in panischem Schreck vor irgendeinem fürchterlichen bösen Traum empor, und er warf sich unruhig im Bett hin und her. Die Traumbilder erbleichten allmählich, aber eine Szene hielt hartnäckig stand: Er hatte barfuß auf dem kühlen Fußboden gestanden … er war furchtbar erregt gewesen … vor ihm lag eine regungslose menschliche Gestalt mit dem Gesicht nach unten am Boden … ein unbekannter Mann in braunem Anzug … tot! Schaudernd streckte Erik die Arme von sich. Der alte Angsttraum, getötet zu haben, hatte ihn wieder befallen – natürlich weil von seinem Somnambulismus die Rede gewesen war! Das Herz pochte noch heftig, und sein Mund war heiß und trocken – sie hatten gestern wohl auch reichlich viel getrunken. Unwillkürlich öffnete er die Augen und sah sich nach Wasser um.

Keine Karaffe zu sehen! Auch die Möbel waren ihm fremd, und das Fenster befand sich nicht da, wo er es erwartet hatte. Ach ja, er lag ja in einem fremden Hause, dessen Besitzer er weder kannte noch je gesehen hatte. Alles war still. Im Nebenzimmer lag Colt und schlief. Die ganze Situation, die ihm gestern spaßig vorgekommen war, erschien ihm jetzt unbehaglich. Er beschloss, sofort aufzustehen und die Villa zu verlassen, sobald er Colt dazu bewegen konnte.

Nun saß er auf dem Bettrand und hob die rechte Hand, um sein wirres Haar zurückzustreichen, aber mit einem mal stockte diese Geste, und er sperrte die Finger auseinander. Zwischen Daumen und Zeigefinger war die Haut rau und gerötet, wie von einer dünnen, dunkeln Kruste. Er untersuchte die Hand, ohne irgendeine Wunde entdecken zu können. Dass sie am Abend zuvor nicht dagewesen war, wusste er bestimmt. Mit steigendem Unbehagen warf er einen Blick auf seine nachlässig beiseite geworfenen Kleider und stand rasch auf.

Da trat er auf einen Metallgegenstand, der halb unterm Bett lag, und hob ihn auf, um ihn verwundert zu betrachten. Es war ein spanischer Degen mit Toledoklinge und schalenförmigem, mit Gold und Perlmutter eingelegtem, durchbrochenem Griff.

Aber die Klinge war nicht blank. Sie war … wie von einer unsichtbaren Macht geschleudert stand Erik plötzlich mitten im Zimmer. Sein Herz benahm sich wie ein schlechter Motor, setzte ein paar Schläge aus, um dann wieder heftig und ungleichmäßig zu klopfen. Ein kalter, unbarmherziger Lichtstrahl durchschoss sein noch halb benebeltes Gehirn.

Dies war kein Traum. Er war wach! Er hatte geträumt, aber jetzt war er wach. Geträumt? Hatte er wirklich geträumt? Ein Stöhnen entrang sich seiner Brust: was er im Traum gesehen zu haben glaubte – es war der Flur jenseits der Tür!

Blindlings tastete er sich zur Tür hin. Er wollte sie nicht öffnen, tat es aber doch, hastig und unsicher. Er wollte nicht in die Richtung sehen, aber er tat es: Mitten im Gang lag etwas Regungsloses auf dem staubigen Linoleum. Ein Mensch lag da – unnatürlich zusammengekrochen, mit dem Gesicht nach unten. Ein kleiner Mann in braunem Anzug. Nach einem vollkommen unermesslichen Zeitraum bemerkte Erik noch etwas anderes. In der Staubschicht auf dem bläulichen Linoleum waren deutliche Spuren seiner eigenen nackten Füße zu sehen in einer doppelten Reihenfolge, hin und wieder zurück. Ein erstickendes Gefühl unsagbarer Hilflosigkeit übermannte ihn. Er musste sich am Türpfosten stützen.

Der Unbekannte hatte kurzgeschnittenes braunes Haar. Der linke Arm war lang ausgestreckt. Daneben lag eine Taschenlampe. Und er regte sich nicht. Er lag ganz still.

Erik rannte quer über den Flur und klopfte an Colts Tür. Er wollte sie nicht öffnen, aber sie ging gleich auf, und Colt stand auf der Schwelle. Er war noch in Hemdsärmeln und band eben seinen Schlips um.

»Colt«, stammelte Erik, »als ich – soeben aufwachte – ich träumte, der Degen lag unter meinem Bett.« Er fuhr fort, zusammenhanglose Worte zu stottern.

Colts Augen weiteten sich langsam. Sie wanderten zwischen dem Degen in Eriks Hand und der am Boden liegenden Gestalt hin und her. Plötzlich ging Colt rasch auf sie zu und beugte darüber. Erik, der ihm folgte, sah, dass der Unbekannte einen kurzen, dunkeln Schnurrbart hatte. Die rechte Hand war zur Hälfte vom Körper bedeckt und umfasste einen Revolver. Colt blickte zu seinem Kameraden auf.

»Tot?«, wisperte dieser.

»Ja. Von hinten erstochen, zwischen den Schulterblättern.« Colt deutete auf die Fußspuren im Staub. »Du siehst – es nutzt nichts, die Wahrheit zu verleugnen. Du hast einmal zu oft geschlafwandelt.«

Erik ließ den Degen fallen und drehte sich um. Im Schlafzimmer sank er auf einen Stuhl nieder und suchte ein Ohnmachtsgefühl zu bekämpfen. Es war also geschehen. Was er insgeheim befürchtet hatte, war zur stahlharten Gewissheit geworden. Er hatte einen Menschen getötet …

Jetzt erschien Colt in der Tür. Er hatte sich fertig angezogen und seine Fahrhandschuhe geholt. Er sprach knapp und energisch. »Reiß dich zusammen, wir müssen so rasch wie möglich von hier fort, ich werde dir beistehen!«

»Aber sage mir … wer … Wer ist … Vielleicht der …«

»Nein, der Besitzer der Villa ist es nicht. Ich kenne den Mann nicht. Er scheint sich durch die Küchentür eingeschlichen zu haben.«

»Meinst du, dass es … ein Einbrecher …«

»Er sieht so aus. Hast du gesehen, dass er einen geladenen Revolver hatte? Es war keine ungefährliche Begegnung für dich, als du diese Nacht im Schlaf herum gewandert bist. Es ist sogar geradezu die Frage, ob du nicht gehandelt hast, um dich zu verteidigen.«

»Hast du irgendetwas gehört?«

»Nein, ich schlief wie ein Stein.«

Ein Dieb … ein Einbrecher? Der Gedanke wirkte wie ein beschwichtigendes Betäubungsmittel auf Erik ein. Seine aufrührerischen Nerven begannen sich allmählich zu beruhigen. Der Mann war also vielleicht einer von den nächtlichen Marodeuren, die leerstehende Villen heimsuchen? Im Schlaf hatte Erik ihn im Hause herumschleichen hören … Schlafend war er aufgestanden, hatte den Mann auf dem Flur überrascht, eine Waffe von der Wand herabgerissen und ihn angegriffen? Das war mehr als wahrscheinlich, war die einzige denkbare Erklärung. Aber nichts konnte die entsetzliche Wahrheit vermindern oder bemänteln, dass er einen Menschen getötet hatte!

»Zieh dich an!«, sagte Colt. »Sorge dafür, dass du keine Fingerabdrücke hinterlässt, wasch dir gründlich die Hände, lass das Wasser rinnen, trockne dich mit deinem Taschentuch ab und rühre dann nichts mehr an!«

Dabei zog er selbst seine Handschuhe an, holte ein Handtuch, das er anfeuchtete, und rieb alles damit ab, was sie angefasst hatten: Gläser, Flaschen, Tischplatte, Türgriffe und Degengriff. Er ging langsam herum und musterte alles, riss sogar das Bettzeug auseinander. Dann lief er nach unten und kehrte mit einem triefenden Scheuerbesen zurück, mit dem er die verräterischen Fußspuren rasch und gründlich beseitigte. Nachdem er sich noch einmal genau umgesehen hatte, gab er sich zufrieden und fragte: »Bist du fertig? Dann komm!«

Erik gehorchte willenlos, mit einer dumpfen Empfindung demütiger Dankbarkeit gegenüber Colt, der ohne Zögern den Befehl übernommen hatte. Er warf noch einen scheuen Blick auf den Toten.

»Müssten wir nicht… irgendwie…«

»Den müssen wir liegen lassen, so wie er liegt. Seine Taschen sind leer. Der Degen muss auch bleiben, wo er hingefallen ist.« Er deutete auf die leere Stelle an der Wand. »Zwei namenlose Eindringlinge, die in Streit gerieten, verstehst du? Der eine bleibt, der andere flieht. Dass wir diese Nacht hier waren, braucht niemand zu wissen. Verlass dich auf mich! Ich habe alles genau überlegt.«