Der Mordclub von Shaftesbury – Nur die Toten kommen in den Garten - Emily Winston - E-Book

Der Mordclub von Shaftesbury – Nur die Toten kommen in den Garten E-Book

Emily Winston

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Beschreibung

Die Mordsaison ist eröffnet.

Olive Ogilvie war die Königin des Stickens. Mit 103 Jahren ist sie gestorben, und nun endlich darf auch der Garten besichtigt werden, den sie mit ihrem Mann, einem genialen Architekten, entworfen hat. Shaftesbury wird von Touristen geflutet, höchst skurrile Menschen tauchen auf. Bald wird auch klar warum. In Olives Garten sei ein Schatz versteckt, heißt es. Dann wird die erste Leiche gefunden – und Penelope, Shaftesburys Hobbydetektivin, bekommt mehr Arbeit, als ihr lieb sein kann ... 

Cosy Crime vom Feinsten – humorvoll, spannend und höchst unterhaltsam.

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Seitenzahl: 478

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Über das Buch

Olive Ogilvie war die Königin des Stickens. Zeit ihres Lebens hat sie komplizierte Stickmuster entworfen, während ihr Mann Otis ein begnadeter Gartenarchitekt war. Jetzt ist Olive im Alter von 103 Jahren verstorben, und ihr zu Ehren soll ein Stickwettbewerb in Shaftesbury stattfinden. Die passende Person für die Organisation des Wettbewerbs ist für die Bewohner Shaftesburys natürlich Penelope St. James, auch wenn die vom Sticken genauso viel Ahnung hat wie vom Kühe melken. Plötzlich aber wird die einzige Bed & Breakfast-Pension in Shaftesbury von Ogilvie-Enthusiasten überlaufen. Dort suchen ein Maler, ein Gärtner, ein Bildhauer und ein Stickclub Unterkunft, die sämtlich sehen wollen, wo ihre Idole einst lebten. Und auf dem Dorfanger finden sich weitere Fans der Ogiviles ein. Über Nacht tauchen dort ein Bücherbus, ein Friseurwagen, ein Wagen, der Spezialitäten anbietet, ein Wahrsager und eine Hundetherapeutin auf. Als die Frau, die den Bücherbus leitet, ermordet aufgefunden wird, ist Penelope erneut gefordert.

Über Emily Winston

Emily Winston ist das Pseudonym von Angela Lautenschläger. Sie arbeitet seit Jahren als Nachlasspflegerin und erlebt in ihrem Berufsalltag mehr spannende Fälle, als sie in Büchern verarbeiten kann. Ihre Freizeit widmet sie voll und ganz dem Krimilesen, dem Schreiben und dem Reisen. Besonders die britische Lebensart und der englische Humor haben es ihr angetan. Sie lebt mit ihrem Mann und drei Katzen in Hamburg.

Im Aufbau Taschenbuch liegen bisher ihre Romane »Der Mordclub von Shaftesbury – Eine Tote bleibt selten allein« und »Der Mordclub von Shaftesbury – Ein Herz und eine tote Seele« vor.

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Emily Winston

Der Mordclub von Shaftesbury – Nur die Toten kommen in den Garten

Kriminalroman

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

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Prolog

Samstag

Sonntag

Montag

Dienstag

Mittwoch

Donnerstag

Freitag

Samstag

Sonntag

Montag

Dienstag

Mittwoch

Donnerstag

Samstag

Sonntag

Impressum

Wer von diesem Kriminalroman begeistert ist, liest auch ...

Prolog

Flankiert von Sam auf der einen und seiner Tochter Lilly auf der anderen Seite folgte Penelope dem Sarg. Sie hatte sich bei Sam eingehakt, und Lilly, sonst für ihre acht Jahre keineswegs ängstlich oder um Worte verlegen, hatte ihre kleine Hand in Penelopes geschoben und schwieg. Anders als die übrigen Bewohner Shaftesburys, die den Trauerzug bildeten. Hinter sich hörte Penelope Edith und Mrs Winterbottom miteinander flüstern. Soweit sie es verstand, drehte sich die mehr oder weniger leise geführte Unterhaltung um die Frage, wie oft Michael Simpson verheiratet gewesen war. Michael Simpson war der Neffe von Olive Ogilvie, die von den schwitzenden Sargträgern im schweren Mahagonisarg zur letzten Ruhe geleitet wurde. Oder geschleppt. Das Möbel schien schwer zu sein, und John, einer der Träger, der üblicherweise an der Theke des Golden Horse festklebte, hatte auf dem Weg aus der Kirche recht unchristliche Flüche ausgestoßen.

Beisetzungen waren immer eine traurige Angelegenheit, aber Olive Ogilvie hatte zwei Wochen zuvor ihren hundertdritten Geburtstag gefeiert, um dann vierzehn Tage später friedlich einzuschlafen. Auf der großen Geburtstagsfeier in Devonshire House hatte Penelope die alte Dame zum ersten Mal gesehen. Sie war winzig klein gewesen und hatte in ihrem mit hellblauen Pailletten bestickten Kleid wie eine lustige Discokugel gewirkt. Die kleinen Metallplättchen hatten mit den blauen Topasen in ihrem Kettenanhänger und den Ohrsteckern um die Wette gefunkelt. Die kleine Frau hatte insgesamt wie ein wertvolles Juwel gewirkt, und Penelope hatte ein kleines bisschen den Verdacht, dass ihr Neffe die Feier nutzte, um sich insgeheim Notizen über das zu erwartende Erbe zu machen.

Die Trauergemeinde war vor dem ausgehobenen Grab zum Stehen gekommen, das Flüstern und Plaudern wurde eingestellt, Marc Force, der junge schneidige Pfarrer von St. Joseph’s, hob in seinem Talar die Arme, um den Segen zu sprechen.

Im Sarg rumpelte es.

»Verdammt!«, schimpfte John.

Lilly kicherte, einige der Damen quiekten entsetzt auf, und der Pfarrer trat beherzt vor und nahm John das Tauende aus der Hand, bevor Olive Ogilvie eher unsanft zur letzten Ruhe gebettet wurde. Behutsam wurde der Sarg in das offene Grab hinuntergelassen.

Lilly zog Penelope an der Hand, und Penelope beugte sich zu ihr hinunter. »Hoffentlich steht Mrs Ogilvie jetzt nicht auf ewig Kopf«, flüsterte Lilly.

»Ja, hoffentlich«, gab Penelope zurück. Aber man fragte sich ja schon, was dort im Sarg gerumpelt hatte.

Samstag

Als Penelope am Samstagmorgen die Küche betrat, fand sie Lilly auf dem Schrank vor dem Fenster kniend vor. Sie sah über die Kräutertöpfe hinweg nach draußen. Zwischen dem Topf mit Schnittlauch und der Petersilie saß Lillys kleine Katze Kinki und erledigte in aller Ruhe ihre Morgentoilette.

»Da draußen steht einer«, verkündete Lilly.

Diese Mitteilung rief bei Penelope eine ungute Erinnerung an die Zeit ihres Einzugs ins Ivy Cottage vor knapp einem Jahr hervor. Damals hatte ein Gespenst zum Fenster hereingesehen und sie sich vor Schreck das Kaffeepulver über die Füße geschüttet. Später hatte sich herausgestellt, dass es kein Gespenst, sondern Lord Finncliff gewesen war, der harmlos und an Demenz erkrankt war.

»Ich glaub, der will da campen.«

Das konnte sich Penelope nicht vorstellen. Für sie gab es keinen guten Grund, auf dem Dorfanger von Shaftesbury ein Zelt aufzuschlagen. Sie nahm einen Topf aus dem Schrank und gab Milch hinein.

»Jetzt macht er so eine komische Klappe auf«, redete Lilly weiter.

Penelope schaltete die Herdplatte ein und nahm das Glas mit dem Kakaopulver aus dem Schrank. Seit Lilly regelmäßig bei ihr übernachtete, war sie auf die Wünsche und Bedürfnisse einer Achtjährigen eingestellt.

»Der sieht ein bisschen seltsam aus. Und jetzt stellt er auch noch ein Pappschild auf.«

Penelope gähnte und streckte sich. Während sie die Milch im Blick behielt, gab sie Kaffeepulver in den Filter und stellte die Kaffeemaschine an.

»Hä? Was steht ’n dadrauf? Wassagen? Totelegen? »

Als die Milch kochte, goss Penelope sie in den Becher mit dem Kakaopulver und reichte ihn Lilly. Mit einem Becher Kaffee stellte sie sich neben das Mädchen. Tatsächlich stand dort draußen eine Art Food Truck. Allerdings sah er aus wie ein Wohnwagen, der unter einer Wäscheleine hindurchgefahren war und sämtliche Kleidungsstücke mit sich gerissen hatte. In der Morgensonne glitzerte und glänzte der Wagen in Gelb, Gold und Rot. Genauso wie der Mann selbst, der sich nach allen Seiten umsah.

»Es heißt nicht Wassagen, sondern Wahrsagen«, erklärte Penelope. »Und Tarotkarten legen.«

»Aha.« Lilly schlürfte an ihrem Kakaobecher. »Und was sind KO‑Karten?«

»Tarot. Ich glaube, damit kann man die Zukunft vorhersagen und Entwicklungen deuten.«

»Prima.« Lilly drückte ihr den Kakaobecher in die Hand. »Dann frag ich den Mann mal eben, ob Gemma am Montag noch krank ist. Wir schreiben nämlich eine Mathearbeit, und in Mathe ist Gemma ein Genie. Ohne sie kann ich meine Arbeit vergessen.«

Eine Sekunde später sah Penelope Lilly den Gartenweg entlang zur Straße hopsen. Als sie die Straße überquert hatte, verlangsamte sie ihr Tempo ein wenig und näherte sich eher zurückhaltend dem bunten Paradiesvogel, der vier Stangen in den Rasen gebohrt hatte und darüber einen dunkelroten Samtvorhang arrangierte. Wie ein Wahrsagerzelt sah das Ergebnis nicht aus, eher wie eine etwas verruchte Cocktailbar. Jetzt sah sich der Mann zu Lilly um, die ihn angesprochen hatte.

Penelope wurde von dem Geschehen draußen durch ein Hecheln neben sich abgelenkt. Sie blickte hinunter und sah in vier Hundeaugen. Instinktiv machte sie einen Schritt von den beiden Vierbeinern weg. Der Golden Retriever und der kleine Mischling sahen sie erwartungsvoll an. Penelope mochte keine Tiere, und auch mit kleinen Kindern hatte sie bis vor Kurzem jeden Kontakt gemieden. Seit sie nach Shaftesbury gezogen war und sich in den örtlichen Tierarzt Dr. Sam Bower verliebt hatte, war ihre Welt auf den Kopf gestellt. Sam besuchte an diesem Wochenende ein Fortbildungsseminar in London, und Penelope war sehr weit über ihren Schatten gesprungen und hatte sich bereit erklärt, nicht nur Lilly bei sich zu beherbergen (wozu es nicht allzu viel Überredungskunst bedurfte), sondern auch seine beiden Hunde Foxi und Boss und die Katze Kinki (was einen echten Liebesbeweis darstellte). Dabei konnte sie noch froh sein, dass zu Sams Zoo keine Mäuse und Würgeschlangen gehörten.

Sie stellte ihren Kaffeebecher ab und öffnete die Schranktür. Diese Hunde hielten sich erst seit dem Vorabend bei ihr auf, hatten aber praktisch beim Hereinkommen erahnt, wo sich das Hundefutter befand. Als Penelope eine Dose herausnahm und den Ring am Deckel hochzog, kamen die Tiere näher. Schnell nahm sie die beiden Näpfe aus dem Abtropfkorb, gab in beide etwas Hundefutter und stellte die Schalen schnell auf dem Boden ab. Glücklicherweise waren die beiden Hunde augenblicklich abgelenkt. Penelope griff sich ihren Becher und umrundete den Küchentisch auf der anderen Seite und verließ die Küche. Sie ging ins Wohnzimmer hinüber und sah dort aus dem Fenster. Von Lilly war nichts zu sehen. Panisch stellte Penelope den Becher auf dem Couchtisch ab und lief in den Flur. Sie hatte gerade die Tür nach draußen geöffnet, als Lilly ihr entgegengelaufen kam.

»Penelope! Mr Terras Altas hat mir die Karten gelegt und sagt, dass ich am Montag eine Eins schreiben werde. Und Gemma brauche ich dafür gar nicht.«

Penelope fasste Lillys Schultern und zog sie ins Haus. »Ich hoffe nicht, dass er dir für diesen Un …, dass er dir für diese Auskunft Geld abgeknöpft hat.«

»Nein, er hat gesagt, diesen Rat gibt er mir gratis, und ich soll ein gutes Wort für ihn bei den Leuten in Shaftesbury einlegen.«

Penelope schloss die Tür. Bei Gelegenheit würde sie sich diesen Pseudowahrsager vorknöpfen. Sie war gespannt, ob sich überhaupt jemand in die Nähe dieses komischen Vogels wagte.

»Wir frühstücken jetzt erst mal«, sagte sie und schob Lilly in die Küche.

Die Hunde hatten ihre Mahlzeit beendet und es sich unter dem Tisch bequem gemacht. Während des Frühstücks überlegten Lilly und Penelope, wie sie den gemeinsamen Tag gestalten wollten. Lilly wollte auf alle Fälle für einen ordentlichen Schokoladenvorrat sorgen, damit Penelope ihr am Abend in ihrem Himmelbett eine Gruselgeschichte vorlesen konnte. Das war bekanntermaßen nur möglich, wenn man sich mit Schokolade vor bösen Geistern schützte. Als Penelope später beim Geschirrspülen wieder einen Blick aus dem Fenster warf, sah sie Edith Ferguson. Die alte Dame spazierte den Gehweg entlang, als ihr Blick auf den Wagen des Wahrsagers fiel. Edith blickte nach rechts und nach links, überquerte die Straße und trat offenbar in Verhandlungen mit diesem Scharlatan ein. Kurz darauf verschwand sie im Innern seines Wagens. Penelope hätte sich eigentlich denken können, dass Shaftesburys Bewohner anfällig für derlei Humbug waren. Zumindest einige.

Sonntag

Kaum hatte Penelope den Kirchhof von St. Joseph’s betreten, gab ihr Handy durch andauerndes Piepen zu verstehen, wie viele Nachrichten sie verpasst hatte. Das lag daran, dass nur auf dem Friedhof Handyempfang möglich war. In Ivy Cottage am Dorfanger befand man sich, was das anbetraf, in der Diaspora.

»Warte mal einen Moment«, sagte Penelope zu Lilly und zog ihr Handy aus ihrer Handtasche Marcy von Ralph Lauren im Farbton Neuengland-Blau. Wie zu erwarten, stammten alle Nachrichten von Sam. Gerade wollte Penelope antworten, als ihr Smartphone wieder pling machte. Lebt ihr noch? Ich mache mir Sorgen!!!, schrieb Sam. Penelope hängte sich die Tasche über den Unterarm und antwortete, dass Sam sich keine Sorgen machen müsse, außerdem würden sie sich ja in wenigen Stunden wiedersehen. Und jetzt müssten sie sich ganz doll beeilen, weil der Gottesdienst begann. Tatsächlich sah Penelope, als sie ihr Handy verstaute, Lilly mit den letzten Herbeieilenden in die Kirche hineinschlüpfen.

Penelope stammte aus London und war bis zu ihrem Umzug nach Shaftesbury nie eine Kirchgängerin gewesen. Oder eine Detektivin. Eigentlich hatte sie in einer gehobenen Partnervermittlungsagentur gearbeitet, bis deren Inhaber Jeremy Highland mit dem Firmenvermögen und einigen Kundengeldern nach Südamerika verschwunden war. Sie selbst leitete jetzt die Agentur in Shaftesbury, die eigentlich eine Niederlassung hatte werden sollen, jetzt aber ihre eigene Agentur war. Und, wie sie mit Fug und Recht behaupten konnte, mittlerweile eine recht erfolgreiche Agentur.

In Shaftesbury ging man sonntags in die Kirche und anschließend zur Gemeindeversammlung im örtlichen Pub The Golden Horse.

Dort standen der Inhaber Luke und seine seit Kurzem Angetraute Laura, nachdem der Gottesdienst beendet war, hinter dem Tresen und arbeiteten die Bestellungen der durstigen Bevölkerung ab.

»Mrs Ferguson sagt, der Wahrsager hat ihr geraten, Aktien von einer brasilianischen Ölfirma zu kaufen. Dann wird sie steinreich«, erklärte Lilly, als sie mit zwei Tassen Tee vom Tresen zurückkehrte.

»Der Wahrsager erteilt Finanztipps?« Penelope nahm ihre Tasse entgegen. »Danke, Lilly. Klingt nicht sehr seriös.«

»Wieso? Wenn er wahrsagen kann, dass man reich wird, ist das doch toll.« Lilly setzte sich und gab Zucker in ihre Tasse. »Gemmas Daddy sagt, man muss bei Aktiengeschäften auch mal ein Wagnis eingehen.«

Penelope war wie Sam der Meinung, dass Gemmas Daddy, der praktisch zu allem und jedem eine Meinung hatte, ständig mit seiner Einschätzung danebenlag. Und Edith, bei der es sich um besagte Mrs Ferguson handelte, hatte vermutlich noch nie im Leben mit einem Aktiengeschäft zu tun gehabt. Sie musste Edith später dringend warnen, bevor diese ihr zusammengespartes Haushaltsgeld in windigen Aktiengeschäften versenkte und nie wieder sah. Da war es doch sinnvoller, das Geld in einen teuren Whiskey zu investieren, dem Edith zusprach. Penelope merkte auf, als Lilly ihren Namen flüsterte und in Richtung des Tresens zeigte. Dort stand Dorian Grey, der örtliche Briefträger und so etwas wie der Versammlungsleiter der inoffiziellen Dorfversammlung, die jeden Sonntag nach dem Gottesdienst im Golden Horse stattfand. Und wie jeden Sonntag hielt Dorian seinen Blick fest auf Penelope gerichtet, die wie jeden Sonntag wieder das Wichtigstes verpasst zu haben schien. Penelope blinzelte.

»Wir sprachen gerade über Olive Ogilvie«, sagte Dorian in demselben Tonfall, in dem ein Lehrer den ewig säumigen Schüler ermahnte.

»Ja, das ist sicher angemessen«, stammelte Penelope.

»Und darüber, dass wir ihr ein würdiges Denkmal setzen wollen.«

»Sicher, sicher«, sagte Penelope. »Dagegen habe ich gar nichts.«

Dorian hob die rechte Augenbraue. »Sie haben wieder nicht zugehört, stimmt’s?«

»Ich …« Penelope schwieg. Was sollte sie auch sagen!

»Okay, also noch mal für alle«, fuhr Dorian fort. »Olive Ogilvie war eine Meisterin der Stickkunst.«

»Tatsächlich?«, entfuhr es Penelope. Sie hob die Hand. »Entschuldigung.«

»Eine Meisterin der Stickkunst«, wiederholte Dorian. »Ihre selbst entworfenen Stickmuster waren höchst kompliziert und detailreich und sind außerordentlich schwer nachzuarbeiten.«

Penelope fand es bemerkenswert, dass Dorian plötzlich auch ein Kenner dieser Handarbeitskunst war. Aber in dem Briefträger schlummerten ohnehin ungeahnte Talente.

»Allerdings«, rief jemand. »Deidre Higgs hat sich ganz übel in den Finger gestochen, als sie den doppelten Steppstich nachmachen wollte.«

»Und im Ausland war sie«, rief eine andere. »In Frankreich hat sie gestickt.«

»Und in Belgien, obwohl die da eigentlich nur klöppeln.«

»Ja, aber ihr wahres Kunstwerk ist das Taufkleid von Charles III., das Olive bestickt hat«, sagte jemand, und für eine halbe Minute trat ehrfurchtsvolle Stille ein.

»Sie sehen also, Penelope, dass es viel zu tun gibt. Für Sie.«

Für Penelopes Begriffe sah Dorian, der in diesem Augenblick sein Pint vom Tresen nahm, ein wenig zu selbstgefällig aus.

»Äh, ich, also …«, begann sie. »Ich kann nicht sticken.«

»Ich wusste, dass Sie nicht zugehört haben. Sie sollen auch nicht sticken, Sie sollen Olive ein würdiges Denkmal errichten.«

»Ein Denkmal. Gestickt?« Penelope runzelte die Stirn.

Seufzend stellte Dorian sein Glas ab. »Es geht um einen Wettbewerb, Penelope. Sie sollen einen Stickwettbewerb organisieren.«

Penelope kratzte sich am Kopf. »Wäre es da nicht irgendwie sinnvoll, ein bisschen Ahnung vom Sticken zu haben?«

»Auf alle Fälle«, stimmte Dorian grinsend zu. »Ich habe mit Olives Testamentsvollstrecker gesprochen. Sie können sich gern in ihrer umfangreichen Nähstube in ihrem Herrenhaus umsehen.« Dorian ließ den Blick über die Anwesenden schweifen, während Penelope versuchte, das Gehörte zu verarbeiten. »Gut, so viel zu Olive, aber wir …«

»Und in den USA war sie auch«, rief eine Stimme.

»Das stimmt, Olive hat an einem Exemplar der amerikanischen Flagge mitgestickt, die im Guinnessbuch der Rekorde erwähnt wird.«

»Okay, Leute, das könnt ihr alles Penelope erzählen«, sagte Dorian. »Ich mache den Vorschlag, dass wir zugleich auch über Otis sprechen.«

Während sich Penelope fragte, wer zum Teufel jetzt dieser Otis war, hörte sie jemand sagen. »Oh, da gibt es ganz spannende Gerüchte.«

»Das ist richtig. Otis und Olive haben zusammengeklebt wie Kleber, und man weiß bis heute nicht, wer von wem abgekupfert hat.«

»Sie haben sich inspiriert«, rief eine Frauenstimme. »Das, was Olive gestickt hat, hat Otis angepflanzt.«

Nachdenklich warf Penelope einen Blick in ihre leere Teetasse. Ein Whiskey wäre jetzt nicht schlecht.

»Zum Beispiel den Lianengarten in Frankreich.«

»Lianen in Frankreich? So ein Unsinn.«

»Doch, er meint den Jardin des Lianes. Otis hat dort die Rosen gepflanzt.«

»Aber doch nicht nur gepflanzt, sondern die Anlage entworfen.«

»Sicher. Ich würde ja sagen, er hat sich eines von Olives Stickmustern geschnappt und die Rosen danach gepflanzt.«

Allgemeines Gelächter brach aus, bis der bedächtige Leonhard einwarf: »Aber das ist doch allgemein bekannt, dass Otis’ Gartenpläne sehr viel Ähnlichkeit mit den Stickmustern haben, die Olive entworfen hat.«

Penelope beugte sich zu Lilly hinüber. »Wer ist dieser Otis?«

»Das war Olives Mann, aber der ist schon ziemlich lange tot«, flüsterte Lilly. »Etwa zehnmal so lange, wie ich alt bin.«

Diese Auskunft verwirrte Penelope zusätzlich, die im Kopf nachrechnete und zu dem Ergebnis kam, dass dieser Otis Ogilvie dann seit etwa achtzig Jahren tot sein müsste.

»Wie auch immer«, vernahm Penelope Dorians Stimme. »Olive und Otis haben verfügt, dass nach ihrem Ableben der Park von Devonshire House der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden soll. Doctor Richards hat mich gebeten, dafür zu sorgen, dass dieser letzte Wunsch der Ogilvies erfüllt wird. Es sollte deshalb sinnvollerweise eine Beschriftung der Pflanzen erfolgen, eine Ausschilderung der Wege und eine Organisation und Überwachung der Öffnungszeiten. Und da, wie wir gerade wieder festgestellt haben, eine Trennung der Werke von Olive und Otis Ogilvie nicht sinnvoll ist, schlage ich vor, dass wir beides in dieselben Hände legen. In Penelope St. James’ Hände.«

Dorian sah zufrieden in die Runde.

Penelope hatte auf einen Schlag viel zu viele neue Informationen zu verarbeiten, weshalb ihr nur eine einzige Frage einfiel. Schüchtern hob sie die Hand.

»Ich hätte noch eine Frage.«

»Nur zu«, sagte Dorian gönnerhaft.

»Wer ist Doctor Richards?«

***

Als Sam endlich den dichten Verkehr Londons hinter sich gelassen hatte, atmete er auf. Jetzt konnte alles nur besser werden. In nicht einmal zwei Stunden würde er Lilly und Penelope in die Arme schließen und erst einmal nicht mehr ohne sie wegfahren. Seit seine erste Frau plötzlich und unerwartet gestorben war, neigte er zu übertriebener Fürsorge und Ängsten. Das war ihm bewusst, aber sich dagegen zu wehren fiel ihm schwer. Dabei war die Fortbildung wichtig und ausgesprochen lehrreich gewesen. Da er seine Tierarztpraxis allein auf dem Land betrieb, konnte er sich nicht spezialisieren und musste zumindest einen Blick dafür entwickeln, ob er einen Spezialisten hinzuziehen musste. Endlich erreichte er das hügelige Gebiet, das Shaftesbury umgab. Er passierte St. Joseph’s und näherte sich dem Dorfanger. Interessanterweise war auf dem grünen Dreieck gegenüber von Ivy Cottage ungewöhnlich viel Betrieb. Sam erkannte einen türkisfarbenen Bus mit der goldfarbenen Aufschrift Books, daneben stand ein weißer Transporter, aus dessen geöffneter Ladeklappe Joe Fallscotts Boxer Elvis heraussprang. Sam trat abrupt auf die Bremse, als vor ihm eine Frau die Straße überquerte. Erst auf den zweiten Blick erkannte er Alice Bingham, deren sonst eher mausgraue Haare in dunkelblonde Locken gelegt waren. Das sah gar nicht mal schlecht aus. Sam winkte Alice zu und stellte dann den Wagen vor Penelopes Häuschen ab. Kaum hatte er die Autotür geöffnet, kam Lilly aus dem Haus gelaufen. Sam schloss seine Tochter in die Arme.

»Hallo, Kleine.«

»Hi, Daddy.« Sie sah unter seinem Arm hindurch in den Wagen. »Hast du mir ein Tier mitgebracht?«

»Nein, Schätzchen, ich habe nur etwas über Tiere gelernt. Und Tiere haben wir genug.«

In der Tür erschien Penelope. »Hi.«

Sam legte seinen Arm um Lillys Schultern und ging zu Penelope. »Hi.« Er gab ihr einen Kuss. »Ich habe euch vermisst.« Dann sahen sie alle zum Dorfanger hinüber. »Aber ihr habt hier offenbar genug Unterhaltung. Was ist da drüben los? Ich habe Alice Bingham gesehen, und sie sah aus, als wäre sie auf dem Weg zu einem Modelwettbewerb.«

»Da drüben wohnt ein Wahrsager«, erklärte Lilly und deutete auf einen Wagen, der ein bisschen aussah wie eine Mischung aus Reinigung und Anmachschuppen. »Und daneben ist ein supertoller Bücherbus. Penelope und ich haben schon fünf Bücher ausgeliehen, die müssen wir heute Abend alle noch lesen. Und die Frau daneben geht mit den Hunden Gassi, deren Herrchen zu faul dafür sind. Zum Beispiel Joe. Der liegt heute lieber auf dem Sofa.«

»Und woher hat Mrs Bingham dann ihre Frisur?«

»Von Madame P.« Lilly fuhr sich mit den Händen in die Frisur. »Penelope und ich wollen uns auch die Haare machen lassen. Wenn du willst, fragen wir Madame P, ob sie dir ausnahmsweise auch die Haare schneidet. Weil du ja ein Mann bist.«

»Ach, ich glaube, das ist nicht nötig.«

»Kommt erst mal rein«, sagte Penelope. »Oder wollt ihr nach Hause?«

»Nur wenn du mitkommst«, sagte Lilly. »Wir müssen noch die Bücher lesen.«

Penelope warf Sam einen Blick zu, der ein wenig hilflos wirkte. Er hoffte, dass er sie nicht mit Lilly, Kinki und den Hunden überfordert hatte.

»Wir gehen erst mal rein und beratschlagen, was wir machen.« Sam kraulte den Hunden die Köpfe, bewunderte die ausgeliehenen Bücher, die Lilly ihm zeigte, widmete sich dann der Tasse Tee, die Penelope ihm hinstellte.

»Was hat dieser Auftrieb da draußen zu bedeuten?«, fragte er, als Penelope sich setzte.

»Ich habe keine Ahnung«, sagte Penelope. »Sie sind alle wie aus dem Nichts aufgetaucht. Erst dieser eigenartige Wahrsager, dann kam der Bücherbus, und heute Mittag standen plötzlich der Friseurwagen und diese Gassigeherin dort. Sie macht übrigens auch Hundetherapie. Vielleicht könnt ihr gemeinsam etwas anbieten.«

»Wollen diese Leute denn länger hierbleiben?«

Penelope hob die Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Es wirkt irgendwie, als hätten sie sich verabredet, aber die Frau aus dem Bücherbus sagt, sie würde die anderen nicht kennen.« Sie warf einen Seitenblick auf Lilly, die ihre Nase in ein Buch gesteckt hatte. »Ich müsste dich auch noch mal sprechen. Wir waren ja heute Vormittag bei der Gemeindeversammlung …«

Sam konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Lass mich raten. Dorian hat dich wieder eingespannt.«

»Hat er«, erklärte Lilly, ohne von ihrer Lektüre aufzusehen. »Penelope hat nicht aufgepasst, und in null Komma nichts hat Dorian sie dazu verdonnert, einen Stickwettbewerb zu organisieren und eine Führung durch den Park von Devonshire House.«

»Handarbeiten und Pflanzen auf einen Schlag. Beides nicht deine Kernkompetenzen, wie?«

Penelope schüttelte den Kopf. »Ich habe von beidem nicht die geringste Ahnung.«

»Gemmas Daddy sagt, der Mensch wächst mit seinen Aufgaben«, ließ sich Lilly vernehmen.

»Ich glaube nicht, dass Gemmas Daddy Ahnung vom Sticken hat.« Sam warf einen Blick auf Lilly. »Musst du nicht noch Mathe lernen für die Arbeit morgen?«

»Nö, der Wahrsager hat gesagt, dass das kein Problem für mich sein wird.«

»So, hat er das. Ich denke, ich werde gleich mal rübergehen und seine Kenntnisse auf dem Gebiet der Wahrsagerei überprüfen.« Sam griff nach Penelopes Hand. »Bei Pflanzen kann ich dir helfen, aber beim Sticken bin ich ein absoluter Versager.«

»Ach, da werde ich mich an die Damen im Ort wenden. Aber vielleicht kannst du mir ein bisschen über die Ogilvies erzählen.«

»Hat eigentlich schon mal jemand rausgefunden, was da in Olive Ogilvies Sarg gerumpelt hat?«, fragte Lilly. »Ob das einer von ihren Knochen war?«

***

Später am Abend saßen Sam und Penelope auf dem Sofa in Sams Wohnung. Weil Lilly am nächsten Tag ihre Mathearbeit schreiben musste, hatten sie beschlossen, dass sie in ihrem eigenen Bett am besten aufgehoben war. Sie war vor einer halben Stunde mit den beiden Hunden und Kinki im Schlepptau in ihrem Zimmer verschwunden. Als Sam einen kurzen Blick hineingeworfen hatte, saß Lilly mit ihrem Mathebuch im Bett. Offenbar hatten seine Zweifel an den Wahrsagerqualitäten dieses Mr Terras Altas gefruchtet. Als Penelope ihren Kopf an seine Schulter lehnte, war Sam glücklich und zufrieden. Beinahe zufrieden.

»Diese zwei Wohnungen sind irgendwie unpraktisch«, sagte er. Dann wartete er erst mal ab.

»Und was schlägst du vor?«, fragte Penelope.

»Eine gemeinsame Wohnung.«

Penelope hob den Kopf und sah ihn an.

»Ich weiß, dass das für dich ein Zusammenleben mit Tieren bedeuten würde. Und ich würde es verstehen, wenn dir das nicht behagt.« Vor seinem inneren Auge erschien seine erste Begegnung mit Penelope. Damals war sie beim Anblick einer Ratte in Ohnmacht gefallen. Immerhin nachvollziehbar, denn der Bauch der Ratte war gerade geöffnet gewesen, weil Penelope mitten in eine Operation geplatzt war.

Penelope schmiegte sich wieder an ihn. »Eventuell könnte ich mir vorstellen, dass ich über das ein oder andere Tier hinwegsehe.«

Sams Herz machte einen kleinen Hüpfer. »Wir haben auch nur zwei Hunde. Und eine Katze.«

»Im Augenblick.« Sie seufzte. »Aber es werden sicher mehr. Und dann kommen wieder Ratten dazu, Frösche, Eichhörnchen …«

Sam gab ihr einen Kuss auf die Schläfe. »Erzähl mir noch mehr von der Gemeindeversammlung. Wer ist denn nun dieser Dr. Richards?«

»Das ist Olive Ogilvies Testamentsvollstrecker. Dorian Grey sagt, Mr Richards freut sich schon auf mich.«

»Aber Dorian wusste doch gar nicht, ob du zusagen wirst.«

Penelope lachte auf. »Er hat mich ja auch nicht gefragt. Dorian hat mich noch nie gefragt, bevor er mir einen Auftrag verpasst hat.« Sie sah auf die Uhr. »Es ist schon spät, und ich habe morgen früh einen Kundentermin. Ich gehe besser nach Hause.«

»Du siehst, dass wir diese Sache mit der Wohnung in Angriff nehmen müssen. Dann müssen wir uns nicht immer Gedanken darüber machen, wo wir uns aufhalten.«

Penelope stand auf und nahm ihre Tasche vom Sessel. »Ich denke darüber nach. Gute Nacht, mein Lieber.«

Sam brachte sie zur Tür, und Penelope ging gedankenverloren zurück zum Ivy Cottage. Sie stellte es sich schön vor, mit den beiden zusammenzuleben, aber das bedeutete, dass sie beide ihr Zuhause aufgeben mussten, denn beide Wohnungen waren zu klein für drei.

***

Als sie in Sichtweite des Dorfangers kam, stellte Penelope fest, dass sich zu den vier vorhandenen Ständen noch ein fünfter hinzugesellt hatte. Auf einem halbrunden Bogen auf dem Dach des Wagens stand Tom’s Spezialitäten. Der Wagen war dunkel, nur im Fenster des Bücherbusses stand eine kleine Lampe, und das Vorzelt des Wahrsagers leuchtete purpurrot. Es war keine Menschenseele zu sehen. Allein ein kleiner Hund trieb sich am Rande des Dorfangers herum. Sie bog in den kleinen Weg zu Ivy Cottage ein und schloss die Tür auf. Als sie die Tür aufschob, fiel ihr Blick auf einen Briefumschlag, den jemand durch den Briefschlitz in der Tür geworfen haben musste. Auf dem Umschlag klebte keine Briefmarke, aber Dorian trug schließlich am Montagabend auch keine Post mehr aus. Mit einem Küchenmesser schlitzte sie den nicht adressierten Umschlag auf. Darin befand sich ein einmal gefaltetes Blatt. Ich brauche deine Hilfe. Melde mich bald.

Montag

Penelope hatte ihren Wecker auf sieben Uhr gestellt, um vor ihrem ersten Kunden in der Agentur zu sein. Ein Geschäftsmann aus London wollte aufs Land ziehen und offenbar nicht nur das. Zu seinen Zukunftsplänen gehörten auch eine Frau und ein neues Haus. Bei der Frau könnte sie ihm helfen, für Häuser war sie nicht zuständig. Sie wurde von einem Geräusch wach, dabei zeigte der Wecker erst sechs Uhr an. Sie legte sich das zweite Kissen auf das Ohr, aber als Nächstes hörte sie eine Polizeisirene. Penelope warf das Kissen weg und sprang aus dem Bett. Sie sah aus dem Fenster und entdeckte zwei Polizeiwagen, die auf der Straße standen. Auf dem Dorfanger hatte sich eine Menschenmenge eingefunden, und noch bevor ein schwarzer Leichenwagen um die Ecke bog, beschlich Penelope ein dummes Gefühl.

Fünf Minuten später trat sie in ihrem mit rosa Orchideen bedruckten Morgenmantel aus Seidenorganza und ihren pinkfarbenen Pantoletten aus ihrem Cottage. Das Revers ihres Bademantels hielt sie vor der Brust zusammen.

»Mrs St. James! Gut, dass Sie kommen.« Mrs Winterbottom kam auf Penelope zugerannt. Die etwas beleibte Inhaberin des Tearooms war außer Atem und vielleicht auch wegen der Geschehnisse aufgebracht. »Mrs Black ist tot. Erschlagen, können Sie sich das vorstellen?«

Penelope fasste den Arm der alten Dame. »Wollen Sie vielleicht einen Augenblick hereinkommen und sich ausruhen, Mrs Winterbottom?«

»Nein, das geht nicht. Der Polizeibeamte will sich mit mir unterhalten. Aber vorher guckt er sich noch die Leiche an.«

»Wer ist Mrs Black?«

»Mrs Black ist doch die Dame, die den Bücherbus betreibt. Ich schätze, dass sie mit dem Wagenheber erschlagen wurde, der draußen im Gras liegt.« Mrs Winterbottom kratzte sich am Kinn. »Oder mit der Schublade aus ihrer Kasse. Wissen Sie, die lag auf dem Boden im Bus. Leer, muss ich Ihnen sagen. Na ja, wenn sie überfallen wurde, hat sich natürlich jemand für ihr Bargeld interessiert.«

Penelope war etwas durcheinander. Auf Anhieb fiel ihr in Shaftesbury kein einziger Laden ein, den es sich zu überfallen lohnte. Und ein Bücherbus, in dem die Bewohner Shaftesburys das ein oder andere Buch ausleihen konnten, war wohl kaum ein lohnendes Ziel für einen Raub.

»Was haben Sie so früh hier gemacht, Mrs Winterbottom?«

»Ich war auf dem Weg zu meinem Tearoom, und da dachte ich, ich sehe kurz bei Mrs Black hinein, um sie zu fragen, ob sie etwas über diesen Krimi herausgefunden hat.«

»Welchen Krimi?«

»Diesen Krimi, bei dem eine Tote mit einer verdächtigen Verletzung an der Schläfe aufgefunden wird, und niemand kann herausfinden, was die Tatwaffe ist. Den Namen des Autors habe ich dummerweise vergessen, und der Titel fällt mir nicht mehr ein, deshalb habe ich gestern Mrs Black gefragt. Der fiel es nicht ein, und da bei ihr Licht brannte und sie ja auch in ihrem Bus gewohnt hat, dachte ich, ich könnte das kurz auf meinem Weg erledigen.«

»Und da haben Sie Mrs Black tot aufgefunden.«

»Richtig. Sie lag zwischen den Regalen im Gang, und in ihrem Haar war Blut, und auf dem Teppich war ein riesiger Blutfleck. Also, in dem Krimi waren definitiv weder ein Wagenheber noch eine Kassenschublade die Tatwaffe, denn die Tote im Buch hatte lange nicht so eine schwere Kopfverletzung. Aber das hilft mir nun auch nicht mehr weiter, na, jedenfalls …«

»Mrs Winterbottom?«

Ein großer schlanker Mann stand auf Penelopes Gartenweg und fuhr sich mit der Hand durch das blonde Haar. Er lächelte Penelope an. »Mrs St. James, so sieht man sich wieder.«

»Inspector Farnsworth, guten Morgen.«

»Mrs Winterbottom, wir haben jetzt einen Polizeitransporter geholt, in dem wir uns unterhalten können.«

»Ja, dann mal los, junger Mann. Ich muss meinen Tearoom aufmachen. Die Leute kommen schließlich zum Frühstück zu mir und nicht zum Abendessen.«

Der Inspector reichte der alten Dame galant seinen Unterarm. »Dann kommen Sie.« Er warf Penelope einen Blick zu. »Und Sie würde ich auch gern noch sprechen, Mrs St. James.« Er musterte ihren Morgenmantel. »Lassen Sie sich ruhig Zeit mit dem Ankleiden. Es kann etwas dauern.«

Das war wieder mal typisch. Sie hatte einen dringenden Termin, vor ihrer Haustür geschah ein Mord, und sie stand im Morgenmantel auf der Straße. Und dann war da noch diese Nachricht von gestern Abend. Bis sie gestern Nachmittag fünf Bücher im Bücherbus ausgeliehen hatte, hatte sie diese Mrs Black nicht gekannt. Penelope bezweifelte deshalb, dass der mit Computer geschriebene Hilferuf, in dem sie geduzt wurde, von der Toten stammte. Fragte sich nur, wer ihre Hilfe brauchte. Und wobei.

Sie wandte sich um, um ins Haus zu gehen, als jemand rief: »Mrs St. James, warten Sie.«

Schnaufend kam Edith Ferguson angelaufen. Über ihrer Schulter hing der Riemen ihrer riesigen Handtasche, in der sich stets allerhand befand. Unter anderem auch immer ein mit Whiskey gefüllter Flachmann.

»Haben Sie das gehört? Die arme Frau im Bücherbus wurde erschlagen. Glauben Sie nicht auch, dass das dieser tätowierte Gitarrist war? Ich habe damals gesagt, dass er uns schriftlich geben soll, dass er den Pfarrer nicht erschlagen hat. Und jetzt?« Mit triumphierendem Blick sah die kleine Frau Penelope an. »Zack, bum, der Nächste erschlagen.«

»Mrs Ferguson, Edith, den Pfarrer hat Jonny Scroggs erschlagen, und das auch eher versehentlich. Und wir können nicht für jeden Mord Joe Fallscott verantwortlich machen.«

»Wie Sie meinen, aber sagen Sie hinterher nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.«

Penelope beschloss, die Gelegenheit zu nutzen, Edith ein wenig auszufragen. Der nächste Sonntag war zwar noch eine Weile hin, aber spätestens dann würde ihr Dorian Grey den Auftrag unterjubeln, Mrs Blacks Mörder zu finden. »Sie waren doch am Samstag drüben bei den Wagen. Waren Sie da auch im Bücherbus?«

»Ach wo, Bücher lese ich schon genug im Buchclub. Ich denke wirklich darüber nach, mich einem Filmclub anzuschließen. Das ist deutlich weniger anstrengend.«

»Und in welchem Wagen waren Sie dann?«, fragte Penelope. Vielleicht konnte sie die Gelegenheit nutzen und Edith vor dem windigen Wahrsager bewahren, der in Wahrheit offenbar Aktiengeschäfte machen wollte.

Edith packte Penelopes Unterarm und zog sie in die Rosenrabatte. »Ich war bei Mr Terras Altas, einem ganz wundervollen Mann. Wissen Sie, ich bin Sternzeichen Jungfrau, und er hat mir gesagt, dass damit die Aktien gut stehen für mich. Also, nicht für mich, sondern für Bolivar Oil. Ich soll davon einhundert Stück kaufen, und dann wäre ich in null Komma nichts reich.«

»Aber das haben Sie nicht gemacht. Hoffentlich. Sie sollten das erst noch einmal überprüfen.«

»Das hat mein Jocelyn auch gesagt. Dabei weiß man nun wirklich, dass Aktienkurse empfindlich sind wie Mimosen. Man muss sofort zuschlagen, sonst steigt der Kurs, und es lohnt sich nicht mehr, einzusteigen. Sie müssen wissen, das Aktiengeschäft ist eine Sache, bei der man die richtige Entscheidung zur rechten Zeit treffen muss.«

»Wie praktisch überall im Leben«, murmelte Penelope. »Und haben Sie sonst noch etwas auf dem Dorfanger mitbekommen?«

»Na, ich wollte mir die Haare machen lassen, aber die arme Madame P hat eine Warteliste, so lang wie von hier bis Australien. Bis ich drankomme, kann ich mir einen Zopf flechten. Und der steht mir in meinem Alter nun wirklich nicht. Allerdings liebäugle ich mit einem Besuch bei Tom’s Spezialitäten. Der soll eine ganz besondere Wurst haben.«

»Dann kannten Sie Mrs Black also nicht?«

Edith schüttelte den Kopf. »Und dazu wird es ja wohl jetzt auch nicht mehr kommen.« Sie sah Penelope aus zusammengekniffenen Augen von unten herauf an. »Wenn Sie meinen, dass es dieser Gitarrist nicht war, dann könnte es doch der Bassist gewesen sein.«

»Schlecht möglich, Edith. Er ist mit Mrs Colombine in den Flitterwochen auf den Malediven.«

»Das ist natürlich dumm. Na ja, Sie werden es schon herausfinden.« Edith begann in ihrer Tasche herumzukramen. »Bisher haben Sie ja noch jeden Täter geschnappt«, sagte sie, bevor sie ihren Flachmann an die Lippen setzte. »Dann muss ich jetzt auch mal los, eigentlich wollte ich nur frische Milch für meinen Jocelyn holen.« Edith warf den Flachmann in die Tasche und marschierte davon.

Bevor noch ein weiterer Bewohner Shaftesburys sie entdeckte, verschwand Penelope schnell in Ivy Cottage. Dort musste sie feststellen, dass dieser Montag das Zeug hatte, als Freitag der Dreizehnte in die Geschichte einzugehen. Ihr Boiler spuckte nur kaltes Wasser aus, sie fand ihre cremefarbene Seidenbluse nicht, und als sie um fünf vor neun aus der Haustür trat, stand Inspector Farnsworth vor ihr.

»Das passt ja wie abgesprochen«, sagte er lächelnd.

***

Sams Wohnung lag über der Tierarztpraxis. Nachdem Lilly laut rumpelnd die Treppe hinuntergehopst war, um den Schulbus zu erreichen, folgte er ihr und traf im Eingangsbereich auf seine Sprechstundenhilfe Heather.

»Haben Sie gehört, Doc? Gegenüber von Ihrer Gelieb … Auf dem Dorfanger haben sie eine Frau erschlagen.«

Sofort packte eine eiskalte Hand Sams Herz. Seine schlimmste Vorstellung war, dass Lilly oder Penelope etwas geschehen könnte.

»Irgend so eine Tussi, die Bücher verleiht.« Heather verdrehte die Augen. »Mal ehrlich, welche Knalltüte kommt auf die Idee, in Shaftesbury Bücher zu verleihen? Das ist doch Juwelen vor die Säue werfen.«

»Perlen«, korrigierte Sam abgelenkt. »Die Frau aus dem Bücherbus?«

»Sagte ich.«

»Woher wissen Sie das?«

»Mrs Smith hat angerufen und gesagt, sie kommt eine halbe Stunde später, weil sie noch gaffen muss.«

Sam sah Heather stirnrunzelnd an. »Sie hat gaffen gesagt?«

»Sie hat gesagt, sie sei in einer polizeilichen Angelegenheit aufgehalten worden. Und als ich sie gefragt habe, ob sie denn was gesehen hat, meinte sie, nein, aber man wisse ja nie, wonach einen die Polizei fragt.«

»Gut, irgendwann werden die Leute genug geguckt haben und dann kommen. Ich bin hinten, wenn Sie mich brauchen.«

»Doctor?«

»Hm?«

Heather deutete zur Eingangstür, durch die in diesem Augenblick eine kleine Frau hereinkam. Sie wirkte unscheinbar, was möglicherweise daran lag, dass Sams Blick zuallererst auf ihre Begleiter fiel. In ihren Händen hielt sie zahlreiche Hundeleinen, und um sie herum wuselten mehrere Hunde in allen Größen und Rassen. Überschlägig kam Sam auf acht Tiere, interessanterweise kannte er einen der Hunde. Den übergewichtigen Mops von Mrs Colombine erkannte er immer und überall.

»Hi.« Die Frau wollte stehen bleiben, aber eine schwarze Dogge hatte das Glas mit den Hundeleckerlis auf dem Tresen entdeckt. Eigentlich waren die kleinen Hundekekse braven Patienten vorbehalten, die während ihrer Untersuchung kein Chaos angerichtet hatten. Die Dogge machte einen putzmunteren und gesunden Eindruck. Sie stellte die Pfoten auf den Tresen und schob mit ihrer sabbernden Schnauze das Glas vom Tresen. Es fiel auf Heathers Seite auf die Schreibtischfläche. Heather sprang erschrocken auf, und alle Hunde machten sich auf den Weg auf die Rückseite des Tresens, woraufhin eine gewaltige Zugkraft auf die Frau einwirkte, die mit einem Ruck nach vorn stolperte. Plötzlich herrschte das absolute Chaos im Eingangsbereich, und als die Praxistür geöffnet wurde und Mrs Chase mit ihrem Kater Henry im Transportkorb hereinkam, wurde es nicht besser.

Sam eilte zur Tür und schob Mrs Chase nach draußen. »Bitte warten Sie einen Augenblick draußen, Mrs Chase. Wir haben hier drinnen gerade einen erheblichen Hundeüberschuss.« Er ging wieder hinein, wo Heather versuchte, sich aus einem Gewirr von acht Hundeleinen zu befreien, während die schwarze Dogge auf ihrem Schreibtisch mit einem Happs sämtliche Hundekekse verschlang, ohne ihren Kumpeln etwas abzugeben.

»O Gott«, jammerte die Frau. »Das tut mir leid. Zeus, runter da.« Sie wandte sich an Sam. »Wissen Sie, Zeus hat keine Hundeschule besucht, und ich habe festgestellt, dass er einen schlechten Einfluss auf die anderen hat.«

Heather murmelte etwas wie: »Das kann man wohl sagen«, und schnippte einen Hundekeks, den Zeus übersehen hatte, vom Terminkalender.

Gemeinsam schafften sie es, Ordnung in das Durcheinander aus Hunden und Leinen zu bringen, und schließlich saßen alle acht Hunde im Kreis um die Frau herum und sahen bewundernd zu ihr auf.

»Also wissen Sie, das war jetzt kein guter Einstand«, stellte die Frau fest. Sie reichte Sam die Hand. »Ich bin Genevieve Haggar. Professionelle Gassigeherin und Hundetherapeutin.«

Bei dem Wort Hundetherapeutin lachte Heather unfroh auf.

»Ich wollte mich Ihnen kurz vorstellen für den Fall, dass Sie meine Dienste gebrauchen können.«

»Wohl kaum«, hörte Sam Heather sagen, bevor sie hinter dem Tresen abtauchte, vermutlich um Papiere aufzusammeln.

»Ja, gern, nur beginnt gleich meine Sprechstunde, und draußen wartet der erste Patient. Vielleicht haben Sie eine Karte?«, erklärte Sam.

»O ja, natürlich.« Genevieve Haggar zog eine Visitenkarte aus der Gesäßtasche ihrer Jeans, woraufhin die Hunde alle einen Schritt näher traten und enttäuscht die Körperspannung verloren, als sie erkannten, dass die Menschen lediglich Papier austauschten. »Hier, bitte. Ich halte mich derzeit auf dem Dorfanger auf. Vielleicht haben Sie Lust, mich mal zu besuchen.«

»Wohl kaum«, sagte Heather und ließ einen Stapel Patientenakten auf den Tresen fallen.

»Ja, mache ich gern«, sagte Sam.

»Tagsüber bin ich mit den Hunden unterwegs. Wissen Sie, die meisten Hundehalter sind ein wenig bequem und bewegen ihre Tiere zu selten.«

»Ich weiß.« Sam deutete auf Valentine. »Mrs Colombines Mops leidet unter Übergewicht, seit ich ihn kenne.«

»Valentine, ja, das ist ein süßer Mops. Er ist der Einzige, der bei mir wohnt, weil sein Frauchen auf Hochzeitsreise ist. Die anderen hole ich morgens ab und bringe sie abends ihren Besitzern zurück.« Genevieve Haggar beugte sich zu den Tieren hinunter. »So, und nun wollen wir üben, wie man über die Straße geht.«

»Gute Idee«, murmelte Heather.

»Dann bis später.« Sam ließ die Hundemeute mit ihrer Aufpasserin hinaus und nahm Mrs Chase den Korb mit Henry ab. »Tut mir leid, dass es etwas gedauert hat.« Aus dem Augenwinkel sah er, dass die Dogge Zeus ihr Bein am Fahrradständer hob, aber darüber wollte er sich jetzt nicht aufregen.

***

Penelope fuhr in ziemlich hohem Tempo die Mainroad entlang und bremste vor der Agentur des Golden Sunshine and Luxury Club abrupt ab. Es war fünf nach neun, und ihr Kunde war bereits da. Ein hochgewachsener, gut aussehender Mann mit frisiertem grauem Haar und dunklem Anzug. Er schob gerade den Jackettärmel hoch und warf einen Blick auf seine Armbanduhr.

Ja doch, ich bin zu spät, dachte Penelope. Aber in Anbetracht des Umstandes, dass praktisch vor meiner Haustür ein Mensch umgebracht wurde, der Boiler nur kaltes Wasser ausgespuckt hatte und sie wegen ihrer Kleidung Plan B hatte anwenden müssen, war sie in ihren Augen immer noch extrem früh dran. Und dann war da auch noch die Polizei, die ihr auf den Fersen war. Sie sprang aus dem Wagen, schlug die Fahrertür zu und ging mit dynamischen Schritten auf ihren Kunden zu.

»Mr Godfrey, verzeihen Sie meine kleine Unpünktlichkeit. Man sollte es nicht glauben, auf dem Dorf gibt es beinahe mehr Hindernisse als in der Großstadt.«

Mr Godfrey nahm diese fadenscheinige Entschuldigung mit einem Nicken zur Kenntnis.

Eines der erwähnten Hindernisse lauerte direkt hinter der Eingangstür zur Agentur. Mit der Tür schob Penelope den Berg Post beiseite, den Dorian am Samstagvormittag durch den Briefschlitz geworfen haben musste. Die schlechte mediale Erreichbarkeit hatte zur Folge, dass fast alle Nachrichten in Papierform hin- und hergeschickt werden mussten. Siehe Handyempfang nur auf dem Friedhof.

»Nehmen Sie Platz, ich hole uns eben ein Tässchen Kaffee«, sagte Penelope, während sie mit der Schuhspitze ihres Riemchenpumps von Stuart Weitzmann aus rotem Lackleder und mit Blockabsatz die Eingangspost unter den Heizkörper stupste. Wenig später saß sie Rupert Godfrey gegenüber und ignorierte die blinkende Anzeige ihres Anrufbeantworters.

»Schön«, sagte Penelope. »Haben Sie sich den Fragebogen einmal angesehen?«

Ihr Kunde griff in die Innentasche seines Jacketts und reichte ihr ein Blatt Papier. »Ich habe alles schon ausgefüllt.«

Sie warf einen Blick auf seine Antworten. Ja, las sie. Nein, las sie. Eventuell. Die Fragen dazu lauteten: Haben Sie bestimmte Vorstellungen, was für ein Mensch die Frau sein soll, die Sie suchen? Glauben Sie, dass Sie über Charaktereigenschaften einer Frau hinwegsehen können, die Ihnen nicht behagen? Kommt für Sie auch eine Fernbeziehung in Betracht?

»Mr Godfrey, ein bisschen ausführlicher brauche ich es schon. Können wir Ihre Antworten vielleicht noch ein wenig ergän …«

»Mrs St. James, ich habe wenig Zeit.«

»Das verstehe ich, Mr Godfrey, aber es geht doch um Ihre Zukunft, und dafür benö …«

Sie wurde unterbrochen, als die Türglocke einen Besucher ankündigte.

»Dorian, ich habe gerade Kundschaft«, erklärte Penelope, als der Briefträger hereinkam.

»Und ich habe ein Einschreiben.« Dorian kam näher und warf einen in Penelopes Augen leicht abschätzigen Blick auf ihren Kunden. »Im Übrigen müssen wir uns dringend unterhalten. Was da auf dem Dorfanger passiert ist, geht überhaupt nicht.« Er reichte Penelope das Einschreiben. »Ein Mord, Mrs St. James, wirklich! Das haben wir jetzt gerade hinter uns gelassen, und jetzt geht es schon wieder los.«

Penelope warf einen Blick auf Rupert Godfrey, der von Dorian zu Penelope und wieder zurück sah.

»Nun, es könnte auch ein Unfall gewesen sein, Dorian, und vielleicht sollten wir das spä …«

»Ein Unfall, bei dem sich das Opfer versehentlich den Kopf am Wagenheber einschlägt, und den findet man dann noch fünf Meter entfernt vom Bücherbus im Gras?« Dorian nahm den unterschriebenen Einschreibezettel entgegen. »Wohl kaum. Aber Sie haben recht. Wir müssen uns dringend unterhalten, denn bei dieser Sachlage müssen wir unbedingt die Reihenfolge einhalten. Von mir aus können Sie in diesem Mordfall ermitteln, aber die Sache mit dem Stickwettbewerb und der Führung durch den Park von Devonshire House bleibt auf keinen Fall liegen.«

Die Tür fiel hinter Dorian zu, und es herrschte einen Moment lang Stille in den Agenturräumen.

»Mr Godfrey, es nimmt wirklich nicht viel …«, begann Penelope.

Ihr Gegenüber unterbrach sie. »Sie soll auf keinen Fall so sein wie meine erste Frau.«

»Schön, das ist doch schon ein Anfang. Auf welche Eigenschaften legen Sie also Wert bei Ihrer zukünftigen Lebensgefährtin?«

»Monica hat den ganzen Tag am Pool gelegen, einen Cocktail nach dem anderen getrunken und den Hund vernachlässigt. Nur hin und wieder hat sie sich die Mühe gemacht aufzustehen, weil der Internetanschluss draußen nicht funktionierte. Wenn sie etwas im Internet bestellen wollte, musste sie sich schon ins Wohnzimmer bequemen.«

»Okay«, sagte Penelope gedehnt. Auf Anhieb konnte sie im Umkehrschluss keine Eigenschaften erkennen, die Rupert Godfrey an einer Frau mochte. »Sie soll sich also um den Hund kümmern.«

»Das braucht sie nicht mehr. Der ist tot.«

»Oh, das tut mir leid. Soll die Frau Ihres Herzens vielleicht ein Händchen fürs Heim haben? Oder lieber eine selbständige Persönlichkeit sein? Oder vielleicht beides?«

Rupert Godfrey sah sie fragend an. »Was meinen Sie?«, fragte er dann.

Nach ihrer ersten Einschätzung musste die Frau geduldig sein wie ein tibetischer Mönch, Nerven wie Drahtseile haben und ein dickes Fell wie Valentine, der Mops von Mrs Columbine.

»Ich denke, wir machen einen ersten Durchlauf durch meine Kartei. Vielleicht erhalten Sie dabei eine Anregung.«

Penelope drehte den Computerbildschirm zu ihrem Kunden herum und ließ ihn die Kartei ihrer weiblichen Kunden durchsehen. Währenddessen betrachtete sie das Einschreiben. Der Absender war eine Anwaltskanzlei aus London. Der Name Fairmont sagte ihr etwas, aber sie konnte ihn nicht zuordnen. Irgendwann vor langer Zeit war ihr der Name einmal untergekommen, doch noch klingelte es nicht bei ihr.

Rupert Godfrey riss sie aus ihren Gedanken. »Wie wäre es mit dieser hier?« Er deutete auf den Bildschirm.

»Nun, ich dachte eigentlich, dass Sie erst einmal die Eigenschaften der Damen durchsehen, um sich inspirieren zu lassen.« Penelope drehte den Bildschirm wieder in ihre Richtung. Ach du Schreck!, dachte sie. Ausgerechnet Mrs Blye. Sie war eine ausgesprochen schwierige Kundin, die schon mehrere Männer abgelehnt hatte. Wären es Tiere gewesen, hätten diese armen Wesen wieder ins Tierheim zurückkehren müssen, nachdem Mrs Blye mit ihnen fertig war.

»Aber Mrs Blye hat eine Katze«, erklärte Penelope lahm.

»Das macht nichts«, entgegnete Mr Godfrey. »Der Hund ist ja tot.«

***

Penelope hatte keine Zeit, sich ihrer Post und den eingegangenen Anrufen auf dem Anrufbeantworter zu widmen, denn kaum war Mr Godfrey gegangen, läutete die Türglocke erneut.

»Das ging ja schnell«, stellte Inspector Farnsworth fest. »Scheint ein einfacher Kunde gewesen zu sein.«

»Eher einer schwieriger.« Rupert Godfreys Mangel an Romantik und den Glauben an die Liebe würde sie mit den positiven Eigenschaften von Catherine Blye ergänzen müssen. Immerhin war sie eine begnadete Innenarchitektin, und Godfrey suchte ein Haus. Da ließ sich doch vielleicht etwas machen.

Der Inspector hatte ohne Aufforderung Platz genommen und betrachtete interessiert die leere Kaffeetasse, die Mr Godfrey zurückgelassen hatte.

Penelope nahm die Tasse. »Ich hole Ihnen frischen Kaffee.« So häufig wie der Inspector inzwischen Gast bei ihr war, könnte er sich auch gleich selbst bedienen.

Farnsworth bedankte sich, als Penelope ihm die Tasse hinstellte. »Nun, was haben Sie gesehen, Mrs St. James?«

»Nichts.«

Farnsworth gab ein wenig Zucker in seine Tasse, rührte um und legte den Teelöffel auf die Untertasse. »Und was war das genau, was Sie nicht gesehen haben?«

»Ich war gestern Abend bis etwa zehn Uhr drüben bei Dr. Bower. Und als ich nach Hause ging, habe ich auf dem Dorfanger keine Menschen gesehen. Im Bücherbus brannte eine kleine Lampe im Fenster. Das habe ich gesehen.«

Farnsworth nickte. »Von Ihrem Haus haben Sie einen direkten Blick auf den Dorfanger.«

»Wenn ich aus dem Fenster sehe, schon. Ich bin aber gleich schlafen gegangen.«

»Verstehe.« Der Inspector spielte ein wenig mit seinem Teelöffel herum. »Und brannte in einem der anderen Wagen Licht?«

»Im Vorzelt des Wahrsagers.«

Wieder nickte der Inspector, und Penelope spürte eine gewisse Ungeduld.

»Ich müsste dann auch mal weitermachen«, sagte sie.

»Waren Sie schon beim Wahrsager?«

»Nein, und ich habe es auch nicht vor. Meine Zukunft erlebe ich selbst, die muss ich mir nicht von einem Scharlatan vorhersagen lassen.«

»Der Wahrsager ist also ein Scharlatan?«

Mist! Penelope spielte mit ihrem Füllfederhalter. Diese verdammten Polizisten hatten eine ganz fiese Art, einem Dinge zu entlocken, die man gern für sich behalten würde.

»Na ja, wir wissen ja wohl beide, dass eine zuverlässige Vorhersage der Zukunft nicht möglich ist.«

»Oder halten Sie nichts von dem Mann, weil er sich zugleich mit dem Verkauf von Aktien eine goldene Nase verdient?«

»Tut er das?« Penelope versuchte, dem Blick des Polizisten standzuhalten, was ihr nicht gelang. Sie blinzelte als Erste.

»Mrs Ferguson hat Ihnen heute Morgen von den Bolivar-Aktien erzählt.«

»Dann sprechen Sie am besten mit ihr.«

»Habe ich schon.«

»Inspector Farnsworth, ich müsste jetzt wirklich weitermachen und versuchen, die Leute unter die Haube zu bringen. Ich kann Ihnen zu den Menschen auf dem Dorfanger nichts berichten.«

»Und Sie wissen nicht, warum die so plötzlich aufgetaucht sind?«

Penelope schüttelte den Kopf. »Nein. Sie waren plötzlich über Nacht da.«

In aller Ruhe leerte Farnsworth seine Kaffeetasse. »Dinge geschehen nicht plötzlich ohne Grund. Meist gibt es einen Anlass. Was ist denn in der letzten Zeit in Shaftesbury geschehen?«

»In Shaftesbury geschieht nichts.«

»Überhaupt nichts?«

»Sagen Sie mir doch, wer Ihnen was erzählt hat, dann sparen wir uns Zeit.«

»Leider hat mir niemand etwas erzählt. Ich bin auf Ihre Mithilfe angewiesen. Und wir wissen beide, dass sich die Dinge in Shaftesbury immer um Sie herum ereignen. Es gibt keine Angelegenheit, in die Sie nicht involviert sind oder die Sie nicht aufgeklärt hätten. Also?«

»Mrs Ogilvie ist letzte Woche verstorben. Aber von ihr eine Verbindung zu diesem seltsamen Jahrmarkt auf dem Dorfanger herzustellen, überlasse ich der Polizei.«

»Gut.« Farnsworth schob seine Tasse von sich. »Danke für den Kaffee und für Ihre Zeit. Wenn Ihnen etwas einfällt, sagen Sie mir Bescheid. Wir sollten auch in dieser Angelegenheit zusammenarbeiten. So wie in der Vergangenheit.« Der Polizist ging zur Tür und hielt kurz inne. Dann bückte er sich und holte die Eingangspost unter dem Heizkörper hervor und legte sie Penelope auf den Tisch. »Sieht so aus, als würde hier wirklich in allen Ecken Arbeit lauern.«

***

Als Mrs Connolly endlich als Letzte die Vormittagssprechstunde verließ, war Sam erleichtert. Schnell drehte er den Schlüssel im Türschloss herum, bevor noch ein Nachzügler die Praxis enterte, um entweder eine Neuigkeit über das Geschehen auf dem Dorfanger loszuwerden oder mehr zu erfahren. Mrs Connollys Kater Gavin hatte jedenfalls keinen einzigen Floh gehabt, auch wenn die alte Dame das steif und fest behauptet hatte und sie gemeinsam eine halbe Stunde lang Gavins Fell danach abgesucht hatten. Und währenddessen hatte Mrs Connollys Mund nicht eine Sekunde stillgestanden. Sie war jede einzelne Person durchgegangen, die sich seit Neuestem auf dem Dorfanger herumtrieb, hatte sich über deren Geschäft ausgelassen und konnte aufzählen, wer die einzelnen Buden besucht hatte. Sam schwirrte der Kopf.

Heather warf ihm einen Blick zu. »Ich könnte ein Schild über dem Eingang anbringen: Hier werden nicht nur Ihre Tiere behandelt.« Sie zog die Schreibtischschublade auf und nahm ihre Handtasche heraus. »Vielleicht machen wir es etwas größer und schreiben noch dazu, dass die Leute auch kommen können, wenn ihre Tiere gesund sind.« Sie schob die Schublade zu und nahm ihre Jacke vom Haken. »Oder sie gar keine haben. Und ich brauche jetzt eine Pause.«

Sam nickte. »Bis später.« Er sah auf die Uhr. Er musste ganz dringend zu Penelope hinübergehen. Seit heute Morgen, als ihm der Schreck in die Glieder gefahren war, weil eine Frau auf dem Dorfanger umgebracht worden war, machte er sich Sorgen um sie. Er pfiff nach den Hunden und verließ die Praxis. Der große Schriftzug aus Leuchtstoffröhren über Penelopes Agentur Golden Sunshine and Luxury Club leuchtete nicht. Das war kein gutes Zeichen. Im besten Fall war Penelope im Stress und hatte vergessen, die Beleuchtung anzuschalten, im schlechtesten Fall machte sie sich wieder daran, alleine den Mörder zu finden. Aber vielleicht stimmte diese Geschichte, die Mrs Connolly erzählt hatte, gar nicht, und diese Mrs Black aus dem Bücherbus war nicht von einer zwei Pfund schweren Bibel mit Goldschnitt erschlagen worden. Als Sam die Tür zur Agentur aufschob und die Türglocke läutete, sah Penelope auf. Ihr Blick wirkte etwas verwirrt. In der linken Hand hielt sie einen Briefumschlag, in der rechten einen Bogen Papier.

»Hallo, Penelope, geht es dir gut?« Er gab den beiden Hunden ein Zeichen, die sich auf die Matte vor der Eingangstür legten.

»Keine Ahnung.« Penelope faltete das Blatt und steckte es in den Briefumschlag. »Eben war Inspector Farnsworth hier, und er ist offenbar der Meinung, dass ich etwas weiß. Aber ich weiß überhaupt nicht, worüber ich etwas wissen sollte.«

Sam setzte sich. »Vermutlich geht es um die Frau aus dem Bücherbus, die von der Bibel erschlagen wurde.«

»Bibel? Nicht vom Wagenheber?«

»Welchem Wagenheber?«

Penelope stand auf. »Ich habe das Gefühl, dass wir mal einen Blick auf den Dorfanger werfen sollten. Einfach um uns ein eigenes Bild zu machen.«

Sam grinste sie über den Tisch hinweg an. »Wir ermitteln ein bisschen?«

»Was heißt schon ermitteln? Wir halten einfach die Augen offen.«

Hand in Hand wandelten sie die Main Road entlang in Richtung Dorfanger. Die Hunde liefen ihnen voraus, mit der Nase auf dem Boden. Sam hätte zu gern gewusst, was das für ein Brief gewesen war, den Penelope erhalten hatte. Aber sie hatte den Brief zurück in den Umschlag gesteckt und auf einen gewaltigen Stapel Post gelegt. Überhaupt war sie erstaunlich schweigsam, doch Sam genoss es einfach, sich in Shaftesbury mit ihr zeigen zu können, ohne dass das Getuschel losging. Über dieses Stadium des Bekanntheitsgrads waren sie schon hinaus. Als sie sich dem Dorfanger näherten, erblickte Sam eine recht große Menschenansammlung. Shaftesbury war schließlich nicht London und die Einwohnerzahl begrenzt. Außerdem war jetzt Mittagszeit, also eine Zeit, in der der durchschnittliche Bewohner Shaftesburys eine Mahlzeit zu sich nahm. Die Leute hatten sich offenbar um zwei Männer versammelt, von denen einer aussah wie der Graf aus einem Kinderbuch. Er trug einen mit Mondsicheln und Sternen bedruckten Umhang, der Sam an Lillys Babydecke erinnerte, und eine Kopfbedeckung aus weinrotem Samt. Es war ein Mittelding zwischen einer Zipfelmütze und einem Wichtelhut. Dem Zauberer gegenüber stand Martin, der Tierliebhaber des Dorfes. Gerade erhob er seine Faust und wollte sie offenbar auf den Kopf seines Widersachers herunterkrachen lassen, was aus dem Hut eine flache Kappe gemacht hätte.

»Hey, Martin, was ist denn los?«, rief Sam den Hünen mit der Faust an.

»Ah, Doctor, Sie kommen gerade recht.« Martin ließ die Hand sinken. »Dieser verwunschene Prinz hier behauptet, auf dem Dorfanger gibt es keine Tiere. Dabei finden sich hier jeden Abend die Füchse ein.«

»Füchse?«, quiekte Penelope neben Sam, und er drückte ihre Hand ein bisschen in der Hoffnung, dass sie das beruhigte.

»Also, wenn das, was ich gesehen habe, ein Fuchs war, bin ich die Prinzessin Lillifee«, verkündete Edith Ferguson und zog den Reißverschluss ihrer Tasche auf. »Höchstens ein Fuchs mit Übergewicht«, sagte sie, bevor sie mit dem Oberkörper in ihrer Tasche verschwand, um darin offenbar nach etwas zu suchen.

»Füchse!«, wiederholte Martin mit ungewohnter Vehemenz. »Außerdem wächst hier das rote Liebesgras, und das ist sehr selten.«

»Wohl eher seltsam«, murmelte Penelope.

»Na ja, Martin.« Sam wiegte den Kopf. »Der Dorfanger ist jetzt nicht in dem Sinne ein seltenes Biotop. Immerhin stellen wir hier jedes Jahr den Weihnachtsbaum auf.«

Martins Gegenüber, der die Unterhaltung eine Weile verfolgt hatte, zog seinen Umhang mit der rechten Hand über der linken Schulter fest und hielt den Unterarm dabei vor sein Gesicht. Jetzt sah er ein bisschen aus wie ein Zorro im Kinderzimmer. Vermutlich war er froh über die Ablenkung, denn er wich einige Schritte vor Martin zurück.

»Und der Rasen wird sich schon wieder erholen«, fuhr Sam fort. Er wandte sich an den Zauberzorro. »Wie lange werden Sie denn hierbleiben?«

Mit der freien Hand zog sich der Mann die Mütze tiefer in die Stirn. »Das wissen nur die Sterne.« Dann wandte er sich abrupt um, was seinen Umhang auffliegen ließ, und verschwand in Richtung des Wahrsagerzelts.

Diese Leute hatten offenbar alle einen kleinen Knacks weg, dachte Sam. Er sah zu Penelope, die ihre Hand aus seiner gezogen hatte und dem selbst ernannten Wahrsager hinterhersah. Edith Ferguson hatte in den Tiefen ihrer Tasche ihren Flachmann wiedergefunden und setzte ihn an die Lippen.

»Die Räder der Wagen graben sich in den Boden«, erklärte Martin. »Und dieser komische Kerl mit dem Hut hat, als er einen Hering für sein Vorzelt in die Erde gebohrt hat, eine Hauswinkelspinne aufgespießt.« Er griff in die Tasche seiner Latzhose und holte etwas heraus, das sich auf seiner Handfläche nicht mehr als Spinne erkennen ließ.

Penelope quiekte wieder und versteckte sich hinter Sam.

»Gut, wir können alle, die ihren Wagen hier aufstellen, nur darum bitten, den Dorfanger ordentlich zu hinterlassen und möglichst wenig Schaden anzurichten. Ich denke ohnehin, dass der Mord, der hier geschehen ist, alle anderen Bedenken in den Hintergrund treten lassen sollte«, erklärte Sam.

»Sag ich doch!« Martin hob das Gekräusel auf seiner Handfläche an dem einzigen unversehrten Spinnenbein in die Höhe. »Das war eiskalter Mord.«

»Ich meinte eigentlich den Mord an der Dame aus dem Bücherbus, Martin.«

»Möchte jemand eine Thymianwurst?«, dröhnte eine Bassstimme über den Platz, und alle drehten die Köpfe.

Der Verkaufswagen mit dem Schild Tom’s Spezialitäten hatte seine Klappe geöffnet, und ein leckerer Duft nach gebratener Wurst und Kräutern waberte über die Köpfe der Anwesenden hinweg.