Der Mordclub von Shaftesbury – Eine Tote bleibt selten allein - Emily Winston - E-Book
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Der Mordclub von Shaftesbury – Eine Tote bleibt selten allein E-Book

Emily Winston

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Beschreibung

Willkommen in Shaftesbury.

Penelope St. James zieht aus London in den kleinen Ort Shaftesbury, um dort eine Partnervermittlungsagentur zu eröffnen. Der Anfang ist schwierig, denn Handyempfang gibt es nur auf dem Friedhof, und ihr neuer Nachbar Sam ist ausgerechnet Tierarzt – mit Tieren kann Penelope nun wirklich nichts anfangen. Als sie mitansehen muss, wie eine Frau überfahren wird, ist sie misstrauisch, denn sie glaubt nicht an einen Unfall. Zusammen mit Sam und den Dorfbewohnern stößt sie auf ein düsteres Geheimnis – das weitere Opfer fordern wird, wenn Penelope nicht schnell den Mörder findet ... 

Oh, so very British: ein charmanter Krimi voller England-Flair mit einer Ermittlerin, die alle Herzen schneller schlagen lässt.

 

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Über das Buch

Penelope will in Shaftesbury eine Partnervermittlungsagentur eröffnen, sehr zum Erstaunen der Dorfbewohner, die der Überzeugung sind, dass es sich dabei um eine Tarnung handeln muss und Penelope eigentlich Privatdetektivin ist. Gleich am ersten Tag gerät sie zudem mit Sam aneinander, Tierarzt und alleinerziehender Vater der neugierigen kleinen Lilly. Als Penelope beobachtet, wie eine Frau überfahren wird, will sie Shaftesbury am liebsten wieder verlassen. Doch sie muss sich eingestehen, dass ihr die Dorfbewohner ans Herz gewachsen sind – und dass doch mehr Detektivin in ihr steckt, als sie dachte.

Über Emily Winston

Emily Winston ist das Pseudonym von Angela Lautenschläger. Sie arbeitet seit Jahren als Nachlasspflegerin und erlebt in ihrem Berufsalltag mehr spannende Fälle, als sie in Büchern verarbeiten kann. Ihre Freizeit widmet sie voll und ganz dem Krimilesen, dem Schreiben und dem Reisen. Besonders die britische Lebensart und der englische Humor haben es ihr angetan. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Katzen in Hamburg.

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Emily Winston

Der Mordclub von Shaftesbury – Eine Tote bleibt selten allein

Kriminalroman

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

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Prolog

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Dienstag

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Sonntag

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Impressum

Wer von diesem Krimi begeistert ist, liest auch ...

Prolog

Sie beendete die Eintragung in ihrem Heft und schraubte den Füllfederhalter zu. So vielen Menschen hatte sie auf diese Welt geholfen, und jede Geburt vermerkte sie sorgfältig in ihrer Kladde. Ebenso wie die Namen der Mutter, des Vaters, soweit er bekannt war, und die Umstände der Geburt. Es war ihre Chronik von Shaftesbury. Sie zog die Häkelstola vor der Brust zusammen und erhob sich. Jetzt kam der schwierige Teil. Ächzend bückte sie sich und hob die lose Bodendiele an, um das Heft darunter zu verstauen. Die Stola legte sie aufs Bett und schlüpfte unter die warme Bettdecke. Sie schlief sofort ein und hörte nicht, wie jemand die Eingangstür aufhebelte und leise das Haus betrat.

Mittwoch

Penelope St. James hasste alles, was ein Fell oder Gefieder trug. Sie liebte Designerkleidung, nannte eine Handtaschensammlung von Louis Vuitton ihr Eigen und war schnell gelangweilt von Gesprächen über das Wetter, das politische Tagesgeschehen und die jüngste Rosenzüchtung. Sie brauchte die Luft im Innern einer Boutique zum Atmen und den Krach von Londons Straßen, um sich lebendig zu fühlen. Und sie war ehrgeizig. Sehr ehrgeizig. Nur aus diesem einzigen Grund befand sie sich jetzt hier. In einer Tausend-Seelen-Gemeinde im Nirgendwo. In Shaftesbury.

Penelope lehnte die Stirn gegen die kühle Fensterscheibe. Auf der Herfahrt hatte sie eine alte Dame nach dem Weg zu ihrem neuen Zuhause gefragt. Die alte Dame hatte mit ihrem Stock irgendwohin gedeutet und gesagt: »Hinter dem Dorfanger links.« Penelope hatte erst mal auf ihrem Smartphone nachsehen müssen, was ein verdammter Anger war. Aber natürlich hatte sie kein Netz gehabt und schließlich noch einen Bauern auf seinem Trecker und eine Gruppe kickender Jungs fragen müssen. Inzwischen wusste sie, dass »Anger« das Synonym für das »Ende der Welt« war – wenn nicht gar für das »Ende des Lebens« –, auch wenn das Wörterbuch meinte, es handele sich um einen grasbewachsenen Dorfplatz.

Sie trank einen Schluck Kaffee. Seit geschlagenen fünf Minuten sah sie schon aus dem Fenster und hatte keine Menschenseele gesehen. Nur eine Katze war langsam über den Anger geschlendert.

Penelope schloss für einen Augenblick die Augen. Vielleicht war es falsch gewesen herzukommen. Nicht vielleicht, bestimmt! Was zum Teufel sollte sie hier? Wie sollte sie hier jemals erfolgreich sein? Sie stellte sich Jeremy vor, der jetzt in seinem Büro in London saß und sich ins Fäustchen lachte, weil sie ihm auf den Leim gegangen war. »Was?«, würde er lachend fragen, wenn sie wutentbrannt in sein Büro stürmte. »Das war ein Witz, Penny! Ich hätte nie gedacht, dass du darauf hereinfällst und dich in diesem Kaff einmotten lässt.« Und dann würde er wieder ernst werden und sagen: »Aber eines ist dir doch wohl klar: Wenn du dich so leicht hinters Licht führen lässt, bist du als mein Kompagnon nicht geeignet.« Und das war es, was sie wollte: Partnerin des »Golden Sunshine und Luxury Club« werden, der exklusivsten Partnervermittlungsagentur Englands. Der Ansammlung von Luxus, Geld und Macht, von Earls, Unternehmensbossen und gut aussehenden Menschen. Der Crème de la Crème. Als sie Jeremy nach seinen Plänen gefragt hatte, hatte er nur milde gelächelt und gesagt: »Penny, Schätzchen, London ist abgegrast. Wir tauschen die Leute hier doch nur noch durch. Jeder war schon mal mit jedem verheiratet. Nein, wir müssen raus aufs Land. Dort leben die Reichen und Gebildeten einsam und allein in ihren riesigen Herrenhäusern und warten darauf, dass wir ihnen eine schöne Frau vermitteln.« Sie hatte entgegnet, dass in Shaftesbury nur eine Handvoll Menschen lebe. »Eine Handvoll, aber mit den höchsten Einkünften und den größten Vermögen«, war Jeremys Antwort gewesen. »Wir müssen raus aufs Land, zurück zur Natur, direkt zu den Menschen. Die Zeiten, in denen sich alles nur noch im Netz abspielt, sind vorbei. Die Leute begreifen allmählich, dass sie einander brauchen, dass eine Berührung, ein Blick viel wichtiger sind als mindestens drei Balken auf dem Smartphone.

Penelope schnaubte. Von drei Balken konnte man hier nur träumen. Auf dem Friedhof neben der Kirche kriegte man mit viel Glück einen Balken, allerdings auch nur, wenn man das Handy hoch über den Kopf hielt. Aber wie zum Teufel sollte sie so in ein Handy sprechen?

Seufzend wandte sie sich vom Fenster ab und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Die Agentur hatte dieses Cottage von einer Erbengemeinschaft gemietet. Eine alte Dame hatte hier das Zeitliche gesegnet, und genau so sah es auch aus. Vermutlich war ihr Tod jahrelang unentdeckt geblieben, und sie war zu Asche zerfallen, die sich als Staub auf das Mobiliar, den Kaminsims und die Bücher gelegt hatte. Penelope schüttelte sich bei dem Gedanken. Auf der Herfahrt war sie durch die sogenannte Main Road gekommen und hatte dort aus dem Augenwinkel einen Kramladen gesehen. Die hatten hoffentlich Putzmittel und einen anständigen Wischmopp. Zuerst musste sie sich aber der Einrichtung der Agentur widmen. Penelope schlüpfte in ihr dunkelblaues Kostüm, die blauen Pumps und verließ eine halbe Stunde später das Haus.

Mit ihrem Mini umrundete sie den Dorfanger, bog nach rechts ab, ließ die Kirche links liegen und landete in der Shaftesbury Lane. Hier einen Parkplatz zu finden, war nicht besonders schwer. Ganze drei Wagen parkten am Straßenrand. Ein grüner Landrover, ein roter Sportwagen und ein schwarzer Porsche Cayenne. Kein Trecker, kein zerbeulter Kleinwagen. Vielleicht hatte Jeremy recht, und hier lebten ausschließlich reiche Leute. Auf alle Fälle würde sie das als Erstes überprüfen, ehe sie sich die Mühe machte, den ehemaligen Zeitungsladen von Mrs Middlecroft in eine Partneragentur zu verwandeln.

Die Agenturräume befanden sich in einem roten Backsteingebäude, das Schaufenster war mit blauschwarz gestrichenen Säulen eingefasst. Nachdem sie ausgestiegen war, betrachtete sie die Fassade und stellte sich das beleuchtete Schild vor, das sie bestellt hatte. In goldenen Lettern würde dort Golden Sunshine und Luxury Club stehen.

Ein junger Mann kam vorüber, an der Leine führte er einen riesigen Hund. Das zottelige Tier blieb vor der Tür zur Agentur unvermittelt stehen, ließ sich nieder und machte einen riesigen Haufen. Penelope öffnete den Mund, um den Hundeführer aufzufordern, die Hinterlassenschaft zu beseitigen, aber ehe sie auch nur einen Ton sagen konnte, trat der Mann samt Hund durch die Tür zur Tierarztpraxis nebenan. Das war unglaublich! Neben der funktechnischen Abgeschiedenheit war ihr die direkte Nachbarschaft zu der Tierarztpraxis ohnehin ein Dorn im Auge. Eine Tierarztpraxis bedeutete Tiere und – wie sie vor einer Minute gesehen hatte – auch Hundehaufen. Auf keinen Fall würde sie diese Respektlosigkeit hinnehmen, damit sich solche Unsitten gar nicht erst manifestieren konnten.

Mit großen Schritten ging sie zur Praxis hinüber, an der ein Schild hing. Dr. Samuel Bower. Wütend riss sie die Tür auf und fand sich in einem gefliesten Vorraum wieder, in dem auf den Stühlen entlang der Wände die Hälfte der Einwohner von Shaftesbury saß. Auf dem Schoß und zu ihren Füßen jeweils ein Tier von gefühlt jeder Gattung. War das hier der Vorhof zur Arche Noah? Sie ließ den Blick über die Leute schweifen, aber der junge Mann mit dem Hund war nicht darunter. Penelope ging zum Empfangstresen hinüber.

»Entschuldigen Sie, ich bin Penelope St. James, Ihre neue Nachbarin«, erklärte sie der jungen blonden Frau. »Einer Ihrer Patienten hat eben vor meine Tür gekackt.«

»Einen Augenblick«, erwiderte die Frau, ohne von ihrem Bildschirm aufzusehen.

»Hören Sie, ich suche nur den jungen Mann, der hier eben hereingekommen ist. Wo finde ich ihn?«

»Moment, ich bin gleich für Sie da.«

Penelope atmete ein, um sich für einen längeren Vortrag zu wappnen. Hinter ihr öffnete sich die Tür, und eine kleine alte Lady trat neben Penelope an den Tresen.

Die Sprechstundenhilfe sah hoch. »Ah, Mrs Gladstone.« Sie sprang auf und beugte sich über den Tresen, um die alte Frau zu umarmen. »Es tut mir so leid. Wirklich. Geoffrey war so ein Lieber …«

»Danke, das ist nett, dass Sie das sagen«, erwiderte Mrs Gladstone.

Penelope räusperte sich. »Mir tut es auch leid um Ihren Mann.«

Mrs Gladstone löste sich aus der Umarmung und wandte sich Penelope zu. »Mein Mann? Der ist seit fünfzehn Jahren tot.«

»Ach so. Ich dachte, Geoffrey …«

»Geoffrey war Mrs Gladstones Main Coone Kater«, erklärte die Sprechstundenhilfe. »Ein wunderschönes Tier, das schon eine Menge Preise eingeheimst hat.«

Penelope nickte. Ein Kater. Natürlich. Hier war es offenbar völlig normal, dass man wegen eines toten Tieres aus dem Häuschen geriet.

»Verstehe«, sagte sie. »Um noch mal auf den jungen Mann zurückzukommen …«

»Das ist wirklich schlimm«, sagte die Sprechstundenhilfe zu Mrs Gladstone, ohne Penelope zu beachten.

»Ach, na ja, er war eben alt, aber er war das Einzige, was ich noch hatte. Jetzt liegt er unter der alten Eiche im Garten. Neben meiner Bella.« Mrs Gladstone seufzte. »Jetzt gibt es nichts mehr, wofür es sich zu leben lohnt.«

»Sagen Sie doch so etwas nicht! Wir finden bestimmt eine andere Katze, die zu Ihnen passt.«

Die Lady schüttelte den Kopf. »Nein, meine Liebe. In meinem Alter schafft man sich kein Tier mehr an. Deshalb bin ich auch hier. Ich habe draußen im Wagen noch Futter, Näpfe und Spielzeug. Vielleicht gibt es jemanden, der die Sachen gebrauchen kann.«

»Das ist eine ganz reizende Idee.« Die junge Frau kam hinter dem Tresen hervor. »Ich helfe Ihnen, die Sachen reinzutragen.«

Fassungslos sah Penelope zu, wie die junge Frau den Arm um die schmalen Schultern der Alten legte und mit ihr die Praxis verließ. Unglaublich. Penelope sah sich um. Irgendwohin musste dieser Kerl mit dem kackenden Hund ja verschwunden sein. Neben dem Tresen gab es nur einen Gang, der in die hinteren Räume der Praxis führte. Entschlossen ging sie darauf zu und riss die erstbeste Tür auf. Die sollten sie hier gleich mal kennenlernen! Sie würde sich diese Behandlung nicht gefallen lassen.

***

Sam legte das blaue OP‑Tuch mit der Öffnung über die rasierte, zarte Bauchhaut und nahm ein Skalpell zur Hand. Vorsichtig schnitt er die dünne Haut ein. Auf keinen Fall durfte er zu tief einschneiden. Die Hautschichten am Bauch der Ratte waren nur sehr dünn, und er wollte keine Organe verletzen. Er beendete eben den Schnitt, als die Tür zum OP‑Raum aufgerissen wurde und eine blaugewandete Furie hereinstürmte. Erschrocken zog er die Hand zurück. Er hätte das arme Tier vor Schreck beinahe erstochen.

»Ah, hier bin ich offenbar richtig. Sind Sie Dr Bower? Ich suche diesen Ker…«

Die Frau blieb abrupt stehen. Ihr Blick fiel auf das Skalpell, auf das Tier auf dem OP‑Tisch, dann sah sie ihn an und sank zu Boden.

»Ups«, sagte das kleine Mädchen, das ihm assistierte. »Was war das denn?«

Sam unterdrückte ein Fluchen. Die Hände in OP‑Handschuhen, vor sich eine narkotisierte Ratte mit geöffneter Bauchdecke, war er so gut wie handlungsunfähig.

»Heather!«, brüllte er. Und als seine Sprechstundenhilfe nicht hereinkam, noch einmal: »Heather!«

Das Mädchen sah ihn aus großen Augen an. »Soll ich?«

Er machte eine Bewegung mit dem Kinn in Richtung der am Boden liegenden Frau. »Guck mal, ob du Blut siehst, Lilly.«

Lilly kniete sich neben den Kopf der Frau und betrachtete sie. Dann zog sie die Augenlider hoch und legte ihre Finger auf den Puls der Frau. In Augenblicken wie diesen war er unheimlich stolz auf seine Tochter. Ein kleines Mädchen von acht Jahren, das erste Hilfe leisten konnte. Mit einem Auge behielt er den Monitor im Blick, der die Vitalfunktionen der Ratte überwachte. »Und?«, fragte er.

»Sieht okay aus. Ihr Puls ist auch in Ordnung.«

»Leg ihr eine Decke unter den Kopf und deck sie mit einer anderen zu.«

Lilly stieg über die Frau. »Komisch. Dabei ist nicht mal Blut zu sehen«, stellte sie fest, während sie die Anweisungen ihres Vaters befolgte.

»Und jetzt komm erst mal her«, sagte Sam. »Die Ratte kann nicht ewig in Narkose bleiben. Die Frau wird gleich wieder zu sich kommen.«

Vorsichtig zog er die Ränder der Bauchöffnung auseinander. Mit einer Pinzette holte er vorsichtig die Eileiter heraus, dann nahm er ein Stück Garn und legte es um einen von ihnen.

»Warum schneidest du es nicht mit der Schere durch?«, fragte Lilly.

»Wenn ich es auf diese Weise durchtrenne, blutet es weniger.« Sam legte auch bei dem zweiten Eileiter einen Garnfaden an. Anschließend nähte er den Bauchschnitt wieder zu. Lilly sah ihm aufmerksam zu, während sie mit einem Auge die Narkosemaske im Blick behielt. Kleintiermasken waren für Ratten zu groß, weshalb er einen Gummihandschuh über die Öffnung gezogen und die gespannte Fläche kreuzförmig eingeschnitten hatte. Der Kopf der Ratte steckte in diesem Loch, und es konnte kein Narkosegas entweichen. Seine Tochter war schon ein ziemlicher Anästhesieprofi. Natürlich hatte auch Sam den Überwachungsbildschirm im Auge, aber Lilly war inzwischen schon so weit, dass sie Abweichungen schnell erkannte und Alarm schlug. Und in Notfällen stand Heather vom Empfang zur Verfügung. Meistens jedenfalls.

Sam nahm das OP‑Tuch ab, Lilly zog den Kopf der Ratte aus der Maske. Die ganze Operation hatte keine fünfzehn Minuten gedauert.

»Warum musste sie überhaupt kastriert werden?«, fragte Lilly.

»Weil Ratten zu hormonell bedingten Tumoren neigen. Rose hatte schon mal eine Geschwulst, und ihre Besitzerin will weitere Tumore vermeiden.«

Lilly nahm das noch narkotisierte Tier vorsichtig auf und hielt es in ihren kleinen Händen. »Sie ist süß. Kann ich auch eine Ratte?«

Sam antwortete gar nicht auf diese Frage. Jedes Tier, dem Lilly begegnete, löste in seiner Tochter diesen Reflex aus. Wenn es nach ihr ginge, hätten sie bereits einen Zoo.

»Du überwachst den Aufwachvorgang, und ich befasse mich mit unserem bewusstlosen Eindringling.«

Sam zog das Tuch vom Kopf, das er sich in Piratenmanier umgebunden hatte, so dass seine braunen, von einzelnen grauen Strähnen durchzogenen Haare zum Vorschein kamen. Er beugte sich zu der Frau hinunter, die auf dem Steinboden lag. Plötzlich machte er sich Sorgen, weil sie nicht gleich aus ihrer Ohnmacht aufgewacht war. Hoffentlich hatte sie sich nicht am Kopf verletzt. Er kniete sich neben sie und schob eine Hand unter ihren Hinterkopf. Eine Verletzung oder eine Beule konnte er nicht ertasten. Sie war eine hübsche junge Frau. Ihr schmales Gesicht war von braunen Locken umgeben. Sie hatte lange Wimpern, der Mund war blutrot geschminkt. In ihrer eleganten Aufmachung passte sie in seine Praxis wie ein Diamant in einen Kuhstall. Sam erschrak, als sie plötzlich die Augen aufschlug und ihn ansah.

»Hi«, sagte er erleichtert. »Keine Sorge. Ich bin Arzt, Sie sind nur in Ohnmacht gefallen.« Sie blinzelte ein paarmal und machte dann Anstalten aufzustehen. Sam fasste ihren Ellenbogen und half ihr. Sie griff sich an die Stirn.

»Ich bin ein bisschen durcheinander«, sagte sie. »Irgendwie bin ich hergekommen, weil ein Hund vor meine Tür gemacht hat, und ab dann habe ich einen Filmriss.«

»Hm«, machte Sam. Offenbar war sie tatsächlich noch ein wenig durcheinander. »Ihre Pupillen sind nicht erweitert. Ich denke nicht, dass Sie eine Kopfverletzung haben, aber vorsichtshalber sollten Sie sich erst mal setzen.«

»Daddy«, rief Lilly. Sie kam zu ihnen und hielt ihm die Ratte hin. »Sie wacht auf! Guck mal, sie sieht noch ganz verschlafen aus. Ist sie nicht niedlich?«

»Ja, sehr schön«, sagte Sam.

»Oh Gott«, sagte die Frau. »Ist das eine Ratte?«

»Ja, sie ist toll, oder?«

Die Frau schien Lillys Begeisterung nicht zu teilen. Sam spürte einen Zug an seiner Hand, mit der er ihren Ellenbogen hielt. Schnell packte er zu, um zu verhindern, dass sie erneut umkippte.

»Hier.« Sam reichte der Frau einen Becher Tee. Er hatte sie auf das Sofa im Aufenthaltsraum gelegt. Sie war noch immer blass und schwach auf den Beinen. Er half ihr, sich aufzusetzen, dann umfasste sie den Becher mit beiden Händen.

»Also, es tut mir jetzt wirklich leid, dass ich hier so ein Theater gemacht habe.«

»Wegen Hundekacke«, fasste Lilly, die auf dem Drehstuhl vor dem PC saß, kurz zusammen.

Ein kurzes Lächeln erhellte das Gesicht der Frau. »Richtig.« Sie trank einen Schluck Tee. »Warum machen Menschen so etwas?«

»Was? Ihre Hunde vor anderer Leute Tür ihr Geschäft verrichten lassen oder Ratten halten?« Sam zog sich einen Stuhl heran. »Ratten sind sehr gut als Haustier geeignet. Handzahm und freundlich.«

»Ich dachte eher, warum sie ihnen Namen geben.«

»Na, weil sie Familienmitglieder sind. Sie sagen ja auch nicht zu Ihrem Mann: Mann, komm her!« Sam grinste. »Oder doch?«

Lilly kicherte.

Die Frau nahm einen weiteren Schluck Tee. »Aber Rose?«, entgegnete sie mit schwacher Stimme.

Sam zuckte mit den Schultern. »Ein Name wie jeder andere.«

Die Tür zum Aufenthaltsraum wurde geöffnet, und Heather sah herein. »Entwarnung.«

»Danke, Heather. Ich mache gleich weiter.« Sam wandte sich der Frau zu. »Also, der Hundehaufen ist weg. Bill hatte es ein wenig eilig, weil er mit Sir Henry nicht zu spät zu dessen Reha-Termin kommen wollte.«

Heather hatte die Tür nicht wieder geschlossen, und der Golden Retriever Boss nutzte die Gelegenheit, um sein Herrchen zu begrüßen. Er war ausgesetzt worden, und Sam hatte ihn vor einigen Jahren aufgenommen. Wie er praktisch jedem zweiten Tier ein neues Zuhause gewährte, um zu verhindern, dass es auf der Straße leben oder ein trauriges Dasein im Tierheim fristen musste. Schwanzwedelnd ließ der Hund sich von Sam den Kopf kraulen, ehe er sich Penelope zuwandte. Wie es seine Art war, leckte er ihr zur Begrüßung freundlich den Handrücken ab.

»Ah.« Sie zog hektisch die Hand zurück. Sam schob den Hund ein wenig beiseite.

»Sir Henry ist vermutlich dieses zottelige Ungetüm, das … das …«

»Das vor deine Tür gekackt hat.« Lilly war nie um Worte verlegen.

»Genau, das ist Henry.« Sam legte der Frau eine Hand auf das Knie und zog sie gleich wieder zurück. Eine unpassende Geste. »Hören Sie, ich muss weitermachen, Mrs …«

»O, Entschuldigung. Ich habe mich gar nicht vorgestellt. Penelope St. James. Und natürlich müssen Sie weitermachen.« Sie sah sich nach einer Abstellfläche für ihren Teebecher um. »Ich werde jetzt gehen.«

»Nein, bleiben Sie noch einen Augenblick. Immerhin waren Sie bewusstlos. Trinken Sie Ihren Tee, und legen Sie Ihre Beine noch eine Weile hoch, damit Ihr Kreislauf wieder in Schwung kommt. Lilly wird Ihnen Gesellschaft leisten.«

»Vielen Dank, Dr. Bower.«

»Gern geschehen.« Sam verließ den Raum.

Lilly hopste vom Drehstuhl. »Willst du vielleicht die Ratte noch mal sehen?«

»Äh, ehrlich gesagt nicht so gern. Ich glaube, ich bleibe einfach noch eine Weile hier sitzen.«

Penelope sah sich in dem Raum um. Es war eine leicht chaotische Mischung zwischen einem Büro- und einem Aufenthaltsraum. An einer Pinnwand hingen Fotos von allen möglichen Tieren und Menschen. Vermutlich Patienten und ihren Besitzern. Auf dem Schreibtisch lagen Papierstapel, ungeöffnete Briefumschläge und Behandlungsinstrumente. Eine Zange und eine ziemlich große Pinzette. Der Hund lag zu Penelopes Füßen, hechelte und ließ sie keinen Augenblick aus den Augen.

»Boss passt auf dich auf«, stellte Lilly fest.

»Das ist wirklich sehr nett.« Penelope zog ihre Füße ein wenig dichter zum Sofa heran. Auf ihrem Rock bemerkte sie bereits cremefarbene Hundehaare.

»Also, Lilly.« Penelope schob sich zur Sofakante vor. »Vielen Dank für eure erste Hilfe. Ich werde jetzt wieder rübergehen.«

»Alles klar. Ich geh mal nach der Ratte gucken.«

Penelope nickte. »Mach das. Gute Besserung für … Rose.«

»Danke.« Lilly flitzte aus dem Zimmer, und Penelope folgte ihr auf den Gang.

Das Wartezimmer war immer noch proppenvoll. Ihr Blick fiel auf eine Wand mit weiteren Fotos. Dr. Bower schien als Tierarzt ziemlich beliebt zu sein. Vielleicht lag es aber auch daran, dass er der einzige Tierarzt weit und breit war.

Penelope konnte nur hoffen, dass ihr theatralischer Auftritt sich nicht herumsprach. Aber die Wartenden waren in Gespräche untereinander oder mit ihren Tieren vertieft und beachteten sie überhaupt nicht.

Als sie die Tür zu ihren neuen Agenturräumen aufschloss, fragte sie sich, warum sie so überreagiert hatte, und sie musste sich eingestehen, dass sie von der neuen Situation erheblich gestresst war. Sie musste praktisch von null anfangen, eine neue Agentur und einen Kundenstamm aufbauen, Akquise betreiben und sich dann auch noch in diesem Tal der Ahnungslosen eingewöhnen. Immerhin hatte sie Jeremys finanzielle Unterstützung im Hintergrund. Anders wäre das gar nicht zu schaffen.

Mrs Middlecrofts ehemaliger Zeitungsladen war an Schlichtheit kaum zu überbieten. Ein Ladengeschäft vorn, ein weiterer Raum nach hinten raus, in dem sich die alte Dame aufgehalten hatte, wenn keine Kunden kamen, ein winziges Klo und eine kleine Pantry. Als Penelope das erste Mal dagewesen war, kam die alte Dame aus dem hinteren Raum nach vorn geschlurft, und die lauten Stimmen aus dem Fernseher verrieten, dass die Geschäfte nicht gut liefen. Wenn sie sich recht erinnerte, war es bei ihrem zweiten und dritten Besuch ebenso gewesen. Na ja, irgendeinen Grund musste es ja geben, warum Mrs Middlecroft den Laden geschlossen hatte. Die Türglocke ging, und Penelope, die etwas angewidert das Klo inspizierte, ging nach vorn.

Ein älterer Herr mit Hut und Stock stand im Laden und sah sich um. »Die jüngste Ausgabe von ›My Rose and I‹ haben Sie wohl nicht?«

Penelope war irritiert. Außer nackten Wänden hatte der Laden praktisch nichts zu bieten. »Nein, ich fürchte nicht.«

Der Mann nickte nachdenklich. »Dachte ich mir.«

Da er keine Anstalten machte, den Laden zu verlassen oder das Gespräch fortzusetzen, ging Penelope ein paar Schritte auf ihn zu. »Mrs Middlecroft hat den Zeitungsladen geschlossen, wissen Sie?«

»Ja, sicher, natürlich, das weiß ich. Aber ich dachte, sie hört auf, und dann macht jemand anders weiter.« Er sah sie aus seinen blassblauen Augen an. »Sie machen hier nicht zufällig einen Zeitungsladen auf?«

»Nein, tut mir leid. Ich werde hier eine Partnervermittlungsagentur eröffnen.«

Er sah sie an und sah sie an. Nach einer Minute hatte er den Blick noch immer nicht abgewandt.

Penelope rang die Hände. »Eine Partnervermittlung, wissen Sie? Also, falls Sie vielleicht eine Partnerin suchen …?«

O Gott, dachte sie. Was rede ich da? Dieser Kerl gehört nun wirklich nicht zu meiner bevorzugten Klientel, und dann wäre es praktisch das siebte Weltwunder, für ihn eine Frau zu finden. Die geeignete Kandidatin musste entweder Schnecken als Vorfahren haben oder so spritzig sein, dass es für zwei reichte.

Er kniff die Augen zusammen. »Sie meinen eine Frau?«

Penelope schluckte. Dieses Gespräch lief gründlich schief. Am Ende des Tages würde man sich erzählen, dass eine durchgeknallte Irre vorhatte, in Mrs Middlecrofts Zeitungsladen ein Bordell zu eröffnen.

»Eine Frau im Sinne von einer Partnerin fürs Leben. Jemanden, der Ihre Interessen teilt, mit dem Sie ins Theater oder ins Konzert gehen können.«

Jetzt sah er sie an, als habe er noch nie davon gehört, dass man ins Theater oder Konzert gehen könnte. Nach einer Weile schob er sich den Hut ein wenig aus der Stirn. »Klingt nicht schlecht«, sagte er schließlich. »Was haben Sie denn da im Angebot?«

Für einen Moment schloss sie die Augen. Im Angebot, hatte er gesagt. Im Angebot. Penelope riss sich zusammen. »Wissen Sie, es geht darum, erst einmal herauszufinden, was für ein Mensch Sie sind, um dann feststellen zu können, wer zu Ihnen passt. Ihre Interessen, Ihre Leidenschaften, alles, was Sie ausmacht.«

»Oh, das ist einfach«, antwortete er überraschend schnell. »Wenn Sie Rosen liebt, ist sie die Richtige.«

Die Antwort brachte sie zum Lachen. »Gut, ich werde das im Hinterkopf behalten.«

»Die Rose ist das eleganteste Geschöpf im Garten, wissen Sie? Und dabei so robust. Haben Sie schon mal eine Orchidee in einem Garten gesehen?« Er schüttelte den Kopf, und sein faltiger Hals geriet in Bewegung. »Viel zu überkandidelt. Sie verträgt keine Temperaturschwankungen und überlebt nur unter den künstlich hergestellten Bedingungen eines Gewächshauses. Und alles, was Sie sonst noch so sehen im Garten, mag zwar nett anzuschauen sein, aber eine Dahlie bringt niemals einen solchen Duft hervor wie Alec’s Red oder Anna Pavlova.«

Das war ein unerwartet enthusiastischer Vortrag, und er sagte ziemlich viel über die Leidenschaft des alten Herrn aus.

»Und so jemanden, der diese Rosen liebt, gibt es hier nicht?«, fragte Penelope.

Der Mann winkte ab. »Ach was, die wenigsten haben echte alte Rosensorten in ihrem Garten. Alles nur im Gartencenter für wenig Geld zusammengekauft und pflegeleicht. Aber eine Rose braucht mehr als Wasser. Sie braucht Liebe.«

»Lassen Sie mir Ihre Karte da«, sagte Penelope spontan. Irgendwie interessierte dieser Rosenenthusiast sie, und es würde eine Herausforderung sein, eine ebenbürtige Partnerin für ihn zu finden. Den Gedanken, dass sie sich eigentlich auf die begüterten Bewohner beschränken wollte, verschob sie vorerst in den Hintergrund. Das hier war eine echte Aufgabe.

Der Mann holte ein ledernes Etui aus der Innentasche eines Jacketts und zog eine auf cremefarbenem Karton gedruckte Visitenkarte hervor.

Earl Vincenz Blackmore, las sie. Da war ihr ja gleich ein potentieller Kunde ins Haus gestolpert.

»Wie Sie sehen, bin ich noch nicht eingerichtet, Mr Blackmore, aber wenn es Ihnen recht ist, suche ich Sie …« Penelope überflog den Aufdruck auf der Karte, »suche ich Sie in Blackmore Manor auf, und wir besprechen die Angelegenheit.«

Der Earl steckte das Etui zurück. »Tun Sie das, meine Liebe.« Er lüpfte den Hut. »Dann vielen Dank.«

»Gern geschehen. Bis bald.«

Penelope sah ihm nach, wie er die zwei Stufen vor dem Laden hinunterging und sich dann nach links wandte. Ein Earl, dachte sie. Mein erster Kunde ist ein Earl.

***

Penelope beendete das Telefonat und sah sich um. Skurril beschrieb nicht einmal ansatzweise die Art und Weise, in der sie ihre Geschäfte in Shaftesbury begann. Sie saß auf einem Friedhof, der neben einer Kirche aus grob behauenen Steinen auf einem Hügel lag. Ihren Laptop hielt sie auf den Knien, neben sich auf der Bank lagen einige Papiere und ihr Füllfederhalter. Natürlich hätte sie lieber in ihrem neuen Büro gearbeitet, aber dort gab es noch nicht einmal Mobiliar – und weder einen Telefon- noch einen Internetanschluss. Und der freundliche Mitarbeiter der Telefongesellschaft, mit dem sie soeben gesprochen hatte, hatte ihr keine großen Hoffnungen darauf gemacht, dass sie in absehbarer Zeit Anschluss an die digitale Außenwelt haben würde. Er hatte doch sehr häufig erwähnt, dass Shaftesbury in dem ländlichen, eher schwach ausgeprägten Breitbandkabelnetz nur eine untergeordnete Rolle spielte. Es hatte ein bisschen so geklungen, als würden sie bei der Telefongesellschaft erst mal auf der Landkarte nachsehen müssen, wo dieser winzige Ort überhaupt lag. Sie fragte sich wirklich, was Jeremy sich dabei gedacht hatte, sie hierher zu schicken. Und sich selbst musste sie fragen, warum sie sich so unvorbereitet in dieses Abenteuer gestürzt hatte. Einer der Gründe war natürlich die Aussicht auf eine Partnerschaft in der Geschäftsleitung. Und Jeremy war nicht mehr der Jüngste, so dass Penelope sich berechtigte Hoffnungen machte, irgendwann allein die Leitung des Golden Sunshine and Luxury Club in London zu übernehmen. Shaftesbury war nur eine Station auf dem Weg dorthin. Möglicherweise hatte bei ihrer Entscheidung auch eine Rolle gespielt, dass ihr Leben in London mit langen Arbeitstagen, wenig Freizeit und hin und wieder einem Treffen mit Freunden doch recht eintönig geworden war.

Aus der geöffneten Flügeltür der Kirche klang Orgelmusik. Sie kannte das Stück nicht, auf dem Gebiet war sie keine Expertin, aber hierher passte es irgendwie. Die steinernen Grabsteine standen alle ein wenig krumm und schief auf dem grasbewachsenen Hügel, vor einigen waren kleine mit Blumen gefüllte Vasen abgestellt worden, andere waren voller Unkraut. Unten auf dem Weg vor der niedrigen Kirchenmauer ging eine ältere Dame entlang, mit der einen Hand zog sie einen Einkaufsroller hinter sich her, in der anderen Hand hielt sie eine Leine. Wegen der Mauer konnte Penelope nicht sehen, was sich am anderen Ende der Leine befand. Es musste ein winziger Hund sein.

Wahnsinn, dachte Penelope. Ich bin hier nicht nur, was den Internetanschluss angeht, weit entfernt von der Zivilisation. In der letzten halben Stunde war ein Mensch vorbeigekommen. Für heute hatte sie jedenfalls alles erledigt, was möglich war. Die Büroeinrichtung würde morgen geliefert werden – zumindest wenn der Lieferant den Weg nach Shaftesbury fand –, und sie hatte den Telefonanbieter für die Dringlichkeit des Anschlusses sensibilisiert. Solange sie kein Internet hatte, konnte sie nicht einmal die Homepage aktualisieren und die Profile der Kunden erstellen.

Seufzend klappte Penelope den Laptop zu, stand auf und sammelte ihre Papiere ein. Welche Kunden eigentlich?

Der Weg zur Straße führte sie an der Kirchentür vorüber, aus der jetzt erstaunlicherweise völlig andere Musik erklang. Jetzt spielte der Organist etwas, das für den Gottesdienst vermutlich ungeeignet war. Aber gab es einen besseren Ort, um »Stairway to Heaven« zu spielen?

In Margret Hazeldines Gemischtwarenladen schien eine Art Dorfversammlung stattzufinden. Zwei alte Damen standen vor dem Kassentresen. Eine der beiden war die Frau mit dem Einkaufsroller, der mit aufgeklappter Lasche neben ihr stand. Ihren Hund, ein winziges weiß-braun geschecktes Tier, hatte sie vor dem Geschäft am Fahrradständer angebunden. Die andere Frau trug einen gefüllten Einkaufskorb über dem Arm. Hinter dem Kassentresen stand eine Frau um die fünfzig. Sie trug Jeans und einen grauen Pullover und wirkte gar nicht wie eine ländliche Ladeninhaberin. Bei Penelopes Eintreten stellten die Frauen das Gespräch ein und sahen ihr entgegen. Penelope konnte die Blicke, die über ihr Kostüm, die Tasche mit dem Laptop und die Pumps glitten, geradezu spüren.

»Hallo«, grüßte sie.

»Guten Tag, meine Liebe«, sagte die Dame mit dem Einkaufsroller.

»Einen schönen guten Tag«, grüßte die Frau mit dem Korb. »Sie machen einige Einkäufe? Gefallen Ihnen Ednas Räume?«

Tja, hier wurde man beim Betreten eines Kramladens also erst einmal ausgefragt.

»Ja, ich brauche einige Dinge.«

Die Frau hinter dem Tresen lächelte und deutete auf die Dame mit dem Korb. »Sarah führt auf Blackmore Manor den Haushalt. Mrs Blixen hat früher unsere Dorfschule geleitet. Und ich bin Laura, hallo.«

»Hallo. Freut mich. Ich bin Penelope St. James.«

»Edna Middlecroft hatte ihren Zeitungsladen neben der Praxis von Dr. Bower. Dort, wo Sie jetzt ein Geschäft eröffnen werden«, stellte Sarah fest.

Penelope nahm an, dass in dieser Mitteilung eine Frage impliziert war. »Ja, ich weiß. Ich habe Mrs Middlecroft in ihrem Geschäft besucht.«

»Werden Sie auch Zeitschriften verkaufen?«, wollte Sarah wissen.

»Nein«, antwortete Penelope. »Ich werde eine Partneragentur eröffnen.«

Sie hätte auch sagen können, dass sie vorhatte, eine Raketenabschussrampe auf dem Dorfplatz zu errichten. Alle starrten sie aus großen Augen an.

Es war also wirklich eine völlig beknackte Idee, und die Reaktion der Dorfbewohnerinnen bestätigte Penelope in ihrer Meinung.

»Es soll etwas Besonderes werden«, fügte sie hinzu.

Sarah nickte. »Tatsächlich.«

»Vielleicht könnten Sie sich bei der Gelegenheit um den alten John kümmern«, schlug Mrs James vor. »Er hockt da in seiner windschiefen Hütte und kommt nur heraus, wenn ihm das Bier ausgegangen ist.«

Penelope zog die Lippen ein. »Tja, wie gesagt, es soll etwas Besonderes werden«, wiederholte sie. Und der biertrinkende John mit der windschiefen Hütte würde ganz sicher nicht zu ihren Kunden gehören. »Hm, weshalb ich eigentlich da bin …«, versuchte sie das Gespräch in andere Bahnen zu lenken.

»Was brauchen Sie?«, erkundigte sich Laura freundlich.

»Putzmittel, Staubwedel, etwas, um den Boden zu reinigen.«

Sarah nickte wissend. »Das glaube ich. Die Aasgeier haben sich bestimmt nicht einmal die Mühe gemacht, Staub zu wischen.«

»Wie?«, fragte Penelope irritiert.

»Na ja, Priscilla hatte gewiss noch nie im Leben einen Lappen in der Hand, und Ben würde ein Haus eher abreißen und ein neues bauen, als es zu putzen.«

Sarahs Erklärung half Penelope in keiner Weise weiter.

»Priscilla war schon eine außerordentlich schlechte Schülerin. Faul wie die Sünde, und Ben …« Die alte Lehrerin Mrs Blixen winkte müde ab. »Orthographiekenntnisse zum Davonlaufen, na ja.«

»Priscilla und Ben haben das Cottage, in dem Sie jetzt wohnen, von ihrer Großmutter Matilda geerbt«, erklärte Laura.

»Ah, richtig. Tatsächlich ist es ziemlich staubig.«

Laura kam hinter ihrem Tresen hervor. »Kommen Sie. Ich zeige Ihnen, wo Sie alles finden, was Sie brauchen.«

Der kleine Laden bot in zahlreichen Regalen, die kreuz und quer zu stehen schienen, eine unermessliche Fülle an Waren. Als Penelope schon glaubte, nie mehr aus diesem Labyrinth herauszufinden, hatte Laura ihr Ziel erreicht und deutete auf ein ansehnliches Angebot an Wischlappen, Flaschen mit Putzmitteln, Eimern, Schrubbern und Besen. Penelope versorgte sich mit dem Nötigsten, und auf dem Weg zur Kasse blieb sie am Weinregal und an einer kleinen Truhe mit Tiefkühlware stehen.

»Diese fertigen Pizzen haben ja eine Unmenge an Kalorien«, stellte Sarah mit Blick auf Penelopes Einkäufe fest.

Kochen gehörte nun definitiv nicht zu Penelopes Fähigkeiten. »Im Augenblick muss es schnell gehen«, redete sie sich heraus.

»Für schnelle und gute Mahlzeiten eignet sich auch das Pub sehr gut«, stellte Laura fest und tippte den ersten Preis in die Kasse. »Allerdings muss man gewappnet sein.« Sie grinste. »Es kann schon mal vorkommen, dass das Essen kalt wird über die vielen Fragen, die einem dort gestellt werden.«

Penelope musste lächeln. Das bedeutete wohl, dass man als Gegenleistung für ein gutes Essen ins Kreuzverhör genommen wurde. Möglicherweise war dieses Gespräch hier nur ein kleiner Vorgeschmack gewesen.

Nachdem sie ihre Einkäufe bezahlt und verpackt hatte, verabschiedete sich Penelope. Wenig später riss sie alle Fenster des kleinen Cottages auf, trug die Teppiche nach draußen, ging mit dem Staublappen über alle Flächen, putzte die Fenster und wischte die Böden sogar unter den zahlreichen Kommoden. Um den Kopf hatte sie sich ein Tuch gebunden und am Hinterkopf zusammengeknotet, und nach einer Weile stellte sie fest, dass ihr die körperliche Arbeit sogar Spaß machte. Ihr Londoner Apartment wurde von einer Putzfrau sauber gehalten. Penelope hatte seit Jahren keinen Staubsauger mehr bedient, aber hier war alles anders, hier machte ihr die Tätigkeit direkt Freude.

***

Sam leerte sein Bierglas und stellte es auf dem Tisch ab. »Es ist schon spät, Lilly. Du solltest jetzt ins Bett gehen.«

Wie immer verzog seine Tochter das Gesicht. »Jetzt schon?«

»Okay, du kannst noch so lange aufbleiben, bis ich die Küche aufgeräumt und nach den Tieren gesehen habe. Aber dann ist endgültig Feierabend ohne weitere Diskussion.«

»Na schön.« Lilly rutschte von ihrem Stuhl. »Dann gucke ich noch ein bisschen fern.«

Er sah ihr zu, wie sie sich auf dem Sofa einrollte, eingekuschelt in die weiche Wolldecke. Sie nahm die Fernbedienung vom Couchtisch und stellte zielsicher das Fernsehprogramm mit den Cartoons an. Lilly war sein Ein und Alles. Er liebte seine Tochter abgöttisch, schließlich war sie das Beste, was er hatte. Aber diese Szene heute mit der Frau, die in Ohnmacht gefallen war, hatte in ihm wieder einmal die alte Sorge geweckt, dass er ihr zu viel zumutete. Eine Achtjährige sollte keine Erste Hilfe leisten müssen, auch wenn sie die Situation ziemlich souverän gemeistert hatte. Aber er hatte die Operation an Rose nun einmal nicht unterbrechen können. Und andererseits konnte es natürlich nicht schaden, wenn Lilly sich in Unglücksfällen auskannte. Diesmal war noch alles gut gegangen, aber Sam hatte immer Angst davor, dass irgendwann mal etwas passierte und er nicht rechtzeitig zur Stelle sein würde. Vielleicht war er auch einfach nur überfürsorglich.

»He Daddy, nicht träumen.«

Er lächelte ihr zu und stellte die Teller zusammen. Nachdem er den Geschirrspüler eingeräumt hatte, strich er Lilly übers Haar und ging nach unten. Nach Jessicas Tod hatte er das gemeinsame kleine Häuschen aufgegeben und die Wohnung über der Praxis bezogen. Das sparte ihm die Fahrtzeit von zu Hause in die Praxis, und er war immer anwesend, wenn Lilly heimkam. Und in Notfällen war er sofort erreichbar.

Sam schloss die Tür zur Praxis auf und machte Licht. Im Augenblick war nur ein Tier über Nacht bei ihnen. In einem der hinteren Räume waren an einer Wand Käfige angebracht, in denen die Tiere unter Beobachtung standen. Dort hatte er eine Art Babyphone installiert, das ihn über eine App darüber unterrichtete, ob alles in Ordnung war. Jedenfalls, wenn er ein Netz hatte. Deshalb verschaffte er sich immer vorsorglich noch selbst ein Bild von dem Zustand seiner Patienten. Verschlafen sah ihn sein Namensvetter Sam an. Ein Beagle, der von einem Auto angefahren worden war und einen Beinbruch erlitten hatte. Sam hatte ihn am Vormittag operiert und den Bruch mit Drähten gerichtet. Vorsorglich hatte er den Oberschenkelknochen, der kurz unterhalb des Hüftgelenks gebrochen war, mit Schrauben und einer externen Schiene fixiert. Er öffnete die Käfigtür und kraulte die weichen Schlappohren des Hundes, der den Kopf genüsslich in seine Handfläche schmiegte.

»Morgen kriegst du eine Halskrause und kannst wieder nach Hause«, sagte Sam zu ihm. Er füllte den Futternapf und gab frisches Wasser in eine Schale, dann schloss er die Tür wieder. Er schaltete das Licht aus und verließ die Praxis durch die Eingangstür.

Die kleine Dorfstraße war abends um neun menschenleer, nur erhellt von den Straßenlaternen und den beleuchteten Fenstern der Häuser. Die Räume neben der Praxis waren dunkel. Mrs St. James war offenbar schon nach Hause gegangen. Er hatte sie gar nicht danach gefragt, was für eine Art Geschäft sie eröffnen wollte. Sie sah definitiv nicht aus wie jemand, der einen Zeitungsladen aufmachte. Dann schon eher eine Boutique, aber dafür war Shaftesbury wohl kaum der geeignete Ort. Sam versicherte sich, dass alle Türen abgeschlossen waren, und stieg die Treppe wieder hoch. Wie er erwartet hatte, war Lilly vor dem Fernseher eingeschlafen. Er wickelte sie aus der Decke und trug sie in ihr Bett hinüber. Sorgfältig deckte er sie zu und lehnte die Tür an. Er schenkte sich ein Glas Rotwein ein und setzte sich in seinen Ohrensessel. Ebenso zielsicher wie seine Tochter fand er das richtige Programm. Er hatte ebenfalls seinen Lieblingssender, auch wenn nicht jeder wissen musste, dass er für sein Leben gern kitschige Liebesfilme sah.

Donnerstag

Penelope wachte auf, als die Morgensonne durch die frisch geputzten Fenster in ihr Schlafzimmer fiel. Sie beschloss, die Streifen auf dem Glas zu ignorieren. Dass sie keine Superhausfrau mehr werden würde, damit konnte sie leben. Und immerhin konnte man durch die Fenster wieder hinaussehen, nachdem sie eine millimeterdicke Schicht aus Staub und Dreck entfernt hatte. Zufrieden schnupperte sie an der geblümten Bettwäsche, die nach dem Weichspüler mit Rosenduft roch. Am Vortag hatte sie noch aus dem hinterletzten Winkel Staub herausgeholt und sich dabei mit der Einrichtung des Cottages allmählich angefreundet. Die in Gold und Petrol gestreifte Tapete wirkte heute Morgen viel frischer, und die gelben Rosen auf der antiken Kommode neben dem Fenster hatte sie aus dem eigenen Garten geholt. Sie, Penelope St. James, hatte eigenhändig Rosen geschnitten. Wer hätte das gedacht. Die lose Bodendiele, die sie bei der Putzaktion entdeckt hatte, nervte sie ein bisschen, aber sie hatte erst einmal einen blauen Läufer darübergelegt. Vielleicht fand sie einen Handwerker, der die Diele befestigen konnte. Der konnte sich auch gleich mit dem Boiler im Bad befassen, der nur dann warmes Wasser spendete, wenn ihm danach war. Oder vielleicht wenn der Mond im siebten Haus stand. Was wusste sie schon vom Seelenleben eines Wasserboilers. Das Auswischen des Kühlschranks jedenfalls hatte ihr verdeutlicht, dass ihr Einkauf in Mrs Hazeldines Gemischtwarenladen noch nicht ausgiebig genug ausgefallen war. Sie musste heute unbedingt noch einmal hin und wenigstens einige Grundnahrungsmittel besorgen. Immerhin hatte sie an Kaffeepulver gedacht.

In ihrem hellblauen Seidenpyjama tappte sie auf nackten Füßen in die Küche, bei deren ersten Anblick sie beinahe in Ohnmacht gefallen war. Die Schränke waren zu Zeiten ihrer Großmutter modern gewesen, und der Herd wurde mit Holz befeuert. Aber dann hatte sie daran gedacht, dass die Menschen heutzutage mit sehr viel Aufwand neuem Mobiliar ein schäbiges Äußeres verpassten. Diese Mühe konnte sie sich sparen. Während sie darauf wartete, dass der Wasserkessel kochte, machte sie sich Gedanken darüber, wie sie der Küche noch einen etwas wohnlicheren Anstrich verleihen konnte. Die geflieste Fensterbank eignete sich hervorragend für Töpfe mit Kräutern. Ihr Blick fiel in den Vorgarten, der selbst in ihren Augen einen bemitleidenswerten Eindruck machte, und Penelope war nicht gerade für ihren grünen Daumen berühmt. Vielleicht würde sie über ihren Schatten springen und ein wenig Unkraut zupfen müssen. Es sei denn, sie fand jemanden, der sich ein bisschen dazuverdienen wollte.

Als plötzlich ein Gesicht vor dem Fenster erschien, aus dem sie zwei große Augen erschrocken ansahen, machte Penelope eine unbedachte Bewegung und riss die Kaffeedose von der Arbeitsfläche. Hektisch sprang sie ein Stück beiseite.

»Scheiße!« Während sie sich das Kaffeepulver von den Füßen schüttelte, hob sie den Blick und sah nach draußen, aber dort war nichts zu sehen. Außer dem pflegebedürftigen Vorgarten, den sie durch das streifige Fenster sah. Kurz kniff sie die Augen zusammen. Hatte sie sich geirrt und sah Gespenster? Nein. Penelope schüttelte den Kopf. Sie war sich hundertprozentig sicher, dass sie dort draußen jemanden gesehen hatte. Na ja, ziemlich sicher. Sie öffnete den Besenschrank und nahm den kleinen Handbesen und das Kehrblech heraus, um den verschütteten Kaffee aufzukehren.

Weil der Wasserboiler an diesem Morgen guter Dinge war, befand sich Penelope eine halbe Stunde später frisch geduscht auf dem Weg in die Agentur. Das immerhin war ein Vorteil von Shaftesbury: kein Gedränge in der U‑Bahn, keine Staus, keine Parkplatzsorgen und ein phänomenal kurzer Arbeitsweg. Gut gelaunt schloss sie die Tür zur Agentur auf. Heute würde das Mobiliar geliefert werden, und am späten Vormittag hatte sie noch einen Telefontermin mit dem freundlichen Mitarbeiter der Telefongesellschaft, weshalb sie noch einmal auf den Friedhof gehen musste. Penelope lächelte. Das Leben hier in Shaftesbury war wirklich skurril, aber sie war auf dem besten Weg, sich daran zu gewöhnen.

Kurz darauf sah sie Lilly vor ihrem Schaufenster vorübergehen. Sie trug einen Schulranzen auf dem Rücken und winkte ihr zu. Penelope winkte zurück. Die Begegnung mit dem kleinen Mädchen rief ihr die unschöne Szene am Vortag in der Tierarztpraxis in Erinnerung. Es würde sie einige Überwindung kosten, aber später musste sie hinübergehen und sich noch einmal für ihren unmöglichen Auftritt entschuldigen.

In den nächsten beiden Stunden war allerdings nicht daran zu denken. Der große Laster des Büroeinrichters versperrte die schmale, mit Kopfstein gepflasterte Straße, und plötzlich schien die Main Road zu einem Highway mutiert zu sein. Niemals hätte Penelope gedacht, dass Shaftesbury so viele Einwohner hatte, und Autos hatte sie bisher praktisch nie gesehen. Aber in diesen zwei Stunden mussten sich die Fußgänger alle zwischen dem Lastwagen und den Schaufenstern vorbeizwängen, allerdings nicht ohne einen Augenblick zu verweilen und das Treiben im Innern des ehemaligen Zeitschriftenladens zu betrachten. Und der Verkehr staute sich in Nullkommanichts in beide Richtungen. Penelope hatte inzwischen alle Hände voll damit zu tun, die Möbel an die richtigen Plätze zu dirigieren und dafür Sorge zu tragen, dass die schwarz lackierten Flächen keine Kratzer davontrugen.

Als Penelope mittags Mrs Hazeldines Gemischtwarenladen betrat, empfing Laura sie mit den Worten: »Ah, kann ich ein Autogramm haben?«

»Wieso?«

Laura, die gerade Konserven in ein Regal einsortierte, erhob sich geschmeidig. »Sie sind der erste Mensch in Shaftesbury, der es geschafft hat, hier einen Verkehrsstau zu verursachen und damit innerhalb von zwei Tagen zu einer Berühmtheit zu werden.«

»O Gott! Ich wollte gar nicht so viel Aufhebens machen.«

Laura klopfte sich ein wenig Staub von der Hose. »Tja, dafür dürfte es jetzt zu spät sein. Inzwischen gibt es Stimmen, die der Meinung sind, dass Sie gar keine Partneragentur eröffnen wollen. Die Spekulationen schießen ins Kraut. Wir hatten heute Mutmaßungen, dass es in Wahrheit ein Inkassobüro oder ein Detektivbüro wird. Mrs James denkt, Sie wären eine verdeckte Topagentin.« Laura trat hinter ihren Verkaufstresen. »Heißt Ihr Arbeitgeber MI5?«

»Machen Sie Witze?«

»Ich persönlich würde so weit nicht gehen.« Laura sah Penelope aus zusammengekniffenen Augen an. »Ich denke eher, dass Sie eine verdeckte Ermittlerin sind. Oder auch Privatdetektivin. Und die Agentur dient als Tarnung.«

»Detektivin?«, fragte Penelope irritiert.

»Zu tun gäbe es genug«, wandte Laura ein.

»Tatsächlich?«

»Allerdings. Es ist immer noch völlig unklar, wer die Samen der Ackerwinde in den Vorgärten verteilt.«

»Was?«

Laura winkte ab. »Ich kenne mich mit Pflanzen nicht aus. Aber die sollen fiese Wurzeln haben und alles andere abtöten.«

»Das ist sicher nicht schön«, bestätigte Penelope. »Aber ich kann Ihnen versichern, dass ich nicht deshalb hier bin.«

»Sie wollen wirklich eine Partneragentur eröffnen?« Laura klang enttäuscht.

»Ja, tut mir leid«, entschuldigte sich Penelope.

»Klingt interessant. Meinen Sie, es würde sich auch für mich jemand finden?«

Penelope sah Laura überrascht an. Laura war eine attraktive Frau, und Penelope hatte angenommen, dass sie einen Mann und vielleicht erwachsene Kinder hatte.

Laura winkte ab. »Kein Problem. Ich bin seit fünf Jahren Single. Eilt überhaupt nicht.«

»Fünf Jahre?«, entfuhr es Penelope.

Laura grinste. »Tja, klingt wie eine lange Zeit, aber ehrlich gesagt bin ich ganz zufrieden. Der Gedanke daran, dass Sie mit Ihrer Agentur eine Veränderung in mein Leben bringen könnten, beunruhigt mich total.«

Penelope lächelte. »Also, meinetwegen müssen wir Ihr Leben nicht groß umkrempeln.«

»Da bin ich echt beruhigt. Sarah hat schon Pläne geschmiedet. Sie findet, dass Luke gut zu mir passen würde.«

»Luke?«

»Luke betreibt das ›Golden Horse‹.«

»Den Pub?«, fragte Penelope nach. »Aber dazu brauchen Sie mich doch nicht«, stellte sie fest.

»Sag ich doch. Abgesehen davon glaube ich nicht, dass Luke an mir interessiert ist.«

Penelope fühlte sich plötzlich auf dem falschen Fuß erwischt. »Warum? Sie sind eine attraktive, kluge Frau.«

»Er ist zehn Jahre jünger.« Laura spielte mit einer knisternden Tüte voller Fußballsticker herum.

»Tja, aber Sarah muss doch einen Grund dafür haben, weshalb sie meint, dass sich dieser Luke trotz des Altersunterschieds für Sie interessiert.«

Laura zog eine Schulter hoch. »Vielleicht. Sie findet es merkwürdig, dass er in meinen Laden kommt, um Butter zu kaufen, zwei Stunden später, um ein Pfund Kaffee mitzunehmen, und schließlich kurz vor Ladenschluss für eine Flasche Mineralwasser.«

»Mineralwasser?« Penelope schüttelte den Kopf. »Laura! Der Mann betreibt einen Pub. Er hat den ganzen Keller voller Mineralwasser.«

»Sie glauben also auch, dass etwas dran ist?«

Penelope seufzte. »Sie sollten der Wahrheit ins Auge sehen. Ist er hässlich? Hat er einen Buckel?«

»Nein, er sieht ziemlich gut aus. Kennen Sie den Schauspieler Pierce Brosnan? So etwa in jung.«

Penelope riss die Augen auf. »Warum stehen Sie dann noch hier herum? Schließen Sie den Laden und gehen Sie in den Pub.«

»So einfach ist das nicht«, wandte Laura ein.

»Warum nicht? Wo liegt das Problem?«

Das Knistern verstärkte sich, die Tüte mit den Stickern rutschte plötzlich vom Tresen auf den gefliesten Boden des Geschäfts und landete vor den Füßen eines Mannes, der eben den Laden betrat. Er trug handgenähte Budapester. Penelope ließ den Blick über seinen grünen Anzug nach oben gleiten. Aus einem gut geschnittenen Gesicht sahen blaue Augen sie amüsiert an.

»Laura«, sagte der Fremde und bückte sich. »Ihnen ist da etwas entglitten.« Er reichte Laura die Stickertüte.

»Danke.« Laura griff danach. »Was kann ich für Sie tun, Mr Hammond?«

»Ich brauche etwas von Ihrem guten Wein, meine Liebe. Ich habe heute Abend Gäste.« Mr Hammond wandte sich an Penelope. »Ich will mich aber auf keinen Fall vordrängeln.«

Sie winkte ab. »Kein Problem.« Sie nahm sich einen der kleinen Körbe neben dem Kassentresen. »Ich bin ohnehin hier, um einzukaufen, nicht um zu schwatzen.«

Mr Hammond bedachte sie mit einem außerordentlich charmanten Lächeln. Dieser Mann war wirklich die Sahneschnitte unter den Einwohnern Shaftesburys. Und er kam ihr ziemlich bekannt vor. Wie auch immer. Während Laura den Wein verkaufte, füllte Penelope ihren Korb mit Kaffee, Brot, Tee, Käse, Joghurt und Porridge. Und etwas Schokolade. Nervennahrung konnte sie hier weiß Gott gebrauchen.

Penelope schaute auf, als die Tür geöffnet wurde. Der junge Mann, der die Agentur betrat, war groß und dünn, seine schwarze Jeans fand keinen Halt an seinem mageren Körper, auf den Knien prangten große Löcher, unter seinem schlabbrigen Strickpullover blitzte ein bunt bedrucktes Shirt hervor, und Penelope fragte sich, wie er den großen schwarzen Ring in sein Ohrloch gekriegt hatte. Das musste doch weh tun.

»Hi.«

»Äh, hi«, sagte Penelope. Nie und nimmer würde sie eine Frau für ihn finden. Genau genommen war Earl Blackmore bisher der einzige erfolgversprechende Kandidat. »Was kann ich für Sie tun?«

»Die Frage ist eher, was ich für Sie tun kann«, entgegnete der junge Mann.