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Die Nachtschwärmer ziehen ihre Bahnen, ganz verschiedene Gestalten. Auf einem Bahnhof sucht er seine Opfer oder sie suchen ihn. Gelingt es der Kriminalpolizei den Serientäter zu stellen? Ein Labyrinth gerät zur tödlichen Falle für die Frau eines Bauern. Wie schnell das geht, bekommen auch die Ermittler zu spüren. Weiße Rosen werden geschenkt, eine alte Liebe zu neuem Leben erweckt, doch das Schicksal nimmt seine ganz eigenen Wege. Den kriminellen Potentialen künstlicher Intelligenz spürt ein Autor essayistisch-erzählerisch nach. Die sexuellen Gelüste eines Bürgermeisters in einem früheren Jahrhundert sorgen für allerlei Abgründe. Selbst hinter einem Kochwettbewerb und Rezepten können sich dunkle Geheimnisse verbergen. Der Band enthält auch einige Kriminalgedichte.
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Seitenzahl: 327
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Claudia Engeler
Tödlicher Mais
Heidi Axel
Die Frau in Grau
Verrat
Sylvia Hofmann
Der charmante Mario
Ein zweifelhafter Gewinn
Überraschung am frühen Morgen
Adam R. Prokop
Die Wohnung, die bleibt
Daria Fiedler
Erik, Dame, König, fass!
Ida Bihlmeier
Kein Leben
Lina Wagner
Schneegestöber
Elisa Pechmann
Ausflucht
Susan Szabo
Piranhas
Ute Bünk
Gesucht, gefunden
Petra Deubel
Über den Tellerrand
Herta Dietrich
Nachtschwärmer
René Oberholzer
Die Falle
Die Nachricht
Werner Hetzschold
KI-Agenten und Kloner
Josephine Sophie Kordt
Kriminelle Spuren – Boneyhill – Die verschwundenen Kinder
Nikolaus Luttenfeldner
Tod auf dem Perserteppich
Theresa Göhler
Das Schicksal vergisst nicht
Marko Ferst
Erosion
Kinder
Isabel Ruland
Blut
Ausbruch
#liebesgedicht
Das Messer
Kindergedicht
Antonia Kurb
Lügen
Josephine Sophie Kordt
Löwenkind
Merle Proll
Zurück zu den Pflanzen
Heinz Erich Hengel
Der unbekannte Fremde und die Assassinen oder: Der zweifach Ermordete von Jalalabad
Denitza Petrova
Hinter der Maske der Zeit
Lena Katharina Brunner
Ein Täter kommt immer zweimal
Autorinnen und Autoren stellen vor
„Tödlicher Mais“, murmelte Kommissar Landolt, während er missmutig hinter seiner Assistentin durch das größte Maislabyrinth Europas stapfte. Schließlich war Sonntagmorgen, das Wetter grau und frostig.
„Was redest du da?“, fragte ihn Margret, schaute dabei angestrengt auf den Plan mit dem eingezeichneten Tatort.
Landolt seufzte: „Hätte uns nicht der Bauer hinführen können?“
Margret schüttelte den Kopf: „Herr Lüdin steht unter Schock. Er war es, der heute Morgen seine Frau im Maislabyrinth gefunden und die Polizei allarmiert hat.“
„Was treibt Menschen dazu, hier in ihrer Freizeit dem Tod in die Arme zu laufen?“, sinnierte Landolt vor sich hin, während er an den Slogan des Labyrinths dachte: „Verirren garantiert!“ Das ganze Leben war doch ein Irrgarten von Wegen, die nirgendwohin führten, von Abzweigungen, vor denen man unbeholfen stand, und von Sackgassen, die im Verderben endeten. Geleitet wurde man von hohen Mauern, die einem die Sicht versperrten. Und auf einmal befand man sich wieder dort, wo man zuvor gestartet war. „Sinnlos“, sagte der Kommissar etwas lauter.
Margret schüttelte ungeduldig den Kopf, bog links ab und blieb abrupt stehen.
„Siehst du das denn nicht?“, fragte der Kommissar bedrückt.
„Doch, ich sehe eine tote Frau am Boden liegen“, antwortete die Assistentin ungehalten. „Um die sechzig, etwa eins siebzig groß, übergewichtig und möglicherweise herzschwach. Die Nächte hier sind zurzeit mehr als frostig. Sie hat wohl den Ausgang nicht mehr gefunden.“
„Und am Ende lauert der Tod“, murmelte Landolt.
„Furchtbar“, meinte Margret, „die eigene Frau so zu finden.“
„Warum hat denn der Bauer erst heute Morgen bemerkt, dass seine Frau nicht zu Hause war?“, wunderte sich der Kommissar.
„Getrennte Schlafzimmer“, erwiderte die Assistentin.
„Das Heu wohl nicht auf der gleichen Bühne“, flüsterte Landolt.
Margret schaute ihn streng an. „Lüdin hat ausgesagt, seine Frau sei nie im Labyrinth gewesen, kenne sich darin nicht aus.“
„Als ob sich irgendjemand in einem solchen Irrgarten zurechtfindet“, schnaubte Landolt, „dafür wurde er doch gebaut.“
Margret runzelte die Stirn.
Der Kommissar sagte: „Und überhaupt: Machen die abends keine Kontrollen, ob alle aus dem Labyrinth raus sind? Immerhin könnten sich hier auch Kinder verirren.“
Margret schüttelte den Kopf: „Nein, offenbar nicht.“
Die Tote erinnerte den Kommissar an die Strohpuppe seiner Großmutter, um die er als Kind auf dem Dachboden stets einen Bogen gemacht hatte. Die Knopfaugen hatten in eine undefinierbare Leere gestarrt. Für Landolt war klar gewesen, dass jene Augen in den Kinderzimmern der Vergangenheit Abgründe gesehen hatten.
„Sie hat sich verirrt“, sinnierte Margret.
„Wer tut das nicht“, fragte Landolt melancholisch, dachte dabei an sein Leben.
„Schau“, sagte seine Assistentin und deutete auf den Pullover, den die Leiche in ihrer linken, unnatürlich verdrehten Hand hielt.
„Kaputt“, sagte Landolt lakonisch.
„Das ist doch wie beim Minotaurus“, entfuhr es Margret.
„Du meinst, sie hat die Wolle ihres eigenen Pullovers verwendet, um den Weg nach draußen zu finden?“, entfuhr es Landolt.
„Hier gibt es Kreuzungen, Abzweigungen und Sackgassen. Da kann man leicht den Überblick verlieren“, dozierte Margret.
„Den Überblick“, wiederholte Landolt und schluckte. „Und damit“, spann der Kommissar ihren Gedankenfaden zu Ende, „hat sie versucht, den Ausgang zu finden.“
Margret nickte: „Sie hätte zumindest gemerkt, wenn sie einen Weg ein zweites Mal abgeschritten wäre.“
„Jämmerlich“, murmelte der Kommissar, „der Mensch hängt sich an jeden noch so erbärmlichen Hoffnungsfaden, um sich zu retten.“ Dann fragte er noch: „Warum ist sie ins Labyrinth gegangen, wenn sie sich da nicht auskannte?“
„Vielleicht ist sie hierher gelockt worden?“, fragte Margret.
„Oder sie hat sich im Irrgarten verstecken wollen“, mutmaßte Landolt.
Margret bückte sich und durchsuchte die Hosentaschen der Leiche. „Ein Blatt Papier“, rief sie auf einmal.
Landolt nahm ihr den Zettel aus der Hand und faltete ihn auseinander. Er kniff die Augen zusammen und gab das Papier wieder seiner Assistentin.
„Cherchez la femme“, murmelte sie wenig später, „ein Liebesbrief von einer Dame an Frau Lüdins Mann.“
Der Kommissar seufzte betrübt, blickte dabei auf die unattraktive Frau zu seinen Füssen. Die Labyrinthe des Lebens waren doch immer die gleichen: Mauern aus Eifersucht, Sackgassen aus Habgier. Den Überblick vermochte da kaum einer zu wahren und am Ende lauerte ohnehin stets der Tod.
Margret räusperte sich: „Die Spurensicherung wird bald hier sein.“
Landolt sehnte sich auf einmal nach seiner kleinen Wohnung, nach den spärlich dekorierten Wänden aus Backsteinen und Beton, nach einer lauen Tasse Milchkaffee, nach weniger Natur. Dann gab er sich einen Ruck und sagte: „Lass uns mit dem Bauern reden.“
Seine Assistentin erwiderte: „Geh du schon mal vor. Ich warte hier auf die Spusi.“
„Gut“, sagte Landolt, wandte sich von seiner Assistentin ab und ging – seinem wenig ausgeprägten Orientierungssinn folgend – den Weg, den er gekommen war, zurück. Doch als er das dritte Mal rechts und das zweite Mal links abgebogen war, stand er wieder vor einer Hecke, die aussah, wie alle anderen.
„Mist“, fluchte Landolt, dann flüsterte er: „Mais.“
Der Kommissar kramte sein Mobiltelefon aus der Jackentasche und tippte eine Nummer ein. „Margret?“, fragte er, „holst du mich da bitte nachher raus?“ Als er aufgelegt hatte, murmelte er: „Meinen Pullover werde ich anbehalten.“
Landolt setzte sich auf den Boden, den Rücken zur Hecke. „Zu viel Natur“, sagte er, schloss dann die Augen und dachte an das bisschen Leben, das noch vor ihm lag. Kein Faden, ob aus Wolle, Garn oder Zwirn konnte ihm helfen, da noch herauszufinden. Und vielleicht wollte er das auch gar nicht. Schließlich war der Weg das Ziel, denn am Ausgang des Labyrinths wartete nur der Tod.
Der Nebel floss langsam durch die engen, schmutzigen Gassen der Stadt. Es waren nicht viele Menschen so spät noch unterwegs und die, die unterwegs waren, froren in ihrer dünnen und ärmlichen Bekleidung. Eine Frau ging unauffällig, aber zügig und dicht geduckt, an den Häuserwänden entlang. Sie hatte ein graues Tuch um den Kopf gebunden und sah auch sonst in ihrem grauen langen Kleid, das im Dreck schleifte, sehr unscheinbar aus. Sie war müde, denn das was sie diese Nacht leisten würde, musste heimlich und ohne einen Laut geschehen.
Sie verstand sich darauf, Kinder auf die Welt zu bringen. Meistens waren es ungewollte Kinder, die sie zur Welt brachte und diese hatten auch kaum die Chance sich ihres Lebens zu erfreuen. Magda war eine Frau in den vierziger Jahren. Sie hatte eine kräftige Figur und vor allem ihre Hände zeugten davon, dass sie ordentlich zupacken konnte.
Das Kind, welches sie der Frau entband, war gesund auf die Welt gekommen, aber es durfte nicht ein einziges Mal seine kleinen Lungen mit Luft vollpumpen und schreien. Magda erstickte den Schrei und gab den leblosen Körper einer Magd, die es in Windeseile aus dem Zimmer brachte. Das junge Mädchen dort im Bett war von der Geburt noch so durcheinander und erschöpft, dass es sich nur langsam erholen konnte. Sie sah Magda fragend an, aber diese schüttelte nur den Kopf, was so viel bedeutete, als dass es eine Totgeburt war. Magda wusch die junge Frau und flüsterte: „Schlaft jetzt und habt in den nächsten vier Wochen keine Liebe!“ Sie bekam keine Antwort mehr, denn das Mädchen, was es eigentlich noch war, war eingeschlafen. Magda räumte ihre Utensilien zusammen und sagte zu den beiden Mägden: „Und ihr haltet den Mund und vergesst die Sache hier.“ Magda wollte das Haus verlassen, da flüsterte ihr aus einer dunklen Ecke eine männliche Stimme zu: „Habt Dank für die Hilfe“, und auf einmal kam ein kleiner, prall gefüllter Beutel auf sie zu geflogen. Geschickt fing Magda diesen auf und flüsterte noch: „Und lasst sie vier Wochen in Ruhe!“ Damit öffnete sie die Tür und verschwand im Nebel.
Sie wohnte am Rande der Stadt in einem Haus, das schon recht gut hergerichtet war. Das Geld, das sie sich in den Nächten verdiente, hatte ihr diesen kleinen Wohlstand eingebracht. Schnell wusch sie sich selbst etwas und legte sich ins Bett. Wenigstens eine Stunde wollte sie noch schlafen, bevor sie mit dem Doktor durch die Stadt zog, um einige kranke Menschen aufzusuchen.
Magda wurde von durchdringendem Klopfen an der Haustür geweckt. Laut gähnend rief sie, dass sie kommen würde, schlüpfte in ihre Pantoffeln und begab sich an die Tür. Es war der Doktor!
„Los Mädchen, wir müssen gehen. Die Tochter des Apothekers kommt nieder und wir sollen von Anfang an dabei sein, damit auch ja alles gut geht. Hoffentlich wird es dieses Mal ein Junge. Es ist nun schon das sechstes Kind und die arme Frau kann nicht noch ein siebtes zur Welt bringen. Das überlebt sie nicht.“ Magda nahm ihre Sachen und folgte dem Doktor ohne einen Kommentar abzugeben. Sie mussten nicht sehr weit laufen. Das Haus des Herrn Apothekers stand direkt am Markt, da wo jeder Bürger der Stadt vorbeikam.
Der Doktor klopfte leise und sofort wurde die Tür geöffnet, denn man erwartete ihn schon. Magda sah sich die bereit gelegten Tücher an, kontrollierte die Schüsseln, ob sie auch ordentlich sauber waren und nickte den Mädchen zu, die bereit standen warmes Wasser zu bringen. Die Wöchnerin hatte einen sehr hohen Leib und Magda sah ihr an, dass diese Entbindung der Frau alle Kraft abverlangen würde. Sie nahm ihre Hand und versuchte sie zu beruhigen. Die Frauen kannten sich, denn Magda war bei jeder Geburt dabei gewesen und die Tochter des Apothekers, deren Mann der Lehrer der Stadt war, sah Magda flehend an und flüsterte: „Herr, lass es kein Mädchen sein, wenn doch, Magda, dann mach etwas!“
Magda nickte und sie spreizte der Frau die Beine. Der Doktor untersuchte sie und sagte, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis das Kind käme. So war es auch. Die Wehen setzten noch stärker ein und das Kind wurde geboren. Es war ein kräftiger Junge, der auch ordentlich seine Lungen mit Luft füllte und laut schrie. Doch da schrie auch die Frau wieder auf und sah Magda an. „Da kommt noch eins. Um Himmels Willens, was habe ich nur verbrochen, dass Gott mich so straft? Wenn schon zwei, dann bitte noch ein Junge!“ Sie presste wieder aus Leibeskräften und das Kind wurde geboren. Es war ein Mädchen. Schnell nahm Magda das Kind weg und wollte es genauso, wie die anderen Kinder töten, aber als sie den Säugling sah, wurde ihr so warm ums Herz, dass sie das kleine Mädchen in einen Korb legte, eine Decke darüber schlug und es schnell unter der Treppe versteckte. Dem Kind wollte sie selbst eine gute Mutter sein. Dieser Entschluss war so schnell und plötzlich in ihr gereift, dass sie ruhig und gefasst dem Doktor ein Zeichen gab, dass es nur der Junge war, der lebensfähig war. Der Doktor vertraute Magda in dieser Sache so fest, dass er nicht den kleinsten Zweifel hegte, dass sie ihn belügen würde. Magda hatte schnell ein Bündel fertig geschnürt, um es den Mägden zu übergeben, denn das Kind wurde sofort und ohne Aufsehen beerdigt. Der Pfarrer war zur Stelle und sprach einige Worte. Erledigt war die Sache. Keiner fragte in dieser Zeit nach, ob auch alles mit rechten Dingen zugegangen sei. Magda versorgte die Wöchnerin und sagte auch hier zu dem Mann: „Und lasst sie die nächsten vier Wochen in Ruhe, um sich zu erholen. Das muss einfach sein!“ Sie packte flink die Sachen des Doktors zusammen und verließ das Haus. Sie bog um die nächste Ecke und eilte zu einem Nebeneingang des Hauses zurück, um das Kind zu holen. Still lag das kleine Mädchen da und schlief. Es wurde Zeit, dass es etwas zu Essen bekam. Magda konnte nicht stillen, aber sie wusste jemanden, der es konnte und dieser Frau vertraute sie ebenfalls.
Sie lief aus der Stadt heraus, bis sie völlig außer Atem war. Da war das Dorf. Der Bauernhof stand etwas abseits und wirkte unbewohnt. Franz und Gertrud, die beiden Bauersleute, freuten sich, Magda zu sehen. Ein großes Glas Milch löschte erst einmal Magdas Durst und dann begann sie zu erzählen. Gespannt lauschten die beiden der Schilderung Magdas und Franz hob die Decke über dem Korb auf und nahm die Kleine heraus. Sie fing jetzt leise an zu weinen. Franz gab seiner Frau ein Zeichen. Diese öffnete ihre Bluse und legte die Kleine an ihre Brust. Gierig und mit niedlichen Schmatzgeräuschen trank das Kind. Alle drei sahen begeistert zu. Was sollte nun werden? Magda konnte den langen Weg nicht zwei Mal am Tag laufen. „Sie bleibt einfach hier und du besuchst sie, wenn du kannst“, so entschied es Franz in einem Satz. Wo ihr eigenes Kind satt wurde, bekam die Kleine auch genug ab. Magda schob ihren Freunden den Beutel mit Geld zu. Sie war überglücklich solche Freunde zu haben. Franz und Gerda wussten, dass Magda ihnen immer geholfen hatte, wenn sie in Not waren und so konnten sie ihr endlich auch einmal helfen. Das Geld würde sie sehr lange unterstützen und redselig waren beide nicht. „Wie soll die Kleine eigentlich heißen, Magda?“, fragte Franz. Daran hatte sie noch nicht gedacht. Das Kind brauchte auch einen Namen! Alle drei überlegten! Er sollte kurz sein. Leise kam es über Magdas Lippen: „Sie soll Grete heißen. Nach meiner Mutter, denn sie war eine sehr gute Frau!“, und somit war Klein-Grete in ihrem unbestimmten Leben angekommen.
Magda nahm ihr Kind noch einmal auf den Arm und versprach in den nächsten Tagen wieder vorbeizukommen. Dann machte sie sich auf den Heimweg, um doch noch einige Stunden zu schlafen. Sie konnte ja nie wissen, wer sie in der Nacht um Hilfe bitten würde.
Magda schlief traumlos und fühlte sich, als es tatsächlich an der Tür klopfte, ausgeruht und frisch. Der Morgen graute schon und schnell war sie an der Tür. Vor ihr stand ein fremd aussehender Mann. Er war braungebrannt, kräftig und sprach nur ein gebrochenes Deutsch. Er bat Magda um Hilfe, denn seine Frau lag seit Stunden in den Wehen und das Kind kam einfach nicht auf die Welt. Magda wusste sofort, dass hier Eile geboten war.
Sie warf sich ihr Tuch über, nahm ihre Tasche und folgte dem Fremden. Dieser lief sehr schnell vor ihr her, aber Magda folgte ihm ohne Mühe. Am Waldrand stand ein großer Planwagen und darin lag die Schwangere. Ein Feuer brannte neben dem Wagen und Magda sah, dass einige fremdländische Männer das Wasser am Kochen hielten. Magda sah in ihrem grauen Kleid und dem grauen Tuch sehr furchteinflößend aus. Die Männer verbeugten sich vor ihr und sagten etwas in ihrer Sprache, was Magda nicht verstand. Sie nickte nur und kletterte in den Wagen hinein. Da lag die Frau und weinte leise vor sich hin. Magda legte den Finger auf die Lippen und schob ihr ein Tuch, in das sie einen Knoten gebunden hatte, in den Mund. Die Frau verstand sie und nickte ebenfalls. Magda untersuchte sie und stellte fest, dass die Kinder, es mussten auch hier zwei sein, in den nächsten Minuten kommen würden. Der Mann sah durch die Plane auf die Frauen und fragte: „Kommt Kind?“
Magda flüsterte zurück: „Es kommen zwei Kinder.“ Da hörte man einen komischen Laut und die anderen Männer liefen und riefen alle durcheinander. Magda sah aus dem Wagen heraus und sah ihn am Boden liegen. Sie lachte leise, sah die Frau an und flüsterte: „Er ist umgefallen, denn du bekommst gleich zwei Kinder.“ Die Frau zog den Mund zu einem Lachen breit und nickte.
„Du verstehst mich?“, kam es erstaunt von ihr. Die fremde Frau nickte: „Aber sag es niemandem. Das wissen die hier nicht. Ich bin vor meinem eigenen Mann geflohen. Er hat mich immer nur geschlagen und vergewaltigt. Eines Nachts standen die Männer vor der Tür und da bin ich einfach weggelaufen. Sie haben mich aufgenommen und der Anführer der Truppe ist der Vater der Kinder. Es geht mir hier gut und ich habe mich an dieses Leben im Wagen gewöhnt.“
Magda sagte nur: „Dann soll es so sein!“ Die Wehen wurden stärker und die Kinder waren innerhalb weniger Minuten nacheinander geboren. Es waren zwei Jungen. Da war die Freude unter den Männern groß. Magda wusch auch diese Frau und sagte eindringlich zu dem Mann: „Vier Wochen keine Liebe! Sie braucht Ruhe und muss sich um die Kinder kümmern.“
Der Mann nickte. Er hielt etwas in der Hand, das er Magda geben wollte. Sie sah es sich an und sah auch den Mann mit großen Augen an: „Das ist meine Bezahlung?“, fragte sie leise. Er nickte und sie steckte das Schmuckstück ein. Einer der Männer brachte sie wieder zurück an den Stadtrand und war dann auch leise verschwunden. Magda ging in Gedanken versunken durch die Gassen. Sie bemerkte nicht, dass ihr schon seit einiger Zeit eine Gestalt folgte.
Kurz vor ihrem Haus, fühlte sie auf einmal eine Hand an ihrer Kehle. Sie wurde ins Haus gedrängt und auf den Fußboden geworfen. Dort verging sich dieser in schwarz gekleidete Mann an ihr und nicht einer hörte ihr Rufen. Es hätte ihr auch wenig genützt, denn so etwas passierte immer wieder in dieser Zeit. Frauen und Kinder waren dazu da unterdrückt oder auch getötet zu werden. Kinder konnte man ja neue machen und somit war der Wert eines Kindes zur damaligen Zeit gleich null. Magda lag erschöpft am Boden und bemühte sich, etwas von dem Mann zu erkennen. Er trug gute Schuhe und hatte auch ebensolche Kleidung an. Die einzige Kerze, die jetzt brannte, ließ für einen kurzen Moment sein Gesicht erkennen. Magda erschrak. Es war der Bürgermeister! Das Stadtoberhaupt ihrer Stadt! Ohne auch nur ein Wort zu sagen, verließ er Magdas Haus und war in der Dunkelheit verschwunden.
Von diesem Vorfall konnte sich Magda sehr lange nicht erholen. Sie war immer in Gedanken und wusste nicht, wem sie sich anvertrauen sollte. Sie hatte immer anderen geholfen, aber wer half jetzt ihr? Unter dem Vorwand nach dem Kind zu sehen besuchte sie die Frau des Lehrers. Der Junge war wohlauf und Magda bemerkte im Stillen, dass er ihrer Grete sehr ähnlich sah. Das würde noch was geben in den nächsten Jahren, aber auch da würde ihr bestimmt eine Lösung einfallen.
„Was mache ich jetzt?“, fragte sie leise die Frau, die für sie wie eine Freundin war. „Nichts, Magda, gar nichts. Du bist nur eine Frau und er ist ein Mann, noch dazu ein Mann, der sehr geachtet wird. Du hast keine Chance, dein Recht zu bekommen. Dafür ist die Zeit noch nicht reif, aber du kannst dich in den nächsten Monaten überall da sehen lassen, wo er ist. Mal sehen, wie er darauf reagiert“, flüsterte sie ihr zu. Schnell ließ sie für Magda noch einen Korb mit Essen packen und entließ sie wieder. Sie war sehr großzügig, fand Magda und packte den größten Teil der geschenkten Sachen in einen anderen Korb, um diesen ins Dorf zu bringen. Gertrud musste jetzt zwei Kinder ernähren und brauchte auch selbst ordentlich was zu essen. Im Dorf angekommen ruhte sie sich einige Minuten aus, um dann ihren Freunden zu erzählen, was ihr widerfahren war. Im Raum war Stille, als sie mit dem Bericht fertig war. Franz war aufgestanden und lief immer hin und her. Wie konnte ein Mann nur so etwas tun? Das hatte er nie verstanden, aber wie er jetzt sah, geschah es immer wieder und er war sich sicher, dass Magda sich mit aller Kraft gewehrt hatte. „Was soll nun werden? Magda, du hast schon ein Kind. Die kleine Grete ist so niedlich und süß und wächst jeden Tag etwas mehr. Sie wird bestimmt einmal eine schöne Frau werden.“
Magda sah Gertrud an und mit fester Stimme kam es aus ihr heraus: „Ich bekomme dieses Kind und eines Tages bekommt der Vater die Rechnung. Bis jetzt hat er noch keine eigenen Kinder und ist doch auch schon viele Jahre verheiratet. Die Leute fangen an sich zu wundern. Heute sage ich selber. „Herr, lass es einen Jungen werden!“ Erst einmal muss ich es aber dem Doktor beichten. Ansonsten erfährt es kein Mensch weiter.“ So kam eines mit dem anderen zusammen. Magda beichtete dem Doktor alles und dieser war völlig sprachlos. Er nahm ein Blatt Papier, die Feder und schrieb lange etwas auf. Der Doktor las ihr vor, was da stand. Magda lauschte.
„Ich, Magda Hallu, bezeuge vor unserem Gott und Doktor Unsag, dem Arzt unserer Stadt, dass das Kind, welches ich erwarte, von unserem Bürgermeister Alfons Keim ist. Dieser hat mich in der Nacht vom 15. auf den 16. März 1466 in meinem Haus vergewaltigt. Das Kind wurde am … geboren!“
Damit hörte der Doktor erst einmal auf und sagte leise: „Den Rest tragen wir ein, wenn das Kind da ist. Du aber lernst jetzt bei mir lesen und schreiben. Ich bin schon alt und du musst auch wissen, was wir geschrieben haben, um es zur richtigen Zeit diesem Menschen unter die Nase zu halten. Das Papier verstecken wir hier bei mir im Haus. Wo genau sage ich dir noch. Ich weiß, dass du verschwiegen bist und das halten wir auch weiter so.“
So kam es auch. Magda kümmerte sich weiter um die schwangeren Frauen und erfüllte ihre Wünsche, wenn sie die Kinder nicht haben wollten. Magda stellte sich sonntags an die Kirche und wenn der Bürgermeister an ihr vorüberging, sah er unter ihrem grauen Kleid einen Bauch, der von Woche zu Woche dicker wurde. Magda sah ihn nur durchdringend an, sagte aber kein einziges Mal auch nur das kleinste Wort.
Oft ging sie zum Doktor. Sie lernte Lesen und Schreiben. Es fiel ihr schwer, aber sie schaffte es. Eines Tages las sie fließend aus einem Buch vor. Sie freute sich so sehr, dass sie plötzlich merkte, dass sie den Weg nicht mehr nach Hause schaffen würde. Die Wehen setzten ein. Sie entband ohne große Schwierigkeiten und gebar einen gesunden und sehr kräftigen Jungen! Der Doktor übernahm es sich auf den Weg zu machen, um die Freunde zu benachrichtigen. Bei Franz und Gertrud blieb er lange, denn er untersuchte die Kinder und auch die beiden Erwachsenen, aber er fand, dass sie alle gesund waren. Die kleine Grete untersuchte er etwas gründlicher, aber auch hier gab es nichts zu beanstanden. Er drückte Franz, ohne ein Wort, einen Beutel mit Geld in die Hand, und dieser fragte auch nichts. Grete hatte nun einen kleinen Bruder, der nur wenig jünger war, als sie selbst.
Magda nahm Grete nun auch zu sich und die beiden wuchsen zu zwei schönen Kindern heran.
Als die Kinder laufen gelernt hatten, ging Magda fast jeden Tag zur selben Zeit am Rathaus mit ihnen spazieren. Die Kinder sprangen um sie herum und trieben ihre Späße. Den Jungen hatte Magda Alfred getauft, denn sie fand, dass das sogar zu Grete passte. Der Tag kam, an dem der Bürgermeister mit seiner Frau aus dem Rathaus kam, um in die gegenüberliegende Kirche zu gehen. Die beiden blieben wie angewurzelt stehen und sahen die Kinder an. Erst das Mädchen und dann sehr lange den Jungen. „Kinder kommt her und begrüßt artig den Herrn Bürgermeister unserer Stadt und seine Gemahlin!“, sagte Magda liebevoll. Die Kinder kamen mit hochroten Köpfen. Grete knickste artig und Alfred verbeugte sich, wie ein feiner Herr. Magda knickste ebenfalls, nahm die Kinder an die Hand und verschwand in der nächsten Seitenstraße. Das war eine wunderbare Vorstellung, die sie da mit den Kindern abgeliefert hatte. Besser hätte es gar nicht gehen können. Schnell packte sie ein paar Sachen und sagte den Kindern, dass sie für einige Tage zu Franz und Gertrud aufs Dorf fahren würden. Der Doktor bekam ebenfalls Bescheid, der Nachbar hütete das Haus und somit konnten sie sich auf den Weg machen.
Es wurde eine schöne Zeit, die die drei auf dem Dorf verbrachten. Sie waren ausgeruht und Magda war wieder voller Kraft, um dem Doktor zur Hand zu gehen. Es ging nach Hause.
Dort angekommen suchte Magda erst einmal eine Kinderfrau für ihre beiden Kleinen. Sie fand eine Frau im Armenhaus der Stadt, die ihr gefiel. Sie war sehr dünn, aber Magda meinte, dass sie sich schon wieder erholen würde, um dann auch gut auf die Kinder aufpassen zu können. Konnte sie ihr auch vertrauen? Das war die entscheidende Frage, aber die musste der Doktor klären. Magda nahm sie mit zu dem alten Herrn und bat ihn mit der Frau zu reden. Der Doktor sah die Frau sehr lange an und begann dann zu weinen. Magda verstand die Welt nicht mehr. Warum weinte er vor einer fremden Frau, die sie aus dem Armenhaus geholt hatte? Sie sah fragend von einem zum anderen. Der Doktor ging auf die Frau zu und umarmte sie. „Dass ich dich in meinem Leben noch einmal wiedersehe, habe ich nie geglaubt und nun stehst du vor mir. Wie kommst du hierher? Ich möchte die ganze Geschichte hören. Magda nimm dir einen Stuhl und höre mit zu, denn das ist meine Tochter.“ Magda brachte kein einziges Wort heraus. Der Mund stand ihr so weit offen, dass der Doktor ihr den Zeigefinger seiner rechten Hand unters Kinn schob und mit einem kleinen Druck den Mund schloss. Unter Tränen fing die Tochter an zu erzählen: „Als ich Mutter und dich verließ, gingen wir weit, weit weg, von hier bis ans Meer. Dort wollten wir zusammen leben und unsere Kinder großziehen. Du weißt, dass Karl ein sehr schöner Mann war und alle Frauen ihm hinterherschauten. Egal, ob arm oder reich. Ich war so blind für die Dinge, die Karl trieb, während ich arbeitete, dass ich es zu spät bemerkte, dass er mich mit einer reichen Witwe betrog. Ich half damals dem Pfarrer, denn du hattest mir ja lesen und schreiben beigebracht. Karl nahm eines Tages seine Sachen und war aus meinem Leben verschwunden. Ich durfte bei dem Pfarrer wohnen und ihm den Haushalt führen, denn zum Glück hatten wir keine Kinder. Ich vergaß Karl sehr schnell, denn ich musste ja sehen, wie ich selbst mit meinem Leben fertig wurde. Auch dort am Meer gab es Frauen, die ungewollt schwanger wurden und die Kinder nicht haben wollten. Ich half ihnen genauso, wie Magda es heute macht. Doch dann setzte eine Welle der Empörung ein, dass so etwas von Gott nicht gewollt sei und ich musste aus der Stadt fliehen.
Ich trieb mich die letzten Jahre im ganzen Land herum, aber ich fand nirgendwo eine ordentliche Arbeit und wenn ich sagte, dass ich lesen und schreiben kann, wurde ich sofort vor die Tür gesetzt. Eine gebildete und kluge Frau wollte keiner haben. Jetzt bin ich krank. Meine Beine und Füße haben offene Wunden und ich weiß nicht, wie lange ich das Leben noch durchhalte. Vielleicht kannst du meine Schmerzen etwas lindern, lieber Vater, und ich bitte dich hiermit inständig um Verzeihung.“
Wieder weinten Vater und Tochter zusammen. Magda holte saubere Tücher und warmes Wasser, so dass der Doktor sich die Beine seiner Tochter anschauen konnte. Diese sahen wirklich schlimm aus. Der Doktor säuberte die Wunden und verband sie mit den Tüchern. „Es wird seine Zeit dauern, aber sie werden heilen. Du wirst einige Narben zurückbehalten, aber damit kannst du leben. Heute Nacht bleibst du hier und ab morgen kümmerst du dich um die Kinder von Magda. Es sind zwei ganz reizende Kinder und ich wäre froh, wenn mir der Himmel solche Enkelkinder geschenkt hätte.“ Mit diesen Worten nickte er Magda zu und schickte sie nach Hause. Magda schlief in dieser Nacht sehr schlecht, denn das Gehörte musste sie auch erst einmal verarbeiten.
Zerschlagen stand sie am anderen Morgen auf und bereitete das Frühstück vor. Sie musste lachen, als sie Grete in ihrem Kindergebrabbel reden hörte. Sie sprach mit jedem Tag besser und sie kümmerte sich auch schon gut um ihren Bruder. Alfred war etwas behäbig und langsam und ließ sich gern bedienen. Nur wenn Grete einmal hinfiel, dann krabbelte er schnell zu ihr und streichelte sie. Somit war der Frieden im Haus immer wieder hergestellt. Es klopfte.
Magda öffnete die Tür und vor ihr stand die Tochter des Doktors. „Aber du hast dich schnell erholt. Wie heißt du eigentlich?“, fragte Magda leise. „Maria!“, war die kurze und knappe Antwort. Magda ging an ihren Kleiderschrank und nahm eines ihrer Kleider heraus. Sie gab es Maria und als diese das Kleid angezogen hatte und die beiden Frauen sich ansahen, mussten sie lachen, so sehr ähnelten sie sich.
„Noch eine Frau in Grau!“, kam es von Magda.
Die Kinder sahen die beiden Frauen an. Grete zeigte auf Magda und sagte fröhlich: „Das Mama!“ Somit war auch das geklärt und Magda brachte Grete bei, dass die neue Frau Maria hieß.
Das Leben hätte so schön sein können, wenn alle ruhig und friedlich miteinander leben würden, aber auch der liebe Gott hatte schlechte Laune und so schlug das Schicksal zu.
Magda saß mit Maria in der Küche und sie erzählten sich gegenseitig, wie es ihnen bis jetzt ergangen war. Vor allem wollte Maria viel über Gertrud und Franz wissen. So gute Freunde hatte sie noch nie im Leben gehabt. „Weißt du was, Maria? Geh zu deinem Vater und sage ihm, dass wir morgen ins Dorf zu den beiden gehen. Er kommt bestimmt auch einmal drei Tage ohne mich aus.“
Maria sagte: „Ja, das machen wir so!“ Magda musste laut lachen. Schnell hatte sie sich ihr graues Tuch umgebunden und lief zu ihrem Vater. Dieser hatte nichts dagegen, dass die Frauen mit den Kindern ins Dorf zu den Freunden gingen. Maria lief wieder auf Magdas Haus zu, da traf sie auf einmal ein schwerer Schlag auf den Kopf. Sie drehte sich um und sah einen großen, gut gekleideten Mann vor sich stehen.
„Gib mir den Jungen. Er gehört mir. Es ist mein Sohn!“, zischte er sie an und mit diesen Worten zückte er ein Messer und rammte es Maria in den Bauch. Halb ohnmächtig drehte diese sich um und stolperte auf die Haustür zu. Sie konnte sie gerade noch öffnen, als sie der Länge nach hinschlug. Magda schrie so laut auf, dass es auch die Nachbarn hörten und angelaufen kamen. Sie halfen, Maria in die Stube zu bringen und legten sie auf den Boden. Irgendjemand lief den Doktor holen. Magda hob Marias Kopf an, um sie zu beruhigen. Der Doktor kam, aber er konnte auch nichts mehr für seine Tochter tun. Im Sterben flüsterte Maria so laut, dass es alle Anwesenden noch hören konnten: „Der Mann sagt, dass es sein Junge sei und er ihn haben wolle. Hat er uns verwechselt Magda?“ Damit sank ihr Kopf nach hinten über und sie starb. Die Fassungslosigkeit der anwesenden Nachbarn war unbeschreiblich. Der Doktor weinte und es wurden furchtbare Tage für Magda und ihn.
Die Zeit heilt keine Wunden! Sie begradigt nur die Ränder! Die Zeit hilft einem nur alles einzuordnen, aber nicht zu vergessen. Alfred musste aus der Stadt heraus, denn dieser Vorfall würde sich wiederholen, wenn sie nicht schnellstens handelten. Hier war es wieder der Doktor, der Hilfe organisierte. Alfred sollte zu einem befreundeten Paar kommen und dort aufwachsen. Da hatten Magda und der Doktor nicht bedacht, dass Grete auch noch ein Wort mitzureden hätte. Die innige Verbundenheit der beiden Kinder konnten sie nicht so einfach ignorieren. „Entweder die Leute nehmen beide Kinder oder sie bleiben hier. Trennen geht bei den beiden nicht.“
Das verstand der Doktor und er schrieb noch einmal einen Brief an die jungen Leute. Magda saß an diesem Abend mit den Kindern auf dem Fußboden und versuchte ihnen zu erklären, warum sie fort müssten. Die Kinder hörten schweigend zu. Grete stand auf, legte die Arme um Magda und sagte: „Du bist unsere Mutter und wir werden dich nie vergessen!“ Alfred, tat etwas sehr Seltsames. Er nahm Magdas Hände, drehte die Handflächen nach oben und küsste sie. „Daran werde ich mich immer erinnern und du Mutter mich immer erkennen, wenn wir uns wiedersehen!“ Das war sogar für die sonst so standfeste Magda zu viel. Sie begann hemmungslos zu weinen und konnte sich kaum beruhigen. Da kam auch schon der Doktor mit den jungen Leuten. Die Kinder stiegen in die Kutsche ein und fuhren aus der Stadt.
Magda hatte sich für die nächsten Wochen ein dunkelgraues Kleid genäht, denn es musste das Gerücht verbreitet werden, dass die Kinder an einer Seuche gestorben seien. Die Nachbarn erzählten die gleiche Geschichte jedem, der es hören wollte und es gab niemanden, der dumme Fragen stellte. Magda wurde eines Tages zu der Tochter des Apothekers gerufen. Diese sah Magda an und sagte mit einer lauten Stimme, so dass es jeder im Haus hören konnte: „Das ist so ein Unglück liebe Magda, dass die Kinder beide an der Seuche gestorben sind. Mein herzliches Beileid!“ Dann umarmten sich die Frauen und weinten gemeinsam. Nur sie beide wussten, dass das Weinen echt war, aber aus einem anderen Grund. „Komm ruhig wieder vorbei. Dann können wir reden.“ Magda verabschiedete sich und verließ das Haus. Sie war nun schon fast 40 Jahre alt und hätte ihre beiden Kinder sehr gern um sich gehabt, aber das ging auf keinen Fall. Sie wurde immer stiller und ruhiger. Sie war nicht mehr viel in ihrem Haus. Sie wohnte jetzt fast nur noch bei dem Doktor. Sie las viel und war froh, wenn der Doktor zu einem Kranken gerufen wurde, so dass sie Ablenkung hatte.
Der Doktor packte eines Tages seine Sachen, um über Land zu fahren. Er wollte auch einen Abstecher zu Franz und Gertrud machen, um auch dort nach dem Rechten zu sehen. Magda sagte ihren Nachbarn Bescheid, dass sie einige Tage nicht ins Haus kommen würde, sondern das Haus des Doktors hütete. Sie packte ihre Sachen zusammen und verabschiedete sich von den netten Leuten, die nun auch ihre Freunde geworden waren.
Magda wusste, was das eigentliche Ziel des Doktors war und sie freute sich schon auf die vielen Neuigkeiten, die es zu erzählen gab. Sie fing an das Haus in Ordnung zu bringen und es machte ihr Spaß, nebenbei immer mal ein Buch zu lesen. Sie sang unbeschwert ein Lied und merkte nicht, dass sich eine schwarze Gestalt ins Haus geschlichen hatte. Er sprach sie unvermittelt an und sagte zu ihr: „Das nächste Kind bekommen ich und meine Frau von dir ausgehändigt. Egal, was es wird. Du hast den Jungen sterben lassen, also mach‘ mir ein neues Kind.“
Mit diesen Worten warf er Magda auf den Küchentisch und vergewaltigte sie dort. „Du kannst mir ruhig wieder deinen Bauch vor der Kirche zeigen. Da weiß ich wenigstens, wann es soweit ist und dann komme ich, um das Kind zu holen. Wage es ja nicht aus der Stadt zu verschwinden. Ich finde dich überall.“
Mit diesen Worten verließ er das Haus des Doktors und war verschwunden. Magda war völlig ruhig und sie schwor sich, dass er auch dieses Kind nicht bekommen würde. Eher würde sie ihn umbringen.
Leise schlich sie sich wieder zur Tochter des Apothekers und berichtete ihr, dass der gleiche Mann sie wieder vergewaltigt hatte und dass er das Kind holen wollte, wenn es soweit war. Die Tochter des Apothekers war im Laufe der Jahre eine sehr einflusseiche Frau geworden, die alles erfuhr, was sie wissen wollte. Sie schickte eines ihrer Mägde in das Haus des Bürgermeisters, um dort zu spionieren und der Frau Bürgermeisterin zur Hand zu gehen, da diese ebenfalls angeblich schwanger war. Doch eines Tages kam die Magd mitten in der Nacht zu ihrer Herrin gelaufen und kicherte in einem fort.
„Hast du Wein getrunken? Warum lachst du andauernd?“, wurde sie gefragt und sie berichtete leise, dass die Frau des Bürgermeisters unter ihrem Kleid ein Kissen trug, dass der Bürgermeister höchst persönlich immer etwas mit Stroh ausstopfte, damit es den Anschein hatte, dass die Schwangerschaft vorankam. Als das die Frau hörte, fing sie ebenfalls so zu lachen an, dass sogar ihr Mann munter wurde, aber den schickte sie schnell wieder ins Bett. Der brauchte nichts zu wissen. „Du machst deine Sache sehr gut. Geh wieder hin und tu, als ob du alles für die Geburt vorbereitest. Saubere Tücher, die Schüsseln, na du weißt schon, was alles sein muss. Das hast du prima gemacht und sei vor allem immer höflich und frage nichts. Sonst erregst du nur Aufsehen und bringst dich in Gefahr. Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, dann stelle dich krank, und ich hole dich dort heraus.“
Schnell verschwand die Magd wieder in der Dunkelheit und tat, wie ihr geheißen. Magda wurde immer dicker und dicker. Sie konnte sich kaum noch bewegen und lag meistens auf ihrem Bett. Der Doktor lief schleunigst in die Apotheke und berichtete leise, dass Magda in der Nacht niederkommen würde. Die Tochter des Apothekers ging, rein zufällig, ins Haus des Bürgermeisters, um einen Besuch zu machen. Sie bat darum, ihre Magd wieder mitnehmen zu dürfen, da sie ein sehr großes Fest geben wolle und jede Hand in der Küche gebraucht wurde. Die Frau des Bürgermeisters war davon gar nicht begeistert, aber als sie den Blick ihres Mannes sah, stimmte sie zu. Die Magd war auch im selben Augenblick aus dem Haus verschwunden und rannte in das Haus des Doktors, wie es ausgemacht war. Sie musste dieses Mal helfen, das Kind auf die Welt zu bringen. Die Tochter des Apothekers schwatzte noch ein wenig mit der Frau Bürgermeisterin, trank in Ruhe ihren Tee und fragte, wann es denn nun so weit sein würde, dass das Kind zur Welt kommen sollte. Der Bürgermeister sagte mit dem freundlichsten Lächeln: „Der Arzt weiß Bescheid und ich denke, dass wir uns in den nächsten Tagen über ein gesundes Kind freuen können.“ Damit verabschiedete man sich und die Apothekertochter versprach, eine der Taufpaten zu werden. Langsam ging sie in Richtung ihres Hauses, denn sie wusste, dass der Bürgermeister am Fenster stand und sie beobachtete.
Im Haus des Doktors setzten bei Magda die Wehen ein und es ging, wie bei dem ersten Jungen, alles sehr schnell. Magda gebar Zwillinge. Einen Jungen und ein Mädchen. Alle starrten auf die Kinder und konnten es nicht fassen. Was sollte nun werden? Auch der Bürgermeister hatte seine Spione und schon bald würde er kommen, um das Kind zu holen und um Magda zu beseitigen. Der gute Doktor wusste auch hier Rat. Er ging zu Magdas Nachbarn und erzählte die ganze Geschichte. Dieser rief alle anderen Nachbarn zusammen und sie waren sich einig, dass so eine Tat des Bürgermeisters nicht zu dulden sei.