Das schönste Konzert - Heidi Axel - E-Book

Das schönste Konzert E-Book

Heidi Axel

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Beschreibung

Ein Stück von Shakespeare kommt zur Theateraufführung, temporäre Kunstausstellungen entzücken. Lassen Sie sich eine besondere Weinlese nicht entgehen! Über einen verschwundenen Weihnachtsbraten wird berichtet, auch andere Bescherungen am Heiligen Abend sind zu verkraften. Wie - Kalte Schnauze - zuzubereiten ist, erfährt man gleich nebenher. Eine amüsante Treppenhausgeschichte würzt in aller Kürze. Auf welche Weise man mit Leiharbeit die Löhne immer weiter abwärts sinken lassen kann, weiß eine Erzählung zu berichten, eine andere, wie ein Vater durchsetzt, dass seine Tochter Technische Zeichnerin lernen kann und aus der LPG entlassen wird. Vier Damen gehen aus, das will sorgfältig vorbereitet sein. Doch es nimmt ungeahnte Folgen an. Der Band enthält zahlreiche Kriminalgeschichten und zuweilen steht der Kommissar vor kniffligen Fällen. So gibt ein Klassentreffen schwierige Rätsel auf. Ein Firmeninhaber verschwindet auf makabre Weise.

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Seitenzahl: 733

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Inhalt

Renate Kinzel

Er!

Hannelore Thürstein

Der späten Jahre farbenfroher Weg

Claudia Engeler

Ein Apfel kommt selten allein

M. Wolfram Kutzscher

Tatort Treppenhaus

Missverständnis

Werner Hetzschold

Max

Der Hausierer

Die Hebamme

Das Paar

Mutter und Martin Buber

Der Typhuskranke

Was nicht gelehrt wurde ...

Umgang mit der Angst – Aus dem Tagebuch meines Großvaters Thomas Boronsky

Der Arier

Der Leiharbeiter

Karsten Beuchert

Blind Date

Fern der Heimat

Herzgedanken

Nimm Zwei

„Ganz Subjektiv Mollig“

Carsten Rathgeber

Ein vierter Weg: Das fehlende Vermögen

Dörthe Pahne

Das goldene Kännchen

Weihnachtsessen

Gefahr im Moor

In Freundschaft verbunden

Lore Tomalla

Altern will gelernt sein

Anneliese

Anne-Christl Bolkart

Bobo

Heidi Axel

Das Denkmal

Der geborgte Mann

Das Leben ist oft voller Geheimnisse

Eine Diskussion der besonderen Art

Und plötzlich ist nichts mehr so, wie es mal war

Ich kaufe keine Chips mehr!

Nicht nur der Sex ist ausschlaggebend

Zum hübsch Aussehen, hab ich jetzt Zeit!

Es wird nicht gelacht!

Wie wohnte man zu DDR-Zeiten?

Kindergarten, Schule, Beruf

Urlaubserinnerungen vor der Wende und nach der Wende!

Wer schön sein will, muss reisen!

Der Schein muss gewahrt bleiben

Norina Fisch

Das verschlafene Ereignis

Werner Friedrich Kresse

Herbstzeit

Rainer Daus

Kapitulation

Die Verwechslung

Der Maler

Fünfzehn Tritte

Der Gynäkologe

Thomas Hoffmann

Weinlese

Gefallener Engel

Grete Ruile

Fast ein Witz

Das schönste Konzert

Kleines Alltagserlebnis

Schokolade

Colette

Henning Günther

Flucht aus der Nervenklinik

Thomas Wimmer

Eine haarige Angelegenheit

Stefan Herbst

Urlaub ohne Happy End

Wenn es dunkel wird

Gefangen in mir selbst

Das zweite Gesicht

Ein Mann, ein Wolf

Spurlos verschwunden

Eduard Preis

Der Schriftsteller

Der Geburtstag

Autorinnen und Autoren

Renate Kinzel

Er!

Fast hätte sie vergessen, in den Bus einzusteigen, so faszinierte sie der junge Mann, der, als er ausgestiegen war, stehen blieb und vor sich hinstarrte. Die Einsteigenden waren gezwungen, um ihn herumzugehen.

Nun war sie zuhause, doch anstatt sich zu beeilen, um pünktlich zur Arbeit zu kommen, ertappte sie sich immer wieder dabei, wie sie ins Träumen geriet. Das seltsame Verhalten dieses Mannes ließ sie nicht los. Irgendetwas musste ihn so sehr beschäftigt haben, dass es ihn alles um sich herum vergessen ließ.

Erst kurz nach sieben Uhr erschien sie im Foyer des Theaters. Veronika und Karin, ihre beiden Kolleginnen, begrüßten sie mit einem verzeihenden Lächeln, denn es war noch nichts zu tun: „Den Bus verpasst, Gisela?“

Erst ein einziges Paar war da, stand an der Theke und bekam von Herrn Galm Sekt serviert. Die beiden machen es richtig, dachte sie, sie genießen den Theaterabend von Anfang an, bereiten sich innerlich darauf vor, anstatt in letzter Sekunde angehetzt zu kommen, schnell einer von uns den Mantel zu geben, ungeduldig auf die Marke zu warten und dann die Treppe hinauf zu hasten.

In jedem Abonnement gab es solche und solche, und Herr Galm kannte diese Hetzer so gut wie seine Stammkundschaft. Seine Aufgabe war es, mit einem Klingelzeichen den Türsteherinnen das Zeichen zu geben, wenn das Foyer sich geleert hatte und die Türen zum Saal geschlossen werden konnten. Es kam vor, dass er noch ein, zwei Minütchen dazugab, wenn einer dieser Dauerhetzer noch nicht aufgetaucht war.

Ellen hatte sich krankschreiben lassen. Doch an diesen warmen Septemberabenden kamen viele Zuschauer ohne Mantel, so dass sie zu dritt die Arbeit an der Garderobe gut bewältigen würden.

Allmählich füllte sich das Foyer. Der alte verwitwete Herr reichte ihr mit einem bittenden Blick seinen Sommermantel. Sie verstand. Der Aufhänger war abgerissen! Nachher, wenn die Vorstellung begonnen hatte, würde sie ihn annähen. Ihr Nähkästchen stand dafür hinten an der Wand bereit. Normalerweise fehlten die Aufhänger nur bei den Frauen, die Männer fanden meistens ein weibliches Wesen, dem sie den Mantel in die Hand drücken konnten.

Es gongte und die Zuschauer setzten sich langsam in Bewegung. Plötzlich schoss ihr das Blut ins Gesicht. Da stand er wieder, mitten im Foyer, und ließ sich von der sich vorwärts bewegenden Menge nicht erfassen, stand da wie angewurzelt! Wollte er nun die Vorstellung besuchen oder nicht? Als er allein zurückgeblieben war, schaute Herr Galm fragend zu ihm hinüber. Der junge Mann blickte sich überrascht dreinschauend um und verließ schnell das Theater.

Herr Galm schüttelte den Kopf, gab Signal nach oben und ging in den kleinen angrenzenden Raum hinter der Theke, um die Gläser zu spülen, während sie sich zu ihrem Nähzeug begab. „Gisela, hast du diesen komischen Kerl eben gesehen?“, hörte sie hinter sich Veronika fragen. Zum Glück wandte sie ihr den Rücken zu, sodass ihre Kollegin nicht sehen konnte, wie sie erneut errötete. Karin spottete: „Unsere Mutti benäht wieder einen ihrer Lieblinge.“ Darüber konnte sie lachen und so ihre Verlegenheit abschütteln. Was war los mit ihr? Sie benahm sich ja wie ein Teenager!

Herr Galm kam mit einem Kasten leerer Flaschen und trug ihn hinüber zu dem großen Spiegel, in dem sich die Damen von oben bis unten bewundern konnten und der die Tür zu seiner Vorratskammer war. Wenn sie hier hinten bei ihrem Nähzeug saß, konnte sie jedes Mal, wenn er diese Tür öffnete, im Spiegel die Treppe erblicken, die zum Zuschauerraum führte. Von der Herrengarderobe der Schauspieler führte eine Tür direkt auf diese Treppe, und manchmal hielt sich während der Vorstellung auf ihr ein älterer, nervöser, sich unbeobachtet fühlender Schauspieler auf, vollführte seltsame Gebärden und schien seinen Text vor sich hin zu brabbeln. Dieses Schauspiel hatte sie schon oft belustigt. Eigentlich tat ihr der alte Herr Leid, dessen Gedächtnis allem Anschein nach nicht mehr das Beste war, und sie hütete sich davor, es den anderen zu erzählen.

Im Augenblick war die Treppe leer. Herr Galm schloss die Tür und kam zu ihnen herüber: „Habt ihr auch diesen komischen jungen Mann bemerkt? Was der wohl gewollt hat?“ Karin und Veronika äußerten Vermutungen, Gisela machte sich ihre eigenen Gedanken. Eines wurde ihr jetzt klar: Sein seltsames Verhalten hing mit dem Theater zusammen.

Während sonst Hausmeister Wieser Mühe hatte, die letzten noch immer miteinander diskutierenden Zuschauer zu bewegen, das Theater zu verlassen, damit er abschließen konnte, leerte sich heute bei diesem warmen Herbstwetter das Foyer schnell. Man wollte wohl noch einen Platz in einer der Gartenwirtschaften ergattern. Als Gisela zusammen mit Veronika das Theater verließ, stand er wieder da, er!, und starrte ins Foyer. Veronika fing an zu kichern: „Typischer Fall von Schauspielerinnenverehrung!“ Hätte er dann nicht vor dem Künstlereingang warten müssen? Hier aber sah er nur Herrn Wieser, der hinter ihnen abschloss. „Vielleicht ist er nicht in eine Schauspielerin verliebt, sondern in das Theater an sich.“ – „Da magst du Recht haben, Gisela, denn Herr Wieser wird wohl kaum Gegenstand seiner Verehrung sein.“

*

Sie war mit der Regionalbahn aus der Stadt herausgefahren und eine gute Stunde in flottem Wanderschritt marschiert. Nun saß sie auf einer Bank und genoss den sonnigen Herbsttag in dieser lieblichen Landschaft. Wie oft war sie mit ihrem Mann diesen Weg gegangen und sie hatten auf eben dieser Bank eine erste Rast gemacht. Warum hatte Kurt so früh sterben müssen? Gleich nachdem er in Rente gegangen war, war er krank geworden. Ach, sie hatten noch so viel gemeinsam unternehmen wollen. Nächstes Jahr würde auch sie in Rente gehen. Und da saß sie nun, wollte eigentlich in Gedanken mit Kurt unterwegs sein und dachte ständig an einen jungen Mann, in einer Art und Weise, wie man es als junges Mädchen tut. Wie war das möglich?

Ein Gespräch fiel ihr ein, das sie erst kürzlich mit Veronika geführt hatte. Vier Trauerjahre seien genug, hatte ihre Kollegin gemeint. Sie solle sich endlich von ihrer langweiligen Dauerwellenfrisur verabschieden und sich einen flotten Haarschnitt zulegen, dann würde es schon klappen. „Was?“, hatte sie erstaunt gefragt. „Du weißt schon, was ich meine, Gisela. Ein neuer Partner! Willst du den Rest deines Lebens allein verbringen?“ Sie hatte über diese Vorstellung nur den Kopf schütteln können. „Ein flotter Haarschnitt! Dir steht so etwas, ich bin gar nicht der Typ dafür.“ – „Ach, Gisela, nun gib dir mal einen Ruck! Es gibt so viele schöne Dinge, die man zu zweit viel besser genießen kann.“ Wie Recht sie hatte, doch eine neue Bindung bedeutete neue Verpflichtungen. Auch der neue Partner könnte krank werden und Pflege gebrauchen. Das wollte sie sich nicht noch einmal antun. Bei Kurt war das etwas anderes gewesen nach all den vielen schönen Ehejahren. Aber über diese Bedenken hatte Veronika nur gelacht. Sie meine schließlich nicht einen alten Knacker, sondern einen jüngeren Mann. Ihrem Gerald, der etliche Jahre jünger war als sie, mache es nichts aus, dass sie bereits sechsundfünfzig und zweifache Großmutter sei. „Man muss ja nicht gleich heiraten. Gerald und ich, wir haben jeder unsere eigene Wohnung und treffen uns nur hin und wieder.“

Nein, sie konnte sich eine neue Partnerschaft nicht vorstellen, schon gar nicht mit einem jüngeren Mann. Aber diese Verliebtheit war angenehm. Warum nicht aus der Ferne für jemanden schwärmen? Dieses Gefühl wollte sie sich für eine Weile erhalten, ganz gleich, ob „er“ noch einmal auftauchen würde oder nicht. Entschlossen stand sie auf und lief im großen Bogen zur nächsten Bahnstation weiter.

*

Als sie am Abend das Foyer betrat, kam ihr Veronika entgegen. Gisela betrachtete plötzlich ganz bewusst ihre elegante Erscheinung. Das war nicht die Kleidung, denn sie trugen im Beruf alle das gleiche weinrote Kostüm, es waren ihre schwarz gefärbten, kurz geschnittenen Haare, eine Frisur, die ihre langen originellen Ohrringe voll zur Geltung kommen ließ, es war ihr selbstsicherer Gang, ihre Ausstrahlung. Sie dagegen – altbacken und gehemmt.

„Eine von uns soll morgen in der Kantine aushelfen. Magst du?“ Ja, sie mochte. Sie hatte das schon einmal getan und interessant gefunden. Die Gespräche, welche die Schauspieler in ihren Pausen führten, passten so gar nicht zu ihren Rollen. Nichts Dramatisches, nur Alltägliches. Und hin und wieder erfuhr man interessante Klatschgeschichten.

Zuhause dachte sie darüber nach, warum sie Veronikas Erscheinungsbild mit ihrem eigenen verglichen hatte. Weil sie sich einen Augenblick lang mit den Augen dieses jungen Mannes gesehen hatte? Sie betrachtete sich im Spiegel. Strickjacke! Plötzlich bekam sie Lust, sich auch privat schicker zu kleiden. Vielleicht mal ein Hosenanzug. Die Frisur? Nein, die würde sie so lassen, wie sie war. Sie musste sich wiederholen, was sie schon zu Veronika gesagt hatte: Ein so jugendlicher Haarschnitt passte nicht zu ihrem Typ! Aber vielleicht elegantere Schuhe. Es müssten ja keine Stöckelschuhe sein. Gedanken dieser Art machten ihr Spaß.

*

In der Kantine herrschte Hochbetrieb, denn die Proben für die zweite Inszenierung der Spielzeit waren in vollem Gange. Sie hatte alle Hände voll zu tun und keine Zeit zum Grübeln.

„Einmal Gulasch, bitte.“

Im Unterbewusstsein registrierte sie die neue Stimme. Wie jedes Jahr zum Spielzeitbeginn tauchten ein paar neue Gesichter auf. Als sie den Teller reichte, schaute sie auf und hätte ihn fast fallen lassen. Vor ihr stand er. Er! Sie nahm ihre ganze Kraft zusammen, um unbefangen zu wirken. Das erforderte ein hohes Maß an Selbstbeherrschung. Er lächelte sie freundlich an, nahm seinen Teller und ging zu einem Tisch, an dem noch niemand saß. Dort vertiefte er sich beim Essen in ein Buch. Ihr nächster Kunde musste seinen Wunsch zweimal äußern, bis sie reagierte.

Sie blieb noch ein paar Tage, dann setzte kaltes Wetter ein und man brauchte sie wieder an der Garderobe. Schade. Sie hätte gern noch länger seine Gegenwart genossen. Florian Weber hieß er, Florian! Was für ein schöner Name! Er war ein äußerst höflicher und freundlicher junger Mann, starrte natürlich nicht mehr geistig abwesend vor sich hin, hatte aber in dieser Zeit keinerlei Versuch unternommen, mit jemandem ins Gespräch zu kommen. Das war ungewöhnlich. Neulinge suchten stets den Kontakt zu den Kollegen. Er war auch ganz gewiss nicht in eine Schauspielerin verknallt, was sie anfangs vermutet hatte.

Auch bei allen anderen am Theater Beschäftigten schien sein seltsames Verhalten das Interesse an ihm geweckt zu haben. Einmal, kaum dass er den Raum verlassen hatte, ging das Geklatsche über ihn los, und natürlich spitzte sie die Ohren. So erfuhr sie, mit welcher Sturheit er sich um einen Arbeitsplatz am Theater bemüht hatte, ganz gleich in welcher Funktion, und auch nicht lockergelassen hatte, nachdem er erneut eine Absage bekommen hatte. Schließlich hatte man ihn als Mädchen für alles eingestellt. Und er machte seine Sache gut. Überall, wo Not am Mann war, sprang er ein. Sogar geputzt hatte er schon. „Das ist einer, wenn man den durch die Vordertür hinausschmeißt, kommt er durch die Hintertür wieder herein!“, war die allgemeine Meinung und die, dass er durch besagte Hintertür zur Bühne kommen wollte, vielleicht, weil ihm die Mittel für eine Schauspielausbildung fehlten.

*

Sie hatte ihre innere Festigkeit wiedergefunden. Ganz bewusst schwärmte sie jetzt für ihn und genoss seinen Anblick. Einmal kam sie sogar in den Genuss einer Unterhaltung, als er sie auf der Treppe einholte und dann gemeinsam mit ihr bis zu seinem Auto weiterging. Er lachte, als sie ihn fragte, woher er dieses uralte Vehikel habe. Das habe ihm sein Vater abgetreten. „Man kann keinen Staat damit machen, aber es tut’s noch gut.“ – „Was ist das für ein Kennzeichen?“ – „Von Mittenfeld.“ – „Der berühmten Universitätsstadt? Dort kommen Sie her?“ Er nickte. Zu Hause suchte sie Mittenfeld auf der Landkarte. „Gisela, du bist ein verrücktes Huhn!“, sagte sie laut in Richtung Spiegel. Ja, es freute sie, etwas Persönliches über ihn zu wissen. Aus Mittenfeld kam er also. Für morgen hatte sie sich beim Friseur angemeldet.

Nun konnte sie sich doch nicht entschließen. Als sie den Wunsch geäußert hatte, statt einer neuen Dauerwelle mal einen flotten Schnitt zu wagen, hatte die Friseurin freudig zugestimmt und schaute sie, als sie nun zögerte, erwartungsvoll an. Nach einer längeren Pause kam die Entscheidungshilfe: „Die Haare wachsen ja wieder, wenn es Ihnen nicht gefällt.“ – „Schneiden!“ Das kam wie ein Kommando und die Friseurin strahlte.

„Jetzt können sie die Augen wieder öffnen.“ Sie hatte beim Schneiden nicht gewagt hinzusehen. Die Frau, die ihr aus dem Spiegel entgegenschaute, war nicht die gleiche, die sie seit Jahr und Tag kannte. Dass eine andere Frisur ein Gesicht derart verändern konnte! Aber gut sah es aus. Auf dem Nachhauseweg begegnete sie einer Bekannten, fürchtete sich vor einer Bemerkung und war dann doch enttäuscht, dass ihre neue Frisur nicht erwähnt worden war.

*

Zurück an ihrem alten Arbeitsplatz stellte sie fest, dass auch hier über Florian geklatscht wurde. Herr Galm, mit guter Beziehung zur Kantine, brachte immer die neuesten Nachrichten. Dieser Florian Weber schien ein Allroundgenie zu sein. Er war sogar kurzfristig für einen erkrankten Schauspieler eingesprungen, hatte zwar nur zwei Sätze zu sagen, aber immerhin!

Niemand hatte ihre neue Frisur erwähnt, nicht einmal Veronika hatte sich geäußert, positiv, wie sie gehofft hatte. Schwieg man, weil sie nicht gefiel? Egal!

Ellen fehlte nun doch für längere Zeit. Als Ersatz kam eine junge Studentin, die über diesen Job am Abend äußerst glücklich war, da sie tagsüber keine Zeit und als Bedienung zu arbeiten keine Lust hatte. Julia passte gut in ihr Team und fand sich beim „Sturm auf die Bastille“, wie Karin das Gedrängel nach jeder Vorstellung nannte, schnell mit den Nummern zurecht und suchte nicht lange, wenn jemand seine Garderobe an einer anderen Stelle holte, als er sie abgegeben hatte. Am ersten Abend sank sie nach dem letzten herausgegebenen Mantel mit einem „Wow“ erschöpft auf einen Stuhl, straffte sich jedoch sofort und fragte leise: „Ist das ein Schauspieler?“ Alle drei mussten sie schmunzeln, denn Herr Wieser war erschienen. Die Enttäuschung darüber, dass dies nur der Hausmeister sei, stand ihr im Gesicht geschrieben. Veronika lachte laut auf, sagte nur: „Ja, ja!“, und ging.

Herr Wieser war zwar im besten Mannesalter, wie man es von gut aussehenden Männern in den Vierzigern zu sagen pflegte, aber es war unseren drei Frauen doch unverständlich, warum junge Mädchen so auf ihn flogen. Nun auch Julia! Unverheiratet wie er war, hatte er das weidlich ausgenutzt. Er war bekannt für seine jungen Freundinnen, die oft wechselten.

*

Shakespeares Stücke sind bekanntlich reich an Personen und da als dritte Inszenierung ein solcher Klassiker auf dem Programm stand, bekam Florian seine Chance. Er sollte mehrere kleine Rollen übernehmen, war zwar nie lange und jeweils mit nur wenig Text, aber doch über den ganzen Abend verteilt immer wieder auf der Bühne. Diese Inszenierung musste sie sich unbedingt ansehen.

Die Premiere war ausverkauft. In der Pause wurde eifrig diskutiert, doch der Lärmpegel war so hoch, dass unsere vier Damen an der Garderobe kein Wort verstehen konnten, hatten aber den Eindruck, dass die Inszenierung abgelehnt wurde. Julia meinte, herausgehört zu haben, dass alle Männer in Stöckelschuhen laufen mussten. Sie hielten das für kompletten Blödsinn. Julia hatte sich sicher verhört. Als nach der Vorstellung fast alle Mäntel abgeholt waren, stand noch eine Gruppe in Hörweite und redete über diesen seltsamen Regieeinfall, alle Männer in Frauenkleidern und eben auch in Stöckelschuhen auftreten zu lassen. Julia hatte also richtig gehört. Nur wenige verteidigten diese Idee, das sei eben Shakespeare verkehrt, zu dessen Zeit bekanntlich nur Männer auftreten durften. Nein, meinte jemand, Shakespeare verkehrt wäre gewesen, wenn nur Frauen gespielt hätten. „Eine Zumutung!“ Fast wütend brachte es ein Mann auf den Punkt. Veronika wurde ungeduldig, weil sie befürchtete, ihren Bus nicht mehr zu bekommen. In diesem Augenblick kam her Wieser. Erst blieb er stehen und betrachtete die Schwatzenden eine Weile, dann forderte er die Gruppe auf, das Haus zu verlassen, da er abschließen wolle, woraufhin sich diese Zuschauer ihre Mäntel holten. Endlich Feierabend! Veronika rauschte ab. Doch Herrn Wiesers Aufforderung, das Haus zu verlassen, hatte nichts genützt. Die Leute blieben, mit dem Mantel über dem Arm, stehen und diskutierten weiter. Da wurde er laut: „Sie verlassen sofort das Haus! Sie können draußen weiterreden!“ Julias Augen wurden groß: „Der kann aber energisch sein!“ – „O, ja, das kann er, wenn es nicht so geht, wie er will. Na, Gisela, hast du immer noch Lust, dir die Vorstellung anzusehen?“, meinte Karin etwas spöttisch. Und ob sie Lust hatte! Natürlich sagte sie mit keinem Wort, dass nicht William lockte, sondern Florian.

*

Shakespeares Tragödien sind keine leichte Kost. Normalerweise dauert es bei diesem Herrn schon eine Weile, bis man alle Personen auseinander sortiert hat und weiß, wer zu wem gehört. Doch die Tatsache, dass alle Männer in Frauenkleidern herumliefen, machte die Sache noch schwieriger. Nach einer Weile fiel es Gisela schwer, der Handlung zu folgen. Sie wartete nur noch auf Florians nächsten Auftritt und freute sich, seine wohltönende Stimme zu hören, wenn er hin und wieder einen Satz zu sagen hatte. So zart, wie er gebaut war, hätte man ihn in diesem Kostüm für ein Mädchen halten können.

Der Künstlereingang führte in eine schmale dunkle Gasse. Hier wartete sie nach der Vorstellung in einiger Entfernung auf ihn, denn sie wollte ihn unbedingt noch einmal in Männerkleidern sehen, bevor sie nach Hause ging. Im Gebäude gegenüber waren Schreinerei und Fundus untergebracht. Auch der Hausmeister hatte dort seine Wohnung und in einem seiner Fenster brannte Licht. Herr Wieser kam aus dem Haus und ging ins Theater, um abzuschließen. Wahrscheinlich hatte er das Licht brennen lassen, weil er vorhatte, gleich zurückzukommen. Kurz darauf erschien Florian. Er blieb unter dem erleuchteten Fenster stehen und starrte hinauf, in einer Weise, als ob er alles um sich herum vergessen würde. Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt. So hatte sie ihn damals gesehen, genau so. Leise ging sie fort, froh, dass er sie nicht bemerkt hatte.

Jugendvorstellung und zusätzlich ausverkauft! Dieses Publikum reagierte ganz anders. Man verstand in der Pause zwar wieder kaum etwas, merkte aber an der Mimik der überwiegend jungen Zuschauer, dass es ihnen gefiel. Nach dem ersten Gong gingen alle zügig auf ihre Plätze zurück, allem Anschein nach gespannt, wie es weiterging.

„Gisela, du hast uns noch gar nicht erzählt, wie du die Inszenierung überlebt hast.“ Sie war froh, sich wieder einmal um einen Aufhänger kümmern zu müssen, denn es war ihr peinlich, außer von Florians Auftritten nicht viel mitbekommen zu haben. „Es hat mir nicht gefallen“, sagte sie nur, tief über die Näharbeit gebeugt. Veronika gab sich damit zufrieden.

Herr Galm öffnete die Spiegeltür. Ganz automatisch schaute sie hin und erschrak: Florian schlich sich mit den Schuhen in der Hand die Treppe hinunter. Nach der Pause verging doch höchstens eine Viertelstunde bis zu einem seiner Auftritte. Was hatte er vor? Und im Kostüm? Er war nicht mehr zu sehen. Hatte er das Theater verlassen? Wenn, dann nicht durch den offiziellen Hinterausgang, der von jedem im Foyer einsehbar war. Aber es gab noch eine schmale Tür, die in die dunkle Gasse führte und die nicht in ihrem Blickfeld lag. Doch was wollte er mitten in einer Aufführung außerhalb des Theaters? Nach ein paar Minuten schloss Herr Galm die Tür wieder. Nun wusste sie nicht, ob Florian rechtzeitig zurückkommen würde. Etwas später ging Herr Galm noch einmal kurz in seinen Vorratsraum und genau in diesem Augenblick sah sie Florian die Treppe hinaufhuschen. Erleichtert atmete sie auf. Das hätte Ärger gegeben!

Wieder standen die Besucher nach der Aufführung in Grüppchen zusammen und konnten sich nicht lösen. Diesmal schien niemand die Inszenierung als Zumutung zu empfinden. Die Gruppe, die dicht bei der Garderobe stand, bemühte sich, den Regisseur zu verstehen, was allerdings nicht allen leicht fiel: „Er will damit zum Ausdruck bringen, dass der Charakter eines Menschen nicht an seinem Äußeren abzulesen ist. Du sollst dich auf sein Wesen konzentrieren, nicht auf die Kleidung.“ – „Dann könnten genauso gut alle im schwarzen Anzug erscheinen.“ – „Das hatten wir schon. Diese Aufmachung würde dich nicht ablenken. Aber die Frauenkleider tun es und genau das sollst du vermeiden.“

Die Damen an der Garderobe wollten nachhause und sehnten Herrn Wiesers energischen Auftritt herbei, doch er kam nicht. Was sollten sie tun? Die Mäntel einfach auf die Brüstung legen und verschwinden? Schlecht, wenn dann ein Mantel vertauscht würde. Julia erbot sich, zu den Diskutierenden zu gehen. Sie konnte sich das leisten, denn sie war nicht fest angestellt. Lachend wurden daraufhin die Mäntel abgeholt, doch nicht angezogen. Mit den Sachen überm Arm redete man weiter.

„Kinder, wir gehen.“ Jetzt ergriff Veronika die Initiative. „Für das Haus ist der Hausmeister verantwortlich, nicht wir.“

*

Am nächsten Tag erfuhren sie dann die schreckliche Wahrheit: Herr Wieser war ermordet worden! Der Anruf kam, als Gisela gerade beim Frühstück saß. Alle, die an diesem Abend im Theater beschäftigt gewesen waren, sollten bei der Polizei vorbeikommen und sagen, ob sie etwas beobachtet hätten. Sie hatte etwas beobachtet, sie hatte sehr wohl etwas beobachtet! Zorn stieg in ihr auf. In einen Mörder hatte sie sich verliebt. Deswegen war er die Treppe hinuntergeschlichen, deswegen war er überhaupt hierher gekommen. Um den Hausmeister umzubringen. Deswegen hatte er in das Foyer gestarrt, in dem nur Herr Wieser zu sehen gewesen war. Seine Blicke hatten tatsächlich ihm gegolten. Aber warum? Warum hatte er zielstrebig darauf hingearbeitet, eine günstige Gelegenheit zu finden, ihn zu töten? Ja, sie würde der Polizei ihre Beobachtungen mitteilen. Man würde sie für ihren Scharfsinn bewundern.

Plötzlich konnte sie nicht mehr weiteressen. Wollte sie eine gerechte Bestrafung für diese Tat? Oder war es in Wirklichkeit der Wunsch, für ihre gute Beobachtungsgabe bewundert zu werden? Sie schämte sich für ihren letzten Gedanken. Es konnten dumme Zufälle sein. Florian konnte, nein, er musste unschuldig sein. So ein sympathischer Mensch! Nein. Sie würde nichts erzählen.

*

Man vermutete als Täter eine Frau, denn auf dem Tisch standen zwei Weingläser, an einem Spuren von Lippenstift. Florian war geschminkt gewesen. Es kamen ihr Zweifel, ob er nicht doch …? Aber sie blieb ganz ruhig, als sie aussagte, keinerlei außergewöhnliche Beobachtungen gemacht zu haben.

Nachts schlief sie unruhig, wachte immer wieder auf und wusste nicht, was sie tun sollte. Wenn sich ihr Verdacht gegen Florian verstärken sollte, musste sie zuerst den Grund für diese Tat herausfinden, der offensichtlich in der Vergangenheit zu suchen war.

Der Theaterbetrieb ging weiter. Julia kam zu spät und mit verquollenen Augen. In der Pause setzten sie sich alle zusammen mit Herrn Galm in eine der lauschigen Polsterecken, die das Foyer so heimelig machten. Sie mussten darüber reden und zwar ausführlich. Inzwischen hatten sie erfahren, auf welche Weise der Hausmeister umgekommen war: Man hatte seinen Kopf mit bestialischer Gewalt mehrmals gegen die Wand krachen lassen. Das erforderte Kraft, das konnte keine Frau gewesen sein. Darin waren sie sich einig. Julia fing bei dieser Schilderung an zu schluchzen. Gisela nahm sie tröstend in den Arm und konnte so verhindern, dass sie selbst in Tränen ausbrach, jedoch aus Erleichterung, denn Florian, ein Leichtgewicht, konnte unmöglich diese Tat begangen haben.

Karin brachte die vielen Liebschaften mit jungen Mädchen zur Sprache und Veronika fügte hinzu: „Ja, Julia, du bist nicht die Erste, die sich in ihn verknallt hat.“ Diese Bemerkung wirkte auf Gisela brutal, doch Julias Schmerz schien er gelindert zu haben. Sie schaute interessiert auf. Und nun erfuhr sie von seinen Freundschaften mit Statistinnen und Assistentinnen, die nie lange gedauert hatten, weil er die Abwechslung geliebt hatte.

„Ist er denn nicht verheiratet gewesen?“ – „Nein, dazu hat es der Schwerenöter nicht kommen lassen.“ Herr Galm meinte, dass sich vielleicht eine dieser Schönen, noch wahrscheinlicher ein Mann aus deren Umfeld, Freund oder Verwandter, an ihm hatte rächen wollen. „Vielleicht ist etwas vorgefallen, was wir nie erfahren haben.“

„Seltsam“, Karin stützte nachdenklich ihr Kinn in die Hand, „das fällt mir jetzt erst auf! Seit der Affäre mit dieser Ulrike Braun hat er keine Freundin mehr gehabt.“

„Ulrike Braun?“ Gisela tat ganz erstaunt. „Richtig, da warst du zur Kur, als das passiert ist. Im Frühjahr. Ulrike Braun aus der Requisite.“ Jetzt erinnerte sie sich wieder an sie. Eine nette junge Dame, Ende zwanzig. Sie hatte aber keinen Kontakt zu ihr gehabt, im Gegensatz zu Karin, die sich öfter mit ihr getroffen hatte.

„Die war auch seinem Charme erlegen.“ – „Und die hat er auch sitzen lassen?“, fragte nun Julia. „Viel schlimmer, sie ist gestorben. Und ihm hat man unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen. Es kam sogar zu einer Anklage, doch man konnte ihm keine Schuld nachweisen. Altersmäßig hat sie besser zu ihm gepasst als all die jungen Hühner. Sie hat studiert gehabt. In Mittenfeld.“

Mittenfeld! Das war wie ein Stich ins Herz. Aus Mittenfeld stammte auch Florian. Immer dieses Hin und Her der Gefühle! Er war es – er konnte es nicht sein – er konnte es doch gewesen sein – ausgeschlossen – aus Mittenfeld, also doch! Möglich, dass er sie kannte und ihretwegen hergekommen war. Sie fühlte sich innerlich ganz zerrissen. Um ihre innere Ruhe wieder zu erlangen, musste sie Klarheit haben, und die musste sie sich ohne die Hilfe der Polizei verschaffen, um ihn nicht ungerecht in Verdacht zu bringen. Wie aus weiter Ferne drangen Karins Worte zu ihr. Was hatte sie gerade gesagt? Jetzt war Gisela volle Aufmerksamkeit und fragte nach: „Wo war sie her?“ – „Genau weiß ich es nicht. Sie hat mir mal erzählt, dass sie immer mit dem Fahrrad zur Uni gefahren ist, denn ihr Dorf liegt nur sieben Kilometer von Mittenfeld entfernt.“ Sieben Kilometer im Umkreis also. Das erleichterte die Sache. Sie fasste den Entschluss, Familie Braun aufzusuchen und in Erfahrung zu bringen, ob eine Verbindung zu Florian Weber bestand.

Herr Galm fasste zusammen, was sie alle dachten, dass jemand diese Ulrike Braun habe rächen wollen.

*

Am nächsten Morgen stand sie früh auf, um sich eine Wanderkarte der Mittenfelder Gegend zu besorgen. Sie maß die Entfernungen von der am Rande der Stadt liegenden Uni zu den Ortschaften und es gab zum Glück nur ein einziges Dorf, das genau sieben Kilometer entfernt war. Altenweilen. Sie überlegte kurz. Sie selbst besaß keinen Computer. Sollte sie jemanden bitten, im Internet die Telefonadresse der Familie Braun herauszusuchen? Dann hätte sie den Grund dafür angeben müssen. Deshalb rief sie lieber bei der Telefonauskunft an. Doch in Altenweilen war kein Braun zu finden. Entweder waren sie weggezogen oder hatten nur ein Handy.

Nachträglich ärgerte sie sich, nicht nachgefragt zu haben, woran diese Ulrike gestorben war. Aber zuerst hatte sie gehofft, Julia würde das tun. Doch diese war zu sehr in ihre Trauer um den flotten Hausmeister versunken, und später hatte sie sich nicht mehr getraut, weil man inzwischen zu anderen Gesprächsthemen übergegangen war. Es war zum Aus-der-Haut-Fahren! Wie konnte man nur so gehemmt sein! In Zukunft wollte sie versuchen, das, was sie dachte, auch zu sagen. Alle Selbstvorwürfe halfen nichts, sie musste es bei nächster Gelegenheit nachholen. Doch diese Gelegenheit gab es leider nicht. Das Thema Wieser schien abgehakt zu sein.

In der Woche darauf gab es zwei aufeinanderfolgende spielfreie Tage.

Sie stand vor dem Spiegel und lachte sich aus. „Du bist ja noch verrückter, als ich gedacht habe! Also weißt du, Gisela, jetzt spinnst du wirklich!“ Sie nutzte tatsächlich diese beiden Tage, um nach Mittenfeld zu fahren und in Altenweilen auf die Suche nach Familie Braun zu gehen.

*

Ein nasskalter Novembertag empfing sie in Mittenfeld. Die Busverbindung nach Altenweilen war spärlich, und leider hatte sie den Mittagsbus verpasst, weil sie sich erst zur Haltestelle hatte durchfragen müssen. Auf der Karte war ein Wanderweg nach Altenweilen eingezeichnet. In zwei Stunden müsste sie dort sein und zurück könnte sie den Bus um neunzehn Uhr nehmen. Der Nieselregen hatte zum Glück aufgehört.

Altenweilen war ein Nest mit etwa dreihundert Seelen. Sie hatte sich vorgenommen, Familie Braun zu finden, indem sie die Namensschilder an den Türen las. Aber die gab es nur an ein paar typischen Häusern wohlhabender Städter, die aufs Land geflüchtet waren. Ansonsten waren sie unnötig, da jeder jeden kannte. Sie hatte vorhin einen kleinen Laden entdeckt, beschloss, zurückzukehren und dort nach Familie Braun zu fragen. Wie gebannt blieb sie plötzlich vor einer schmiedeeisernen Gartentür stehen, in die mit schwungvollen Buchstaben der Name Weber eingearbeitet war. Weber! War Florian auch aus diesem Dorf und nicht aus der Stadt? Sie musste schon eine ganze Weile davor gestanden haben, als ein Mann aus dem Haus trat und auf sie zukam.

„Kann ich Ihnen helfen?“

Ihr erster Impuls war, schnell weiterzugehen. Aber hatte sie sich nicht vorgenommen, etwas mutiger Fragen zu stellen? Und diese Stimme! Sie glaubte, Florian zu hören. Hinzu kam die Art, wie er sich bewegte, und auch die Gesichtszüge erinnerten an ihn. Ja, so würde Florian einmal aussehen. Sie musste diesen Mann unbedingt in ein Gespräch verwickeln.

„Ich bewundere ihre Gartentür.“ – „Die hat mein Großvater gemacht. Eine schöne Arbeit, nicht wahr?“ – „Ja.“ Und nun? Schweigen. Ihn hätte sie jetzt nach der Familie Braun fragen können, aber irgendetwas hinderte sie daran. Wenn sie jetzt weiterging, war ihre Chance verpasst. Da kam er ihr zu Hilfe. Er wollte wissen, was sie im tristen November in diesem Nest zu suchen hatte.

„Ich musste einfach mal raus aus der Stadt und laufen.“ – „Dann sind Sie von Mittenfeld?“ – „Nein, nein, ich bin aus Serdingen.“ Sein Gesicht verdüsterte sich. Die Erwähnung Serdingens berührte ihn offensichtlich.

Sie war sich sicher, ins Schwarze getroffen zu haben: Er war Florians Vater! Sie verstand nur nicht, warum es diese negative Wirkung hatte. Seinem Sohn ging es doch gut. Schnell verscheuchte sie diese Gedanken, um unbekümmert weitersprechen zu können. „Aber bei uns kenne ich alle Wege in der nahen und weiteren Umgebung.“ Vielleicht würde er auf Florian zu sprechen kommen, und dann könnte sie nach Brauns fragen. „Mein Mann und ich, wir sind viel gewandert. Aber vor vier Jahren ist er gestorben und ich wollte unbedingt in einer mir fremden Gegend laufen. Deshalb bin ich nach Mittenfeld gefahren und habe mir dort ein Zimmer genommen.“ Er schien gar nicht zuzuhören, sondern mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein.

„Aus Serdingen sind Sie?“ Endlich sagte er etwas. „Dort hat meine Tochter gearbeitet!“ – „Ihre Tochter?“ Sie war so überrascht, dass sie sich nicht in der Gewalt gehabt hatte und ihr diese Frage viel zu laut und zu ungläubig herausgerutscht war. „Ja, meine Tochter! Trauen Sie mir keine Tochter zu?“, sagte er pikiert. „Doch, doch, natürlich. Ich weiß auch nicht warum, aber irgendwie habe ich Sie mir als Vater eines Sohnes vorgestellt.“ – „Na, wenigstens als Vater, nicht als Hagestolz, was man beim Zustand meines Gartens leicht denken könnte.“ – „Das ist doch ein schöner Garten.“ – „Er trägt die Handschrift meiner Frau, doch sie ist vor einem Jahr gestorben und nun vergammelt er. Im Frühjahr muss ich mich ernsthaft damit beschäftigen, ihn wieder in Ordnung zu bringen.“ Jetzt sprach er über den Garten und leider nicht mehr über seine Kinder. Dann musste sie mit ihm eben auch erst einmal über den Garten reden und bedauern, selbst keinen zu haben, bis sie das Thema Sohn anschneiden konnte.

„Haben Sie niemanden, der ihnen helfen kann?“ – „Nein, im Augenblick nicht. Sie übernachten in Mittenfeld, haben Sie gesagt? Aber es wird bald dunkel.“

„Um neunzehn Uhr geht ein Bus. Gibt es hier eine Wirtschaft, in der ich mich bis dahin ein bisschen ausruhen kann?“ – „Ein wenig außerhalb ist ein nettes Café. Der Bus hält auch dort. Es führt ein schöner Weg hin, an einem Bach entlang. Das heißt, jetzt ist alles kahl. Den sollten Sie im Frühjahr genießen, wenn die Apfelbäume blühen.“ – „Wer weiß, vielleicht komme ich wieder. – Mag sein, dass es unverschämt klingt, aber … könnten Sie mir diesen Weg zeigen?“ – „Aber sicher, gern sogar. Ich ziehe mir nur noch schnell andere Schuhe an.“

Sie sah ihm nach, wie er zum Haus zurückging. Wie Florian! Bei einem Spaziergang würde es sich noch besser reden lassen, als mit einer Gartentür zwischen sich.

Ihre Rechnung ging auf. Als sie Genaueres über seine Tochter wissen wollte, meinte er zuerst, sie mit seinem Kummer nicht belästigen zu wollen, fing dann aber doch an zu erzählen. Sie hatte Germanistik studiert und wollte Dramaturgin werden. Als solche hatte sie keine Arbeit bekommen und deshalb in Serdingen am Theater eine Stelle in der Requisite angenommen, in der Hoffnung, über diesen Umweg doch noch in der Dramaturgie zu landen.

„Am Theater hat sie gearbeitet? Da arbeite ich doch auch, unten an der Garderobe. Eigentlich kenne ich alle, die am Theater beschäftigt sind, doch eine Weber kenne ich nicht, nur…“ Er fiel ihr ins Wort. „Sie hieß Braun, meine Ulrike.“

Und nun, nachdem er erfahren hatte, dass Gisela seine Tochter kannte, öffneten sich die Schleusen und er redete sich seinen ganzen Kummer von der Seele. In ihr aber ging eine Wandlung vor. Hatte sie ihn am Anfang nur aus Neugierde, Florians Rolle in dem Mordfall betreffend, zum Reden ermuntert, war es jetzt das Mitgefühl für das Schicksal dieses Mannes, das sie aufmerksam zuhören ließ.

Trotz aller Warnungen von Seiten ihrer Eltern schlittert Ulrike gleich nach dem Abitur in eine unglückliche Ehe mit einem äußerst eitlen, von sich eingenommenen Mann, dem sie nur zur Dekoration bei seinen Auftritten dient. Zum Glück merkt sie bald, dass sie nicht die einzige Frau in seinem Leben ist, lässt sich scheiden und beginnt ein Studium. Die Eltern atmen auf, froh, dass sie sich doch noch gefangen hat. Aber kaum hat sie in Serdingen die Stelle in der Requisite angenommen, verliebt sie sich in diesen Wieser.

Eines Abends verletzt sie sich während der Vorstellung an einem rostigen Nagel. Anstatt gleich zum Arzt zu gehen, hält sie ihre Verabredung mit einem Herrn Wieser ein, geht mit ihm essen und anschließend zu ihm nach Hause. Noch in derselben Nacht stirbt sie an Blutvergiftung. Als er wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt wird, steht Wort gegen Wort. Er versichert, nichts von einem rostigen Nagel gewusst zu haben. Eine Statistin dagegen behauptet, als er Ulrike vom Theater abgeholt hat, habe sie es ihm gesagt, doch er habe nur gelacht, dass sie wegen so einer Kleinigkeit zum Arzt gehen wolle. Er macht glaubhaft, dass diese Dame ihm das nur unterstellt, weil sie eifersüchtig ist, nicht selbst von ihm eingeladen worden zu sein, und wird freigesprochen. „Kennen Sie diesen Herrn Wieser auch?“ – „Ja, er ist der Hausmeister?“ – „Ach so.“

Inzwischen waren sie beim Café angekommen. Er fragte, ob er ihr bis zur Abfahrt des Busses Gesellschaft leisten dürfe. In der Gesprächspause, die eintrat, als sie sich einen Platz suchten und ihren Kaffee bestellten, überlegte sie, ob sie Florian erwähnen sollte. Wusste er überhaupt, dass er ebenfalls am Serdinger Theater Arbeit gefunden hatte? Er hatte ihn mit keiner Silbe erwähnt. Das war seltsam. Auch von der Ermordung Herrn Wiesers schien er keine Ahnung zu haben. Als der Kaffee serviert wurde und er den ersten Schluck genommen hatte, kam er selbst auf Florian zu sprechen.

„Sie hatten vorhin Recht, als Sie mich für den Vater eines Sohnes hielten. Ja, ich habe auch einen Sohn. Gleich nach dem Studium ist er abgereist. Er wollte sich erst noch in der Welt umsehen, bevor er an einen Arbeitsplatz gebunden ist. Nach Asien wollte er. Asien ist groß! Er hat gesagt, er meldet sich nicht. Zuerst war das ganz schlimm für mich. Aber inzwischen bin ich froh, dass er das gesagt hat, denn es ist besser zu wissen, dass keine Nachricht kommt, als ständig vergeblich darauf zu warten.“

Florian konnte keine Nachricht schicken – aus dem fernen Asien! Weil er in Serdingen war. War er es überhaupt noch? Sein Auto stand gestern jedenfalls noch hinter dem Theater. Wie gut, dass sein Vater sie unterbrochen hatte, als sie erzählen wollte, dass sie ihn kannte. Sie hoffte inständig, er würde seinen Namen nennen, damit sie sich nicht doch noch verplapperte und plötzlich von Florian sprach. Er war so ahnungslos.

„Herr Wieser ist tot.“ – „Tot?“ – „Ja. Er ist ermordet worden.“ Eine starke Erregung erfasste ihr Gegenüber, und als Herr Weber erneut seine Tasse zum Mund führte, zitterte seine Hand. Er atmete schwer.

„Jetzt bin ich richtig glücklich, Florian so weit weg zu wissen, sonst würde ich Angst haben, dass er diesen Mord begangen hat. Meine Frau war erst sechsundfünfzig, als sie gestorben ist, ein harter Schlag für uns. Doch im Nachhinein bin ich froh, dass sie den Tod unserer Tochter nicht mehr erlebt hat. Florian hat den Tod seiner Schwester nicht verwunden. Und als Herr Wieser als Unschuldsengel dastand, hat er seinen Tod gewünscht. Er hat sogar beschlossen, ihn umzubringen, stellen Sie sich das vor!“ – „Das sagt man so in der ersten Wut.“ – „Nein, nein, so war es nicht. Er wollte es tatsächlich. Ich habe ihn nicht wiedererkannt, ihn, der sonst so ein sanftmütiger Mensch war. Nächtelang haben wir diskutiert. Ganz abgesehen davon, dass er sein eigenes Leben ruiniert hätte, es wäre Selbstjustiz gewesen. Und Selbstjustiz darf es nicht geben.“ – „Und es gibt keine Todesstrafe.“ – „Eben. Außerdem ist nicht bewiesen, dass er von der Gefahr einer Blutvergiftung gewusst hat. Ich kenne doch meine Tochter. Hörig wird sie ihm gewesen sein, diesem Wieser, wie seinerzeit ihrem Mann. Sie hätte ja die Verabredung absagen können. Wie würde Florian triumphieren, wenn er von diesem Mord erführe!“

*

Nun saß sie im Zug, fuhr zurück nach Serdingen und dachte über alles nach, was sie erfahren hatte. Klarheit hatte sie sich von diesem Ausflug erhofft. Nun, die hatte sie jetzt! Wie raffiniert, eine Reise durch Asien anzukünden, von der man keine Nachricht senden wollte, um so den Vater zu täuschen. Über Eines war sie sich nun sicher: Sie würde der Polizei nichts von ihrer Beobachtung erzählen, nicht Florians, sondern seines Vaters wegen. Das konnte sie ihm nicht antun. Beim Abschied hatte er sie nach Namen und Adresse gefragt: „Wo ich wohne, der Helmut Weber, wissen Sie ja.“

*

Als sie nach der Vorstellung mit Veronika zum Bus ging, druckste diese erst ein bisschen herum, dann rückte sie mit der Sprache heraus: „Gisela, ich muss dir etwas sagen. Als du neulich mit diesem flotten Haarschnitt angekommen bist, musste ich dir Recht geben, er passte nicht zu dir. Aber erstaunlicherweise hast du dich ihm angeglichen. Du bist lockerer geworden. Jetzt steht er dir richtig gut.“ – „Vielleicht, weil ich manchmal ein bisschen wegfahre und nicht immer zuhause bleibe.“

Ja, dieses Mal würde sie sich nicht vor Weihnachten fürchten, wie es seit Kurts Tod der Fall gewesen war, denn Herr Weber – Helmut – hatte sie gefragt, ob sie nicht Lust hätte, die Feiertage in Altenweilen zu verbringen.

*

„Habt ihr das schon gehört?“ Herr Galm kam aufgeregt zu ihnen herüber. „Dieser Florian Weber wird beschuldigt, der Mörder von Herrn Wieser zu sein.“ – „Was?“ Karin konnte es nicht fassen. „Nach vier Monaten finden sie das heraus?“ – „Polizeiarbeit dauert.“ Ellen, erst kürzlich wieder im Team, wusste von nichts und Karin erstattete ausführlich Bericht. Veronika fragte Herrn Galm nach Einzelheiten. Er war gut informiert: „Dieser Weber war der Bruder von Ulrike Braun. Hättet ihr das gedacht?“ Gisela versuchte, genauso erstaunt dreinzuschauen wie ihre Kolleginnen. Ihre anfängliche Vermutung war längst zur Gewissheit geworden. Außerdem hatte sie bemerkt, dass er nach Herrn Wiesers Tod in dieser seltsamen Shakespeareinszenierung nur noch ein einziges Male mitgespielt hatte. „Zuerst galt er als krankgemeldet“, berichtete Herr Galm weiter, „Als aber keine offizielle Krankmeldung kam, hat man gemerkt, dass der Vogel ausgeflogen ist. Niemand weiß wohin.“

Gisela konnte sich denken, wo er zu finden war: Irgendwo in Asien! Jetzt war er wohl wirklich dort. Ohne Auto. Das stand immer noch hier. Wie sollte sie sich Helmut gegenüber verhalten? An Weihnachten war er noch völlig ahnungslos gewesen. Jetzt wusste er Bescheid und ahnte sicher, wie es zu ihrer Begegnung gekommen war. Über Ostern wollte sie ihn wieder besuchen. Bei dem Gedanken, wie unangenehm diese erneute Begegnung ausfallen würde, wurde ihr ganz schlecht.

„Gisela, was hast du?“ Veronika holte schnell einen Stuhl. Sie setzte sich, atmete tief durch. „Du weißt doch, im Frühjahr habe ich immer Kreislaufstörungen. Es geht schon besser.“

Es gab nur eine Möglichkeit, sich ihre Freundschaft mit Helmut zu erhalten, sie musste ihn sofort nach der Vorstellung anrufen und ihm reinen Wein einschenken, ganz gleich, wie spät es war.

Er war noch wach. Ja, man hatte ihn unterrichtet und er hätte sowieso nicht schlafen können. „Zum Glück habe ich es schon vorher gewusst, denn Florian hat mir geschrieben. Aus Asien. Asien ist groß.“ Er hatte jemandem den Brief mitgegeben, der ihn in Indien aufgegeben hatte, denn nicht einmal er, sein Vater, sollte wissen, wo er sich befand.

„Es war also kein Zufall, dass du vor meiner Gartentür gestanden hast. Du wolltest das Gespräch mit mir.“ Sie spürte seine Enttäuschung.

„Nein, das war tatsächlich Zufall, den ich deinem Großvater zu verdanken habe. Kein Zufall war mein Besuch in Altenweilen. Aber gesucht habe ich Familie Braun. Ich wusste ja nicht, dass Ulrike Braun Florians Schwester war. Und als ich dir erzählen wollte, dass ich ihn auch kenne, bist du mir ins Wort gefallen.“ – „Das sollte wohl so sein.“ – „Ja. Danach habe ich es lieber verschwiegen. Was hat er denn geschrieben?“

Ihre nächtelangen Diskussionen hatten insofern etwas gebracht, weil Florian nicht mehr die Absicht gehabt hatte, Herrn Wieser zu töten, sondern vorgehabt hatte, ihn vor aller Welt zu blamieren, wenn er wieder mit einer jungen Geliebten unterwegs war. Doch diese Gelegenheit war nicht gekommen. Er hatte keine neue Geliebte gehabt. Dann hatte ihn diese seltsame Inszenierung auf die Idee gebracht, ihn in der Aufmachung als Frau zu schockieren und sein Schuldgefühl zu vertiefen. Schließlich war er sich geschminkt und mit Perücke seiner Ähnlichkeit mit Ulrike bewusst gewesen. Aber es kam ganz anders. Dieser Typ hatte nur gelacht. Er erinnere ihn an eine schnucklige Person, mit der er aufregende Nächte verbracht habe.

„Warte, ich hole den Brief und lese dir den Schluss vor: Da habe ich ihn gepackt und mit dem Hinterkopf gegen die Wand geschlagen. Er war sofort wie benommen, nicht in der Lage, sich zu wehren. Wenn er sich doch hätte wehren können! Doch so habe ich seinen Kopf immer und immer wieder gegen die Wand krachen lassen. Ich weiß nicht, woher ich plötzlich diese Kraft genommen habe. Ich war wie in einem Rauschzustand. Die ganze Zeit hat er mich angeschaut, bis er plötzlich das Bewusstsein verloren hat und zusammengesackt ist. Aber es war keine Ohnmacht gewesen. Er war tot. Als mir bewusst wurde, was ich angerichtet hatte, wurde ich eiskalt. Er hatte Wein getrunken. Die Flasche stand noch auf dem Tisch. Ich habe ein zweites Glas genommen und mit meinen geschminkten Lippen daraus getrunken. Natürlich war mir klar, dass ich mich genau dadurch am Ende verraten würde. Doch bis die Polizei das herausbekam, würde ich über alle Berge sein.

Lieber Vater, ich werde nicht nach Deutschland zurückkommen, doch ich werde versuchen, mein Unrecht zu sühnen, indem ich anderen Menschen helfe. Es gibt auf der Welt genug zu tun.“

Sie schwiegen, bis er endlich weitersprach. „Nun habe ich auch noch meinen Sohn verloren. Hin und wieder werde ich wohl von ihm hören, aber sehen werde ich ihn nie wieder.“ – „Wenn es so gewesen ist, war es Totschlag und kein Mord. Er sollte sich stellen.“ – „Da ich nicht weiß, wo er sich aufhält, kann ich ihm das nicht vorschlagen.“ Und nach einer Pause kam zögernd die Frage: „Kommst du an Ostern?“ – „Sicher. Ich muss doch mit dir den Weg am Bach entlang gehen, wenn die Apfelbäume blühen.“

Die Erzählung wurde 2001 inhaltlich gekürzt als Mundarthörspiel im SWR gesendet.

Hannelore Thürstein

Der späten Jahre farbenfroher Weg

Sie kamen alle in die Teeküche, um den Renteneintritt von Luise Neubauer zu feiern. Dreißig Jahre lang hatte sie sich um die Sauberkeit und Ordnung in den Firmenräumen gekümmert. Ein kleines Büffet mit selbstgebackenen Kuchen stand auf dem Tisch und in der Mitte der Versammlung befand sich Luise. Sie versuchte mit Tränen in den Augen, eine kleine Abschiedsrede zu halten, was ihr erkennbar äußerst schwerfiel. Nach der kleinen Feier spülte Luise das Geschirr, verabschiedete sich von allen und machte sich auf den Heimweg. Sie war in einer trübseligen und grüblerischen Stimmung. Was hatte ihr das Leben noch zu bieten?, fragte sie sich. Die Rente würde gerade für Miete und das Nötigste reichen und die sozialen Kontakte zu ihren Mitmenschen, die seit dem Tod der Tochter und ihres Mannes immer seltener wurden, würden weiter abnehmen und so ihre Einsamkeit und traurige Verlassenheit, die sie empfand, noch verstärken.

Drei Tage später fiel Luise beim Zeitungslesen eine kleine Anzeige auf. Ein älterer Herr suchte eine Haushaltshilfe für wenige Stunden am Tag. Gerade richtig, um die mickrige Rente aufzubessern, überlegte Luise und griff zum Telefonhörer. Drei Minuten später war ein Vorstellungsgespräch für den Nachmittag vereinbart, bei dem sie auch sofort die Zusage bekam, am nächsten Montag mit der Arbeit zu beginnen.

Der Inserent, Henrik Hopper, war ein weit über die Landesgrenzen hinaus sehr erfolgreicher Künstler und Experte für zeitgenössische Malerei, ein unsteter Geist von siebzig Jahren, der äußerst produktiv war und voll und ganz für die Kunst lebte. Er besaß ein großes, lichtdurchflutetes Wohnatelier in München, das einen herrlichen Blick über den Englischen Garten bot. Luise war begeistert von ihrem neuen Reich. Ihr zukünftiger Arbeitgeber wirkte auf sie etwas exzentrisch, aber sie wusste die Leute zu nehmen, wie sie waren.

Am Montag der darauffolgenden Woche klingelte Luise punkt neun Uhr bei Henrik Hopper. Alsbald hörte sie tapsende Schritte und kurz darauf wurde die Tür schwunghaft aufgerissen. Henrik Hopper stand barfuß im Schlafanzug und mit zerzausten Haaren an der Tür. Er blickte streng über den Rand seiner Brille und raunzte: „Wer sind Sie denn?“

Das fängt ja gut an, dachte Luise. „Guten Morgen Herr Hopper, ich sollte heute bei Ihnen im Haushalt anfangen.“

Der Maler besann sich. „Ach ja, hatte ich ganz vergessen. Kommen Sie herein“, forderte er Luise auf und lief schnurstracks mit ihr in die Küche. Luise staunte über das Chaos, das dort herrschte. „Dafür haben Sie mich sicherlich eingestellt, Herr Hopper?“

„Richtig! In diesem Haushalt gibt es jede Menge für Sie zu tun. Fangen Sie gleich an.“

Luise machte sich in den nächsten Tagen vertraut mit dem fremden Haushalt. Es herrschte überall eine schreckliche Unordnung, die sie in den folgenden Wochen beseitigte.

Ihr Arbeitgeber war ein Chaot und ein Mensch voller Widersprüche. Von Zeit zu Zeit, wenn er sich gerade langweilte oder ihm der Pinselstrich nicht so recht gelingen wollte, lud er Luise in sein Atelier ein, um ihr Vorträge über die Kunst des Malens zu halten. Ausgiebig erklärte er ihr die verschiedenen Maltechniken, referierte stundenlang über die Farbpalette und wie man aus verschiedenen Farben wiederum andere mischen konnte. Sie erfuhr, was Komplementärfarben sind und aus welchen Tierhaaren die besten Pinsel hergestellt werden. Im Laufe der Zeit verspürte Luise ein wachsendes Interesse an der Kunst. Sie fing an, alte Pinsel und nicht ganz leere Farbtuben, die Henrik verschwenderisch in den Müll warf, mit nach Hause zu nehmen. Auf kleinen, billigen Leinwänden begann sie ihre ersten Schritte in die spannende Welt der Ölfarbenmalerei und auch die Bücher zu diesem Thema aus der nahegelegenen Stadtbibliothek halfen ihr über viele Stunden der Einsamkeit hinweg.

Eines Tages, als Luise gerade ein paar alte Pinsel und Farbtuben in ihrer Tasche verstauen wollte, stand Henrik Hopper plötzlich hinter ihr. „Was machen Sie da?“, fragte er schroff. „Beklauen Sie mich etwa?“

Luise erschrak fürchterlich über diesen Vorwurf und wurde rot vor Verlegenheit. „Ich nehme mir nur die alten Pinsel und alten Farbtuben, die Sie wegwarfen, mit nach Hause“, erklärte Luise verunsichert.

„Aber das ist Diebstahl und was fällt Ihnen überhaupt ein, meinen Müll zu durchstöbern.“ Henrik Hopper war verärgert und wurde laut. „Sie können Ihre Siebensachen zusammenpacken und verschwinden. Sofort!“, befahl er und blickte sie mit einem wütenden Gesichtsausdruck an.

Luise brachte vor Scham kein Wort heraus. Sie senkte den Blick, legte die Pinsel und Tuben geräuschlos auf den Tisch, zog ihren Mantel an und verließ mit hängendem Kopf und ohne ein weiteres Wort die Wohnung von Henrik Hopper. Sie schämte sich wie nie zuvor in ihrem Leben. Sie hätte fragen sollen, kam es ihr in den Sinn, aber zu spät. Wie sehr sie den Verlust dieser Arbeitsstelle bedauerte, konnte sie gar nicht beschreiben.

Henrik Hopper war stinkwütend auf seine Haushaltshilfe, doch schon am nächsten Tag begann er, über seine Reaktion nachzudenken. Er hatte wieder etwas überzogen reagiert. Eine seiner unangenehmen Schwächen. Luise war in seinen Augen eine sehr kompetente Haushaltshilfe und einer der wenigen Menschen, den er für längere Zeit um sich herum ertrug. Für was brauchte sie eigentlich den Kram? Er wollte eine Antwort auf seine Frage, zog sich an und stand eine halbe Stunde später vor Luise, die vom Besuch des Malers überrascht war. „Wollen Sie mich nicht herein bitten?“, fragte Henrik forsch ohne ein Wort der Begrüßung.

Luise trat zurück, ließ Hopper eintreten und führte ihn in ihr kleines, bescheidenes Wohnzimmer. Die Schrankwand dort war alt und unmodern. Es gab ein abgewetztes, graues Sofa, ein schmales Bücherregal und einen Fernseher, der auf einer kleinen Kommode stand. Über dem Sofa hingen zwei kleine Blumenstillleben. Henrik trat näher und sah sich die Bilder genauer an. Auf einem davon war eine hellgraue, bauchige Vase aus Ton mit violetten und weißen Fliederblüten zu sehen. Das Gefäß stand auf einem runden Spitzendeckchen, auf dem zusätzlich im Vordergrund ein kleines, filigranes Tintenfass aus Silber

platziert war. Das zweite Blumenstillleben, nicht minder schön, passte farblich und im Stil eindeutig zu Ersterem, was durch eine Schreibfeder und ein paar kleinen Tintenklecksen auf dem Tischtüchlein für jeden Betrachter sofort erkennbar war.

Henrik war äußerst erstaunt. Der Lichteinfall und die Schatten der Objekte waren nahezu perfekt gemalt, ebenso die Spitzen und das Filigrane des silbernen Tintenreservoirs.

„Woher haben Sie die Bilder?“, fragte der Maler neugierig.

„Die habe ich gemalt“, erklärte Luise knapp.

„Wie mir scheint, haben Sie ein ruhiges Händchen und sehr viel Geduld.“

„Sie sind doch nicht gekommen, um über meine Bilder zu plaudern.“

„Ehrlich gesagt, nein.“ Hopper sah Luise direkt ins Gesicht. „Meine Reaktion letzthin war wohl etwas überzogen.“

„Nein, Herr Hopper, Sie hatten vollkommen recht. Ich habe mir nichts dabei gedacht, als ich die Sachen aus Ihrem Müll fischte. Ich hätte Sie fragen müssen. Wissen Sie, Ölfarben und Pinsel sind sehr teuer. Das kann ich mir nicht leisten und ich wollte unbedingt malen“, erwiderte Luise.

„Übrigens, es fehlt Ihre Signatur und ein schöner Rahmen für die Bilder.“ Henrik ging nicht auf das von Luise Gesagte ein. „Frau Neubauer, wir haben uns beide falsch verhalten. Wir sollten einen Neubeginn starten.“

„Ich weiß nicht, Herr Hopper. Das gegenseitige Vertrauen wurde zerstört und das sollte die Basis für ein gutes Arbeitsverhältnis sein.“

„Da haben Sie sicherlich recht, aber wir sollten es trotzdem noch einmal miteinander versuchen.“

Zögernd willigte Luise ein. Sie versprach, am nächsten Tag die Arbeit wieder aufzunehmen. Erfreut darüber und auch über die Erlaubnis, Luises Bilder mitnehmen zu dürfen, verließ Henrik Hopper die kleine Wohnung. Zu Hause nahm er die Bilder genauer in Augenschein. Luises Art zu malen imponierte ihm.

In seiner kleinen Werkstatt machte sich Henrik Hopper an die Arbeit. Er fand schnell die passenden Holzleisten für Luises Bilder. Sie waren schlicht, mit einem etwas höheren Falz und einer Breite von acht Zentimeter. Die Leisten waren nur mit einem Hauch Gold belegt, sodass das dunkle Holz durchschimmern konnte. Am nächsten Morgen, als Luise in die Küche des Wohnateliers trat, lagen ihre Bilder auf dem Küchentisch. Nebeneinander ergaben sie ein untrennbares Paar. Jedes wirkte für sich allein, aber zu zweit, mit diesen schönen Holzrahmen, erhöhte es die Wirkung auf jeden Betrachter.

Plötzlich stand Henrik Hopper in der Küchentür. „Sie haben sich zwei Minuten verspätet, Frau Neubauer“, begrüßte er Luise. „Genau genommen sind es vier.“ Luise zeigte ihm ihre Armbanduhr.

„Sie müssen immer das letzte Wort haben, aber gut, dass Sie da sind. Ich wollte Ihnen mitteilen, dass in der nächsten Woche meine neue Ausstellung eröffnet wird. Eine Ecke wird von mir immer für einen Nachwuchskünstler der Kunsthochschule reserviert, aber dieses Mal werden dort Ihre beiden Bilder hängen.“

Luise blickte erstaunt auf den noch im Schlafanzug und völlig zerzausten Hopper.

„Ein Nein wird nicht akzeptiert“, setzte er hinzu, drehte sich um und verschwand im Badezimmer.

Luise war verblüfft. Sie musste sich auf einen der Küchenstühle setzen. Ein Gemisch unterschiedlichster Gefühle durchströmte sie. Sie ahnte, dass sich ein neuer Weg vor ihr auftat. Nur eines musste sie tun. Ihn gehen.

Claudia Engeler

Ein Apfel kommt selten allein

„Das sollte verboten sein“, murmelte Kommissar Landolt von der Heidelberger Mordkommission missmutig. Seine Assistentin Margret blickte ihn verwundert von der Seite an: „Was sollte verboten sein?“, fragte sie ihn. Landolt seufzte: „Man dürfte nicht so früh sterben.“ Und so hübsch, fügte Margret verärgert in Gedanken hinzu. Hätte es sich bei der Leiche, die an jenem frostigen und nebligen Herbstmorgen gefunden worden war, um eine Frau mittleren Alters und durchschnittlichen Aussehens gehandelt, ihr Vorgesetzter wäre nicht aufgebracht gewesen. „Hätte ich da gelegen ...“, überlegte sie, ließ den Gedanken aber lieber unvollendet vor sich liegen.

Der leblose Körper einer sportlich aussehenden Frau um die Zwanzig lag halb vergraben unter einem Haufen Äpfeln, die von einem Lastwagen abgeladen worden waren. „An apple a day keeps the doctor away”, murmelte Landolt auf einmal vor sich hin, als hinge er keinem bestimmten Gedanken nach. Doch vor ihnen, schätzte Margret, lagen mehrere Tonnen Früchte. Zu viele Äpfel setzen dem Leben ein Ende, sinnierte Margret vor sich hin.

„Wo bleibt die Spurensicherung und wo bekommt man hier einen anständigen Kaffee?“ Leben war auf einmal in Landolt gekommen. Der Mann, der dem Kommissariat den Fall gemeldet hatte, stand noch immer bleich und stumm neben ihnen. Müller, so hieß der Apfelsaftbauer, oder gab es für diesen Beruf eine korrektere Bezeichnung?

„Ich könnte Ihnen einen Kaffee im Haus anbieten. Meine Frau wartet sicher noch mit dem Frühstück in der Küche.“ Margret sagte: „Die Spurensicherung ist auf dem Weg. Heinz und seine Truppe sollten in wenigen Minuten hier sein.“

Während Landolts Assistentin bei der hübschen Leiche auf die Kollegen wartete, folgte der Kommissar dem Bauern ins Haus und in die Küche. Im schäbig eingerichteten Raum saßen eine Frau und zwei Kinder an einem gedeckten Tisch und frühstückten.

„Mach dem Kommissar einen Kaffee“, richtete Müller das Wort an seine Frau, ohne sie anzublicken. Dann deutete er auf einen Stuhl, auf dem Landolt Platz nehmen sollte.

„Guten Appetit“, sagte der Kommissar zu den beiden Buben. „Es sind Zwillinge“, staunte Landolt, der sich an diese Laune der Natur nur schwerlich gewöhnen konnte. Die Buben aßen ihre Frühstücksflocken wortlos weiter.

Landolt schrak auf, als eine Kaffeetasse mit einem dumpfen Geräusch vor ihm auf dem Tisch Platz fand. „Danke“, murmelte er. Schweigen wehte ihm entgegen. Warum um alles in der Welt richteten sich seine Haare auf, gerade jetzt, da er sich in diesem Raum befand? Er hob den Blick und schaute sich um. Dann wusste er es auf einmal. Es war die Trostlosigkeit des Alltags, die ihm schonungslos ins Gesicht blickte. Da saß eine vierköpfige Familie beisammen und war einander fremder als eine Gruppe Unbekannter.

„Kannten Sie die Frau?“, unterbrach der Kommissar die Stille. „Wen?“, brummte der Bauer missmutig. „Die Schlampe“, antwortete Frau Müller ungefragt. Eine ruckartige Bewegung durchfuhr den Bauern, als wollte er sich auf seine Frau stürzen. Doch er blieb sitzen, die Hände umfassten zitternd eine leere Tasse, die er hob und kurz danach laut auf den Tisch schnellen ließ. Dann erhob er sich, verließ den Raum und schlug die Türe laut hinter sich zu. Nur Landolt zuckte zusammen.

„So“, meinte wenig später Frau Müller, sich an die beiden Kinder richtend, „Zeit in die Schule zu gehen.“ Wortlos standen die Zwillinge auf, öffneten die Küchentüre und verschwanden im Hausflur. Landolt staunte. Als Vater von zwei Kindern kannte er die Renitenz der Sprösslinge, wenn es darum ging, in die Schule zu müssen. Hier jedoch schien der Tagesablauf von Seiten der Jungmannschaft reibungslos zu funktionieren. „Seltsam“, murmelte der Kommissar, drehte sich dann zur Bäuerin um und fragte: „Sie kannten die Tote?“ Nach kurzem Schweigen blickte Frau Müller auf und meinte: „Die kannte jeder. Allen Männern stellte sie nach. Ließ sich ausführen, Geschenke machen. Unsereiner schuftet von Morgen bis Abend. Und was bekommen wir von unseren Männern? Der Bauer Lenz hat ihr die Wohnung seiner verstorbenen Mutter überlassen. Was sich dort abgespielt hat, kann man sich ja denken.“ Ungerührt fragte Landolt: „Und Ihr Mann? Hatte der auch ein Verhältnis zur Toten?“ Die Bäuerin schnaubte höhnisch und hob die Schultern. Da fragte Landolt: „Wie hieß sie denn, die Tote?“ – „Maria Casal“, antwortete sie müde und schürzte die Lippen, als würde es ihr Schmerzen bereiten, den Namen auszusprechen.

An der Tür klingelte es. Wenige Augenblicke später trat Margret ein: „Komm mit“, sagte sie zu Landolt. Der Kommissar stand auf und folgte ihr nach draussen, murmelte der Bäuerin ein: „Bis später“, zu. Von ihr erhielt er keine Antwort. „Hör zu“, meinte Margaret, als sie vor dem Bauernhof standen, „offenbar handelt es sich hier um Mord. Die Spurensicherung hat festgestellt, dass jemand mit einem Lappen die Fingerabdrücke im Lastwagen weggewischt hat. Der Arzt geht davon aus, die Frau sei heute Nacht zwischen zehn und zwei Uhr morgens getötet worden. Genaueres kann er uns erst übermorgen sagen.“

Landolt überlegte kurz, sagte dann: „Die Dame, Maria Casal, scheint keine Heilige gewesen zu sein. Die Frauen hier mochten sie offenbar nicht. Die übliche Eifersuchtsgeschichte wohl.“ Dann fragte er noch: „Hat man bei der Toten etwas gefunden?“ Margret lächelte zufrieden: „Der Mörder hat die Dame unter den Äpfeln begraben. Ihre Handtasche lag noch neben ihr. Ebenfalls unter den Früchten.“ Der Kommissar wunderte sich: „Wie hat der Mörder denn das hingekriegt? Solch einen Laster leert man nicht so schnell. Frau Casal hätte sich doch entfernen können, als sie merkte, dass jemand die Kippvorrichtung des Lasters betätigte.“ Margret sagte: „Du hast Recht. Aber der Arzt hat eine Wunde am Kopf der Casal entdeckt. Der Täter hat wohl erst zugeschlagen und sie dann begraben, damit es nach einem Unfall aussieht.“ Landolt sinnierte unzufrieden vor sich hin. Das alles sah stümperhaft und unlogisch ausgeführt aus. Leise meinte er: „Erst erschlägt der Täter das Opfer, begräbt die Frau, als könne er sie verstecken, wischt dann die Spuren im Laster ab. Und zum Schluss verlässt er die Szene einfach so.“ Der Kommissar schüttelte den Kopf.