Wenn Gefühle erwachen - Michaela Dornberg - E-Book

Wenn Gefühle erwachen E-Book

Michaela Dornberg

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Beschreibung

Im Sonnenwinkel ist eine Familienroman-Serie. Schauplätze sind der am Sternsee gelegene Sonnenwinkel und die Felsenburg, eine beachtliche Ruine von geschichtlicher Bedeutung. Mit Michaela Dornberg übernimmt eine sehr erfolgreiche Serienautorin, die Fortsetzung der beliebten Familienserie "Im Sonnenwinkel". Michaela Dornberg ist mit ganzem Herzen in die bezaubernde Welt des Sonnenwinkels eingedrungen. Sie kennt den idyllischen Flecken Erlenried und die sympathische Familie Auerbach mit dem Nesthäkchen Bambi. Ein anhaltendes Schrillen zerriss die Stille des Augenblicks. Es hörte einfach nicht auf. Und genau das war es, was die junge Ärztin Roberta Steinfeld in die Realität zurückbrachte. Sie öffnete beinahe widerwillig ihre Augen. Und da wurde Roberta bewusst, dass sie in ihrem Bett lag. Sie schreckte hoch. Aber wieso? Da konnte etwas nicht stimmen. Was hatte das zu bedeuten? Wimmernd sank sie zurück auf ihr Kissen. Ihre Gedanken begannen, sich im Kreis zu drehen, flatterten durcheinander wie aufgescheuchte Hühner, in deren Stall ein Fuchs eingedrungen ist. Ihr Herz klopfte laut und unregelmäßig. Das Telefon klingelte unaufhörlich, schrill und fordernd. Roberta nahm es noch immer nicht bewusst wahr. Sie begriff immer mehr, dass es keine wundervolle Wirklichkeit gab, sondern, dass es nicht mehr gewesen war als ein Traum, aus dem sie am liebsten niemals mehr aufgewacht wäre. Lars war bei ihr gewesen. Lars, die Liebe ihres Lebens, ihr Seelenmensch. Und jetzt war er nicht mehr da. Sie war allein und fühlte sich unendlich einsam, schutzlos, verlassen. Frau Dr.

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Der neue Sonnenwinkel – 81 –

Wenn Gefühle erwachen

Im Sonnenwinkel geht es rund!

Michaela Dornberg

Ein anhaltendes Schrillen zerriss die Stille des Augenblicks. Es hörte einfach nicht auf. Und genau das war es, was die junge Ärztin Roberta Steinfeld in die Realität zurückbrachte. Sie öffnete beinahe widerwillig ihre Augen. Und da wurde Roberta bewusst, dass sie in ihrem Bett lag. Sie schreckte hoch. Aber wieso? Da konnte etwas nicht stimmen. Was hatte das zu bedeuten?

Wimmernd sank sie zurück auf ihr Kissen. Ihre Gedanken begannen, sich im Kreis zu drehen, flatterten durcheinander wie aufgescheuchte Hühner, in deren Stall ein Fuchs eingedrungen ist. Ihr Herz klopfte laut und unregelmäßig.

Das Telefon klingelte unaufhörlich, schrill und fordernd. Roberta nahm es noch immer nicht bewusst wahr. Sie begriff immer mehr, dass es keine wundervolle Wirklichkeit gab, sondern, dass es nicht mehr gewesen war als ein Traum, aus dem sie am liebsten niemals mehr aufgewacht wäre. Lars war bei ihr gewesen. Lars, die Liebe ihres Lebens, ihr Seelenmensch. Und jetzt war er nicht mehr da. Sie war allein und fühlte sich unendlich einsam, schutzlos, verlassen.

Frau Dr. Roberta Steinfeld war eine sehr erfolgreiche, toughe Ärztin, die mitten im Leben stand und so schnell nicht aus der Ruhe zu bringen war. Sie gehörte zu den Menschen, die alles im Griff hatten. Jetzt stand sie total neben sich, hatte den Boden unter den Füßen verloren.

Wie war es möglich gewesen, einen derart realistischen Traum gehabt zu haben?

Roberta atmete ganz tief durch, versuchte, sich an die Ereignisse der letzten Stunden zu erinnern. Es hatte damit begonnen, dass sie ins Bett gegangen war, nachdem sie einen entspannten und sehr ruhigen Abend verbracht hatte, vollkommen unaufgeregt.

Später war sie ins Bett gegangen und war auch sofort eingeschlafen. Irgendwann mitten in der Nacht war sie durch einen Anruf ihrer Freundin Nicki aufgeweckt worden. Nicki war von ihrer Reise aus Japan zurück und hatte noch vom Flughafen aus angerufen. Sie hatte nicht warten können. Sie musste ihrer Freundin Roberta sofort und voller Überschwang verkünden, dass für sie ein Traum in Erfüllung gegangen war. Sie hatte Lennart Hegenbach, den berühmten Bildhauer, nicht nur auf einer Geschäftsreise begleitet, nein, sie waren ein Paar geworden und Nicki war am Ziel ihrer Wünsche angekommen und glücklich wie nie zuvor. Es war doch klar, dass sie diese wundervolle Neuigkeit sofort mit ihrer allerbesten Freundin teilen musste, ganz gleichgültig, wie früh oder spät es auch war. So war sie halt, die Nicki. Roberta konnte ihr deswegen auch überhaupt nicht böse sein. Sie hatte sich mit Nicki aufrichtig gefreut. Bis dahin war alles gut gewesen. Doch was war danach geschehen?

Wirklichkeit und Traum begannen sich miteinander zu vermischen. Roberta hatte sehr große Mühe, es auseinanderzuhalten. Doch das konnte ihr nur gelingen, wenn sie ganz ruhig blieb, ihre Gedanken wieder auf die Reihe brachte. Einfach war es nicht. Und irgendwie war sie auch sauer auf sich, weil dieser Traum, und mehr war es ja leider nicht gewesen, sie so sehr aus der Spur brachte. Also, noch einmal ganz von vorne und ganz ruhig!

Das mit dem zu Bett gehen konnte sie sich ersparen, auch Nickis Anruf. So weit wusste sie ja Bescheid.

Doch danach? Was war dann gewesen? Verflixt noch mal, sie wiederholte sich. Darüber musste sie sich wirklich nicht den Kopf zerbrechen. Sie hatte noch ein wenig an Nicki gedacht, an das, was ihre Freundin hervorgesprudelt hatte. Sie hatte über deren glückliche Aufgeregtheit gelächelt, sich von ganzem Herzen für sie gefreut, und dann … dann war sie wieder eingeschlafen.

War dieses Telefonat vielleicht der Auslöser für das, was danach geschehen war?

Roberta kannte sich mit sehr vielem aus. Träume, Traumdeutungen, Auslöser für Träume gehörten nicht dazu. Aus diesem Grund verwarf sie diesen Gedanken auch sofort wieder. Es gab keinen Zusammenhang. Zu träumen, das war nicht außergewöhnlich. An manche Träume erinnerte man sich, an manche nicht. Es gab also überhaupt keinen Grund dazu, jetzt einen Film daraus zu machen. Doch so leicht ließ es sich nicht beiseiteschieben. Es beunruhigte Roberta ziemlich, weil es ein so realistischer Traum gewesen war, in dem sie zunächst aufgestanden war, sich geduscht und Kaffee gekocht hatte. Und dann hatte es an der Haustür geklingelt. Sie war zur Tür gegangen, hatte die geöffnet …

Robertas Herzschlag beschleunigte sich erneut. Sie stockte, schluckte, begann zu zittern. Es war kaum auszuhalten. Ihre Augenlider begannen zu flattern. Sie war nicht mehr sie selbst. Dennoch hielt sie es aus. Sie musste es erneut erleben.

Lars hatte vor der Haustür gestanden. Sie hatte ihn regelrecht ins Haus gezerrt. Das sah sie so deutlich vor sich, als sei es gerade erst geschehen. Verrückt, dass sie an eine solche Banalität dachte. Mehr noch erinnerte sie sich allerdings an das, was danach geschehen war … Lars und sie hatten sich ganz tief in die Augen geschaut, danach waren sie sich in die Arme gefallen. Und die Worte, die Lars dann zu ihr gesagt hatte, würde Roberta niemals mehr in ihrem Leben vergessen. Die hatten sich unauslöschlich in ihr eingebrannt.

»Nur die Gedanken an dich haben mich leben lassen, du Liebe meines Lebens.«

Danach hatten sie sich wie zwei Verdurstende geküsst, und die Welt hatte aufgehört, sich zu drehen. Alles war vergessen, es gab nur noch sie, sonst nichts, und das war mehr als genug gewesen.

Ging es eigentlich überhaupt noch deutlicher? Konnte man so etwas träumen? Nein, das erlebte man, das war Wirklichkeit.

Normalerweise, musste sie leider sofort einschränken, denn es war leider dennoch nur ein wunderschöner Traum gewesen, der für einen Moment wie wirklich erlebt für sie gewesen war. Der Traum lebte in Roberta nach. Wenn sie die Augen schloss, spürte sie Lars, seine Nähe, ja sogar seine Wärme, seine ganze unglaubliche Präsenz, die sie immer in ihren Bann gezogen hatte, weil Lars ein besonderer Mensch gewesen war.

Sie musste damit aufhören! Aber jetzt dachte sie schon wieder als Vergangenheit von ihm.

Man ging nicht mit geschlossenen Augen durchs Leben. Und man flüchtete sich nicht in das, was es nicht gab, nicht geben konnte. In diesem Moment war Roberta nicht die erfolgreiche, kluge Ärztin, nicht die hervorragende Diagnostikerin, die häufig selbst ihre Kolleginnen und Kollegen verblüffte. Sie war eine Frau, die die Liebe ihres Lebens verloren hatte, die für einen Wimpernschlag, wenn auch nur im Traum, zu ihr zurückgekehrt war.

Lars … Lars … Lars …

Die Realität sah völlig anders aus. Da hatte er sich davongemacht. Und das auf eine Weise, die zu ihm passte. Er war einfach verschwunden, irgendwo im Nirgendwo, inmitten seiner geliebten Eisbären, über die er geforscht, über die er geschrieben hatte und die ihm vermutlich am Ende zum Verhängnis geworden waren.

»Nur die Gedanken an dich haben mich leben lassen, du Liebe meines Lebens.«

Sie hielt sich die Ohren zu!

Roberta konnte es nicht verhindern, dass ihre Gedanken in eine Richtung gingen, die nicht gut für sie war. Sie konnte es einfach nicht lassen.

Und wenn dieser Traum nun so etwas wie ein Hilferuf gewesen war? Wenn Lars wollte, dass wieder nach ihm gesucht wurde?

Seelen, die miteinander verbunden waren, konnten auch miteinander kommunizieren. Zumindest war Nicki felsenfest davon überzeugt.

Roberta wusste, dass solche Gedanken mehr als gefährlich waren, weil sie einen aus der Realität herauskatapultierten. Alles, was ihr jetzt durch den Kopf schoss, war Wunschdenken. Die Realität war eine ganz andere, denn man hatte nach Lars gesucht, lange und gründlich, vergebens. Man hatte nichts von Lars und seinem Begleiter gefunden.

Es war so gewesen, als wären sie niemals dort gewesen, wo sie hätten sein sollen.

Solveig, seine Schwester, seine einzige Angehörige, die Lars wirklich sehr geliebt hatte, war schließlich irgendwann realistisch genug gewesen, Lars für tot erklären zu lassen. Er lebte nicht mehr. Das musste Roberta sich vor Augen führen, und das war es doch auch, was sie vor diesem irritierenden Traum akzeptiert hatte, wenn auch schweren Herzens.

Aber wenn dieser Traum nun doch etwas wie Wahrheit war?

Ihre Freundin Nicki warf mit Begriffen wie ›ein Zeichen‹, ›Vorbestimmung‹ und ähnlichem nur so herum. Roberta hatte das immer belächelt. War sie voreilig gewesen? Wenn es ein Zeichen gewesen war? Wenn man nur zugänglich sein musste für das Unvorstellbare?

Roberta warf sich von einer Seite auf die andere. Sie schloss die Augen. Sie wollte den Traum zurückholen. Es passte nicht zu ihr. Aber sie war nicht mehr sie selbst, sonst hätte ihr Verstand ihr gesagt, dass es Unsinn war. Ihr Verstand schwieg, und so versuchte sie mit aller Macht, in die Traumwelt zurückzukehren. Irgendwie war genau das ja auch so verlockend. Vielleicht ging der Traum ja weiter, und sie würde eine Antwort auf all die bohrenden Fragen finden. Sie quälte sich. Schließlich wurde ihr bewusst, in was sie sich da verrannte. Das durfte sie niemandem erzählen, man würde an ihrem Verstand zweifeln, der sie augenblicklich tatsächlich im Stich gelassen hatte. Roberta sprang aus dem Bett, viel zu schnell, sie taumelte, ihr wurde schwindelig. Als Ärztin hätte sie wissen müssen, dass es dumm gewesen war. Für einen Augenblick hielt sie inne, dann tapste sie in ihr Badezimmer, sprang unter die Dusche. Und das war jetzt ganz real. Sie weinte. Und während sie das Wasser über ihren Körper laufen ließ, entschied Roberta sich, Solveig anzurufen, ihr von diesem Traum zu erzählen und sie zu bitten, noch einmal eine Suchaktion nach Lars zu starten. Sie konnte es ja leider nicht, weil sie nur die Beinahe-Ehefrau gewesen war, und das zählte leider nicht. Es zählte nicht im offiziellen, im faktischen Leben.

Das Wasser plätscherte an ihr herunter, Roberta nahm es nicht einmal bewusst wahr. Sie schloss die Augen, dachte an Lars, an seine Küsse, Sie dachte an das, was so unglaublich schön gewesen war. Nichts ließ sich zurückholen. Als ihr das bewusst wurde, stellte sie das Wasser ab, stieg aus der Dusche und griff nach einem der schönen weichen Badetücher, wickelte es um ihren Körper, nachdem sie sich abgerubbelt hatte. Dann trat sie vor das Waschbecken, um sich die Zähne zu putzen. Als sie in den Spiegel schaute, erschrak sie. Ihr Gesicht war sehr blass, und ihre Augen schauten ihr müde und irgendwie erloschen entgegen. Es tat weh, sich selbst ins Gesicht zu sehen, und deswegen ließ Roberta es bleiben, vermied jetzt konsequent jeden Blick in den Spiegel.

Was für ein Tag!

Sie war antriebslos und hoffte, ihre Lebensgeister mit einem starken Kaffee ein wenig zu beleben. Also schlurfte sie, ganz wie im Traum, doch diesmal wesentlich langsamer und müder, in die Küche, kochte sich Kaffee. Und als der gekocht war und sie sich mit dem Becher an den Tisch setzte, zitterte ihre Hand. Im Traum hatte es danach jäh geklingelt.

Sie wusste, dass es verkehrt war, immer wieder daran zu denken. Sie konnte es nicht lassen, und aus diesem Grunde nahm ihre innere Aufgeregtheit immer mehr zu.

Sie hatte frei, Alma war unterwegs. Was gäbe Roberta nicht darum, wenn Alma jetzt hier wäre. Die würde sie auf den Boden der Tatsachen zurückbringen. Und weil das nicht ging, musste sie halt versuchen, es selbst auf die Reihe zu bringen. Wenn nicht sie, wer sollte es dann tun? Schließlich war sie Ärztin, dazu noch eine gute. Und darauf musste sie sich besinnen, auf sonst überhaupt nichts.

Sie trank von ihrem schwarzen heißen Kaffee. Der war richtig gut, und unter anderen Umständen wäre sie jetzt stolz auf sich gewesen, weil sie das mittlerweile schaffte. Daran dachte sie wirklich nicht, vielmehr beschäftigte sie sich mit dem Gedanken, ob sie sich anziehen, nach draußen gehen sollte oder einfach nur im Haus herumgammeln. Sie hatte frei, keinen Notdienst. Daran hielten sich manche ihrer Patientinnen und Patienten jedoch nicht, und sie fuhr dann doch hin, wenn Hausbesuche erforderlich waren, weil sie wusste, dass sie dann nicht in erster Linie als Ärztin gefragt war, sondern als Seelentrösterin. Wenn man ärztliche Hilfe benötigte, rief man den Vertreter oder die Vertreterin an. Ging es jedoch um menschliche Probleme, dann gab es nur eine Person, und das war die Frau Doktor. Heute würde sie nicht ans Praxistelefon gehen, wenn es klingelte. Sie musste erst einmal versuchen, sich selbst wieder auf die Reihe zu bringen, ehe sie anderen Menschen helfen konnte.

Und sie würde nicht nach draußen gehen! Es war doch absolut sicher, dass man sie mehr als nur einmal ansprechen würde. Und dazu hatte sie weder Lust noch die erforderliche Kraft.

Roberta ging in ihr Schlafzimmer, zog eine Jogginghose an, dazu ein altes, ausgeleiertes T-Shirt, von dem sie sich einfach nicht trennen konnte. So etwas gab es, und man hatte auch keine Erklärung dafür, warum das so war.

Und nun?

Sie verbot es sich, an den Traum und an Lars zu denken. Sie nahm auch keines der Bilder in die Hand, die überall herumstanden. Sie versuchte zu lesen. Es hatte keinen Sinn, die Zeilen verschwammen vor ihren Augen, und sie bekam nicht mit, was sie da überhaupt las. Sie klappte seufzend das Buch zu, machte den Fernseher an, um ihn kurz darauf entnervt auszuschalten.

Musik?

Nein, darauf hatte sie keine Lust, vielleicht noch einen Kaffee, doch dazu hatte sie ebenfalls keine Lust, weil sie dann nämlich hätte aufstehen müssen.

Sie zog die Beine hoch, rollte sich zusammen wie eine Katze, und sie dachte an Lars. Irgendwann war sie ganz woanders, in einer Welt, zu der nur sie Zutritt hatte, einer Welt, in die sie sich nach Herzenslust zurückziehen konnte.

Roberta verlor das Gefühl für Zeit und Raum, befand sich in einer Art Schwebezustand, einer Welt hinter der Welt. Es wurde ihr nicht bewusst, denn die Ärztin in ihr hätte es sonst alarmiert aufgeschreckt.

*

Vielleicht war sie ja auch ein wenig dahingedämmert, denn Roberta fuhr hoch, als eine erboste Stimme sich erkundigte: »Kannst du mir mal verraten, warum du nicht ans Telefon gehst? Ich habe bereits Schwielen an meinen Fingern, weil ich unentwegt versucht habe, dich zu erreichen.«

Roberta hatte einige Mühe, sich zurechtzufinden. Schließlich registrierte sie, dass ihre Freundin Nicki vor ihr stand.

»Nicki … wieso bist du hier?«

»Vielleicht weil ich angefangen habe, mir Sorgen zu machen? Und weil ich dir noch mehr von den wundervollen Begebenheiten erzählen möchte, die ich mit Lennart hatte. Wärst du an das Telefon gegangen, hätte ich mir die Fahrt hierher ersparen können. Schließlich habe ich einen langen Flug hinter mir. Schon vergessen?«

Das klang vorwurfsvoll, sogar ein bisschen beleidigt. Das musste Roberta jetzt wirklich nicht haben. Sie war immer für Nicki da, hörte ihr zu, gab ihr Ratschläge, die dann doch nicht befolgt wurden. Sie war erschöpft, durcheinander, ihre Nerven waren angespannt, und deswegen erwiderte sie ziemlich barsch: »Verflixt noch mal, Nicki, es muss sich nicht immer alles nur um dich drehen.«

Nicki starrte ihre Freundin an. Auf eine solche Weise hatte Roberta noch niemals mit ihr gesprochen. Welche Laus war ihrer Freundin denn über die Leber gelaufen? Nicki wäre unter anderen Umständen jetzt tatsächlich beleidigt gewesen. Doch weil sie sich keinen Reim auf Robertas Reaktion machen konnte, war Nicki stattdessen besorgt. Sie ließ sich in einen der gemütlichen Sessel fallen, blickte ihre Freundin an. Roberta sah wirklich aus wie ein Häuflein Elend. Doch das sprach sie lieber nicht aus, sondern sie erkundigte sich in echter, ungespielter Sorge: »Roberta, komm, erzähl schon. Was ist geschehen?«

Du liebe Güte, dachte Roberta entsetzt. Darüber konnte sie unmöglich sprechen.

Nicki schaute sie herausfordernd an, Roberta riss sich zusammen.

»Nicki, es tut mir leid … äh … alles ist gut.«

Vielleicht würde jemand, der diese kluge, fabelhafte Frau Doktor nur entfernt kannte, sich damit abspeisen lassen. Aber sie doch nicht! Man konnte förmlich riechen, dass etwas nicht stimmte. Nicki als Dramaqueen hatte ein besonderes Gespür dafür.

Es tat ihr leid, dass sie herumgeschimpft hatte, weil Roberta nicht ans Telefon gegangen war, denn dafür musste es einen guten Grund gegeben haben. Und so, wie Roberta aussah …

»Roberta, was soll das? Nichts ist gut. Ich spüre das. Und mir kannst du schon überhaupt nichts vormachen. Wir sind allerbeste Freundinnen, reden über alles. Wir sind eng, so eng, dass kein Blatt Papier zwischen uns passt. Es macht mich sehr traurig, dass du mich jetzt so abspeisen willst.«

Roberta wurde rot vor lauter Verlegenheit. Es war mehr als nur dumm gewesen, nicht gleich mit der Wahrheit herausgerückt zu sein. Sie hatten wirklich keine Geheimnisse voreinander. Aber über einen Traum zu sprechen, den sie für echt gehalten hatte, das war eine Nummer für sich. Sie zögerte noch immer, und Nicki dauerte das Schweigen ihrer Freundin einfach zu lange. Es gab normalerweise nicht viel, was Roberta so sehr aus der Fassung bringen konnte. Ihr kam ein Verdacht, der sie alarmierte.

»Ist dein Ex wieder aufgetaucht und hat unsinnige Forderungen gestellt, die unterhalb der Gürtellinie lagen?«

Ein wenig irritiert schaute Roberta ihre Freundin an.

»Wie kommst du denn darauf, Nicki? Ich habe von Max nichts mehr gehört, und bei unserer letzten Begegnung war er richtig nett und wollte mir sogar helfen. Nein, ich bin überzeugt davon, dass ich auch nichts mehr von ihm hören werde, seit er auf diese Goldmine gestoßen ist, die ihm ein sorgenfreies, mehr noch, ein Leben ermöglicht, bei dem er mit beiden Händen das Geld dieser neuen Frau ausgeben kann.«

Nicki zuckte die Achseln.

»Dann weiß ich nicht, was los ist. Ich finde, jetzt ist es allerhöchste Zeit, dass du es mir erzählst.«

Nun hatte sie keine andere Wahl, auch wenn es ihr überaus peinlich war. Andererseits musste ihr vor Nicki nun wirklich nichts peinlich sein. Sie fing an, in aller Ausführlichkeit zu erzählen, und am Ende sagte sie: »Nicki, ich bin überzeugt davon, dass ich nach unserem Telefonat nicht eingeschlafen, sondern aufgestanden bin. Ich habe geduscht, ich habe mir Kaffee gekocht, und dann hat es geklingelt, und Lars stand vor der Tür.«

Lars, Lars, Lars, dachte Nicki bekümmert. Roberta würde niemals aufhören, an ihn zu denken, mal mehr, mal weniger. Musste sie ihre Freundin vor sich selbst schützen?

»Es war ein Traum, Roberta, finde dich damit ab.«

Roberta schüttelte den Kopf.

»Es war kein Traum, denn ich bin nach unserem Telefonat nicht eingeschlafen. Deswegen bin ich jetzt so durcheinander und frage mich, was das alles zu bedeuten hat, wie es zusammenhängt.«

Arme Roberta!

Die war ja wirklich vollkommen durch den Wind!

Als spräche sie zu einem kleinen Kind, erklärte Nicki: »Roberta, du glaubst, nach unserem Anruf nicht wieder eingeschlafen zu sein.« Roberta wollte sofort widersprechen, doch Nicki ließ es dazu nicht kommen.

»Okay, wo hast du, deiner Meinung nach, den Kaffee getrunken?«

Die Antwort kam prompt.

»Hier, an diesem Tisch.«

Nicki nickte.

»Alma ist nicht da, konnte nichts wegräumen. Und ich glaube nicht, dass du deine Kaffeetasse in die Küche gebracht hast, oder? Ich sehe nur die, die vor dir steht. Vermutlich hast du dir den Kaffee erst nach dem Traum gekocht, oder? Und war die Kaffeemaschine benutzt oder unbenutzt?«

Roberta musste nicht lange überlegen, sie stimmte Nicki zu, es hatte keine Tasse gegeben, die Kaffeemaschine war nicht benutzt worden.

Roberta musste eine Patientin oder einen Patienten nur ansehen und wusste schon, was mit ihm los war. Für ihr eigenes Verhalten jedoch hatte sie in diesem Moment keine Erklärung, und alles verunsicherte sie nur noch mehr.

»Nicki«, erkundigte sie sich bang, »bin ich dabei, meinen Verstand zu verlieren?«

Nicki schüttelte den Kopf.