Wer bist du, Florian? - Michaela Dornberg - E-Book

Wer bist du, Florian? E-Book

Michaela Dornberg

5,0

Beschreibung

Im Sonnenwinkel ist eine Familienroman-Serie. Schauplätze sind der am Sternsee gelegene Sonnenwinkel und die Felsenburg, eine beachtliche Ruine von geschichtlicher Bedeutung. Mit Michaela Dornberg übernimmt eine sehr erfolgreiche Serienautorin, die Fortsetzung der beliebten Familienserie "Im Sonnenwinkel". Michaela Dornberg ist mit ganzem Herzen in die bezaubernde Welt des Sonnenwinkels eingedrungen. Sie kennt den idyllischen Flecken Erlenried und die sympathische Familie Auerbach mit dem Nesthäkchen Bambi. Roberta konnte sich ihre Aufregung nicht erklären, die sich noch verstärkte, als der Fremde sich betont langsam zu ihr herumdrehte. Sie schauten sich an. Für einen kurzen Augenblick versanken ihre Blicke ineinander. Seine Augen waren blau, jedoch nicht so blau wie die von Lars. Dieser kurze, beinahe magische Moment, zumindest empfand Roberta es so, war schnell vorbei. Er deutete mit einem Finger auf das Doktorhaus. »Kennen Sie die Ärztin, diese Frau Dr. Roberta Steinfeld?« Roberta hätte mit allem gerechnet, mit einer derartigen Frage nicht. »Ja, ich …« Er ließ sie nicht aussprechen, sondern wollte wissen: »Ist sie nett?« Was sollte diese Fragerei? Sie nickte. »Ich …« Wieder kam sie nicht dazu, ihren Satz zu beenden. »Okay, das langt mir«, sagte er, grinste sie an. »Ich glaube, Sie sind auch eine Nette. Sie kommen sehr sympathisch herüber.« Wieder trafen sich ihre Blicke, doch diesmal lag keine Magie darin.

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Der neue Sonnenwinkel – 89 –

Wer bist du, Florian?

Wird der geheimnisvolle Fremde Roberta glücklich machen?

Michaela Dornberg

Roberta konnte sich ihre Aufregung nicht erklären, die sich noch verstärkte, als der Fremde sich betont langsam zu ihr herumdrehte. Sie schauten sich an. Für einen kurzen Augenblick versanken ihre Blicke ineinander. Seine Augen waren blau, jedoch nicht so blau wie die von Lars. Dieser kurze, beinahe magische Moment, zumindest empfand Roberta es so, war schnell vorbei.

Er deutete mit einem Finger auf das Doktorhaus. »Kennen Sie die Ärztin, diese Frau Dr. Roberta Steinfeld?«

Roberta hätte mit allem gerechnet, mit einer derartigen Frage nicht.

»Ja, ich …«

Er ließ sie nicht aussprechen, sondern wollte wissen: »Ist sie nett?«

Was sollte diese Fragerei?

Sie nickte.

»Ich …«

Wieder kam sie nicht dazu, ihren Satz zu beenden.

»Okay, das langt mir«, sagte er, grinste sie an. »Ich glaube, Sie sind auch eine Nette. Sie kommen sehr sympathisch herüber.« Wieder trafen sich ihre Blicke, doch diesmal lag keine Magie darin. »Danke übrigens für Ihre Auskunft.« Sein Grinsen verstärkte sich, dann bemerkte er: »Einen schönen Tag noch.« Nach diesen Worten ging er davon, und Roberta blieb reglos stehen und schaute ihm nach, bis er schnellen Schrittes um die Ecke verschwunden war.

Was war das denn jetzt gewesen?

Sie war verwirrt, und es dauerte eine Weile, ehe sie in der Lage war, ins Haus zu gehen. Im Grunde genommen war nichts passiert, ein junger Mann hatte sich nach der Ärztin erkundigt, und sie war nicht dazu gekommen, ihm zu sagen, dass diese leibhaftig vor ihm stand, und sie hatte sich auch nicht danach erkundigen können, warum er das wissen wollte, was sein Interesse am Doktorhaus, am Namensschild, überhaupt erweckt hatte. Es war im Grunde genommen eine kurze, bedeutungslose Begegnung gewesen. Warum also hatte es sie so sehr aus der Spur geworfen? Weil dieser junge Mann sie an Lars erinnert hatte? Diese selbstbewusste, selbstverständliche Art konnte man nicht erlernen, die besaß man einfach. Dazu das blonde Haar, vor allem die blauen Augen …

Du liebe Güte!

Auch wenn statistisch festgestellt worden war, dass weltweit immer weniger Kinder mit blauen Augen geboren wurden, musste man sich noch keine Sorgen deswegen machen, dass sie bald schon eine Seltenheit sein würden.

Nein, es waren nicht die blauen Augen, sie wurde bei diesem Fremden insgesamt an Lars erinnert. Es war seine Persönlichkeit, seine Aura, die dafür verantwortlich war. Was sie jetzt nachdenklich stimmen musste, war die Tatsache, dass sie über Lars lange noch nicht hinweg war. Es musste nur eine Kleinigkeit sein, die sie an ihn erinnerte, und schon kochte alles wieder hoch, vor allem der Schmerz, ihn verloren zu haben.

Sie war, wie man so schön sagte, durch den Wind. Und es war wohl auch nicht ihr Tag. Die innere Zufriedenheit, die sie nach der Ruderei auf dem See verspürt hatte, war wie weggewischt. Dazu hatte in erster Linie dieser grässliche Kollege Lantermann beigetragen. Es war zu dumm, dass sie sich begegnet waren. Und sein Ansinnen fand sie unmöglich. Auf der einen Seite verunglimpfte er sie, auf der anderen Seite erwartete er von ihr, dass sie ihm Patientinnen und Patienten zuschanzte, statt sie zu Untersuchungen ins Krankenhaus nach Hohenborn zu schicken. Roberta war sehr kollegial eingestellt, war der Meinung, dass man einander helfen sollte. Mit Lantermann ging es nicht. Sie hielt einfach nichts von seinen Qualitäten als Arzt. Und er zeigte immer wieder, dass es ihm einzig und allein darauf ankam, das große Geld zu machen. Und er differenzierte nicht, für ihn waren alles Patienten, Leute, deren Namen man sich nicht einmal merken musste. Es waren durchlaufende Posten.

Sie holte sich etwas zu trinken, doch ehe sie sich hinsetzte, nahm sie eines der Fotos von Lars mit. Ihr wurde bewusst, dass sie an ihren unangenehmen Kollegen Lantermann dachte, um keinen Gedanken an diesen Fremden zu verschwenden. Es war beunruhigend, wie sehr sie von ihm beeindruckt gewesen war. Es war nicht nur beeindruckend, korrigierte sie sich sofort, sondern es war geradezu beängstigend. Sie musste darüber alarmiert sein. Roberta gehörte nicht zu den Frauen, die beim Anblick eines interessanten Mannes sofort hemmungslos entflammten. Das beste Beispiel für solche Frauen war Nicki.

Was also hatte der Fremde an sich, was sie in diese Stimmung versetzt, was sie sofort an Lars erinnert hatte?

Sie schaute auf das Foto von Lars, versank in Erinnerungen, in Träume, die sich mit der Realität verwischten. Doch eines wurde ihr sehr schnell klar. Es bestand keinerlei äußerliche Ähnlichkeit zwischen Lars und diesem jungen Mann. Jung war er gewesen, zumindest einige Jährchen jünger als sie. Doch welche Rolle spielte das schon … keine!

»Lars, Liebster, ich kann dich halt nicht vergessen«, murmelte sie. »Und wenn ich einen Mann sehe, der etwas von deiner Art hat, muss ich an dich denken, und dann gerate ich aus der Spur … es wird wohl niemals aufhören. Lars, mein Liebling, du fehlst mir so sehr.«

Roberta wurde von der Vergangenheit eingeholt. Und das immer wieder. So heftig wie heute war es allerdings lange schon nicht mehr gewesen.

Was war bloß los mit ihr?

Es war doch überhaupt nichts passiert. Ein fremder Mann hatte vor dem Doktorhaus gestanden und sich erkundigt, was für eine Person diese Frau Doktor war. Und aus seiner Frage hatte nicht einmal ein übermäßiges Interesse herausgeklungen. Und dass er sie als eine Nette eingestuft hatte. Verflixt noch mal, aus so etwas drehte man doch keinen Film. Es war nicht mehr als eine Nettigkeit gewesen. Ein völlig harmloses Kompliment. Nicht mal eine Anmache. Kein Annäherungsversuch.

Da war Roberta sich ganz sicher!

Doch was war es dann?

Sie stellte das Foto weg, aber nur so weit, dass sie es weiterhin im Blick hatte. Und sie überlegte gerade, ob sie sich in eine Krankenakte vertiefen sollte, weil sie so etwas immer ablenkte, doch in diesem Augenblick klingelte ihr Telefon. Ihr privates Telefon wohlgemerkt.

Nicki?

Sie hatte nichts mehr von ihrer Freundin gehört und war deswegen ziemlich beunruhigt. Immerhin befand sich Nicki nicht auf einer Urlaubsreise, sondern sie war in New York, wo sie ein kleines dreijähriges Mädchen in Empfang nehmen wollte, das künftighin ein fester Bestandteil ihres Lebens werden sollte.

Sie sprang auf, raste zum Telefon, meldete sich fast atemlos.

Zunächst war es still, dann erkundigte sich eine besorgt klingende Frauenstimme: »Habe ich dich bei etwas gestört? Entschuldige bitte, das wollte ich nicht.«

Es war nicht Nicki, die anrief, sondern Katja Diewald, die als Patientin zu ihr gekommen war und mit der sie sich mittlerweile richtig angefreundet hatte. Sie fand Katja sehr sympathisch, und obwohl die auf dem Millionenhügel wohnte, wie man das Neubaugebiet nannte, wirkte sie erfrischend normal. Roberta unterhielt sich gern mit ihr. Und manchmal wünschte sie sich mehr Zeit, die sie gern mit Katja verbringen würde. Katja war so ganz anders als ihre allerbeste Freundin Nicki, und wie viel Zeit sie auch miteinander verbringen würden, so wie mit ihr und Nicki würde es niemals werden, mit niemandem. Doch das war auch gut so. Man konnte nicht nur allerbeste Freundinnen haben.

»Hallo, Katja, du störst nicht. Ich dachte nur, Nicki würde sich endlich melden.«

»Tut mir leid, dass nur ich es bin.«

Roberta lachte.

»Katja, nun ist es aber gut. Wenn das jetzt ein fishing for compliments war, dann kann ich nur sagen, es ist wirklich schön, dass du anrufst. Mit einem Anruf von dir hätte ich allerdings heute nicht gerechnet, sondern dich an der Seite deines Ehemannes gesehen.«

Katja ging darauf nicht ein.

»Hast du Lust, etwas mit mir zu trinken und zu plaudern?«, erkundigte Katja sich stattdessen. »Entweder bei mir oder bei dir.«

Roberta besuchte Katja gern in dieser beeindruckenden Penthousewohnung, von der aus man einen Rundumblick hatte, ganz besonders auch auf die Felsenburg. Und Katja war eine hervorragende Gastgeberin. Außerdem konnte ein kleiner Spaziergang zu Katja nicht schaden. Bewegung tat gut, das predigte Roberta ihren Patientinnen und Patienten beinahe gebetsmühlenartig. Daran hielt sie selbst sich allerdings nicht so oft. Und als Entschuldigung konnte sie ihre Überarbeitung und mangelnde Zeit vorbringen. Das nahm man ihr ab. Was hätte man auch sonst tun sollen.

»Katja, uns zu treffen, das ist eine wunderbare Idee.« Sie sagte nicht, dass sie dann wenigstens nicht mehr an diesen Fremden denken musste. »Heute allerdings habe ich mein Pensum bereits hinter mir. Stell dir vor, ich konnte mich tatsächlich aufraffen, endlich mal ein Ruderboot zu mieten. Es hat unglaublich viel Spaß gemacht. Ich sitze noch in meinen Sportklamotten herum, und du weißt ja, wie die Leute reden. Komm doch einfach zu mir.«

Damit war Katja sofort einverstanden.

»Prima, du sorgst für die Getränke, und ich bringe kleine Leckereien mit, die besser gemeinsam schmecken als allein.«

Ihr Mann war also tatsächlich nicht daheim. Doch ehe sie dazu etwas sagte, fuhr Katja fort: »Ich mache mich sofort auf den Weg.«

Und das war Roberta sehr recht. Sie freute sich, Katja zu sehen, und ehe sie sich jetzt Gedanken machte, würde sie gleich erfahren, warum der Ehemann nicht daheim war. Arndt Diewald war ein umtriebiger Geschäftsmann, und große Deals wickelte man meistens nicht während der normalen Geschäftszeiten ab. Das hatte sie mittlerweile durch den Umgang mit den Diewalds mitbekommen.

Aber warum rief Nicki nicht an?

Sie versuchte ihre Freundin zu erreichen, und es wunderte Roberta überhaupt nicht, dass das Handy noch immer abgeschaltet war. Was war da in Amerika bloß los? Es stimmte etwas nicht, Roberta machte sich wirklich Sorgen. Und ehe sie sich da weiter hineinverlor, wurde sie tätig, holte schon mal Weingläser und den Wein, den Katja gern trank. Sie hätte noch etwas dazugestellt, doch das ließ sie bleiben. Katja wollte ja etwas mitbringen.

Roberta schaute an sich herunter. Es war okay, doch sie hätte sich wenigstens die Haare kämmen können. Ach, was sollte es, Katja würde darüber hinwegsehen, für die musste sie sich nicht aufbrezeln.

*

Es war unglaublich, Katja Diewald musste geflogen sein. Es klingelte Sturm an der Haustür, Roberta lief hin, um zu öffnen.

»Hallo, Katja, habt ihr jetzt auch schon einen Heli, in dem ihr den Hügel herunterfliegt?«

Katja lachte.

»Nö, aber ich habe ein schnelles Auto. Eigentlich hatte ich ja zu Fuß kommen wollen, doch dann habe ich es mir anders überlegt. Und weil wir, wie ich vermute, Wein trinken werden, lasse ich mein Auto einfach vor deinem Grundstück stehen. Zum Glück hat man sich hier im Sonnenwinkel über mangelnde Parkplätze nicht zu beklagen. Da sieht es oben ganz anders aus.« Sie umarmte Roberta. »Danke, dass ich zu dir kommen durfte.«

Was war denn plötzlich mit Katja los?

Roberta warf ihrer Besucherin einen forschenden Blick zu. Katja war ungewöhnlich blass, und irgendwie wirkte sie bedrückt.

Angezogen war Katja allerdings elegant wie immer. Sie trug eine braune Armani-Jeans, dazu einen haarklein auf die Farbe abgestimmten edlen Cashmere-Pullover. Es sah fantastisch aus. Normalerweise hatte Roberta von Designermode keine Ahnung, weil Mode überhaupt nicht ganz oben auf ihrer Agenda stand. Doch ausgerechnet dieses Outfit hatte sie auf dem Titelblatt einer der im Wartezimmer ausliegenden Zeitschriften gesehen und es sich sogar angeschaut, weil so etwas genau ihren Geschmack traf.

»Du siehst toll aus, Katja«, rief Roberta begeistert, und aus ihrer Stimme klang keinerlei Neid.

Die beiden Frauen begrüßten sich. Normalerweise freute sich jede Frau über ein Kompliment, ganz besonders, wenn es von jemandem wie Roberta kam, die mit Komplimenten nicht gerade um sich warf. Katja schaute Roberta nur ganz kurz an, ehe sie ungewöhnlich ernst erwiderte: »Der Schein trügt.«

Oje!

Man musste keine hellseherischen Fähigkeiten besitzen, um nun zu erahnen, dass bei Katja etwas nicht stimmte. Sie war sonst ganz anders drauf.

»Komm erst mal rein«, bemerkte Roberta. »Schön, dass du gekommen bist.«

Auch das zauberte kein Lächeln auf Katjas Lippen. Sie folgte Roberta stumm ins Haus. Und da Katja sich mittlerweile im Doktorhaus ganz gut auskannte, ging sie direkt in die Küche und stellte die mitgebrachte recht große Box in den Kühlschrank. »Das essen wir später, oder? Erst einmal habe ich Lust auf ein Gläschen Wein.«

Gemeinsam begaben sie sich in das gemütlich eingerichtete Wohnzimmer, setzten sich. Roberta schenkte den Wein ein, erzählte von ihrem Abenteuer am See, dem ersten Rudern nach langer Zeit. Sie wollte von der Begegnung mit Dr. Lantermann sprechen, den Katja nicht ausstehen konnte. Doch als Roberta bemerkte, dass Katja mit ihren Gedanken irgendwo war, dass sie ganz woanders war, dass sie überhaupt nicht zuhörte, ließ sie es bleiben. Über den Fremden hätte sie nicht gesprochen, das wollte sie für sich behalten. Aber eigentlich gab es über diese kurze Begegnung auch nichts zu sagen. Für sie war es bedeutsam, weil sie diesen Mann direkt mit Lars in Verbindung gebracht hatte.

Katja war zu ihr gekommen, und ganz offensichtlich war sie mit etwas beschäftigt, was absolut nicht angenehm war. Also erkundige Roberta sich direkt: »Katja, was ist los?«

Katjas Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. Es schien, als habe sie auf diese Frage nur gewartet. »Arndt hat mich verlassen.«

Eigentlich hatte Roberta etwas trinken wollen, doch sie war jetzt derart verblüfft, dass sie ihr Glas erst einmal wieder abstellte.

Was hatte Katja da gesagt?

Roberta glaubte, sich verhört zu haben. Katja und Arndt Diewald waren doch ein perfekt funktionierendes Paar. Die passten zusammen, wie man so schön sagte, wie Pott und Deckel.

Roberta war klug, wortgewandt, nichts konnte sie so leicht aus der Ruhe bringen. Jetzt allerdings war sie doch ziemlich verwirrt. Mit so etwas hätte sie nicht gerechnet. Sie schaute ihr Gegenüber an. Katja wirkte schön, aber sehr blass.

»Katja, ich …«, sie schluckte, dann fuhr sie tapfer fort, »ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.«

Katja war in der Lage, nach ihrem Glas zu greifen, etwas zu trinken. Ihre Hand zitterte nicht einmal, als sie es wieder abstellte. Katja hatte sich sehr unter Kontrolle. Spurlos konnte das, was sie gerade gesagt hatte, aber nicht an ihr vorübergegangen sein.

Katja warf Roberta einen traurigen Blick zu. »Mich hat es auch ziemlich aus den Puschen gehauen, als Arndt mir das verkündete. Mit so etwas hätte ich wirklich niemals gerechnet. Aber so ist halt das Leben, für alle Überraschungen gut, und es passiert immer das, womit man überhaupt nicht gerechnet hätte.« Sie trank noch etwas, ehe sie fortfuhr: »Vermutlich war ich mir seiner zu sicher, und ich habe deswegen die Alarmzeichen nicht bemerkt, habe sie nicht bemerken wollen.«

Roberta hielt Katja für einen sehr sensiblen Menschen, und deswegen glaubte sie deren letzte Worte nicht. Wenn jemand Erfahrung, leidvolle Erfahrung mit einem Mann hatte, der links und rechts des Weges grasen musste, um sein eitles Ego zu befriedigen, dann war sie das. Roberta hatte immer gewusst, wann Max sie betrogen hatte, das erkannte man an vielen Kleinigkeiten. Man konnte es gewissermaßen erspüren. Sie sagte es dann auch.

»Katja, tut mir leid, eine Frau spürt so etwas.«

Katja zuckte die Achseln.

»Vielleicht, aber hier war es anders. Ich wusste ja, dass Arndt mich mit seiner jeweiligen Mittwochfrau betrog, und es war eine von denen, die letztlich das Rennen gemacht hat. Es ist halt dumm für mich gelaufen.«

Roberta wusste von diesem merkwürdigen Arrangement zwischen dem Ehepaar Diewald, und es hatte den Anschein gehabt, dass es für alle Beteiligten perfekt lief. Und wenn sie Katja und Arndt gemeinsam gesehen hatte, was nicht so oft vorgekommen war, hatte es zumindest sehr harmonisch ausgesehen, und das war nicht gespielt gewesen. So etwas hätte Roberta direkt durchschaut, schließlich besaß sie genug Menschenkenntnis. Was also war bei den Diewalds aus dem Ruder gelaufen? Roberta erkundigte sich direkt danach. Und sie bekam von Katja sogleich eine Antwort, mit der sie allerdings nicht gerechnet hatte. »Seine Mittwochsfrau ist schwanger, und Arndt fühlt sich verantwortlich. Nicht nur das, er ist außer sich vor Freude. Er hat sich immer ein Kind gewünscht, natürlich am liebsten einen Sohn. Mit seiner ersten Frau hat es nicht geklappt, bei uns ebenfalls nicht. Irgendwann haben wir aufgegeben und uns damit abgefunden, kinderlos zu bleiben … es war schön«, ihre Stimme bekam einen sehnsuchtsvollen Klang. »Wir wollten zusammen alt werden.«

Schwangerschaft …

Sofort gingen bei Roberta alle Alarmglocken an. Ihr kam ein Patient in den Sinn, dem von der Ehefrau vorgegaukelt worden war, schwanger zu sein, und das nur, um in den Besitz eines roten Sportwagens zu gelangen. Das Ende dieser Geschichte kannte Roberta zwar noch nicht, doch das war augenblicklich auch nicht das Thema, um das es ging. Irgendwann würde der arme Mann die Wahrheit erfahren. Roberta musste das Patientengeheimnis wahren und konnte das jetzt nicht erzählen, doch sie bemerkte: »Katja, eine Frau kann eine Schwangerschaft auch vortäuschen, das kommt öfter vor, als man denkt.«

Katja nickte.

»Ja, das stimmt. Aber ich glaube, dass diese Frau wirklich schwanger ist. Ich bin mir allerdings ganz sicher, dass sie das Kind Arndt unterschieben will und von einem anderen Mann schwanger ist. Sie hat die Notbremse gezogen, denn in letzter Zeit lief es nicht so gut, Arndt wollte sie verlassen … Übrigens, ich habe mich irgendwann untersuchen lassen, bei mir ist alles in Ordnung. Ich könnte durchaus schwanger werden, nur nicht von Arndt. Er ist jeder Untersuchung aus dem Weg gegangen, weil es für ihn ein Makel wäre, zeugungsunfähig zu sein. Umso größer ist jetzt seine Freude, dass es anscheinend mit dieser Freundin geklappt hat.«

Jetzt musste Roberta etwas trinken. Offensichtlich waren Männer leicht hinters Licht zu führen, man musste es nur richtig anstellen.

»Und was passiert nun?«

Diese Frage war durchaus berechtigt. Es dauerte eine ganze Weile, ehe Katja darauf eine Antwort gab. »Roberta, ich weiß es nicht. Erst einmal ist er ausgezogen. Ich vermute, irgendwann wird er die Scheidung einreichen.«

»Und was wird aus dir?«, wollte Roberta wissen.

Sie selbst hatte bei ihrer Scheidung den Kürzeren gezogen, hatte auf alles, sogar die Praxis verzichtet, um es nicht zu einem noch größeren Rosenkrieg kommen zu lassen, dem sie nicht gewachsen gewesen wäre. Emotional wäre das für sie nicht infrage gekommen. Sie fühlte sich unbehaglich, und das erstaunte sie sehr, dass sie nach einer so langen Zeit noch derart betroffen war. Manches vergaß man wohl niemals. Man verdrängte es allenfalls. Die Narben im Leben waren letztlich unübersehbar.

»Um meine Zukunft muss ich mir auf jeden Fall keine Sorgen machen. Wir haben einen Ehevertrag abgeschlossen, der mich absichert. Außerdem ist Arndt großzügig. Er will mir die Wohnung überlassen, und wenn ich möchte, kann ich auch das Anwesen haben, du weißt doch, den ehemaligen ›Seeblick‹, und alles, was dazugehört. Jetzt wenn er Vater wird, möchte Arndt sich mit diesem Projekt nicht mehr belasten.«

Was war das denn für ein Theater!