Der neue Sonnenwinkel 9 – Familienroman - Michaela Dornberg - E-Book

Der neue Sonnenwinkel 9 – Familienroman E-Book

Michaela Dornberg

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Beschreibung

Im Sonnenwinkel ist eine Familienroman-Serie. Schauplätze sind der am Sternsee gelegene Sonnenwinkel und die Felsenburg, eine beachtliche Ruine von geschichtlicher Bedeutung. Mit Michaela Dornberg übernimmt eine sehr erfolgreiche Serienautorin, die Fortsetzung der beliebten Familienserie "Im Sonnenwinkel". Michaela Dornberg ist mit ganzem Herzen in die bezaubernde Welt des Sonnenwinkels eingedrungen. Sie kennt den idyllischen Flecken Erlenried und die sympathische Familie Auerbach mit dem Nesthäkchen Bambi. Am liebsten wäre Doktor Roberta Steinfeld auf das Mädchen zugelaufen, hätte die Kleine ganz fest in die Arme genommen und ihr gesagt, dass sie sich doch nicht so quälen sollte. Sie blieb wie angewurzelt stehen. Bambi Auerbach, die sich künftighin nur noch Pam nennen wollte. Das war die Abkürzung ihres eigentlichen Namens Pamela. Sie bot ein Bild des Jammers, wie sie blass, angespannt und mit leerem Blick auf ihrem Stuhl saß, das Fotoalbum mit Bildern ihrer leiblichen Eltern fest an sich gepresst, als könne sie daran den Halt finden, der ihr verloren gegangen war. Oh, es war schon nachvollziehbar, dass ihr der Boden unter den Füßen weggebrochen war, als sie zufällig und das in aller Öffentlichkeit, in einem Eiscafé, erfahren musste, dass sie keine Auerbach war, sondern dass man sie adoptiert hatte. Sie, die sich für eine Auerbach durch und durch gehalten hatte, war aus ihrer Wohlfühlwelt herausgerissen worden. Roberta konnte dem Himmel nur immer wieder danken, dass sie Pam – es fiel ihr schwer, sie so zu nennen – zufällig mitten in der Nacht gefunden hatte, als sie von einem späten Patientenhausbesuch kam. Sie hatte sie mitgenommen, und nun war sie also bei ihr, weil sie ihre vermeintlichen Eltern nicht mehr sehen wollte. Und selbst Ricky, ihrer Schwester, war es nicht gelungen, einen Draht zu Pamela zu bekommen. Alles war anders geworden. Aber es war kein Zustand, der anhalten konnte. Pam musste zur Schule, und auf ewig konnte sie nicht schmollen. Welch ein Glück, dass die Auerbachs überhaupt zugestimmt hatten, dass ihre jüngste Tochter, die sie über alles

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Der neue Sonnenwinkel – 9 –

Ein Scherbenhaufen im Paradies …

… doch es gib Hoffnungsschimmer am Horizont

Michaela Dornberg

Am liebsten wäre Doktor Roberta Steinfeld auf das Mädchen zugelaufen, hätte die Kleine ganz fest in die Arme genommen und ihr gesagt, dass sie sich doch nicht so quälen sollte.

Sie blieb wie angewurzelt stehen.

Bambi Auerbach, die sich künftighin nur noch Pam nennen wollte. Das war die Abkürzung ihres eigentlichen Namens Pamela.

Sie bot ein Bild des Jammers, wie sie blass, angespannt und mit leerem Blick auf ihrem Stuhl saß, das Fotoalbum mit Bildern ihrer leiblichen Eltern fest an sich gepresst, als könne sie daran den Halt finden, der ihr verloren gegangen war.

Oh, es war schon nachvollziehbar, dass ihr der Boden unter den Füßen weggebrochen war, als sie zufällig und das in aller Öffentlichkeit, in einem Eiscafé, erfahren musste, dass sie keine Auerbach war, sondern dass man sie adoptiert hatte.

Sie, die sich für eine Auerbach durch und durch gehalten hatte, war aus ihrer Wohlfühlwelt herausgerissen worden.

Roberta konnte dem Himmel nur immer wieder danken, dass sie Pam – es fiel ihr schwer, sie so zu nennen – zufällig mitten in der Nacht gefunden hatte, als sie von einem späten Patientenhausbesuch kam. Sie hatte sie mitgenommen, und nun war sie also bei ihr, weil sie ihre vermeintlichen Eltern nicht mehr sehen wollte. Und selbst Ricky, ihrer Schwester, war es nicht gelungen, einen Draht zu Pamela zu bekommen.

Alles war anders geworden.

Aber es war kein Zustand, der anhalten konnte. Pam musste zur Schule, und auf ewig konnte sie nicht schmollen.

Welch ein Glück, dass die Auerbachs überhaupt zugestimmt hatten, dass ihre jüngste Tochter, die sie über alles liebten, im Doktorhaus bleiben durfte, bis sich die Wogen wieder geglättet hatten.

Doch würden sie das?

Roberta hatte noch Pamelas Worte im Ohr: »Bitte, Frau Doktor helfen Sie mir. Ich weiß jetzt, was ich zu tun habe.«

Roberta erholte sich von ihrer ersten Überraschung, Pamela zu so früher Stunde in der Küche vorzufinden und auch von deren Worten.

Sie setzte sich.

»Bam…«, sie korrigierte sich, »Pam, du weißt, dass ich für dich da bin. Und ich tue gern alles für dich, was in meiner Macht steht.«

Pam nickte.

»Das weiß ich, und ich bin ja so froh, hier bei Ihnen und Alma sein zu dürfen.«

Roberta hätte ihr jetzt am liebsten gesagt, dass es nur ein paar Meter weiter ihr Elternhaus gab, in dem man sehnsüchtig und voller Schuldgefühle auf sie wartete. Voller Schuldgefühle, weil man versäumte, ihrem Nesthäkchen beizeiten zu sagen, dass es kein leibliches Kind der Auerbachs war, sondern dass man sie nach dem schrecklichen Unfalltod der leiblichen Eltern adoptiert hatte, aus lauter Liebe.

Es war ja so verfahren!

Alles!

»Du kannst bleiben, solange du willst, aber du weißt schon, dass das keine Dauerlösung sein kann. Du bist minderjährig und kannst nicht über dich selbst entscheiden, und wenn deine …, äh … Eltern es nicht mehr tun sollen, dann wird es jemand vom Jugendamt sein.«

Roberta sah, wie die Kleine noch blasser wurde, wenn das überhaupt möglich war. Und sie ärgerte sich über ihre letzten Worte. Die waren jetzt so unnötig gewesen wie ein Kropf.

»Vergiss, was ich zuletzt gesagt habe, sondern erzähle mir bitte, was du tun möchtest und wie ich dir dabei helfen kann.«

Pamela presste das Fotoalbum noch enger an sich, atmete tief durch, dann legte sie es auf den Tisch und holte einen alten, vergilbten Briefumschlag daraus hervor.

»Diesen Umschlag fand ich im Album, und darauf steht eine Adresse aus Amerika. Kann es nicht sein, dass es sich dabei um jemanden aus der Familie meiner leiblichen Mutter handelt? Wenn das zutreffen sollte, dann würde ich gern diese Person kennenlernen, ich weiß leider nicht, ob es sich dabei um einen Mann oder eine Frau handelt, auf dem Umschlag steht nur A. Stanhope, Baton Rouge in Louisiana.«

Arme Kleine!

Sie klammerte sich jetzt wirklich an jeden Strohhalm, suchte verzweifelt nach ihren Wurzeln.

Und wenn Professor Werner Auerbach und seine Frau Inge auch ziemlich leichtfertig gehandelt hatten, es ihrer Tochter nicht zu sagen, so liebten sie das Mädchen doch über alles und würden alles tun, es ungeschehen zu machen.

Jetzt nach einer oder einem A. Stanhope zu suchen, was versprach Pamela sich davon?

Wäre diese Person stark in das Leben ihrer Eltern involviert gewesen, hätte sie verzweifelt Kontakt gesucht, wenn sie von den Biesenbachs nichts mehr gehört hatte.

Sie konnte sich erinnern, wie Inge Auerbach ihr gesagt hatte, dass es keine Familie gab und dass sie sich sofort der Kleinen angenommen hatten, um zu verhindern, dass man sie in ein Heim steckte. Und Dr. Heiner Biesenbach war ein enger Mitarbeiter des Professors gewesen, sie hatten sich auch privat sehr gut verstanden, und wenn Dr. Biesenbach mit seiner amerikanischen Ehefrau Nancy unterwegs gewesen war, hatten sie die Kleine bei den Auerbachs geparkt. Das war auch am Tag des schrecklichen Unfalls so gewesen.

Die Auerbachs hatten wirklich alles richtig gemacht, ihr großer Fehler war nur gewesen, das Mädchen nicht über die wahre Herkunft aufgeklärt zu haben. Anfangs hatten sie es für zu früh gehalten, und dann später … Ja, aus lauter Liebe konnte man auch Fehler machen.

»Du möchtest also einen Kontakt nach Amerika herstellen, Pam, okay, ich helfe dir dabei. Doch wir sollten deine El…, äh, die Auerbachs fragen, ob Sie etwas von A. Stanhope wissen. Ich kann es für dich tun.«

Das Mädchen nickte ganz heftig.

»Und dann möchtest du nach Amerika reisen?«

Wieder ein Nicken.

»Bambi, so wie du dir das vorstellst, geht es nicht.«

Die Reaktion auf ihre Worte war ein trotziges: »Ich heiße Pamela und möchte gern Pam genannt werden.«

»Entschuldige, es werden andere Leute ebenfalls Probleme damit haben. Du bist doch für alle hier im Sonnenwinkel Bambi Auerbach.«

Mit Tränen in den Augen sagte das Mädchen: »Das war ich, aber das ist vorbei.«

Es war kaum auszuhalten, mit ansehen zu müssen, wie sehr die Kleine litt. Aber sie hatte sich in den Kopf gesetzt, mit ihren Adoptiveltern zu brechen, und es würde vermutlich eine ganze Weile dauern, bis man da wieder etwas kitten konnte. Wenn überhaupt.

Menschen neigten manchmal zu nicht nachvollziehbaren Reaktionen, und sie hielten daran fest, auch wenn es ihnen schadete.

Es hätte alles so einfach sein können.

Manchmal gab es Situationen im Leben eines Menschen, bei denen man sich viele Fragen nach dem »Warum« stellen musste.

Wie hier bei der Kleinen.

Warum war sie in der Eisdiele gewesen?

Warum hatte eine der Frauen die eigentlich unter Verschluss gehaltene Akte finden müssen?

Warum hatten die beiden Frauen sich über die Adoption unterhalten?

Warum hatte Pamela verdeckt am Nebentisch gesessen?

Und man musste sich immer wieder fragen, warum die Auerbachs es immer wieder hinausgeschoben hatten, die Kleine endlich über ihre Herkunft aufzuklären. Es hatte deswegen ja auch schon Auseinandersetzungen mit Ricky, Jörg und Hannes gegeben, den eigenen Kindern der Auerbachs, die allesamt ihre kleine Schwester über alles liebten und die ihre Eltern nicht verstehen konnten.

Das Kind war in den Brunnen gefallen, und so einfach, wie Pamela sich das jetzt vorstellte, ging es nicht.

»Ich muss gleich in die Praxis, aber ich verspreche dir, mich zu kümmern, und du musst mir versprechen, wenn alles nicht so schnell geht, keine Dummheiten zu machen.«

Das Mädchen nickte heftig.

»Und noch etwas, Pam«, jetzt machte Roberta es richtig. »Ich muss darüber auch mit deinen Adoptiveltern sprechen.«

Die Kleine wollte etwas sagen, doch Roberta winkte ab.

»Sie haben ein Recht darauf, sie könnten dich sogar zurückholen, ob du es nun willst oder nicht. Es ist großzügig von ihnen, dich hier bei mir zu lassen.«

Die Kleine presste wieder das Fotoalbum an sich.

»Sie haben ein schlechtes Gewissen, weil sie mich in all den Jahren belogen haben. Bestimmt haben sie sich schimmelig gelacht, wenn ich über die Ähnlichkeiten gesprochen habe, die ich angeblich mit ihnen habe. Ich bin eine Fremde für sie, und wenn ich dann auch noch …«

Diesmal unterbrach Roberta sie einfach.

»Pamela, höre auf damit. Deine Adoptiveltern haben dich nicht nehmen müssen, sie haben sich bewusst für dich entschieden, weil sie dich lieben. Ja, das tun sie. Jeder Mensch macht mal Fehler, und man muss auch bereit sein zu verzeihen. Denk mal darüber nach, ob du jetzt wirklich gerecht oder ungerecht bist, weil du zutiefst verletzt bist. Egal, was du denkst, ich akzeptiere jede Entscheidung von dir, und ich werde dir helfen, mit allem fertig zu werden.«

Roberta war insgeheim froh, dass Alma hereinkam.

Die umarmte Pamela, erkundigte sich nach deren Wünschen. Sie behandelte die Kleine wie ein rohes Ei, und das war gewiss auch nicht die richtige Vorgehensweise. Doch was war in diesem Fall schon richtig oder falsch?

Roberta nahm ihren Kaffee und zog sich zurück.

Hatten denn die Auerbachs von A. Stanhope aus Baton Rouge, wer immer das auch sein mochte, nichts gewusst?

Oder hatten sie und hatten das bewusst ignoriert, weil sie das kleine Mädchen unbedingt haben wollten?

So zu denken war gefährlich, und normalerweise neigte Roberta auch nicht dazu, Mutmaßungen anzustellen, sondern sie überzeugte sich erst einmal genau von jedem Sachverhalt.

Sie musste mit den Auerbachs reden.

Am besten mit ihr, auch wenn Inge Auerbach derzeit ziemlich nahe am Wasser gebaut hatte.

Es zerriss ihr beinahe das Herz, was durch ihre Zögerlichkeit entstanden war.

Bambi, die nur noch Pam sein wollte, war ihr kleines Mädchen.

Waren sie nicht immer ein Herz und eine Seele gewesen? Sie hatten zusammen gelacht, zusammen gekocht, weil die Kleine das so wollte, und sie hatten gemeinsam im Garten gearbeitet. Und als Jonny gestorben war, der älter geworden war, als es Collies normalerweise wurden, hatten sie gemeinsam geweint.

Und da hatte die Kleine es auch am nächsten Morgen erfahren sollen, all das wusste Roberta von Inge Auerbach.

Sie trank einen Schluck ihres mittlerweile kalt gewordenen Kaffees, und dabei brauchte sie den am Morgen heiß und stark.

Pam hatte auch ihr Leben ganz gehörig durcheinandergebracht, und eigentlich hatte sie überhaupt nicht die Zeit, sich mit einem solchen Problemfall zusätzlich zu belasten. Aber sie konnte nicht anders. Sie hatte das Mädchen unterwegs entdeckt, und da war es doch eine Selbstverständlichkeit gewesen, Pam mitzunehmen. Das hätte jeder getan, nun ja, vielleicht nicht jeder.

Roberta ging in ihr Badezimmer. Wenn sie sich jetzt beeilte, konnte sie es noch schaffen, in aller Ruhe zu frühstücken, und sie konnte vor Beginn der Sprechstunde mit Inge Auerbach telefonieren, die darauf brannte, Neues von ihrer jüngsten Tochter zu erfahren.

*

Ricky Rückert haderte noch immer damit, dass sie es nicht geschafft hatte, ihre kleine Schwester zur Umkehr zu bewegen. Und sie konnte sich auch nicht darüber freuen, dass Bambi, so würde sie die Kleine immer nennen, nur mit ihr hatte sprechen wollten, nicht mit ihren Eltern, und auch nicht mit den Großeltern oder mit Jörg. Mit Hannes wäre es vielleicht möglich gewesen, doch das ging ja nicht, weil der längst in Australien war, wo er mit einem Kumpel als Tauch- und Surflehrer arbeiten wollte, sehr zum Entsetzen der Familie, die fest damit gerechnet hatte, dass Hannes nach Rückkehr von seiner Weltreise anfangen würde zu studieren, was bei seinem Einser-Abitur auch zu erwarten gewesen war.

Hannes hatte ihnen allen einen Strich durch die Rechnung gemacht, und eigentlich bewunderte Ricky ihren kleinen Bruder dafür, dass er sein Ding machte, weil er es so wollte. Er hätte ja auch die Erwartungshaltung seiner Eltern erfüllen können, für die ein Studium ihres Jüngsten eine Selbstverständlichkeit gewesen war.

Hannes würde seinen Weg gehen, davon war Ricky fest überzeugt.

Sie hatte nach dem Abitur geheiratet, ihre Kinder bekommen, und jetzt hatte sie angefangen zu studieren, weil es an der Zeit für sie war, und Fabian, den sie wie am ersten Tag liebte, unterstützte sie bei allem.

Jetzt war auch er allerdings machtlos. Nachdem die Kinder unterwegs waren, saßen Ricky und Fabian allein am Frühstückstisch.

Diese Stunde war ihnen heilig, weil sie da so manches besprechen konnten, aber leider hatten sie die Zeit nicht immer. Fabian musste als Direktor des angesagtesten Gymnasiums der Stadt meist früh in der Schule sein, und Ricky hatte manchmal auch frühe Vorlesungen, die sie um keinen Preis versäumen wollte.

Sie trank etwas von ihrem Kaffee, stellte die Tasse ab, dann wandte Ricky sich ihrem Ehemann zu. Dr. Fabian Rückert war ein sehr gut aussehender großer Mann mit kurzen Haaren, ausdrucksvollen Augen. Die randlose Brille verlieh ihm das Aussehen eines Intellektuellen, doch dieses äußere Zeichen dafür war unnötig. Fabian war ein Intellektueller, und er war vor allem ein ganz ausgezeichneter Pädagoge, was er in seiner Position als Direktor leider nicht immer zum Ausdruck bringen konnte. Aber er wurde von den Schülern geliebt, und seine Kollegen bewunderten und respektierten ihn, und es war so manche Kollegin darunter, die mit ihrem Chef ganz gern auch private Zeit verbracht hätte.

Aber da konnte Ricky sich absolut sicher sein, für ihren Fabian konnte sie nicht nur eine Hand, nein, sie konnte beide Hände für ihn ins Feuer legen, ohne sich dabei zu verbrennen.

Bei ihnen war es Liebe auf den allerersten Blick gewesen, und ­daran hatte sich bis heute nichts geändert, im Gegenteil, ihre Lie­be­ war reifer und inniger geworden.

Natürlich wusste Fabian um die Tragik um Bambi, sie hatten groß und breit darüber diskutiert, eine Patentlösung hatte er auch nicht parat. Und er war auch überhaupt nicht stolz darüber, dass seine Befürchtungen sich nun bewahrheitet hatten.

Ihm taten beide Teile leid, seine Schwiegereltern, aber mehr noch seine kleine Schwägerin.

Als die Auerbachs in den Sonnenwinkel gezogen waren, hatte er die Kleine sofort in sein Herz geschlossen, mehr noch, sein Herz ging über, wenn er an Bambis Liebe zu ihrem Hund Jonny dachte.

Ach, wie lange war das nun schon her.

Jonny war tot, und in Luna, die sie als Welpen aus dem Tierheim geholt hatten, war längst ein Ersatz gefunden.

Und bei den Auerbachs lag alles in Scherben. Es war ganz schrecklich.

»Fabian, ich flehe dich an. Du bist ein kluger Mann, es muss dir doch etwas einfallen, wie wir alles wieder in Ordnung bringen können. Mama und Papa sind fix und fertig, über Oma und Opa will ich überhaupt nicht reden, und selbst Jörg, der seine Gefühle ja nicht unbedingt auf einem Tablett vor sich herträgt, ist zutiefst besorgt, ruft andauernd an.«

Dr. Fabian Rückert warf seiner bildhübschen Frau, der man die Kinder wahrlich nicht ansah, einen beinahe amüsierten Blick zu.

So war sie, seine Ricky, immer musste sofort eine Lösung her. Das ging nicht immer.

»Mein Herz, wir müssen die Schuldfrage nicht noch einmal durchkauen. Es ist vieles schiefgelaufen. Und jetzt kann man erst einmal überhaupt nichts tun. Deine Eltern dürfen Pamela, wie sie ja jetzt heißen will und woran wir uns noch gewöhnen müssen, auf keinen Fall überfordern. Sie müssen ihr Zeit lassen, sich mit der Situation zurechtzufinden. Es ist ja auch schrecklich, eine solche Wahrheit durch Fremde ganz nebenbei zu erfahren. Es ist gut, dass sie bei Frau Doktor Steinfeld ist. Das ist eine sehr patente Frau, die ermessen kann, was gut für Pamela ist und was nicht.«

»Fabian, es klingt ganz schrecklich, wenn du Pamela sagst. Glaubst du nicht, dass sie nach allen Turbulenzen, die sie jetzt durchmacht, die wir alle durchmachen, wieder Bambi sein will? Das klingt vertraut, so nennen wir sie, seit sie bei uns ist.«

»Ich finde es nicht verkehrt, sie mit ihrem richtigen Namen anzusprechen, gut, es hätte später sein können. Aber mal ganz ehrlich, stell dir mal eine Frau von dreißig oder vierzig vor, vielleicht sogar ein bisschen mollig, und die wird Bambi gerufen. Alles hat seine Zeit.«

Wieder hatte Fabian recht, eigentlich wie immer.

»Stimmt, also gewöhnen wir uns an Pamela oder Pam, wie sie genannt werden will. Das ist das Allerwenigste. Viel schwieriger wird es sein, Pamelas Vertrauen wieder zu gewinnen. Was können wir da machen, Fabian?«

»Nichts. Ihr Zeit lassen, und ihr immer das Gefühl geben, dass wir alle sie lieben und immer für sie da sind, wenn sie uns braucht. Wir dürfen Pam auf keinen Fall bedrängen. Sie muss erst selbst wieder zu sich finden. Und wenn es an der Zeit ist, dann muss sie den ersten Schritt tun.«

Ricky seufzte.

»Ach, es ist ganz furchtbar, untätig herumzusitzen und abzuwarten.«

Fabian lachte.

»Für jemanden wie dich, der tausend Hummeln im Hintern hat, ist es wirklich eine Herausforderung. Aber auch du wirst dich gedulden müssen, mein Herz.«

Ricky stand auf, ging hinter den Stuhl ihres Mannes und legte ihm von hinten die Arme um den Hals.

»Ich bin froh, dass wir nicht vor der Entscheidung stehen, es einmal einem unserer Kinder sagen zu müssen. Sie sind alle von uns, und wir haben uns jedes einzelne von ihnen gewünscht. Das fühlt sich gut an.«

»Das tut es wirklich, aber wenn eines unserer Kinder adoptiert wäre oder wenn es sich irgendwann einmal ergeben würde, ein Kind zu adoptieren, dann würden wir es in dem Bewusstsein aufwachsen lassen, dass man verschiedene Eltern haben kann, die leiblichen oder Eltern des Herzens. Dann gibt es solche Probleme nicht. Aber lass uns bitte davon aufhören. Das Kind ist in den Brunnen gefallen, und jetzt müssen wir erst einmal abwarten. Wenn du heute nach der Uni zu deinen Eltern fahren möchtest, um ihnen ein wenig beizustehen, dann tu das bitte. Ich habe heute einen kurzen Tag und kann dir die Kinder abnehmen. Außerdem könntest du dich mit deiner Mutter noch einmal wegen der Vermietung unseres Hauses kurzschließen. Sie hat bestimmt ganz andere Dinge im Kopf, als sich darum zu kümmern. Wir könnten einen Makler einschalten.«

Damit war Ricky nicht einverstanden.

»Da wäre Mama zu Tode beleidigt. Aber wir sollten vielleicht mal darüber nachdenken, ob wir nicht doch verkaufen sollten.« Jetzt musste er lachen.

»Schon vergessen, dass das ursprünglich meine Idee war, von der du nichts wissen wolltest?«, erinnerte er sie.

Ricky gab ihrem Mann einen Kuss auf die Stirn.

»Meinungen sind dazu da, geändert zu werden«, sagte sie. »Ich denke, darüber sollten wir uns noch einmal eingehend unterhalten. Aber nicht jetzt. Als fleißige Studentin muss ich mich jetzt auf den Weg machen. Aber ich nehme dein Angebot sehr gern an und fahre im Sonnenwinkel vorbei, dann kann ich Opa auch gleich mein letztes Referat zeigen, der freut sich doch immer darüber, dass ich eine so fleißige Studentin bin.«