Nicki in Not - Michaela Dornberg - E-Book

Nicki in Not E-Book

Michaela Dornberg

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Beschreibung

Im Sonnenwinkel ist eine Familienroman-Serie. Schauplätze sind der am Sternsee gelegene Sonnenwinkel und die Felsenburg, eine beachtliche Ruine von geschichtlicher Bedeutung. Mit Michaela Dornberg übernimmt eine sehr erfolgreiche Serienautorin, die Fortsetzung der beliebten Familienserie "Im Sonnenwinkel". Michaela Dornberg ist mit ganzem Herzen in die bezaubernde Welt des Sonnenwinkels eingedrungen. Sie kennt den idyllischen Flecken Erlenried und die sympathische Familie Auerbach mit dem Nesthäkchen Bambi. Dass es eine ganze Weile dauern würde, bis Nicki sich in ihre Rolle als Alleinerziehende hineingefunden hatte, war Roberta bewusst, Nicki offensichtlich nicht. Die war zu leichtgläubig und optimistisch an alles herangegangen. Und nun hatte es sie gleich anfangs kalt erwischt. Arme Nicki! Als Freiberuflerin konnte man sich nicht einfach ein paar Tage freinehmen, und da wusste man auch nicht, ob ein Auftrag sich als besonders schwierig und nervig herausstellen würde. Genau das war der Fall. Nicki hatte wohl geglaubt, es so nebenbei mit links schaffen zu können, aber das war weit gefehlt. Und es war ja auch nicht nur so, dass einer ihrer Hauptauftraggeber gerade jetzt Sonderwünsche hatte, sondern es bedrückte Nicki auch, mehr noch, es ließ sie verzweifeln, dass die kleine Olivia im Loft fremdelte. Auch das noch. Die sprichwörtlich schlimmstmögliche Wendung. Glücklicherweise hatte Nicki mit ihr darüber gesprochen und hatte nicht aus lauter Stolz geschwiegen. Doch das konnte ohnehin nur bedeuten, dass sie verzweifelt war. In einer solchen Situation war einem alles egal, da warf man seine Vorsätze über Bord. Und nun war Alma bei Nicki, Roberta hatte ihren guten Geist in ein Taxi gesetzt, weil Almas Auto ja bei Nicki war, und hatte sie zu ihrer Freundin geschickt. Seitdem hatte die Lage sich ein wenig verbessert. Nicki konnte sich auf ihre Arbeit konzentrieren, und Alma sorgte nicht nur für das leibliche Wohl, sondern bespielte Olivia voller Hingabe. Sie konnten alle aufatmen, doch das konnte ja nur eine Übergangslösung sein. Es musste etwas geschehen! Manchmal kam einem der Zufall zur Hilfe. Roberta wollte gerade nach einem Krankenbesuch in ihr Auto steigen, als Beatrix Sendler aus ihrem ausstieg.

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Der neue Sonnenwinkel – 91 –

Nicki in Not

Ihre Rolle als Mutter hatte sie sich anders vorgestellt

Michaela Dornberg

Dass es eine ganze Weile dauern würde, bis Nicki sich in ihre Rolle als Alleinerziehende hineingefunden hatte, war Roberta bewusst, Nicki offensichtlich nicht. Die war zu leichtgläubig und optimistisch an alles herangegangen. Und nun hatte es sie gleich anfangs kalt erwischt.

Arme Nicki!

Als Freiberuflerin konnte man sich nicht einfach ein paar Tage freinehmen, und da wusste man auch nicht, ob ein Auftrag sich als besonders schwierig und nervig herausstellen würde.

Genau das war der Fall.

Nicki hatte wohl geglaubt, es so nebenbei mit links schaffen zu können, aber das war weit gefehlt. Und es war ja auch nicht nur so, dass einer ihrer Hauptauftraggeber gerade jetzt Sonderwünsche hatte, sondern es bedrückte Nicki auch, mehr noch, es ließ sie verzweifeln, dass die kleine Olivia im Loft fremdelte. Auch das noch. Die sprichwörtlich schlimmstmögliche Wendung.

Glücklicherweise hatte Nicki mit ihr darüber gesprochen und hatte nicht aus lauter Stolz geschwiegen. Doch das konnte ohnehin nur bedeuten, dass sie verzweifelt war. In einer solchen Situation war einem alles egal, da warf man seine Vorsätze über Bord.

Und nun war Alma bei Nicki, Roberta hatte ihren guten Geist in ein Taxi gesetzt, weil Almas Auto ja bei Nicki war, und hatte sie zu ihrer Freundin geschickt. Seitdem hatte die Lage sich ein wenig verbessert.

Nicki konnte sich auf ihre Arbeit konzentrieren, und Alma sorgte nicht nur für das leibliche Wohl, sondern bespielte Olivia voller Hingabe.

Sie konnten alle aufatmen, doch das konnte ja nur eine Übergangslösung sein.

Es musste etwas geschehen!

Manchmal kam einem der Zufall zur Hilfe.

Roberta wollte gerade nach einem Krankenbesuch in ihr Auto steigen, als Beatrix Sendler aus ihrem ausstieg. Roberta mochte die Kinder- und Jugendpsychologin, die im Internat einen sehr guten Job machte. Es war bedauerlich, dass sie den aufgeben wollte, um in Südafrika eine anspruchsvollere Aufgabe zu übernehmen.

Andererseits …

Roberta beschloss, die Gelegenheit beim Schopf zu fassen. »Hallo, Frau Sendler«, rief sie. »Schön, dass ich Sie gerade treffe. Frau von Kramp hat mir von Ihren Umzugsplänen erzählt, auch davon, dass Sie unter Umständen Ihr Haus hier verkaufen wollen.«

Bea bestätigte es.

»Ja, das ist richtig. Ich habe lange darüber nachgedacht, wir haben uns darüber unterhalten und sind zu dem Schluss gekommen, einen Neuanfang zu machen, ohne Altlasten zurückzulassen. Vielfach wurde mir geraten, das Haus zu vermieten, weil anzunehmen ist, dass die Immobilienpreise weiterhin steigen werden. Das mag ja sein, doch wie soll ich das Haus von Afrika aus unter Kontrolle halten? Nein, ich werde das Haus verkaufen, und morgen habe ich einen Termin mit einem Maklerbüro. Dort hat man mir versichert, dass das Haus in kürzester Zeit verkauft sein wird, es gibt sogar eine Warteliste für Objekte dieser Art.«

Jetzt wurde Roberta doch etwas aufgeregt, da hatte sie ja noch einmal Glück gehabt!

»Frau Sendler, darf ich Sie um etwas bitten?«

Bea lächelte ihr Gegenüber an, sie mochte und schätzte die Frau Doktor sehr.

»Jederzeit, Frau Doktor«, antwortete Bea. »Worum geht es denn?«

»Meine Freundin ist unverhofft Mutter eines dreijährigen Mädchens geworden.«

Sie erzählte Beatrix Sendler die Geschichte, die hörte aufmerksam zu, dann rief sie: »Unglaublich, aber da kann man mal sehen, welche Geschichten das Leben schreibt … handelt es sich vielleicht um die Frau Beck?«

Roberta bestätigte es.

»Wir haben uns mal auf dem Wochenmarkt kennengelernt, und weil wir uns sympathisch fanden, haben wir zwischendurch auch miteinander telefoniert. Doch Sie wissen ja, wie das ist, anfangs kann man nicht genug davon bekommen, und später schläft es wieder ein, weil man mit anderen Dingen beschäftigt ist. Das Haus wäre richtig gut geeignet, und Sie hätten Ihre Freundin ganz bei sich in der Nähe. Frau Doktor, natürlich würde ich der Frau Beck den Vorrang geben, und damit Sie alles in aller Ruhe erst einmal unter sich und später dann mit mir besprechen können, sage ich selbstverständlich den Termin mit dem Maklerbüro ab. Frau Beck wird begeistert sein.«

Roberta wollte ehrlich sein und antwortete geradeheraus: »Frau Sendler, da bin ich mir nicht so sicher, Nicki hat ein Problem mit dem Sonnenwinkel, warum auch immer. Ihr Ausspruch lautete bislang immer, dass sie im Sonnenwinkel niemals heimisch werden könnte.«

Das verstand Bea nun überhaupt nicht.

»Aber dann …«

Roberta, eigentlich ein sehr höflicher Mensch, ließ sie den Satz nicht erst beenden. Sie wollte sich das jetzt nicht vermasseln. Andererseits hatte sie ehrlich sein müssen.

»Frau Sendler, Nicki hatte die Einstellung, als sie noch frei und ungebunden war. Wenn man ein Kind hat, sieht die Welt ganz anders aus, zumal die kleine Olivia sich in dem Loft unwohl fühlt. Auch, wenn ich Ihnen nichts versprechen kann, würden Sie mir die Zeit lassen, mit Nicki zu reden, ihr das Haus zu zeigen? Das wäre sehr nett von Ihnen. Aber ich weiß, dass das unbequem für Sie ist.«

»Frau Doktor, das ist doch ganz selbstverständlich. Ich werde den Termin absagen, und Sie nehmen sich die Zeit, die Sie benötigen. Das Haus wird sich so oder so verkaufen lassen. Und ehrlich mal, für mich wäre es ein schönes Gefühl zu wissen, dass Ihre Freundin und das Kind einziehen würden.

Meine Freundin Maja Greifenfeld, die auch dafür sorgt, dass wir nach Südafrika kommen, hat mir das Haus überlassen. Ich befand mich damals in einer ganz schrecklichen Verfassung, in diesem Haus bin ich zur Ruhe gekommen. Ich denke, in ihm steckt eine sehr gute Energie.«

Jetzt wusste Roberta, warum Nicki und Beatrix Sendler sich sofort so gut verstanden hatten. Dieser Ausspruch mit der Energie hätte auch von Nicki kommen können.

Roberta bedankte sich bei Beatrix Sendler.

»Frau Sendler, ich verspreche Ihnen, so schnell wie möglich mit meiner Freundin über das Haus zu sprechen, und dann bekommen Sie sofort Nachricht.«

»Frau Doktor, bitte lassen Sie sich alle Zeit der Welt, es wäre nicht gut, etwas zu überstürzen. Manchmal muss man den richtigen Augenblick für etwas abwarten.«

Sie war halt eine gute Psychologin, die Beatrix Sendler.

»Das ist wahr, danke vielmals. Doch jetzt möchte ich Sie nicht länger aufhalten. Gewiss werden Sie bereits erwartet.«

»Ja, das werde ich«, gab Beatrix zu, »und das zu wissen, das fühlt sich so großartig an. Leonore und Sandra haben mein Leben unglaublich bereichert, ich könnte überhaupt nicht mehr ohne sie sein. Leonore und Sandra sind meine Familie. Ganz gewiss ist Ihre Freundin ebenfalls glücklich und dankbar dafür, dass es jetzt einen Menschen gibt, der zu ihrem Leben gehört.«

Roberta nickte.

»Nicki ist unglaublich glücklich mit Olivia, und die Kleine hat sich auch bereits erstaunlich gut an Nicki gewöhnt.«

»Frau Doktor, das kann ich verstehen, Ihre Freundin ist ein besonders herzlicher Mensch. Man muss sie sofort mögen. Ich bedaure, nicht mehr aus dieser Freundschaft gemacht zu haben. Doch nun ist es zu spät, denn wir sitzen mehr oder weniger auf unseren gepackten Koffern.«

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite wurde eine Haustür geöffnet, Sandra kam heraus, blickte zu ihnen herüber. Roberta lachte. »Sie werden erwartet, Frau Sendler, nun lassen Sie sich bitte nicht länger durch mich aufhalten. Danke für das Gespräch, und besonderen Dank dafür, dass Sie uns erst einmal den Vorzug geben, obwohl alles offen ist.«

»Frau Doktor, von Herzen gern«, lachte Beatrix, sie verabschiedeten sich voneinander.

Ehe Roberta in ihr Auto stieg, hörte sie, wie Beatrix Sendler rief: »Sandra, rate mal, was ich dir mitgebracht habe.«

Es dauerte noch eine Weile, ehe Roberta losfuhr.

Beatrix Sendler hatte sich bereits mit einem Maklerbüro in Verbindung gesetzt, um das Haus zu verkaufen.

War es richtig gewesen, sie erst einmal davon abzuhalten? Eigentlich wusste sie doch, dass der Sonnenwinkel für Nicki überhaupt nicht infrage kam. Unsinn!

Damit hatte ihre Freundin Nicki kokettieren können, als sie noch allein gewesen war, nur für sich selbst verantwortlich. Das Blatt hatte sich gewendet, jetzt gab es die kleine Olivia in Nickis Leben, und daran würde sich für viele Jahre nichts mehr ändern.

Sie war mit der Kleinen gerade erst in Deutschland angekommen, und schon ein einziger Auftraggeber hatte alles aus den Fugen geraten lassen. Nicki bekam die Realität zu spüren, sie war einfach zu blauäugig an alles herangegangen.

Es waren ja nicht nur diese Umstände, sondern hinzu kam, dass das kleine Mädchen sich in dem Loft unwohl fühlte. Das war nachzuvollziehen, für ein Kind mussten der hohe Raum, die hohen Fenster, die Größe einfach erdrückend sein, alles erschien noch viel größer, als es eigentlich war. Es war so gut zu verstehen, die Art, so zu wohnen, war einfach nichts für Kinder. Die liebten es kuscheliger, die liebten Zimmer, in denen man sich geborgen fühlen konnte.

Wenn man so wollte, war das Haus von Beatrix Sendler geradezu ideal für Nicki und das Kind. Es war eine Fügung des Schicksals, ein Geschenk des Himmels, um bei Nickis Worten in derartigen Fällen zu bleiben.

Das Haus war sehr schön, und Objekte dieser Art wurden im Sonnenwinkel nicht alle Tage verkauft, sie gingen meistens unter der Hand weg. Kurzum, es war ein Glücksfall. Doch würde Nicki das überhaupt begreifen?

Nicki und sie waren so eng miteinander, dass kein Blatt Papier zwischen sie passte. Aber manchmal …

Es half nichts, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Sie musste es darauf ankommen lassen. Und eines stand fest, viel Zeit blieb ihr nicht, Nicki davon zu überzeugen.

Dieses Haus …

Obwohl es eigentlich überhaupt nicht ihre Art war, ertappte Roberta sich dabei, dass sie anfing zu träumen. Es wäre aber auch zu schön …

*

Wie sehr Alma ihr ans Herz gewachsen war, bemerkte Roberta immer dann, wenn Alma sich nicht im Doktorhaus aufhielt, wenn sie mit ihrem Gospelchor unterwegs war, wenn sie ihre Malseminare in der Toskana machte oder wenn sie Pia besuchte.

Heute traf nichts von allem zu, Alma hielt sich bei Nicki und der kleinen Olivia auf, und das war ja auch gut so.

Sie hätte halt gern mit Alma noch einmal über das Haus gesprochen, einmal war Alma eine sehr kluge, umsichtige, sehr vernünftige Person, andererseits könnte sie ein bisschen Beistand dabei gebrauchen, Nicki zu überreden, nein, zu überzeugen, in den Sonnenwinkel zu ziehen.

Es musste klappen!

Eine bessere Lösung gab es überhaupt nicht!

Roberta hatte keine Lust, jetzt ein von Alma mit viel Liebe für sie vorbereitetes Essen zu genießen, sie machte sich ein Brot mit Käse, eines mit Schinken, und damit ging sie zurück ins Wohnzimmer. Sie war allein, da kam es nicht darauf an, an einem ordentlich gedeckten Tisch zu sitzen, da tat es auch ein Essen am Couchtisch, mehr noch, sie würde gleich den Fernseher einschalten, nachdem sie sich ein Glas Rotwein eingeschenkt hatte.

Sie wollte, als das geschehen war, gerade zur Fernbedienung greifen, als ihr Telefon klingelte, das Praxistelefon, wohlgemerkt.

Das konnte jetzt nicht wahr sein!

Aber was sollte sie machen. Ihre Patientinnen und Patienten wussten, dass sie anrufen durften, auch wenn sie keinen Notdienst hatte. Roberta hätte von Anfang an gewisse Regeln einhalten müssen. Dazu war es jetzt zu spät, und wenn sie ganz ehrlich war, sie liebte die Patientinnen und Patienten, wollte immer für sie da sein, nichts wurde ihr zu viel.

Das hatte sie jetzt davon. Es war ihre eigene Schuld.

Sie griff zum Telefon, meldete sich. Hoffentlich klang ihre Stimme nicht zu genervt.

Eine männliche Stimme erkundigte sich: »Frau Dr. Steinfeld?«

Und sie fragte sich unwillkürlich, woher sie diese sympathische Männerstimme kannte.

»Ja, ich bin Roberta Steinfeld.«

Erst einmal kam nichts. Hatte der Anrufer aufgelegt?

Doch dann hörte sie wieder die Stimme: »Guten Abend, hier ist Florian Andresen.«

Du liebe Güte!

Die Bewerbung!

Die hatte sie vollkommen vergessen.

»Guten Abend, Herr Andresen.«

Mehr fiel ihr nicht ein, doch bei ihm war es ganz offensichtlich anders.

»Ich habe mich bei Ihnen beworben.«

Sie nickte, bemerkte, dass er das nicht sehen konnte und sagte deswegen: »Ja, ich weiß, ich habe Ihre Bewerbung erhalten. Danke.«

Wieder zögerte er, dann kam ein gedehntes: »Danke, mehr nicht, Frau Steinfeld?«

Weil sie nicht sofort etwas dazu sagte, fuhr er fort: »Ich hatte erwartet, Sie würden sofort zum Telefonhörer greifen, um ein persönliches Vorstellungsgespräch mit mir zu vereinbaren. Meine Bewerbung kann sich immerhin sehen lassen.«

Eingebildet war er also überhaupt nicht. Aber die Art, wie er das sagte, gefiel ihr.

Sie lachte.

»Dann muss ich mir aber zuvor klar darüber sein, dass ich überhaupt einen Kollegen oder eine Kollegin einstellen möchte.«

Er lachte ebenfalls.

»Sie müssen nur noch über einen Kollegen nachdenken, nämlich mich. Und ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie das bald schon tun könnten. Oder besser noch, wir treffen uns und unterhalten uns persönlich miteinander. In einem persönlichen Gespräch bin ich besser und kann Sie noch mehr von meiner Qualifikation überzeugen … überzeugt sind Sie doch hoffentlich schon, oder?«

Weil sie nicht antwortete, ergänzte er: »Wenigstens ein bisschen.« Er wurde ernst. »Ich kann Sie sehr gut unterstützen. Ich habe ein wenig recherchiert, und eines habe ich dabei festgestellt, Sie gehen offensichtlich immer über die hundert Prozent hinaus, und das ist ungesund. Doch wem sage ich das.«

Roberta ging darauf nicht ein, sondern erkundigte sich: »Wieso sind Sie eigentlich auf mich gekommen? Ich habe keine Anzeige oder irgendetwas in der Richtung aufgegeben.«

»Ich war in Erlenried im Neubaugebiet im Ärztehaus, doch die Fahrt dorthin hätte ich mir ersparen können. Dort könnte ich nicht arbeiten, für kein Geld auf der Welt. Aber da ich schon mal da war, habe ich mich ein bisschen umgesehen und umgehört, und ich habe nur Gutes über Sie gehört … nun, wie soll ich das ausdrücken …

Ich habe auch schon vor Ihrem Haus gestanden, es gefällt mir sehr gut, und eine reizende Dame bestätigte mir, dass auch Sie sehr nett sind. Mehr noch, überzeugt hat mich Ihr offensichtliches Können, Ihre Hingabe für den Beruf, Ihre Kompetenz.« Er machte eine kurze Pause. »Ich bin wirklich sehr interessiert an einem Job bei Ihnen. Habe ich eine Chance?«

Ihre Gedanken begannen zu kreisen. Sie wusste, wer er war, doch er hatte überhaupt keine Ahnung, dass er vor ihrem Haus persönlich mit ihr gesprochen hatte. Das war vielleicht ein Ding, doch es begann ihr Spaß zu machen. Aber das war kein Grund, leichtfertig eine Zusage zu machen. Es ging nicht darum, jemanden einzuladen, es ging nicht um einen unbeschwerten Abend zu zweit. Es ging um einen Job, und erst wenn sie sich sicher war, konnte sie eine Entscheidung treffen.

»Ich werde mir die Unterlagen noch einmal ganz genau ansehen, vor allem muss ich mir klar darüber werden, ob ich überhaupt jemanden einstellen möchte …, gespielt habe ich schon mal mit dem Gedanken. Also, bitte geben Sie mir ein paar Tage Zeit, ich werde mich dann bei Ihnen melden, versprochen. Ich hätte es bereits getan, wenn da nicht etwas anderes dazwischengekommen wäre.«

Er war enttäuscht, das spürte sie, aber damit musste er fertig werden.

»Hm«, seine Stimme klang fast entrüstet, und ihr wurde klar, dass er wohl für sich verbuchte – er kam, sprach und siegte. Das musste wohl sein Motto sein. Doch sie konnte sich auch irren, denn seine nächsten Worte klangen ziemlich versöhnlich: »Ich würde mich über ein persönliches Gespräch sehr freuen, wirklich.«

»Und das werden wir führen. Ich melde mich bei Ihnen, Herr Andresen. Bis dahin haben Sie bitte Geduld.«

Vielleicht wollte er noch etwas sagen, doch er hielt sich nach ihren Worten zurück, die vermutlich irgendwie autoritär gewirkt hatten.

Nach einer kurzen Pause sagte er: »Danke, dass Sie mir zugehört haben, und entschuldigen Sie bitte, dass ich um diese Zeit noch angerufen habe.«

Dazu sagte Roberta nichts, sondern sie verabschiedete sich von ihm.

Florian Andresen …

Sie nahm sich die Unterlagen noch einmal vor. Daran war überhaupt nichts auszusetzen. Mehr noch, eigentlich war er für den Job in einer Landarztpraxis überqualifiziert. Warum also wollte er unbedingt bei ihr arbeiten? Es musste einen Grund dafür geben.

Sie sah sich sein Foto noch einmal an, erinnerte sich an ihn, als sie zufällig vor dem Doktorhaus zusammengetroffen waren.

Warum bekam sie jetzt Herzklopfen?

Weil er sie in gewisser Weise an Lars erinnerte, aber auch an Kay? Diese beiden Männer wurden von einem Gefühl der Freiheit umweht, und das hatte sie sofort auch bei diesem Florian Andresen gespürt. Lars und Kay waren anders gewesen als andere Männer, und das war Florian auch.

Stopp!

Roberta rief sich selbst zur Ordnung, es fehlte ihr gerade noch, dass sie in diese Bewerbung etwas Intimes hineininterpretierte. Ausschließlich, und das musste sie sich immer wieder bewusst machen, wenn überhaupt, suchte sie eine Kollegin oder einen Kollegen zur Unterstützung bei der Arbeit, keinen Mann an ihrer Seite. Und selbst wenn das der Fall wäre, käme Florian Andresen ganz gewiss nicht für sie infrage. Er war sehr attraktiv, doch er hatte einen Makel, er war zu jung!

Sie wollte wieder an das Haus denken, an das Gespräch mit Beatrix Sendler. Es wollte ihr einfach nicht gelingen, denn das Telefonat ging ihr nicht aus dem Kopf.

Wäre sie Nicki, wüsste sie, was zu tun wäre. Florian An­dresen war auf ihren Weg gekommen. Das konnte kein Zufall sein. Es war nicht ihre Denkungsart, dennoch griff Roberta beinahe wie unter einem Zwang zum Telefon und rief den Bewerber an.

»Herr Andresen, ich habe es mir anders überlegt. Warum sollen wir die Sache hinauszögern? Können wir uns morgen treffen? Sagen wir um vierzehn Uhr in der Praxis, die dann auch die letzten Patientinnen und Patienten verlassen haben müssten.«

Es kam zunächst keine Antwort, schon wollte Roberta nachhaken, aber dann hörte sie wieder seine Stimme: »Super, ich werde pünktlich da sein, danke … dann bis morgen.«