Wer bist du, Fremder? - Michaela Dornberg - E-Book

Wer bist du, Fremder? E-Book

Michaela Dornberg

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Beschreibung

Im Sonnenwinkel ist eine Familienroman-Serie. Schauplätze sind der am Sternsee gelegene Sonnenwinkel und die Felsenburg, eine beachtliche Ruine von geschichtlicher Bedeutung. Mit Michaela Dornberg übernimmt eine sehr erfolgreiche Serienautorin, die Fortsetzung der beliebten Familienserie "Im Sonnenwinkel". Michaela Dornberg ist mit ganzem Herzen in die bezaubernde Welt des Sonnenwinkels eingedrungen. Sie kennt den idyllischen Flecken Erlenried und die sympathische Familie Auerbach mit dem Nesthäkchen Bambi. Nicki kommt nicht dazu, den Fremden zurechtzuweisen, der sich auffallend oft in Olivias Nähe aufhält. Sie hätte es tun sollen, denn sie bekommt ihn nicht mehr aus dem Sinn und ist entsetzt über die Gedanken, die ihr kommen. Als sie später unerwarteten Besuch von dem charismatischen, irgendwie geheimnisvoll wirkenden Fremden erhält, seinen Namen erfährt und ­einiges mehr, erstaunt es sie sehr. Auch wessen Lebensgefährte er einmal gewesen ist. Mit dieser Wendung der Dinge hatte sie nicht gerechnet. Im völlig falschen Moment klingelt dann leider ihr Telefon.

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Der neue Sonnenwinkel – 99 –

Wer bist du, Fremder?

Mit dieser Überraschung hatte Nicki nicht gerechnet

Michaela Dornberg

»Was wollen Sie von meiner Tochter?«

Nicki war überhaupt nicht aufgefallen, wie laut sie es herausgeschrien hatte, auf jeden Fall laut genug, um damit Aufmerksamkeit zu erregen, denn Passanten blieben stehen, schauten neugierig zu ihr, dem Fremden und der kleinen Olivia, die auch einen verschreckten Eindruck machte, weil sie sich nicht erklären konnte, wieso ihre Mama so laut gewesen war.

Nicki hatte offensichtlich nicht nur die Kleine verschreckt, der Mann sah sie geradezu fassungslos an.

»Ich …«, er wusste nicht, was er sagen sollte. Und das nahm Nicki zum Anlass, ihn anzublaffen: »Mir ist längst schon aufgefallen, wie sehr Sie an Olivia interessiert sind.«

Er sah sich um, peinlich berührt. Er konnte einem schon wieder leidtun. Und da Nicki eher einen ausgleichenden Charakter besaß, blaffte sie die neugierigen Passanten ebenfalls an: »Vorstellung beendet, gehen Sie weiter.«

Das wirkte, die Leute gingen tatsächlich los, und dem Fremden sah man an, wie erleichtert er war.

»Danke«, murmelte er.

Na, so einfach war es nun auch wieder nicht.

»Bedanken Sie sich nicht, ich habe es eher für mich getan, weil ich neugierige Menschen hasse. Von Ihnen möchte ich eine Erklärung haben. Es kann kein Zufall sein, dass Sie sich immer in der Nähe unseres Hauses … äh … herumdrücken … oder Olivia ansprechen, wenn Sie es können. Normal ist so etwas nicht, da müssen Sie mir wohl recht geben.«

Olivia begann es langweilig zu werden, sie quengelte, weil sie auf den Spielplatz wollte.

Nicki überlegte einen Moment.

»Schätzlein, warte noch einen Moment, ich habe mit dem Herrn etwas zu besprechen.«

So etwas konnte man eher einem erwachsenen Menschen sagen, nicht aber einem kleinen Mädchen, das darauf brannte, zum Spielplatz zu kommen. Deswegen sagte Olivia auch prompt: »Ich will aber jetzt zum Spielplatz.«

Sie war drauf und dran, ihre Worte mit einem Tränenschwall zu begleiten. Und das brauchte Nicki jetzt wirklich nicht. Sie überlegte kurz, dann wandte sie sich an den Mann: »Halten Sie sich von meiner Tochter fern, es könnte sonst Konsequenzen für Sie haben. Ein zweites Mal kommen Sie nicht so glimpflich davon.«

Olivia war als Siegerin aus allem hervorgegangen, und prompt setzte sie sich in Bewegung.

Für einen Augenblick hatte es für Nicki den Anschein, dass der Fremde mit dieser Entwicklung nicht ganz glücklich war, sondern dass er gern mit ihr geredet hätte. War das jetzt eine verpasste Gelegenheit? Es stand ja noch immer im Raum, dass er sich tatsächlich oft in der Nähe des Hauses, besser gesagt, in der Nähe von Olivia aufhielt.

»Ich habe wirklich keine bösen Absichten mit Ihrer Tochter«, sagte er, schaute Nicki an, »es ist nur so …«

Er brach seinen Satz ab, drehte sich um und lief mit langen Schritten davon.

Olivia blieb stehen.

»Warum kommt der Mann denn nicht mit uns mit?«, erkundigte Olivia sich enttäuscht. Und es hatte so geklungen, als sei es die normalste Geschichte der Welt.

Nicki ärgerte sich. Zum Glück erwartete Olivia keine Antwort, sondern hüpfte davon.

Dieser Fremde war ein äußerst attraktiver Mann und würde unter anderen Umständen genau in ihr Beuteschema passen. Sie stand auf Männer mit dunklen Augen und dunklen Haaren, und er war halt ein Typ.

Es ging nicht um sie!

Hatte er ihr unbewusst den Kopf verdreht, um an die Kleine heranzukommen? Das war doch der Klassiker. Diese Typen machten sich an die Mütter heran, um dann bei den Kindern leichtes Spiel zu haben.

Stopp! Wie war sie denn drauf?

Wohin verirrten sich ihre Gedanken?

Sie drehte sich noch einmal um, doch von ihm war nichts mehr zu sehen. Merkwürdigerweise sah sie auf einmal in ihm auch überhaupt keine Bedrohung mehr für Olivia.

Aber warum hielt er sich in ihrer Nähe auf?

Und das tat er wirklich!

Nicki war vollkommen verunsichert, weil sie auf einmal nicht mehr wusste, ob sie sich da etwas schönreden wollte, weil der Typ ihr als Mann gefiel.

Sie hatten den Spielplatz erreicht, glücklicherweise entdeckte Olivia auch sofort ein Mädchen, das sie aus dem Kindergarten kannte. Zu dem lief sie, und wenig später spielten die beiden Kleinen auch hingebungsvoll mit ihren Förmchen im Sandkasten.

Nicki sah die Mutter des Mädchens auf einer Bank sitzen, und wer weiß, normalerweise hätte sie sich sogar zu der Frau gesetzt, weil die nett war. Doch das ging jetzt überhaupt nicht, ihre Gedanken wirbelten durcheinander wie ein aufgescheuchter Bienenschwarm.

Was war los mit ihr?

Sie tat, als habe sie die Frau nicht gesehen, lief eilig zu einer etwas abseits stehenden Bank. Und nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass Olivia im Sandkasten gut aufgehoben war, zog sie rasch ein Buch aus ihrer Tasche. Sie wusste, dass sie nicht in der Lage sein würde, auch nur eine einzige Zeile zu lesen. Doch das sah ja niemand.

Da war ein Mann, der ganz offensichtlich ein Interesse an Olivia hatte, und sie entdeckte in sich Gefühle der Begehrlichkeit für ihn.

Hatte sie den Verstand verloren?

Sie holte sich seine letzten Worte in die Erinnerung, die er ausgesprochen hatte, ehe er eilig davongelaufen war: »Ich habe wirklich keine bösen Absichten mit Ihrer Tochter. Es ist nur so …«

Und wie er sie bei diesen Worten angeschaut hatte!

Oh nein!

Was war so?

Vor allem, warum hatte sie auf einmal das Gefühl, dass etwas Schicksalhaftes geschehen war?

Sie versuchte zu lesen, die Buchstaben verschwammen vor ihr, sie legte das Buch beiseite, holte ihr Handy hervor, war drauf und dran, die Nummer der Kartenlegerin zu wählen, die bei ihr die meisten Treffer gelandet hatte.

Wenn da etwas war, würde die Frau es sehen.

Stopp!

Was sollte der sein?

Nicki zuckte zusammen, als plötzlich Oliva vor ihr stand.

»Mama, bekomme ich für Annabelle und mich Gummibärchen?«

Sie schaute die Kleine an.

»Du hast die Gummibärchen doch eingepackt«, drängelte die Kleine und machte sich selbst daran, das Objekt der Begierde aus Nickis Tasche zu holen.

Eigentlich mochte Nicki es nicht, wenn jemand in ihren Sachen herumwühlte, auch Olivia nicht. Diesmal ließ sie es geschehen, weil sie einfach neben sich stand.

Mit den Gummibärchen in der Hand stob Oliva davon, und man hörte sie fröhlich rufen: »Annabelle, schau mal, was ich für uns habe.«

Nicki riss sich zusammen.

Sie war wirklich durch den Wind, denn sie hatte auf einmal das Gefühl, dass es mit dem Fremden eine schicksalhafte Begegnung gewesen war, keine, die erotische Gefühle hervorrief, sondern etwas, was …

Ja, was eigentlich?

Sie musste es wissen, rief die Kartenlegerin an, doch als die sich meldete, legte Nicki auf.

Das konnte sie jetzt nicht bringen!

Ihre Freundin Roberta war ein sehr toleranter Mensch, doch wenn die erfahren würde, dass sie zu alten Gewohnheiten zurückkehrte, würde ihr Verständnis aufhören. Vor allem musste sie Roberta und Alma bitten, auf Olivia aufzupassen oder die wenigstens von der Kita abzuholen.

Da war nichts!

Sie redete sich etwas ein!

Der Typ hatte sie angesehen, und sie hatte sofort einen Film daraus gedreht.

Er wollte nicht sie, er war scharf auf die Kleine, denn warum sollte er sich sonst in deren Nähe herumdrücken?

Sie hätte mit ihm reden sollen!

Warum hatte sie der Quengelei der Kleinen nachgegeben?

Ihr Handy schrillte, und da sie es noch immer in der Hand hatte, konnte Nicki sich auch sofort melden.

Einer ihrer Auftraggeber war am anderen Ende der Leitung, um sie zu bitten, eine Übersetzung aus dem Spanischen zu übernehmen.

Die Wirklichkeit hatte sie wieder!

All die merkwürdigen Gedanken, die in ihr herumgegeistert waren, waren weg.

Sie war voll konzentriert auf das, was der Mann ihr sagte.

Und als das Gespräch schließlich beendet war, hatte sie einen lukrativen Auftrag in der Tasche.

Das war es, worauf es ankam.

Sie ärgerte sich, dass sie für einen Augenblick in alte Verhaltensmuster verfallen wollte. Und noch mehr ärgerte sie sich darüber, dass sie sich da etwas zusammengereimt hatte, von wegen schicksalhaft und so …

Ihre Fantasie hatte ihr da wohl einen Streich gespielt, und für einen Augenblick hatte sie vergessen, was sie dem Mann vorwarf.

Sie war einfach schon zu lange allein. Sie war nicht so gestrickt wie ihre Freundin Roberta, der es nichts ausmachte, nicht einmal einen männlichen Verehrer zu haben, geschweige denn einen Lover.

Und wenn dann mal jemand war, versemmelte sie es, weil sie halt in erster Linie die pflichtbewusste Ärztin war, der der Beruf über alles ging.

Eigentlich schade, denn das, was sie über diesen Mann erzählt hatte, den Menschen vom Bau, hatte nett geklungen. Wenn sie an Robertas Stelle gewesen wäre, hätte sie alle Hebel in Bewegung gesetzt, den Kerl wieder zu treffen und hätte nach ein paar kläglichen Versuchen die Bemühungen nicht einfach eingestellt.

Sie durfte sich nicht beklagen. Die kleine Olivia, ihre geliebte Liv, hatte ihr niemand aufgezwungen. Sie war ein Geschenk des Himmels, und sie würde ihrer Freundin Vera auf ewig dankbar sein, die ihr ihr Kind als Vermächtnis hinterlassen hatte.

Ihr Leben war ein vollkommen anderes geworden, und es gab schon Situationen, in denen sie sich überfordert fühlte. Und es wäre noch viel, viel schlimmer, gäbe es nicht Alma und ihre Freundin Roberta.

Normalerweise wurde eine Frau schwanger, konnte sich neun Monate auf die Geburt ihres Kindes vorbereiten und es vom Tag der Geburt an begleiten, an dieser großen Aufgabe wachsen. Ihr war ein fertiges kleines Mädchen von gut drei Jahren präsentiert worden.

Ja, sie wollte sich nicht beklagen, es war ganz großartig, wirklich ein Geschenk des Himmels. Doch diese kleine Maus hatte ihr ganzes Leben durcheinandergewirbelt. Und wegen der Kleinen war sie sogar in den Sonnenwinkel gezogen, in dem sie eigentlich nicht einmal tot über dem Zaun hängen wollte. Daran hatte sich bis heute nichts verändert, doch das behielt sie wohlweislich für sich, weil niemand es verstehen würde. Und es wäre vor allem Roberta gegenüber mehr als undankbar, die sogar das Haus gekauft hatte, in dem sie und Liv wohnten.

Es ging ihr gut, doch wenn sie ehrlich war, sie vermisste männliche Gesellschaft, auch ein wenig Bewunderung.

Sie wollte sich überhaupt nicht mehr daran erinnern, wie wundervoll die Zeiten gewesen waren, als sie in ihrem herrlichen Loft gelebt hatte und Jens ihr Nachbar gewesen war.

Ach ja, der smarte Herr Professor Jens Odenkirchen!

An ihn dachte sie schon ein wenig mit gemischten Gefühlen. Einesteils war sie froh, dass er den Loft übernommen hatte und nicht irgendein Fremder. Andererseits zerriss es sie beinahe, wenn sie ihn darin sah mit seinen wechselnden Gespielinnen. So etwas würde sie niemals mehr bekommen. Es gab keine alten Papierfabriken am laufenden Band, die zu unglaublichen Wohnungen umgewandelt wurden.

Oh Gott!

Ihre Augen füllten sich mit Tränen, wenn sie an das dachte, was sie verlassen hatte, diesen riesigen Raum mit nicht minder riesigen Fenstern, dem sichtbaren gekalkten Mauerwerk und die offenliegenden Leitungen. Ihr alter Bauernschrank aus 1719 erinnerte sie an das, was gewesen war. Gewiss, er machte sich auch im Haus im Sonnenwinkel ganz gut. Aber richtig prächtig ausgesehen hatte er im Loft, weil er dort eine ganze große Wand für sich gehabt hatte.

Vorbei …

Vorbei waren auch die Versprechungen von Jens, den Kontakt niemals abbrechen zu lassen, sie regelmäßig in ihrem neuen Domizil zu besuchen.

Es hatte gerade mal für zwei Besuche gereicht, wobei man den zweiten Besuch kaum noch als einen Besuch bei Freunden bezeichnen konnte.

Jens hatte noch nicht einmal seinen Kaffee ausgetrunken und war unter fadenscheinigen Gründen schnell wieder aufgebrochen.

Und danach?

Da waren seine Anrufe seltener geworden, und wenn sie versucht hatte, ihn zu erreichen, war meistens sein Anrufbeantworter eingeschaltet.

Aus den Augen … aus dem Sinn!

Gut, sie war enttäuscht. Richtig traurig war sie nicht, denn Jens war nicht ihr Lover gewesen. Tja, was hatte sie eigentlich miteinander verbunden?

Es lohnte sich nicht, sich deswegen den Kopf zu zerbrechen.

Aber es hatte schon einige Männer in ihrem Leben gegeben, welche, mit denen es nicht über einen Flirt hinausgegangen war, welche, mit denen sie eine Affäre hatte, dann gab es Männer, an die sie jetzt besser nicht denken wollte, weil sie sich nicht gerade ladylike benommen hatte. Und es gab welche, von denen sie betrogen und verletzt worden war. Gut, sie hatte einige Frösche geküsst, ohne dass ein Prinz daraus geworden war.

Vorbei …

Und so, wie es jetzt aussah, würde es wahrscheinlich auch noch eine ganze Weile so bleiben.

Alleinstehende Frauen mit Kind standen bei potentiellen Bewerbern nicht unbedingt ganz oben auf der Liste. Und selbst, wenn einer sich trauen würde. Wie sollte das denn gehen?

Liv war noch zu klein, die konnte sie nicht allein lassen, und es ging auch nicht, die Kleine im Doktorhaus abzuladen. Außerdem, sie hätte überhaupt keine Ruhe, weil sie immer an ihr Mädchen denken würde. Und dann kam noch hinzu: Wo sollte sie denn überhaupt einen interessanten Mann kennenlernen? Am See? Irgendwo in der Nähe der Felsenburg, dem alten Gemäuer, dem die Sonnenwinkler eine so große Bedeutung schenkten?

Ihr Blick schweifte zum Sandkasten. Um Olivia und ihre Freundin Annabelle hatten sich noch andere Kinder gescharrt.

Doch das konnte durchaus an den Gummibärchen liegen, die Olivia großzügig verteilte und die bei jedem Kind Entzücken auslösten.

Ja, die Kleine war das Beste, was ihr passieren konnte!

Davon war Nicki wirklich zutiefst überzeugt, aber da gab es halt auch noch andere Wünsche, Bedürfnisse …

Nicki wusste nicht, warum ihr jetzt der Fremde nicht nur in den Sinn kam, sondern warum sie sein Gesicht vor Augen hatte, seine Augen …

Wie er sie angesehen hatte!

Sie war froh, als sie sah, dass Annabelles Mutter nach einem kurzen Halt beim Sandkasten auf sie zugelaufen kam. Sie hatte sie wohl doch entdeckt, und jetzt ärgerte sie das nicht.

Die Frau blieb vor der Bank stehen, lächelte Nicki an und rief: »Ach, Frau Beck, ich bin ja so froh, dass meine Annabelle in Ihrer Olivia eine Freundin gefunden hat.« Sie erkundigte sich: »Darf ich mich setzen?«

Nicki nickte, und Annabelles Mutter setzte sich und fuhr fort: »Wissen Sie, Annabelle ist etwas zurückhaltend, und so etwas nutzen andere Kinder aus, die sich dann in den Vordergrund drängen. Aber Ihre Olivia ist nicht so, sie ist ein so entzückendes Kind, wirklich. Und sie ist Ihnen ja wie aus dem Gesicht geschnitten. Doch das hören Sie vermutlich oftmals.«

Nicki hätte es jetzt aufklären können.

Doch wozu?

Und im Grunde genommen war es doch schmeichelhaft, was Annabelles Mutter da ausgesprochen hatte.

»Ich finde es auch schön, dass die beiden Kleinen sich so gut verstehen«, sagte Nicki stattdessen, und dann musste sie nicht mehr viel reden, denn das übernahm Annabelles Mutter, der anzusehen war, wie froh sie war, dem Alleinsein auf ihrer Bank entronnen zu sein.

Die Frau war wirklich nett. Doch Nicki war sich sicher, dass sie sich niemals in das Heer der Mütter einreihen würde, die ihr Lebensglück darin sahen, ihre Kinder großzuziehen und die sich an dem, was die taten, profilierten. Das konnte manchmal schwer ins Auge gehen, wenn die Mütter ihre Kinder überforderten, indem sie Leistungen erwarteten oder sonst was, was die Sprösslinge nicht bringen konnten. Zum Schluss waren sie beide frustriert, die Mütter, weil ihre Erwartungshaltung nicht erfüllt wurde und die Kinder, weil sie sich wie Versager vorkamen.

Darum musste Nicki sich jetzt allerdings nicht den Kopf zerbrechen. Zum Glück waren Olivia und Annabelle noch zu klein. Außerdem war Annabelles Mutter eine von den Netten.

Nicki war froh, als ihr Handy erneut klingelte, ihr Auftraggeber noch Wünsche hatte.

Nicki entschuldigte sich bei ihrer Nachbarin, die jetzt ziemlich enttäuscht dreinblickte, weil das doch so angenehme Gespräch unterbrochen worden war. Nicki entfernte sich ein wenig, und als sie zurückkam, sagte sie entschuldigend: »Es tut mir ja so leid, aber ich muss mich verabschieden, weil ich für einen Auftraggeber dringend etwas zu erledigen habe.« Sie zuckte die Achseln. »Das ist halt das Los der Selbstständigen, vor allem der Alleinerziehenden. Man muss sehen, dass das Geld reinkommt.«

Annabelles Mutter konnte das verstehen.

»Zum Glück habe ich mit so was nichts zu tun«, sagte sie und schaute dabei Nicki bedauernd an. »Mein Mann bringt das Geld nach Hause und kümmert sich um alles. Aber schade, dass Sie gehen müssen, was ich natürlich verstehe. Es war gerade so nett mit Ihnen.«

»Ja, mit Ihnen ebenfalls«, erklärte Nicki rasch, weil sie das Gefühl hatte, dass Annabelles Mutter sich darüber freute. »Haben Sie noch einen schönen Tag.«

»Den wünsche ich Ihnen auch, aber ich komme mit bis zum Sandkasten. Annabelle wird gewiss anfangen zu weinen, weil Olivia gehen muss.«