Der neue Sonnenwinkel Doppelband 3 – Familienroman - Michaela Dornberg - E-Book

Der neue Sonnenwinkel Doppelband 3 – Familienroman E-Book

Michaela Dornberg

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Beschreibung

Michaela Dornberg ist mit ganzem Herzen in die bezaubernde Welt des Sonnenwinkels eingedrungen, sie kennt die so sympathische Familie des Professors Auerbach mit dem Nesthäkchen Bambi inzwischen schon besser als jeder andere. Die geliebte kleine Bambi wird in den neuen Romanen für besondere Furore sorgen, und eine erfrischend engagierte junge Ärztin wird den Sonnenwinkel gehörig aufmischen. Michaela Dornberg ist mit ganzem Herzen in die bezaubernde Welt des Sonnenwinkels eingedrungen, sie kennt die so sympathische Familie des Professors Auerbach mit dem Nesthäkchen Bambi inzwischen schon besser als jeder andere. Die geliebte kleine Bambi wird in den neuen Romanen für besondere Furore sorgen, und eine erfrischend engagierte junge Ärztin wird den Sonnenwinkel gehörig aufmischen.

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Seitenzahl: 304

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Inhalt

Liebeskummer und andere Sorgen

Schöner als im Sonnenwinkel?

Leseprobe

Der neue Sonnenwinkel – Doppelband 3 –

Der neue Sonnenwinkel

Michaela Dornberg

Liebeskummer und andere Sorgen

Wenn eine Idylle zu zerbrechen droht

Dr. Roberta Steinfeld konnte sich nicht daran erinnern, jemals so aufgeregt gewesen zu sein wie augenblicklich, weder bei all ihren Prüfungen, nicht einmal bei ihrem Staatsexamen.

Sie würde Kay Holl wiedersehen …

Ihr Herz klopfte stürmisch, sie hatte vor lauter Aufregung schweißnasse Hände, und, wenn sie ehrlich war, kam sie sich vor wie eine Fünfzehnjährige auf dem Weg zu ihrem ersten Date mit dem Klassenschwarm.

Sie war keine Fünfzehnjährige, und Kay war nicht ihr Klassenschwarm.

Kay war der erste Mann, der sie vollkommen durcheinandergebracht hatte und für den sie nun bereit war, alle Bedenken über Bord zu werfen.

Er war toll, er sah gut aus, er war belesen. Sie konnte mit ihm lachen. Er war sanft und zärtlich. Ein Bilderbuchmann.

Aber es gab auch einiges, was gegen ihn sprach. Er war ein paar Jahre jünger, das konnte man vielleicht noch akzeptieren. Doch er war auch das, was man einen Aussteiger nannte. Kay hatte ein etabliertes Leben hinter sich gelassen und tat nun das, wonach ihm war.

Während der Saison betrieb er am Sternsee einen Bootsverleih, und in der übrigen Zeit ließ er sich treiben und tat das, wonach ihm war.

Nun, man konnte schon sagen, dass er sich von den anderen Aussteigern unterschied, die streckenweise von der Hand in den Mund lebten. Er hatte seine Firma verkauft, war in der komfortablen Lage sein Aussteigerleben so zu finanzieren, dass er sich alles erlauben konnte.

Aber er war anders als sie.

Wenn man es so betrachtete, waren sie wie Sonne und Mond.

Wenn man das Alter ausklammerte, was wirklich nicht erheblich war, dann gehörte sie zu den Menschen, die ihren Beruf liebten und auch brauchten. Sie hatte schon immer Ärztin werden wollen, und sie konnte sich einen anderen Beruf für sich nicht vorstellen.

Sie war Fachärztin geworden, hatte mehrere Zusatzausbildungen. Sie hatte eine große, florierende Praxis aufgebaut. Sie war beliebt, vor allem war sie gut.

Dass ihre Ehe mit Max gescheitert war, der sie pausenlos betrogen hatte, dass sie ihm alles überlassen hatte, um aus dieser unschönen Nummer herauszukommen, das hatte sie auch überstanden. Und der Neuanfang im Sonnenwinkel war nach anfänglichen Schwierigkeiten hervorragend. Ja, so konnte man es bezeichnen.

Und Kay …

Sie hatte weder damit gerechnet, ihm ausgerechnet hier zu begegnen, und schon gar nicht hatte sie geglaubt, sich so verlieben zu können.

Max … Was sie an dem gefunden hatte, wusste sie bis heute nicht. Sie hatten zusammen studiert, er gehörte zu ihrem Freundeskreis. Und er war der Erste, der sie gefragt hatte. Ja, da hatte sie geglaubt, dass ein gemeinsamer Beruf, sich zu kennen, zu wissen, wie der andere tickte, eine gute Basis war.

Es war der totale Reinfall gewesen.

Sie hatte Max nicht gekannt, aber er hatte von Anfang an gewusst, dass es ihm mit Roberta an seiner Seite gut gehen würde.

Es war vorbei.

Sie hatte keine Lust, darüber weiter nachzudenken, weil mit ihm alles geklärt hatte und die Wunden, die er ihr zugefügt hatte, langsam verblassten.

Dazu beigetragen hatte auf jeden Fall auch Kay Holl. Der hatte ihr gezeigt, wie leicht das Leben sein konnte, er hatte ihr irgendwo auch gezeigt, was wirklich zählte.

Und …

Er hatte ihr auch gezeigt, was es bedeutete, eine Frau zu sein. An seiner Seite hatte sie unendliche Zärtlichkeit erlebt, halt die Liebe …

Roberta konnte sich noch immer nicht verstehen, warum sie nach dieser wundervollen, dieser traumhaften Nacht einfach aufgestanden war und gegangen war, nachdem sie ihm ein paar Zeilen hinterlassen hatte.

Angst?

Ja, das konnte gut sein, und das hatte ihre Freundin Nicki ihr auch an den Kopf geworfen. Nicki war es allerdings auch gewesen, die sie ermuntert hatte, sich auf das Abenteuer einzulassen, ohne zu wissen, wie es ausgehen würde.

Und auch Nicki war es gewesen, die sie beinahe dazu aufgefordert hatte, sofort an diesem Dienstagabend loszugehen und nicht bis Mittwochnachmittag zu warten, wie sie es sich zurechtgelegt hatte.

Das kurzzeitige Tief hatte sich längst entfernt, war weitergezogen. Es war wieder angenehm warm, auch am späten Abend, und am Himmel zeigten sich viele Sterne. Es war schön, doch es war längst nicht zu vergleichen mit jener geradezu magischen Nacht, als »es« mit Kay geschehen war, zwangsläufig, nach allem, was vorausgegangen war.

Diese Nacht war wie Samt gewesen, man hatte sie auf der Haut fühlen, man hatte sie schmecken können.

Roberta blieb stehen.

Sie hatte ungefähr die Hälfte des Weges zurückgelegt.

Sie war verunsichert.

Lag es daran, dass die Wirkung des kleinen Glases Rotwein, mit dem sie sich Mut angetrunken hatte, längst verflogen war?

Oder lag es ganz einfach daran, dass das hier nicht ihre Idee gewesen war, sondern dass Nicki sie mehr oder weniger manipuliert hatte.

Ihr war inzwischen klar, dass sie dumm gewesen war. Sie wusste mittlerweile, dass es Liebe war, auf die sie sich einlassen musste und wollte. Doch ihr war auch klar, dass sie und Kay sehr viel reden mussten, weil es eben diese Unterschiede gab, die nicht zwischen ihnen stehen durften.

Sie blickte auf ihre Uhr.

Zweiundzwanzig Uhr und ein paar Minuten!

Klar, Nicki hatte gesagt, dass es nie zu spät war, dass man später immer noch reden konnte, dass sie hingehen sollte, ihm sagen, dass sie ihn liebe, dass sie ihn haben wollte.

Roberta ließ sich auf eine in der Nähe stehende Bank sinken.

Neben ihr raschelte es im Gebüsch, mit lautlosem Flügelschlag schwebte ganz dicht neben ihr ein Uhu durch die Nacht.

Es ging nicht.

So zu handeln war Nickis Mentalität, nicht ihre. Nicki hatte schon viele Frösche geküsst, in der Hoffnung, darunter endlich den Mr Right zu finden. Die sah das locker.

Sie war in dieser Hinsicht ein wenig unbedarft, und der erste richtige Mann war für sie leider der Frosch Max gewesen.

Roberta bückte sich, hob einen im Mondlicht blinkenden weißen Stein auf, nahm ihn in die Hand.

Es ging wirklich nicht.

Sie hatte lange darüber nachgedacht, und sie war zu dem Entschluss gekommen, dass der Mittwoch der perfekte Tag war für die Aussprache mit Kay, und dass sie dann den Abend und die Nacht hatten.

Roberta nahm den Stein von der einen in die andere Hand. Er fühlte sich gut an, aber mit »Fühlsteinen« hatte sie es schon immer. Ihre kühle Glätte zu spüren beruhigte sie. Und Beruhigung hatte sie derzeit bitter nötig.

Die widerstreitendsten Gefühle in ihr stritten miteinander.

Sollte sie an ihrem Konzept festhalten, bei dem sie sich sicher fühlte?

Sollte sie auf Nicki hören, die, was Männer anbelangte und demzufolge zu wissen, wie sie tickten, mehr, viel mehr Erfahrung hatte?

Sie stand auf, machte ein paar Schritte Richtung Bootshaus, um erneut stehen zu bleiben.

Vielleicht schlief Kay ja schon?

Vielleicht sah er einen spannenden Film im Fernsehen?

So, wie sie sich davongemacht hatte, war das nicht die feine englische Art, und da bedurfte es ganz einfach einer Erklärung.

Doch um diese Zeit?

Roberta warf den Stein weg, weil er sich doch nicht so gut anfühlte, um es sofort wieder zu bereuen.

Das zeigte ihr auch, wie durcheinander sie war.

So sollte sie Kay gegenübertreten?

Sie machte eine Kehrtwendung, um erneut stehen zu bleiben.

War sie feige?

Roberta traf in der Regel klare Entscheidungen, deren sie sich auch sicher war.

Sie war vollkommen durch den Wind und konnte das eigentlich nur damit erklären, dass sie im emotionalen Bereich derartige Entscheidungen noch niemals getroffen hatte. Es war nicht nötig gewesen, weil sie wegen eines Mannes emotional auch noch niemals zuvor so bewegt gewesen war.

Kay …

Sie war ganz sehnsuchtsvoll, und deswegen machte sie erneut kehrt und lief Richtung Bootshaus.

Vielleicht hatte Nicki ja recht, und es bedurfte keiner Erklärungen, die Zeit hatten.

Roberta beschleunigte ihren Schritt. Es war eine bewegte Nacht, viele Kleintiere huschten über den Weg, und das Wasser des Sees schlug gleichmäßig sanft an das Ufer.

Der Mond versteckte sich für einen Augenblick hinter einer Wolke.

Noch eine Wegbiegung …

Mittlerweile war es noch später geworden, und als Roberta jetzt auf ihre Armbanduhr sah, wusste sie, was sie zu tun hatte.

Mit Kay war es unbeschreiblich gewesen, sie waren sich unglaublich nahe gewesen, das zwischen ihnen war Magie, und dann hatte sie es durchbrochen und ihm ein paar Zeilen hinterlassen.

Danach war nichts mehr geschehen, und eine Zeit später tauchte sie beinahe mitten in der Nacht auf, um ihm zu sagen, dass sie es sich anders überlegt hatte.

Bei aller Liebe, das ging überhaupt nicht.

Wie sollte Kay das denn empfinden?

Dass sie ging und kam wie es ihr gefiel?

Wäre es umgekehrt, sie wäre pikiert und käme sich benutzt vor wie ein Spielzeug.

Nein, nein!

Es war schon richtig so, wie sie es geplant hatte.

Es war viel zu wichtig, und so wundervoll es auch gewesen war mit ihm zu schlafen und so sehr sie sich auch danach sehnte.

Sex war nicht das Vordergründige in ihrer Beziehung. Er gehörte, weil sie sich liebten, zwangsläufig dazu, und das war auch gut so.

Diesmal machte Roberta abrupt kehrt, und dann lief sie zügig den Weg zurück.

Es fühlte sich gut an.

Sie würde es auf ihre Weise machen.

Und wenn sie schon vorhatte, so oder so, ihr Leben mit Kay Holl zu verbringen, dann kam es auf die paar Stunden nun wirklich nicht an.

*

Inge Auerbach genoss den Nachmittag auf ihrer Terrasse.

Es war sonnig und warm, und da war es angebracht, jeden Moment zu genießen.

Der Sommer begann, sich seinem Ende zuzuneigen. Das sah man an den ersten gefärbten Blättern und den Morgennebeln, die auf den Wiesen lagen.

Neben sich hatte sie eine Tasse Kaffee, doch sie kam nicht dazu, sich in ihren Roman zu vertiefen, weil es einfach zu schön war, Bambi und der kleinen Luna zuzuschauen, die sich weiter hinten im Garten um einen großen bunten Ball balgten, der für den kleinen Labrador eigentlich viel zu groß war.

Zwischen Bambi und Luna wurde es immer inniger, und es war nicht zu übersehen, dass der Schmerz um den Tod ihres Jonnys, dem Begleiter durch viele Kinderjahre, ganz allmählich zu verblassen begann.

Gerade als Luna versuchte, den Ball in die von ihr gewünschte Richtung zu bringen, klingelte es draußen an der Haustür. Wer mochte das wohl sein?

Sie erwartete keinen Besuch, und auch Bambi hatte nicht davon gesprochen, dass Manuel kommen wollte, ihr guter Freund seit Kindertagen.

Inge trank einen Schluck, dann lief sie zur Haustür, um zu öffnen.

Es war Ursula Fritz, eine Frau aus der Nachbarschaft, zu der sie eigentlich nicht so viel Kontakt hatte, weil diese Person für ihre Verhältnisse zu viel schwatzte.

Und das war nicht so Inges Ding.

Sie legte Wert auf eine gute Nachbarschaft, war freundlich und hilfsbereit. Aber es war für sie unmöglich, stundenlang am Gartenzaun zu stehen und alles durchzuhecheln. Dazu hatte sie weder Zeit noch Lust.

Ursula Fritz war nett, doch leider war sie eben auch sehr schwatzsüchtig. Sie war eine Frau mittleren Alters, die zusammen mit ihrem Mann vor ein paar Jahren hergezogen war, um ein Haus zu mieten.

Von ihm bekam man nicht viel mit, und das war vermutlich auch der Grund, dass sie anderweitig Zerstreuung suchte, weil sie mit ihrer Zeit nichts anzufangen wusste.

»Hallo, Frau Fritz«, sagte Inge dennoch freundlich, weil sie wirklich nichts gegen diese Frau hatte, ihr halt nur aus dem Weg ging, wenn es ging.

»Frau Auerbach«, platzte es aus der Frau heraus, »ich weiß ja, dass Ihr Sohn auf Weltreise ist, sich irgendwo in der Nähe der Galapagos-Inseln aufhält …«, sie atmete durch, »ich habe da gerade etwas im Radio gehört, was sich überhaupt nicht gut anhört.«

Bei Inge gingen alle Alarmglocken an.

Hannes, ihr Dritter, hatte sich nach einem Einser-Abitur auf Weltreise gemacht, gegen ihren Wunsch, allerdings mit Unterstützung von Werner, der diesen Traum niemals gelebt hatte und es deswegen seinem Sohn Hannes wünschte.

Hannes war schon länger unterwegs, hatte vieles gesehen, seine Eltern auch an allem teilhaben lassen. Doch seit einiger Zeit gab es eine Sendepause, und das Letzte, was sie von ihm gehört hatten, war er, dass er mit Leuten, die er unterwegs kennengelernt hatte, mit dem Boot auf die Galapagos fahren wollte.

Mit jemandem mitzufahren war bei den Bagpackern durchaus üblich, doch Inge hatte schon da, als sie es gehört hatte, ein mulmiges Gefühl gehabt. Sollte sich das jetzt bewahrheiten?

Sie wurde blass, hielt sich am Türrahmen fest.

»Was …, was haben Sie gehört, Frau Fritz«, krächzte sie mit einer ihr kaum gehorchenden Stimme.

Frau Fritz genoss es sichtlich, für Inge Auerbach, die sie insgeheim bewunderte, wichtig zu sein.

»Nun, da sind Leute mit einem Segelboot überfallen worden, und man weiß nicht genau, ob es da nur Verletzte oder ob es da auch Tote gegeben hat.«

Nun glaubte Inge, ihr Herz müsse stehen bleiben.

Die Ankündigung ihres Sohnes von der Seereise.

Sein nicht zu begreifendes Schweigen.

Wenn er nun …

Nein!

Inge wagte nicht, diesen Gedanken zu Ende zu bringen.

Das durfte nicht wahr sein.

Sie war wie gelähmt und nicht in der Lage, etwas zu Frau Fritz zu sagen. Ihre Gedanken schwirrten durcheinander wie ein aufgescheuchter Bienenschwarm.

»Machen Sie sich mal keine Sorgen, Frau Auerbach«, sagte Ursula Fritz voller Mitleid. »Ihr Sohn wird ja nicht der Einzige sein, der die Galapagos ansteuert, und ein Segelboot hat er doch auch nicht.«

Unbemerkt hatte Bambi sich zu ihnen gesellt.

Die bekam gerade noch Galapagos mit, sah, wie kreidebleich ihre Mutter war und rief deswegen schrill: »Mami, ist etwas mit unserem Hannes?«

In Gegenwart ihrer Tochter konnte Inge sich nicht gehen lassen. Sie riss sich zusammen, überlegte, was sie Bambi jetzt sagen sollte, die sie mit schreckgeweiteten Augen ansah. Das war zu verstehen, Hannes und Bambi hatten die meiste Zeit zusammen verbracht, miteinander gespielt, weil sie sich altersmäßig am Nächsten waren. Für Bambi war es schlimm gewesen, als sie von den Reiseplänen ihres Bruders gehört hatte.

Inge strich Bambi über die braunen Locken.

»Kind, beruhige dich. Frau Fritz hat mir gerade nur erzählt, dass da etwas passiert ist. Aber passiert täglich weltweit nicht überall etwas?«

Bambi begann zu weinen, ihre schönen grauen Augen waren tränenerfüllt.

Inge musste sich um ihre Kleine kümmern. Deswegen bedankte sie sich bei Ursula Fritz, sagte, sie wolle sich kümmern, und die wohlgemeinten Worte: »Es wird schon nichts sein, Sie sollten es nur wissen«, bekam Inge kaum noch mit.

Hannes …

Wäre Inge jetzt allein, wäre sie schreiend zu ihrem Mann gelaufen, der zum Glück in seinem Arbeitszimmer und nicht irgendwo auf der Welt war.

Aber Bambi war neben ihr, und den angstvollen Blick konnte sie jetzt kaum noch ertragen. Es war unmöglich, Bambi noch mehr zu verschrecken.

»Mami«, wisperte Bambi. Sie war so erschüttert, dass sie sich nicht um Luna kümmerte, die freudvoll an ihr hochsprang, um sie zum Weiterspielen aufzufordern, weil es allein keinen Spaß machte. »Wir müssen versuchen, Hannes zu erreichen, ganz egal wie.«

Der Meinung war Inge auch, sie umfasste Bambi und sagte: »Wir gehen zu Papi, und der muss alle Hebel in Bewegung setzen, was da mit diesem Segelboot geschehen ist … Frau Fritz hat was gesagt, was durch nichts bewiesen ist. Wäre es eine große Sache, dann wäre sie längst im Fernsehen gekommen.«

Gab Bambi sich damit zufrieden?

Zumindest suchte sie Schutz bei ihrer Mutter.

Gemeinsam gingen sie den Flur entlang, Werner hatte seine Büroräume in einem Seitentrakt des Hauses, um ungestört arbeiten zu können. Wenn er sich dort befand, dann wollte er nicht gestört werden, was durchaus verständlich war. Er war ein anerkannter Wissenschaftler und mit hochkomplizierten Sachen beschäftigt. Aus seiner Arbeit durfte er nicht herausgerissen werden, weil es jemandem von der Familie nach einem Plausch war oder weil jemand sich das Knie aufgeschlagen hatte.

Das kam zum Glück nicht mehr vor, weil die Kinder groß waren. Für alle Dinge des Alltags war immer Inge zuständig gewesen.

Ob Werner nun gestört werden wollte oder nicht, darauf konnte Inge heute keine Rücksicht nehmen. Sie konnte nicht warten, bis er irgendwann mal herauskam. Es ging um eines ihrer Kinder, und da konnte sie wie eine Löwin sein, die ihre Jungen verteidigte. Außerdem war sie in dieser Angelegenheit auch ein wenig sauer auf Werner, der da ein wenig lasch war. Sie lag ihm seit Längerem in den Ohren, etwas zu unternehmen, weil Hannes sich eben nicht gemeldet hatte.

Sie riss die Tür auf, stürmte in den großen Raum, in dem Werner hinter einem massivem Schreibtisch saß und ungehalten aufblickte.

»Ich will doch nicht gestört …«

Er brach seinen Satz ab, weil er nicht nur seine Frau, sondern seine jüngste Tochter sah, die einen ganz verschreckten Eindruck machte und offensichtlich geweint hatte.

»Ist was mit Bambi?«, erkundigte er sich besorgt.

Inge kam, mit Bambi im Schlepp, in den Raum hinein. Sie setzte sich, schob Bambi einen Stuhl zu.

»Nein, mit Bambi nicht, aber vielleicht ja mit unserem Sohn Hannes«, rief sie, dann erzählte sie ihrem Mann, was sie von Ursula Fritz erfahren hatte.

Und ihre Laune besserte sich nicht, als sie bemerkte, dass ihn das offensichtlich nicht sehr zu erschüttern schien.

»Werner, von Hannes haben wir seit Längerem kein Lebenszeichen bekommen, ganz gegen seine sonstige Art. Vielleicht war er ja …«

Sie brach ihren Satz ab, weil sie für einen Augenblick vergessen hatte, dass ja Bambi bei ihnen war und sie mit ihren Äußerungen vorsichtig sein musste.

Inge hatte für Bambi genug gesagt, sie begann hemmungslos zu schluchzen.

»Papi«, rief sie, sprang auf, rannte um den Schreibtisch herum, warf sich ihrem Vater in die Arme und presste sich ganz fest an ihn. »Du musst unseren Hannes finden.«

Professor Werner Auerbach strich seiner Jüngsten zärtlich über die Locken und sagte sanft: »Bambi, mein Herz, beruhige dich. Mit Hannes ist überhaupt nichts. Der ist mittlerweile lange genug unterwegs, ist durch viele Länder gereist, die wirklich gefährlich waren und hat alles gut überstanden. Hannes ist nicht dumm, der begibt sich doch nicht leichtfertig in Gefahr.«

So leicht war Bambi nicht zu beruhigen.

»Und warum meldet er sich dann nicht mehr, Papi?«, wollte sie wissen.

Eine wirkliche Antwort darauf wusste der Professor auch nicht. »Nun, manchmal hat man keine Gelegenheit, manchmal hat man auch nur keine Lust. Es gibt ganz viele Gründe.«

Als Werner Auerbach sah, dass seiner Tochter das nicht reichte, sagte er: »Wie sieht es denn bei dir aus? Erledigst du auch immer das sofort, was zu tun ist? Hast du immer Lust, etwas zu tun, beispielsweise dein Zimmer aufräumen, oder schiebst du es auf?«

Werner war von sich selbst nicht unbedingt überzeugt, aber Bambi schien es merkwürdigerweise zu überzeugen, denn sie beruhigte sich.

»Aber, Papi, kümmern wirst du dich, oder? Du bist so klug, du kennst Gott und die Welt. Wenn jemand etwas herausfinden kann, dann du.«

Bambi liebte ihren Vater über alles, er war für sie der Größte, und deswegen erwartete sie jetzt von ihm auch so etwas wie Wunder.

Inge war nicht eifersüchtig, im Gegenteil, sie freute sich, dass Bambi ihrem Vater jetzt praktisch die Pistole auf die Brust setzte und er gezwungen war, etwas zu unternehmen.

Eifersüchtig war sie nicht. Bambi war ein so liebenswertes Mädchen, das seine Liebe auf beide Elternteile gleichmäßig verteilte.

Und ihr Werner …

Er war wie er war. Auch wenn es zwischendurch Streitigkeiten zwischen ihnen gab, waren die sehr schnell wieder ausgeräumt, und alles war wieder gut. Sie waren ein Team, und sie liebten sich noch immer. Gewiss nicht mehr mit der Leidenschaft der jungen Jahre, sondern inniger. Sie wussten, was sie aneinander hatten.

»Ich werde mich kümmern«, versprach Werner, »aber noch einmal. Mache dir keine unnötigen Sorgen, Hannes ist wohlauf, ihm wird nichts passiert sein.«

Er blickte seine Frau an.

»Das gilt auch für dich, Inge«, sagte er. »Hannes ist erwachsen. Es ist auch für dich an der Zeit, loszulassen.«

Inge seufzte.

Das stimmte ja alles. Aber Mütter tickten eben anders.

»Komm, Bambi«, rief sie, »lassen wir Papi weiterarbeiten. Wenn du magst, dann kannst du mir dabei helfen, für die Großeltern einen Kuchen zu backen, du weißt schon, den mit der Zitrone, den sie so gern mögen.«

Da Bambi den Kuchen ebenfalls gern mochte, ließ sie sich nicht zweimal bitten. Sie gab ihrem Papi einen herzhaften Kuss, erinnerte ihn an sein Versprechen, dann lief sie zu ihrer Mutter.

»Ich helfe dir gern«, sagte sie, »und wenn etwas von dem Kuchenteig übrig bleibt, den möchte ich haben.«

Inge legte einen Arm um die Schulter ihrer Tochter und verließ mit einem liebevollen Blick, der gleichzeitig auch eine Aufforderung war, sein Versprechen nicht zu vergessen, gemeinsam mit ihr das Büro.

Der Kuchen war nicht eingeplant gewesen. Aber, wer weiß, vielleicht war das gar keine so schlechte Idee. Es würde sie auf jeden Fall ablenken.

Sie hatte noch immer Angst um Hannes, große Angst sogar, und sie konnte es nicht so locker sehen wie Werner.

Alles ist gut, ein toller Satz, der sich leider nicht immer bewahrheitete.

Wenn sie jetzt wenigstens allein wäre, dann könnte sie Nachrichten hören, telefonieren, den Fernseher einschalten. Mit Bambi an ihrer Seite ging es nicht.

Inge war froh, dass die Kleine sich einigermaßen beruhigt hatte.

*

Bambi Auerbach ging gern zur Schule, aber es war schön, heute unverhofft früher Schulschluss zu haben, weil die Lehrer eine Gemeinschaftskonferenz mit den Kollegen anderer Gymnasien hatten.

Es war ein ziemliches Gewusel im Gebäude und auf dem Schulhof, als alle Kinder gleichzeitig herausströmten.

Dennoch sah Bambi ihren Freund Manuel Münster und wunderte sich sehr, dass er eilig davonlief, ohne, wie sonst auch, auf sie zu warten.

Was war bloß los mit Manuel?

Er hatte sich in letzter Zeit sehr verändert, sprach nicht mehr viel, und eine gemeinsame Radtour um den Sternsee herum, die hatten sie auch lange schon nicht mehr gemacht.

Das konnte doch nicht daran liegen, dass sein Vater Probleme mit seiner Firma hatte.

Die Münsters waren reich, die besaßen Fabriken, beinahe den ganzen Berg oberhalb der Siedlung, samt der beeindruckenden Felsenburg, um die sich die abenteuerlichsten Geschichten rankten.

Da konnte ein Problem doch wirklich nicht so schlimm sein. Wie auch immer.

Bambi hatte keine Lust, sich abhängen zu lassen, zumal sie jetzt beinahe eine Stunde warten mussten, ehe der Bus kam, der sie nach Hause bringen sollte.

In der Regel waren die Fahrzeiten der Busse den Schulstunden angepasst. Das galt natürlich nicht für Schulende außerhalb der Norm.

Bambi rief seinen Namen, wiederholte es, diesmal ein wenig lauter.

Manuel musste es gehört haben, dennoch reagierte er nicht.

Bambi setzte sich in Bewegung, schob sich durch die anderen Schüler durch, dann setzte sie zu einem Endspurt an, ehe Manuel um eine Ecke verschwinden konnte.

Ein wenig atemlos kam sie vor ihm an.

»Hast du mich nicht gehört?«, rief sie. »Ich habe mir beinahe die Seele aus dem Körper geschrien.«

Normalerweise lachte er, machte eine launige Bemerkung. Heute weit gefehlt!

»Kommt oben eigentlich in deiner Birne an, was dein Mund da für einen Schwachsinn erzählt?«

Entgeistert blickte Bambi den hübschen, dunkelhaarigen Jungen an.

Er bekam das mit, und schon bekam er ein schlechtes Gewissen. »Tut mir leid«, sagte er.

Bambi mochte Manuel viel zu sehr, um jetzt nachtragend zu sein.

»Was ist los, Manuel?«, erkundigte sie sich stattdessen.

»Sollen wir zusammen bei Calamini ein Eis essen? Es dauert noch, ehe der Bus kommt.«

Mit Eis und Calamini konnte sie ihn eigentlich immer locken, heute nicht.

Er schüttelte den Kopf und murmelte etwas von Alleinseinwollen.

Was sagte er da?

Das konnte ja wohl nicht wahr sein.

»Manuel, wir sind Freunde, seit du mit deinem Vater oben auf den Erlenhof gezogen bist. Damals waren wir noch klein, und dir ging es überhaupt nicht gut, weil diese schreckliche Tante dich nur drangsalierte. Das wurde ja erst anders, als dein Vater Sandra geheiratet hat. Ich war immer auf deiner Seite, und dann, als mein Jonny gestorben ist und ich unglücklich war, da konnte ich mich auf dich verlassen, da warst du immer für mich da. Habe ich jetzt nicht ein Recht darauf zu erfahren, was mit dir los ist, warum du mir aus dem Weg gehst?«

Er titschte mit der Fußspitze gegen einen Stein, blickte sie nicht an, sagte nichts.

Er überlegte.

»Manuel«, erinnerte sie ihn, »ich habe dich etwas gefragt, und ich gehe erst weiter, wenn du meine Frage beantwortet hast, oder ich will aus deinem Mund hören, dass du mit mir nichts mehr zu tun haben willst. Aus welchem Grund auch immer.«

Das hatte sie sehr bestimmt gesagt, und das war bei Manuel auch angekommen.

Er blickte sie allerdings ganz entgeistert an, ganz so, als habe sie in einer fremden Sprache zu ihm gesprochen.

»Bist du verrückt?«, empörte er sich. »Wie kommst du denn auf einen so schwachsinnigen Gedanken? Bambi, du bist meine allerbeste Freundin, und das wirst du auch für immer bleiben. Sag so etwas nie wieder.«

Das ging natürlich herunter wie Öl. Doch warum verhielt er sich denn dann so komisch?

Das wollte sie von ihm wissen, und es dauerte nicht lange, da bekam sie ihre Antwort.

»Ich wollte dich damit nicht belasten«, sagte er leise. »Und ich muss auch selbst erst einmal damit fertig werden …, du weißt ja, dass es bei meinem Papa in der Firma nicht rosig aussieht.« Seine Stimme senkte sich, dabei war überhaupt niemand in der Nähe, der mithören konnte. »Es ist noch schlimmer. Ich habe mitbekommen, dass wir wahrscheinlich alles verkaufen müssen …, nicht nur unser Haus, sondern auch das von der Oma Marianne …, und das …, das finde ich ganz entsetzlich. Weg von allem, was wichtig für mich ist, vor allem auch weg von dir, Bambi.«

Am liebsten hätte sie Manuel jetzt umarmt, doch sie wusste nicht, ob das falsch herüberkommen könnte, also legte sie ihm nur eine Hand auf die Schulter und sagte: »Manuel, das glaube ich nicht, und wenn …, wenn es so kommen sollte, dann …«

Eigentlich war es für sie so unvorstellbar, dass sie darüber nicht weitersprechen wollte.

»Wir zwei, du und ich …, wir werden für immer Freunde bleiben, ganz egal, wohin du auch gehst.«

Bambi war sich nicht sicher, ob das bei ihm angekommen war.

Etwas anderes fiel ihr nicht ein. Es brach ihr beinahe das Herz, daran zu denken, ihn zu verlieren, seine Schwester, und Sandra …, das war unvorstellbar. Felix war auch ein ganz Netter, genauso wie Carlo, und Marianne von Rieding, die war so lieb …

Nein!

Es ging nicht!

Sie durften den Berg nicht verlassen, da gehörten sie ganz einfach hin.

Und der Gedanke, Manuel nicht mehr zu sehen, mit ihm nichts zu unternehmen, der war unerträglich.

Ihre Augen füllten sich, ob sie es nun wollte oder nicht, mit Tränen.

Damit konnte Manuel nun wiederum nicht umgehen.

»Komm, wir gehen zu Calamini«, sagte er, weil ihm nichts Besseres einfiel. Und das war ja auch keine schlechte Idee.

Sie nickte, und dann trottete Bambi neben ihm her.

Sie musste mit ihren Eltern darüber reden, vielleicht auch mit Ricky, Omi und Opi. Oder Jörg? Der arbeitete immerhin in den Münster-Werken, und der musste es wissen.

Ja, natürlich!

Dass sie nicht direkt darauf gekommen war. Sie würde ihren großen Bruder fragen.

Und weil sie auf einmal dachte, dass er die Lösung hatte, besserte sich ihre Laune augenblicklich. Für Bambi war Jörg ein Macher, der alle Probleme aus dem Weg räumte. Das hatte er in der Vergangenheit mehr als nur einmal bewiesen.

Alles würde gut.

Daran wollte Bambi fest glauben.

Sie nickte.

»Das ist wirklich eine ganz ausgezeichnete Idee, und erinnere dich bitte: Ich hatte sie auch schon. Weißt du was, Manuel, ich lade dich zu einem Schokobecher ein. Ich habe nämlich meiner Omi im Garten geholfen, und die ließ sich nicht davon abhalten, mir etwas zuzustecken.«

Wieder war es an Manuel, erstaunt zu sein, denn normalerweise war es umgekehrt. Da lud er Bambi ein, weil sein Vater mit dem Taschengeld immer sehr großzügig war.

»Ich hab Geld«, sagte Manuel. »Ich lass mich doch nicht von einem Mädchen einladen, na ja, meistens nicht«, fügte er hinzu, als ihm einfiel, dass Bambi schon einige Male bezahlt hatte, weil er sein Taschengeld anderweitig ausgegeben hatte und die Eisdiele einfach toll war, und das Eis, das man bei Calamini kaufen konnte, war noch toller.

Calamini stand im Raum mit diesem grandiosem Schokobecher. Die Aussicht, mit Manuel dorthin zu gehen, war so gut, dass sie das nicht verderben wollte, durch nichts.

»Also gut«, sagte sie, »dann bezahlt eben jeder für sich.« Und dem war nichts hinzuzufügen.

Und es gab keine Widerrede.

*

Natürlich hätte Roberta Steinfeld Kay gern gesehen, doch sie zweifelte dennoch nicht einen Augenblick lang an ihrer Entscheidung.

Es wäre ein Krampf gewesen.

Sie war abgekämpft.

Viel Zeit hätten sie nicht gehabt.

So lagen viele schöne Stunden vor ihnen.

Fast hatte es den Anschein, als spürten auch die Patienten, dass die Frau Doktor etwas vorhatte. An diesem Mittwochmorgen waren nicht so viele Menschen wie sonst in der Praxis, und bei den Hausbesuchen hatte sie ja vorgesorgt.

Sie behandelte einen Blutdruckpatienten, der noch auf die richtigen Medikamente eingestellt werden musste, was überhaupt nicht so einfach war. Danach sah sie sich eine Verbrennung an, die wunderbar abheilte.

Danach war Schluss.

»So wenig los wie heute war aber schon lange nicht mehr«, lachte Ursel Hellenbrink, die Sprechstundenhilfe, die Roberta von Dr. Riedel übernommen hatte.

Ursel Hellenbrink war wirklich ein Glücksfall. Sie war nicht nur sehr sympathisch, nein, sie war vor allem sehr kompetent, liebte ihren Job, und keine Arbeit wurde ihr zu viel. Ursel und Roberta hatten sich von Anfang an gemocht, und auch bei den Patienten, selbst bei den ganz schwierigen, war sie sehr beliebt.

Gemeinsam hatten sie beschlossen, eine Auszubildende in die Praxis zu nehmen, um die sie sich gemeinsam kümmern wollten.

Leni Schrader, ein sehr nettes Mädchen, würde im Herbst bei ihnen anfangen.

Ursel griff nach ihrer Tasche.

»Aber das ist auch gut so. Jetzt haben Sie wenigstens Zeit, mal ein paar Stunden abzuschalten. Ich werde auf jeden Fall mit meiner Freundin in die Stadt fahren und mal so richtig shoppen gehen. Das muss auch mal sein, und hernach lecker essen, und mal sehen, ob was Gescheites läuft, ins Kino.«

»Hört sich gut an, aber Sie haben es auch verdient, mal so richtig Spaß zu haben. Ach, Frau Hellenbrink, was würde ich nur ohne Sie tun. Das muss ich Ihnen immer wieder sagen. Danke für Ihre Einsatzbereitschaft. So was wie Sie findet man so leicht nicht wieder.«

Ursel Hellenbrink verehrte Roberta.

Sie wurde feuerrot.

»Ach, Frau Doktor, ich mache doch nur meinen Job. Den allerdings aus vollem Herzen. Ich bin noch nie zuvor so gern zur Arbeit gegangen wie hierher in die Praxis, seitdem Sie die übernommen haben.«

Das freute Roberta ungemein, aber sie und gelobt werden …

Also verabschiedete sie sich rasch, wollte den Raum verlassen, als sie bemerkte, wie Ursel Hellenbrink einen Hebel umschaltete und sagte: »So, das ist für heute meine letzte Amtshandlung.«

Roberta blieb stehen.

»Was haben Sie da gemacht?«, wollte sie wissen.

»Ganz einfach, ich habe zur Notrufzentrale umgeschaltet, und sollte heute noch ein Notfall reinkommen, dann wird der direkt zu Doktor Fischer geschaltet. Sie haben ihn so viele Male vertreten, und er hat sich vornehm zurückgehalten, so sehr, dass es sogar der Ärztekammer aufgefallen ist. Die hat bestimmt, dass er nun mal an der Reihe ist. Und heute fangen wir damit an.«

Das war großartig.

Sie würde also ganz ungestört mit Kay sein können.

»Danke, Frau Hellenbrink«, rief sie.

Ursel schaute ihre Chefin ganz erstaunt an.

»Wofür?«, wollte sie wissen.

Tja, wenn die gute Ursel Hellenbrink wüsste, was es für sie bedeutete, frei von allen Verpflichtungen zu sein.

Sie würde sich voll und ganz auf Kay konzentrieren können, ohne Angst haben zu müssen, abgerufen zu werden. Denn bei aller Liebe, ihr Beruf ging vor, weil es sich dabei nicht um Schrauben handelte, die einsortiert werden mussten oder um Wände, die zu streichen waren oder etwas anderes. Das alles war aufschiebbar, mit Menschenleben war es anders.

Roberta strahlte.

»Für alles«, rief sie, winkte Ursel zu, dann verschwand sie in ihrer Wohnung.

Dort war sie allein.

So gern sie ihre treue Alma auch hatte: Heute hatte sie geschickt dafür gesorgt, Alma einen freien Tag zu geben, und das schon von dem frühen Morgen an.

Sie hätte nichts essen können, und Alma war nicht neugierig, aber dumm war sie nicht. Und Roberta war sich sicher, sich zu verraten. Dazu war sie einfach zu aufgeregt. Alma würde es schon früh genug erfahren.

Roberta aß ein wenig von dem köstlichen Salat, den Alma ihr in den Kühlschrank gestellt hatte, dann rannte sie in ihr Schlafzimmer, riss die Schranktüren auf, und darin unterschied sie sich in keiner Weise von den anderen Frauen vor einem Date.

Für sie war es neu, so etwas kannte sie nur von ihrer Freundin Nicki, doch heute war sie nicht anders.

Sie hatte sich vorher bereits Gedanken gemacht, was sie wohl anziehen sollte, doch das verwarf sie jetzt, eigentlich auch alles andere, das sie aus dem Schrank zog und das sich nun auf ihrem Bett türmte.

Das meiste davon war wunderschön, doch es passte ganz einfach nicht. Sie ging nicht zu einem Cocktailempfang ins Grandhotel, sondern in ein Bootshaus am See, in dem Kay heute hoffentlich nicht viel zu tun haben würde, um Zeit für sie zu haben.

Als Roberta bewusst wurde, was sie da veranstaltete, hielt sie inne, und dann entschied sie sich genau für das Outfit, das sie ausgesucht hatte – eine sandfarbene, perfekt geschnittene Hose, ein lichtbraunes Shirt und, für alle Fälle, eine leichte Strickjacke in genau dem Ton. Dazu zog sie braune bequeme Schuhe an.

Ihre Haare bürstete sie nur glatt herunter, benutzte sparsam ein wenig Wimperntusche, Rouge und einen Lippenstift, und sie besprühte sich mit ihrem Lieblingsduft.

Als sie vor den Spiegel trat, sagte sie sich, vor allem, als sie die Kleiderberge auf ihrem Bett sah, dass sie es einfacher hätte haben können.

Das alles musste auf jeden Fall verschwinden, ehe Alma es zu Gesicht bekam, denn die würde sich sehr wundern.

Jetzt allerdings war dazu keine Zeit.

Mit jeder Faser ihres Herzens wollte sie nun zu Kay. Sie war so aufgeregt, dass sie ihren Herzschlag in ihrem linken Ohr hörte, dumpf und gleichmäßig.

Kay …

Mit einem Lächeln auf ihren Lippen verließ sie ihr Haus und war froh, durch niemanden aufgehalten zu werden. Und damit es auch sie blieb, begann sie schnell zu laufen, und sie hielt erst inne, als sie den See erreichte.

Nicht mehr lange, und sie würde bei Kay sein, dachte sie. Roberta war glücklich. Und in diesem Augenblick trübte nichts ihre Laune Sie war voll von froher Erwartung, und sie war sich sicher, dass alles ein gutes Ende haben würde.

Warum nur war sie nicht gleich so einsichtig gewesen?

Es war wohl ganz einfach so, dass Menschen sich manchmal selbst im Wege standen. Und dazu gehörte sie ganz eindeutig mit dazu.

Es war müßig, sich jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen.

Roberta war auf dem Weg zu Kay, und wenn sie erst einmal wieder zusammen waren, dann würde sie ihn niemals mehr loslassen. Das stand fest.

Roberta summte leise ein Lied vor sich hin, als sie den Weg einschlug, der sie zu ihm führen würde.

*

Es war ein herrlicher Tag.

Das Wasser war wie ein glatter blauer Spiegel, der verheißungsvoll von smaragd bis hin zum tiefsten Blau schimmerte.

Die Sonne schien vom azurfarbenen Himmel, auf dem hier und da kleine Schäfchenwolken tanzten.

Für Roberta war das alles ein gutes Zeichen!

Beschwingt lief sie den Weg entlang, der direkt am Seeufer entlangführte. Sie beobachtete hier und da einen Vogel, sah im Vorübergehen stolze Schwäne und schnatternde Enten.

Wie schön es doch hier am See war. Roberta wurde bewusst, wie sehr das alles ihr doch gefehlt hatte, weil sie nicht hergekommen war, um Kay nicht zu begegnen.

Das mit dem sich im Weg stehen stimmte wirklich.

Doch damit war jetzt Schluss, und deswegen musste sie sich darüber nicht mehr den Kopf zerbrechen.

Es würde sich vieles ändern, und sie hatte nicht die geringste Ahnung, wohin der Weg mit Kay sie führen würde.

Sie musste umdenken.

Kay war niemand, der alles vorausplante. Da unterschieden sie sich. Doch, einmal ganz ehrlich, was hatte das Vorausplanen ihr beispielsweise bei ihrer Ehe mit Max gebracht? Überhaupt nichts, weil man, wenn es sich um zwei unterschiedliche Menschen handelte, vielleicht eine Idee haben konnte, einen Wunsch, aber einen Plan machen kannte man nicht, der sich dann auch genauso bewahrheiten würde.

Roberta merkte, wie ihre Aufregung wuchs, denn nun war es nicht mehr weit. Nur noch ein Stückchen, dann würde sie Kay wiedersehen.

Roberta konnte all die Gefühle nicht beschreiben, die in ihr waren und auch nicht all die Gedanken, die ihr durch den Kopf schwirrten.

Ehe sie die letzte Biegung an der dicken alten Buche nahm, blieb sie stehen, dann lief sie los, um kurz darauf abrupt stehen zu bleiben.

Was war das denn?