Der Normanne und die belagerte Stadt - Claudia Speer - E-Book

Der Normanne und die belagerte Stadt E-Book

Claudia Speer

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Dezember 1197. Der Normanne Guy of Gisborne tut alles, um seine Verbannung aus England rückgängig zu machen. Mit Excalibur in seinem Besitz, glaubt er den englischen König überzeugen zu können. Doch die Reise zu Richard Löwenherz birgt zahlreiche Gefahren. Um sich zu wappnen, will der Ritter zunächst in Strazpurc überwintern, wo er dank der hübschen Heiler Miriam schnell in eine peinliche Situation gerät. Doch das ist nicht sein größtes Problem. Auch für Jakob, Gisbornes getreuen und etwas naiven Knappen, läuft es nicht wie erhofft. Auf dem Weg zu seiner Familie, von der er sich vor der Überfahrt nach England verabschieden möchte, legt er sich unfreiwillig mit einem teutschen Ritter an und steckt auf einmal knietief in Schwierigkeiten. Zu allem Übel ist Guy und Jakob zudem ein dunkler Schatten auf den Fersen, der den Beiden aus rätselhaften Gründen nach dem Leben trachtet ... Mit „Der Normanne und die belagerte Stadt“ schickt Claudia Speer ihre Protagonisten Guy of Gisborne und Jakob auf ein weiteres spannendes und gefährliches Abenteuer. Wird der Normanne diesmal endlich heimkehren dürfen?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 715

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Der Normanne und die belagerte Stadt

 

Historischer Roman

von Claudia Speer

Vollständige E-Book-Ausgabe der Druckausgabe

 

 

ISBN 978-3-946531-89-3 (E-Book)

ISBN 978-3-946531-88-6 (Print Ausgabe)

 

© Burgenwelt Verlag | Jana Hoffhenke

Hastedter Heerstr. 103 | 28207 Bremen

Alle Rechte vorbehalten

 

Lektorat: Juliane Stadler

Umschlaggestaltung: Detlef Klewer

Satz | Gestaltung: Eridanus IT-Dienstleistungen

1 – Schattenmann 

 

Ein Tag nach dem Fest des Heiligen Nikolaus,

anno Domini 1197

 

Schneeflocken schmolzen auf den Schultern des an den Baum gefesselten Lothringers. In den Haaren, auf Kopf und Rücken hielten sie sich länger, während sie am Boden bei jedem Schritt rasch zu glibberigem Matsch wurden und die Stiefel des Schattenmanns durchweichten. Das war nicht das einzige Ärgernis. Erneut zeigte sich, wie wenig man sich auf Laufburschen verlassen konnte.

»Es war nicht da. Ich schwöre es, bei allen Heiligen! Der Kaiser hat es, vermutlich.« Der lothringische Ritter schielte über die Schulter und versuchte seinen Peiniger im Auge zu behalten. Er umarmte nackt, wie Gott ihn geschaffen hatte, den Stamm der dicken Eiche. Die Fesseln zwangen ihn, sich zu strecken, damit sie nicht in die Handgelenke schnitten. Seine Knie zitterten vor Anstrengung und Kälte.

Nachsinnend drehte der Schattenmann eine schmucke, eher auf Repräsentation ausgelegte Klinge, mit einem Gold durchzogenen Knauf, von einer Seite zur anderen. Jemand hatte die Edelsteine aus dem Griff und der Schwertscheide herausgebrochen.

»Du hast mir eine Nachricht gesandt. Ich ging davon aus, dass du das Schwert geborgen hast. Stattdessen versuchst du, mich mit diesem Witz hier übers Ohr zu hauen, Dieterich. Das ist nicht, was ich erwartet hatte.«

»Ich dachte, ich hätte es! Dann merkte ich den Betrug und habe in Etiningem erneut die Fährte aufgenommen. Dieser Ritter, den ich in Strazpurc erledigt zu haben glaubte, ist wieder aufgetaucht, bevor ich mir seinen Knappen richtig vornehmen konnte. Er hätte tot sein müssen.«

»Du dachtest also.« Der Schattenmann kräuselte die Nase wegen eines Schneekristalls, der an ihrer Spitze haften blieb. »Wie amüsant.«

»Der Kerl ist ein Satan. Er hätte tot sein müssen. Ich schwöre es bei Gott! Da war diese Hexe, die hat ihm einen Zaubertrank gebraut!« Angst belegte Dieterichs Stimme.

»Verstehe, er war mit dem Teufel im Bunde.« Der Schattenmann rollte die Augen. Für gewöhnlich sagten die Leute solche Dinge über ihn, sobald sie begriffen, wie ihnen geschah.

»Es hat ihm nichts genutzt. Ich habe es gesucht. Sie haben es ebenfalls gesucht. Keiner hat es gefunden. Es ist nicht da! Es war alles Lug und Trug! Bitte macht mich los und lasst mich in die Kleider steigen. Ich erfriere«, behauptete der Lothringer, dabei rollten Schweißperlen von seiner Stirn.

Der Schattenmann seufzte und trat näher an ihn heran. »Ich stelle mir vor, wie die Wölfe heute Nacht heranschleichen. Sie lieben Gedärm und werden sich um die schmackhaftesten Teile zanken.« Er zuckte mit den Schultern. »Gehab dich wohl, mein Freund.« Damit wandte er sich zum Gehen.

»Was? Nein! Geht nicht. Es ist nicht meine Schuld. Thurstan und ich konnten nicht ahnen, dass dieser Teufel sich uns in den Weg stellen würde! Bitte macht mich los! Ich flehe Euch an!« Dieterich verlor mit jedem Schritt, den der Schatten sich seinem Pferd näherte, mehr an Fassung. Schließlich siegte die Wut. »Gott verfluche diesen verdammten Bastard!«

Der Schattenmann nahm die Zügel auf und stellte den Fuß in den Steigbügel. Dieser Kerl verhielt sich wie ein Waschweib. Seine Tiraden brachten ihn zum Schmunzeln. »Wen meinst du? Mich etwa?« Er würde der Sache selbst nachgehen. Excalibur löste sich nicht einfach in Luft auf. Der Trottel hatte etwas Entscheidendes übersehen.

»Gisborne – dieses Aas – Guy of Gisborne!« Dieterich spuckte beim Sprechen. Vor Wut spannte er die Muskeln, bis die Fesseln in die Haut schnitten. Das Lächeln des Schattenmanns verlor sich. Er nahm den Fuß wieder aus dem Steigbügel und setzte ihn zurück in den Matsch. »Wer?«

Der Lothringer witterte Morgenluft. »Guy of Gisborne. Ich schwöre, die Ratte persönlich umzubringen!«

Beim Aufsteigen dachte der Schatten über den Vorschlag nach. Er entnahm der Geldkatze ein paar Silbermünzen und warf sie in den Matsch. Dann zog er den Dolch aus dem Gürtel, den er dem Ritter abgenommen hatte und wog ihn in der Hand. »Das wird nicht nötig sein. Ich kümmere mich selbst um die Sache.«

Dieterich keuchte und verrenkte sich den Hals. Er riss an den Fesseln. »Nein! Bitte!«

Die Klinge bohrte sich ein Stück über dem Seil in den Stamm. Wenn es dem Lothringer gelang, am Baum hochzuklettern, es ertrug, sich seine Weichteile an der rauen Borke wundzureiben, mochte er überleben. Niemand sollte behaupten, er sei nicht großzügig. Natürlich gab es jene, die das Gegenteil erfahren hatten. Die waren allerdings nicht mehr in der Lage, es zu bezeugen.

»Reite nach Hause. Ach ja, vergiss, was du gesehen oder gehört hast, falls du an deinem Leben hängst.« Der Schattenmann wendete sein Pferd und trabte davon. Gisborne, also. Wie überaus pikant.

 

2 - Schuldigkeiten

 

Guy bürstete kräftig über Cornelius’ Flanke – und brach die Bewegung abrupt ab. Er ließ sich mit schmerzverzerrtem Gesicht gegen sein Streitross sinken. »Der Teufel soll den Schreiberling holen«, zischte er durch die zusammengepressten Zähne und schickte einen Aufschrei hinterher. Wie sehr er Jakob brauchte, zeigte sich täglich: Stallarbeiten, Besorgungen, das grässliche Teutsch. Pure Selbstüberschätzung hatte ihn dazu getrieben, den Jungen ziehen zu lassen.

Nachdem der Bursche endlich eingewilligt hatte, Knappe zu werden, befiel Guy ein gewisses Wohlwollen gegenüber dem meckernden Jüngling. Hoffentlich hatte sich seine Reise nicht durch den Schneefall der letzten Tage verzögert. Je eher er zurückkam, umso besser. Der Ritt nach Augsburg war zu keiner Jahreszeit ungefährlich und vor allem weit.

Sein Blick wanderte zu dem Bündel am Boden, das neben den anderen Habseligkeiten lag. Ein guter Ort für König Artus’ Schwert Excalibur. Bei seinem Hengst war es sicherer als in den Gästeunterkünften des Hofguts. Cornelius duldete keine Fremden im Verschlag. Guy durfte es nicht verlieren. Freunde hatten dafür ihr Leben gelassen. Und er selber war mit Jakobs Hilfe nur knapp dem Flammentod entronnen.

Gedankenversunken grinste er und zog den Striegel bedächtiger über den Rücken des Pferdes, während der Hengst am Boden nach Fressbarem stöberte. Guy vermisste Jakobs aufsässige Widerreden bereits.

»Verdamm mich, Cory.« Beim Kosenamen gerufen, drehten sich die Ohren des Rosses zu ihm. Es mochte makaber erscheinen, einem Tier den Namen des ermordeten, jüngeren Bruders Cornelius zu geben. Guy verlieh es die Kraft auszuhalten, bis er heimkehren und den letzten Rest der Schmach, die ihm widerfahren war, tilgen konnte. Fast vier Jahre irrte er schon auf dem Kontinent herum. »Richard hat keine andere Wahl. Er muss mir die Burg übergeben, bei einem solchen Geschenk.« Der Hengst stimmte seinem Herrn schnaubend zu.

»Sicher, ich muss einen Weg finden, dort hinzukommen, ohne von den Franken oder einem normannischen Ritter abgeschlachtet zu werden. Das ist in der Tat knifflig.«

Löwenherz hielt sich, wie man hörte, auf der im Bau befindlichen Festung bei Les Andelys auf. Die Ritterschaft zerriss sich das Maul über die hohen Kosten. Darüber, wie es dem englischen König gelang, nach der horrenden Lösegeldforderung des Kaisers in so kurzer Zeit dieses Bollwerk zu errichten.

»Hab Geduld, mein Freund. Es wird sich ein Weg finden. Zunächst der Rücken und Jakobs Rückkehr. Und mit ein bisschen Glück kommen wir an genug Münzen, um unsere Ausrüstung standesgemäß aufzustocken«, erklärte er dem Pferd. Der Gedanke, Richard Löwenherz huldigen zu müssen, verursachte ihm Bauchgrummeln. Er wollte sich einen letzten Rest Würde bewahren. Der König hatte stets jede Gelegenheit genutzt, ihn zu demütigen.

Unvermittelt hob der Hengst den Kopf und drängte vorwärts. Guy stieß ein Knurren aus und knuffte das Tier in die Flanke, damit er ihm nicht auf die Füße trat. »Verräter! Dich wird eines Tages der Schinder holen, das prophezeie ich dir.«

Die Stalltür klapperte den ganzen Tag, ohne die Beachtung des Hengstes zu finden. Nur ein Geräusch hatte das verräterische Pferdeherz im Sturm erobert: Es waren die leichten Tritte der Hexe. Sie hatten sich in Guys Gedächtnis geprägt, mitsamt dem Bild ihres geschmeidigen Körpers, den glänzenden Locken und diesem energischen, von eigenem Willen geprägten Gesicht. Miriam schlüpfte herein.

»Na, wie geht es meinem Liebling?«, säuselte sie mit sanfter Stimme.

Wie redete sie mit seinem Schlachtross? Die heimtückische Absicht, sich bei Cornelius einzuschmeicheln, erkannte er ohne Übersetzung. Dafür, dass er die Frau am Hals hatte, einen weiteren Fluch auf den Knappen. Miriam sprach weder die einfache Zunge der Angelsachsen, die er und Jakob üblicherweise gebrauchten, noch die des englischen Adels. Zwar erahnte Guy zwischenzeitlich die meisten Inhalte dessen, was hierzulande gesprochen wurde, das reichte jedoch hinten und vorne nicht für eine Unterhaltung.

Der Rappe wieherte ein Willkommen für die Hexe. Guy schnaubte und gesellte sich neben das Schlachtross. »Was mackst dou hiea, Frow?« Die Zunge würde ihm noch im Mund verfaulen, wenn sie sich auf Dauer so verbiegen musste.

Miriams Aufmerksamkeit galt einem Beutel, den sie umhängen hatte. Sie erschrak und wich einen halben Schritt zurück. »Huch, Ritter Griesgram! Ist der Stall jetzt Euer Zuhause geworden? Hätte ich geahnt, wie tierisch Ihr Euch fühlt, hätte ich Euch auch einen Beißwurz mitgebracht.« Sie zog die pfahlartige Wurzel aus dem Beutel und der Rappe stürzte sich mit Genuss auf das Gewächs.

Guy runzelte die Stirn. »Willst du wohl aufhören, mein Pferd zu vergiften, Weib?«, schimpfte er in seiner Zunge.

Miriam freute sich, wie eifrig der Hengst die Wurzel zermalmte und dabei einen scharfen Dampf freisetzte, der Guy zum Husten zwang. Sein Protest ließ sie ungerührt. Er kletterte aus der Box. »Was ist das für ein Teufelszeug? Was dou gebe?«

Das aus Basel geflohene Weib verjüngte sich, wenn Freude ihre Züge erleuchtete. Sie war eine halbe Jüdin und hatte bei ihrem Vater das Heilen gelernt. Guy baute sich dicht vor ihr auf. Sie lachte trotz des grimmigen Ausdrucks und fischte ein dünnes Überbleibsel der Wurzel aus ihrem Beutel. »Hier, versucht es ruhig selbst. Das könnte einem alten Dachs wie Euch die Laune aufbessern!«

»Das nickt guut.« Guy gab sich Mühe, unfreundlich zu sein, damit sie gar nicht erst auf die Idee kam, er könnte sie mögen. »Gäh, ick nix braucken.«

Seine Grobheit beeindruckte die Frau kein Stück. Sie hatte ihm mit ihrer Kräuterkunst das Leben gerettet. Die Brandwunden auf dem Rücken hatten ihn beinahe umgebracht. Eine einfache Wahrheit und doch verübelte er ihr den Schock ihrer ersten Begegnung – den Moment, als ihr Antlitz sein Herz in Brand gesteckt hatte.

Sie war weder reich noch adelig. Ein schlauer Ritter suchte sich eine Frau mit Mitgift. Überhaupt, es kam zu spät. Nach Marians Verrat würde er keinem Weib mehr trauen.

»Glaubt Ihr, ich will Euch vergiften?« Miriam biss ein Stück ab. Die Schneeflocken in ihren Haaren schmolzen zu Wassertropfen, die trotz des dämmrigen Lichts wie das Geschmeide einer Königin funkelten. Er widerstand dem Drang, mit den Fingern darüber zu streichen.

Herr im Himmel, nimm diesen Bann von mir. Sein Stoßgebet fand keinerlei Gehör. Er griff nach der Wurzel, steckte sie in den Mund und zerrieb sie mit den Backenzähnen. Schärfe breitete sich auf seiner Zunge aus, stieg in die Nase, durch die er hastig Atem holte. Ein Fehler, der das Leiden verschlimmerte.

Miriam kaute und lächelte. Der Hengst hatte das Gewächs begeistert verschlungen, da würde er doch mit einem einzigen Stückchen zurande kommen. Sollte es ruhig jedes Gefühl für sie aus ihm brennen. »Du siehst, du kannst mich nicht bezwingen«, krächzte er und spuckte den Brocken heimlich ins Stroh, sobald Miriam sich dem Hengst zuwandte.

»Ich verstehe Euer Inselkauderwelsch nicht. Ich frage mich, wie Jakob es mit Euch ausgehalten hat. Hier …«, sie entnahm ihrer Tasche einen Tiegel. »Lasst mich Euren Rücken sehen.«

Guys Widerborstigkeit erlosch. Er stieß ein Seufzen aus. Das Öl, alles womit sie ihn bisher behandelt hatte, half ausgezeichnet. Er löste seinen Waffengurt. Jedes Opfer schien ihm gerechtfertigt, um seine alte Stärke zurückzugewinnen. Miriam schmunzelte, führte ihn nach draußen und ließ ihn auf dem Rand des Brunnentroges Platz nehmen. Sie half ihm, das Hemd über den Kopf zu streifen, und zog die Wundtücher vorsichtig ab. Ihre warmen Hände bildeten einen woh­ligen Kontrast zum beißenden Frost, der ihm unter die Haut kroch. Sie durchbrach die dünne Eisschicht im Trog, um die Tücher auszuwaschen, und tupfte die Wundränder ab. Jede Berührung schmerzte, jedoch lange nicht mehr so, wie noch vor einigen Tagen.

»Ihr habt Glück, es trocknet alles sauber ab. Wenn sich alle Wunden wieder geschlossen haben, werdet Ihr gut damit leben können. Ich hoffe, dieses dumme Stück Eisen war der Mühe und der Schmerzen wert.«

Eisen? Meinte sie das Schwert? Guy warf einen grimmigen Blick nach hinten. »Nickt davon sprecken, Frow.«

»Nein? Soll ich nicht? Jakob glaubt an den guten Zweck. Aber was ist mit Euch? Seid Ihr der Meinung, der Kampf um ein wie auch immer geartetes Ding rechtfertigt all das? Ihr Männer macht es euch leicht, Unheil mit Ehre und Gewissen zu entschuldigen, zu kämpfen und zu sterben für die nichtigsten Anlässe. Wir Frauen dürfen es flicken, die Scherben aufkehrten und für eure verlorenen Seelen beten.«

Guy schloss die Augen, als sie das Öl auftrug, das zunächst leicht brannte und sich dann warm und wohltuend ausbreitete. Miriams Rechte ruhte auf seiner Schulter und ihre Fingerspitzen schienen sein Schlüsselbein zu liebkosen. Das musste er sich einbilden. Ihrem Tonfall entnahm er eine Anklage und sie hatte nicht unrecht damit.

Schuld lag in mannigfaltiger Weise auf seiner Seele. Er dachte an seinen Freund Adelphos, der in seiner Obhut starb, als sie es eigentlich schon geschafft hatten. Und an König William, der nicht mehr als ein geschundenes Kind gewesen war. Trotzdem war ihnen Excalibur zugefallen. Am Ende ohne sein Zutun. Wer, wenn nicht Gott, hatte Jakob mit der Nase auf das Schwert aller Schwerte gestoßen? Das schien so unglaublich, dass er sich beherrschen musste, die Waffe nicht stundenlang anzustarren. Fragte sie ihn, ob es das alles wert gewesen war? Wie sollte Guy das wissen, bevor er das Lehn seines Vaters in Händen hielt? War es zu eigennützig, wenn er es zu diesem Zweck nach Hause brachte? Die Opfer, die bisher erbracht wurden, waren groß. Vielleicht stiegen sie noch.

Er hoffte, das Richtige zu tun. Und auf eine winzige Chance, nicht für all die Sünden in der ewigen Verdammnis zu landen. Guy griff nach der Hand auf der Schulter und hielt sie fest. Er hätte es lassen sollen. Es verstärkte einen unerfüllbaren Wunsch. »Jakob dick gerettet hat. Schweig Frow. Nickt gut sprecken hiea«, zischte er barsch.

Miriam atmete langsam aus und presste ihm ein neues Tuch auf den Rücken. Es haftete am Öl. »Schon gut, Ritter Griesgram. Ich weiß, ich bin nur eine Last für Euch.« Sie half ihm beim Anziehen und kehrte ins Gästehaus zurück.

 

 

Stimmen und Geklapper weckten Guy in aller Herrgottsfrühe. Die Seilwinde des Hofbrunnens quietschte, schlurfende Schritte bewegten sich auf den Stall zu, die Knechte und Laienbrüder machten sich an die Arbeit. Ihre flackernden Lampen durchdrangen kaum die Dunkelheit. Der Hengst blies ihm warmen Atem ins Gesicht und scharrte mit dem Vorderhuf.

Guy gab ein langgezogenes Stöhnen von sich, lehnte sein Schwert, das er die ganze Nacht festgehalten hatte, an die Wand und schälte sich aus der kratzigen Pferdedecke.

Cory schnappte nach dem Lederwams und zog Guy mit einem Ruck auf die Beine, bevor der in der Lage war zu reagieren. »Hey, Frechdachs!« Der Hengst ließ ihn los und scharrte erneut mit den Hufen. Hastig überprüfte Guy, ob die Kleidung den Zähnen standgehalten hatte. »Das hat dir Dornhall beigebracht, was?« Es waren nur wenige Wochen vergangen, seit er den Vorbesitzer des Tieres in die Hölle geschickt hatte. Je mehr Cornelius ihm vertraute, umso interessantere Fähigkeiten offenbarten sich. Für ein Pferd schien er außerordentlich schlau zu sein. Er tätschelte den Rappen und räkelte sich. Das Läuten zur Prim musste er glatt verschlafen haben, obwohl er jede Wette abgeschlossen hätte, kein Auge zubekommen zu haben.

»Gott zum Gruß, Ritter Gisborne!« Bertram, einer der Laienbrüder, war wie in den Tagen zuvor einer der ersten im Stall.

Guy brummte eine undeutliche Erwiderung, kletterte aus der Box und beteiligte sich beim Verteilen des Futters. Danach eilte er über den mit Schneematsch bedeckten Hof ins Gästehaus für eine Schale Brei. In Etiningem fühlte er sich nicht sicher. Was, wenn Dieterich zurückkam? Zudem musste er sich bei Gottfried melden. Der Priester hatte ihm angeboten, sich bei seinem Protegé um eine Anstellung für ihn zu bemühen. Außerdem erzielte er in Strazpurc höhere Preise für die Edelsteine, die er versetzten wollte.

Er fand Miriam hinter dem großen Kessel. Offenbar half sie beim Verteilen des Essens. Sie fügte sich schnell ein. Vielleicht wollte sie nicht mehr nach Strazpurc zurückkehren. Je weiter sie sich von Basel entfernte, umso weniger musste sie befürchten, von irgendjemandem erkannt und als Hexe denunziert zu werden. Etiningem war kein schlechter Ort für sie. Jakob hatte allerdings angeboten, sie in die weit größere Stadt zurückzubringen.

»Wenn Ihr mir die Schüssel hinhalten würdet, anstatt sie an Eure Brust zu pressen, müssten die anderen nicht so lange warten.« Sie klang freundlich, aber bestimmt.

»Ick Strazpurc reiden. Du Sacken packe?« Die Sätze schmerzten in den Ohren. »Biete«, fügte er hinzu, als er keine Reaktion erfuhr.

Miriam beugte sich über den Kessel, zog ihm die Schale aus der Hand und schöpfte einen fetten Klecks Brei hinein. »Sobald es hell wird. Ihr versteht mehr von unserer Sprache, als Ihr uns weismachen wolltet, Ritter Grimmbart.«

Der Korbflechter hinter Guy drängte sich an ihm vorbei. »Willst du noch länger das Mädchen angaffen, Herr? Hier stehen Leute, denen der Magen bis zu den Kniekehlen hängt.«

Grimmbart? Was das wohl bedeutete? Guy zog sich in eine Ecke des Raums zurück. Der Brei dampfte, obwohl er nicht mehr heiß war. Er beobachtete Miriam zwischen den einzelnen Bissen. Sein Teller leerte sich, ohne dass er einen Gedanken an den Geschmack des Essens verschwendet hätte. Was aus ihr werden würde, so allein in Strazpurc?

Er verließ den Speiseraum, wusch den Teller aus und kehrte in den Stall zurück. Dort sattelte er den Hengst und belud ihn mit seinem Gepäck. Die Decken würden den Sitz für Miriam hergeben. Erneut stach es ihn in den Rücken. Zu oft und in zu kurzer Zeit hatte sein Leib Verwundungen davongetragen. Die alten Knochen leisteten nicht mehr die zuverlässigen Dienste wie früher.

Es bereitete ihm eine gewisse Sorge, ob Jakobs Vater den Sohn gehen lassen würde. Was sollte den schlauen Jungen davon abhalten, Kaufmann zu werden? Sollte er ihm entgegenreiten, falls er auf sich warten ließ? Nein, wenn er sich auf jemanden verlassen konnte, dann auf Jakob.

Guy führte den Hengst nach draußen und ließ ihn an der Tränke saufen. Nach getaner Arbeit kroch die Kälte unter seine Kleidung. Die Dunkelheit hob sich und offenbarte dichte Wolken am Himmel. Er fragte sich, ob es Gott gefallen würde, die Sonne durchdringen zu lassen. Solange es wenigstens nicht wieder schneite, sollte es ihm egal sein. Er beobachtete den Eingang des Gästehauses. »Wo bleibt das Weib bloß?«

»Schade, dass wir kein Schiff nehmen können. Es war angenehm, den Fluss herunterzufahren, fandet Ihr nicht auch?«

Himmel! Guy fuhr herum. »Hm!«, brummte er, um den Schrecken zu kaschieren. Er nahm die zusammengerollte Decke entgegen und band sie zu den anderen. Die Idee, sie auf dem Hengst reiten zu lassen, gefiel ihm nicht sonderlich. Frauen sollten keine Streitrösser besteigen. Es würdigte das herrliche Tier herab. Zudem hatte Cory untätig im Stall gestanden und schäumte vor Übermut. Aber wenn er vorankommen wollte, gab es keine Alternative. Miriam griff nach den Zügeln.

»Nein, Frow!« Guy leierte ihr die Riemen aus den Fingern. Dann schwang er sich in den Sattel, gab den Bügel frei und reichte ihr die Hand. »So einfack!«

Miriam hatte sein Tun mit gerunzelter Stirn betrachtet. »Wenn es dem Pferd und Euch nicht zu viel ist, Ritter Grimmbart. Die Nähe wird uns warm halten.« Sie ließ sich nach oben ziehen, sortierte ihren Rock sorgsam und umfasste Guys Hüfte.

»Gout festhalten!« Er hörte sich wie ein halber Idiot an. Jakob konnte man herrlich zurechtweisen; zur Not mit einer ordentlichen Maulschelle. Wie verhielt es sich mit einer Frau, die es darauf anlegte, einem den Verstand zu rauben?

Sie passierten das Tor bei Morgengrauen. Der Torwächter winkte ihnen nach. »Schlitzt den Sarazenen die Bäuche auf, Ritter Gisbert!«

Guy erinnerte sich an den Holzkopf mit den tauben Ohren, der Jakob und ihn bei ihrer ersten Ankunft in der Stadt kontrolliert hatte. Offenbar hatte sich sein richtiger Name nicht zu ihm herumgesprochen.

Vor ihnen lag die Straße, auf der er Adelphos kennengelernt hatte. Der sizilische Normanne hatte vorgegeben, ein Krämer zu sein. Die gute Seele. Er war in die Nähe des Odilienbergs gezogen, um in Verbindung mit der gefangengehaltenen Königin bleiben zu können. Das Schicksal hatte es nicht gut mit ihm gemeint.

»Nun, Herr Ritter, wie wäre es, wenn ich mich für Eure Freundlichkeit erkenntlich zeige und Euch mehr von unserer Sprache beibringe? Es kann Euch in Strazpurc von Nutzen sein.«

Guy antwortete nicht. Er dachte an die beiden lothringischen Ritter, die ihnen das Schwert abjagen wollten. Thurstan, Adelphos’ Mörder, hatte er im Wald den Kopf abgeschlagen. Bei Dieterich hatte er Gnade vor Recht gesetzt. Es hatte ihm Folter und den kaputten Rücken eingebracht.

Miriam nuschelte etwas, das sich wie »sturer Esel« anhörte. »Nun, wenn Ihr nicht mit mir reden wollt, so lasst es bleiben. Wenn Eure Wunden so sehr schmerzen, dass Ihr mein Öl nötig habt, werdet Ihr die Sprache schon wiederfinden, nicht wahr?«

Das typische Meckern einer Ziege!

Er plante bei einem Fischer in Hügelisheim einzukehren. Der Mann war ein Freund des Siziliers gewesen. Wie sollte er ihm erklären, dass Adelphos auf ihrer Mission ermordet worden war? Selbst wenn er den Namen rief, ein Kreuzzeichen schlug und einen aufgebahrten Toten mimte, erklärte das kaum, wie es dazu gekommen war. In Etiningem hatte Jakob alles arrangiert, bevor er gegangen war. Ab jetzt musste Guy sich selber kümmern, bis er in Strazpurc Gottfried wiedersehen würde. Wie hieß der Fischer noch gleich? Er hatte den Namen vergessen. Verflixt!

Ein hoher Preis, wahrlich ein hoher Preis für ein Schwert, dachte er bei sich. Guys Hand wanderte zu dem fest verschnürten Bündel, das an der Seite des Sattels hing. Er betastete den Knauf der Waffe. Die Eiseskälte des Metalls stach durch die groben Handschuhe bis in die Knochen.

Miriam legte den Kopf an seine Schulter. »Diese schrecklichen Geschehnisse werde ich nie vergessen.«

Sie sprach von Basel, dem Erdbeben, die Nacht des Überfalls. Miriam war von Jakob aus der Stadt geschleust worden und Guy fürchterlich wütend gewesen, weil er wusste, dass ihnen das nur Scherereien einbringen würde. Es hagelte Pfeile aus der Dunkelheit und er hatte Miriam die Schuld gegeben. In der gleichen Manier, wie die Basler eine Schuldige für ihre eingestürzten Häuser und Toten gesucht hatten. Im Grunde nur, um von eigenen Fehlern abzulenken, wie der Priester, der die Anschuldigung gegen Miriam ausgesprochen hatte.

Dafür wirst du in der Hölle schmoren, sagte er sich. Er drehte den Kopf halb nach hinten. »Dou mich beibringen su sprecken, Frow!«

Miriam richtete sich auf und umklammerte ihn fester. »Gerne, da Ihr die Sprache wiedergefunden habt, Herr Ritter. Immerhin haben wir noch zwei Tage Frost und Schnee vor uns. Doch zuerst könntet Ihr mir erklären, warum dieses Schwert so wichtig für Euch ist.«

»Es mick bringt su Hause.«

 

3 - Reisebekanntschaften

 

Nachdem Jakob Illinchen hinter sich gelassen und die Furt überquert hatte, die unterhalb des kegelförmigen Burgbergs lag, wandte er sich weiter nach Südosten. Der Schnee knirschte unter den Tritten des Grauen. Er verklebte in den beschlagenen Hufen zu Stollen, die sich immer wieder lösten und das arme Tier ins Stolpern brachten. Jakob hielt an, schüttelte die Kapuze aus und bewegte die tauben Zehen in den Stiefeln. In den Fingern brannte das einströmende Blut. Der Graue fand keinen Gefallen an diesem Ritt und musste getrieben werden, was Jakob warmhielt und gleichzeitig ermüdete. Er stieg ab und führte den Hengst ein Stück. Der Schnee reichte ihm bis zu den Waden. Wenn es weiter schneite, empfahl es sich, eine Unterkunft zu suchen.

Seine Gedanken schweiften nach Etiningem zurück. Was Gisborne jetzt wohl tat? Sicher saß er in einer geheizten Schankstube bei einem warmen Bier. Er dachte an die Kämpfe, die sie ausgestanden hatten. Der Normanne schien unbesiegbar zu sein. Das zarte Pflänzchen der Bewunderung tat sich allerdings schwer, an der schroffen Art des Ritters zu wachsen. Gisborne vergrub das gute Herz unter einem Berg von Launen. Die letzte Ausgeburt seines bizarren Geistes machte Jakob zum Knappen.

Es war vielleicht nicht klug, doch Jakob fand Gefallen an diesem Gedanken, obwohl der Abt des Klosters, in dem er die halbe Kindheit verbracht hatte, bemüht gewesen war, ihm Demut einzuprügeln. ‚Der Mensch ist an den Platz geboren, wo Gott ihn braucht. Nach Früchten zu trachten, die an höheren Ästen hängen, ist des Teufels, Junge.‘ Konnte Gott seine Meinung nicht ändern? Jakobs Absichten waren lauter.

Mit Swidbertingen passierte er einen weiteren Ort. Er fragte höflich nach Wasser und Heu für das Pferd und ritt alsbald durch die dortige Furt, da sich das steile Ufer der Glems sonst nirgends gefahrlos bewältigen ließ.

Es dämmerte, ehe er Candistatt erreichte, und die ersten Häuser, an die er klopfte, öffneten ihre Türen nicht mehr. Einer der Bauern drehte eine letzte Runde über den Hof. Jakob sprach ihn an und der Mann begegnete ihm freundlich und bot ihm einen Schlafplatz an. »Wo wollt Ihr hin, Herr?«

»Heim – nach Augsburg.« Das fühlte sich seltsam an. Nicht nur weil er dort seinem Vater viel zu erklären hatte, sondern auch, weil ihm die Begleitung des Normannen fehlte. Damals, als er aus Augsburg und vor dem Mönchsgelübde geflohen war, hätte er sich nicht träumen lassen, welche Wendungen das Leben ihm bescherte. Jetzt ritt er auf einem Hengst mit einem Kurzschwert an der Seite, stolz erhobenen Hauptes den Vater besuchen.

Jakob rieb den Grauen trocken und schleppte die Satteltaschen zur Kochstelle, wo die Familie bei einer Suppe beisammensaß. Ihm schlug die Wärme eines halb abgebrannten Feuers entgegen. Er kramte ein Stück Brot samt Käse aus der Tasche.

»Gott soll es Euch vergelten.« Die Frau des Bauern nahm das Geschenk an, teilte jedem etwas davon zu und reichte Schalen mit dampfender Suppe an sie weiter.

»Du stehst also in den Diensten eines Ritters?«, vergewisserte sich der Bauer. Die Kinder und ein alter Mann beäugten ihn gleichermaßen neugierig wie misstrauisch. »Ja, so ist es.«

»Ich sag, der ischt ein Pferdedieb!«, krächzte der hutzelige Alte unvermittelt unter seiner Decke hervor.

»Ist gut, Vadder, nicht jeder, der ein schönes Pferd reitet, ist ein Dieb.« Einer der größeren Söhne schnatterte los. »Wir haben hier erst vor zwei Tagen einen Pferdedieb gehängt. Der dachte, er würde davonkommen, wenn er ein paar Stuten von den Weiden des Landesherren stiehlt.«

»Dieb!«, zischte der Alte.

»Das da im Stall ist keine Stute, Vadder«, brummte der Bauer zwischen zwei schlürfenden Schlucken aus der Holzschale.

»Gehängt? Das ist eine milde Strafe.« Der Stoutengarten lag in einem Talkessel mit fetten Weiden umgeben von lichten Wäldern, in denen die Stuten den Winter von Hirten gehütet wurden. »Da werde ich wohl eine ruhige Weiterreise haben, wenn sie den Verbrecher bestraft haben. Hat er es allein getan?«

»Red du nur.« Der zahnlose Alte ließ nicht locker. »Warum übernachtet der net beim Vogt? Umso schlimmer, wenn er einen Hengst gestohlen hat. Den anderen haben sie mit glühenden Zangen gezwickt, bis er Gottes Gnade und Vergebung erfleht hat. Gibs zu, dass der net dir gehört, Strolch. Der Herzog wird uns niederbrennen, wenn wir einem Pferdedieb Unterkunft gewähren.«

»Vadder, lass gut sei! Verzeiht ihm, sein Geist ist zuweilen verwirrt«, brummte der Bauer zu Jakobs Erleichterung. Er war hundemüde und wollte nicht weiter ausgehorcht werden.

»Mir haben die Gaukler gut gefallen«, sagte einer der jungen Burschen. »Der eine konnte Grimassen schneiden. Hat die Zunge raushängen lassen, als hinge er am Strick.« Die Jungen lachten und der vorlaute Sprecher erntete von seiner Mutter eine Kopfnuss. »Red nicht über die Halsabschneider!«

»Au! Warum nicht? Den Leuten hat’s gefallen.«

»Das Lumpenpack scheut sich nicht, in der Fastenzeit aufzutreten. Der Priester hätt sie aus der Stadt geißeln sollen.«

Der Bauer pflichtete seiner Frau bei. »Hör auf die Mutter, Sepp.« Er stand auf. »Es ist spät. Morgen gibt es wieder viel zu tun!«

Die Kirchenglocken läuteten zur Komplet. Jakob rutschte vom Schemel und sprach ein Gebet, teils in Latein, um die Leute von seiner Rechtschaffenheit zu überzeugen, teils in Teutsch, damit sie hörten, wie er einen Segen für sie erbat. Sie sanken auf die Knie und beteten ehrfurchtsvoll mit ihm. Alle bis auf den Alten. »Wo gibt’s denn sowas? Bist du no an Ridder oder an Priester? Irgendetwas stimmt net mit dir, Hühnerdieb!« Der junge Bauer verdrehte die Augen über die Unbelehrbarkeit seines Vaters.

 

 

Flammen loderten vor ihm auf, die Burg brannte. Guy drehte sich um und sah die Ritter seines Vaters auf sich zu galoppieren. Gleich würde der Pfeil MacDurmonds Hand treffen, der Schotte ihn loslassen und Guy um sein Leben laufen. Doch der Traum verlief nicht wie gewohnt. Er war kein Kind. Das Bild zerfiel. Feuer wirbelte ihn herum – die Scheune bei Strazpurc.

Dieterich hatte ihn über glühenden Kohlen gefoltert und die Glut in das trockene Heu gekickt. Sein Rücken! Er fühlte den stechenden Schmerz, wandte sich zur Luke und fand sich im Schnee auf den Knien wieder, Wilhelms gemarterten kleinen Körper in den Armen. Der tote Junge fing an zu schreien …

Guy schreckte hoch. Seine Lungen pumpten wie Blasebälge, während er sich zu orientieren versuchte. Der Teufel musste die qualvollen Erlebnisse zu einem Albtraum verwoben haben. Er lauschte in die Finsternis und hörte jemanden schnarchen. Etwas raschelte unweit von ihm, es roch nach geräuchertem Aal. Die Fischerhütte.

Adelphos Freund in Hügelisheim hatte sie herzlich aufgenommen. Miriam, die erlebt hatte, wie der Krämer zu Tode gekommen war, übernahm es, den Leuten die schlechte Kunde beizubringen. Was ihm irgendwie missfiel. Er hätte das tun sollen. Das sture Weib hatte auf dem ganzen Weg nicht locker gelassen, ihm Sätze vorgesprochen und darauf bestanden, dass er sie wiederholte. Kein Wunder, dass er von Albträumen geplagt wurde.

War es eine Botschaft? Falls ja, welcher Art? Er legte die Hand auf das eingewickelte Schwert neben sich. Nichts hatte sich verändert. Es herrschte Frieden in der Hütte. Die frühe Dunkelheit erschwerte es Guy, die ganze Nacht auf einem Strohlager auszuhalten. Wenn er es am wenigsten erwartete, stachen die Brandwunden, wie Dornen.

Er erhob sich mit aller Vorsicht und schlich zur Tür hinaus. Der Wind wehte ihm frisch um die Nase. Die Wolkendecke hatte sich gelockert und offenbarte eine kaum wahrnehmbare Mondsichel. Er rollte mit den Schultern, um den Schmerz zu vertreiben. Jeden Schritt ertastend tapste er über den festgetretenen Schnee in Richtung des Verschlags. Der Rappe hörte ihn kommen und begrüßte ihn mit einem gedämpften Wiehern.

Pferde waren erstaunliche Geschöpfe. Sie fanden den Weg in der Dunkelheit ohne Probleme, durchwachten nicht selten jede Nacht. Sie schliefen tagsüber im Stehen, wenn Wölfe und Bären sich in ihren Höhlen verkrochen hatten.

»Ruhig, mein Schöner. Die anderen wollen schlafen.« Guy grub seine fröstelnden Finger in das Winterfell und kraulte den Hengst hinter den Ohren.

»Schmerzen?«

Die Frage ließ Guy einen Moment erstarren. Er hatte Miriam nicht kommen hören. Da war es wieder, das Unheimliche, Hexenhafte an diesem Weib. Warum interessierte sie sich dafür? »Wennig Smerzen.« Kein leichtes Wort – er gab sich Mühe es so auszusprechen, wie er es gehört hatte und es ärgerte ihn, es nicht besser zu beherrschen. »Du solln schlafen, Frow. Morgen ein weite Reise, auck.«

»Wenn Euch das Wort Frau so schwerfällt, könntet Ihr mich Mi­riam nennen.« Sie hatte sich ihre Decke um die Schultern geschlungen und sah zum Himmel. Der Ruf eines Waldkäuzchens wehte mit dem Wind durch die Nacht. Es roch nach geräuchertem Aal und modrigen Fischernetzen. »Ob die Sterne verlöschen können? Ob sie wie Regentropfen sind? Mein Vater erzählte mir, dass Sterne vom Himmel fallen. Warum Gott sie wohl geschaffen hat? Sie sind jedenfalls wunderschön.«

Wovon sie auch sprach, es ließ ihre Augen glänzen. »Wunderschön«, wisperte Guy in seiner Muttersprache, nur betrachtete er dabei nicht die Sterne.

Miriam sah ihn an. »Soll ich Euch etwas Öl auftragen? Lasst uns in die Hütte zurückgehen. Es liegt bei meinen Sachen.« Sie machte eine reibende Bewegung mit den Händen.

Ihre Berührung würde ihn an den Rand der Selbstbeherrschung bringen. »Nickt, alles guud.« Guy hatte nicht das Recht, sich ihr aufzudrängen. Es passte zu ihm, sich mit Dirnen abzugeben und keine Verpflichtungen einzugehen. Diese Frau musste er meiden, wenn er sie nicht verletzen wollte. War es Zufall oder Fügung, dass sie sich wiedergetroffen hatten und sie sein Leben rettete? Nicht nur einmal, wenige Tage später gleich ein zweites Mal. Stünde er nicht in ihrer Schuld, hätte er sie längst weggejagt. Sie hatte ihn bei ihrer ersten Begegnung verhext, genau wie Marian. Ihre Namen ähnelten sich sogar. »Nein, geh, Frow. Geh!«

Miriam verharrte eine Sekunde. Guy konnte vage die Umrisse ihres Kopfes erkennen. In seiner Vorstellung leuchteten ihre blauen Augen und die feinen dunklen Haare in ihrem Nacken verführerisch.

Die Heilerin kehrte in die Hütte zurück. Ein Wesen ohne Heimat. Sie war eine Entwurzelte, eine Suchende, wie er. Dessen ungeachtet musste er sie vergessen. Es wurde Zeit, den Willen auf das zu richten, was zählte: Das Schwert. Und wie er den besten Nutzen daraus zog.

 

 

Die Wolken am Himmel meinten es am nächsten Tag gnädig mit Jakob. Sie ließen winzige, kaum wahrnehmbare Körnchen fallen und der Graue lief freimütig vorwärts. Sein Ohrenspiel zeugte davon, wie wohl er sich fühlte, und so entspannte sich auch sein Reiter. Auf der Strecke zwischen Candistat und Geppingin mühten sich einige Reisende über den holprigen Weg. Bewaffnete Knechte schützten eine Ladung schwerer Steine, die bestens mit Stroh ummantelt und verpackt waren. Es musste sich um Marmor handeln, für die Bundsandsteine der hiesigen Gegenden war kein solcher Aufwand zu erwarten. Eine Gelegenheit, behütet weiterzureisen, ließ Jakob nach der Geschichte vom gehängten Pferdedieb nicht verstreichen. Allerdings würden die schwer ziehenden Ochsen über die Straße kriechen, was die Reise verlängerte.

Gegen Mittag hellte sich die weiße Decke am Himmel auf. Er legte abseits der Knechte eine Rast ein und kramte Brot- und Käsereste heraus. Der Graue knabberte an einer Tanne herum, nachdem er alle Birkenzweige und freigescharrten Grashalme, die er erreichen konnte, abgerissen hatte. Die Sonne brach durch und Jakob genoss die Strahlen. Ab und an piepte ein Fink oder krähten die schwarzen Gesellen der Lüfte. Ein Eichhorn raschelte im Unterholz und huschte eine Tanne hinauf.

Zwei Wagen näherten sich und hielten in gebührendem Abstand an, da die Strecke blockiert war. Die bunt bemalte Plane und der Tand, der überall hing, bewarben eine Gauklertruppe. Vielleicht dieselben, die bei der Hinrichtung für Unterhaltung gesorgt hatten? Ein Mann mit Schelmenmütze sprang vom Bock und blies in das Mundstück seines Dudelsacks. Das trötende Geräusch jagte die Horde Raben von den Bäumen. Knechte und Wachen hoben die Köpfe.

Das Gesicht des Mannes war bemalt. Augen- und Mundpartie mit Kohle umrandet und in Rot eingefasst. Weiße Linien zackten sich wie Blitze über die Wangen. Vom Kutschbock erklang eine Fiedel und hinter dem mit einer Plane bespannten ersten Wagen rasselten die Zimbeln eines Tamburins, das den Takt aufnahm. Die Musik zauberte Neugier auf die Gesichter der Knechte. Als eine junge Frau, das Instrument in der Hand, ausstieg und sich wie eine geschmeidige Weidenrute im Tanz wiegte, fingen sie an zu rufen und die Spielleute näher zu winken. Ein Junge jonglierte bunte Tücher, bis ein menschliches Rad an ihm vorbeirollte. Da sprang er tollkühn von den Füßen auf die Hände und zurück, um vor den Zuschauern auf die Knie zu fallen. Gleichzeitig verstummte die Musik. Einzig ein großer Kerl mit dem Aussehen eines Stieres blieb bei den Wagen stehen.

»Wertes Publikum, falls die Kostprobe gemundet hat, kommt zu unserer Vorstellung in Geppingin. Die Gruppo dei Artisti bedankt sich für Euer Interesse.«

Das Tamburin lenkte mit einem Bumm-Bummbumm die Aufmerksamkeit auf sich, vielmehr auf das Mädchen, das trotz der Kälte Bein zeigte. Bruder Moritz wäre ohnmächtig geworden. Ihre Brüste quollen aus dem Mieder heraus, der Rock besaß einen Schlitz bis an die Hüften.

Jakob sollte wegsehen, wie er es sonst immer tat, aber dieses Mal fühlte er sich stärker und freier als sonst. Er fühlte sich angezogen und gestand es sich ein. Ständig paarte sich Viehzeug vor aller Augen und er wusste, wie manche redeten, wenn sie bei einer Frau gelegen hatten. Ausdrücke wie Rammeln und Bocken ließen anklingen, dass es nicht viel anders war als bei Tieren. Zudem stand in der Bibel, seiet fruchtbar und mehret euch, doch zugleich war es nur in der Ehe gestattet. Jakob vermutete, dass dieses Gebot häufig gebrochen wurde.

Die Fiedel spielte eine wehmütige Melodie und die Gaukler zogen sich zu den Wagen zurück. Das Mädchen schwebte anmutig davon, drehte sich und strich sich mit den Fingern über die Lippen. Sie schenkte Jakob einen Blick und lächelte ihm zu. Ihm wurde glühend heiß. Rasch sah er zu Boden.

Der Vorarbeiter der Knechte klatschte in die Hände und erklärte die Pause für beendet.

Jakob kaute auf dem Brot herum. Diese Beine! Was war sündiger? Sie zur Schau zu stellen oder an sie zu denken? Er wollte Gott gerecht werden, doch erschreckenderweise tat sich eine Kluft zwischen dem, was er beim Anblick eines solchen Reizes verspürte und diesem frommen Wunsch auf. Deshalb ließ er sich Zeit damit, die Hufe zu prüfen und die Sachen ordentlich zu schnüren, bevor er ihnen folgte.

Der Schnee besaß Griffigkeit, wodurch das Pferd zügig ausschreiten konnte. Jakob holte die Gaukler ein und beobachtete, wie einer der Knechte des Steintransports sich zurückfallen ließ. Er marschierte für ein paar Schritte neben dem Fiedelspieler her, drückte ihm etwas in die Hand und schwang sich hinten in den Planwagen, wo die verführerische Tänzerin die Beine baumeln ließ. Der Fiedler entlockte den Sehnen eine heitere Melodie. Er blieb bei den Ochsen des zweiten Gespanns, die mit einem Seil an das vordere gebunden waren.

Eine weitere Frau, die sich den runden Leib hielt, tauchte auf. Sie war gewiss über dreißig Jahre alt. Der Muskelmann hob sie ohne sichtbare Anstrengung vom Wagen. Die Wetterplane fiel herab und versperrte die Sicht auf den Knecht und das Tamburinmädchen.

Jakobs Wangen brannten wie Feuer.

»Du musst den Mund schließen, Jüngelchen«, riet die Schwangere, die auf seine Höhe zurückgefallen war. »Du hättest ein bisschen schneller reiten sollen.«

Jakob schloss die Kiefer, senkte peinlichst berührt den Blick und trabte mit dem Grauen am Gespann der Gaukler vorbei. Er ließ die Steintransporteure hinter sich und setze sich an die Spitze der Kolonne.

 

 

»Kirche Sankt Peter«, sagte Miriam und wies auf den Kirchturm.

»Church Saint Peter.« Dieses fauchende ‚ch‘ wollte Guy nicht über die Lippen kommen.

»Ihr macht Euch lustig.« Miriam lachte. »Gestern ging es schon besser, Ritter Griesgram.«

Pferdehufe hämmerten auf den Holzbohlen der Brücke, die zum Stadttor führte. Hinter ihnen rollte ein Gespann beladen mit rotem Buntsandstein in dröhnender Lautstärke in die Stadt und unterband die Verständigung. Sie hatten Strazpurc erreicht. Sein Herz duckte sich, wie ein Fuchs in den Bau. Hier würden ihre Wege sich trennen. »Wieso Grimmbaer, Grisskram, was soll ‘eißen?«

»Ihr brummt so gerne in Euren Bart, Herr.«

Machte sie sich lustig über ihn? Mit einer Dirne hätte er gescherzt, ihr einen Klaps auf den Allerwertesten gegeben. Das kam hier nicht infrage. Genauso wenig konnte er sie wie eine Lady behandeln. »Hmm. Ge’abt Euck wohl, Frow.«

Miriam musterte ihn einen Augenblick. »Ich verstehe, Ihr habt Euer Wort eingehalten und mich hierher gebracht.« Sie rutschte über den Hintern des Pferdes nach unten und löste ihr Bündel vom Sattel. Ihre Wangen glühten, während sie in ihrer Tasche kramte und den Tiegel fand.

»Habt Dank, Herr Ritter. Jakob ist ein Engel. Betet dafür, dass er wiederkommt.« Ihre gute Laune war verflogen. Sie reichte ihm das Gefäß. Der Fuchs in seiner Brust jaulte vor Einsamkeit, ob er es wollte oder nicht. »Ick kein Grissgram, Frow.«

»Lebt wohl.« Sie drehte sich um und steuerte auf eine der Seitengassen zu. Guy atmete durch. Er saß so steif im Sattel, dass der Schwarze einen Schritt vorwärts trippelte. »Frow Miriam!«

Sie verharrte und sah zu ihm zurück.

»Viel Dank for Oil.«

Die Hexe verschwand wortlos im Getümmel der Städter. Guy riss sich los und lenkte Cornelius die Straße hinunter auf das Hämmern und Klopfen der Handwerker, die am neuen Münster bauten, zu. In vielen Städten überboten sich Fürsten und Könige mit der Größe ihrer Kirchen. Gerüste, Seilzüge und Baukräne versperrten die Sicht auf das Bauwerk.

Ein Baumeister übertrug mit einem armlangen Zirkel die Maße eines Bogens auf den Reißboden, damit die Steinmetze eine Vorlage für ihre Arbeit hatten. Die Räder der Händlerkarren knirschten über das Pflaster. Von diesem zentralen Platz aus, fiel es leicht, Gottfrieds Haus wiederzufinden.

Guy polterte gegen die Hoftür und der Knecht ließ ihn ein. »Ritter Gisborne, Willkommen. Vater Gottfried ist im Chor beschäftigt. Geht ruhig in die gute Stube. Die Magd wird Euch bewirten.«

Eine freundliche Geste half ihm zu verstehen, dass er warten musste. Guy nickte dem Burschen zu und trat in das Haus des geistlichen Poeten. Magda brachte Bier und saures Kraut mit Blutwurst. Er ließ es sich schmecken. Das Bier schläferte ihn schließlich ein.

Klappern und Bewegungen im Raum weckten ihn auf. Vater Gottfried gab Magda den Mantel, während der Knecht das heruntergebrannte Feuer im Kamin mit neuen Scheiten entfachte und mit einem Kienspan eine Talgkerze entzündete. Es musste spät geworden sein.

»Gott zum Gruß, Sir Gisborne. Ich habe Euch erwartet. Wo ist Jakob? Es ist ihm hoffentlich nichts Böses widerfahren?« Gottfried hatte in Paris studiert. Er sprach ein ausgezeichnetes Fränkisch und hatte keinerlei Problem das von den auf der Insel lebenden Normannen gebrauchte Franceis zu verstehen. Die Besorgnis um den Knappen kam von Herzen. Die Beiden hatten sich von Anfang an bestens vertragen. Jakob bewunderte den Verseschmied sehr.

»Es geht ihm gut. Ich bringe frohe Kunde. Er hat zugestimmt, mein Knappe zu werden, und wollte zuerst mit seinem Vater Frieden schließen, bevor er mit mir über den Kanal fährt.«

Gottfried ließ sich auf den Stuhl sinken. »Dann hab Ihr ihm also den Kopf verdreht mit Euren Abenteuern! Es ist gut, wenn er zu seiner Familie reist. So kommt er vielleicht noch zu Sinnen. Verzeiht mein offenes Wort, Blut und Kampf verderben einen Feingeist wie ihn. Er ist für Höheres geschaffen.«

»Und doch verteidigt das Schwert die Freiheit des Geistes, des Abendlandes und das Wort Gottes«, konterte Guy, dem diese Unterhaltung nicht schmeckte. »Jakob hat keinen adeligen Vater, der dafür Sorge trägt, dass sein Sohn Bischof wird. Er müsste katzbuckeln und würde dort verkümmern.«

»Mag sein. Doch Ihr unterschätzt ihn. So es Gottes Wort verteidigt, ist es ein gutes und gerechtes Schwert. Bedenkt, Gottes Wort ist zugleich schärfer und gewaltiger als alles in der Welt.« Der Geistliche schien Guy nicht verärgern zu wollen und schnitt ein anderes Thema an. »Ich komme vom Haus des Herrn Riplin. Allerdings muss ich gestehen, nach der abgebrannten Scheune, wage ich es nicht mehr, Euch vorzuschlagen. Es tut mir leid.«

Das hatte er der missratenen Schlange Dieterich zu verdanken. Es bedeutete einen frühen Aufbruch. Er würde es sich selbst mit Gottfrieds Gastfreundschaft nicht leisten können, den Winter über abzuwarten, um Jakob zumindest eine grundlegende Ausbildung ritterlicher Kampftechniken angedeihen zu lassen. »Ihr habt genug geholfen. Dafür schulde ich Euch Dank. Es wäre nicht gerecht, Euch länger zur Last zu fallen. Ich werde mir eine Bleibe suchen, bis mein Knappe aus Augsburg zurückkehrt. Ich erwarte ihn spätestens eine Woche nach Dreikönig.«

Gottfried breitete die Arme aus. »In Gottes Namen, bitte bleibt. Ich wäre froh, wenn ich Jakob sehen könnte, bevor Ihr abreist. Euer Sohn ist mir lieb geworden. Gebt mir die Ehre, hier in meinem bescheidenen Haus auf ihn zu warten.« Der Priester wusste, dass Jakob nicht sein Sohn war. Es handelte sich um einen Scherz, der zugleich an Guys Verantwortung appellierte, dem Jungen den bestmöglichen Lebensweg zu ebnen, und das war, nach Gottfrieds Ansicht, nicht der eines Ritters.

Es rumpelte über ihnen und die Magd öffnete die Luke im Boden der darüber liegenden Schlafkammer, damit Gottfried beim Entkleiden nicht fror. Mit Sicherheit lag nur ein heißer Stein unter der Decke. Guy kannte viele Priester, die zartes Fleisch in jeder Hinsicht schätzten, der Verseschmied hatte sich jedoch dem umstrittenen Zölibat verpflichtet.

»Ich will Euch nicht zur Last fallen.«

»Das tut Ihr nicht. Morgen nach der Messe werde ich beim Erzbischof vorsprechen. Ihr findet einen Zeitvertreib bis zu meiner Rückkehr, schätze ich.« Gottfried gähnte herzhaft. »Verzeiht, ich ziehe mich zurück.«

Der Knecht polterte herein und brachte einen Strohsack, den er vor dem Kamin für Guy ablegte, während sich Gottfried in die Kammer zurückzog. Guy und das Gesinde richteten sich ihre Schlafstätten her und hörten den Geistlichen Gebete murmeln, während sie sich in die Decken wickelten. Die Flammen im Kamin leckten mit kleiner werdenden Zungen um das verkohlte Holz. Er würde sich für einen Monat verdingen müssen. Hoffentlich geriet Jakob nicht in Schwierigkeiten. Vielleicht sollte er ihm doch folgen? Der Rücken schmerzte – nein, er musste sich Ruhe gönnen. Guy räkelte sich in der wohligen Wärme des Raumes. Seine Gedanken schwenkten zu Miriam, die einsam zwischen den Strazpurcern entschwunden war. Hatte sie eine sichere Unterkunft gefunden?

Seine Hand wanderte zu den Schwertern. Das eigene lag offen über dem zusammengeschnürten Bündel. Löwenherz würde nicht schlecht staunen, wenn er ihm diese mächtige Waffe wiederbrachte. Andererseits fragte er sich, ob der englische König es verdient hatte, nachdem er das sagenhafte Schwert sorglos an den sizilischen König Tankred verschenkt hatte.

Tankred hatte das Königreich kein Jahr später mitsamt dem Leben verloren. Seine Frau, deren Töchter und den jungen Wilhelm hatte der Kaiser an unterschiedlichen Orten diesseits der Rätischen Berge festhalten lassen. Guy hatte sein Bestes gegeben, den Kindkönig zur Mutter zu bringen und dabei schmählich versagt. Er würde das blasse, augenlose Gesicht nie mehr vergessen. Eine Handvoll Menschen wussten von der Flucht, die bei Basel ihr Ende gefunden hatte. Guy verdrängte den einen finsteren Gedanken, um sich einem anderen zu widmen.

Sein ehemaliger Lord, Prinz John, lebte zur Zeit auf dem Kontinent. Vielleicht sollte er Excalibur ihm überbringen? Es würde ihm vielleicht helfen, endlich gegen den polternden und großspurigen Bruder zu bestehen. Guy seufzte. Der Glaube daran hatte ihn verlassen. John hatte keine Gelegenheit genutzt, aus dem Schatten des Älteren herauszutreten. Sein Beiname Lackland gab Aufschluss, wie ernst ihn die Welt nahm.

Guy hatte ihn geliebt wie einen Bruder, doch im Kreise der Plantagenets wurde man schnell Opfer ihrer Machenschaften und, wenn nötig, verraten und verkauft. Nein, er würde John nicht verzeihen. Lieber erkaufte er sich mit dem Schwert bei dessen, von ihm verabscheuten Bruder das Recht, die Heimat wiederzusehen.

Den richtigen Weg zu beschreiten, war keinesfalls so banal, wie die Priester predigten. Die Kreuzungen des Lebens glichen Radnaben mit einer Vielzahl an Speichen.

 

 

Am Tag der heiligen Lucia lag Jakob hinter dem Reiseplan zurück. Die Torwächter von Geppingin kontrollierten die Taschen, weshalb er den Markt erst erreichte, als die meisten Händler ihre Waren einpackten. Es war kalt und erneuter Schneefall überdeckte die Abfälle in den Straßen, die von Schweinen, Hunden und Bettlern nach Essbarem durchwühlt wurden. Es wimmelte von Pferden und Bewaffneten. Die ganze Stadt schien auf den Beinen zu sein, was nur bedeuten konnte, dass etwas Interessantes vor sich ging. Die Städter tratschten über den Herzog von Schwaben und seine Frau Irene von Byzanz, die auf der Burg Staufen residierten und, was man so hörte, nach Speyer reisen wollten. Der Tod des Kaisers hatte eine Lücke hinterlassen, die derzeit nicht zu füllen war. Rechtsunsicherheiten traten auf, die mitunter den kleinsten Bauern betrafen. Die Menschen trauerten um ihren Herrscher, doch noch mehr erfüllte sie die Sorge um ihre Zukunft.

Philipp von Schwabens Mission, den kleinen Friedrich von Messina nach Aachen zu begleiten, um ihn zum König krönen zu lassen, war durch den überraschenden Tod des Kaisers gescheitert. Die Frau des Kaisers, Constance von Sizilien, hatte mit dem Kind um päpstlichen Schutz ersucht und der Papst dem Schwaben die Herausgabe des Neffen verweigert. Damit stand das Königreich Sizilien unter päpstlichem Einfluss und es zurückzuerobern, lag außerhalb aller Möglichkeiten.

Jakob schätzte sich glücklich, diesem Wirrwarr zu entrinnen. Sie hatten Excalibur zur richtigen Zeit entdeckt. Er erinnerte sich an Wilhelm von Sizilien, der den Kampf um das Königreich mit Qualen und Tod bezahlt hatte. Mochte Friedrich ein gnädigeres Schicksal ereilen. So hielten es die Mächtigen: Wer den Erben kontrollierte, verschaffte sich entscheidende Vorteile, weshalb niemand sagen konnte, wie es mit dem Kaiserreich weitergehen würde.

Jakob erstand ein Brot, verschlang es hastig und entschied, da die Glocken zur Messe läuteten, der Traube aus Städtern in die Basilika zu folgen. Auf der Suche nach einem Platz, an dem er sein Pferd lassen konnte, entdeckte er die fürstlichen Rösser in einer der Seitenstraßen neben der Kirche. Er band den Grauen an einen Ring der Kirchenmauer. Dort schien es ihm sicher zu sein. Ein Pferdedieb würde sich nicht in diese Gasse trauen, solange die Knechte der Herrschaft Wache hielten.

Zu Jakobs Enttäuschung entdeckte er in der Menge der Schaulustigen nichts außer die Spieße von Philipps Gefolgsmännern, die den Pöbel zur Seite drängten. Die Tore des Gotteshauses blieben offen. Bald steckten alle wie Stockfisch in der Masse, ohne sich weiter bewegen zu können. Von der Predigt drang kaum ein Wort durch. Leib an Leib gepresst, schoben sie sich durch das Kirchenschiff, Kinder schrien, Frauen sanken in Ohnmacht und mussten gestützt werden, bis sich die ersten zum Aufbruch entschlossen.

Froh darüber, wieder frei atmen zu können, kehrte Jakob zu seinem Grauen zurück und schnürte das Gepäck hinter den Sattel. Wenn derartiger Trubel in der Stadt herrschte, ließ sich schwer eine Unterkunft finden. Es wäre sicher besser, auf einem der Dörfer Richtung Hulm zu suchen. Ein paar Stunden Tageslicht blieben noch.

»He, du da! Bursche! Was machst du dir am Pferd des Herzogs zu schaffen?« Einer der Bewaffneten schritt auf ihn zu. Jakob wich zurück und glaubte im ersten Augenblick, das Pferd verwechselt zu haben. Er besah es sich genauer. Das war sein Grauer mit dem passenden Sattel. »Das ist kein Pferd des Herzogs. Sieht man das nicht?«, verteidigte er sich und steckte einen Fuß in den Steigbügel. Der Mann ließ das Schwertblatt blitzen. »Lüg mich nicht an, du Lump!«

Jakob stolperte rückwärts und fiel gegen die Mauer, die ihn davon abhielt, sich auf den Hintern zu setzen. »Bevor Ihr Euch in weitere Beleidigungen versteigt, solltet Ihr meinen Namen kennen. Ich bin Jakobus Grabendorfer aus Augsburg. Ein Schreiber auf dem Weg in die Heimat. Ich bin kein Dieb!«

Die Erwähnung des harmlosen Berufes sollte den Ritter beruhigen. Jakob schielte auf das gezogene Schwert. Es schwebte, drohend vor seinem Gesicht. »Darf ich fragen, wie man Euch nennt, werter Herr? Es steht ja außer Frage, wessen Leib und Leben Ihr schützt.« Höflichkeit schadete nie.

Jakob löste sich von der Wand und wischte sich demonstrativ Schmutz von der Kleidung. Er musste sein Auftreten für sich sprechen lassen. Wer im Umgang mit einem hohen Herrn winselte, wurde wie ein Hund getreten. Das war die Lektion, die er aus Gisbornes Händel mit einem Vogt gelernt hatte, der sie von oben herab behandelt hatte und am Ende zuvorkommend wie eine alte Amme geworden war.

Das Kettenhemd des noblen Herrn rasselte, als er sich einen halben Schritt zurückzog, um sein Gegenüber erneut einzuschätzen. »Ein Schreiber, der ein solches Schwert trägt?«

»Ich bekam es zum Dank, weil ich das Leben des Ritters gerettet habe, dem ich diene, Herr …« Jakob sprach das letzte Wort gedehnt, um daran zu erinnern, dass er auf den Namen wartete. Es tötete sich weniger einfach, wenn man einander kannte. Er suchte nach Zuspruch unter den Umstehenden. Ein Priester mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze rührte keinen Finger, den Streit mit ein paar frommen Worten zu schlichten. Jakob hätte über jede Art von Beistand frohlockt.

»Ein unbotmäßiges Geschenk für einen Schreiber. Mir scheint, Ihr habt nicht das Alter für einen gelehrten Reisenden. Mehr das eines rotzigen Gauners.«

»Hildwein! Wie lange soll deine Herrin noch auf ihre Sänfte warten?«

Der Ritter drückte den Rücken durch und richtete sich auf. Er drehte sich um und verneigte sich ehrerbietig. »Verzeiht die Verzögerung, Euer Durchlaucht. Dieser Kerl hier hat sich unerlaubt unter unsere Männer gemischt. Er scheint mir ein zwielichtiger Bursche zu sein.«

Jakobs Blick fiel auf einen gutgenährten Herrn, mit ebenmäßiger Nase und ebensolchem Gesicht. Gekleidet war der Herzog in feinste Tuche venezianischen Stils und einen langen Pelzmantel. Er führte seine Gemahlin an der Hand. Irene war eine Prinzessin byzantinischer Herkunft. Trotz ihrer dunklen Haare wirkte sie enttäuschend gewöhnlich, obwohl man ihr nicht eine gewisse Schönheit absprechen konnte, die von ihren braunen Augen herrührte. Ihr Goldgeschmeide zeugte von der hohen Qualität byzantinischer Goldschmiedekunst.

Offenbar hatte Gott den Bund gesegnet, denn die Herzogin trug eine Leibesfrucht. Er beugte rasch das Knie. »Jakobus Grabendorfer aus Augsburg. Verzeiht, das ist ein Missverständnis. Ich hegte nur die Hoffnung, dass mein Grauer hier in der Gegenwart Eurer Männer sicher aufgehoben sei, Eure Hoheit.« Jakob sprach Latein. Es war allgemein bekannt, dass Philipp von Schwaben ursprünglich eine geistliche Karriere einschlagen sollte und, ähnlich wie Jakob, lange Zeit in einer Klosterschule verbracht hatte. Die Gelehrtensprache würde unterstreichen, dass Jakob trotz seiner ärmlichen Kleidung nicht zum Gesindel dieser Welt zählte.

Hildwein trat einen weiteren Schritt zurück, ohne jedoch seine Waffe wegzustecken. »Er trägt ein Schwert, und seht Euch nur die Kleider an. Das passt nicht zu seiner Behauptung, ein Schreiber zu sein, mein Herzog. Wo ist sein Talar?«

Der Baron stierte auf Jakob herab.

»Erhebt Euch, Jakobus. Es ist nicht üblich, dass meine Männer auf fremde Pferde achten sollen. Mir scheint, mein guter Ritter von Aue hat recht, Euer Aufzug ist unpassend. Warum also tragt Ihr ein Schwert?« Der Bruder des jüngst verstorbenen Kaisers musterte Jakob mehr neugierig als verärgert.

Unter diesem Blick färbten sich seine Wangen rot. »Wir leben in unruhigen Zeiten, wie Ihr wisst. Ich bin ein freier Bürger meiner Stadt. Mein Ritter gab es mir zum Schutz, durchlauchtige Hoheit.«

»Euer Ritter hat Bedarf an einem Schreiber? Wie heißt er?« Der Gleichmut des Herzogs von Schwaben wankte. Falten zogen sich zwischen seinen Augen zusammen.

»Ihr werdet ihn nicht kennen. Er ist Normanne.« Das war eine schwache Aussage und Jakob wusste es. Er wollte nicht auf das Lügengespinst zurückgreifen, das Guy of Gisborne gerne spann.

Der Herzog hob eine Augenbraue auf ähnliche Weise, wie Hildwein sein Schwert. Das ließ Jakob keine Wahl.

»Schwert und Pferd wurden mir von Sir Guy gegeben.«

Das allein stimmte die Herren nicht milder. »Er war auf dem Weg nach Messina, um sich dem Kreuzzug Eures Bruders, des Kaisers anzuschließen.« Die Angst legte ihm Worte in den Mund. Er wollte weg, um jeden Preis. Er log, dass sich die Balken bogen. »Dessen plötzlicher Tod und der Verlust eines Teils seiner Habseligkeiten hielten ihn auf.«

»Ein Parteigänger Löwenherzens? Wieso sollte er sich dem Kaiser anschließen?«, fauchte der Ritter aufgebracht.

»Nein! Er ist nicht Teil einer Partei! Er plant keinerlei Einmischung in die Angelegenheiten des Reiches. Ich schwöre bei Gott, dass ich lediglich meinen Vater in Augsburg besuchen möchte. Die Weihnacht naht. Ich wollte ihn sehen, bevor …«

»Bevor was, du Hund?« Hildwein setzte zu einem Schlag an.

»Von Aue!« Philipp hob die Hand, um dem Gefolgsmann Einhalt zu gebieten. Träger setzten eine Sänfte ab. Der Herzog half seiner Gemahlin einzusteigen. »Wir würdigen die Absicht eines wackeren Ritters, sich dem Kreuz zu verpflichten. Noch dazu, wenn jemand einen so weiten Weg auf sich genommen hat. Warum ist er nach des Kaisers Tod nicht umgekehrt? Er wird doch wohl Verpflichtungen gegenüber seinem Lehnsherren haben. Wo lässt er sich finden? Ist er in der Stadt?«

Die Träger hoben die Sänfte auf und trugen die Herzogin, gefolgt von ihrer Begleitung weg. Jakob schwitzte aus allen Poren. »Wir wurden überfallen. Die Verletzungen haben ihn gezwungen, eine Pause einzulegen.«

»Das ist bedauerlich. Wäre er hier, würde ich ihm die Gastfreundschaft meines Hauses anbieten. Hat man die Übeltäter gefangen?«

Ein Bursche brachte das Pferd der herzoglichen Hoheit, das er mit Hilfe eines Schemels bestieg. Die meisten Ritter schwangen sich ebenfalls in den Sattel.

»Es gelang meinem Herrn, einen Angreifer niederzustrecken. Ein anderer floh vor den Ministerialen des Kaisers«, erklärte Jakob, dessen Unsicherheit wuchs. Es fehlte nicht viel und er stotterte.

»Lasst den Burschen laufen, Herr von Aue!«, befahl Philipp nach einem letzten Blick. »Seine schmächtigen Schreiberlingsschultern wirken nicht bedrohlich auf mich.« Die Ritter auf den Pferden lachten.

»Sehr wohl, Eure Hoheit.« Von Aue neigte mit grimmiger Miene das Haupt. Der restliche Tross bestieg die Rösser. Hildwein verharrte. »Ich warne dich Bürschchen. Falls ich dich noch einmal beim Spionieren erwische, verlierst du deinen Kopf.« Er drehte sich brüsk um und folgte den abziehenden Reitern.

Spionieren? »Wieso sollte ich dem Herzog schaden wollen?«, schrie Jakob hinter dem Ritter her. Kaum hatte ihn die Angst verlassen, obsiegte die Wut über diese dummen Anschuldigungen. Er blieb mit klopfendem Herzen zurück. Da hatte er eine Antwort auf die Frage, warum Guy es vorzog, nicht die Gesellschaft seines Standes zu pflegen. Es brachte Ärger ein. Jakob band das Kurzschwert an den Sattel. Wäre er bereits ein Ritter, hätten sie es nicht gewagt, ihn derart zu belästigen.

 

 

»Was für ein seltsamer Kerl.« Der Schattenmann erwartete Hildwein am Anfang der Gasse, die zum Stadttor führte und brachte sein Pferd in Gleichschritt zu von Aues. »Ihr habt ein scharfes Auge für Unrat.«

Der Baron verzog angewidert das Gesicht. »Der Kerl dient einem Normannen und glaubt, sich einfach so unter unseren Tross mischen zu können. Alles Bastarde, ich sag’ es Euch.«

»Das klingt, als würdet Ihr ihn wirklich verdächtigen, herumzuschnüffeln.«

»Was sollte er sonst hier machen?« Hildwein ballte die Fäuste. Er sah zurück zur Kirche und in den Augen glühte der Hass. »Der Kaiser hätte den Löwenherz niemals laufen lassen sollen. Nicht für alles Silber der Welt.«

Ein tief sitzender und persönlicher Schmerz zeichnete sich ab. Der Schatten beschloss, das eiternde Geschwür in der Seele des Mannes zu reizen. »Der Herzog ist ein nachsichtiger Mann. Er hat es auf sich genommen, die Krone seines Neffen zu verteidigen. Das ist edel, ohne jede Frage.« Er pausierte kurz. »Aber wenn es um Scharfsinnigkeit geht, täte er gut daran, auf Euren Rat zu hören, Herr von Aue.«

»Wem sagt Ihr das!«, knurrte Hildwein. »Mein Oheim führte unter Graf Leopold eine Lanze an. Sie haben bei Akkon gekämpft wie alle anderen, und was macht der Löwenherz? Pisst auf die Fahne. Zur Hölle mit ihm! In der Nacht haben sie meinen Onkel erschlagen und wenn ich sie sage, so meine ich die gottlosen Anhänger des Löwenherz.«

»Mein Beileid für Euren Verlust. Konntet Ihr es beweisen und die Kerle zur Rechenschaft ziehen?« Wie leicht sich der Unmut des Mannes schüren ließ.

Der teutsche Ritter antwortete mit einem bitteren Lachen.

Der Schattenmann drückte mit jeder Faser seines Leibes Mitgefühl aus. »Ganz schön hinterhältig! Wäre dieser Bursche schon ein ganzer Mann gewesen, wäre es Euch sicher gelungen, Euren Fürsten von dessen Schändlichkeit zu überzeugen. So kommt das Kerlchen ungestraft davon und Ihr erleidet den gleichen Schmerz, die gleiche Schmach wie damals Euer Onkel. Wenn man doch nur etwas tun könnte? Allerdings steht dieser Knilch weit unter Eurer Würde. Ein einfacher Bursche. Er wäre Eurer Klinge nicht wert gewesen.«

»Wahr gesprochen!« Selbstgefälligkeit eroberte Hildweins Gesichtsausdruck, bevor ihn erneut Unzufriedenheit befiel. Der Ritter verfiel ins Grübeln.

»Es wäre natürlich besser, in der Sache sicherzugehen. Aber das gute Herz des Herzogs … es ist ihm nicht zu verdenken. Er sollte schließlich Bischof werden. Da kann er in Fragen der Sicherheit nicht so weitsichtig sein.«

Hildwein erwiderte nichts. Sein Blick schien auf die wippende Mähne des Pferdes gerichtet, streunte jedoch in weiter Ferne. Der Schattenmann gab sich geschwätzig. »So wie Herzog Philipp sich für seinen Neffen einsetzt, so werden andere sich für ihn einsetzen müssen. Ich bin mir nicht sicher, ob er weiß, welchen getreuen Freund er in Euch hat. Noch nicht – aber das wird er schon. Wenn Eure Taten für Euch sprechen, kann er das nicht ignorieren.«

Seiner Erfahrung nach, filterten sich Menschen aus dem Gesagten das heraus, was in ihre Gedankenwelt passte. »Eine meiner Großmütter wurde von einem Normannen geschändet, Herr Ritter. Ihr könnt mir glauben, welche Belastung das für unsere Familie darstellte.«

Diese Geschichte beförderte Hildweins Argwohn. Er sah aus, wie ein Mann, der einen Entschluss gefasst hatte. »Entschuldigt mich, mein Bester.« Der Ritter gab dem Pferd die Sporen und trabte davon.

Der Schattenmann sog tief Luft in die Lungen, seufzte und ein zufriedenes Lächeln schenkte den fahlen Wangen einen Hauch Lebendigkeit. »Es freut mich behilflich gewesen zu sein.«