Der Ochsenkrieg: Historischer Roman - Ludwig Ganghofer - E-Book

Der Ochsenkrieg: Historischer Roman E-Book

Ludwig Ganghofer

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Beschreibung

In Ludwig Ganghofers historischem Roman 'Der Ochsenkrieg' wird die dramatische Geschichte eines Dorfes in den bayerischen Alpen während des 17. Jahrhunderts erzählt. Ganghofer's literarischer Stil ist geprägt von detaillierten Beschreibungen der Landschaft und der Charaktere, die seinen Roman zu einem lebendigen und fesselnden Leseerlebnis machen. Der Autor schafft es, historische Ereignisse mit fiktiven Elementen zu verweben, um ein authentisches Bild dieser Zeit zu zeichnen. 'Der Ochsenkrieg' ist ein bemerkenswertes Werk, das sowohl Liebhaber historischer Romane als auch Fans von Ganghofers Werken begeistern wird.

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Ludwig Ganghofer

Der Ochsenkrieg: Historischer Roman

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Inhaltsverzeichnis

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Zweiter Band
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Inhaltsverzeichnis

Er nahm den Zügel straffer und versetzte dem schnaubenden Gaul einen Hieb mit der Reitpeitsche. Das Tier zuckte zusammen, bewegte aber keinen Huf, stierte mit vorgequollenen Augen auf die grauen Tümpel des Sumpfbodens und fing zu zittern an.

Dem jungen Reiter brannte der Zorn im Gesicht. Wieder hob er die Peitsche. Doch er schlug nicht, ließ die Gerte sinken und schob sie hinter den Ledergürtel. Während er unter beruhigendem Zureden dem Pferde den Hals tätschelte, sah er prüfend an dem Tier hinunter.

Der schlanke Pongauer Rappe hatte ein reichlich Teil seiner glänzenden Schwärze eingebüßt. Die Beine waren bis an den Bauch herauf in das Grau des zähen Schlammes gewickelt, durch den der Weg des Tieres gegangen war.

Die Hand auf die Kuppe des Pferdes stützend, sah der Reiter hinter sich. Zwischen Moosbüscheln konnte er auf eine weite Strecke, bis hinüber zum Waldsaum, die Spuren seines Rittes gewahren, diese tiefen, schon mit Wasser vollgelaufenen Stapfen des Pferdes. Die fernsten dieser kreisrunden Wasserlöcher glänzten in der späten Sonne des Sommertages wie blanke Goldstücke.

Umkehren? Der Reiter schüttelte den Kopf. Er guckte über die unruhig bewegten Ohren des Pferdes hinüber. Da vorne war der Boden nicht besser als da hinten. Aber nur vierzig, fünfzig feste Sprünge müßte der Pongauer machen, dann wäre der gute, grüne Almboden da! Und wie zum Hohn für den ratlosen Reiter schritt da drüben das Weidevieh gemütlich umher: junge, blökende Kalben, Kühe mit schwer schlenkernden Eutern, mächtige Ochsen mit blechig rasselnden Glocken. Der diese heiseren Schellen gehämmert hatte, das war kein guter Glockenschmied.

Der Reiter machte einen gütlichen Versuch, das Pferd in Gang zu bringen. Doch der Pongauer zitterte und wollte die tragende Insel, die er nach seinem grauenvollen Einsinken gefunden hatte, nicht verlassen. Sie war so klein, daß der Gaul keinen Schritt nach vorne oder rückwärts machen konnte, ohne in dieses linde Grau zu treten, das keinen Boden hatte.

»Moorle«, sagte der Reiter, während er das Pferd an der dicken Mähne zauste, »da wird nichts helfen! Hinüber müssen wir! Oder im Dreck das Jüngste Gericht erwarten!«

Langsam gab er dem Pferd die Eisen, immer schärfer. Der Pongauer keuchte. Doch er stand, als wären seine Beine in Stahl verwandelt.

»In Herrgotts Namen, so tu noch rasten, ich will geduldig sein!«

Der junge Reiter besah sich die Gegend. Hinter ihm lag der stille Waldberg, über den er von der Berchtesgadener Grenzwach am Hallturm herübergeritten war – ein Ritt, so herrlich wie töricht. Aber das ist so: Alles Schönste des Lebens braucht immer als Vater den Leichtsinn, den man schelten möchte.

Und vor ihm, in der Ferne da drüben, stiegen die blauen Bergriesen auf, die Mühlsturzhörner, der Hochkalter und der Steinberg. Da mußte in dem sonnendunstigen Tal dort draußen der Hintersee liegen.

Und gleich da drunten, wo sich die lange Waldschlucht gegen halbversteckte Felder weitete, blitzte eine große, weiße Wassersichel, von Röhricht umstanden. Der Taubensee? Dann mußte der böse Boden, auf den er da geraten war, das verrufene Hängmoos sein, auf das sich die Berchtesgadener Herren bei ihren Pirschgängen nicht gerne verirrten.

Verrufen? Und da drüben lag die schönste Weide, die eine Herde von Kühen und Ochsen nährte! Und aus einer Grasmulde des tieferen Almgehänges stieg wie ein feiner, blauer Strich der Rauch eines Herdfeuers zum Himmel auf.

Mit klingender Stimme schrie der Reiter nach dem Hirten. So ein Viehhirt kennt doch die Wege im Sumpf, wie Gott das Gute kennt im Herzen eines schlechten Menschen.

Doch niemand antwortete. Und hinter den westlichen Bergen ging schon die Sonne hinunter.

»Moorle! Jetzt müssen wir vorwärts.«

Der Pongauer war anderer Meinung. Kein Zureden, kein Zorn, kein Eisen, keine Peitsche half. Da gab es keinen andern Rat mehr als absteigen und das Moorle führen.

Der Reiter tappte gleich beim ersten Schritt hinunter bis übers Knie; mit Widerstreben gehorchte das Pferd der ungeduldigen Kraft, die den Zügel straffte; unsicher trat es über den Moosbuckel hinaus, versank bis an die Gurten, schlug verzweifelt mit den Hufen, machte kehrt und kletterte, den am Zügel hängenden Menschen hinter sich herreißend, wieder empor auf die tragende Insel. Und der Reiter, bis an die Hüften mit Schlamm behangen, schwang sich in den Sattel, um von der Unruhe des Pferdes nicht in den Sumpf gestoßen zu werden. Während der Pongauer heftig zitterte, drehte er den Kopf mit einem Blick, der zu fragen schien: »Wer war jetzt der Klügere von uns beiden?« Dann schüttelte sich der Gaul, daß die abgeschleuderten Schlammflocken weit hinausflogen über das sumpfige Gehäng.

Irgendwo ein Lachen.

Der junge Reiter drehte flink das Gesicht. Oberhalb des Bruchbodens sah er zwischen dicken Wacholderbüschen einen roten Fleck – zu groß für eine Blume. Da drüben hockte wohl die Hirtin? Und die saß wohl schon lange da und guckte zu? Und lachte?

In Zorn wollte der junge Reiter da hinüberschreien. Aber da klang bei den Wacholderbüschen eine Stimme: »Tu warten, Mensch! Ich komm.« Eine kräftige Stimme war's – gleich dem Laut eines halbwüchsigen Buben, der noch immer auf dem Kirchenchor den Engel singt, aber schon mannen will.

Leichtfüßig kam die Hirtin über den Sumpf herüber, von einem Moosbuckel zum andern springend. Die mußte fest und gesund sein! Sie bewegte sich, wie frohe Menschen tun. Die Füße waren nackt. Ein grauer Zwilchkittel hing bis zu den halben Waden hin. Sie trug kein Wams, kein Mieder; über dem groben Hemde war nur mit Lederriemen und kleinen Hirschhornknebeln ein roter Tuchstreifen um die Brüste geschnürt, die leise zitterten, so oft das Mädchen von einem Moosbuckel zum nächsten hinübersprang. Das straff gezopfte Schwarzhaar lag wie eine dicke, schwere Haube um das strenge, sonnverbrannte Gesicht, in dem die blauen, wunderlich ruhigen Augen sich ansahen wie verläßliche Sterne.

»Beim Wald da drüben«, sagte sie mit ihrer herben Knabenstimme, »wo der Weg ausgeht, da hättest umwegs gegen den Berg hin müssen. Der grade Weg ist nit allweil der beste.« Sie sprach so bedächtig, wie kluge Menschen reden, die schon in Jahren sind.

Er sah sie schweigend an und dachte: ›Tut wie ein Altes und ist ein paar Jährlein über die Zwanzig!‹

Sie hatte den letzten Moosbuckel erreicht, blieb mit dem einen Fuße drüben und stellte den andern auf des Pongauers Insel neben den Huf des Pferdes hin.

Da fragte der Reiter: »Bist du die Hirtin auf dem Hängmoos?«

Sie gab keine Antwort. Ihre geschickten Hände lösten flink eine Schnalle des Riemenwerkes und streiften das Zaumzeug über den Kopf des Pferdes herunter. Mit Tieren verstand sie umzugehen. Moorle wurde ruhig, sobald er diese Hände spürte, und drehte schnuppernd die Schnauze gegen die Hirtin hin. Sie zog dem Reiter den Zügel fort, den er noch immer festhielt, hängte das Zaum werk über die Schulter und sagte: »Absteigen mußt! Lang hab ich nit Zeit. Vor Nacht muß ich meine siebzehn Küh noch melken.«

Der kühle Bergschatten wanderte schon über das Sumpfland hinaus, und im Tale draußen bohrten sich die schwarzblauen Schattenkegel immer tiefer in den gelben Sonnenduft.

»Absteigen? Und der Gaul?«

»Ohne Bürd hat er's leichter, als wenn er tragen muß.«

Während der Reiter auf der ändern Seite des Pferdes aus dem Sattel glitt – ein bißchen vorsichtig – zerrte die Hirtin rasch die Schnallen des Gurtes los und nahm den Sattel auf ihren Nacken.

»Nein, du! Den laß mich tragen!«

»Du wirst Augen und Hand für den Weg brauchen.« Sie wandte sich und machte wieder diese raschen, sicheren Sprünge über die grünen Mooskissen im Schlamm.

Ein bißchen lachend, schlüpfte der Reiter unter dem Bauch des Pferdes durch, wobei sein grünes Hirschlederwams über den Rücken hin eine Färbung ins Graue bekam. Nur an der Brust dieses Wamses und auf der Oberseite der mit violettem Tuch geflügelten Ärmel blieb noch schöne Farbe. Alles andre – die gelb gestülpten Reitschuhe mit den Stachelsporen, die violetten Strumpfhosen und der Ledergurt mit dem Wehrgehenk – alles war grau geworden. Diese Graumannsfärbung wurde auf dem weiteren Wege noch befördert. Die Hirtin hatte richtig prophezeit: Nicht nur die Augen, auch die Hände wurden ihm nötig. Bald lachte er, bald schalt er wieder, wenn er bei einem Sprung daneben trat, und immer warf er einen Blick nach der Hirtin, wie in Sorge, ihr spottendes Lachen hören zu müssen. Aber sie wandte keinen Blick nach ihm, sie sprang und sprang, wobei die Eisenbügel des Sattels leise klirrten, und kümmerte sich nimmer um den Weglosen, den zu führen sie gekommen war.

Moorle, auf seiner kleinen Insel, betrachtete diesen Vorgang mit wachsendem Erstaunen. Er streckte den Hals und wurde ungeduldig. Und als er die Hirtin neben seinem Herrn, der das schlanke Mädchen noch um einen halben Kopf überragte, auf den schönen, grünen Almboden treten sah, stieß er ein Gewieher aus und machte einen verzweifelten Sprung. Bis an die Schultern versank er, schlug und arbeitete, kam in die Höhe, tauchte wieder hinunter, fand eine hilfreiche Insel, zögerte und ließ sein Wiehern klingen, hörte den sorgenvollen Lockruf seines Herrn und machte rasende Sprünge. Und als der Rappe den sicheren Almboden erreichte, bis über den Hals herauf in einen Eisenschimmel verwandelt, begann er wie in bewußter Rettungsfreude ein so irrsinniges Umhertollen, daß die Kühe, Kalben und Ochsen vor Schreck mit gehobenen Schwänzen unter rasselndem Schellenklang davonrannten. Moorles junger Herr begann bei diesem Bilde heiter zu lachen. Auch den strengen Mund der Hirtin kräuselte ein Lächeln. Die Kühe, die vor dem lebensfreudigen Moorle Angst bekamen, liefen ihr zu, und während sie den Weg zur Hütte nahm, war die halbe Herde des Almfeldes um sie herum, ein dicker Kranz von fetten Rücken und gehörnten Wackelköpfen.

Da tauchte hinter einem Steinhügel eine kleine, verkrüppelte Menschengestalt auf. Ein Knabe? Oder ein Greis? Das Gesicht war blaß und runzlig, aber die Augen waren jung – es waren die gleichen blauen Augen, wie sie in dem strengen, sonnverbrannten Gesicht der Hirtin glänzten. Arme und Beine waren mager und kurz, der von schwarzen Haarsträhnen umhangene Kopf saß tief zwischen hohen Schultern, und der Rücken war zu einer häßlichen Krümmung entstellt. Doch dieser Krüppel war besser gekleidet, als sich die Bauernsöhne in den Tälern da drunten zu tragen pflegten; fast sah er aus wie ein verzärteltes Herrenkind, das man durch schmuckes Gewand für die Mißgestalt seiner Glieder entschädigen wollte. In der einen Hand hielt er ein kurzes, gebogenes Messer, in der andern ein Stück weißen Lindenholzes, aus dem eine fliegende Schwalbe halb herausgeschnitten war.

Die Hirtin ging mit dem Sattel auf eine hölzerne Hütte zu und machte dem Krüppel, der sich hinter einem Felsblock verbergen wollte, rasche Zeichen mit der Hand. Er schien zu verstehen, schien ruhiger zu werden, nickte, sah hinüber, wo der Fremde stand, und schnitt von dem Lindenholz einen Span herunter. Dann legte er Holz und Messer auf einen Fels, näherte sich mit gaukelndem Säbelgang dem fremden Jüngling und begann, ihm, ohne ein Wort zu sagen, mit der Spankante den grauen Schlamm von den Kleidern herunterzuschaben.

Der Fremde ließ sich das eine Weile lachend gefallen. Dann fragte er: »Wer bist du?« Und weil er keine Antwort bekam, faßte er den Krüppel an der Schulter. »Du! Red doch ein Wort! Wer bist du?«

Das Gesicht erhebend, lallte der Krüppel mit schwerer Zunge ein paar sinnlose Laute und machte mit dem graugewordenen Span ein Zeichen gegen Mund und Ohr. Dann fing er wieder zu schaben an.

Ein Taubstummer?

Schweigend betrachtete der Fremde den kleinen, fleißigen Kobold, und weil er an ihm diese blauen Augen sah, wandte er in fragendem Verwundern das Gesicht zur Hütte hinüber.

Da drüben stand die Hirtin und reinigte am Brunnentrog den Sattel und das Riemenzeug. Dann ging sie auf den grasenden Moorle zu, streckte die Hand und lockte mit leisen Lauten. Das Pferd streckte den Hals und schnupperte, ließ sich an der Mähne fassen, folgte der Hirtin willig zum Brunnentrog und hielt verständig unter den Wassergüssen aus, mit denen ihm die Hirtin den Schlamm von Leib und Gliedern spülte. Und ließ sich trocknen mit einem Tuche, ließ sich satteln und zäumen.

Die Hirtin schien die Tiere lieb zu haben, auch dieses fremde. Unter leisem Schwatzen faßte sie den Moorle an der Schnauze, und in ihrem stillen, strengen Gesicht erwachte eine warme Herzlichkeit, während sie dem Pferd die Nüstern streichelte und ihm die Büschel des dicken Stirnhaars aus den Augen strich. Dann hängte sie die Zügel über den Brunnenstock, gab dem Pferd einen leichten, zärtlichen Schlag auf den schwarzglänzenden Hals und trat in die Hütte.

Moorle sah der Hirtin nach und wieherte.

Sie kam aus der Türe, zwischen den Händen eine hölzerne Schale, die mit Milch gefüllt war, und ging zu der Stelle hinüber, wo der Fremde sich schaben ließ. Bei seinem Anblick mußte sie ein bißchen schmunzeln. Aber dieses leichte Gekräusel ihrer Lippen war schon wieder verschwunden, als sie die Milchschale auf eine Steinplatte stellte mit den Worten: »Wenn dich dürsten tat?« Sie deutete gegen das Waldtal hinunter. »Dort geht der Karrenweg. Da kannst du nimmer fehlen. Jetzt muß ich zur Arbeit. Gottes Gruß!«

Sie wollte gehen.

»Du!« sagte er mit raschem Laut.

Ruhig wandte sie das Gesicht.

»Laß dir Vergeltsgott sagen für alle Treuung an mir und meinem Gaul.«

»Ist gern geschehen. In der Einöd müssen die Leut einander helfen. Wo viel beinander sind, müßten sie's auch. Aber da tun sie's nit. Und keifen und beißen wie die hungrigen Hund bei der Schüssel.«

Er sah sie mit wachsendem Staunen an. Diese seltsamen Worte! Aus dem Mund einer Zweiundzwanzigjährigen! Aber es war in diesen Worten weder Groll noch Bitterkeit. Ganz ruhig hatte sie das gesagt. Und wieder, weil sie gehen wollte, rief er hastig: »Du!« Er hätte gern noch geschwatzt mit ihr. In diese blauen, ruhigen Augen war ein gutes Schauen.

Sie lächelte ein wenig. »Jetzt muß ich schaffen.«

»Da muß ich dich gehen lassen, freilich. Man war bei dir gut aufgehoben. Der arme, kranke Bub da, der ist wohl bei dir in Pfleg?«

Die Hirtin schüttelte den Kopf, während sie mit einem Blick voll heißer Liebe an dem Krüppel hing. »Das ist mein Bruder.« Dann ging sie davon.

Er blickte auf den eifrig schabenden Krüppel hinunter und sah der Hirtin nach. Wie ist das möglich? Daß aus dem Schoß der gleichen Mutter solch eine Mißform ins Leben fallen kann? Und solch ein festes, helles und aufrechtes Menschenkind?

Freundlich fuhr seine Hand über das Schwarzhaar des Krüppels hin. Er schob den Buben, der noch immer zu schaben hatte, von sich fort und ging, mit einem violetten und einem grauen Bein, zu der hölzernen Milchschale hinüber, tat den Trunk eines Durstigen und legte eine Silbermünze neben die Schale. Der Krüppel lallte einen zornigen Laut, griff nach der Münze, schob sie in die Gürteltasche des Fremden und säbelte mit den kurzen Beinen zu dem Stein hinüber, auf dem sein Messer neben der geschnitzten Schwalbe lag.

»Guck nur, wie stolz!« Es war wie Ärger in diesen Worten. Das lange, lichte Braunhaar aus dem erhitzten Gesicht schüttelnd, schritt der Fremde zum Brunnen hinüber und stieg in den Sattel. Moorle benahm sich ein bißchen ungebärdig, mußte aber flink dieser kräftigen Faust und dem Druck dieser festen Schenkel gehorchen.

Bei der Hütte bückte sich der Reiter, um durch die Türe schauen zu können. Er sah einen Raum, in dessen Zwielicht eine versinkende Flamme flackerte. Seine Augen suchten, während er weiterritt. Er gewahrte die Hirtin auf dem höheren Almgehänge. Mit dem kupfernen Milchzuber und einem dreibeinigen Stühlchen ging sie einer aus plumpen Steinen aufgeschichteten Stallung zu. Viele Stücke der Herde trabten ihr mit heiseren Schellen nach. Und aus dem ganzen Almfeld, von überall, zogen die Kühe mit Gebrüll und Schellengerassel dem Steinbau entgegen, zu dem die Hirtin wanderte.

Während Moorle vorsichtig über den groben, steilen Weg hinunterkletterte, wandte der Reiter immer wieder das Gesicht. Nun nahm der Wald ihn auf. –

Als er beim Taubensee das offene Feld erreichte, fing der Abend zu dämmern an. In einem gezäunten Wiesgarten war ein Bauer mit seinem Weib dabei, das Gras zu mähen. Der Reiter verhielt den Gaul. »Bauer! Komm her da!«

Die Sense flog ins Gras, der Bauer sprang, und sein Weib fing in dunkler Sorge zu bangen an. Wenn ein Herr befahl, das war für einen Bauer immer ein übel Ding.

»Weißt du, wer die Hirtin ist auf dem Hängmoos droben?«

Der Bauer atmete auf. »Das ist die Jula vom Runotter, den man heuer wieder zum Richtmann der Ramsauer Gnotschaft gewählt hat. Sein Vater ist Erbrechter worden vor dreißig Jahr.«

Sinnend sagte der Reiter: »Die Jula?«

»Die, ja! Könnt's besser haben und müßt nit sennen. Die Jula geht aus Fürlieb almen, um ihres bresthaften Bruders willen. Der mag nit unter Leut sein.«

Ohne zu antworten, ließ der Reiter dem ungeduldigen Pongauer die Zügel schießen. Und der Bauer kehrte zu seiner Sense zurück. In Sorge fragte das Weib: »Was hat er wollen?«

»Von mir kein Hälml. Gott sei Dank! Bloß nach der Jula droben hat er mich ausgefratscht. Aber da wird ihm der g'lustige Herrenschnabel trücken bleiben.«

»Schrei nit so!« tuschelte das ängstliche Weib. »Was war's denn für einer?«

»Ich glaub, der jung Someiner.«

»Dem Gadener Amtmann der seinig?«

»Der, ja! Aber 's Zwielicht kann mich genarrt haben. Es heißt doch allweil, der jung Someiner war auf der Prager Magisterschul.«

»Was geht uns der Bub des Amtmanns an?« Das Weib bekreuzte sich. »Gott sei gelobt, daß wir nit Kinder haben. Nit Buben, die Eisen fressen müssen für die Herren, und nit Töchter, die man zu Lustföhlen macht.«

Der Bauer brummte was in den dicken Bart und schwang im sinkenden Abendtau die Sense wieder. –

In gleichmäßigem Takte klang der Hufschlag des trabenden Pferdes.

Der Reiter achtete des Gaules wenig und war nachdenklich. »Die Jula?«

Hatte er nicht die Jula vom Runotterhof einmal gesehen, vor sieben Jahren, noch als ein halbes Kind? Wie das magere, trutzäugige Ding sich ausgewachsen hatte! Aber so stolz und so sparsam mit Worten wie damals war sie noch immer.

Auf der besseren Straße, in die der Taubenseer Karrenweg einbog, klang der Hufschlag des Pongauers fester und heller.

Die ersten Sterne schimmerten, und es schlich die stahlblaue Nacht um die Berge, als der Reiter zu den Wohnstätten der Ramsau kam. Neben der Straße rauschte die Ache. Und auf der andern Seite des Weges huschten armselige Hütten vorüber, die nicht Zaun und Gärtlein hatten; dann kamen fest umgatterte Höfe mit hohen Dächern, es kam die kleine Kirche und das große Leuthaus, in dem noch Licht war und trunkene Knechte beim Dünnbier sangen. Und dort, auf dem Hügel droben, das große Gehöft mit den starken Planken und dem steilen Moosdach? War das nicht der Hof des Richtmanns Runotter? Dessen Vater einst, als das Stift zu Berchtesgaden unter drückenden Schulden zu leiden begann, das alte Schupflehen um einhundertvierzig Pfund Pfennig als Erbrecht und Eigengut erworben hatte?

Der Pongauer, in dem die Sehnsucht nach dem Stall erwachte, fiel in einen sausenden Trab.

»Die Jula!«

Und daß die schlanke, aufrechte Jula einen Krüppel zum Bruder haben mußte? Die klösterlichen Hofleute, die gut von den Herren redeten, erzählten es so: Die Frau des Runotter mit ihrem vierjährigen Dirnlein wäre eines Tages, als die Erdbeeren reif geworden, im Hochtal des Windbaches hinaufgestiegen zur Alm ihres Mannes; am selben Tage hätten die Berchtesgadnischen Chorherren dort oben eine Hetzjagd auf Hirsche abgehalten; und ein Rudel flüchtenden Hochwildes hätte die Runotterin, die seit drei Mondzeiten gesegneten Leibes war, zu Boden geworfen und über eine stubenhohe Steinwand hinuntergestoßen; das kleine Dirnlein wäre über den Unfall der Mutter so arg erschrocken, daß ihm durch lange Zeit ein seltsames Zittern blieb, eine blinde Angst mit atemwürgenden Schreikrämpfen; und nach sechs Monden gebar die Runotterin den taubstummen Krüppel und blieb ein stilles, trauriges Weib und starb.

Aber die Bauern, wenn sie keinen Herrn und Hofmann in Hörweite wußten, erzählten es anders. Und das wußten alle im Land, daß damals ein junger Chorherr, Hartneid Aschacher, plötzlich nach dem Kloster Chiemsee hatte verschwinden müssen, weil er seines Lebens im Berchtesgadener Lande nimmer sicher war.

Ein dumpfes, donnerähnliches Rauschen in der schönen Nacht. Das war der Windbach, der seine Wasser herunterstürzte durch die enge Klamm.

In dem jungen Reiter erloschen die Bilder des Erinnerns. Er mußte scharf nach der Straße spähen, die zwischen den hohen, schwarzen Waldmauern kaum noch zu sehen war.

Nun kam die freie Höhe der Strub. Kleine, rötliche Lichter, weit zerstreut durch das finstere Tal hin – große, funkelnde Sterne im tiefen Blau des Himmels; und zwischen den Flammen der Höhe und den trüben Laternchen des tiefen Lebens, das zu schlummern anfing, dehnten sich die schwarzgrauen Wälle der Berge in die Ferne, vom klobigen Untersberg bis hinüber zum scharfen Zahn des Watzmann.

Das erste Haus von Berchtesgaden. Der Reiter mußte den Pongauer zu ruhigem Gange zwingen, weil das Pflaster der Marktstraße begann. Zwischen den groben Steinen drohten Löcher, die für einen Pferdehuf wie Fallen waren.

Die meisten Häuser standen schon in schlafendem Dunkel. Nur selten ein Licht. Bei einer Wende der engen Gasse sah man in lauschiger Ecke ein schmales, hohes Gebäude, aus dessen geschlossenen Läden zu ebener Erde es rötlich herausdunstete, das Badhaus. Im zweiten Stockwerk waren zwei Fenster offen und hell erleuchtet. Da droben war heiteres Lachen. Man hörte das Geklimper einer Laute und eine trällernde Mädchenstimme. Hier wohnte die Pfennigfrau eines Chorherrn. Noch immer war das Stift gelähmt unter schweren Schulden, aber so viel an Einkünften, die aus Holzschlägen, Salzgefäll, Steuern, Holdenzins und Erbrechtskäufen erflossen, hatte es noch immer, daß man sich das Leben heiter machen konnte.

Die Gasse wand sich, und es kam der stille Marktplatz. Schulter an Schulter standen da die schmucken Häuser der Handwerker und Kaufleute, mit schweren Eisenstangen und Hängschlössern vor den Gewölben.

Von den Mauern widerhallte der klirrende Huftritt des Pongauers. In der Tiefe des Marktplatzes, hinter dem schwarzen Umriß eines steinernen Brunnens, flackerte ein Pfannenfeuer vor der Pförtnerstube des Stiftstores.

Es kamen zwei Wächter, die halblaut miteinander schwatzten. Der eine von den beiden, ein magerer, baumlanger Spießknecht, grüßte den Reiter: »Schön gute Nacht, Herr Magister!«

Der dankte; »Vergelts, Marimpfel!« Und eine kleine Eitelkeit erwachte in ihm: »Aber weißt du, der Magister liegt in der Truhe. Jetzt mußt du Doktor sagen.«

»Gotts Teufel und Bohnenstroh!« Ein breites Lachen. »Da tu ich Glück ansagen, Edel Herr Doktor Someiner!« Wieder dieses Lachen. »Sucht sich ein Kind die richtig Mutter aus, so wird das Leben ein lustigs Aufwärtsschupfen.«

Der Huftritt des Pongauers klirrte. Und von irgendwo aus der Luft klang eine besorgte Frauenstimme: »Bub, bist du's? Bist du's?«

»Wohl, Mutter!«

»Endlich! Gott sei Dank! – Vater, so schau doch! Hast wieder umsonst gebrummt. Der Bub ist doch lang schon da.« Die Stimme erlosch, und man hörte das Geklapper eines Schubfensters, das herunterfiel.

Der Pongauer blieb vor einem dunklen Tore stehen, und der Reiter stieg aus dem Sattel.

Lampert Someiner, Magister artium und Doktor des kanonischen und gemeinen Rechtes, hatte das Haus seines Vaters erreicht, des Amtmanns zu Berchtesgaden.

Der eichene Torflügel rasselte auf. Ein Knecht mit einem Windlicht erschien und nahm den dampfenden Moorle in Empfang. Und Lampert sprang über die Schwelle mit dem flinken Schritt des Sechsundzwanzigjährigen, der sich der Heimat freut und weiß: Jetzt hab ich mein Tischleindeckdich!

Ein Flur mit gewölbter Decke, erleuchtet von einer kleinen Hirschtalglampe. Eine Tür – die Türe der Amtsstube – war schwer vergittert. Über ein steiles, enggemauertes Trepplein gings hinauf. Und durch den gleichen Flur, in dem diese Herrentreppe war, wurde der Pongauer zu seinem Stall geführt.

Oben auf der Treppe stand Mutter Someiner mit hoch erhobenem Leuchter, dessen Teller einen schwarzen Schatten über die Frau herunterwarf. »Ach, Bub, wie kannst du denn nur so lang...« Da sah sie den Zustand seiner Kleidung und erschrak. »Ums Himmels willen! Bub? Ist was geschehen? Dir?«

»Nichts, Mutter, nichts!« Er lachte. »Der Moorle und ich, wir haben nur ein lützel durch schiechen Honig müssen. Süß ist er nicht gewesen, aber gepickt hat er. Tu mich nicht anrühren, sonst werden deine weißen Tüchlein grau.« Lachend schob er sich an der Mutter vorüber, sprang die andere Treppe hinauf und trat in eine kleine, weiße, von zwei dicken Kerzen erleuchtete Stube. Die schwere, weiß umhangene Bettstelle nahm fast ein Drittel des Raumes ein; in der Ecke ein kleiner Tisch mit kupfernem Becken und kupferner Wasserkanne, die von der Handzwehle bedeckt war. An der Wand eine große eisenbeschlagene Truhe. Darüber ein Zapfenbrett mit Gewand und Waffen. Und dann ein Erker, der halb ein kleines, vergittertes Fenster und halb eine niedere Türe war, die zu einer Altane führte. Das Stübchen duftete herb. In das Wachs der Kerzen war Räucherwerk eingeschmolzen, dessen strenger Wohlgeruch in dünnen Rauchfäden aus den zuckenden Feuerherzen der beiden Dochte stieg. Solche Kerzen goß man, seit durch das deutsche Land der schwarze Tod gegangen war, der jeden dritten Menschen unter den Boden warf.

Drunten, auf der ersten Treppendiele, war die Amtmännin stehengeblieben, bis sie vernahm, daß droben die Türe geschlossen wurde.

Nun betrat sie die Wohnstube.

Frau Someiner war in dunkles Braun gekleidet. Und dennoch war sie weiß. Die leinene Glockenschürze bildete eine Art von Übergewand, und weiße Ellbogenschoner waren um die Ärmel gebunden. Ein rundes, aufgeregtes Muttergesicht mit lebhaften Braunaugen. Und über dem leichtergrauten Haar die weiße Fältelhaube mit der Kinnbinde.

Der Tisch in der Wohnstube war schon gedeckt. Aber Frau Someiner hatte da noch immer was zu richten, während sie von ihrem Buben schwatzte.

Der Amtmann nickte zu allem. Doch er sah dabei sehr aufmerksam auf das Schachbrett, das in dem kleinen Erker auf einem spreizfüßigen Tischchen vor ihm stand. Die untere Hälfte des Herrn Ruppert Someiner trug noch die Amtstracht, schwarze Strumpfhosen und rote Schuhe, während die Herzgegend des Gestrengen in eine braune, pelzverbrämte Hausschaube gewickelt war. Graue Haarsträhnen hingen schütter über die Wangen herunter. Herr Someiner, den der Bader mit dem besten seiner Messer zu rasieren pflegte, hatte kein böses, nur ein müdes Gesicht, das ein bißchen gelb war von stetem Ärger. Das Schuldenwesen des Stiftes, dessen Wirtschaft er zu führen hatte, machte ihm schwere Sorgen. Und bei dem vielen Handel und Wandel mit gefährlichen und unbotmäßigen Menschen hatte Herr Someiner zwei kalte, ungläubige Augen bekommen.

Neben der flinken, frohen Stimme der Amtmännin war in der Stube noch der langsame, schwere Schlag eines Uhrpendels. Bei jedem Schlag sagte das Pendel in dem hohen Kasten: »Bau!« Dann tat es für eine Sekunde lang einen seufzenden Atemzug. Und sagte von neuem: »Bau!«

Ein Ungeheuer von grünem Kachelofen wuchs mit abgesessenen Bänken aus der Wand heraus. Decke und Wände der Stube waren braun getäfelt, nur oben herum lief ein weißer Streifen der Mauer. Fast so groß wie der Ofen war der Anrichtkasten. Überall funkelte Zinn und Kupfer, überall leuchteten weiße Tüchelchen mit mühsamen Stickereien. Und über dem weißgedeckten Tische brannten auf schwebendem Eisenreif vier Wachskerzen mit dem gleichen herben Wacholderduft, wie er in Lamperts Schlafkammer war.

Der junge Doktor des kanonischen und gemeinen Rechtes betrat die Stube in der schwarzen Tracht seiner akademischen Würde. Das lange Braunhaar war sorgfältig gescheitelt, und in dem kräftigen, etwas erhitzten Jünglingsgesicht mit dem dunklen Bärtchen auf der Oberlippe und dem sprossenden Kinnflaum glänzten die gleichen Augen, wie Frau Someiner sie hatte. Ein zärtlicher Blick des jungen Mannes überflog die Stube. Vor drei Tagen war Lampert von der Prager Schule heimgekommen. Und noch immer hatte das alte elterliche Haus etwas Neues für ihn, jeder Blick entdeckte eine liebe Kostbarkeit.

Stolz betrachtete die Mutter den Sohn, während der Vater sagte: »Komm her ein lützel! Der hochwürdigste Herr Dekan hat mir eine Schachaufgab gestellt. Weiß zieht an und soll matt setzen nach drei Zügen. Aber ich komm nicht drauf.«

Lampert musterte die Stellung der Figuren. Dann griff er zu. »So, Vater! Und so! Und so!«

»Richtig! Er hat's!« Herr Someiner lachte. »Bub! Wenn du im Amt so flink und sicher zugreifen lernst, dann tut der Hof mit dir als neuem Aktuario einen guten Fang. Und du kannst ihm die Schulden schupfen helfen.«

Glückliche Freude glänzte in den Augen der Amtmännin.

Eine alte Magd brachte das Nachtmahl, und es kam eine gemütliche Tafelstunde. Lampert erzählte von seinem Ritt zum Hallturm und zu der bayrischen Feste Plaien. Das Abenteuer auf dem Hängmoos überspringend, erzählte er von seinem Waldritt über den Bergsattel zum Taubensee. Dabei legte ihm die Mutter reichlich vor. Und einmal fragte sie: »Schmeckt es, Bub?«

»Ja, Mutter! All weil ist Mutters Tisch die beste Herberg. Und ich hab einen gesegneten Hunger heimgebracht. Seit dem mageren Frühmahl, zu dem mich der Hallturner eingeladen, hab ich nur am Abend auf dem Hängmoos ein Schöppel Milch getrunken.«

»Milch?« Vater Someiner zog verwundert die Augenbrauen in die Höhe. »Ist der Ochsenhirt auf dem Hängmoos solch ein Schlemmer, daß er sich Milch auftragen läßt, bis von der Ramsau her.«

Lampert lachte. »Aber Vater! In der Käserhütt auf dem Hängmoos brauchen sie doch nur zu melken.«

»Auf dem Hängmoos steht kein Käser.«

»Ich bin doch an der Hütt vorbeigeritten.«

»Da mußt du dich verschaut haben. Oder wo du gewesen bist, das war nicht das Hängmoos.«

»Wo der Sumpf ist, den die Jäger meiden? Hinter dem Taubensee droben? Ist dort das Hängmoos?«

»Ja.«

»Dort bin ich gewesen. Und die Hütt ist dagestanden. Und die siebzehn Kuh, die sie auf dem Hängmoos melken können, hab ich selber gesehen.«

Der Amtmann runzelte die Stirn. Dann schüttelte er den Kopf. »Du magst viel gelernt haben auf der hohen Schul zu Prag. Aber mir scheint, du hast dabei vergessen, wie sich die Kuh vom Ochsen unterscheidet.«

Lampert wollte erwidern. Doch die Mutter zwinkerte ihm heimlich zu; sie erinnerte sich der heftigen Meinungskämpfe, die es in früheren Ferienzeiten zwischen Vater und Sohn gegeben hatte, kannte die strenge Rechtskrämerei ihres Mannes und sorgte sich, daß ein unbehaglicher Wortwechsel entstehen könnte. Doch Lampert schwieg nicht nur, weil es die Mutter wollte. Er wußte, daß es zwischen dem Stift und den Almholden immer Reibereien um die Deutung der Rechtsbriefe gab. Und wenn nun irgend was auf dem Hängmoos droben nicht in Ordnung war, so wollte er nicht zur Ursache werden, daß man der hilfreichen Jula einen stacheligen Pfahl vor die Hüttentüre setzen könnte. Drum schwieg er. Und es blieb eine wunderliche Sorge in ihm zurück.

Mutter Someiner schwatzte eifrig von allem, was ihr gerade einfiel, war glücklich, weil sie die dunkle Gefahr des Augenblicks überbrückt sah, und wollte sich was erzählen lassen von Prag und dem übermütigen Studententreiben in den Bursen. Lampert erzählte auch, doch er blieb zerstreut und kam nicht in rechte Laune. Auch der Vater war nachdenklich und wortkarg. Sogar der Würzwein, der nach der Mahlzeit zum üblichen Schlaftrunk aufgetragen wurde, verbesserte des Amtmanns Stimmung nicht. Und plötzlich murrte er: »Das Ding mit den Kühen auf dem Hängmoos will mir nimmer aus dem Kopf. Ich muß da auf reinen Tisch kommen. Sag mir –«

Die Mutter witterte gleich wieder eine Gefahr und unterbrach: »Geh, Ruppert, laß die Sach heut gut sein! Ob Kuh oder Ochsen –«

»Das verstehst du nicht.«

»Aber ich versteh, daß unser Bub nach so einem schweren Ritt die Müdigkeit in allen Knochen haben muß. Er soll zur Ruh gehen.«

»Ja, Mutter!« Rasch erhob sich Lampert. »Gute Nacht, Vater!« Er ging zur Türe. Als er schon die Klinke in der Hand hatte, zwang ihn die wunderliche Unruhe, die in ihm wach geworden, zu einer Frage. »Vater? Auf dem Heimweg bin ich durch die Ramsau gekommen. Und hab den Runotterhof gesehen. Und hab vernommen, der Runotter war wieder Richtmann in der Ramsauer Gnotschaft. Was ist der Runotter für ein Mensch?«

»Das ist von den Verläßlichen einer!« sagte der Vater, dem der seltsame Klang in der Stimme des Sohnes aufzufallen schien. »Viel Kummer ist dem Mann ins Leben gefallen. Aber er ist ein Treuer und Redlicher geblieben.«

Lampert atmete erleichtert auf. »Gute Nacht, Vater!«

»Bub?« Der alte Someiner erhob sich. »Die siebzehn Küh auf dem Hängmoos? Hast du die wahrhaftig selber gesehen? Mit eignen Augen?«

Lampert sagte ruhig: »Ja, Vater! Wenn der Runotter so ein Redlicher ist, da brauch ich doch nicht zu lügen.«

Er ging. Und die Mutter in ihrer Sorge lief ihm nach und fragte draußen auf der Treppendiele: »Was ist denn los?«

»Ich kenn mich selber nicht aus. Es ist mir jäh eine Sorg ins Herz gefahren, ich weiß nicht, warum. Aber jetzt bin ich wieder ganz in Ruh.«

»Gelt, ja!« Die Mutter streichelte dem Sohn die Wange. »Was schieren dich am End die Ochsen oder Küh der Ramsauer Bauren?« Sie lachte ihren Buben an. Doch als sie zurückkam in die Stube, wo Herr Someiner nachdenklich auf und nieder schritt, sagte sie ein bißchen verdrießlich: »Allweil mußt du aus jedem Bläslein eine Blatter machen!«

»Das verstehst du nicht! Recht muß Recht sein und Unrecht ist Unrecht. Freilich, es könnt auch sein, daß ich selber mich irr. Ich hab den Hängmooser Weidbrief schon lang nimmer angeschaut. Aber ich muß das wissen –« Während dieser Worte hatte der Amtmann an einer Kerze des Deckenleuchters einen Span entzündet. Er brachte das Licht einer kleinen Laterne in Brand.

»Aber Mann! Wo willst du denn heut noch hin?«

»Hinunter in die Amtsstub, den Hängmooser Weidbrief nachlesen.«

»Da ist doch morgen auch noch Zeit dazu.«

»Unrecht soll keine Nacht überschlafen.«

Während Frau Someiner seufzend den Kopf schüttelte, nahm der Amtmann aus einem Wandkästlein des Erkers einen dicken Schlüsselbund heraus.

Drunten zu ebener Erde mußte er drei Schlösser aufsperren, am Gitter, an der Tür und an dem großen, schwer mit Eisen beschlagenen Aktenschrank der Amtsstube. Aus einem Gewirr von Papieren und Pergamenten suchte der Amtmann ein gesiegeltes Blatt heraus, den Hängmooser Almbrief. Und kaum hatte Herr Someiner beim trüben Schein der Laterne zu lesen begonnen, da ließ er im Zorn seine Faust auf das Schreibpult niederfallen. »Das ist eine Frechheit ohnegleichen!«

Hier war es seit fünfundsechzig Jahren verbrieft und gesiegelt: Auf dem Hängmoos durfte kein Käser stehen, keine feuerbare Hütte, nur ein Wetterschlupf für den Ochsenhirten, und Milchkühe durften nicht aufgetrieben werden, nur zwanzig zwiesömmerige Kalben und an mastbarem Galtvieh sechzig Ochsen.

Und nun stand wider Recht und Fug auf dem Hängmoos eine Käserhütte! Und Milchkühe wurden auf getrieben! Wider Fug und Recht! Wohl litt das Stift keinen rasch erkennbaren Schaden dabei. Aber Recht ist Recht. Und was die Ramsauer da verübten, war unbotmäßiger Eigenwille und grobes Verbrechen wider die Hoheitsrechte des fürstlichen Stiftes. So sah es für den Amtmann Someiner aus, dem die anmaßende Willkür der Holden und Eigengütler das Leben verbitterte. Seit das Stift um der Last seiner Schulden willen gezwungen war, ein Schupflehen ums andre an vermöglich gewordene Bauern als Erbrecht zu verkaufen, wurde der Untertanen Übermut und Anspruch ärger von Jahr zu Jahr. Neben Herrenstand und Bürgertum begann sich als ein dritter Stand die Bauerschaft emporzustrecken. Schon hatten sich in der Scheffau, zu Bischofswiesen, in der Schönau, in der Gern und Ramsau die Erbrechter und Eigengütler zu Gnotschaften zusammengetan, hatten Fürständ und Sprecher gewählt. Und in den Zeiten der üblen Wirrnis, da das ganze Berchtesgadener Land an das Salzburger Erzbistum verpfändet war, hatten es die trutzbeinigen Bauernschädel durchgesetzt, daß man den Gnotschaften Wort und Vertretung im Rat der Landschaft zubilligen mußte. Und seit sie mitschreien durften, meinten sie auch mitbefehlen zu dürfen, vermaßen sich umzustoßen, was verbrieftes und gesiegeltes Recht war, und meinten ihren Trutzwillen durchsetzen zu können wider des Fürsten Gebot und Eigentum.

Was da nun wieder die Ramsauer gegen Wort und Meinung eines gesiegelten Weidebriefes verübten, war ein grobes und übermütiges crimen juris laesi. Man mußte da ein heilsames Exempel statuieren. Ohne Erbarmen! Oder Hoheit und Besitz des Stiftes mußten an solcher Anmaßung und Schröpferei verbluten.

Während Amtmann Someiner beim trüben Laternenschein das alte brüchige Pergament wieder im Schrank verwahrte, erwog er schon den Gedanken, den Ramsauern am Morgen die bewaffnete Exekution über den frechen Hals zu schicken und die siegelwidrig auf dem Hängmoos weidenden siebzehn Kühe pfänden und davontreiben zu lassen.

Aber der Ramsauer Richtmann Runotter? Dieser Verläßliche und Redliche? Wie kam es, daß der solch eine schreiende Rechtswidrigkeit geschehen ließ? Konnten die Ramsauer vielleicht doch ein Fähnlein der Entschuldigung aushängen? Und auf den Richtmann Runotter, der trotz schwerem Unrecht, das der Chorherr Hartneid Aschacher ihm angetan, noch immer in Treu zu Stift und Recht gestanden, mußte man verdiente Rücksicht nehmen.

Als der Amtmann zu dieser wohlmeinenden Erwägung kam, hörte er draußen auf dem Gassenpflaster den klirrenden Schritt der Stiftswache.

Er ging in den Flur, riegelte das Haustor auf und rief in die Nacht hinaus: »Höi, Wachleut!«

Die beiden Spießknechte kamen gesprungen.

»Wer ist Wachführer?«

»Ich, Gestreng Herr Amtmann, der Marimpfel.«

»Gut! Auf dich ist Verlaß. Komm herein zu mir!« Herr Someiner hob dem baumlangen Kerl, der in den Flur trat und mit dem Spieß salutierte, die kleine Laterne gegen das Gesicht. Im Lichtschein funkelten des Knechtes Armschienen, die Brustplatten und der blanke Eisenhut, der mit zerzauster Feder über einem verwitterten, von Narben durchrissenen Bartgesichte saß. Der Amtmann sagte: »Um Mitternacht laß dich ablösen und vergönn dir ein lützel Schlaf. Doch eh der Morgen aufsteht, sollst du hinausreiten zum Taubensee und hinauf zum Hängmoos.«

Der Knecht lachte. »Da muß ich acht haben, Herr, daß ich mein Rössel nit in die graue Supp hineinreit.«

»Wir haben nicht Spassenszeit!« sagte der Amtmann streng. »Auf dem Hängmoos zählst du die Kalben und Ochsen. Aber halte dein Maul vor dem Hirten! Und tu ihm keinen Trutz an! Und siehst du auf dem Hängmoos einen Käser stehen und tät es wahr sein, daß da droben Melkvieh weidet, so bring dem Richtmann Runotter eine Ladung vor mein Amt.«

»Soll ich Beistand mitnehmen? Wenn's nötig wär, daß man zugreift.«

Someiner schüttelte den Kopf. »Der Runotter wird im guten kommen. Er soll bei mir sein, morgen, so lang noch Amtszeit ist.«

»Wohl, Gestreng Herr Amtmann! Wird geschehen.«

Als Marimpfel wieder draußen auf der Gasse war, tuschelte sein Kamerad die Frage: »Ist was Lustigs los?«

»Ich schmeck, man will einen Baurenschädel zwiefeln. Einen, dem ich's gönn! Weil er die Nasenlöcher gar so weit auftut. Solcher Hochmut wachst, seit die Herren zu gut sind. Wär ich der Propst, ich möcht den Mistbrüdern einen Flohbeiß auf die Haut setzen, daß sie springen müßten, wie man winkt.«

Der so redete, war selber ein Ramsauer Kind und eines leibeigenen Bauern Sohn. Was die Schärpenfarbe für üble Wunder wirkt! Geschworener Knecht eines Herren werden, eines Herren Wehr und Farben tragen, und schlagen und stechen müssen auf des Herren Wink – das heißt, ein Hofmann sein, und heißt, verachten dürfen, was tiefer steht, und heißt, was Besseres werden, denn man gewesen als seiner Mutter Kind.

Die beiden Spießknechte schritten über den Marktplatz gegen das Stiftstor hin, vor dem das Pfannenfeuer brannte.

Im Widerschein der roten Loderflamme waren die Kanten des Gemäuers und die Säume der steilen Dächer wie von rinnendem Blut übergossen. Und hinter den dunklen Firsten stiegen die Türme des Münsters und der neuen Pfarrkirche in die sternschöne Nacht hinauf, gleich schwarzen, himmelhohen Riesen, die sich in der Finsternis aus den Schlünden der Erde erhoben hatten, um Ausschau zu halten über das Tun und Leben der kleinen Menschen.

In des gestrengen Amtsmanns Hause hatte Herr Someiner das Flurtor wieder fest verriegelt. Und hatte die drei Hängeschlösser wieder gesperrt, am Pergamentkasten, an der Tür der Amtsstube, am eisernen Gitter.

Als er mit dem schwankenden Laternchen die enge, steile Treppe hinaufstieg, war er des redlichen Glaubens, daß er im Dienste seines fürstlichen Herrn, des Erzpropstes zu Berchtesgaden, eine dringende Pflicht seines Amtes gewissenhaft und mit klugem Bedacht erfüllt hätte.

In der Wohnstube war der Tisch geräumt. Auf dem Eisenreif brannte nur noch eine einzige Kerze; die Hausfrau hatte die drei andern Lichter ausgelöscht. Und leise sprach bei diesem sparsamen Zwielicht das Pendel in dem alten Uhrkasten: »Bau! Bau!«

Herr Someiner verwahrte den Schlüsselbund, löschte das Laternchen und blies auf dem Eisenreif die letzte Kerze aus.

Nun war die Stube finster. Nur um die verbleiten Scheiben des Erkers zitterte, vom Pfannenfeuer des Stiftes her, ein matter, rötlicher Schein. Im Uhrkasten sagte die schwingende Stimme unablässig: »Bau! Bau! Bau!«

Diese Uhr, deren Räderwerk kein lebendes Herz, nur stählerne Federn und wirkende Gewichte hatte, war klüger, als Menschen sind. Immer wieder sprach sie in der stillen Nacht ihr schlummerloses Mahnwort. Doch in dieser stillen Nacht, in der ein Rechtsbeschützer seine Pflicht gewissenhaft erfüllt zu haben wähnte, begann im Berchtesgadener Land ein sinnloses Zerstören und grauenvolles Vernichten.

2

Inhaltsverzeichnis

Als der Morgen dämmern wollte, jagte ein Reiter gegen die Ramsau hinaus. Bevor er das Ziel seines Späherweges erreichen konnte, stieg hinter den östlichen Bergzinnen der schöne Tag herauf.

Über dem Hängmoos lag die erste Morgensonne.

Das Gras der trockengelegten Weideflächen hatte einen Goldton in seinem Grün, und die frische Luft war zart erfüllt vom süßen Wohlgeruch der Kohlröschen. In der mild erwachenden Wärme begannen die Wasserflächen des nahen Sumpfes zu dunsten, und um die Mooskissen des Bruchbodens, um ihre besonnten Vergißmeinnichtbüschel und Dotterblumen gaukelten graubraune Schmetterlinge in so reicher Zahl, daß ihre Menge manchmal anzusehen war wie ein dunkelwehender Schleier.

Die Kalben, Ochsen und Kühe weideten mit leis tönendem Schellenklang, und aus der Rauchscharte des Käsers stiegen blauquirlende Wölklein in die Sonne hinauf. Der Brunnen murmelte und goß den blitzenden Wasserstrahl in den Spiegel des Troges.

Auf der höchsten Stelle des Almfeldes zog vertraut ein Rudel Gemsen gegen das Latschendickicht. Hoch in der Sonne kreiste ein Weihenpaar. Und als möchte auch das Leben der Tiefe einen Gruß heraufsenden in diesen schönen, heiligen Frieden der Bergfrühe, so klangen, mild und kaum noch hörbar, aus weiter Ferne her die raschen Laute einer rufenden Kirchenglocke.

Im aufziehenden Sonnenwinde fingen die nahen Wälder sanft zu rauschen an.

Was der Morgen an Hirtenwerk verlangte, war getan. Jedes Rind hatte Salz bekommen, die Kühe waren gemolken, die Milch war aufgestellt in hölzernen Schalen.

Ein leuchtender Streifen der Sonne fiel durch die offene Tür in das Zwielicht des Hüttenraumes. Neben dem Feuer saßen Jula und ihr Bruder Jakob in der Herdmulde und aßen die Morgensuppe. Dann beteten die beiden mit geneigten Gesichtern.

Jula erhob sich, warf die schweren Zöpfe zurück, die ihr auf die Brust gehangen, und sprach mit der Hand. Jakob nickte. Und während Jula die abgerahmte Milch des verwichenen Tages in den kupfernen Sudkessel schüttete und ihn mit dem Balken, an dem er hing, über die Herdflamme zog, verließ ihr Bruder die Hütte. Neben dem Brunnen setzte er sich in die Sonne und begann an der fliegenden Schwalbe zu schnitzen, die sich schon bald aus dem Holze lösen wollte.

In der Hütte sang Jula mit halber Stimme.

Ich weiß ein' Buben hübsch und fein, Hüt du dich! Der kann so falsch wie freundlich sein, Hüt du dich!

Er hat zwei Augen, die sind braun, Hüt du dich! Die gucken allweil durch den Zaun, Hüt du dich!

Er hat ein lichtbraunfarbnes Haar, Hüt du dich! Und was er redt, das ist nit wahr, Hüt du dich!

In der Tiefe des Almfeldes rasselten viele Schellen wirr durcheinander. Jula, beim Klang ihrer Stimme und beim Geprassel des neugeschürten Herdfeuers, achtete dieses Lärmes nicht. Und Jakob konnte ihn nicht hören. Doch als er einmal von seinem Schnitzwerk aufblickte, sah er da drunten die flüchtenden Rinder und sah, daß am Waldsaum ein Reiter, der aus dem Sattel gestiegen war, seinen Gaul an eine Lärche band.

Jakob erhob sich, säbelte aufgeregt in die Hütte, lallte einen schweren Laut und sprach mit den Händen.

Betroffen sah Jula den Bruder an. Eine leichte Röte glitt über ihr strenges, sonnverbranntes Gesicht. Dann lachte sie ein bißchen und steckte rasch die hängenden Zöpfe hinauf. Sie trat aus der Hütte. Doch als sie den dunkelbärtigen Spießknecht über das Almfeld heraufkommen sah, machte sie verwunderte Augen, schüttelte den Kopf, redete mit den Händen zu ihrem Bruder und kehrte wieder an den Herd zurück.

Es dauerte eine Weile, dann fiel ein schwarzer Schatten über die sonnige Türschwelle.

Mit freundlichem Gruße trat Marimpfel in die Hütte. Er sah nur die Hirtin. Jakob, um seine Mißgestalt zu verbergen, hatte sich hinter dem Sudkessel in den Herdwinkel gedrückt.

Jula erwiderte den Gruß des Spießknechtes. Der Anblick dieses Gastes war ihr keine Freude. Sie wußte: Hofleut sind wildes Volk, vor dem man sich hüten muß. Doch ruhig fragte sie: »Woher des Wegs?«

»Bei einem Grenzstein hab ich nachschauen müssen.« Marimpfel ließ sich auf die Bank nieder, wobei das Eisenwerk seiner Rüstung klirrte. Er guckte in der Hütte herum. »Ein schöner Herd! Ein feiner Käser! Wann ist denn der gebaut worden?«

»Das weiß ich nit.« Jula begann mit langer Holzspachtel den dampfenden Inhalt des Kessels aufzurühren. »Willst du Zehrung haben?«

Marimpfel lachte, und seine schwarzen Funkelaugen musterten die Gestalt der Hirtin. »Vergelts deinem Gutwillen! Aber Bauernkäs ist saurer Fraß.«

Jula furchte die Brauen. »Ich kann dir auch süßen geben, wenn du so schleckig bist.«

»Viel süßen Käs wirst du nit aufstellen können von den vierzehn Kühen, die ich gesehen hab. Oder hast noch mehr?«

»Siebzehn hab ich.«

»Und wieviel Ochsen?«

»Dreiundvierzig hab ich aufgetrieben. Und zwanzig Kalben dazu. Gottlob, es ist mir heuer noch kein Stückl im Bruchboden versunken. Hab einen friedsamen Sommer heuer, Gott soll ihn segnen.«

Marimpfel erhob sich. »Zwanzig Kalben? So?« Unter kurzem Lachen faßte er mit flinker Faust den Arm der Hirtin. »Und dazu noch ein Geißlein, mit dem gut bocken wär! Was meinst?«

Was Jula meinte, brauchte sie nicht zu sagen. Marimpfel las es in ihren zornblickenden Augen. Und plötzlich fühlte er an seinem Handgelenk einen groben Schlag. Jakob, das Gesicht verzerrt, stand zwischen der Schwester und dem Spießknecht, mit dem Schnitzmesser in der kleinen, zitternden Faust.

Marimpfel wollte an den Gürtel greifen. Aber da fiel ihm das Wort des Amtmanns ein: »Tu dem Hirten keinen Trutz an!« Er war ein verläßlicher Hofmann. Drum nahm er die Sache spaßhaft. »Guck, wieviel Schneid die haben!« Er lachte. »Dirn! Bei dir sind die süßen Beeren gut verzäunt!« Zur Türe schreitend, sagte er heiter über die Schulter: »Ein andermal!«

Jula legte den Arm um ihres Bruders Hals und knirschte durch die Zähne: »Die Leut sind schlecht.«

In der schönen Morgensonne ging Marimpfel mit klirrendem Schritt über das Almfeld hinunter. Als er den Gaul von der Lärche losband, sah er schmunzelnd zum Käser hinauf. »Die wär eine Todsünd wert!«

Während der Gaul auf dem steilen Karrenwege vorsichtig durch den Wald hinunterkletterte, sang der Spießknecht eine zärtliche Weise. Auch diesem Wildfang quoll die Schönheit des leuchtenden Morgens durch Eisen und Haut. Und als er auf dem Weg eine junge Amsel sitzen sah, die unflügg aus dem Nest gefallen war und angstvolle Äuglein machte, lenkte er barmherzig die Hufe des Gaules auf die Seite.

Wo der Taubensee zwischen grünem Röhricht blitzte, kam Marimpfel zu dem Wiesgarten, in dem der Bauer das am Abend gemähte Gras mit dem Rechen umwarf. Sobald der Heuer den Spießknecht aus dem Wald heraustauchen sah, lief er an den Straßenzaun und kreischte: »Bruder? Bist du's oder nit?«

Marimpfel ließ das Roß ein paar Galoppsprünge machen, um sich vor dem Bruder als Hofmann zu zeigen. »Ei wohl, ich bin's.« Dann verhielt er den Gaul und fragte von oben herab: »Wie geht's dir allweil?«

»Nit schlecht. Es tut's. Hab dich lang nimmer gesehen.«

»Ein Mistbreiter und ein Herrschaftsreiter haben Weg, die auseinand laufen.« Marimpfel wollte nichts Böses sagen, nur etwas Selbstverständliches. Und spähend beugte er sich im Sattel hin und her. »Man sieht wahrhaftig das Häusl nimmer. Wie ich Bub gewesen, hat man's noch gesehen von der Straß. Jetzt ist alles zugewachsen. Bäum, Viech und Leut werden allweil mehrer. Bloß das Geld wird minder. Lebt die Mutter noch?«

»Wohl! Aber mit dem Schaffen ist's lang schon aus. Hockt allweil im Sessel. Und kein Tag, daß sie nit redt von dir. Vom Malimmes redt sie nie. Hast lang nichts mehr gehört von ihm?«

»Vier Jahr lang nimmer. Da ist er bei den Nürembergern gewesen als Stadtknecht. Ist kein fürnehmer Dienst. Hofmann sein ist feiner. Aber die Städt haben allweil die größeren Geldsäck. Da wird's dem Bruder nicht schlecht gegangen haben.«

»Das tat die Mutter wohl anhören. Magst nit ein lützel hereinkommen?«

»Ich hab nit Zeit.«

»Die Mutter tat sich freuen.«

»Tu das Weibl grüßen. Herrendienst hat's eilig.« Marimpfel straffte den Zügel des Gaules.

»Du?« sagte der Bauer hastig. »Tust was gelten bei deinem Herren?«

»Dem bin ich der Liebst von allen.«

In den müden Augen des Bauern glänzte eine Hoffnung. »Da könntest bei deinem Herren für mich eine Fürbitt machen.«

»Mareiner!« Der Spießknecht wurde kühl. »Bist Holdenzins oder Lehent schuldig blieben?«

Der Bauer schüttelte den Kopf. »Noch allweil bin ich ein rechtschaffener Zahler gewesen. Und hab den Magen geschnürt und hab ein lützel was auf die Seit gebracht.«

Marimpfel wurde aufmerksam.

»Und tätest du bei deinem Herren für mich ein gutes Wörtl reden«, sagte Mareiner, »und tät das Stift sich genügen an einem christlichen Gebot, so möcht ich mein Schupflehen auf Erbrecht kaufen.«

Jetzt lachte Marimpfel. »Narr! «Wem willst du denn was vererben? Kinder hast doch nit.«

»Was nit ist, kann werden.«

»Freilich, ja! Oft kriegt die Bäuerin Kinder, der Bauer weiß nit wie.«

Dem Taubenseer flog es heiß über die Stirne. Doch er sagte ruhig: »Ist auch nit der Kinder wegen allein, die mir der Herrgott erst schenken müßt. Aber was ein richtiger Mensch ist, hängt auch ein lützel an der Ehr. Hätt ich Eigengut und war ein Erbrechter, so dürft ich in der Gnotschaft mitreden und müßt nit allweil das Maul halten.«

»So?« Der Spießknecht wurde heiter. »Erbrechter werden? Und den Brotladen aufreißen? Und wider die Herrschaft schreien? Und da soll ich helfen dazu.«

In den Augen des Bauern brannte die Sehnsucht. »Bist nit mein Bruder?«

»Richtig, ja, das hält ich als Hofmann schier vergessen.« Und freundlich sagte Marimpfel: »Wieviel kannst dem Herrn bieten fürs Erbrecht?«

Zögernd, an jeder Silbe klebend, sagte der Bauer: »Sechzig Pfund Pfennig. Mehr hab ich nit.«

»Sechzig Pfund hast? Da kannst dem Herrn bloß vierzig bieten.«

»Wieso?«

»Tust vergessen, daß ich dein Bruder bin? Und daß ich in Hösl und Hemd aus dem Haus gegangen? Und daß ich Anspruch hab an Acker und Wiesfrucht? Mareiner! Sechzig Pfund? Da wirst wohl dritteln müssen. Mit mir!«

Der Bauer sah den höfischen Bruder an und wurde mauerbleich über das ganze Gesicht. Und ohne noch ein Wort zu sagen, drehte er sich um und ging durch die Wiese davon.

Marimpfel hob sich im Sattel und rief dem Bauer lachend nach: »Gotts Gruß, Mareiner! Ich komm bald!« Dann ritt er davon.

Der Taubenseer ging an seinem Rechen vorüber, unter schattenden Bäumen hindurch und kam zu einem grauen Balkenhaus,

über das ein großes Moosdach herhing, wie eines Mannes Hut ein kleines Kind bedeckt.

Neben der Haustür saß, von Sonne umspielt, in einem grob gezimmerten Holzsessel eine alte, weißhaarige Frau mit gichtisch verkrümmten Händen, zermürbt von der schweren Arbeit eines langen, mühsamen Lebens.

»Kindl?« sagte sie zu dem vierzigjährigen Manne. »Was hast?«

Der Bauer biß die Zähne übereinander und schien sich auf eine Antwort zu besinnen. Dann sagte er: »Mutter! Der Marimpfel ist dagewesen.«

»Und ist nit herein zu mir?«

Mareiner schüttelte den Kopf und trat ins Haus.

Ohne sich zu regen, murmelte die alte Frau vor sich hin: »Ist dagewesen. Und ist nit herein zu mir. Ein Weg, schier kaum ein halbes Vaterunser lang. Und steht am Zäunl. Und geht nit herein zu mir.« Sie hob das zerfallene Gesicht, und ihre trockenen, fast schon erloschenen Augen suchten irrend im Blau des Himmels. »Heilige Mutter! Was sagst du jetzt?«

Geduldig blickte die alte Frau in dieses schöne, reine Blau empor und wartete auf Antwort.

Vor sechzig Jahren, als vierzehnjähriges Dirnlein, hatte sie die Gottesmutter zur Patronin ihres Lebens erwählt, war Marienträgerin gewesen bei jedem Bittgang in und außerhalb der Kirche, hatte sich, eine Dreißigjährige, zum Ehestand segnen lassen an einem Marientag und hatte jedem der drei Buben, die sie geboren, bei der Taufe einen Festtag der Mutter Maria als segensreichen Namen in das Leben mitgegeben. Mareiner hieß Mariä Reinigung, Malimmes hieß Mariä Lichtmeß, Marimpfel hieß Mariä Himmelfahrt.

Auf dem Moosdach gurrten die Tauben, kleine Vögel sangen in den Kronen der Bäume, es krähte der Hahn und die Hühner gackerten, es rauschte der nahe Wildbach, die Bäume flüsterten, am Waldsaum grunzten die wühlenden Schweine – alles redete, was Natur und Leben hieß. Nur dieser schöne, blaue Himmel schwieg.

Und als die Augen der alten Frau den Schmerz des Lichtes fühlten und wieder heruntersanken zur Erde, sah diese Mutter ihr vierzigjähriges Kindl Mareiner mit Hacke und Spaten scheu hinüberspringen zum Walde.

Unter dem Kittel trug der Bauer einen schweren Ledersack, in den das Spargut seines Schweißes eingeschnürt war: dreiundachtzig und ein halb Pfund Pfennig in rheinischem Gold, in Silber und schwarzem Blech. Weil Mareiner einen Bruder hatte, der Hofmann war, vergrub er diesen Sack im Dickicht des Waldes zwischen den Wurzeln einer alten Fichte, die er unauffällig mit dem Messer merkte, als er den Boden geebnet und wieder mit Moos bedeckt hatte. Kein Fuchs hätte da einen Wandel der Dinge wahrgenommen.

Während Mareiner beruhigt sein unsichtbares Werk betrachtete, erfreute sich Marimpfel auf seinem trabenden Gaul immer wieder des gleichen Rechnungsschlusses: »Von sechzig ein Drittel ist zwanzig!«

Was konnte man im Leben nicht alles haben für zwanzig Pfund Pfennig! Der adlige Chorherr Jettenrösch bezahlte seiner Hübschlerin und Pfennigfrau für alle Lieb und Freud eines langen Jahres nur fünfzehn Pfund. Freilich war, wie die Leute munkelten, Herr Jettenrösch bei dem frummen Fräulein Rusaley nicht der einzige Zahler.

Marimpfel lachte.

Von den Herren, die klug sind, kann man lernen. Gute Kameraden und Gnoten müssen teilen können ohne Neid bei Trunk und Schüssel, bei Mühsal und Pfennigsack. Warum nicht auch bei der süßesten von allen Freuden? Wie mehr sich teilen in des Lebens Kosten, um so billiger wird des Lebens Rausch. Und Marimpfel wußte nun eine, die ihm gefiel. Warum sollte man die nicht zum Pfennigweibl machen können? Jungferntrutz ist wie Maienschnee. Um ein freudenreiches Leben ist alles feil. Und wie gut ihr das stehen muß, wenn sie das schwere Schwarzhaar im grünen Schleier hat! Und reitet ein hoher Fürst durch Berchtesgaden, so muß ihm die schöne Hübschlerin des Marimpfel das rote Stricklein spannen und die lustige Ehr erweisen. Große Herren haben kleine Lustbarkeiten gern. Und wissen, wie man danken muß.

Während Marimpfel diese goldenen Zukunftspläne schmiedete und durch die einseitige Häusergasse der Ramsau ritt, schien ein stummer Lebensschreck vor ihm herzutraben. Wo Leute oder Kinder vor den Türen waren, verschwanden sie flink im Haus. Und ein Hund, der mit schwerem Holzknebel am Hals auf der Straße in der Sonne gelegen hatte, wurde durch einen schrillen Pfiff in das Gehöft gerufen, zu dem er gehörte.

Hinter dem Haus des Leutgeb lenkte Marimpfel von der Straße weg und ritt zu einem hohen Hag hinauf, der ein auf grünem Hügel liegendes Gehöft umschloß. Der Reiter stieß mit dem Fuß an das versperrte Hagtor. »Auf! In des Herrn Nam!« Holzschuhe klapperten. Ein junger Knecht öffnete das Tor, machte scheue Augen und sagte rasch: »Der Richtmann ist nit daheim.«

»Wo ist er?«

»Im Holz. Bis zur Mahlstund kommt er.«

»Solang kann ich nit warten. Spring ins Holz hinaus und hol den Richtmann! Ich tu derweil einen Trunk beim Leutgeb.« Der Spießknecht ritt zur Straße hinunter.

Zwischen den Stauden und Bäumen, die den Weg in der Richtung gegen Berchtesgaden geleiteten, sah er ein Leuchten bunter Farben und blanker Waffen. Wer kam da? Keiner von den Hofleuten des Gadens. Die trugen sich anders.

Der gesprenkelte Stieglitz, der da zwischen den Stauden einherschritt, schleppte sich mit schwerer Last. War also wohl ein fahrender Kriegsknecht, der seinen Dienst verlassen hatte und zu einem neuen Soldherrn wanderte. Nun bog er auf die freie Straße heraus, ein langes, braunbärtiges Mannsbild in der bunten Tracht der städtischen Soldknechte, Wams und Hosen bunt gezwickelt, wie es bei den Kriegsleuten in der großen Welt da draußen neue Mode wurde. Er ging barhäuptig, das braune Langhaar gescheitelt. Den flachen, mit einer gelben Kräuselfeder umwundenen Hut hatte er an einer Kordel auf der Brust hängen, neben dem Knauf des hochgebundenen Zweihänders. Den Dolch und das Kurzeisen trug er am Gürtelgehenk. An dem langen Spieß, den er geschultert hatte, schleppte er eine Last, die man auf einen Zentner und darüber schätzen konnte: den Eisenhut, die Brustplatten und Armschienen, den braunen Gugelmantel und dazu das dicke, stramm gedrosselte Lederbündel seiner Kriegsmannshabe. Einen schwächlichen Menschen hätte solche Last erdrückt. Doch dieser lange Kerl hatte trotz der heißen Sommersonne keinen Tropfen Schweiß auf der sonnverbrannten Stirn und ging unter dem schweren Gewicht mit so federndem Schritt, als trüge er Schwanenflaum auf seinem Rücken. Und Augen hatte er, die heiter in den schönen Morgen schauten. Sein von Narben zerfetztes Gesicht erzählte, wie oft dieser Fröhliche schon unter dem Streich des Todes gestanden. Die jüngste seiner Narben, noch dunkel gerötet, ging von der Stirn über das rechte Auge mit geradem Strich herunter bis zum Kinn und wäre schrecklich anzusehen gewesen, wenn sie in diesem gesunden und vergnügten Mannsgesichte nicht eine Art von groteskem Humor bekommen hätte.

Als dieser fahrende Söldner den berittenen Hofmann kommen sah, blieb er breitspurig stehen und fing zu lachen an.

Auch Marimpfel lachte. »Wenn eins den Wölfen nennt, kommt er gerennt! Malimmes! Kein halbes Stündl ist's her, da hab ich mit dem Mareiner geredet von dir. Und jetzt bist da. Herzbruder! Gottes Gruß im Land!«

Malimmes streckte dem Reiter die Hand hinauf. »Gott grüß dich, Bruder! Ich hab dich schon gesucht im Gaden draußt. Hätt gern zum Einstand ein Häflein mit dir gelupft. Und hab gehört, du wärst in der Ramsau. Bist bei der Mutter gewesen? Wie geht's dem guten Weibl?«

Marimpfel erkannte in den Augen des Bruders die ehrliche Sehnsucht, wurde ein bißchen verlegen und sagte: »Es geht der Mutter nit schlecht. Allweil schnauft sie noch.«

Das Gesicht des ändern strahlte. »Gute Botschaft! Will dem lieben Herrgott danken dafür. Am Sonntag werf ich dem Meßpfaffen einen Goldpfennig in den Bettelsack. Ich hab's. Einen Winter lang kann ich mich auf die Faulhaut legen und kann der Mutter ein gutes Leben machen. Komm, Bruder, kehr um! Laß uns selbander heim!«

»Ich kann nit, hab eilfertigen Herrendienst. Aber auf ein Ständerlein beim Leutgeb hab ich Zeit.«

»So komm! Ein Bruder ist auch ein kostbar Ding. Dreh dich, Schätzlein, dreh dich!« Malimmes faßte lachend den Zügel und wandte den Gaul des Bruders. »Auftragen laß ich dir, als wärst ein römischer Delegat. Friß und sauf und tu mich anlachen! Not und Hader sind draußen in der Welt. Daheim ist daheim. Und was ich anguck, ist liebreich und friedsam.« Er schrie einen Jauchzer in die sonnige Luft hinaus, so gellend, daß Marimpfels Gaul einen scheuenden Sprung machte.

Auf dem Wege zum nahen Leuthaus schwatzte Malimmes in seiner frohen Laune immerzu. Marimpfel war nachdenklich geworden. Und plötzlich, den Bruder von der Seite musternd, fragte er: »Einen Winter lang willst feiern? Bist in Ehren ledig worden von Herr und Dienst? Oder mußt dich verstecken? Hat's eine Sauerei gegeben?«

Malimmes sah ernst an dem Reiter hinauf. »Da war allweil ein andrer die Sau gewesen.«

»Meine Frag war nit schiech gemeint.«

»Muß ich halt dumm gehört haben.« Malimmes lachte schon wieder. »Ich will einmal für ein Zeitl mein eigner Herr sein. Viel Gründ sind gewesen, daß ich gegangen bin. Der letzte war, daß mich das Heimweh angefallen hat, derweil ich sechs Wochen im Spittel gelegen bin. Wegen dem da!« Er deutete auf den frischen Narbenriß, der wie ein roter Feuerstrich in dem braunen Gesichte glomm.

»Ein böser Streich! Bruder, da mußt dich schlecht gedeckt haben?«

Lustig zwinkerte Malimmes mit den Augen und schüttelte den Kopf. »Es hätt ein feiner Hieb sein können! Hätt aus meinem Hirndach schier zwei Äpfelschnitten gemacht. Aber grad, wie der Hieb schön kunstvoll ansetzt, hat der ander, ein Pegnitzer Heckenreiter, meinen Spieß in der Seel gehabt. Seine Faust hat nur noch ein lützel rutschen können. Für sechs Wochen hat's bei mir noch ausgegeben. Aber der ander ist nimmer aufgestanden. Ist ein braver Kerl gewesen, mit dem ich oft gebechert und geknöchelt hab. Hat mir's nit schlecht vermeint, hat halt auch nur seinem Fähnl die Treu gehalten. Wegen sieben Ballen flandrisch Tuch, die sein Edelherr gekrapst hat.« Malimmes lachte nimmer.

Verwundert guckte Marimpfel auf den Bruder hinunter.