Der Paladin - Jens-Uwe Nebauer - E-Book

Der Paladin E-Book

Jens - Uwe Nebauer

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Beschreibung

Der Roman aus der Zeit Ottos des Großen, verbindet Elemente einer Kriminalstory mit historischen Ereignissen und einer leidenschaftlichen Liebesgeschichte. Die zentralen Figuren sind Widukind, der junge Gefolgsmann König Ottos, der in den blutigen Auseinandersetzungen zwischen dem König und seinem aufständischen Sohn nach dem Mörder einer Dame des Frauenstiftes Quedlinburg sucht und Judith, eine Ungarin, die bei einem Einfall der magyarischen Reiterheere in das Ostfrankenreich in die Gefangenschaf der Sachsen gerät.

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Seitenzahl: 496

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Der Autor

Jens-Uwe Nebauer wurde am 5. Juni, dem Pfingstsonntag des Jahres 1960, in Magdeburg geboren.

Nach erfolgreich bestandenem Abitur studierte er an der Technischen Hochschule „Otto von Guericke“ Magdeburg. Als Diplomingenieurökonom arbeitete er dann jahrelang im Anlagenbau und in anderen Berufen.

Der Autor interessiert sich seit seiner Kindheit für Geschichte. Der Besuch von Burgen, Schlössern und Museen mit seinen ebenfalls geschichtsinteressierten Eltern weckte in ihm schon früh diese Vorliebe. Später spezialisierte er sich auf das europäische Mittelalter und die Zeit der römischen Antike.

Seine Kreativität hat er bereits im Kindergarten entdeckt, denn da er während des verordneten Mittagsschlafes nur höchst selten einschlafen konnte, begann er damit sich die Langeweile durch das fantasievolle Erfinden und „Sichselbst-erzählen“ von kleinen oder größeren Geschichten zu vertreiben.

Später ging er dann dazu über seine Interessen beim Schreiben zu verarbeiten und verfasste u. a. die historische Romane „Ritter von Falkenfels“, „Die Kreuzfahrer“ und „Der Burgwart von Bodfeld“.

Nun liegt sein vierter historischer Roman vor.

Der Paladin

von

Jens-Uwe Nebauer

Für meine Frau

Jutta Monika

© 2019 Jens-Uwe Nebauer

ISBN

Paperback

978-3-7482-9052-0

Hardcover

978-3-7482-9053-7

e-Book

978-3-7482-9054-4

Verlag & Druck:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhaltsverzeichnis

Was vor zwanzig Jahren geschah

Widukind

Ostermond 952

Philippa

Wonnemond bis Brachmond 952

Bischof Ulrich

Ostermond bis Julmond 953

Judith

Lenzing bis Ostermond 954

Prinz Liudolf

Ostermond bis Ernting 954

Anselma

Ernting 954 bis Ostermond 955

König Otto

Heumond bis Gilbmond 955

Personenverzeichnis

Ortsverzeichnis

Worterklärungen

Karten

Was vor zwanzig Jahren geschah

(Inhalt des Romans: Der Burgwart von Bodfeld)

Im Januar des Jahres 916 geleitet der vierzehnjährige Edeling Wido den fränkischen Grafen Egino zur Quedlinburg, wo dieser, der letzten Anordnung des verstorbenen Königs Konrad folgend, dem Sachsenherzog Heinrich die Königskrone des Ostfrankenreiches anbietet. Von diesem Tag an behält der neue König den Jüngling Wido als Glücksbringer an seinem Hof und reiht ihn in die Schar seiner engsten Gefolgsmänner ein.

Einige Jahre später rechtfertigt Wido seinen Ruf aufs Neue, als er mit Hilfe seines Vetters und Freundes Grifo und einer Schar sächsischer Krieger den ungarischen Fürstensohn Zoltan gefangen nimmt.

Zwar entkommt ihm dabei ein maskierter Verräter, der den Ungarn bei ihren Raubzügen wertvolle Hilfe leistet, doch mit der Gefangennahme Zoltans verschafft Wido König Heinrich die Gelegenheit, die wieder einmal in das Reich eingefallenen, plündernden und mordenden Reiterhorden der Magyaren zu einem langjährigen Waffenstillstand zu zwingen.

Die so gewonnene Zeit des Friedens kann Heinrich I. nutzen, um das Reich auf den Kampf mit den heidnischen Steppenreitern vorzubereiten. Überall im Land lässt er Burgen für den Schutz des Volkes erbauen und aus deren Besatzungen eine schlagkräftige Panzerreiterei aufstellen.

Auch Wido, der nun zu den engsten Ratgebern des Herrschers zählt, wird zum Burgwart der neu zu erbauenden Pfalz Bodfeld ernannt. Bei der Suche nach drei, von seltsamen Wesen, die halb Mensch, halb Wolf zu sein scheinen, entführten Bauerntöchtern begegnet er auf einem Streifzug durch die dichten Wälder des Harzgebirges dem Mädchen Dieta, das allein mit ihrem Vater Rumold in einer versteckten Hütte lebt.

Der Burgwart und das Mädchen verlieben sich ineinander und treffen sich mehrmals heimlich, doch als Rumold sie bei einem Stelldichein überrascht, kommt es zum Zweikampf zwischen ihm und Wido, der erst durch das Eingreifen Dietas beendet wird. Nachdem Wido Rumold seine Liebe zu Dieta offenbart hat, scheint dieser nachzugeben und hilft Wido mit einem wertvollen Hinweis bei der Suche nach den verschwundenen Mädchen. Doch als der Burgwart nach der Befreiung der Bauerntöchter zu Rumolds Hütte zurückkehrt, sind Dieta und ihr Vater verschwunden.

Während Wido nach langer und vergeblicher Suche nach Dieta wieder seinen Aufgaben als Burgwart nachgeht, haben die Geflüchteten bei einem alten Kriegskameraden Rumolds Unterschlupf gefunden. Da Dieta, die ihrem Vater nur schweren Herzens gefolgt ist, jedoch nicht aufhört, an Wido zu denken, erzählt ihr Rumold seine Lebensgeschichte. So erfährt Dieta, dass ihr Vater nach einer Schlacht für tot erklärt wurde und dass sich seine Gemahlin - ihre Mutter - mit seinem Bruder neuverheiratet hatte. Danach schoben Mutter und Stiefvater Dieta in das Kanonissenstift Wendhusen ab, aus dem Rumold sie dann befreite. Weil aber bei Dietas Entführung aus dem Stift eine Kanonissin zu Tode gekommen war, blieb ihm und seiner Tochter nur die Flucht und das versteckte Leben im Wald.

Doch da auch dies Dieta nicht davon überzeugen kann, von ihrer Liebe zu Wido zu lassen, gibt Rumold sie schließlich frei. So macht sich das Mädchen allein auf den Weg nach Bodfeld und als Wido einige Tage später dort eintrifft, finden die beiden endlich zusammen.

Als Wido nach einer Ratsversammlung bei König Heinrich das Kanonissenstift Wendhusen aufsucht, erfährt er, dass die vermeintlich von Rumold getötete Kanonissin noch lebt und dieser somit nicht des Totschlags schuldig geworden ist. Doch als Wido seinen zukünftigen Schwiegervater zu seiner und Dietas Hochzeit einladen will, ist Rumold verschwunden.

Inzwischen haben die drei von ihren Entführern geschändeten Bauerntöchter schwere Schicksale erleiden müssen. Die erste von ihnen bekommt ein Kind von ihren Vergewaltigern und ertränkt sich und das Neugeborene, die zweite lässt sich als Kriegsmann ausbilden, um gegen die Angst, erneut in die Hände von verkommenen Männern zu fallen, besser ankämpfen zu können und die dritte, Ida, wird aus ihrer Familie verstoßen und bietet, um zu überleben, Männern ihren Körper an, bis sie von den Bewohnern ihres Dorfes beinahe getötet wird. Danach nimmt Wido sie zu ihrem Schutz als Magd auf Bodfeld auf.

Zwei Jahre nach dem Waffenstillstand mit den Ungarn, beginnt König Heinrich einen Krieg gegen die slawischen Heveller, der mit der Übergabe der hevellischen Hauptburg Brennaburg, endet. Noch vor dem Feldzug hat König Heinrich Wido zum Dank für die vielen, ihm von seinem treuen Gefolgsmann geleisteten Dienste, ein größeres Besitztum im Tal der Wipper geschenkt.

Kurz darauf folgt ein neuer Kriegszug gegen die Daleminzier, der in der Belagerung und Eroberung der Burg Gana ein blutiges Ende findet. In der eroberten Burg begegnet Wido seinem Schwiegervater Rumold wieder, der sich bei der berüchtigten Merseburger Legion verdingt hat.

Wido berichtet Rumold von seinen Nachforschungen in Wendhusen und bittet ihn zu ihm und Dieta nach Bodfeld zu kommen. Doch der Vater Dietas will seinen Vertrag bei den Merseburgern, der noch für zwei Jahre gilt, erfüllen.

Während des Kampfes um Gana ist Grifo, Widos Vetter, verwundet worden. Auf dem Rückweg nach Sachsen legen die Milites eine Rast in der Burg an der Aue ein, wo sich Grifo und Johanna, das einzige Kind des Burgherrn, ineinander verlieben.

Doch bald darauf müssen Wido und der inzwischen genesene Grifo schon wieder in den Krieg gegen die slawischen Redarier ziehen, die in der Sachsenburg Walsleben unter deren Bewohnern ein Blutbad angerichtet haben.

Bei der Burg Lenzen an der Elbe treffen die Heere der Sachsen und der Redarier in einer großen Schlacht aufeinander, die von der neugeschaffenen Panzerreiterei König Heinrichs zu Gunsten des sächsischen Aufgebotes entschieden wird. Während des Kampfes bewahrt der fränkische Graf Egino, der nun der Burgwart der Pfalz Tullede ist, Wido vor einer tödlichen Gefahr.

Nach diesem bedeutenden Sieg hält König Heinrich I. die Zeit für gekommen, um nun auch mit den Ungarn reinen Tisch zu machen und er verweigert ihnen die jährliche Tributzahlung.

Ein Jahr nach der Schlacht von Lenzen vermählen sich Grifo und Johanna auf der Auenburg und auch für Wido und Dieta bleibt diese Hochzeit nicht ohne Folgen, denn neun Monate später, im Hornung 931, kommt Dieta mit einem Sohn nieder, den die Eltern Widukind nennen.

Inzwischen ist auch Rumold nach dem Ende seiner Dienstzeit nach Bodfeld gekommen, doch nach einiger Zeit verlässt er die Pfalz wieder und zieht mit Ida in seine alte Hütte im Wald, um sein früheres Leben in der Einsamkeit fortzusetzen.

Während alle Menschen im Ostfrankenreich auf den Überfall der Ungarn warten, erhält Wido eine Einladung zur Hochzeit des Grafen Egino mit der jungen Adeligen Adelrun vom Friesenfeldgau. Durch Zufall findet Wido während der Feierlichkeiten eine Spur des maskierten Verräters, der ihm vor Jahren noch entkommen ist und überführt ihn bald darauf.

Es ist Egino, der die Erhebung Heinrichs I. zum König abgelehnt und ihn deshalb in den ersten Jahren seiner Herrschaft im Geheimen bekämpft hat. Später, als er die Richtigkeit der Krönung des früheren Sachsenherzogs eingesehen hatte und sich den Forderungen der Ungarn nach einer erneuten Kollaboration verweigern wollte, wurde er von diesen, mit seinen früheren Taten erpresst und so - gegen seinen Willen - zu erneutem Verrat gezwungen. Während Egino im Kerker der Quedlinburg auf sein Ende wartet, begleitet Wido die schwangere Adelrun zu ihrer Burg im Friesenfeldgau. Dort angekommen erfahren sie, dass die Ungarn während der vergangenen Tage in Thüringen eingefallen sind und sich bei Erfurt in zwei Heeresgruppen geteilt haben.

Während der eine Heeresteil sich anschickt, den Harz auf seiner westlichen Seite zu umgehen, droht der zweite Heeresteil entlang der Ostseite des Gebirges nach Norden vorzustoßen und so das sich zwischen Werla und Quedlinburg sammelnde sächsische Heer in die Zange zu nehmen.

Adelrun, Wido und Ortwin, der Kastellan der Burg, entwickeln einen riskanten Plan mit dem sie den östlichen Heeresteil der Ungarn aufhalten wollen, um dem König die Gelegenheit zu geben, die beiden ungarischen Heere einzeln zu schlagen.

Gegen den Willen Widos begibt sich Adelrun allein in das feindliche Lager, um die ungarischen Feldherren mit der Mär über einen angeblichen Schatz, der in ihrer Burg lagert, zu einer Belagerung derselben zu bewegen und somit Zeit für das Heer der Sachsen zu gewinnen.

In einem Brief an Wido bittet sie ihn, sich beim König dafür einzusetzen, das Egino nicht schändlich hingerichtet wird, sondern im Kampf gegen die Ungarn fallen darf.

Der Plan der drei geht auf. Während sich die ungarischen Krieger des Ostheeres vor der Burg Adelruns im Friesenfeldgau festbeißen, schlagen die sächsischen Panzerreiter das gegnerische Westheer am Elm vernichtend.

Auf dem Weg zur Schlacht gegen das Ostheer entscheidet Heinrich I., dass Egino anstatt gehängt zu werden, ohne Rüstung, Helm und Schild in den bevorstehenden Kampf ziehen darf.

Bei dem kleinen Dorf Riade treffen das sächsische und das ungarische Heer aufeinander und der vernichtenden Wucht der königlichen Panzerreiter können auch die Ungarn nicht widerstehen. Während Egino gleich zu Beginn des Kampfes von vielen Pfeilen getroffen und so schwer verwundet wird, dass niemand mehr mit seinem Überleben rechnet, wird Adelrun, die im Lager der Ungarn festgehalten wurde, von den Besiegten als Gefangene in deren Heimat verschleppt.

Traurig über den Verlust Adelruns, aber glücklich über den großen Sieg, der das Ostfrankenreich auf viele Jahre vor weiteren Angriffen der Ungarn bewahrt, kehrt Wido zu Dieta und seinem Sohn Widukind zurück.

Widukind

Ostermond 952

Auf dem Hof der Jagdpfalz Bodfeld standen sich zwei junge Männer gegenüber.

Jeder der beiden trug ein Eisenschwert mit abgestumpfter Klinge, einen runden, lederbezogenen Schild ohne Schildbuckel, einen einfachen Lederpanzer und einen Spitzhelm mit Nasenschutz.

Widukind, der schwarzhaarige Sohn des Burgwarts Wido, hob sein Schwert und nahm die Position eines kampfbereiten Fechters ein. Auch der andere Zweikämpfer - ein dunkelblonder, breitschultriger Bursche von neunzehn Jahren, der eine Spanne kleiner war als der Schwarzhaarige, stellte sich zurecht.

Eine bunte, erwartungsfreudige Schar aus Burgmannen, Knechten und Mägden umzäunte im Abstand einiger Schritte das zehn – mal - zehn Klafter große Kampffeld, dessen Rand von einem am Boden liegenden Tau markiert wurde. Auch auf der Galerie des Königshauses hatten sich mehr als zwei Dutzend Zuschauer eingefunden, zu denen auch Wido von Bodfeld, seine Gemahlin Dieta und deren Vater Rumold mit seinem Weib Ida gehörten.

„Also dann, Jungherr Abbio“, rief Widukind, „du kennst die Regel: wer zuerst den Körper des Anderen mit dem Schwert trifft oder ihn über die Begrenzung drängt, hat dem Kampf gewonnen! Und nun zeig mir, was du kannst!“

Die beiden Zweikämpfer hoben die Schilde, sprangen vor und wechselten die ersten Schläge.

Sowohl Widukind als auch Abbio hatten mit Wido und dem Edeling Odilo, der inzwischen die Nachfolge seines Vaters als Herr des Königshofes Taremburg angetreten hatte, die gleichen Lehrer gehabt und beherrschten die Fechtkunst sowie alle anderen Spielarten des Waffenhandwerks meisterlich. Im Gegensatz zu Abbio aber hatte der zwei Jahre ältere Widukind, der zu den Burgmännern der Quedlinburg gehörte, bereits in einigen Scharmützeln mit den wendischen Redariern echte Kampferfahrung gewonnen.

Die zwei Jungherren belauerten sich mit wachsamen Augen. Leichtfüßig tänzelten sie umeinander herum, wichen zurück und griffen an, doch noch konnte keiner von ihnen den entscheidenden Treffer setzen, da es dem Anderen stets gelang die gegnerischen Hiebe und Stiche geschickt mit dem Schild oder dem Schwert zu parieren. Jedes Mal wenn die stumpfen Klingen auf die Schildhölzer trafen, erhob sich ein dumpfes Dröhnen, schlugen die Schwerter gegeneinander, erklang ein helles Klirren.

Schließlich sprang Widukind vor, deckte den Blonden mit einem Schauer von schnellen Hieben ein und drängte ihn bis nah an den Rand des Kampffeldes zurück. Doch gleich darauf unterbrach er seinen Angriff jedoch schon wieder und überließ dem Anderen das Heft des Handelns.

Abbio, der genau wusste, dass sein Gegner ein Meister des schnellen Gegenstoßes war, versuchte ihn mit Finten und Schlägen gegen die Beine aus der Ruhe zu bringen, doch der Schwarzhaarige war wendig, schnell und schwer zu treffen.

Endlich gelang es dem Dunkelblonden aber doch, den Schild seines Gegners mit einem so kräftigen Schlag zu treffen, dass Widukind etliche Schritte zurückgeworfen wurde. Jetzt sah Abbio seine Chance gekommen und stürmte wild auf den Älteren los.

Doch dessen vermeintliche Schwäche war nur eine geschickte Finte gewesen. Kaltblütig wartend ließ Widukind den Angreifer herankommen, dann wich er plötzlich mit einer eleganten Bewegung zur Seite aus und ließ den Blonden ins Leere laufen.

Von seinem eigenen Schwung mitgerissen, konnte sich Abbio nicht mehr halten und ein leichter Stoß von Widukinds Schild in seinen Rücken beförderte ihn über die Begrenzung des Kampfplatzes.

„Die alten Römer bezeichneten unsere Vorfahren als „starke Jungs ohne Plan““, sagte der Sieger lächelnd. „Ein bisschen trifft das auch auf dich zu. Du greifst noch zu unüberlegt, zu ungestüm an. Aber du hast Mut, Kampfgeist und du beherrschst dein Schwert und deinen Körper! Und das wenige, was dir noch fehlt, wirst du noch lernen.

Morgen früh, mein liebes Oheimchen, kommst du mit mir und Bruniko nach Quedlinburg und übermorgen wirst du in die Reihen der Stiftsburgwache aufgenommen.“

Tatsächlich war Abbio Widukinds Onkel, auch wenn dieser der Ältere war, denn sein Vater Rumold, der auch der Vater von Widukinds Mutter Dieta war, hatte im Jahr der Schlacht bei Riade, die wesentlich jüngere Ida, die ein schweres Schicksal erlebt hatte, zu sich genommen und mit ihr Abbio und dessen Schwester Anselma gezeugt.

Die Männer und Frauen, die dem Kampf mit angespannten Sinnen gefolgt waren, applaudierten. Von der Galerie des Königshauses kam die sechzehnjährige Anselma gelaufen und umarmte den Bruder. Auch Rumold und Ida konnten den elterlichen Stolz auf ihren Sohn kaum verbergen.

„Gut gemacht!“, lobte auch Bruniko, ein stattlicher, dunkelhaariger Bursche, der wie Widukind zur Besatzung der Quedlinburg gehörte und reichte Abbio die Hand, nachdem Anselma ihn freigegeben hatte. „Gegen Widukind hat auch von uns noch kaum einer gewonnen, er ist der beste Fechter in unserer Mannschaft.“

Zwei schnell herbeigeeilte Knechte halfen den Duellanten aus den Lederpanzern, nahmen ihnen die Übungswaffen ab und trugen sie fort. Eine Magd reichte jedem der beiden Jungherren ein leinenes Tuch, mit dem sie sich ihre verschwitzten Gesichter trocknen konnten.

„Wacker habt ihr gekämpft!“, rief nun auch der Burgwart, „Doch nun lasst uns in die Halle gehen und einen Erfrischungstrunk zu uns nehmen. Er wird nicht nur unseren beiden Kämpfern gut tun.“

Während sich die Menge der Zuschauer zerstreute und die Knechte und Mägde wieder zu ihren alltäglichen Arbeiten zurückkehrten, suchten die Männer und Frauen, die zu den Verwandten des Hausherrn gehörten, die große Halle im oberen Stockwerk des Königshauses auf und ließen sich an der darin aufgestellten Tafel nieder.

In den Zeiten der Herrschaft König Heinrichs hatte dieser seinen Günstling und Glücksbringer Wido etliche Male in Bodfeld besucht und war mit ihm auf die Jagd in den sich schier unendlich weit ausdehnenden Wäldern gegangen.

König Otto dagegen hatte der Pfalz bisher nur zweimal einen Besuch abgestattet. Er hielt sich lieber in Magdeburg oder auf der Quedlinburg auf. Auch schätzte er den Rat Widos - und anderer ehemaliger Gefolgsmänner seines Vaters - nicht so sehr wie es Herr Heinrich getan hatte. So hatte sich der Burgwart weitgehend aus der großen Politik zurückgezogen und sich ganz dem Gedeihen der ihm unterstellten Ländereien gewidmet.

Neben Wido und Dieta, die am oberen Ende der Tafel saßen, hatten Widos Vetter und Freund Grifo und dessen Gemahlin Johanna Platz genommen, die mit ihrer Tochter Jolanthe von der Auenburg an der Saale nach Bodfeld gekommen waren.

Der Hausherr und sein Vetter hätten es nicht ungern gesehen, wenn aus Jolanthe und Widukind ein Paar geworden wäre. Aber obwohl die beiden sich mochten und immer gut miteinander ausgekommen waren, war doch nie mehr als eine warmherzige Freundschaft daraus entstanden.

Also hatte sich die selbstbewusste Jolanthe schließlich aus einer langen Reihe von Bewerbern den Jungherrn Ortwin, den ersten Sohn des Burgwarts Herwig ausgewählt, der ein Nachbar und Kampfgefährte Grifos in der Schlacht von Riade gewesen war. Noch in diesem Jahr sollte die Hochzeit sein, sobald Ortwin, der zum Gefolge des Markgrafen Hermann Billung gehörte, von diesem Urlaub bekam.

Auf der rechten Seite des langen Tisches saßen Widukind, seine jüngeren Schwestern Adelrun, Hiltigard und Diemot und sein Gefährte Bruniko. Ihnen gegenüber hatten sich Rumold, Ida, Abbio und Anselma niedergelassen.

Obwohl Ida keine Adlige, sondern ein Bauernkind war, hatte der Edeling Rumold sie zu seiner Frau genommen. Dabei war diese Heirat auch aus einem anderen, noch gewichtigerem Grund ein Ding der Unmöglichkeit, denn strenggenommen war Rumold noch mit Dietas Mutter Bilihilt verheiratet.

Allerdings hatte diese ihn während einer langen Zeit der Abwesenheit nach der Schlacht an der Eresburg für tot erklären lassen und Rumolds Bruder geheiratet. Rumold hatte es nach seiner - von nur einer Handvoll Getreuer bemerkten - Rückkehr dabei belassen und sein Verschwinden aus der Welt genutzt, um nach langen Jahren der Einsamkeit seine Geliebte Ida zu ehelichen. Gewissenbisse wegen des Sakrilegs der Zweifachehe hatte er keine.

Als der erste frische Hauch der Abendkühle durch die offenen Fenster der Halle drang, ließ der Burgwart das Abendmahl auftragen, das seine Köchin Gisa vorzüglich zubereitet hatte.

Für eine reichliche halbe Stunde schliefen die Gespräche ein oder plätscherten nur seicht dahin. Erst als die Teller, Schüsseln und Platten geleert waren, wandten sich die an der Tafel Sitzenden wieder bedeutsameren Gesprächsgegenständen zu.

„Habt ihr schon gehört, dass unsere Königin Adelheit ein Kind unter dem Herzen trägt?“, warf Widukind ein, der nahe genug an der mehr als ergiebigen Quelle vielfältigen Klatsches und Tratsches lebte, um sie beständig rauschen zu hören, „Die Dienerinnen Frau Mathildes sagen, dass sie spätestens im Julmond niederkommen wird.“

„Das freut mich für sie“, entgegnete Wido und strich sich durch das immer noch blonde, nur von wenigen grauen Strähnen durchzogene Haar. „Aber noch mehr würde es mich freuen, wenn ich wüsste, dass sie mit einem Mädchen schwanger ginge und auch fürderhin nur Mädchen bekommen würde.“

„Hoho“, rief Johanna, „es ist schön, dass du so für die Mädchen schwärmst, aber ich fürchte, dass unser König darüber ein wenig anders denken wird! Sicher wünscht er sich noch einen Sohn - wo er doch bisher nur einen legitimen Stammhalter gezeugt hat!“

„Und dieser eine ist der Thronfolger“, gab Rumold zurück, der Widos Bedenken sofort verstanden hatte, „jedenfalls bis jetzt.“

„Aber ein weiterer Sohn Herrn Ottos würde doch daran nichts ändern“, widersprach Johanna, „wo der König Prinz Liudolf doch schon vor Jahren zu seinem Nachfolger designiert hat!“

„Ich hoffe, dass Liudolf darüber ebenso denkt, und - wenn es ein Sohn werden sollte - auch Königin Adelheit und König Otto …“, bemerkte Wido zweifelnd.

Sein Vetter Grifo legte die Stirn in Falten und kratzte sich im Nacken. „Du denkst, es könnte geschehen, dass der Kronprinz im Falle der Geburt eines Sohnes der neuen Königin, um sein Erbe zu fürchten beginnt?“

„Ich denke und hoffe und bete vor allem darum, dass wir nicht irgendwann wieder vor einer ähnlichen Lage stehen wie Anno 39, denn ich möchte nicht noch einmal so etwas wie auf der Eresburg erleben müssen, als der brave Thankmar sein Leben aushauchen musste.“

„Warst du damals eigentlich dabei?“, fragte Widukind an seinen Vater gewandt, „Du hast nie davon gesprochen.“

„Ja, ich war dabei und ja ich habe nie darüber gesprochen“, erwiderte Wido nach einem Augenblick des Schweigens, „weil das, was wir dort erlebt haben, weder besonders ruhmvoll noch besonders ehrenhaft war.“

„Aber jetzt kannst du uns doch davon berichten“, forderte Johanna, die eine gewisse Vorliebe für Geschichten mit tragischem Ausgang hatte, „es ist schließlich mehr als zehn Jahre her!“

„Ja, mehr als zehn Jahre“, gab der Bedrängte zurück. Mit sich selbst ringend, ließ er seinen Zeigefinger über den Rand seines Bechers kreisen, dann nickte er, besann sich kurz und begann zu erzählen.

„König Otto saß gerade erst zwei Jahre auf dem Thron als zwei der bedeutendsten Männer unserer Zeit von uns gingen. Das waren der Markgraf Bernhard, der Sieger der Schlacht von Lenzen und Graf Siegfried von Merseburg, der als Secundus a rege, als zweiter Mann nach dem König in Sachsen galt.

Als Nachfolger für diese beiden großartigen Herren erwählte der König zwei Männer, mit denen kaum jemand gerechnet hatte. Für Bernhard setzte er, wie ihr ja wisst, den damals noch recht jungen Hermann Billung ein und gab ihm den Befehl über ein Heer, das gegen die Wenden ziehen sollte.

Viele mächtige Herren in Sachsen meinten jedoch, dass anstelle des jüngeren Hermann besser sein älterer Bruder Wichmann als neuer Markgraf an der Elbe hätte eingesetzt werden sollen. Wichmann, der mit Bia, der Schwester Frau Mathildens verheiratet war und der vor acht Jahren gestorben ist, war so erzürnt über seine Zurücksetzung, dass er das gegen die Slawen ausziehende Heer unter Vorschützung einer Krankheit verließ.

Auch die Wahl des Nachfolgers des Grafen von Merseburg schuf dem König viel Widerspruch und Verdruss, denn zum Grafen der vergrößerten Mark an Saale und Elbe bestimmte er - auch das ist euch ja bekannt - Gero, den jüngeren Bruder Siegfrieds.

Eigentlich hatten die meisten Edlen - und er selbst wohl auch - erwartet, dass Thankmar, als Halbbruder Ottos und vor allem als Sohn der Frau Hatheburg, die eine Erbtochter des früheren Grafen Erwin von Merseburg gewesen war, zum neuen Markgraf ernannt werden würde.

Der älteste Sohn König Heinrichs sah sich zutiefst in seiner Ehre gekränkt und um sein Erbe betrogen und da er Otto schon immer die Thronfolge geneidet hatte, ließ er sich von einigen seiner Ohrenbläser zu einem verderblichen Aufstand aufhetzen.

Das fiel diesen aber wohl nicht sonderlich schwer, denn tatsächlich hatte Thankmar, als einziger Sohn, die größten Ansprüche auf die Güter der Hatheburg, die schon - auch das muss man leider sagen - unserer alter König Heinrich nicht so einfach hätte einbehalten dürfen. Und nun geschah Thankmar das Gleiche von seinem Bruder!

So verband er sich mit Eberhard, dem Frankenherzog und Bruder des alten Königs Konrad, der Herrn Otto wegen einer anderen Sache ebenfalls gram war. Gemeinsam belagerten und erstürmten sie die Burg Beleke und führten Heinrich, Ottos jüngeren Bruder, der auf Beleke weilte, gefangen von dannen.

Danach zogen Thankmars Scharen zur Eresburg, besetzten sie und unternahmen von dort aus eine Reihe von Raubzügen in das schutzlos vor ihnen liegende Umland.

Inzwischen war der Aufstand in Sachsen, Franken und auch in Bayern so bedrohlich geworden, dass sich Herr Otto gezwungen sah, seine Krieger zu sammeln und gegen den aufständischen Bruder zu führen. Zu diesem Heer gehörte auch ich.

Wir hatten uns auf eine lange Belagerung der hochaufragenden Veste eingestellt, doch als wir das Tal an deren Fuß erreichten und Thankmars Männer unsere Stärke erkannten, bekamen sie schnell kalte Füße und öffneten uns die Tore der Burg.

Es war ein heißer, schwüler Heumondtag, kurz vor dem Wechsel zum Ernting. Dunkle Gewitterwolken drohten am westlichen Himmel und aus der Ferne drang leise grollender Donner an unsere Ohren.

Unsere Krieger, vor allem die des jungen Heinrich, schwärmten aus, um Thankmar zu suchen. Da die Aufgabe der Besatzung so schnell erfolgt war, hatte es - bedauerlicherweise - keinen Befehl des Königs gegeben, wie mit dem Anführer des Aufstandes verfahren werden sollte.

Als Thankmar bemerkte, dass ihn seine Leute im Stich gelassen hatten, floh er ganz allein in die im Nordosten der Burg gelegene Peterskirche, an deren Stelle früher die alte Irminsul unserer Vorfahren gestanden haben soll.

Von allen verlassen und in Angst um sein Leben, verriegelte er die Kirchentür hinter sich, lief zum Altar und legte dort seine Waffen und die goldene Kette, die er immer trug, darauf nieder, um damit anzuzeigen, dass er sich dem König ergeben und unterwerfen wollte.

Doch die Krieger Heinrichs dürsteten nach Rache für die schmähliche Gefangennahme ihres Herrn und zerschlugen die Kirchentür mit ihren Äxten. Mit drohend erhobenen Waffen und lautem Gebrüll drangen sie in das im ehrfürchtigen Halbdunkel liegende Gotteshaus ein und schleuderten ihre Speere auf den unbewaffneten Thankmar.

In diesen Augenblicken erwachte in dem Sohn König Heinrichs noch einmal der Kriegsheld, der er gewesen war. Behände ging er hinter dem Altar in Deckung, dann raffte er seinen Schild und sein Schwert wieder an sich und stellte sich den Eindringlingen entgegen.

Einer der Angreifer, ein gewisser Thiatbold schlug ihm eine Wunde am Arm, doch Thankmar hieb ihm dafür sein Schwert über den Kopf, so dass er unter wilden Zuckungen seinen Geist aufgab.

Inzwischen aber war ein anderer Kriegsmann - er hieß Maincia - von außen mit einer Leiter zu dem offen stehenden Chorfenster hinter dem Altar emporgestiegen. Kaltblütig zielte und warf er seinen Speer mit tödlicher Sicherheit in den ungeschützten Rücken des Königssohnes und traf ihn mitten ins Herz!

Dann sprang er vom Fenster in den Chorraum und riss - um seine Freveltat vollständig zu machen - die Waffen und die goldene Kette des Gespeerten an sich.

Als wir schließlich dazu kamen, war Thankmar bereits tot. Er lag vor dem Altar in einer großen Blutlache, der Speerschaft ragte aus seinem Rücken, die Speerspitze aus seiner Brust. Ein grauenvoller Anblick.

Man kann über ihn sagen, was man will, aber ein solches Ende hatte er nicht verdient. Sicher, er starb als Aufrührer, aber er war auch mein…“, Wido unterbrach sich mit Blick auf seinen Freund Grifo, „… unser oftmaliger Kampfgefährte, wir haben zusammen am Elm und bei Riade gekämpft und Dutzende Male im Rat König Heinrichs zusammengesessen.

Als wir Otto die Nachricht brachten, zeigte er sich sehr bestürzt, ja erschüttert, aber bestraft oder auch nur gerügt hat er den Mainica oder die anderen Brecher des Gotteshausfriedens, soviel ich weiß, nie.“

„Und dabei war dieses Geplänkel erst der Anfang“, ergänzte Grifo, „danach folgten noch die jahrelangen Kämpfe mit Ottos Bruder Heinrich und den Herzögen Eberhard von Franken und Giselbert von Lothringen. Erst mit den blutigen Schlachten bei Birten und Andernach und nachdem Anno 941 die durch Heinrich angestiftete Verschwörung sächsischer Adliger zur Ermordung Ottos aufgedeckt und niedergeschlagen wurde, kehrte im Reich wieder Ruhe ein.“

„Der König hat es geschafft, in zwei Jahren den halben Adel des Reiches gegen sich aufzubringen!“, versetzte Rumold respektlos, „Während sein Vater vor allem die äußeren Feinde bekriegte, bekriegt der Sohn zuallererst die eigenen Leute!“

„Der König will immer seine alleinige Macht durchsetzen, alle Menschen sollen sich der Königsherrschaft unterwerfen“, verdeutlichte Wido, „Sein Vorbild ist der Kaiser Karl, der unumschränkt über die Franken herrschte. Herr Heinrich suchte dagegen stets den Ausgleich mit den Herzögen der anderen Stämme - vor allem mit dem Franken Eberhard - und den sächsischen Großen. So vermied er einen Krieg im Reich und konnte alle Kräfte für die Abwehr der Ungarn und der Wenden bündeln.“

Während sich die Gespräche der alten Kriegsgefährten immer tiefer in dem tatenreichen Dickicht der vergangenen Zeiten verstrickten, glitten die Blicke Brunikos immer wieder zu Anselma, die mit ihren fast gleichaltrigen Nichten Adelrun, Hiltigard und Diemot angeregt über die besten Mittel zum Glänzendmachen der Haare plauderte.

Das Antlitz der Schwester seines zukünftigen Waffenbruders besaß eine große Ähnlichkeit mit dem eines Mädchens, welches er einmal gekannt und geliebt hatte. Sie war mehr als zwanzig Jahre jünger als Widukinds Mutter Dieta, hatte honigblondes, zu zwei Zöpfen geflochtenes Haar, hellbraune Augen, eine kleine Nase, ein rundes Kinn, volle Lippen und dunkle Augenbrauen. Ihre bereits gut ausgeprägten fraulichen Rundungen waren unter dem hellbraunen Kleid aus Leinen leicht zu erahnen.

Leider schien sie so gar keine Notiz von ihm zu nehmen, so dass sich Bruniko ein wenig enttäuscht und traurig wieder den Erzählungen der Älteren zuwandte.

Als die Kerzen und die Kienspäne, die die Mägde schon bei Einbruch der Dunkelheit entzündet hatten, heruntergebrannt waren, leerte Wido seinen Becher ein letztes Mal. Dann erhob er sich und sagte: „So meine Lieben, für heute soll es genug sein. Unsere jungen Helden wollen morgen früh aufbrechen und Grifo und ich wollen uns auf die Jagd nach dem Luchs machen, den unser Jäger aufgespürt hat. Und dafür müssen wir ausgeschlafen sein.“

Die meisten der Anwesenden folgten der Aufforderung gern, sei es, dass sie müde waren oder dass sie - wie Grifo und Johanna - an die Freuden des bevorstehenden Beilagers dachten.

Nur Bruniko hätte die Zeit des geselligen Beisammenseins am liebsten noch ausgedehnt, um vielleicht doch noch einen Blick oder gar ein Lächeln von Anselma zu erhaschen. Aber da nun alle den Saal verließen und sich in ihre Schlafgemächer begaben, blieb ihm nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen.

*

In gemäßigtem Schritt ritten die drei jungen Männer auf dem steinigen, gewundenen Weg durch das Tal der Treck nach Nordosten.

Gleich nach dem Morgenmahl hatten sie ihre Pferde satteln lassen und sich auf die Rücken der Reittiere geschwungen. Da die Zeiten friedlich waren, trugen sie weder Rüstungen noch Helme, nur ihre Schwerter und Dolche hingen griffbereit an den Gürteln. Ihre Packpferde, die dank der mütterlichen Fürsorge Dietas mit guter Speise und frischer Wäsche schwer beladen waren, zogen sie mit den am hinteren Sattelkopf angebundenen Fangseilen hinter sich her.

Nach einem einstündigen Ritt erreichten die Jungherren den Ausgang des Tales und trafen kurz darauf auf einen von Westen kommenden, uralten Reiseweg, der sich durch leicht bewaldetes, welliges Land auf das hochaufragende Felsmassiv des Raginstein zu schlängelte.

Einige hundert Schritte später, inmitten einer sanften, weitläufigen Talsenke, mündete der Weg in eine breite, von Süden nach Norden führende Straße. Während sich der nördliche Teil des Reiseweges zwischen größeren Waldstücken und vereinzelt dazwischen liegenden Feldern und Weiden in Richtung Halberstadt dahinzog, wählte Widukind den aus Süden kommenden Weg, der sie über Tammosrode zur Quedlinburg bringen würde.

Da die zunächst noch auf beiden Seiten von lichtem Kiefernwald umgebene Straße für mehr als zwei Meilen breit und fest war, ließen die drei ihre Pferde kräftig ausgreifen. Vor allem Widukinds braunem Hengst, dem er den Namen Irmin gegeben hatte, war die Freude an dem schnellen Lauf deutlich anzumerken. Immer wieder verfiel er in einen halsbrecherischen Galopp, so dass Widukind ihn mehr als einmal zügeln musste.

Am Fuße der Berge trafen sie auf eine kleine Siedlung, die in den vergangenen Jahren unterhalb eines hellleuchtenden Kalkfelsens entstanden war. Von dort aus hielten sie sich auf dem Weg, der auf der Südseite der langgestreckten, bizarren Felsformationen, deren Entstehen die alten Leute den Riesen aus der germanischen Vorzeit zuschrieben, in Richtung Sonnenaufgang erstreckte. Schon wenige Meilen später kamen das Dorf Tammosrode und der große Hof, der Widukinds Großvater Worad gehörte, in Sicht.

Der einbeinige Edeling, der bereits im siebzigsten Sommer stand, saß auf einem mit Kissen belegten Lehnstuhl unter dem Vordach seines Langhauses und wurde nicht müde, seine auf dem Hof arbeitenden Dienstleute mit scharfen Blicken zu beobachten. Gefiel ihm etwas nicht, dann stieß er einen gellenden Pfiff aus und rief die Mägde oder Knechte, die seinen Unmut erregt hatten zu sich, um ihnen eine geharnischte Strafpredigt zu halten.

Nachdem Widukind und seine Begleiter zunächst den alten Hausherrn begrüßt und ein wenig mit ihm geplaudert hatten, machten sie sich auf den Weg in die Küche, wo Radwalde, Worads Gemahlin, ein mindestens ebenso strenges Regime führte wie ihr Mann auf dem Hof.

Ihren Enkel, dessen Freund Bruniko und den ihr ebenfalls gut bekannten Abbio aber empfing sie mit großer Herzlichkeit, ließ ihnen sofort einen kühlen Trunk bringen und fragte, ob sie zum Essen blieben. Obwohl ihm natürlich bestens bekannt war, welch schmackhafte Speisen in der Küche seiner Großmutter zubereitet wurden, lehnte Widukind dankend ab, da er wusste, dass sie sonst vor dem Vesperläuten nicht wieder in die Sättel kommen würden. So beließen es die drei Jungherren bei einem schnellen Imbiss und setzten ihren Ritt nach einer nur halbstündigen Rast fort.

Eine weitere halbe Stunde später trafen sie auf das Ufer der Bode und folgten für kurze Zeit dem Lauf des Flusses. Dann schwang sich der Weg über einen schmalen, bewaldeten Bergrücken und als die Reiter diesen erklommen hatten, sahen sie die auf einem hohen Sandsteinfelsen erbaute Quedlinburg vor sich liegen.

Hinter der mehr als zwei Klafter hohen Burgmauer hatten fünf mit rotgestrichenen Holzschindeln und vier mit Reet gedeckte Gebäude Platz gefunden, deren Dächer ebenso über die zinnengekrönte Umwallung ragten wie der Turm einer Kirche und die lange Esse eines Backhauses.

In der Mitte des südlichen Mauerabschnitts erhob sich ein mächtiger, viereckiger Torturm, zu dem ein aus dem Sandsteinfelsen geschlagener Weg hinauf führte. Widukind zeigte auf den großen Turm und rief Abbio zu: „Darin wirst du wohnen!“

Die drei Reiter trabten den Burgstieg bis zum offenstehenden Tor hinauf. Die beiden Wachen, die Widukind und Bruniko schon von weitem erkannt hatten, ließen sie ohne Anruf passieren. Unter dem aufgezogenen Fallgitter stiegen die Ankömmlinge aus den Sätteln und führten ihre Pferde am Zügel durch den nach links abbiegenden Torgang in den westlichen Innenhof der Burg.

Rechts von ihnen erstreckte sich, vom Tor bis zur gegenüberliegenden Ringmauer, eine gerade, mehr als mannshohe Mauer, in deren Mitte ein weiterer Torturm Durchlass in den mittleren Burghof gewährte. Dieses Tor wurde das innere Tor genannt. Zwei Knechte waren gerade dabei, die Mauer neu zu tünchen. Sie waren so eifrig bei der Sache, dass das Gras zu ihren Füßen so weiß gesprenkelt war, als ob es geschneit hätte.

Der Hof des westlichen Teils der Burg wurde von fünf Gebäuden eingefasst, die sich alle mit ihren Rückseiten an den Mauerring lehnten. Gleich links erhob sich der Palas, in dem sich das Refektorium für die Stiftsdamen und in dem Stockwerk darüber die Gemächer der Stiftsherrin Mathilde und die Gastgemächer des Königs befanden.

Unmittelbar an dieses größte Gebäude der Burg angebaut, stand ein etwas niedrigeres, aber ebenfalls zweistöckiges Haus, das im Erdgeschoss die Küche und im oberen Geschoss die Gemächer Widukinds und Brunikos, sowie einige - zumeist leer stehende - Gästezimmer beherbergte.

Während die westliche Schmalseite des Burgberges vollständig von dem wuchtigen Haus eingenommen wurde, in dem der Burghauptmann Spazzo wohnte, waren die beiden langgestreckten Häuser an der Nordseite des Hofes den Stiftsdamen vorbehalten.

An der frischgestrichenen Mauer entlang schritt Widukind den beiden Anderen voraus bis zu dem inneren Tor und betrat den mittleren Burghof, der durch einen Flechtzaun noch in einen südlichen und einen nördlichen Teil getrennt wurde.

In dem rechten Teil des Hofes stand die dem Heiligen Servatius geweihte Kirche, die an ihrer südlichen Längsseite von einem Glockenturm überragt wurde. In ihr hatte König Heinrich seine letzte Ruhestätte gefunden.

Etwas schräg hinter dem Gotteshaus befand sich noch ein weiteres, zweigeschossiges Wohngebäude, dessen Rückwand wie bei den Häusern im ersten Hof durch die Burgmauer gebildet wurde. Im Erdgeschoß dieses Hauses wohnten die Stiftsdamen, für die sich kein Platz mehr in der Hauptburg gefunden hatte, das Obergeschoß war für hochgestellte Gäste bestimmt, die nicht zur königlichen Familie gehörten.

Auf der linken Seite des Hofes standen zwei reetgedeckte Fachwerkhäuser, ein großes und ein kleineres. Das kleinere Haus diente den Zofen der Stiftsdamen und den Dienstmägden der Burg als Unterkunft, in dem größeren befanden sich die Pferdeställe.

Unmittelbar hinter dem Mägdehaus trennte eine weitere, mit einem Schlupftor versehene Mauer den mittleren von dem östlichen Burghof. Da dieser gut einen Klafter tiefer lag als der mittlere, führte eine mit steinernen Stufen versehene Treppe zu ihm hinab.

In diesem Hof gab es neben zwei Fachwerkhäusern, die als Speicher und als Wohnstatt der Burgknechte dienten, auch einige Kräuterbeete und ein kleines Gatter, in dem ein paar Hühner nach Regenwürmern pickten.

Nachdem die Reiter ihre Rösser vor dem Pferdestall den diensteifrig heraneilenden Stallburschen übergeben hatten, geleitete Widukind seinen Verwandten zu dessen Unterkunft im zweiten Stockwerk des großen Torturmes. Ein von Bruniko herbeigerufener Knecht lud sich die beiden Packtaschen und die kleine Truhe Abbios, die seine wenigen Habseligkeiten und Kleider enthielten, auf die Schultern und trug sie hinter den beiden Edelingen her.

Die vier Burgmänner, die mit Abbio zukünftig die Stube teilen würden, empfingen den neuen Mitbewohner freundlich. Natürlich wussten sie, dass der Neuankömmling ein Verwandter Widukinds war und ebenso gut wussten sie, dass es nicht ratsam war, den stellvertretenen Burghauptmann, in dessen Verantwortung die Einteilung der Wachen lag, zu verärgern. Denn dies war der sicherste Weg, um für längere Zeit auf Wache zu einem der die Pfalz umgebenen Warttürme geschickt zu werden, in denen es weder willige Mägde noch unverdünnten Wein gab.

Nachdem er seinen Schützling bei seinen neuen Gefährten zurückgelassen und sich auf den Weg zu seinem Quartier gemacht hatte, spürte Widukind plötzlich das unverkennbare Gefühl sich schnell nahenden Hungers im Magen, welches durch den appetitlichen Essensgeruch, der aus dem offenstehenden Eingang der Küche drang, noch verstärkt wurde. Ein Wunder war das nicht, schließlich hatte er sich zu Mittag in Tammosrode mit einer nur halb gefüllten Schüssel kalten Hirsebreis begnügt.

Als er den Raum mit der rauchgeschwärzten Balkendecke betrat stand Barbara, die dunkelhaarige Köchin an dem offenen Herd und war gerade dabei, eine Biersuppe für das Abendmahl zuzubereiten.

Dazu hatte sie am Vormittag altbackenes Brot mit dem Messer zerkleinert, es mit dunklem Bier übergossen und mit getrockneten Kräutern zwei Stunden köcheln lassen, bis sich Brot und Bier in eine sämige Masse verwandelt hatten.

Nachdem sie das Bier-Brot-Gemisch durch ein, von ihrer Gehilfin gehaltenes Sieb hatte laufen lassen, rührte sie mehrere Löffel flüssiggemachter Butter unter die Suppe und schmeckte alles mit Honig und zerstoßenem Kümmel ab.

Widukind ließ sie gewähren. Ohne auf sich aufmerksam zu machen, brach er sich ein Stück von einem der in einem Korb aufgestapelten Fladenbrote ab und setzte sich auf einen neben der Eingangstür stehenden, dreibeinigen Schemel.

Als die Köchin den Ankömmling bemerkte, unterbrach sie sofort ihre Arbeit.

„Gott zum Gruß, Herr Widukind! Ihr seid von Eurer Reise zurückgekehrt?! Dann habt Ihr sicher einen tüchtigen Hunger!“

Sie wandte sich der neben ihr hantierenden Küchenmagd, einer slawischen Sklavin, zu, drückte ihr ihren Löffel in die Hand und beschied sie: „Ofka, mach du mal hier allein weiter.“

Dann schnitt sie ein kräftiges Stück von einer der in dem großen Kamin hängenden Speckseiten ab, legte es gemeinsam mit einem Stück kalten Braten auf einen sauberen Teller und stellte ihn vor Widukind auf den von vielen Messerschnitten eingekerbten Tisch, an dem die Küchenmägde Fleisch und Gemüse schnitten.

„Wartet nur einen Augenblick, junger Herr, ich hole Euch noch einen Becher Met. Den trinkt ihr doch so gern!“

Widukind lächelte fein. Aus Erfahrung wusste er, wie sehr die stets um sein leibliches Wohl bemühte Köchin ihn als Beischläfer für die Nacht begehrte. Und tatsächlich, als sie ihm den fast randvoll gefüllten Becher mit dem Honigwein reichte, rutschte ihr doch tatsächlich das graue Kleid ein wenig von der Schulter, so dass der Mann einen schönen Einblick in die dunkle Vertiefung ihres Busens bekam.

Dieser bedenkliche Verstoß gegen die Sittsamkeit war durch eine mit flinker Hand vollzogene Lockerung der Verschnürung des Kleides verursacht worden und sollte dem Jungherrn zu verstehen geben, dass die Köchin ihn gern auch anderweitig zu sättigen bereit war.

„Komm heute Abend nach der letzten Wachrunde zu mir“, flüsterte Widukind, während seine Hand den großen Hintern Barbaras tätschelte. „Ich warte auf dich!“

Den Rest des Tages verbrachte er damit, Abbio die Burg zu zeigen und die Umgebung zu erklären. Zuerst führte er seinen Verwandten in den Palas mit dem großen Festsaal, dann gingen sie zum Haus des Burghauptmanns Spazzo und Widukind stellte dem wohlbeleibten Herrn, dessen Atem schon zu dieser Tageszeit nach säuerlichem Wein roch, den neuen Burgmann vor.

Danach besuchten sie die Rüstkammer, die Vorratskeller und die Ställe, wo sie ein wenig mit den Mägden schwatzten, die den Neuankömmling mit prüfenden Blicken begutachteten. Zum Ende ihres Rundgangs stiegen sie auf die oberste Plattform des Torturmes, von der aus sich ihnen eine herrliche Aussicht auf die abwechslungsreiche Umgebung bot.

„Schau“, sagte Widukind und deutete auf die im Südwesten und im Nordosten des Burgberges inmitten von Äckern, Weiden und Brachen liegenden Wirtschaftshöfe, „Diese beiden Gehöfte - zur besseren Unterscheidung nennen wir das Anwesen im Norden den kleinen, und das im Süden den großen Hof - sind für uns von besonderer Wichtigkeit, denn sie stellen die Versorgung der Pfalz mit allem Lebensnotwendigem sicher. Darum müssen wir auch jederzeit bereit sein, sie vor einem plötzlichen Überfall zu schützen.“

Danach wies er auf eine kahlgeschlagene Erhebung in östlicher Richtung, die etwa zweieinhalb Meilen entfernt war. „Dies sind die Seweckenberge und der Holzturm darauf ist einer unserer Wachtürme. Und dort, etwas rechts davon, liegt die Gersdorfer Burg, die einst dem großen Thietmar, dem Freund und Berater König Heinrichs gehörte.“

Nun wandte sich Widukind nach Norden. „Dort unten, wo sich heute die Quedlinburger Siedlung ausbreitet, befand sich einst der Vogelherd, an dem der spätere Erzverräter Egino unserem Herrn Heinrich die Krone angetragen hat.“

Abbio nickte. Natürlich kannte er - wie jedes Kind in Sachsen - die Geschichte von dem fränkischen Grafen Egino, der Herzog Heinrich im Auftrag des Bruders des verstorbenen Königs Konrad, die Krone des Ostfrankenreiches angeboten, ihn dann später aber an die Hungaren verraten hatte.

„Der große Felsklotz, den du dort hinten siehst“, fuhr Widukind fort, „ist der Lehofberg, kurz Lehof genannt. Und da, ein Stück weiter links, nimmt das Steinholz seinen Anfang. Auch dort steht einer unserer Warttürme. Aber die wirst du alle noch von innen kennenlernen, denn zu unserem Wachdienst gehört auch die ständige Bemannung der Warten.“

Er verstummte für eine Weile und gab Abbio Gelegenheit, sich an dem schönen Rundblick zu ergötzen, bis er die ersten Stiftsdamen aus ihren Häusern kommen und zum Königshaus schlendern sah. „Doch nun lass uns zum Speisesaal gehen, denn in Kürze wird das Abendbrot aufgetragen.“

*

Nach dem gemeinsam mit den Stiftsdamen und den adligen Herren im Refektorium eingenommenen Abendmahl, zieht sich Widukind in Erwartung einer leidenschaftlichen Nacht mit der liebeshungrigen Köchin Barbara schnell in sein Zimmer zurück, streift Stiefel, Hose, Hemd und Tunika ab und legt sich unbekleidet auf sein Bett.

Es dauert noch mehr als eine Stunde, bis der Wartende endlich ein leises Anklopfen hört und nur einen Atemzug später - und ohne, dass er „Herein“ hat rufen müssen - öffnet sich die Tür und Barbara tappt auf nackten Sohlen in das Gemach. Auf dem kurzen Weg bis zu Widukinds Bett gleiten ihr das Kleid und das Hemd von den breiten Schultern und fallen raschelnd zu Boden.

Es ist eine warme, wolkenlose Nacht. Silbernes Mondlicht beleuchtet Barbaras, von vielen Leberflecken bedeckten, fülligen Körper. Ihre riesigen Brüste mit den bräunlichen, kinderfaustgroßen Warzenhöfen hängen schwer herab, die Hüften sind breit und rund, die Taille alles andere als schmal. Auf ihren feisten Hinterbacken und auf den Oberschenkeln haben sich einer Vielzahl von Grübchen gebildet.

Eine Frau in der Pracht ihres weißen Fleisches, gesund und voller Leben!

Widukind beugt sich vor, fasst nach dem Arm der Köchin und zieht sie zu sich ins Bett. Die Erregung der beiden ist so groß, dass das ansonsten gern von ihnen ausgeübte Vorspiel diesmal recht kurz ausfällt.

Wie Trunkene fallen sie übereinander her und lieben sich mit einer hemmungslosen Wildheit, getrieben von gegenseitigem Begehren und beiderseitiger, verzehrender Lust.

Mit schwingenden Bewegungen ihres Beckens kommt Barbara Widukinds rhythmischen Stößen entgegen, ihre Brüste schwappen schwerfällig hin und her, salziger Schweiß macht ihre Haut glitschig. Sie keuchen, unkontrollierbares Lustgestöhn entringt sich ihren Kehlen, das Bettgestell knarrt bedenklich und die Luft, die Widukind mit seinen heftigen Stößen in Barbaras Schoß gedrückt hat, entweicht geräuschvoll.

Dann endlich schleudert der Mann seinen warmen Samen in das tiefste Innere der Frau, in dem gleichen Augenblick, in dem auch über ihr die Welle der heißesten Wonne zusammenschlägt.

Schwer atmend lassen sie sich in die schweißnassen Laken sinken, um ein wenig zu verschnaufen.

Ein Becher Wein und das hautnahe Nebeneinanderliegen in dem schmalen Bett wecken schon kurze Zeit später die Geister der Lust aufs Neue. Das Berühren, das Kosen mit Fingern, Lippen und Zungen an allen dafür empfänglichen Körperteilen, macht sie bereit, immer wieder bereit, für weitere Vereinigungen mit nicht nachlassenwollender Kraft und Hingabe …

*

Am nächsten Morgen tat sich Widukind mit dem Aufstehen schwer. Barbara hatte ihn schon vor einer Dreiviertelstunde verlassen, denn die Vorbereitungen des Morgenmahls duldeten keinen Aufschub. So ganz ohne Schlaf geblieben spürte sie dennoch keine Müdigkeit, denn die erlebte Lust hatte sie inwendig mit einem solchen Maß an Lebendigkeit und Tatkraft erfüllt, das jedes Gefühl der Ermattung oder Erschöpfung verdrängte.

Widukind, der sich vollständig verausgabt hatte, kam dagegen nur mühsam aus dem Bett und erst nachdem er sein Gesicht in das mäßig kühle Wasser der auf der Fensterbank stehenden Waschschüssel getaucht hatte, begannen seine Lebensgeister langsam wieder zu erwachen.

Gähnend zog er sich an, band sein Wehrgehänge um und verließ das Zimmer.

Seitdem er für den Wachdienst auf der Quedlinburg verantwortlich war, hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, die Wachen zweimal am Tag und einmal in der Nacht, zu wechselnden Zeiten, zu kontrollieren. Wenigstens einmal in der Woche aber unternahm er seinen Rundgang in der Stunde, in der die Nacht in den Tag überging, weil die Männer gerade zu dieser Zeit gern ein Nickerchen machten.

Im Grunde genommen bestand für eine erhöhte Wachsamkeit eigentlich keine Notwendigkeit. Im Reich herrschte Frieden und die Quedlinburg hätte ohnehin niemand anzugreifen gewagt. Aber nur wer in Zeiten des Friedens die Manneszucht hielt, der hielt sie auch im Krieg.

Und irgendwann würde er wieder kommen, der Orlog, der große Verderber mit seiner brüllenden Flut des alles verschlingenden, blutroten Wassers, in dem sich der Krieger wie ein Fisch bewegte.

Wenn man es genau nahm, dann konnte Widukind - ohne zu übertreiben - sagen, dass er der eigentliche Kommandant der Burgbesatzung war, denn der beleibte Herr Spazzo, der weder von den Einfällen eines allzu regen Verstandes noch von einem übermäßig großen Tatendrang geplagt wurde, kümmerte sich nur wenig um seine dienstlichen Belange und überließ das meiste nur allzu gern seinem Vertreter.

Als der Milites seine Runde ohne besondere Vorkommnisse beendet hatte und sich anschickte, wieder zu seinem Quartier zurückzukehren, kreuzte Philippa, die gerade erst sechzehnjährige Gemahlin des Burghauptmanns Spazzo, seinen Weg.

Die junge Frau, der der mehr als dreißig Jahre ältere Spazzo vor vier Jahren seinen Ring auf dem Knauf seines Schwertes dargeboten hatte, stammte aus einem alten ostfälischen Geschlecht, welches vor allem im Nordthüringgau so reich begütert war, dass Philippas Vater auch seine dritte Tochter noch mit einer ordentlichen Mitgift ausstatten und an den Mann hatte bringen können. Auch wenn dies der selbst nur über mäßige Einkünfte verfügende Spazzo war.

Widukind mochte das freundliche Wesen Phillipas und ihre wohlerzogene, zurückhaltende Art. Außerdem gefielen ihm ihre anmutigen Bewegungen und ihr ansehnliches Äußeres.

Sie hatte ein hübsches, längliches Gesicht mit gefälligen Zügen, schmalen Lippen und blaugrauen Augen. Ihre hohe Stirn und ihre Wangen, vor allem aber ihr Nasenrücken waren von einer Vielzahl kleiner, hellbrauner Sommersprossen wie mit feinem Goldstaub überpudert. Bis auf eine vorwitzige Locke, die ihr über das linke Ohr hing, hatte sie - so wie es sich für eine verheiratete Frau geziemte - ihre weizenblonden Haare unter einer Haube aus weißem Leinen verborgen.

Unter dem Gesinde munkelte man, dass Philippa deutlich öfter als es allgemein üblich war - und zumeist völlig grundlos - von ihrem Gemahl mit der Gerte gezüchtigt wurde und tatsächlich hatte Widukind schon bemerkt, dass sie an manchen Tagen bei den gemeinsam in der großen Halle eingenommenen Mahlzeiten unruhig und mit angestrengtem Gesicht auf ihrem Stuhl hin und her gerutscht war.

Die beiden begrüßten sich im Vorübergeben mit einem förmlichen Morgengruß und einem kurzen Nicken, doch nachdem Philippa an Widukind vorübergeschritten war, wandte sie kurz ihren Kopf zur Seite und sandte einen sehnsuchtsvollen Blick hinter ihm her. Dann atmete sie tief und seufzte verhalten, denn sie war sich der Unmöglichkeit ihrer geheimen Wünsche vollkommen bewusst.

Dass sie nicht die einzige Frau auf der Quedlinburg war, die Widukind mit heimlichen, schmachtenden Blicken bedachte, war auch Abbio bereits nach wenigen Tagen aufgefallen.

„Wie machst du das nur?“, fragte er nicht ganz ohne Neid seinen Verwandten. „Alle Weiber hier, die edlen, wie die einfachen Mägde, gucken mit großen Augen und mehr oder minder unverhohlen zu dir hin wie zu einer Engelserscheinung, sobald du irgendwo auftauchst!“

Widukind zuckte mit den Schultern. „Ist das so? Keine Ahnung. Ist mir noch nicht aufgefallen.“

Nicht aufgefallen? Abbio schüttelte den Kopf. Na, wenn der Neffe da mal nicht flunkerte!

Aber bei Gott - wenn man den zweiten Burghauptmann so anschaute - dann war es wiederum auch kein so großes Wunder!

Der Sohn von Wido und Dieta war von stattlicher Gestalt und männlicher Schönheit. Seine ausdrucksstarken Züge, die dunkelbraunen Augen und sein bis zu den Schultern fallendes, schwarzes Haar, die Erbteile seiner Mutter waren, zogen die Blicke der Frauen an, wie ein Magnetstein das Eisen.

Dazu war er zu allem Weibsvolk, selbst zu den niedrigsten Stallmägden stets freundlich und bisweilen sogar charmant. Wenn er es darauf anlegte, dann konnte er nahezu jede Frau mit Witz, Geist und Redegewandtheit beeindrucken und ihr den Kopf verdrehen.

Allerdings hatte er es, zumindest so viel Abbio wusste, noch nie darauf abgesehen, eine Frau für länger als ein paar Liebesnächte an sich zu binden. Frauen, die edlen wie die aus dem einfachen Volk, waren für Widukind nur ein Zeitvertreib. Fehlte ihm etwa die Fähigkeit zur echten, wahren Liebe?

„Also wenn ich von dem ausgehe, was die Leute, vor allem die Weiber, so an Wunderbarem, Einzigartigem über die große Liebe erzählen, dann habe ich tatsächlich noch keine Frau wahrhaftig geliebt“, erklärte Widukind dann auch auf eine entsprechende Frage seines jüngeren Oheims, der es nicht glauben wollte, dass sein Verwandter bisher noch so gar keine hehren, hochherzigen Gefühle im Umgang mit der Frauenwelt entfaltet hatte.

Die Beiden saßen mit Bruniko in Widukinds Gemach, der Eine auf dem Bett, der Zweite auf einer Truhe und der Dritte auf dem einzigen Stuhl. Gemeinsam ließen sie sich den Met schmecken, den Barbara ihnen von der rotblonden Ofka hatte bringen lassen und tauschten sich über ihre Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht aus.

„Ich schon …“, warf Bruniko mit belegter Stimme ein, unterbrach sich dann aber und sprach nicht weiter.

„Erzähl uns davon“, bat Abbio, nachdem einige stille Sekunden verstrichen waren, „wenn es dir nicht zu sehr das Herz beschwert.“

„Als ich noch in dem Kastell an der Elbe lebte“, begann der Burgmann, „gab es im benachbarten Dorf ein Mädchen, eine Bauerntochter namens Emma. Sie war schlank und gut gebaut, und sie hatte langes, volles, dunkelblondes Haar. Von Wuchs und Aussehen ähnelte sie übrigens ein wenig deiner Schwester Anselma, Freund Widukind.

Ich begegnete ihr eines Tages bei einem Ausritt auf einem Hügel am Ufer des Elbstromes. Sie stand dort oben im hohen Gras, barfuß und mit leicht geschürztem Kleid, und der Wind spielte mit ihren offenen Haaren.

Als ich mich ihr näherte, sah sie zu mir auf und mir wurde plötzlich ganz seltsam zumute, denn ihr Gesicht … es war … es war von einer so hinreißenden Art, die mich bis tief ins Innere erschütterte. Ich weiß nicht was mich daran so bezauberte, ob es der Schnitt oder die Farbe ihrer hellblauen Augen, die kleine Nase, die roten Lippen, die weißen Zähne oder die runden Wangen waren, die mich in ihren Bann zogen, aber ich konnte nicht anders, als sie unentwegt anzustarren.

Ich fragte sie nach ihrem Namen, woher sie kam, was sie hier so allein mache, wer ihre Eltern waren, wie alt sie sei - allen möglichen Unsinn halt - nur um in ihrer Nähe verweilen zu können. Sie beantwortete alle meine Fragen mit einer Engelsgeduld und mit einem warmherzigen Lächeln. Später sagte sie mir, dass auch sie schon vom ersten Augenblick an Gefallen an mir gefunden hatte und alle meine Fragen so ausführlich wie möglich beantwortete, nur damit ich nicht gleich wieder fortreiten würde.

Schließlich stieg ich ab und wir gingen zu Fuß nebeneinander her, bis zu ihrem Dorf. Es gelang mir, sie dazu zu überreden, sich am nächsten Tag wieder mit mir zu treffen. Und als ich schon eine geraume Weile vor der verabredeten Stunde dort hinkam, da wartete sie bereits auf mich.

Sie war ein einfaches Bauernmädchen, offen, ehrlich und arglos. Andere mögen in ihr nichts Besonderes gesehen haben, aber für mich war sie eine Göttin! Tag und Nacht dachte ich an sie, überall hörte ich ihre sanfte Stimme, überall sah ich ihr Gesicht, sie hatte all meine Sinne gefangen.

Natürlich war auch uns der Standesunterschied bewusst und so schmiedeten wir alle möglichen verrückten Pläne, um zusammen sein zu können. Wir wollten zu den Wenden fliehen, auf der Elbe ins ferne Hammaburg fahren, den Bischof von Magdeburg kniefällig bitten, unsere Ehe zu genehmigen und zu segnen.

Doch nichts davon setzten wir in die Tat um.

Und dann war es zu spät, denn allzu schnell wurde unsere Liebe ruchbar und allzu schnell handelten unsere Väter. Der Kastellan und der Bauer taten sich gegen ihre Kinder zusammen - mein alter Herr, weil er keine unstandesgemäßen Bastardenkel wollte und Emmas Vater, weil er ihre Ehre und die seiner Familie in Gefahr sah.

Und dabei hatten wir uns noch nicht einmal richtig geliebt …“

Er verstummte und schaute mit zusammengepressten Lippen an die hell gestrichene, schmucklose Zimmerwand.

„Und wie ging es weiter?“, fragte Abbio nach einer Weile behutsam.

„Sie brachten sie fort, sprichwörtlich über Nacht! Vermutlich in irgendein Dorf im Nordthüringgau, auf jeden Fall meilenweit von unserem Kastell entfernt. Ich wollte sie suchen, doch nur einen Tag später wurde ich zuerst zur Magdeburg und dann hierher zur Quedlinburg geschickt.“

Widukind rieb sich das glattrasierte Kinn. „Dann hat dir deine große Liebe also nur wenig Freude, dafür aber viel Verdruss und Kummer bereitet!“

„Ach, mein Freund“, versetzte Bruniko, „die echte Liebe - die dir die Brust abschnürt, wenn du deine Angebetete auch nur einen Tag lang nicht siehst - die lässt dich Dinge, die du sonst nur mit Abneigung getan hast, plötzlich liebend gern tun, wenn du deiner Liebsten damit eine Freude machen kannst. Oder du verschenkst einen Gegenstand, von dem du dich sonst um nichts in der Welt trennen würdest, leichten Herzens und freudig an deine Angebetete! Das ist die wahre Liebe!“

„Merkwürdig ist das, was du uns da erzählst!“, murmelte Widukind, der dem Anderen aufmerksam zugehört hatte. „So etwas ist mir in der Tat noch nicht wiederfahren, obwohl ich wahrhaftig schon viele Frauen - seien es edle Damen oder Fräulein, Mägde oder Bauerntöchter gewesen - umarmt und mit ihnen das Lager geteilt habe.“

„Hmm“, brummte Abbio, der nicht wusste, ob er den Verwandten wegen der Vielzahl seiner Eroberungen beneiden, oder ihn ob des Fehlens jeglicher tiefergehender Gefühle zu den Gespielinnen bedauern sollte.

„Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist“, setzte Widukind nach einigen Augenblicken des stillen Sinnens fort, „obwohl es allen Regeln der Manneszucht oder gar den Forderungen unserer Kirchenmänner nach einem keuschen Leben zuwiderläuft, so kann ich doch keinen Fetzen nackter, weiblicher Haut, der sich mir darbietet, unbetrachtet lassen! Jede nackte Schulter, jede Wade, ja jeder schöne Fuß zieht meinen Blick an, wie der Honig den Bären.

Und an den nackten Körpern der Frauen, die sich vor mir entblößen, kann ich mich erst recht kaum satt sehen!