Der Postsekretär im Himmel und andere Geschichten - Ludwig Thoma - E-Book

Der Postsekretär im Himmel und andere Geschichten E-Book

Ludwig Thoma

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Beschreibung

Für RUTHeBooks Klassiker lassen wir alte oder gar schon vergriffene Werke als eBooks wieder auferstehen. Wir möchten Ihnen diese Bücher nahebringen, Sie in eine andere Welt entführen. Manchmal geht das einher mit einer für unsere Ohren seltsam klingenden Sprache oder einer anderen Sicht auf die Dinge, so wie das eben zum Zeitpunkt des Verfassens vor 100 oder mehr Jahren "normal" war. Mit einer gehörigen Portion Neugier und einem gewissen Entdeckergeist werden Sie beim Stöbern in unseren RUTHeBooks Klassikern wunderbare Kleinode entdecken. Tauchen Sie mit uns ein in die spannende Welt vergangener Zeiten!

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Ludwig Thoma

Der Postsekretär im Himmel und andere Geschichten

Impressum

Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016
ISBN: 978-3-95923-181-7
Für Fragen und Anregungen: [email protected]
RUTHeBooks
Johann-Biersack-Str. 9
D 82340 Feldafing
Tel. +49 (0) 8157 9266 280

Inhalt

Der Postsekretär im Himmel

Die Hinterseer

Peter Spanningers Liebesabenteuer

Der Kohlenwagen

Auf Reisen

Auf der Elektrischen

Der Klient

Die Familie in Italien

Die Interviewer

Die Halsenbuben

Schneehendlpfeifen

Die Wilderer

Der Postsekretär im Himmel

Zwei Tage vor Mariä Lichtmeß wurde der Postsekretär Martin Angermayer zu München von einem echt bayerischen Schlaganfall derartig getroffen, daß er schon nach einer halben Stunde den Geist aufgab.

Seine Seele schickte sich jedoch nicht sogleich zur Reise an, sondern sie gab wohl acht, ob den irdischen Resten auch alle übliche Ehre widerfahre, und zählte und prüfte die Kränze, welche von einigen Verwandten, auch vom Stammtisch im Franziskaner, dem Verkehrsbeamtenverein und seinem Kegelklub gespendet wurden.

Sie bemerkte sodann noch mit Genugtuung, daß der Herr Postrat Leistl beim Begräbnis zugegen war, daß auch die Haushälterin Zenzi in Tränen zerfloß, und sie fuhr gen Himmel, indes ein Quartett des Männergesangvereins eine erhebende Weise sang.

Da saß nun Sekretär Angermayer im Vorraume des Paradieses und fühlte sich keineswegs so glückselig, wie man es nach den Schilderungen frommer Bücher eigentlich glauben sollte.

Schon daß er nackend war, benahm dem an Ordnung gewöhnten Beamten die Sicherheit, und es wollte das Gefühl, ein respektabler Mensch zu sein und auch als solcher zu gelten, nicht recht in ihm aufkommen.

Zudem fröstelte es den an überheizte Bureauräume Gewöhnten in dem Luftreiche, und der Verdacht, daß es von irgendwoher ziehe, quälte ihn nicht minder wie die Unmöglichkeit, jemanden zum Schließen eines Fensters auffordern zu können.

Denn dieser Vorhof des Paradieses war nach drei Seiten hin eigentlich offen, nur vom eigentlichen Himmel trennte ihn eine Wolkenwand, und zwischen den wundervollen Säulen, die ihn rings umgaben, konnte freilich die balsamische Luft ungehindert einströmen, und gleichermaßen von oben, da sie kein Dach abhielt.

Angermayer schickte seine Blicke mißmutig in das unendliche Blau, das sich über ihm wölbte, und in die rosigen Fernen, die sich zwischen den Säulen auftaten, und diese Unbegrenztheit war ihm fremd, und was ihm fremd war, das war ihm nun einmal zuwider.

Dann stand, seine Unbehaglichkeit zu steigern, eine Menge von Leuten um ihn herum, die sichtlich nicht alle aus Bayern oder gar aus München gekommen waren.

Er konnte im Gegenteil bemerken, daß es Menschen aus aller Herren Ländern waren, gelbe, braune, schwarze, Leute mit langen Haaren, wie sie spinnende Schwabinger tragen, Leute mit buschigem Wollhaar, Leute mit Zöpfen, kurzum zumeist fremdartige Wesen, denen er nie hold gewesen war, und die meisten verdrehten ihre Augen verzückt und selig und benahmen sich auffällig.

Jedem einzelnen von ihnen hätte er in den Straßen seiner Heimatstadt verächtlich nachgeschaut unter bissigen Bemerkungen. Jedem hätte er aus seinem Schalter heraus Respekt beigebracht, aber hier, so mitten unter ihnen, war er hilflos und, was das schlimmste war, er gehörte eigentlich zu ihnen, oder schien wenigstens einer von ihnen zu sein. Dann: Zeit seines Lebens war er kein Freund von Kindern gewesen, und ihre Unarten, die von nachsichtigen Eltern womöglich noch gepriesen werden, fielen ihm stets unangenehm auf, und er war nie geneigt, ihrer Unerfahrenheit oder ihrer Jugend etwas zugute zu halten.

Hier trippelten sie nun scharenweise vor seinen Augen herum und jauchzten, und niemand war da, der sie mit Strenge zur Ruhe gewiesen hätte, ja als er einen Bengel, der ihm zu nahe kam, einen ungezogenen Fratz nannte, schüttelte ein langhaariger fader Kerl, der neben ihm stand, mißbilligend den Kopf.

Da drängte sich Angermayer unwirsch durch die Menge und stellte sich hinter eine Säule, um nur das Getue nicht mehr mit ansehen zu müssen.

Seine Gedanken kehrten sehnsüchtig nach der Erde zurück, wo gerade heute als an einem Donnerstage der Kegelabend stattfinden mußte, und er beneidete die Glücklichen um ihr harmloses Vergnügen.

Die Kollegen redeten gewiß von der Überbürdung des Amtes, bekrittelten die Leistungen der Vorgesetzten und erzählten, wie sie diesem und jenem die Meinung gesagt hätten, und sicherlich war auf diese Art die allergemütlichste Unterhaltung im Gange.

Vielleicht würden sie heute auch an ihn denken und wohl gar mit Bedauern seine Abwesenheit bemerken?

Er hatte freilich nicht das meiste zur Fröhlichkeit beigetragen, aber er war immer pünktlich zur Stelle gewesen und hatte sich jederzeit als eifriges Mitglied gezeigt, und wenn auf Zeit und Zustände geschimpft wurde, hatte es nie an seinem Beifall und seiner kräftigen Mitwirkung gefehlt.

Ach ja — München!

Angermayer seufzte tief, und der lästerliche Gedanke stieg in ihm auf, wie gerne er sich aus Elysium weg nach der bayerischen Hauptstadt versetzen ließe, und wie bereit er wäre, mit einem Kollegen zu tauschen.

Aber er war schon ein Pechvogel.

Auf Erden hatte man ihn oft übergangen, ihm nie die verdiente Beförderung zuteil werden lassen, und wie er dann schimpfend und nörgelnd und doch im Innern zufrieden sich mit seiner Sekretärstellung abfand, mußte er weg mitten unter die nackten, ekelhaften Schlawiner hinein — — —

"Angermayer!"

Er fuhr aus seinen Gedanken auf, als er seinen Namen mit einiger Ungeduld rufen hörte, und sah einen großen Engel am Himmelsportale stehen, der ungefähr so aussah, wie ein Genius vom Oberammergauer Passionsspiel, und der jetzt die Hände vor den Mund hielt und wiederum den schallenden Ruf ertönen ließ:

"Martin — Angermayer aus München!"

"J — ja!" antwortete mißmutig der Sekretär, "was wollen's denn?"

"Vielleicht ist es Ihnen endlich gefällig, einzutreten?" schrie der Engel.

"I kumm scho," knurrte Angermayer, und er schob sich langsam durch die Gaffer hindurch, die erstaunt über sein Zögern die Köpfe nach ihm umdrehten, und die noch überraschter waren, als sie der Genosse ihrer künftigen Freuden mit groben Ellenbogen beiseite schob.

"Da bin i. Desweg'n brauchen's do net so plär'n," sagte der Sekretär zum Engel, der den merkwürdigen Gast mit leuchtenden, kugelrunden Augen maß.

"Ich habe Dich mindestens dreimal gerufen," sprach er dann mit leisem Tadel.

"Von mir aus sechsmal," erwiderte Angermayer mit einer im langjährigen Schalterdienst erprobten Grobheit, und er setzte beinahe feindselig hinzu:

"Für de Arbeit wer'n Sie wahrscheinlich zahlt wer'n."

"Dein Ton ist ungehörig," sagte der Engel. "Hier ist ganz und gar nicht der Ort für solche Äußerungen, mein lieber Angermayer."

"I bin net Eahna Lieber, verstengen Sie mich! Und d' Säu hamm ma aa no net mitanand' g'hüat. Und drittens bin i der königlich bayerische Sekretär, des mirken's Eahna!"

"Das bist Du gewesen! Und jetzt bist Du eine Seele, und sonst nichts, und hast Dich in die Hausordnung zu fügen."

"Wo is denn Eahna Hausordnung? Wenn Sie a Hausordnung hamm, nacha schaugn's zerscht, daß de Kinder net so umanandrolz'n und lassen's de Schlawiner da d' Füaß wasch'n. Dös waar a Hausordnung, verstengen Sie mich, und dena können's was vazähl'n von Eahnara Hausordnung, aba net an königlich'n Sekretär, der wo seiner Lebtag g'wißt hat, was si g'hört ..."

"Ja, Michael!" rief es ungeduldig von drinnen.

"Gleich!" erwiderte der Engel und schob mit einer im Himmel sonst nicht üblichen Energie den streitsüchtigen Sekretär in das Paradies hinein.

Jeder andere wäre geblendet gewesen von dem schier undenkbaren Glanze, der hier strahlend ausgebreitet war, und jeder andere hätte verzückt dem unbeschreiblichen Wohllaute der in der Ferne singenden und musizierenden Engel gelauscht.

Allein Angermayer hatte sich schon von allem Anfang vorgenommen, hier nichts so übermäßig schön zu finden, und dann war er von Natur nicht überschwenglich, und dann war er noch verbittert durch seinen Streit mit dem Erzengel.

Also blickte er mürrisch darein und schnitt ein Gesicht, das deutlich fragte:

"Is dös all's?"

Vor ihm saß inmitten von schön gelockten Engeln ein unglaublich gütig lächelnder Greis, der eine dunkelblaue Toga trug, in welche goldene Schlüssel eingestickt waren.

Es war der heilige Petrus, der unserm Angermayer nunmehr freundlich zunickte und sagte: "Da bist Du ja, mein Sohn! Sei willkommen in unserem Reiche!"

"Was sagst Du?" fügte er bei, da der Sekretär etwas vor sich hinmurmelte.

"Mi hätt'ns scho no a Zeitlang drunt lass'n kinna. Es hätt ma gar net pressiert," wiederholte dieser, und seine griesgrämige Miene wollte sich nicht aufhellen.

"Aber Martin!" rief der Apostel, "Du bist der erste, der an dieser Stelle nicht vor Freude jauchzt."

"Mit'n Jauchz'n hab' i's überhaupts net, und i waar froh, wenn i drunt mein Grüabig'n hätt'."

Petrus wandte sich lächelnd an die Engel, die neben ihm saßen.

"Seht da, ein Münchner, der sich erst an den Himmel gewöhnen muß!"

Und ernster sagte er zu Angermayer: "Nun geh' und freue Dich und bedenke, daß manches in Deinem armseligen Leben Strafe verdient hätte. Aber es ist Dir Mitleid erwiesen worden."

Der Sekretär merkte am Tone, daß der Heilige als Vorgesetzter gesprochen hatte, und er schwieg.

Ein lebhafter Jüngling mit hüpfendem Gange, der genau so aussah wie einer aus der Schwabinger Stefan-George-Gemeinde, faßte ihn bei der Hand, indem er in singendem Tone sprach:

"Komm, seltsamer Geist, ich will Dich führen."

In dem Postsekretär regte sich wohl sogleich die grimmige Abneigung gegen die Art seines Begleiters, aber er war zu niedergedrückt, um die rechten Worte zu finden, und er schritt griesgrämig und schweigsam neben dem Engel einher.

Der wurde nun gesprächig und erklärte dem Neuling die Grundidee des paradiesischen Lebens.

"Du mußt wissen," sagte er, "daß hier alles auf unendliche Fröhlichkeit gestimmt ist. In den obersten Regionen, wohin wir ja nicht gelangen, befinden sich die erhabenen Geister, welche in fortlaufenden Gesprächen ihrer unbeschreiblichen Freude Ausdruck verleihen. Die Heiligen befinden sich in Verzückung, die Engel musizieren, und Du hörst ja die erhabenen Klänge des Konzertes, wir andern aber, zu denen Du nun auch gehörst, bilden die Heerschar der Seligen, und wir haben die Aufgabe, nach unsern bescheidenen Kräften den Eindruck des höchsten Glückes hervorzubringen.

Zu diesem Zwecke erhält jeder eine Harfe.

Ich führe Dich jetzt zu unserm Obersten, dem Engel Asrael, welcher sie Dir verabreichen wird."

"Was tua denn i mit a Harpfen?" unterbrach ihn Angermayer sehr unwirsch.

"Du mußt frohlocken," sagte sein Begleiter.

"M-hm, ja! Is scho recht! Weil i gar so guat aufg'legt bi, und überhaupts — i ko gar net Harf'n spiel'n — —"

"Du mußt nur in die Saiten greifen — siehst Du, so ..."

Der lebhafte Jüngling nahm sein Instrument, das an einem rosaroten Bande über seine Schulter hing, und klimperte ein wenig.

Dabei hüpfte er im Takte abwechselnd einige Male auf dem rechten und linken Fuße nach vorne und sang mit näselnder Stimme: "Ha — a — lä — ä — lu — u — jah ... Ha lalala — ha lälälä — u — u — ha — ha!..."

Er hielt inne und blickte den Sekretär lächelnd an.

Der machte ein Gesicht, als wenn er saures Bier getrunken hätte.

"Wia hoaßt ma dös?"

"Das ist das Frohlocken der Heerscharen," antwortete der Jüngling.

"Und Sie glaub'n," sagte Angermayer, und ein bitterer Hohn spielte um seine Mundwinkel, "Sie glaub'n, daß i bei so was mittua? I? Dös könna's Eahna ja denk'n, daß i umanandhupf wia r'a spinneter Hanswurscht ..."

"Deine Sprache ist rauh," erwiderte der Jüngling, "und Dein Anlitz zeigt weder Ruhe noch Glückseligkeit, aber bald wird Harmonie Dein Wesen verklären ..."

"De Sprüch mag i," antwortete der erbitterte Postsekretär, und nach einer Weile fügte er hinzu: "Sie, passen's auf, was san denn Sie früher g'wes'n?"

"Was ich ...?"

"Ja, was Sie bei Lebzeit'n g'wen san?"

"Ach so, als ich noch auf Erden wandelte?"

Und als Angermayer nickte, überflog ein seliges Lächeln der Erinnerung die Züge des lang gelockten Jünglings, und er flüsterte mehr, als er sprach:

"Ich war Lehrer für rhythmische Gymnastik und harmonische Exterikultur."

"Was is dös?" brummte sein Begleiter, "dös versteh' i net."

"Ich lehrte die Jugend, sich rhythmisch bewegen und ..."

"Jetza!" schrie der Sekretär, "i hab ma's do glei denkt! A Schlawiner, a Tanzmoasta! Und von Eahna soll i was lerna, frohlock'n oda so an Schmarrn? Jetzt hamm's Zeit, daß Eahna verziahgn, sunst nimm i Eahna d' Harpfen und schlag Eahna umanand damit ..."

Der Jüngling entfloh mit einem Schreckensruf und ließ Angermayer allein zurück, mitten in einer Asphodeluswiese, auf die er sich nun hinsetzte, voll innerlichen Zornes über das Schicksal, das einen königlichen Sekretär dazu brachte, nackend im Grünen zu weilen.

Er starrte grimmig vor sich hin und überdachte die Möglichkeiten, von hier zu entrinnen. Da sich ihm keine zeigen wollte, und da er sich immer mehr darüber klar wurde, daß seine Versetzung in diese Gegend eine definitive wäre, bestärkte er sich in dem Entschlusse, jede Zumutung abzulehnen, die mit seinem Charakter, seinen Neigungen und vor allem mit seiner Beamteneigenschaft nicht in Einklang ...

Er wurde in seinem Gedankengange unterbrochen.

Zwei riesige Engel ergriffen ihn, jeder bei einem Arm, und entführten ihn so schnell und gewaltsam, daß seine Füße den Boden kaum mehr berührten.

Aber seltsam!

Angermayer empfand gegen diese Begleiter weit weniger Widerwillen als gegen jenen sanften Jüngling, und die Gestalten, die Gesichter, die Manieren dieser ungefügen Geister muteten ihn beinahe vertraut an, so daß er trotz der rasenden Schnelligkeit, mit der er vorwärts getrieben wurde, in höflichem Tone zu fragen versuchte:

"Sie entschuldig'n ..."

"Halt's Mäu!" schrie der Engel zur Linken.

"Jegerl! A Landsmann!" rief der Angermayer erfreut und machte einen Versuch, stehen zu bleiben, aber er wurde mit unwiderstehlicher Gewalt fortgerissen, und so keuchte er atemlos: "Geh, sag'n S' mir doch, wo S' her san?"

"Wennst D'as scho wiss'n willst," brüllte der Engel zur Rechten, "mir war'n Klosterhausknecht in Andechs .."

"Jessas Andechs!" jauchzte der Sekretär, und wunderkühle Nachmittage hinter den Maßkrügen des Bräustüberls fielen ihm ein, und er schnalzte unwillkürlich mit der Zunge.

"Und an Backsteiner und an Radi!" setzte er die Reihe der seligen Erinnerungen fort.

Mit wie wenig kann ein Mensch doch glücklich sein, und zu was brauchte man ein solches Paradies, wenn man es auf Erden hatte!

Sein Herz fühlte sich hingezogen zu diesen groben Geistern.

"Was teat's denn mit mir, Leuteln?" fragte er beinahe zärtlich.

"Mir geb'n da nacha scho d' Leuteln!" sagte der Engel zur Linken.

"Außi schmeiß'n tean ma Di," rief der Engel zur Rechten.

Und kaum waren ihm die Worte entfahren, so fühlte sich Angermayer von einem heftigen Wurfe einige Stufen abwärts geschleudert mit dem Kopfe in gefrorenen Schnee fahren, und tausend Sterne flimmerten vor seinen Augen. Ein Tor fiel donnernd hinter ihm zu. — — Er erwachte von dem Falle und der kühlen Luft, die um ihn strich. Er rieb sich die Augen und sah an sich hinunter mit entzücktem Erstaunen, denn er war bekleidet, und er sah um sich und erkannte den lieben alten Rathausturm, dessen beleuchtete Uhr die dritte Morgenstunde zeigte.

Da merkte er froh, daß er im Bräuhause eingeschlafen war und alles nur geträumt hatte, bis auf den Hinauswurf.

Der war erlebte Wirklichkeit.

Die Hinterseer

An den Straßenecken der Residenzstadt X. waren große Plakate angeschlagen, welche verkündeten, daß die "Hinterseer" ihre Vorstellungen im Hoftheater mit dem oberbayerischen Gebirgsstücke "Der Schnackeltoni" am Heutigen beginnen würden.

Man war auf die schauspielerischen Leistungen dieser Kinder der bayerischen Alpen um so mehr gespannt, als die Tagesblätter seit Wochen rühmende Berichte über die urwüchsige, naive Kunst dieser einfachen Bauern gebracht hatten. Der berufenste Kritiker der Stadt, Herr Moritz Bärenthal, hatte noch gestern in seinem Theaterbriefe Nr. 288 geschrieben: "Es sind Bauern. Nur Bauern. Einfache, mit Lederhosen bekleidete Bauern. Aber, was sie uns bieten, ist echte Kunst. Reine, unverfälschte Kost. Man verstehe mich. Ich sage nicht: es ist die Kunst. Ich sage nicht, daß sie allen meinen Vorschriften in Brief 68 und 132 (siehe diese) entspricht. Aber es ist doch Kunst. Die Stücke sind gut. Man gehe hinein. M. B."

Ein anderes Blatt hatte ein Feuilleton über die Hinterseer gebracht. Die bekannt geistreiche Verfasserin desselben schrieb: "Aus diesen Volksstücken weht es uns entgegen wie Waldesluft und Bergesodem. Wir hören das Murmeln der Bäche und das Rauschen der Bäume, und über alledem schwebt leise verklingend ein melodischer Jodler aus der Kehle eines drallen Bauernmädchens, während im Hintergrunde der ‚Bua‘ jauchzend und hüpfend einen Schuhplattler tanzt."

Kein Wunder also, daß die erste Aufführung der Hinterseer das ganze gebildete Publikum der Stadt im Hoftheater versammelte.

Auch Serenissimus hatte sich mit Allerhöchstdero Gemahlin eingefunden. In eingeweihten Kreisen erzählte man sich, daß der hohe Herr vor Beginn der Vorstellung sich heiter angeregt von dero Gemahlin über das Milieu hatte belehren lassen.

Die höchste Frau war nämlich vollständig vertraut mit den Sitten und Gebräuchen des Gebirgsvolkes, da Höchstsie einigemale bereits durchgereist waren.

Ihre Durchlaucht schilderten den bekannten Stolz des reichen Bauern, welcher seine Töchter nur wiederum an Bemittelte verheiratet, was insofern nicht ganz den Intentionen der hübschen Landmädchen entspricht, als diese gewöhnlich ihre treuherzige Zuneigung einem Bediensteten des Vaters schenken.

Durchlaucht erwähnten dann noch den rührenden Kampf zwischen Pflicht und Liebe seitens der Tochter, berührten auch die Entsagung des armen Knechtes, den Konflikt desselben mit dem starrköpfigen Alten und bemerkten, daß alle diese Gefühle am Schlusse des Stückes durch Patschen auf die entblößten Knie rhythmisch zum Ausdrucke gelangen.

Serenissimus hörten sichtlich interessiert zu und waren sich beinahe im klaren, als das Stück begann.

Es war eine echte, taufrische Dichtung.

Die Tochter des reichen Freihofbauern liebte den Flößer Toni, welcher der beste Schütze und Kegelschieber rundum war.

Der Alte hatte beschlossen, seine Afra an den buckeligen Sohn des steinreichen Holzhändlers Schmid zu verheiraten. Alles war besprochen und verabredet zwischen den Eltern.

Da kommt plötzlich die Entdeckung, daß der arme Schnackeltoni diese Pläne stören will.

Bei einem Preiskegeln ist der Freihofbauer über die Kunst des strammen Burschen so entzückt, daß er ihm freistellt, einen Wunsch zu äußern, gleichviel welchen; er wolle ihn gewähren. Und als Toni das nicht glaubt, schwört er bei seiner Ehre und dem Grabe seiner Eltern.

Da wünscht der Übermütige die Hand der Afra Wegleitner zum ehelichen Bunde!!

Der nächstfolgende Akt schildert packend den Seelenkampf des Alten, welcher vor der schweren Wahl steht, ob er dem Holzhändler Schmid oder dem Floßknechte Toni das gegebene Wort brechen soll. Er entscheidet sich schweren Herzens zu letzterem und greift mit rauher Hand in das Lebensglück seiner Tochter, welche nach einem schrecklichen Kampfe zwischen Eltern- und Burschenliebe den Helden des Stückes in die Fremde schickt.

Toni zieht in den Krieg, rettet bei Sedan einen Oberst und zwei Generäle, erhält das Eiserne Kreuz, wird verwundet und sieht im Lazarette seine Afra wieder, welche Krankenpflegerin geworden ist.

Im letzten Akt kommt die Versöhnung. Der alte Wegleitner will immer noch starrköpfig den Floßknecht verschmähen, da bringt der Bürgermeister ein Handschreiben des Königs, welcher die Ehe der lieblichen Alpenrose mit dem tapferen Ritter des Eisernen Kreuzes befiehlt.

Wortlos starrt der Alte auf den Brief.

Mit zitternder Stimme sagt er:

"Wos? Vom Kini? Von unserm Kini? An Briaf von unserm Kini? No, Toni, da hast halt Dei Afra! Bal's da Kini selber hamm will, ko der Freihofbauer net dagegen sei. Leuteln, spielt's oan auf!"

Und nun beginnt auf der Bühne, welche sich rasch mit Burschen und Mädeln füllt, ein lustiges Tanzen, Stampfen und Patschen.

Serenissimus waren sichtlich ergriffen und befahlen die Darsteller der Hauptrollen zu sich. Der Intendant von Pritzelwitz geleitete die Naturkinder in die Loge. Sie schoben sich schwerfällig in den vornehmen Raum, und ihr Wortführer, der "Fischersimmerl", begrüßte die hohen Herrschaften mit der naiven Schlichtheit seines Volkes.

"Grüaß Di Good, Herr Fürst! Grüaß Di Good, Frau Fürstin! Seid's alleweil g'sund beinand?"

"Äh, was? Was sagt der Kärl?" fragte Serenissimus.

"Er frägt Euer Liebden nach dero Wohlergehen," flüsterte die Herzogin.

"So, so? Hm! Äh, äh ... sagen Sie mal, mein Lieber, woher sind Sie eigentlich?"