Der Richter - Erzählungen und Märchen - Ernst Wiechert - E-Book

Der Richter - Erzählungen und Märchen E-Book

Ernst Wiechert

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Beschreibung

Deutschland kurz vor dem 2. Weltkrieg: Auf dem Land wird ein Kommunist ermordet. Der ansässige Richter ist ein rechtschaffender und aufrichtiger Mann, der den mutmaßlichen Mörder nach kurzer Zeit entlarvt. Es ist sein eigener Sohn. Ob sich der Sohn auf die Bitte des Vaters, sich selbst auszuliefern, einlässt?-

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Seitenzahl: 28

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Ernst Wiechert

Der Richter - Erzählungen und Märchen

 

Saga

Der Richter - Erzählungen und Märchen

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1948, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726927580

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com

DER RICHTER

Die alte Beerenfrau ging mit ihrer Nachricht nicht zur Polizei, denn damals, kurz vor dem zweiten großen Kriege, gingen die Rechtlichen nicht mehr zu denen, die das Recht hätten hüten sollen, aber nur der Gewalt dienten.

So trat sie, ohne anzuklopfen, in den kleinen, niedrigen Gerichtssaal, aus dem das Bild des. Erlösers über dem Richtertisch längst verschwunden war, und sie blieb ein wenig an der Tür stehen und blickte auf die Bauernfrau im Zeugenstand, die in schwarze Seide gekleidet war und mit der erbitterten Wut der in ihrem Besitz Bedrohten sich über die „Ausgeschamtheit“ ihrer Magd verbreitete.

Der Oberamtsrichter hatte den Kopf in die linke Hand gestützt und blickte an der Redenden vorbei in den Hintergrund des Saales. Aber jedermann sah, daß er durch diesen Hintergrund bis in eine weite Ferne blickte, die keinem von ihnen zugänglich war oder jemals zugänglich sein würde. Ein schmaler Streifen der Augustsonne fiel über sein dunkles, an den Schläfen schon ergrautes Haar, und unter diesem goldnen Reif sah sein Gesicht traurig und wie verfallen aus.

Die Bauernfrau erhob ihre Stimme, weil sie sah, daß der Richter nicht zuhörte, und plötzlich, wie erweckt von dem schrillen Klang ihrer Schmähungen, wendete er seine Augen auf ihr gerötetes Gesicht und fragte leise: „Wie viele Söhne haben Sie, Riederbäuerin?“ „Drei!“ erwiderte sie empört nach einer Pause, und sie habe es doch schon ein Dutzend Mal gesagt, und der jüngste solle es doch gewesen sein, von dem die „Ausgeschämte“ ihre Lügen erzähle.

„Drei sind viel“, sagte der Oberamtsrichter ebenso leise. „Drei Herzen und sechs Hände können viel Schmerz bereiten.“

Es war nun lautlos still im Saal, und selbst der Protokollführer hob seinen grauen Kopf und sah seinen Vorgesetzten mißbilligend an.

Die Riederbäuerin schluckte ein paarmal, wahrscheinlich aus Empörung, und man sah, wie unter dem seidenen Halstuch ihr Kropf sich bewegte. Aber bevor sie den Mund auftun konnte, ging die Beerenfrau auf den Richtertisch zu. Ihr Stock stieß hart auf die Fichtendielen, der Landjäger hob verweisend die Hand, aber sie achtete es nicht.

Sie beugte sich über den grünbespannten Tisch, der mit Akten bedeckt war, und wartete, bis der Richter seine Augen ihr zuwendet. Es geschah ohne Erstaunen oder Mißbilligung, und sie bemerkte mit einem scheuen Mitleid, daß er sie gar nicht erkannte, so oft sie in der Küche bei seiner toten Frau und den beiden Kindern gesessen hatte. So weit waren seine Gedanken von diesem Saal und seinem Amt entfernt.

„Er liegt an der Kiesgruben“, sagte sie leise, „wo sie die Sonnwendfeuer brennen, und das Licht scheint in seine offenen Augen ... er ist schon kalt.“