Der Rikscha-Fahrer, der das Glück verschenkt - Biyon Kattilathu - E-Book
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Der Rikscha-Fahrer, der das Glück verschenkt E-Book

Biyon Kattilathu

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Beschreibung

Biyon Kattilathu, Kind indischer Einwanderer, ist DER Motivations-Entertainer im digitalen Raum. Beflügelt von seiner eigenen Geschichte, hat er in kürzester Zeit die Social-Media-Bühne erobert und über seine Kanäle Menschen in Scharen begeistert. Erstmals wendet er sich nun in Buchform an seine Fans: Die Hauptfigur in seinem erzählten Ratgeber ist ein indischer Rikscha-Fahrer. So wie Biyon in seiner Eigenschaft als Speaker und Lebenslehrer, hilft der Rikscha-Fahrer ganz nebenbei auf der Fahrt jedem seiner Gäste bei wichtigen Lebensproblemen. In 7 Kapiteln bzw. Episoden werden die wichtigsten Lebensthemen behandelt, die uns Menschen umtreiben. Es geht um Liebe und Verlust, um Angst und Mut, um Verletzlichkeit und Selbstliebe, um Aufrichtigkeit und das konsequente Verfolgen unserer Lebensziele sowie die Kraft, zu uns zu stehen und Entscheidungen zu treffen, die uns stark machen für die Herausforderungen des Lebens. EXTRA im Buch: Über die GU Mind&Soul Plus App können Videos mit Live-Botschaften des Autors zu jedem Kapitel abgespielt werden.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 209

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Impressum

© eBook: 2019 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

© Printausgabe: 2019 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

GU ist eine eingetragene Marke der GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, www.gu.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Verbreitung durch Bild, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Projektleitung: Anja Schmidt

Lektorat: Dr. Antje Korsmeier

Covergestaltung: independent Medien-Design, Horst Moser, München

eBook-Herstellung: Lena-Maria Stahl

ISBN 978-3-8338-7224-2

3. Auflage 2022

Bildnachweis

Coverabbildung: Getty Images, Stephan Schmick

Illustrationen: Dmitri Broido

Fotos: Getty Images

Syndication: www.seasons.agency

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Das vorliegende E-Book basiert auf der 7. Auflage der Printausgabe.

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LIEBE LESERINNEN UND LESER,

wir wollen Ihnen mit diesem E-Book Informationen und Anregungen geben, um Ihnen das Leben zu erleichtern oder Sie zu inspirieren, Neues auszuprobieren. Wir achten bei der Erstellung unserer E-Books auf Aktualität und stellen höchste Ansprüche an Inhalt und Gestaltung. Alle Anleitungen und Rezepte werden von unseren Autoren, jeweils Experten auf ihren Gebieten, gewissenhaft erstellt und von unseren Redakteur*innen mit größter Sorgfalt ausgewählt und geprüft. Haben wir Ihre Erwartungen erfüllt? Sind Sie mit diesem E-Book und seinen Inhalten zufrieden? Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldung. Und wir freuen uns, wenn Sie diesen Titel weiterempfehlen, in ihrem Freundeskreis oder bei Ihrem Online-Kauf.

KONTAKT ZUM LESERSERVICE

GRÄFE UND UNZER VERLAG Grillparzerstraße 12 81675 Münchenwww.gu.de

BIYON 3D

Mit der GU MIND&SOUL PLUS APP kannst du Biyon live in Indien erleben, während du dieses Buch liest. In seinen persönlichen Videobotschaften teilt er seine Gedanken zu den einzelnen Fahrten mit dir.

Und so geht’s:

1. App herunterladen

Lade die kostenlose GU Mind&Soul Plus-App im Apple Store oder im Google Play Store auf dein Smartphone. Starte die App und wähle dieses Buch aus.

2. Bild scannen

Scanne das Bild mit Biyons Kopf, das du am Ende jedes Kapitels findest, mit der Kamera deines Smartphones und klicke dann im Display den Button „Video abspielen“.

Vorwort

Auch die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt.“ Ich bin sehr froh, dass du diese Zeilen liest. Das war dein erster Schritt unserer gemeinsamen Reise. Ich möchte dir noch nicht allzu viel über diese Reise verraten. Was ich dir aber verraten möchte, ist der Grund, warum ich dieses Buch geschrieben habe. Nachdem ich mit meinen Videos Millionen Menschen über Social Media erreicht habe, habe ich gespürt, dass wir alle ähnliche Wünsche und Sehnsüchte haben. Wir möchten glücklich sein und selbstbestimmt leben. Wir möchten Dinge loslassen, die uns nicht guttun. Wir möchten wahre Liebe spüren. Die gute Nachricht ist, wir können dies tatsächlich erfahren. Denn der Schlüssel dazu liegt in uns selbst.

Dieses Buch handelt von Rahul, dem fröhlichen, empathischen Rikscha-Fahrer in Neu-Delhi, der das Glück an seine Fahrgäste verschenkt. Sie steigen mit alltäglichen Problemen in seine Rikscha ein, haben Liebeskummer oder unerfüllte Träume … und wenn sie aussteigen, fühlen sie sich glücklicher.

Warum? Weil sie sich auf die Reise eingelassen haben. Dieses Buch ist die Antwort auf viele Fragen deines Lebens. Es soll dich inspirieren, dich zum Lachen bringen, dich aufrütteln und dich an Dinge erinnern, die du vielleicht schon weißt und nur vergessen hast.

Gemeinsam kehren wir zu meinen Wurzeln nach Indien zurück. Steig ein und lass dich entführen. Du brauchst für diese Reise keinen Koffer. Du brauchst nur dich und deine Bereitschaft, alle Dinge, die du sehen, hören und fühlen wirst, in dein Herz zu lassen. Am Ende jedes Kapitels erwartet dich ein kleines Video von mir, in dem wir die Reise nochmal gemeinsam Revue passieren lassen. Im Anschluss an das letzte Kapitel (>) erfährst du, wie du das Video ganz entspannt öffnen und genießen kannst.

Ich möchte dir jetzt sagen, dass du mich sehr glücklich machst und ich sehr dankbar bin für dein Vertrauen. Der Rikscha-Fahrer, der das Glück verschenkt ist mehr als ein Buch. Es ist eine Herzensangelegenheit. Es ist ein Versprechen. Es ist mein Leben. Und jetzt ist es da für dich. Dein Weg entsteht dadurch, dass du ihn gehst … oder ihn jetzt mit mir fährst.

Dann wollen wir mal los. Wir haben noch viel vor …

Nanni und ich im Großstadtdschungel

Manche sagen, die Stadt sei ein Labyrinth, andere klagen über den Schmutz und die schlechte Luft; doch für mich ist Delhi die schönste Stadt der Welt. Da sind die winkligen Gassen der Altstadt und der Basar von Chandni Chowk, da sind die breiten Straßen des Regierungsviertels und da ist der Yamuna, ein Nebenfluss des Ganges, der sich durch das Stadtgebiet windet. Besonders mag ich das Gewusel in den Straßen: kleine Stände, die köstliche Essensdüfte verbreiten. Menschenmengen, deren bunte Saris wunderschöne Mosaikbilder weben. Hupkonzerte von Fahrern, die keine Zeit oder einfach nur Spaß am Gehupe haben, das lauter ist als der jährliche Militärmarsch zum Nationalmuseum. Schrille Werbeplakate für die neuesten Bleaching-Cremes, die einem weismachen wollen, dass es so viel schöner ist, hellhäutig zu sein. Überall wird gerufen, gestritten, gefeiert und gelacht.

Und mittendrin bin ich mit meiner Rikscha: schwarzes Blech, ein gelbes Dach. Auf den ersten Blick sieht sie aus wie die anderen 80 000 Rikschas, die in Neu-Delhi unterwegs sind. Aber meine Rikscha ist etwas Besonderes. Okay, von außen kann man kaum einen Unterschied zu den anderen „Tuk-Tuk-Taxis“ bemerken, aber innen habe ich meine Rikscha liebevoll eingerichtet. So gibt es eine Lichterkette, die abwechselnd bunt blinkt und bei der ich sogar per Knopfdruck bestimmen kann, wie schnell sich die Farben ändern. Oft frage ich meine Fahrgäste nach ihrer Lieblingsfarbe und überrasche sie dann mit dem Farbenspiel, sodass sie ihre Fahrt in der Nanni noch mehr genießen können.

Ja, meine Rikscha hat einen Namen: Nanni. Das heißt „danke“. In kleinen weißen Buchstaben prankt das Wort über dem linken Hinterrad. Es soll mich immer daran erinnern, dankbar zu sein. Denn das, so habe ich im Laufe der Jahre gelernt, zählt zu den wichtigsten Dingen überhaupt.

Außerdem läuft bei mir immer gute Musik. Also keine klassische Musik oder Heavy Metal oder so, sondern fröhliche Bollywood-Musik. Manche finden die Bollywood-Filme und ihre Musik kitschig. Mag ja sein, dass sie kitschig sind. Aber das heißt nicht, dass sie schlecht sind. Sie sind vor allem eins: übertrieben. Übertrieben romantisch, übertrieben schrill, übertrieben bunt, übertrieben laut, übertrieben traurig, übertrieben fröhlich.

Aber genau deswegen mag ich sie so sehr: Denn über unseren Herzen liegt oft ein Schleier aus Zweifeln, Ängsten, Gedanken und komplizierten Gefühlen. Und um diesen Schleier zu durchdringen und unser Herz zu berühren, muss es eben manchmal etwas mehr sein: mehr Romantik, mehr Farben, mehr Trauer, mehr Freude. Einfach mehr!

Es ist einer dieser heißen Tage, an denen einem bereits morgens der Schweiß auf der Stirn steht. Ich will gerade in meine Rikscha steigen, als mein Nachbar Malik „Guten Morgen, Rahul!“ ruft.

„Ob es ein guter Morgen wird, wird sich noch zeigen“, entgegne ich mit einem Lächeln. Ich schaue kurz in die Ferne und dann wieder zu Malik und rufe ihm zu: „Ich habe mal für uns nachgeschaut: Heute ist ein guter Tag, um ein guter Tag zu werden!“

Optimismus, behaupten meine Freunde, ist mein zweiter Name.

Ich starte den kleinen Motor, gebe mit einem gekonnten Handgriff etwas Gas und fahre los. Die Lichter blinken in Grün, aus den kleinen Boxen schrillen die ersten Töne des bekannten Bollywood-Songs Jai Ho und ich mache mich auf in Richtung Zentrum. Optimismus, behaupten meine Freunde manchmal, ist mein zweiter Name. Warum auch nicht? Klingt doch viel besser als Rahul, der Pessimist, oder?

„Jaaai Hooo. Jaai Hooooo.“ Ich finde, dass ich der am besten singende Rikscha-Fahrer von Delhi bin. Na ja, zumindest im Osten Delhis bis zur Gandhi Street, Ecke Nehru Street. Ich weiß, das behaupten viele von sich. Aber ich bin mir sicher, dass es bei mir stimmt.

Vor mir schlägt die Ampel auf Rot um und ich nähere mich einem alten 1998er TATA, der vor mir zum Stehen gekommen ist. Durchs Heckfenster sehe ich bereits einen Hut, der voller Rhythmusgefühl hin und her wippt. Als ich mich auf die Spur links von ihm stelle, dringt Musik aus dem Radio herüber. Ich schaue in den TATA. Ein Herr um die fünfzig singt so inbrünstig mit, als sei dies seine letzte Nachricht an die Menschheit. Er wendet den Kopf, sieht meinen Blick und hört innerhalb einer tausendstel Sekunde auf zu singen. Plötzlich ist sein Kopf mitsamt Schnäuzer und Hut schnurstracks nach vorne hin ausgerichtet. Der Mann hält sich so starr, als ob ihn eine unsichtbare Halskrause stützt.

Wie schade, denke ich, warum bloß?

Zwei Erklärungen schießen mir durch den Kopf. Die erste: Als er mich sieht, wird dem Fahrer schlagartig bewusst, dass der beste Sänger Delhis gerade neben ihm an der Ampel steht, und aus Respekt hört er auf zu singen. Zweite Möglichkeit: Er schämt sich. Auch wenn ich von meinen Gesangskünsten schwer überzeugt bin, erscheint mir Möglichkeit zwei plausibler.

Er schämt sich also. Doch warum? Und vor wem? Gerade eben war er ganz fröhlich und entspannt. Er musste nichts tun. Er wollte nichts darstellen. Er war einfach. Und nun? Er denkt darüber nach, was ich über ihn denken könnte. Er will mir, einem Unbekannten, gefallen. Und er scheint zu glauben, dass er mir als Wachsfigur mit unsichtbarer Halskrause besser gefällt.

Klar, wir Menschen sind im Grunde Herdentiere und darauf angewiesen, mit anderen zurechtzukommen – nirgendwo bekommt man das täglich so deutlich zu spüren wie in Delhi, wo circa sechstausend Menschen auf einen Quadratkilometer kommen und man sich hin und wieder schon wie eine Ölsardine in der Blechbüchse fühlt. Aber das heißt doch nicht, dass wir uns verbiegen müssen – was im Übrigen oft vollkommen unnötig ist. Denn ich für meinen Teil liebe den Anblick anderer Gesangstalente, die hinter dem Lenkrad kräftig mitschmettern.

Ich nehme eine scharfe Kurve und drehe mein Radio etwas lauter. Selbst nach all den Jahren ist Radiohören für mich immer noch ein Luxus, den ich in vollen Zügen genieße.

Denn aufgewachsen bin ich im Slum. Meine Eltern, meine Großeltern, meine vier Geschwister und ich lebten auf engstem Raum in einer aus Wellblech und sonstigen Fundstücken zusammengezimmerten Hütte. Unsere Habseligkeiten beschränkten sich auf das Nötigste; für mehr wäre in unserer Hütte auch kein Platz gewesen. Durch die dünnen Wände bekamen wir alles von den Nachbarn mit – und sie von uns.

Meine Mutter war den ganzen Tag damit beschäftigt, irgendetwas zu essen zuzubereiten, während wir Kinder uns nach den unregelmäßigen Schulstunden draußen herumtrieben. Manchmal spielten wir mit Gleichaltrigen, manchmal stöberten wir in der etwas entfernter liegenden Müllkippe nach Brauchbarem in der Hoffnung, dies zu verkaufen oder gegen etwas Essbares einzutauschen.

Mein Vater stellte aus alten Reifen Latschen für die Slumbewohner her. Im Gegenzug erhielt er von den Leuten das, was sie eben hatten: Reis, Nägel, Plastikplanen, Decken, Streichhölzer, Fisch; manchmal sangen sie ihm ein Lied vor, erzählten ihm Geschichten oder gaben ihm selbst geschnitzte Tiere und Gottheiten aus Holz. Als Kind liebte ich dieses wilde Sammelsurium – es waren so viele Überraschungen dabei! –, aber satt wurde man davon natürlich nicht unbedingt. Hunger wird oft als „nagend“ beschrieben, und da ist etwas dran. Zumindest vergisst man dieses Gefühl seinen Lebtag nicht. Erst später ist mir klar geworden, dass auch Geschichten eine Art von Reichtum darstellen.

Wie jeden Morgen fahre ich zu meinem Lieblingsimbiss. Ich nehme die drei Stufen des Delhi Food & Drinks mit einem großen Schritt und stehe an der Theke des kleinen Cafés. Dort wird der Chai zubereitet, also schwarzer Tee mit Milch, eine Tradition der Briten, die sich auch nach deren fast hundertjähriger Kolonialherrschaft gehalten hat. Ganz unbritisch ist hingegen der wunderbare Geruch frisch gebackener Dosas, eine Art Pfannkuchen mit Linsen, Kokosnuss und Kartoffeln, der mir in die Nase steigt.

„Lass mich raten, Rahul: ein Dosa und einen Chai“, höre ich hinter mir eine tiefe Stimme, bevor die Hand, die zu dieser Stimme gehört, auch schon meine Schulter packt.

„Santosh, komm, geh Lotto spielen. So gut wie du heute rätst, hast du große Chancen zu gewinnen!“, antworte ich.

Wir beide lachen, denn das esse ich seit Jahren jeden Morgen zum Frühstück. Tag für Tag, ohne Ausnahme. Santosh drängt mich immer, etwas Neues auszuprobieren, aber ich weigere mich standhaft. Ich mag eben Sachen, die ich kenne. Und Dinge, die man mag, zu wiederholen, ist in meinen Augen ein gutes Rezept für Zufriedenheit. Wenn mich ein Dosa glücklich macht, dann bestelle ich ein Dosa. Wenn es jemanden glücklich macht, den Himmel anzuschauen, dann sollte er das möglichst oft tun. Und wenn jemand Freude verspürt, wenn er seinen Hund abknutscht, dann sollte er sich einen guten Lippenbalm besorgen und loslegen.

In dem Moment bringt mir ein Kellner schon meinen Tee.

„Nanni, Brinti“, sage ich und nicke leicht mit dem Kopf.

Ich mag Brinti. Er arbeitet schon so lange bei Santosh, dass er mittlerweile zur Familie gehört.

Ich weiß noch, wie Santosh mir von ihrer ersten Begegnung erzählte. Brinti war in das kleine Café gekommen und hatte um einen Tee gebeten, ohne jedoch eine Rupie in der Tasche zu haben. Sheila, Santoshs Frau, wollte ihm schon einen Chai bringen, aber Santosh hatte einen anderen Plan. Er gab Brinti einen kochend heißen Tee und stellte ein zweites, leeres Glas daneben. Brinti versuchte, den Tee zu trinken, und zuckte zusammen, als seine Lippen mit dem heißen Getränk in Berührung kamen. Nach einigen Momenten nahm Brinti das zweite Glas zu Hilfe und begann, den Tee vom einen Glas ins andere zu kippen. Sah das Ganze am Anfang noch etwas unbeholfen aus, wurde er mit jedem Kippen besser. Als Brinti dann seinen abgekühlten Tee trank, fragte Santosh ihn, ob er das jeden Tag einige Stunden für die Gäste machen wolle. Im Gegenzug könne er kostenlos essen und trinken. Seit jenem Tag ist Brinti aus dem Delhi Food & Drinks nicht mehr wegzudenken. Er ist immer hilfsbereit und freundlich und bekommt mittlerweile auch einen festen Lohn.

Ich mag diese Geschichte. Santosh tut zwar immer etwas hart, aber im Grunde hat er ein großes Herz. Nicht zuletzt deshalb ist für mich das Delhi Food & Drinks ein besonderes Stück Heimat in meiner Heimatstadt Delhi.

Kopfsalat und das Geschenk der Gegenwart

Das Leben im Slum war hart, keine Frage. Aber vieles, was ich dort erlebt habe, war auch unglaublich schön. Die Zeit mit meinem Großvater zum Beispiel. Ich liebte ihn über alles und war glücklich, wenn er mich auf einen seiner „Streifzüge“, wie er es nannte, mitnahm. Als junger Mann war er Bergführer in Nepal gewesen und er hatte sich seine Unabhängigkeit bewahrt. Immer wieder mal verschwand er für einige Tage, und wenn man ihn hinterher fragte, wo er gewesen sei, lächelten seine hellen Augen und er schwieg.

Waren wir gemeinsam unterwegs, ergriff ich die Hand meines daadaa und hüpfte aufgeregt neben ihm her. Nun hatte ich meinen Großvater ganz für mich und konnte ihm all die Fragen stellen, die mir ständig im Kopf herumschwirrten. Können Bäume traurig sein? Gab es die Welt, bevor es mich gab? Und wie kommen überhaupt all diese Fragen in meinen Kopf?

Für meinen Großvater war jede Frage wichtig. Er nahm sich Zeit und manchmal antwortete er mir in Form eines Rätsels oder mit einer Gegenfrage. Das mochte ich besonders gern, dann fühlte ich mich noch lebendiger als sonst und strengte mich gehörig an. Nur ganz selten wehrte er lächelnd ab: „Du fragst mir ein Loch in den Bauch, Rahul – ein Wunder, dass ich noch nicht in der Mitte zusammengeklappt bin.“ Dann wusste ich, dass ich eine Weile besser mal den Mund hielt.

War ich alleine, verselbstständigten sich die Fragen in meinem Kopf. Eine Frage führte zur nächsten, vor meinem inneren Auge erschienen verwirrende Bilder und ich verhedderte mich in irgendwelchen Begründungen und neuen Überlegungen. Wenn meine Mutter merkte, dass ich wieder in die Luft guckte und leicht die Lippen bewegte, strich sie mir über den Kopf und murmelte: „Rahul – du und dein Kopfsalat.“

Kopfsalat – ja … dieses Wort beschrieb ganz gut, was in meinem Kopf abging.

Ich sitze in Santoshs Café, als mich ein „Hallo!“ in die Gegenwart holt. Ich blicke auf und sehe einen Herrn Mitte vierzig vor meiner Nanni stehen. Offensichtlich ist er auf der Suche nach dem Fahrer der Rikscha, dennoch erlaube ich mir, ihn noch einen Moment zu beobachten: grauer Anzug, eine ordentlich gebundene rote Krawatte, Aktentasche, saubere Lederschuhe, gestresster Blick auf die Uhr. Fazit: Hier wartet ein Geschäftsmann darauf, dass ich mich endlich zu erkennen gebe. Ich beiße erneut genüsslich in mein geliebtes Dosa.

Das „Hallo?!“ wird immer fordernder. Unruhig schlenkert der Herr mit der Aktentasche und geht ein paar Schritte auf und ab.

Ich setze den Chai noch mal kurz an, wohl wissend, dass dies mein letzter Schluck für die nächsten Stunden sein wird, und komme dem Wunsch des Mannes endlich nach.

„Hi“, rufe ich ihm entgegen.

„Sind Sie der Fahrer?“, fragt der Mann.

Sein Blick sagt: Sie sind der Fahrer! Und Sie haben mich warten lassen! Ich habe es eilig! Also bewegen Sie Ihren braunen Hintern verdammt noch mal hierher!

„Noch bin ich es nicht, aber wenn wir uns gleich in die Rikscha setzen, dann werde ich im Nu zu Ihrem Fahrer …“, versuche ich die Situation mit einem kleinen Scherz aufzulockern.

Der Mann verdreht bloß die Augen und nimmt auf der Rückbank Platz.

„Haben Sie eine Lieblingsfarbe?“, will ich wissen.

„Blau“, kommt es kurz angebunden zurück.

Die Nanni leuchtet in strahlendem Blau auf und ich meine, ein kurzes Lächeln in seinem Gesicht wahrzunehmen, das sich im nächsten Moment schon wieder verflüchtigt, als er bestimmt: „Einmal zum Finanzamt Delhi-Süd!“

Wir tuckern los.

Wenn sich der Mann weiterhin so abweisend aufführt, wird diese Fahrt als eine der weniger erfreulichen in meine Rikscha-Annalen eingehen. Ich beschließe, der Angelegenheit noch eine Chance zu geben: „Ich heiße übrigens Rahul.“

Im Rückspiegel kann ich das Gesicht des Mannes sehen. Es ist von einem bläulichen Schimmer überzogen und seine Augen verraten mir, was er in diesem Moment denkt: Eigentlich habe ich absolut keine Lust, mit dem Fahrer zu reden. Andererseits möchte ich nicht unhöflich sein. Hm … und jetzt? Allzu lange kann ich mit der Antwort allerdings auch nicht warten, sonst denkt der noch, ich hätte nicht mehr alle Tassen im Schrank …

„… Ich … ich heiße Gibu. Freut mich, Sie kennenzulernen, Rahul.“

Und wie du dich freust, mein Freund, denke ich im Stillen. Du rastest ja förmlich aus!

„Sie tragen einen schönen Anzug, Gibu. Der Traum meiner Mutter war es immer, dass ich bei der Arbeit einen Anzug tragen würde. Ich glaube, der Job war ihr egal. Die Hauptsache war der Anzug“, sage ich.

Gibu muss schmunzeln.

„Was müsste ich beruflich machen, um mir einen solchen Anzug leisten zu können?“, frage ich.

„Ach, glauben Sie mir, das ist wirklich kein teurer Anzug. Ich bin Berater. Ich prüfe Unternehmen und gebe Empfehlungen zu Dingen wie Wirtschaftlichkeit und Effizienz ab“, antwortet er.

„Effizienz“, wiederhole ich. „Hui, das klingt bedeutend. Was kann ich mir denn darunter genauer vorstellen?“

„Also“, setzt Gibu an, „ich optimiere Arbeitsabläufe. Man kann eigentlich überall etwas verbessern. Nehmen wir Ihr Geschäft.“

„Mein Geschäft?“

„Ja, Ihre Tätigkeit als Rikscha-Fahrer. Sie könnten sich beispielsweise einen neuen Motor einbauen lassen.“

„Warum sollte ich mir einen neuen Motor einbauen lassen?“, frage ich verdutzt.

„Schauen Sie, mit einem neuen Motor können Sie Sprit sparen und kommen schneller voran“, sagt er.

„Ja, und dann?“

„Dann sparen Sie natürlich Geld und Zeit. Sie könnten mehr Gäste von einem Ort zum anderen bringen.“

„Ja, und dann?“, frage ich und blicke dabei kurz in meinen Rückspiegel.

„Dann könnten Sie sich von dem zusätzlichen Geld eine weitere Rikscha kaufen und einen Fahrer anstellen“, erwidert Gibu bestimmt.

„Ja, und dann?“, frage ich erneut.

„Dann könnten Sie wahrscheinlich schneller, als Sie denken, weitere Fahrer anstellen und hätten bald Delhis größte Rikscha-Flotte“, sagt Gibu mit einem triumphierenden Unterton.

„Ja, und dann?“, wiederhole ich ein weiteres Mal.

„Dann … dann können Sie in Ruhe Ihren Chai genießen und ganz gemütlich und entspannt mit der Rikscha durch Delhi fahren und Musik hören.“

Es vergehen einige Sekunden, bis ich mich schließlich umdrehe, Gibu in die Augen schaue und sage: „Aber das mache ich doch schon jetzt!“

Es herrscht Stille. Ich bin mir nicht sicher, was Gibu in diesem Moment denkt. Aber er denkt. Er denkt nach.

Nach einer Weile frage ich vorsichtig: „Ist es also das, was man als Berater vor allem macht: in die Zukunft zu denken?“

Gibu hebt den Kopf und stimmt mir erfreut zu. „Ja genau, das trifft es gut. Wir Berater denken in die Zukunft.“ Er wirkt auf einmal recht zufrieden.

„Aber das ist doch eigentlich schade“, murmele ich.

„Wieso schade?“

„Na ja, dann verpasst man so viel.“

Gibu runzelt die Stirn.

„Man ist dann nicht im Moment“, setze ich nach.

Gibus Blick erinnert mich an den meines Vaters, der früher manchmal zu denken schien: Was stimmt bloß mit diesem Jungen nicht? Wieso verhält er sich nicht so wie die anderen, sondern hat immer irgendwelche komischen Ideen?

Eben darum geht es doch: die Gegenwart zum Geschenk zu machen.

„Und was soll das bitte schön heißen, ‚im Moment sein‘?“, kommt es unwirsch von hinten.

Ich versuche, ihm meine Überlegung anders nahezubringen: „Woran haben Sie vom Beginn der Fahrt bis jetzt gedacht?“

„Hmm … um ehrlich zu sein: an den Termin, den ich gleich im Finanzamt habe.“

„Okay. Auf die nächsten Fragen erwarte ich keine Antworten von Ihnen: Haben Sie das neu angelegte Blumenfeld an der Mall gesehen, an dem wir vorbeigefahren sind? Haben Sie die Hochzeitsgesellschaft bemerkt, die neben dem Tempel tanzte? Oder haben Sie wenigstens den riesigen geschmückten Elefanten gesehen, der an der vorletzten Ampel unseren Weg kreuzte? Wie gesagt: Ich erwarte keine Antwort von Ihnen, denn ich kenne sie bereits“, sage ich.

„Ich war beschäftigt!“, kontert Gibu leicht verstimmt.

Er fasst sich an die Krawatte und überprüft deren Sitz. Eine Geste, die Selbstbewusstsein ausdrückt.

„Ich weiß. Es ist ja auch nichts Schlimmes dabei, beschäftigt zu sein. Aber wissen Sie, Gibu, die meisten Menschen denken, dass man nur mit der Zukunft beschäftigt sein kann. Oder mit der Vergangenheit. Doch wir können uns auch mit der Gegenwart beschäftigen. Mit dem, was gerade ist. Mit dem Jetzt.“

Gibu wirkt noch nicht überzeugt.

Ich warte einen kurzen Augenblick ab, denn der dichte Verkehr lässt es gerade nicht zu, dass ich weiterspreche.

„Okay, was bedeutet das englische Wort present?“, frage ich und bin gespannt, ob er sich auf dieses Spiel einlässt.

„Present ist also … heißt Gegenwart“, antwortet er, um lauter hinterherzuschieben: „Und Geschenk! Geschenk heißt es auch!“

„Genau. Gegenwart und Geschenk. Und eben darum geht es doch eigentlich: die Gegenwart zum Geschenk zu machen“, sage ich.

Nach diesem Grundsatz versuche ich zu leben. Und ich kann mir stundenlang ausmalen, wie die Gegenwart als Geschenk verpackt daherkommt und die Menschen, die es auswickeln, glücklich macht. Manchmal stelle ich mir einen riesigen bunt eingeschlagenen Kasten vor, der mit großen Schleifen versehen ist, dann wieder steckt dieses wunderbare Geschenk in einer unauffälligen Streichholzschachtel – das Geschenk lässt sich manchmal eben nicht gleich erkennen … Ich ertappe mich, wie ich anfange, mich im Kopfsalat zu verheddern, aber das ist im Straßenverkehr keine so gute Idee.

Auch Gibu hängt seinen Gedanken nach und blickt verträumt auf die belebte Straße Ecke Goa Street. Sein Schweigen zeigt mir, dass ihn dieser Satz irgendwie zum Nachdenken anregt. Die Gegenwart zum Geschenk zu machen.

Wir fahren eine Weile schweigend weiter.

Manchmal ist es gut zu schweigen. Auch wenn ich wirklich nicht gut schweigen kann. Ich bin eher der Typ, der Stille relativ bald als unangenehm empfindet. Und der dann schnell irgendetwas sagt, damit sie wieder vorbei ist. Aber in den Jahren als Rikscha-Fahrer habe ich gelernt, dass Stille mitunter eine große Kraft birgt.

Mir ist auch klar geworden, warum wir Stille oft nicht mögen. In der Stille sind wir gezwungen, nach innen zu blicken. Plötzlich kann uns nichts mehr ablenken … kein Verkehrslärm, keine laute Musik, kein Geschrei vom Markt … wir sind mit unseren Gedanken allein. Und oft sind es nicht die Gedanken, die wir mögen, sondern die Gedanken, die wir brauchen.

„Aber“, setzt Gibu an, hält jedoch inne, da ihm sein Gedanke selbst noch nicht ganz klar zu sein scheint. Schließlich meint er: „Aber Zukunft und Vergangenheit sind doch auch wichtig.“

„Na ja, streng genommen gibt es sie gar nicht. Denn Zeit ist eine Illusion“, sage ich.