Der Ruul-Konflikt 16: Bruder gegen Bruder - Stefan Burban - E-Book

Der Ruul-Konflikt 16: Bruder gegen Bruder E-Book

Stefan Burban

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Beschreibung

Nach der Flucht seines Bruders, setzt Commodore Frank Taylor alles daran, diesen ausfindig zu machen und seiner gerechten Strafe zuzuführen. Seine Jagd muss er allerdings unterbrechen, denn die Ruul führen eine neue Offensive gegen die Til-Nara durch. Dabei kommt nicht nur ihre neu entwickelte biologische Waffe zum Einsatz, sondern auch bisher unbekannte Technologie. Ihre Schiffe sind neuerdings getarnt, was sowohl Terraner als auch deren insektoide Verbündete vor ungeahnte Probleme stellt. Als Frank und sein befehlshabender Admiral den Schauplatz eines solchen Angriffs untersuchen, geraten sie in einen Hinterhalt und werden von Franks Bruder Isaac gefangen genommen. Die Lage spitzt sich zu, als ein neuer terranischer Befehlshaber daraufhin das Kommando über die Expeditionsstreitmacht übernehmen will. Denn dieser hat brisante Befehle im Gepäck, die das Potenzial besitzen, die Lage an der Til-Nara-Front eskalieren zu lassen …

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Inhalt

Prolog

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Epilog

Weitere Atlantis-Titel

Eine Veröffentlichung des Atlantis-Verlages, Stolberg Januar 2023 Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin Titelbild: Allan J. Stark Umschlaggestaltung: Timo Kümmel Lektorat und Satz: André Piotrowski ISBN der Paperback-Ausgabe: 978-3-86402-850-2 ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-879-3 Dieses Paperback/E-Book ist auch als Hardcover-Ausgabe direkt beim Verlag erhältlich. Besuchen Sie uns im Internet:www.atlantis-verlag.de

Prolog

Isaac Taylor stand mit bloßem Oberkörper auf dem Balkon seines luxuriösen Penthouse und genoss die nächtliche Brise, die ihn sanft liebkoste.

Vor ihm breitete sich die Skyline von Neu-Tortuga aus, der Hauptstadt des Outlaw-Planeten Likal. Das Penthouse hatte bis vor Kurzem dem jüngst verblichenen Arno Synth gehört, dem Anführer eines auf diesem Planeten herrschenden Syndikats, den Blutigen Adlern.

Die anderen beiden waren Karl Benthin von den Wächtern sowie Sybilla ben Casy von den Dunklen Jägern. Eigentlich war er ziemlich überrascht, wie reibungslos die Machtübernahme verlaufen war. Weder bei den Blutigen Adlern, die immerhin ihren Anführer zu beklagen hatten, noch bei den beiden anderen Syndikaten war er auf offenen Widerstand gestoßen.

Natürlich gab es hier und da Abweichler. Die gab es immer. Sie genossen jedoch keine große Unterstützung. Die Säuberungsaktionen hatten nicht einmal eine Woche gedauert, dann waren die Familien auf Linie gebracht worden. Alle Widerständler hatte man mehr oder weniger still und heimlich aus dem Weg geschafft. Ein paar von ihnen sogar überaus öffentlich und dramatisch, sie dienten als Warnung für andere. Hin und wieder ein Exempel zu statuieren, machte den Rest um einiges fügsamer.

Isaacs Lippen verzogen sich zu einer zynischen Grimasse. Haruto Ihara, der abtrünnige MAD-Agent, war ein exzellenter Killer. Der Mann stellte das immer wieder unter Beweis und Isaac hegte den heimlichen Verdacht, dem Mann mache seine Aufgabe durchaus Spaß.

Isaac seufzte. Und nun gehörte Likal praktisch ihm. Dieser Planet war der erste Dominostein, den er in dem Spiel, das ihm vorschwebte, zu Fall gebracht hatte. Weitere würden folgen. Er verfolgte große Pläne.

Das Lächeln des Gangsterbosses schwand ein wenig, als seine Gedanken zu seinem Bruder zurückkehrten. Das Wiedersehen hatte ihn mehr aufgewühlt, als er einzugestehen bereit war, sogar vor sich selbst. Die Taylor-Brüder hatten ihre Differenzen, aber Frank war dennoch sein Fleisch und Blut. Das würde sich auch nie ändern. Das machte die folgenden Schritte, die er in die Wege leiten musste, umso schwieriger. Sein Bruder würde zwangsläufig ins Fadenkreuz geraten. Isaac leckte sich über die Lippen. Es blieb nur zu hoffen, dass Frank das überleben würde.

Die Frau im großen Himmelbett hinter ihm regte sich mit wohligem Schnurren im Schlaf. Die Decke fiel herunter und das Licht der drei Monde des Planeten badete ihren schlanken, wohlproportionierten Körper in sanftem Licht. Sein Blick glitt genussvoll ihre Schenkel hinauf und blieb auf ihren Brüsten haften. Lust überkam ihn und er dachte darüber nach, sie zu wecken, um das, was sie schon den gestrigen Abend und den Großteil der Nacht getan hatten, fortzuführen.

Bevor er die Gelegenheit dazu erhielt, schlug die Frau die Augen auf. Die ehemalige MAD-Agentin Lory Roberts erhob sich geschmeidig und gesellte sich zu ihm auf den Balkon. Sie umfing seine Hüfte mit ihren Armen und schmiegte sich eng an den Rücken des Mannes, während sie seine Schulter küsste.

»Kannst du nicht schlafen?«, fragte sie ihn.

Er schüttelte den Kopf und richtete sein Augenmerk wieder auf die Stadt. »Zu viel geht mir im Kopf herum. Wir stehen an einem riskanten Punkt der Operation. Nur ein Schritt in die falsche Richtung, und alles, was wir uns so sorgsam aufgebaut haben, wird verloren sein.«

Sie küsste abermals seine Schulter. »Alles wird gut gehen. Du wirst sehen.«

Er lächelte. »Du klingst sehr optimistisch.«

»Aber natürlich. Deine Pläne haben noch nie versagt.«

Isaac schüttelte den Kopf. »Es gibt immer ein erstes Mal.«

»Warum so düster?«, schalt sie ihn. »Du besitzt einen brillanten Geist. Die Planung deines Ausbruchs ist da ein klassisches Beispiel. Wer sonst hätte etwas Derartiges aus dem Hochsicherheitstrakt von Lost Hope heraus planen und durchführen können? Da fällt mir niemand ein.«

»Unterschätze unsere Gegner nicht«, gab er leise zurück. »Die haben auch ein paar recht kluge Köpfe in ihren Reihen.«

Sie sah auf. »Denkst du an jemand Bestimmten?«

Isaac antwortete nicht. Er wusste auch so, dass seiner Geliebten klar war, von wem er redete.

»Frank ist nicht wie du. Er mag klug sein, aber das Wasser kann er dir nicht reichen.«

Isaac schüttelte den Kopf. »Du hast ihn noch nie erlebt, wenn er hoch motiviert ist. Das letzte Mal haben wir ihn und alle anderen überrascht. Beim nächsten Zusammentreffen wird das nicht mehr der Fall sein. Es könnte … hässlich werden.«

»Das macht dir zu schaffen.«

»Sollte es das nicht? Er ist mein Bruder.«

Lory zögerte für einen Moment. »Wenn alles vorbei ist, wird er dir sogar dankbar sein. Dein Vorhaben könnte den Krieg wesentlich verkürzen und unzählige Leben retten.«

»Höre auf deine Gefährtin«, sprach ihn auf einmal eine raue Stimme an. Sowohl Isaac wie auch Lory wirbelten herum.

Kivor’sa-kor, der mächtige Patriarch der ruulanischen kor-Familie stand mitten im Raum und betrachtete die beiden Menschen mit mildem Interesse. Lory eilte zum Bett zurück und wickelte sich das Laken um den nackten Körper. Anschließend senkte sie respektvoll den Blick.

Kivor schritt an ihr vorüber und beachtete die Menschenfrau nicht. Sein Interesse an ihr hatte sich bereits erschöpft. In der streng patriarchalisch aufgebauten ruulanischen Gesellschaft dienten Weibchen nur zur Fortpflanzung und der Aufzucht der Nachkommen. Isaac wusste, dass der Patriarch nicht verstand, warum die Menschen das anders hielten. Der Ruul betrachtete es als Schwäche, dass Isaac so viel auf Lorys Meinung gab und sie sogar um Rat fragte.

Isaac war sich durchaus der Verachtung des ruulanischen Anführers gegenüber ihm persönlich und den Menschen als Ganzes bewusst. Aber sie mussten sich nicht gegenseitig achten, um gemeinsam ans Ziel zu gelangen. Sie mussten lediglich an einem Strang ziehen. Sie verfolgten ähnliche Bestrebungen. Es handelte sich schlicht um ein Zweckbündnis, in dem jeder vom anderen nahm, was er benötigte. So einfach war das.

Kivor blieb neben Isaac auf dem Balkon stehen und ließ den Blick über den sternklaren Himmel schweifen. Isaac betrachtete das Profil des Patriarchen missmutig. »Kann ich dir helfen?«

Der Ruul antwortete zunächst nicht. Als er sich schließlich dem Anführer der hiesigen Untergrundfamilien zuwandte, blitzte etwas Beunruhigendes in dessen Augen auf, etwas, das Isaac nicht einzuordnen wusste.

»Ich wollte dich nur informieren, dass ich den Zeitplan beschleunigt habe.«

Die Härchen an Isaacs Nacken richteten sich schlagartig auf. Und das lag nicht an dem plötzlich auffrischenden Wind. »Das war nicht vereinbart.«

»Ich habe die Vereinbarung angepasst.«

Zorn kochte in Isaac hoch. »Solche Dinge musst du mit mir absprechen. Wir sind noch nicht so weit.«

»Dann solltest du deinen Teil des Plans schleunigst in die Wege leiten. Meine Schiffe sind bereits auf dem Weg.«

Isaac wich mit aschfahlem Gesicht einen Schritt zurück. »Der Angriff auf Scylla? Er läuft bereits?«

Als Antwort richtete der ruulanische Patriarch den Blick erneut auf den Himmel. Isaac hatte keine andere Wahl, als diesem zu folgen. Er benötigte einen Augenblick, um zu erkennen, worauf Kivor es abgesehen hatte. Eine Gruppe Lichter entfernten sich schnell vom Planeten, nur um kurz darauf in einem Lichtblitz zu verschwinden. Isaac wusste, worum es sich handelte: eine ruulanische Kampfgruppe, die die Nullgrenze erreicht hatte und dort in den Hyperraum gesprungen war.

»Wie lange?«, wollte er wissen.

»Nicht lange. Sie werden das Ziel in einer Woche erreichen.«

Isaac knirschte mit den Zähnen. »Na schön. Wenn das so ist, werde ich nun in der Tat meine Vorbereitungen treffen müssen.«

Der Ruul stieß ein heiseres Krächzen aus, was bei den reptilienhaften Kriegern als Lachen durchging. »Ich wusste, du würdest es am Ende so sehen wie ich. Wir müssen den Plan forcieren, wenn wir erfolgreich sein wollen.«

Mit diesen Worten drehte sich Kivor’sa-kor auf dem Absatz herum und verließ ohne weiteren Kommentar den Raum. Erst jetzt löste sich Lory aus ihrer starren Haltung. Sie trat erneut zu ihrem Geliebten auf den Balkon.

»Warum, glaubst du, hat er das getan? Er hält sich nicht an den vereinbarten Zeitplan.«

»Er will mich aus dem Konzept bringen. Bei den Ruul ist Politik auch immer eine andere Art Krieg, den viele von ihren Führern nicht überleben. Deswegen spielt er solche Spielchen. Der Kerl will sich in eine bessere Position bringen, falls unser Bündnis irgendwann endet und wir uns auf verschiedenen Seiten eines Schlachtfelds wiederfinden.«

»Das wird nicht geschehen«, fragte sie besorgt, »oder doch?«

»Nicht wenn ich es verhindern kann«, murmelte Isaac. »Ohne die Ruul werden wir unsere Ziele nicht erreichen. Wir brauchen sie.«

»Ich mache mir noch um etwas anderes Sorgen«, erwiderte Lory. »Falls sich Kivor und seine Krieger gegen uns stellen, welche Chance hat die Verteidigung von Likal, einem Angriff von ruulanischer Seite standzuhalten?«

»Keine«, gab Isaac ehrlich zurück. »Deswegen müssen wir alles Notwendige tun, um das Bündnis zu erhalten. Wir haben uns das Bett gemacht, nun müssen wir darin liegen. Und es ist unerheblich, ob uns das gefällt oder nicht.« Er stieß einen Schwall Luft aus. »Weck die anderen. Kivor hat recht. Wir müssen unsere Vorbereitungen abschließen, bevor die Schiffe zurückkehren.«

Lory nickte, kehrte zum Bett zurück und begann damit, sich anzukleiden. »Mach dir nicht dermaßen viele Sorgen«, rief sie ihm währenddessen zu. »Frank wird dir verzeihen und sogar dankbar sein für das, was du getan hast«, wiederholte sie ihre frühere Bemerkung. »Am Ende wird er es verstehen.«

Isaac verzog das Gesicht und er verdrängte mit aller Macht die Tränen, die sich in seinen Augenwinkeln zu bilden drohten. »Das wage ich zu bezweifeln«, flüsterte er.

1

Der Planet Scylla befand sich an der Grenze zwischen Terranischem Konglomerat und Til-Nara-Hegemonie. Obwohl sich das System deutlich auf der terranischen Seite der Grenze befand, wurde die Besatzung der dortigen Basis gleichermaßen von Menschen wie auch ihren insektoiden Verbündeten gestellt.

Scylla war unbewohnt, befand sich aber in einer strategisch günstigen Position, was den Planeten geradezu prädestinierte zum Aufbau einer schwer bewaffneten Festung.

Die Basis verteidigte die linke Flanke der Til-Nara-Grenze. Auf Scylla war das Neueste, was die Waffenschmieden des Konglomerats ausgespuckt hatten, in großer Stückzahl stationiert worden: schwere doppelläufige 12-Zoll-Lasergeschütze. Sie waren zu groß und energieintensiv, um auf Raumschiffen montiert zu werden. Sie eigneten sich allerdings hervorragend als bodengestützte Raumabwehrwaffen. Diese Monster waren in der Lage, mit nur zwei oder drei Treffern selbst ein ruulanisches Schlachtschiff zu erledigen. Und Scylla verfügte über achtzehn solcher Geschütze.

Sollten die Ruul auf die Idee kommen, die linke Flanke der Til-Nara zu bedrohen, so mussten sie zunächst Scylla ausschalten. Eine befestigte Stellung in ihrem Rücken zuzulassen, hätte ihre Nachschubwege und auch deren weiteren Vormarsch gefährdet. Kein Kommandant, der etwas auf sich hielt, hätte das zugelassen, sei er Mensch oder Ruul.

Die Basis wurde von einem weiblichen TKA-Colonel mit Namen Virginia Patton kommandiert. Patton kam nicht von einer der etablierten Offiziersakademien. Sie hatte sich aus den Rängen der Unteroffiziere auf die richtig harte Tour nach oben gedient. Während der Schlacht um Mekong, zu Beginn des Krieges, war sie durch ihre unorthodoxe Art aufgefallen und noch auf dem Schlachtfeld in den Rang eines Lieutenants befördert worden. Die Schlacht um Mekong war verloren worden und die Ruul hatten letzten Endes die Kolonie eingenommen. Dennoch hatten Pattons Aktionen dazu geführt, dass eine große Anzahl der Kolonisten hatte evakuiert werden können. Bei all ihren kämpferischen Fähigkeiten sowie ihrer taktischen Finesse erfüllte bis heute vor allem dieser Umstand sie mit besonderem Stolz. Von diesem Moment an war ihre Karriere nicht mehr aufzuhalten.

Ihr Weg endete schließlich auf Scylla, wo man sie mit dem verantwortungsvollen Kommando über diese Basis geehrt hatte.

Pattons Weg hatte sie quer durch die meisten bedeutenden Schlachtfelder dieses Krieges geführt, was ihr eine besonders pragmatische Sichtweise auf Strategie, Taktik und die Ruul verlieh.

Als Patton an diesem Morgen zu Beginn der Frühschicht die Kommandozentrale der Basis betrat, war alles unauffällig und ruhig. Die Stützpunktbesatzung bestand aus etwa zweitausend Menschen und knapp der doppelten Anzahl Til-Nara. Die stationierte Streitmacht der Til-Nara setzte sich zu gleichen Teilen aus Mitgliedern der drei insektoiden Reiche innerhalb der Hegemonie zusammen.

Ihr Stellvertreter in der militärischen Hierarchie der Basis war ein Til-Nara-Offizier namens Tonroy Tor. Er bekleidete den Rang einer Kampfdrohne Erster Klasse, was frei übersetzt in etwa einem Colonel des terranischen Militärs gleichkam. Darüber hinaus gehörte er dem Asken-dor-Reich an, das gemeinhin als sehr verlässlich galt, auch wenn es mittlerweile durch die hohen Verluste an Einfluss und Macht eingebüßt hatte. Bei den anderen Reichen musste man mitunter auf Intrigen gefasst sein. Aber die Königin der Asken-dor stand felsenfest zum Bündnis. Immerhin waren es ihre Streitkräfte gewesen, die im Asalti-System zuerst in großem Umfang auf die Ruul getroffen waren.

Patton hatte Tonroy Tor anfangs als recht schwierig im Umgang miteinander empfunden. Inzwischen hatte sie ihre Meinung revidiert und schob eventuelle Anfangsschwierigkeiten auf kulturelle Unterschiede zwischen Menschen und Til-Nara.

Patton ließ sich schwer in den Kommandosessel sinken, der auf einem kleinen Podest in der Mitte der Kommandozentrale angebracht und von mehreren Bildschirmen umgeben war. Sie lächelte als sie die Teetasse mit dem dampfenden Inhalt bemerkte, die auf der rechten Lehne stand.

Das war inzwischen ein Ritual zwischen Tonroy Tor und ihr. Der Til-Nara-Offizier konnte mit dem Getränk nichts anfangen. Für ihn war das einfach nur heißes Wasser, das man über irgendeine komische irdische Pflanze goss. Aber er hatte mittlerweile verinnerlicht, welchen Wert Patton auf eine heiße Tasse Tee am Morgen legte.

Der weibliche Colonel warf dem Tee einen sehnsüchtigen Blick zu, gab aber ihrem Verlangen noch nicht nach. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Das war ihr Motto und mit dem war sie bisher gut gefahren.

»Was liegt heute an, Tonroy?«

Der Insektoide trat näher, seine Mandibeln klickten, während er den Bericht abspulte. Gleichzeitig drangen menschliche Laute aus dem Übersetzungsgerät um seinem Hals.

»Nichts wirklich Weltbewegendes«, gab er zurück. »Wir erwarten heute einen Nachschubkonvoi. Er bringt uns Ersatzteile für die Geschütze vier, acht und elf.«

Patton lehnte sich erleichtert in ihrem Sessel zurück. »Na endlich! Solange die verdammten Dinger nicht repariert sind, klafft eine riesige Lücke in unserer Abwehr. Wie lautet die Prognose der Techniker?«

»Voraussichtliche Reparaturzeit ungefähr zweiundsiebzig Stunden nach Eintreffen der benötigten Teile.«

»Sagen Sie ihnen, ich gebe ihnen maximal sechzig. Dann will ich, dass alle Batterien wieder vernünftig arbeiten.«

»Ich werde die Techniker entsprechend anweisen.« Obwohl die übersetzten Worte aus dem Apparat seltsam klinisch neutral klangen, meinte Patton, einen Anflug von Amüsement aus der Stimme des Til-Nara herauszuhören. Und ja, entgegen der landläufigen Meinung besaßen die Insektoiden sogar einen sehr feinen Sinn für Humor. Man musste nur lange genug unter ihnen leben, um ein Gespür dafür zu bekommen.

»Sonst noch etwas?«

Der Til-Nara wollte fortfahren, just in dem Moment bemerkte Patton, dass einer der Offiziere an den Sensoren um ihre Aufmerksamkeit heischte.

Der weibliche Colonel gab Tonroy Tor mit einem Wink zu verstehen, sich darum zu kümmern. Unterdessen machte sich Patton eher lustlos an die Absolvierung ihres Arbeitspensums. Aus dem Augenwinkel bekam sie mit, wie der Til-Nara und der menschliche Offizier an der Radarstation gestikulierend miteinander diskutierten, nur um anschließend wieder ihre ganze Aufmerksamkeit dem Radarschirm zu widmen.

Tonroy Tor wandte sich schließlich um. »Colonel? Das sollten sie sich mal ansehen.«

Patton runzelte die Stirn. Neugierig geworden, erhob sie sich und begab sich zu den beiden Offizieren. »Was gibt es?«

Tonroy Tor deutete auf den Radarschirm. »Wir haben in unregelmäßigen Abständen Signale auf den Scannern. Sie verschwinden aber wieder, bevor wir sie orten und identifizieren können.«

Pattons Stirnrunzeln wurde tiefer. »Handelt es sich vielleicht um ein altes Sensorecho, das noch dort draußen herumschwirrt?«

»Haben wir schon ausgeschlossen«, wehrte der Lieutenant ab.

Bevor Patton reagieren konnte, deutete Tonroy Tor auf den Schirm. »Da … da ist es wieder.«

Patton beugte sich tief über die Schulter des Lieutenants. Tatsächlich blinkten unvermittelt ungefähr fünfzig Symbole auf, nur um sogleich wieder zu verschwinden. Es geschah dermaßen schnell, dass der Computer die Symbole grau markierte, was nicht identifizierten Kontakten vorbehalten war.

Sie schüttelte verständnislos den Kopf. »Das ist überaus seltsam. Wenn die Objekte zu identifizieren wären, dann würde ich fast sagen, es handelt sich um Schiffe im Anflug auf Scylla. Asteroiden können es auch nicht sein. Scylla ist dafür nicht gerade bekannt.«

»Und außerdem fliegen sie in Formation«, bemerkte der Til-Nara-Offizier.

»Und wenn es Ruul sind?«, wagte der Lieutenant einzuwenden. Die Bemerkung löste ratloses Schweigen aus.

Doch dann schüttelte Patton voll Überzeugung den Kopf. »Das würde bedeuten, sie können ihre Schiffe irgendwie tarnen, aber die Slugs besitzen keine derartige Technologie.«

»Soweit wir wissen«, gab Tonroy Tor zu bedenken.

»Na, Sie machen mir Spaß! Hören Sie bloß auf, solche Schauergeschichten zu verbreiten. Wir haben auch so schon …«

»Feindbeschuss!«, schrie einer der Waffenoffiziere hinter ihr plötzlich. Patton hatte keine Möglichkeit zu reagieren, bevor der Hauptbunker des Stützpunkts von einer vollen Salve getroffen wurde.

Der Boden erzitterte unter ihren Füßen. Patton musste sich an der Stuhllehne des Offiziers vor ihr festklammern. Andere hatten weniger Glück und stürzten schwer. Sie hörte hinter sich die Teetasse zu Boden fallen und in tausend Scherben zerspringen.

Tonroy Tor eilte mit seinem staksigen Gang zu einer der taktischen Konsolen und rief eine Darstellung der Lage auf.

»Ich brauche eine Peilung der feindlichen Schiffe, Colonel«, sprach ihn Patton in der terranischen Entsprechung seines Ranges an. »Vor allem Anzahl, Flugbahn, Masse und Geschwindigkeit.«

Er drehte seinen dreieckigen Kopf weiter über die Schulter, als es einem Menschen möglich gewesen wäre. »Wir orten keine feindlichen Schiffe. Laut den Sensoren ist da draußen gar nichts.«

Wie zum Hohn seiner Worte wurde die Basis erneut schwer getroffen. Patton eilte zu ihrem Kommandosessel zurück und rief das taktische Hologramm auf. Mehrere Abschnitte der Basis waren rot markiert, andere verfärbten sich gänzlich schwarz, was bedeutete, dass der Kontakt zu diesen Teilen des Stützpunkts abgebrochen war. Sie waren in Schwierigkeiten.

Laserfeuer ging auf die terranisch/insektoiden Stellungen nieder und drei der mächtigen 12-Zoll-Geschütze fielen nahezu gleichzeitig aus.

»Offensichtlich ist aber da draußen jemand. Irgendetwas müssen die Sensoren doch anzeigen«, erwiderte sie gepresst. Bevor Tonroy Tor antworten konnte, wandte sie sich an ihre Waffenoffiziere. »Mit allen verfügbaren Batterien einen Teppich über der Basis legen. Vielleicht erwischen wir einige durch einen Zufallstreffer.«

Keiner der Offiziere bestätigte den Befehl. Dazu waren sie viel zu beschäftigt. Den Kopf tief über die eigene Konsole gebeugt, versahen die Soldaten ihren Dienst. Nur Sekunden später begannen die 12-Zöller zu feuern und den Himmel über Scylla mit kohärenten Strahlen zu überziehen.

Der erhoffte Effekt blieb aus. Die Basis stand nach wie vor unter heftigem Dauerbeschuss und war kaum in der Lage, sich angemessen zu verteidigen. Tonroy Tor wankte zu seiner menschlichen Kommandantin. »Sie tarnen sich irgendwie«, erklärte der Til-Nara. »Es gibt keine andere Erklärung. Solange wir sie nicht orten können, sind wir praktisch wehrlos.«

Die Worte des Til-Nara brachten eine Saite in Pattons Verstand zum Klingen. Sie begann damit, in aller Eile Berechnungen durchzuführen. Ihre Finger flogen schneller über die Tastatur, als irgendjemand in der Lage war, ihr zu folgen.

»Darf ich fragen, was genau Sie da tun?«, wollte Tonroy Tor nach einigen Augenblicken wissen.

»Sie haben recht«, stimmte Patton zu, ohne von ihrer Tastatur aufzusehen. »Wir können uns nicht schützen, solange wir nicht in der Lage sind, die Angreifer zu orten. Ich weiß nicht, wie die Ruul das anstellen, aber ich bin überzeugt, dass sie nicht in der Lage sind, ihre Antriebsenergie zu tarnen. Wenn es uns gelingt, die zu isolieren, dann können wir sie vielleicht auch anpeilen.« Sie runzelte die Stirn. Ihre Miene hellte sich schlagartig auf. »Ha, ich glaube, ich habe es.« Sie sandte ihre Berechnungen an die Waffenstationen. »Speisen Sie diese Daten ein.«

Die Männer und Frauen taten wie geheißen. Der zentrale Schirm der Kommandozentrale erwachte unvermittelt zum Leben und mehrere Schiffe wurden in bedrohlichem Rot dargestellt. Neben jedem der Kontakte wurde ein kurzer Schriftzug eingeblendet. Dem Computer war es gelungen, einige der Angreifer anhand des Triebwerksausstoßes zu identifizieren. Hunter, Predator, Firewall: ruulanische Schiffsklassen. Patton grinste. »Hab ich euch!« Lauter befahl sie: »Diese Ziele anpeilen und konzentrierten Beschuss einleiten.«

Die 12-Zöller richteten sich neu aus und leiteten einen Gegenangriff ein. Zwei von ihnen konzentrierten sich auf ein ruulanisches Schlachtschiff der Predador-Klasse. Die erste Salve durchschlug die Backbordflanke mit einem Teil des Antriebs. Das Schlachtschiff feuerte zurück und löschte eines der Geschütze aus. Die zweite terranische Salve durchschlug jedoch im Gegenzug die Bugpanzerung sowie Teile der Mittschiffs- und Heckaufbauten.

Das Schlachtschiff drehte sich unkontrolliert um die eigene Längsachse und bohrte sich mit dem, was vom Bug noch übrig war, nördlich der Hauptbasis in den Boden. Eine Explosion wurde nicht registriert. Es war aber klar, dass der Predator keine Bedrohung mehr darstellte.

Zwei Zerstörer der Hunter-Klasse wurden abgeschossen, im Anschluss noch ein Schwerer Kreuzer der Firewall-Klasse. Die Antwort des Feindes ließ nicht lange auf sich warten. Die Slugs überzogen das Areal mit einem vernichtenden Flächenbombardement, dem die Bunker der Basis kaum standhalten konnten. Wände und Decke knarrten besorgniserregend.

Patton widmete ihre ganze Aufmerksamkeit weiterhin dem Gefecht. Nun konnten sie den Feind wenigstens halbwegs gut ausmachen. Dennoch war die Schlacht bereits verloren. Das erkannte die Offizierin mit unumstößlicher Klarheit. Pattons innovative Taktik zur Ortung des Gegners kam zu spät. Lediglich drei Geschütze waren noch einsatzfähig und die Sensoren orteten mindestens vierzig weitere angreifende Kampfeinheiten der Slugs.

Noch während sie zusah, holten die noch kämpfenden Batterien drei feindliche Kreuzer und zwei Zerstörer vom Himmel. Der ruulanische Gegenangriff erwischte aber ein weiteres Geschütz. Dann änderte der Gegner mit einem Mal die Stoßrichtung seiner Attacke.

Zwei der Schlachtschiffe hielten auf die Basis zu. Patton kniff die Augen zusammen. Mehrere kleinere Objekte erschienen auf den Scannern. Sie überbrückten die Distanz zum Stützpunkt erschreckend schnell.

Tonroy Tor wirbelte herum. »Torpedoabschuss!«

Patton wusste, es war zu spät, um Abwehrmaßnahmen einzuleiten. Ihre Hände krallten sich an den Lehnen fest. »Fertig machen für Aufprall!«, brüllte sie.

Die Symbole, die die Fernlenkwaffen symbolisierten, perforierten die Panzerung der Basis. Patton verharrte regungslos und erwartete die Auswirkungen des Beschusses. Allermindestens hätte sie vermutet, die Wände würden wackeln oder eine Explosion wäre zu hören. Stattdessen … nichts.

Während Menschen und Til-Nara darauf warteten, dass etwas geschah, schalteten die Ruul die letzten zwei Geschütze aus, verloren aber im Gegenzug drei weitere Schiffe.

Patton erhob sich langsam. »Colonel, was war das gerade? Das waren doch keine gewöhnlichen Torpedos.«

Der Til-Nara-Offizier begab sich zu einer der taktischen Stationen. In einer verblüffend menschlichen Reaktion schüttelte er steif den dreieckigen Kopf. »Bunkerbrechende Geschosse. Sie haben unsere Panzerung durchschlagen und sind in drei Sektionen der Basis eingedrungen. Aber sie trugen keine konventionellen Gefechtsköpfe.«

»Sondern?«

Einer der menschlichen Offiziere sprang auf und deutete auf einen der Luftschächte. »Gas!«, schrie er.

Pattons Blick zuckte in die entsprechende Richtung. Oranges Gas strömte daraus hervor. Ein Til-Nara, der damit in Berührung kam, verharrte für einen Moment – und rastete im Anschluss aus. Er fiel über einen menschlichen Kameraden her und zerfleischte diesen in Sekundenschnelle. Zwei Marines mussten ihn erschießen, um den Insektoiden zu stoppen.

Patton und Tonroy Tor wechselten einen schnellen Blick. Beide wussten, um was es sich handelte. Sie waren in einem Geheimdienstbericht über die ruulanischen Forschungen an einem für Til-Nara gefährlichen Giftgas informiert worden. Man nannte es inzwischen Rage. Eine passende Bezeichnung, wie sich nun herausstellte. Jeder Til-Nara, der damit in Berührung kam, verfiel in einen Blutrausch gegen jedermann, gleichgültig ob insektoid oder nicht. Dabei töteten sie vorwiegend Menschen und andere Spezies. Bei ihren Artgenossen war ihnen mehr daran gelegen, sie mit dem Virus anzustecken. Auf diese Weise sorgten sie für eine gleichbleibend hohe Infektionsrate.

Schon nach kurzer Zeit beherrschte das Chaos die gesamte Basis, inklusive der Kommandozentrale. »Wir evakuieren!«, ordnete Patton an und deutete auf einen Korridor zu ihrer Linken.

»Verlassen wir die Basis?«, wollte Tonroy Tor wissen.

Patton schüttelte den Kopf. »Zu spät«, erwiderte sie. »Wir begeben uns tiefer in den Untergrund, verschanzen uns dort und hoffen, dass jemand kommt, um uns zu retten.«

Ein junger Lieutenant an der Kommstation wurde von einem infizierten Til-Nara angefallen und getötet. Patton zog ihre Seitenwaffe und schoss dem Infizierten in den Kopf. Anschließend begab sie sich zur Kommanlage und begann damit, auf die Tasten einzuhämmern. Tonroy Tor wich ihr nicht von der Seite.

»Was tun Sie da?«

»Um Hilfe rufen. Jemand muss erfahren, was hier passiert ist.«

Die orangen Wolken des Gases kamen immer näher. Tonroy Tor wich angstvoll davor zurück. Ein infizierter Til-Nara sprang Patton an, Tonroy Tor ging dazwischen und tötete ihn mittels seiner für die Insektoiden gebräuchlichen Lanze.

»Patton? Es wird Zeit«, drängte er. »Wir müssen verschwinden!«

Der weibliche Colonel beendete ihre Arbeit und sandte die Nachricht ab. »Das war’s«, erklärte sie. Gemeinsam mit Tonroy Tor sprintete sie zur gepanzerten Tür, an der vier Marines Wache standen.

Gemeinsam verschlossen sie den Zugang, bevor das Gas in die tieferen Bereiche der Basis eindringen konnte. Die zentimeterdicke Panzerung schnitt die Todesschreie der Männer und Frauen, die sie zurücklassen musste, gnädigerweise ab. Patton war allerdings überzeugt, dass deren Stimmen sie in ihren Träumen weiter verfolgen würden.

2

Der Schwere Kreuzer der Sioux-Klasse TKS Saber II, glitt majestätisch durch den Raum. Er eskortierte mehrere kleine Fregatten, die als Minenleger fungierten. Hinter der Saber hatten sich die Einheiten des 12. Schnellen Angriffsgeschwaders im Halbkreis formiert, um die verletzlichen kleinen Kampfschiffe bei ihrer äußerst wichtigen Arbeit zu schützen.

Auf seinem taktischen Hologramm beobachtete Commodore Frank Taylor, wie sich in regelmäßigen Abständen Luken an den unteren Decks der Fregatten öffneten und sie kleine Objekte von jeweils fünf Metern Durchmesser ins All entließen. Nicht bei jedem davon handelte es sich um eine Mine. Ungefähr jedes zwanzigste Objekt war ein Satellit, der dazu diente, feindliche Schiffe zu orten, zu identifizieren und deren Daten ans Til-Nara-Hauptquartier dieses Sektors zu senden.

Die Fregatten beendeten ihre Arbeit und nahmen Geschwindigkeit auf. Commander John Desmond, der XO der Saber II, drehte sich zu seinem Kommandanten um. »Sir? Das System Kin’gar ist nun vollständig gesichert.«

Frank nickte und widerstand dem Drang, sich zu strecken. Was sie hier vollbrachten, war eine äußerst wichtige Angelegenheit, aber er schwor bei Gott, er hatte noch nie etwas Langweiligeres getan. Minenleger dabei zuzusehen, wie sie ihre Fracht abwarfen und in Position brachten, war nun wirklich nicht das Aufregendste, was er sich vorzustellen vermochte.

»Welches Ziel ist das nächste?«

Der XO konsultierte sein tragbares Datenterminal. »Das System Cha’ard. Ungefähr drei Tage Flugzeit von hier.«

Frank nickte abermals. »Dann informieren Sie das Geschwader und lassen einen Kurs setzen.«

Der XO wollte gerade die entsprechenden Anweisungen geben, als der Offizier an den Sensoren sich umwandte. »Commodore? Ein Hyperraumereignis an der nördlichen Nullgrenze. Etwas kommt durch.«

»Bereitschaftsalarm auslösen!«, bellte Frank umgehend. »Alle Mann auf Gefechtsstation!«

Er hatte kaum ausgesprochen, da heulten bereits die Alarmsirenen durch das ganze Schiff. Die Stiefel Hunderter Besatzungsmitglieder hallten blechern durch die Korridore. Die Minenleger gaben Vollschub und brachten sich hinter den schwereren Kriegsschiffen in Sicherheit. Das 12. Geschwader ging auf Verteidigungsformation.

Frank war aufs Äußerste angespannt. Kin’gar befand sich an der nördlichen Grenze der Til-Nara-Hegemonie. Ihm fielen auf Anhieb fünf Systeme ein, von denen ein ruulanischer Angriff erfolgen konnte.

»XO, was ist mit den örtlichen Verteidigungskräften?«

»Die Til-Nara ziehen soeben ihre Einheiten zusammen. Wir erhalten Unterstützung in weniger als dreißig Minuten.«

»Während eines Gefechts ist das eine Ewigkeit. Teilen Sie ihnen mit, sie sollen sich beeilen.«

Frank erwog für einen Moment, dass es sich um befreundete Einheiten handeln könnte, aber die wären im Normalfall aus Richtung Süden ins System eingetreten. Er schüttelte leicht den Kopf. Nein, bei dem unangekündigten Eindringling handelte es sich höchstwahrscheinlich um Ruul.

Etwa sechzig Symbole tauchten an der nördlichen Nullgrenze auf und fast zeitgleich erschienen die entsprechenden Icons auf Franks Plot. Der Computer stellte sie in Grau dar.

»XO, ich brauche eine positive Identifikation, und zwar sofort!«

Frank musste wissen, womit sie es zu tun hatten. Sechzig Schiffe bedeuteten, dass es keine Invasion war. Unter Umständen lediglich ein Überfall oder eine Aufklärungsmission. Aber wie dem auch sei, waren sie seinem Geschwader an Anzahl überlegen im Verhältnis zwei zu eins. Er betete inständig dafür, dass die Til-Nara endlich den Kopf aus dem Arsch zogen und ihm zu Hilfe eilten.

Die Anspannung wurde schier unerträglich. Frank hasste diesen Part vor Beginn eines Gefechts. Er bekam Kopfschmerzen vor Belastung. Das Ganze löste sich, sobald der Tanz losging, aber bis dahin war es die Hölle.

Sein XO runzelte die Stirn. »Sir? Die Til-Nara geben Entwarnung. Ihre Schiffe rücken nicht aus.«

Frank meinte, sich verhört zu haben. »Wie bitte?«

Sein XO war nicht minder verwirrt als er selbst. In diesem Moment wandte sich der Offizier an der Kommstation zu ihm um. »Commodore Taylor? Wir werden gerufen.«

Diesen Augenblick suchten sich die Symbole auf seinem holografischen Plot aus, um die Farbe zu wechseln. Aus Grau wurde das beruhigend schimmernde Grün.

»Es ist die Vigilantes«, fuhr der Kommoffizier fort. »Admiral Dushku bittet Sie umgehend auf sein Flaggschiff. Es wäre dringend. Eine Priorität-eins-Mission.«

Frank schüttelte das Gefühl der Verblüffung ab und erhob sich. Der Kommandant des Geschwaders strich seine Uniform glatt. Das versprach schon wesentlich interessanter zu werden, als Minenleger zu eskortieren. Eine gehässige Stimme im hinteren Teil seines Gehirns wies ihn darauf hin, dass er sich unter Umständen schon bald die Langeweile zurückwünschen würde. »Dann wollen wir ihn mal nicht warten lassen«, sagte Frank an seinen XO gewandt. »John, lassen Sie meine Pinasse startklar machen.« Schwungvoll verließ Frank seine Station und hielt auf den Ausgang zu. »Sie haben die Brücke, XO.«

Als sich Franks Pinasse dem Flaggschiff des Admirals näherte, fielen ihm mehrere neue Gefechtsschäden an der Außenhülle auf, die zum überwiegenden Teil lediglich provisorisch versorgt worden waren. Es schien, als hätte die Vigilantes in den letzten Monaten wesentlich mehr Action erlebt als die Saber II.

Zu seiner Verblüffung setzte die Pinasse nicht im Haupthangar des Shark-Klasse-Schlachtschiffes zur Landung an, sondern flog zu einem kleineren Beiboothangar auf der Steuerbordseite.

Frank schnallte sich ab und ging ins Cockpit. »Gibt es Probleme?«

Der Pilot schüttelte den Kopf, ohne sich umzudrehen. »Man hat uns einen anderen Landeplatz als sonst zugewiesen.«

»Erklärung?«

»Hat man keine geliefert«, erwiderte der Pilot. »Sie sollten sich jetzt wieder anschnallen. Wir setzen in wenigen Minuten auf.«

Frank nickte und kehrte zum Sitz zurück. Währenddessen rasten seine Gedanken. Welchen Grund sollte Dushku für dieses seltsame Verhalten haben? Die ungewöhnliche Landezuweisung hatte etwas Mysteriöses an sich. Vom Haupthangar aus war es nur ein kurzer Spaziergang zu den Besprechungsräumen des Flaggschiffes. Wenn Dushku sie jetzt woanders aufsetzen ließ, hieß das im Umkehrschluss, das Treffen fand nicht am üblichen Ort statt.

Frank reckte das Kinn und spähte nach vorn ins Cockpit. Dadurch war er in der Lage, den Anflug der Pinasse zu verfolgen. Der Pilot war ein Meister seines Fachs. Er umrundete das riesige Kriegsschiff problemlos, steuerte das einem offenen Maul gleichende geöffnete Hangartor an und setzte das kleine Vehikel mit einem lediglich sanften Ruck auf. Die Luke öffnete sich und Frank trat ins Freie.

Eine weibliche Ordonnanz im Rang eines Lieutenants erwartete ihn bereits und mit einer höflichen Bewegung forderte sie den Commodore wortlos auf, ihr zu folgen.

Die Frau schwieg, als sie ihn durch die Eingeweide der Vigilantes führte. Es begegneten ihnen nicht viele Menschen. Aber bei den wenigen spürte Frank unwillkürlich eine tief verwurzelte Anspannung. Irgendetwas hatte sich verändert und bereitete den Männern und Frauen an Bord des Flaggschiffes ungemein Sorgen.

Nach wenigen Minuten erreichten sie eine Tür, vor der vier Marines auf Wache standen. Der weibliche Lieutenant wies sich dem diensthabenden Unteroffizier aus, nannte ihm ein Codewort und der Mann öffnete daraufhin den Zugang.

Die Ordonnanz trat beiseite, genauso wortlos, wie sie sich die bisherige Zeit über verhalten hatte. Frank blieb keine andere Wahl, als den Raum zu betreten. Die Marines verloren keine Zeit und schlossen den Zugang hinter ihm, kaum dass Frank über die Türschwelle getreten war.

Er befand sich in einem kleinen Büro ohne Fenster ins All und mit nur wenig Annehmlichkeiten ausgestattet. Nur ein einziger Mann erwartete ihn.

Vizeadmiral Laszlo Dushku erhob sich trotz seines fortgeschrittenen Alters geschmeidig hinter dem Schreibtisch. Frank stand unwillkürlich stramm und salutierte. Er behielt diese Haltung bei, bis der Admiral sie erwiderte.

Nachdem diese Formalität abgeschlossen war, lächelte Dushku leicht zur Begrüßung. Der Admiral und Frank hatten in der Vergangenheit ihre Probleme miteinander gehabt. Ihr Verhältnis war aber dabei, sich ins Positive zu wandeln. Daran war nicht zuletzt der Ärger verantwortlich, für den Franks Bruder Isaac gesorgt hatte. Diese Erfahrung hatte die ungleichen Männer zwar nicht zusammengeschweißt, aber doch für ein gewisses Verständnis für die jeweils andere Seite gesorgt.

Dushku kam hinter seinem Schreibtisch hervor und deutete auf eines der Sofas. »Bitte setzen Sie sich, Commodore«, forderte er seinen Gast auf und steuerte selbst auf einen kleinen Beistelltisch zu. »Darf ich Ihnen eine Erfrischung anbieten? Oder einen Kaffee vielleicht?« Der Admiral grinste. »Möglicherweise etwas Stärkeres?«

Frank setzte sich und sah mit einer hochgezogenen Augenbraue auf. »Wir sind im Dienst«, erinnerte er seinen Vorgesetzten.

Dieser zuckte die Achseln. »Bei dem, was ich Ihnen mitzuteilen habe, werden Sie unter Umständen einen Drink brauchen.«

Frank hob abwehrend eine Hand. »Ein Kaffee wird’s auch tun.«

Dushku lächelte verschmitzt und nickte. Er goss nacheinander etwas von dem dampfenden, schwarzen Gebräu in zwei Tassen.

Frank war trotz des verbesserten Verhältnisses zum Admiral nicht sicher, was er von dem Mann zu halten hatte. Im Grunde konnte alles, was Dushku tat oder sagte, ein Test sein. Wie das Angebot, während des Dienstes Alkoholisches zu sich zu nehmen. Dadurch verspürte er gegenüber dem Admiral eine gewisse Gehemmtheit. Wie sollte man mit jemandem umgehen, der einen bei jeder sich bietenden Gelegenheit einem Test unterzog?

Dushku kam mit beiden Tassen herüber und reichte Frank eine davon. Anschließend setzte er sich ihm gegenüber. Auf dem Tisch standen bereits Milch und Zucker parat. Frank bediente sich und nahm beides in Maßen. Er war schon jetzt nervös, überhaupt hier zu dieser Privataudienz geladen worden zu sein. Das Letzte, was er nun benötigte, war schwarzer Kaffee. Dem Geruch nach war das Zeug ohnehin sehr stark.

Dushku ließ Frank ein bisschen Spielraum, indem er zunächst auf den Inhalt seiner Tasse pustete und vorsichtig einen Schluck nahm.

Der Admiral überlegte. Offenbar wusste der Mann nicht, wie er beginnen sollte. Hier ging anscheinend etwas Größeres vor.

»Commodore …«, begann der Admiral endlich. »Was wissen Sie über Drei-Kelvin-Strahlung?«

Die Frage überraschte Frank, gelinde gesagt. Er senkte den Kopf, um kurz nachzudenken. »Nicht viel. Das ist, soweit mir bekannt ist, die normale Mikrowellenhintergrundstrahlung, die es nachweislich überall im Weltraum gibt. Sie geht einer Theorie zufolge auf den Urknall zurück.«

Dushku nickte. »Exakt. Damit wissen Sie schon mehr als die meisten.«

Frank runzelte die Stirn. »Warum reden wir über Hintergrundstrahlung?«

Dushku beugte sich vor und stellte seine Kaffeetasse auf einem kleinen Tisch ab. Er lehnte sich im Sofa zurück, bevor der Mann fortfuhr. »Vor sechs Tagen gab es einen schweren Angriff auf die Scylla-Basis. Ich nehme an, der Name sagt Ihnen etwas.«

»In der Tat. Eine schwer befestigte Stellung. Sie wird von Menschen und Til-Nara gleichermaßen besetzt, befindet sich aber deutlich auf unserer Seite der Grenze. Konnte Scylla den Angriff abwehren?«

Der Admiral schüttelte den Kopf. »Leider nicht. Die Slugs haben die Basis ausgeschaltet.«

Frank knirschte mit den Zähnen. »Dann muss die entsprechende Streitmacht aber äußerst schlagkräftig gewesen sein. Scylla ist keine leicht einzunehmende Beute.«

Der Admiral zögerte und sah schließlich auf. Er bedachte Frank mit einem funkelnden Blick. »Was wäre, wenn ich Ihnen sage, dass die ruulanische Flotte, die Scylla angriff, lediglich aus annähernd fünfzig Schiffen bestand?«

»Das ist unmöglich. Fünfzig Schiffe würden Scylla nicht einmal eine Delle zufügen.«

Dushku seufzte. »Und dennoch ist es so. Die Kommandantin der Basis konnte noch ein Datenpaket abschicken, bevor Scylla fiel. Es beinhaltet einen ausführlichen Bericht über den Gefechtsverlauf sowie Sensordaten, Informationen über die angreifenden Schiffe und noch so einiges mehr.«

»Wann werden wir Scylla zurückerobern?«

Dushku schüttelte den Kopf. »Die Ruul haben die Basis nicht besetzt. Soweit der MAD es beurteilen konnte, zielte der Angriff lediglich darauf ab, Scylla als Bedrohung zu neutralisieren.«

Franks Gedanken überschlugen sich. »Das ist ein ungewöhnliches Verhalten für die Slugs. Sie greifen meistens nur an, um ihre Eroberungen zu konsolidieren. Eine Kriegsbeute wie Scylla zu ignorieren, sieht ihnen nicht ähnlich.«

»Das ist noch nicht einmal das Beunruhigendste an der Situation«, wandte der Admiral ein.

Frank sah alarmiert auf. »Sir?«

»Den Sensordaten zufolge, die man uns übermittelt hat, konnte Scylla nur deshalb fallen, weil die gegnerischen Schiffe getarnt waren.«

Franks Augen wurden groß. »Wie bitte? Getarnt?«

»Die ruulanischen Einheiten waren erst in dem Moment zu entdecken, als sie das Feuer eröffneten. Und auch während des Gefechts erwies es sich als äußerst schwierig, den Gegner anzupeilen. Es ist nur einer raffinierten, innovativen Taktik Colonel Pattons zu verdanken, dass die Tarnung halbwegs durchbrochen werden konnte.«

Frank neigte den Kopf leicht zur Seite. »Wie?«

»Indem sie den Gasausstoß der Antriebssignatur isolierte und ihre Geschütze darauf feuern ließ.«

Frank lächelte schief. »Clever.«

»Allerdings«, nickte Dushku. »Aber das löst unser Problem nicht. Ich halte den Angriff auf Scylla für eine Art Testlauf. Die Ruul wollten erfahren, wie effektiv sich ihre Tarnung im Kampf erweisen würde. Nun wissen sie es. Die von ihnen gesammelten Daten werden mit Bestimmtheit dazu genutzt, die Tarnung weiter zu verbessern und Kinderkrankheiten auszumerzen. Falls ihnen das gelingt, wird der Krieg in eine neue Phase eintreten. Das muss unter allen Umständen verhindert werden.«

Frank richtete sich auf. »Wie kann ich helfen?«

»Das bringt mich zur Drei-Kelvin-Strahlung zurück. Der MAD vermutet, dass die Tarnung der Ruul mit der Weltraumhintergrundstrahlung zu tun hat. Die Schiffe der Slugs sind nicht wirklich unsichtbar. Sie tauchen lediglich nicht auf den Sensoren auf, weil sie sich mit einer Strahlung umgeben, die praktisch durch unsere Sensoren von der Hintergrundstrahlung im All nicht zu unterscheiden ist. Dadurch sind sie erst zu entdecken, sobald sie feuern oder sich auf Sichtkontakt nähern. Und in beiden Fällen pusten sie unsere Einheiten auch schon weg.«

Frank zog die Augenbrauen über der Nasenwurzel zusammen. »Dadurch sind wir in ernsten Schwierigkeiten.«

»Das können Sie laut sagen«, stimmte der Admiral zu. »Ich habe mit Vizeadmiral Hoffer über das vorliegende Problem gesprochen und er hat einen verdeckten Einsatz autorisiert. Wir fliegen unter meiner Führung nach Scylla. Patton hat ein ruulanisches Schlachtschiff vom Himmel geholt. Wir kennen den ungefähren Aufschlagpunkt. Wir holen uns das Schiff und alle darin enthaltenen Informationen über die neue ruulanische Tarnung. Unsere Leute von F & E sollen sich dann dransetzen, eine Gegentaktik zu entwickeln. Mit ein wenig Glück schaffen sie es, bevor die Schiffstarnung in Serie geht.«

»Warum Sie, Admiral? Ist das nicht zu gefährlich? Ich finde, der Befehlshaber der terranischen Expeditionsstreitmacht im Til-Nara-Raum sollte bei der Truppe bleiben.«

Dushku seufzte. »Würde ich gern, geht aber leider nicht. Vor einigen Jahren habe ich mich intensiv mit der Möglichkeit beschäftigt, die Drei-Kelvin-Strahlung als Teil einer Tarnmöglichkeit einzusetzen. Ich schrieb sogar eine umfassende Abhandlung darüber. Leider wurde diese Möglichkeit als zu weit hergeholt abgelehnt und zu den Akten gelegt.«

Frank rümpfte die Nase. »Ob die Leute vom Oberkommando das immer noch so sehen?«

Der Admiral lächelte angesichts von Franks Reaktion. »Anscheinend nicht. Sie schicken mich dorthin, weil ich ihrer Meinung nach quasi ein Experte auf dem Gebiet bin. Der Einzige, den das Konglomerat vor Ort hat. Meine Chancen zu finden, was auch immer die Ruul mit ihren Schiffen angestellt haben, sind am größten.«

Frank nickte langsam und gemessen. »Ich verstehe. Und was wird meine Aufgabe sein?«

»Das Geschwader, das nach Scylla vordringt, wird relativ klein sein. Wir wollen keine unliebsame Aufmerksamkeit auf uns ziehen. Die Vigilantes wird natürlich dabei sein. Und ich möchte, dass Sie eine kleine Schutztruppe zusammenstellen, die mich dorthin eskortiert.« Der Admiral nahm die Kaffeetasse erneut auf und trank einen Schluck von dem inzwischen erkalteten Gebräu. »Ihre Aktionen beim Abfangen der ruulanischen Virusträger auf den Til-Nara-Heimatplaneten haben mich beeindruckt. Deswegen bin ich bereit, alte Differenzen ad acta zu legen und Ihnen mehr Verantwortung zu übertragen. Sie haben sich mein Vertrauen erworben.«

Frank spürte, wie seine Wangen rot anliefen. »Admiral … ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.«

»Dann sagen Sie gar nichts«, gab der Admiral zurück. »Bedanken Sie sich, in dem Sie mich nicht enttäuschen.«

»Das werde ich nicht«, versicherte Frank. »Wer übernimmt das Kommando während Ihrer Abwesenheit?«

»Hoffer schickt einen seiner besten Leute. Vizeadmiral Reginald Osborne auf dem Schlachtträger TKS Midway. Er bringt auch Verstärkung in Form von achtzig Schiffen und fast hunderttausend Mann Bodentruppen mit, um unsere erlittenen Verluste auszugleichen.«

»Gehört habe ich schon von ihm. Ich hatte allerdings noch keine Gelegenheit, ihn kennenzulernen.«

Dushku grinste. »Einen humorloseren Menschen habe ich zeit meines Lebens nicht getroffen. Aber er versteht seinen Job, das muss ich zugeben.« Der Admiral räusperte sich. »Nun ja, er wird vermutlich nicht lange bleiben. Sobald wir von unserer Mission zurückkehren, macht er sich wieder vom Acker und kehrt an die terranische Front zurück.« Dushku stellte die Tasse ab und erhob sich. Der Mann strich seine Uniform glatt. »Falls Sie keine Fragen mehr haben, Taylor, dann will ich Sie nicht länger aufhalten. Von meiner Seite aus war es das und Sie haben ohne Zweifel viel zu tun.«

Frank stellte seine kaum angerührte Kaffeetasse ebenfalls ab und stand auf. Er reichte dem Admiral die Hand, der sie fest ergriff.

»Ich bedanke mich für Ihr Vertrauen, Sir«, sagte der Commodore. »Die Saber II wird ihre Pflicht erfüllen.«

»Davon bin ich überzeugt, Taylor«, antwortete der Admiral. Frank wollte den Handschlag lösen, doch Dushku hielt seine Finger immer noch fest umklammert. »Und Frank?«, sprach er den Commodore ungewohnt vertraulich an. »Die Ruul haben das Rage-Virus über Scylla abgeworfen. Dadurch wurden die Til-Nara wahnsinnig und sind über unsere Leute hergefallen. Das ist einer der Gründe, weshalb die Basis derart schnell fallen konnte. Wenn wir Scylla anfliegen, seien Sie auf alles gefasst. Der Gegner kennt keine Zurückhaltung und es ist ihm jedes Mittel recht, um seine Ziele zu erreichen.«

3

MAD-Agent Captain Harriman Bates betrachtete die holografische Karte der Til-Nara-Hegemonie mit nachdenklichem Blick. Der Raum war vollkommen dunkel. Das einzige Licht ging von der Projektion der Sternkarte aus. Normalerweise wurde dieser Bereich vom MAD genutzt, um gegnerische Taktiken und Strategien auszuwerten und feindliche Verhaltensweisen vorherzusagen.

Zu diesem Zweck schwirrten für gewöhnlich mehrere hochrangige MAD-Agenten sowie eine große Anzahl ihrer Helferlein durch den Raum. Dieses Mal jedoch wurde das Zimmer ausschließlich von Harriman genutzt. Niemand sonst war anwesend. Er brauchte seine Ruhe, um einen klaren Gedanken zu fassen.

Nun mochte man argumentieren, dass die vorliegende Aufgabe zu umfangreich war, um sie nur von einem einzelnen Agenten vornehmen zu lassen, auch wenn dieser so erfahren und kompetent war wie Harriman. So war es ihm allerdings lieber. Der MAD-Captain versah seinen Dienst seit Neuestem gern einsam und auf sich allein gestellt. Der Geheimdienstoffizier redete sich ein, der Grund lag darin begründet, dass er es lieber ruhig mochte. Tatsächlich war der Anstoß dazu aber ein anderer.

Die Tür ging auf und ein rechteckiger Lichtkegel fiel in den Raum. Harriman hatte sich an die Dunkelheit gewöhnt. Das einfallende Licht störte seine Konzentration.

»Rein oder raus!«, knurrte er verärgert.

Die Tür schloss sich wieder und verdrängte die unwillkommene Helligkeit aus dem Hologrammraum. Harriman nickte zufrieden, in dem Glauben, dass der Eindringling sich wieder verpisst hatte. Vermutlich hatte sich lediglich jemand im Zimmer geirrt.

»Sir?«, sprach ihn plötzlich eine zaghafte Stimme an. Harriman schreckte auf und wirbelte auf dem Absatz herum. Er kniff die Augen zusammen. Vor ihm stand ein junger Lieutenant im Schwarz des MAD gekleidet. Der Offizier stand im Halbdunkel und war selbst mit Harrimans Nachtsicht kaum auszumachen.

Der junge Mann trug ein Datenpad mit sich herum, das er dem Captain auffordernd hinhielt. Harriman zog daraufhin fragend eine Augenbraue hoch, was sein Gegenüber zu einer Erklärung nötigte.

»Die neuesten Verlustberichte der Til-Nara.«

Harrimans Miene hellte sich ein wenig auf. Zwischen den Insektoiden und den Menschen gab es mehrere Vereinbarungen im Zuge ihrer Allianz. Eine der wichtigsten war der Austausch von Informationen wie zum Beispiel Truppenverlegungen und auch erlittene Verluste. Vor allem seit der Verbreitung des Rage-Virus war der MAD dringend auf diese Informationen angewiesen.

Harriman nahm das Pad entgegen und stöpselte es in den Computer des Hologrammraumes ein. Die Daten wurden sämtlich automatisch übertragen. Einige der Welten wurden hervorgehoben und in roter Schrift erschienen Vermerke direkt daneben. Was Harriman da zu sehen bekam, warf kein gutes Licht auf die Verteidigungsbemühungen der Til-Nara. Zwei der drei Til-Nara-Clans hatten hohe Ausfälle zu verzeichnen, weniger durch Todesfälle als vielmehr durch Infektionen. Das Virus stand kurz davor, außer Kontrolle zu geraten. Sollte das geschehen, würde die Front beinahe sicher zusammenbrechen.

Unversehens bemerkte Harriman, dass der MAD-Lieutenant, der die Daten gebracht hatte, immer noch in der Nähe der Tür stand. Sein Antlitz war kaum auszumachen. Nur das immer noch aktivierte Hologramm warf mehrere spärlich beleuchtete Schemen auf das Gesicht des Mannes. Der Lieutenant streckte die Hand aus. Er hielt ihm einen Datenstick hin, den Harriman ignorierte.

»Wer sind Sie?«, blaffte er den Lieutenant an. »Kann ich Ihnen helfen?«

Der andere MAD-Offizier schüttelte den Kopf. »Ich wurde Ihnen zugeteilt.« Die Hand mit dem Datenstick ließ er nicht sinken. Stoisch hielt er sie immer noch dem höherrangigen Offizier hin.

Harriman runzelte die Stirn. »Zugeteilt? Von wem?«

»Admiral Dushku«, versetzte der Mann knapp. »Mein Name ist Lieutenant Walther Bishop.« Mit einem Kopfnicken deutete er auf den Datenstick. »Darauf sind mein Marschbefehl und meine Personalakte gespeichert. Falls Sie auf beides einen Blick werfen wollen …«

Mit einer ungeduldigen Bewegung riss Harriman dem Mann den Stick aus der Hand. »Das kann nur ein Irrtum sein. Ich habe nicht um einen Mitarbeiter gebeten.«

Er hob das Handgelenk und steckte den Datenstick in die Öffnung seines Armbandcomp. Über den kleinen Bildschirm liefen augenblicklich mehrere Textzeilen. Wie sich herausstellte, war es kein Irrtum.

»Das kann nur ein Missverständnis sein«, beharrte Harriman. »Ich habe keinen Assistenten angefordert.«

»Das war auch nicht nötig. Admiral Dushku war wohl der Meinung, der Arbeitsumfang wäre zu groß für nur eine Person.« Bishop sah sich in dem leeren Raum mit dem aktivierten Hologramm vielsagend um. »Ich schätze, er hatte recht. Woran arbeiten Sie gerade?«

Harriman dachte ernsthaft darüber nach, diese Frage zu übergehen. Doch der MAD-Agent, der ihm gegenüberstand, wirkte nicht wie jemand, der sich so einfach abspeisen lassen würde.

»Ich analysiere die Angriffsmuster der Ruul in den letzten Wochen. Vor allem die Vorstöße, bei denen sie das Rage-Virus über Til-Nara-Stellungen abgeworfen haben.«

Bishop trat näher und betrachtete vor allem eine Welt, die farblich markiert worden war, mit Interesse. »Und? Konnten Sie ein Muster feststellen?«

Harriman seufzte und begab sich an die Seite des Lieutenants. »Nicht wirklich. Sie scheinen völlig willkürlich. Wenn man davon absieht, dass sie Welten gelten, auf denen starke Til-Nara-Verbände aktiv sind. Das ist aber kein Wunder. Soweit sich das feststellen lässt, wurden bisher mehr als acht Milliarden Drohnen infiziert. Sie fallen augenblicklich über nicht infizierte Artgenossen her. Entweder werden sie von den infizierten gleich getötet oder ebenfalls infiziert. Menschen, die ihnen in die Krallen fallen, werden auf der Stelle umgebracht.«

»Hatten wir hohe Verluste?«

»Etwa sechstausend Mann innerhalb der letzten sechsundneunzig Stunden. Inzwischen ziehen wir unsere Truppen augenblicklich von einer Welt ab, auf der die Til-Nara infiziert wurden. Widerstand gegen eine marodierende Meute Insektoider ist sinnlos und kostet nur unnötig Blut.«

»Vernünftig.« Bishop nickte und deutete auf den Datenstick, der immer noch in Harrimans Armbandcomp steckte. »In meiner Akte sind meine Qualifikationen vermerkt. Sie werden sehen, dass ich Ihnen sehr nützlich sein kann.« Der Lieutenant grinste. »Also, womit fange ich am besten an?«

Harriman überlegte kurz und hob dann abwehrend die Hände. »Hören Sie, Bishop, Sie sind bestimmt ein famoser Kerl und ganz sicher auch kompetent, aber diese wichtige Aufgabe erledige ich lieber selbst. Also stehen Sie mir einfach nicht im Weg rum. Am besten, Sie stellen sich abseits und stören nicht.«

Bishop erstarrte, seine Mimik ein Widerstreit der Gefühle. Das vorherrschende schien Ärger zu sein. Harriman wusste, er hatte den jungen Offizier beleidigt, aber darauf konnte er keine Rücksicht nehmen. Bishop verstand nicht, was ihn antrieb. Niemand konnte das, auch Dushku nicht. Andernfalls hätte er den armen Tropf, der vor ihm stand, nicht zu dieser undankbaren Aufgabe abkommandiert.

Bishop nickte langsam und gemessen, trat zur Seite und begab sich so weit außerhalb des Hologramms, dass er vollständig von der Dunkelheit eingehüllt wurde.

Harriman fuhr mit der Arbeit fort. Er sah den anderen MAD-Agenten nicht mehr. Seine Blicke aus der Finsternis heraus vermochte er trotzdem umso mehr wahrzunehmen. Und es war kein schönes Gefühl, das sich in Harrimans Rücken bohrte.

Kinray Kir bewegte seine Gliedmaßen langsam vor und zurück. Die Heilung schritt voran. Er spürte jedoch immer noch die Nachwirkungen seiner Infektion mit dem Rage-Virus. Beinahe hätte es ihn umgebracht oder in einen dieser Zombies verwandelt, denen es nur noch um Tod und Zerstörung ging.

Kinray Kir streckte die Fasern, die seinen Körper durchzogen. Sie dienten demselben Zweck wie bei einem Menschen die Muskeln. Sie schmerzten noch immer. Seine volle Kampfkraft wiederherzustellen, würde noch einige Zeit dauern. Er konnte von Glück reden, dass er hier bei den Menschen weilte. Sein eigenes Volk hätte seine Heilung nicht der Mühe für wert befunden und ihn kurzerhand getötet. Verwundete Til-Nara wurden als Ressourcenverschwendung angesehen und die Hegemonie hatte nichts übrig für Verschwendung.

Er sah sich in seinem Quartier an Bord der Saber II um, indem er sich langsam um die eigene Achse drehte. Kinray Kir fühlte sich immer noch unwohl, eine derartig geräumige Wohnstatt zu beziehen. Bei den Til-Nara hätte an einem solchen Ort eine halbe Sippe bequem Zuflucht gefunden.

An einer seiner Gliedmaßen schmerzte eine Stelle und riss Kinray Kir aus den Grübeleien. Er betrachtete den entsprechenden Punkt. Sie hatte sich rot verfärbt. Dort hatte Isaac Taylor das Pflaster mit dem Heilmittel aufgeklebt. Er hatte ihn gerettet.

Aber warum? Das war Kinray Kir immer noch nicht zur Gänze klar. Bei dem Gedanken an den Menschen zog sich sein Innerstes schmerzhaft zusammen. Es verwunderte ihn. War das das Gefühl, das die Menschen Verlust nannten? Oder Verrat?

Ja, Isaac Taylor hatte sie alle verraten. Und dennoch hatte er ihn gerettet. Musste er ihn jetzt hassen und verachten? Oder ihm dankbar sein? Vielleicht alles auf einmal? Das war wirklich sehr verwirrend.

Der Mensch namens Isaac Taylor war ein seltsam skurriles Individuum. Und Kinray Kir hatte ihn als Freund betrachtet. Freund. Bei diesem Wort merkte der Til-Nara-Offizier auf. Das war ebenfalls ein Begriff, den sein Volk nicht kannte. Für etwas Derartiges gab es bei den Til-Nara gar kein Wort. Auch nicht für Loyalität. Denn sie gehörte bei einem insektoiden Volk quasi zum genetischen Bauplan dazu. Weswegen Kinray Kir auch nicht verstand, was jemanden dazu veranlasste, sich von seinem eigenen Volk abzuwenden.

Der Til-Nara stieß ein Geräusch aus, das allzu sehr an einen menschlichen Seufzer erinnerte. Vielleicht weilte er bereits zu lange unter Menschen. Gut möglich, dass er schon viel zu viele ihrer Eigenschaften angenommen hatte.

Kinray Kir verließ sein Quartier. Mit schnellen, grazilen Bewegungen eilte er auf die Brücke der Saber. Die neugierigen bis offen herablassenden Blicke der Menschen ignorierte er geflissentlich. Die Anzahl derer, die auf ihn herabsahen, angesichts seiner instektoiden Abstammung, hatte seit seiner Ankunft auf dem Kreuzer nachgelassen. Es gab aber immer noch einige, die sich ihm gegenüber überlegen fühlten. Es störte ihn nicht. Das lag weder in seinem Charakter noch in der Art der Til-Nara. So waren die Menschen eben.

Als Kinray Kir die Brücke des terranischen Kriegsschiffes erreichte, liefen die Vorbereitungen für den Sprung bereits auf Hochtouren. Das Geschwader hatte sich um die Vigilantes formiert und steuerte die Nullgrenze an.

Commodore Frank Taylor saß auf dem Kommandosessel, sein XO, Commander John Desmond, befand sich wie immer an der Seite seines Kommandanten. Beide widmeten der Ankunft des Til-Nara lediglich einen beiläufigen Blick, nickten ihm aber als Willkommen freundlich zu.

»Wir überschreiten soeben die Nullgrenze«, informierte der Navigator seinen Befehlshaber. Taylor nickte beifällig.

»Sprung ausführen!«, ordnete er an.

Die Schwärze des Alls wich einem Lichtblitz, als zunächst die Saber II und anschließend die sie begleitenden Schiffe in den Hyperraum katapultiert wurden. Kinray Kir hielt sich unbewusst an der Rückenlehne von Taylors Kommandosessel fest. Nun war es so weit. Sie waren abermals unterwegs. Was sie dieses Mal erwartete, vermochte niemand zu sagen.

Isaac Taylor stand auf der Brücke eines Raumers der Night-Klasse. Es war ein robustes Schiff. Isaac gab sich allerdings keinerlei Illusionen hin. Das terranische Konglomerat nutzte inzwischen die V-Variante der Night-Klasse, während diese hier ein Exemplar der längst ausgemusterten B-Variante war. Im Kampf Schiff gegen Schiff hätte dieser Kreuzer kaum eine Chance gegen ein entsprechendes Pendant des Terranischen Konglomerats. Die Kampfwertsteigerung zwischen den einzelnen Varianten war zu hoch.

Die freie Welt Likal verfügte leider nur über sehr alte Schiffe. Einige waren kaum noch raumtüchtig. Die Ruul hatten versprochen, Abhilfe zu schaffen, entweder indem sie vorhandene Einheiten aufrüsteten oder den Bewohnern von Likal einfach eigene Schiffe überließen, um deren Marine zu stärken. Bisher waren aber keine dieser Versprechungen eingehalten worden. Das bereitete Isaac einige Magenschmerzen.

Wenn während der geplanten Aktion etwas schieflief, war es sehr gut möglich, dass sie auf dem Raster des Konglomerats auftauchten. Sie konnten bei einem Angriff unter Umständen eine Weile Widerstand leisten. Einem Schlachtgeschwader des Konglomerats konnten sie jedoch auf die Dauer nicht viel entgegenwerfen.

Isaac machte eine verkniffene Geste. Das bedeutete im Umkehrschluss, es durfte nichts schiefgehen. Sie mussten die Sache einfach durchziehen oder alles war verloren. Seine Mitverschwörer und er hatten einen sensiblen Punkt erreicht. Einen Punkt, an dem die Devise alles oder nichts eine völlig neue Bedeutung bekam.

Isaacs Blick fiel durch das Brückenfenster auf das gewaltige ruulanische Schlachtschiff, der an Steuerbord kreuzte. Es handelte sich um Kivor’sa-kors Flaggschiff. Er hätte beträchtlich weniger Sorgen, wenn er seinen Verbündeten voll und ganz vertrauen könnte. Isaac rümpfte die Nase. Er war kein Idiot. Natürlich wusste er, dass die Slugs ihr eigenes Spiel spielten. Und niemand konnte vorhersagen, wie deren Verhalten sich entwickeln würde. Für den Augenblick jedenfalls deckten sich ihre Ziele. Das war alles, was momentan zählte.

Lory verließ den Kommoffizier und gesellte sich zu ihm. »Wir haben gerade Meldung von unseren Aufklärern erhalten. Sie sind unterwegs.«

Isaac atmete tief durch. Nun war es also so weit. Der Augenblick der Wahrheit. »Dann sollten wir ebenfalls aufbrechen. Es ist wichtig, dass wir vor ihnen bei Scylla ankommen.« Er sah sich halb über die Schulter um. »Alle Einheiten: Sprung ausführen!«

Lory zögerte für einen Moment. Ihr war ebenfalls nicht ganz wohl bei der Sache. Er konnte es sowohl in ihren Augen sehen als auch an ihrer Körpersprache ablesen. Am liebsten hätte sie ihn umarmt. Auch dieses Bedürfnis nahm er deutlich bei ihr wahr. Sie suchte Trost in seiner Berührung. Die ehemalige MAD-Agentin wollte spüren, dass sie richtig gehandelt hatte. Dass sie all das, wofür sie gelebt und was sie geliebt hatte, nicht umsonst aufgegeben hatte. Aber dieses Wissen konnte er ihr nicht vermitteln. Nicht jetzt. Nicht hier.

Der Augenblick gesuchter Nähe schwand. Lory wusste, dass eine Umarmung oder auch nur die geringste Berührung seine Autorität vor den Männern und Frauen auf der Brücke des Kreuzers untergraben hätte.

Die ehemalige MAD-Agentin nickte und wandte sich zum Navigator und zum Kommoffizier um. »Befehl an die Flotte: Kurs auf Nullgrenze setzen und alsbald wie möglich den Sprung nach Scylla ausführen!«

Die Schiffe von Likal setzten sich in Bewegung. Schwerfällig zunächst, dann immer schneller werdend, sobald sie die Masseträgheit überwanden. Ihre ruulanischen Begleitschiffe schlossen sich dem Verband an.