Der Ruul-Konflikt 17: Im Schatten des Patriarchen - Stefan Burban - E-Book

Der Ruul-Konflikt 17: Im Schatten des Patriarchen E-Book

Stefan Burban

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Beschreibung

Die Lage an der Til-Nara-Front eskaliert. Die Ruul und die abtrünnigen Til-Nara marschieren einer Urgewalt gleich durch die Hegemonie. Die terranischen Streitkräfte und ihre Verbündeten sind kaum in der Lage, die Stellung zu halten. Niederlage folgt auf Niederlage. Sogar das terranische Hauptquartier innerhalb der Til-Nara-Hegemonie gerät in Bedrängnis und muss sich einer massiven feindlichen Invasionsflotte erwehren. Bald schon steht fest, es gibt nur einen einzigen Weg, der Lage Herr zu werden: Die Nerai müssen um Beistand ersucht werden. Doch die ehemaligen Todfeinde der Til-Nara sind alles andere als begeistert davon, ihren entfernten Vettern Waffenhilfe leisten zu müssen. Als dann der ruulanische Patriarch einen Großangriff auf die Heimatwelt der Til-Nara befiehlt, ist den Menschen und ihren insektoiden Verbündeten endgültig bewusst, dass sie dieser Bedrohung gänzlich allein gegenüberstehen. Und die Übermacht des Gegners ist erdrückend …

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Eine Veröffentlichung des Atlantis-Verlages, Stolberg März 2024 Titelbild: Allan J. Stark Umschlaggestaltung: Timo Kümmel Lektorat und Satz: André Piotrowski ISBN der Paperback-Ausgabe: 978-3-86402-936-3 ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-935-6 Dieses Paperback/E-Book ist auch als Hardcover-Ausgabe direkt beim Verlag erhältlich. Besuchen Sie uns im Internet:www.atlantis-verlag.de

Prolog

Kivor’sa-kor stand vor einem Fenster an Bord seines Flaggschiffs. Es kreuzte derzeit über der Til-Nara-Welt Ril’ath. Sie symbolisierte keinerlei taktischen oder strategischen Wert. Er hatte sie erobert, weil sie schlichtweg da war und er es konnte. Obwohl der Fall von Ril’ath nur wenig Ehre für ihn beinhaltete, kam er nicht umhin, eine gewisse Genugtuung zu empfinden.

Hinter ihm stand in stiller Andacht die Til-Nara-Königin der Asken-dor. Ihre kleinen Dienerinnen auf ihren zerbrechlich wirkenden Beinen hielten die dicke Larve der insektoiden Monarchin aufrecht. Er wusste, nicht wenige von ihnen starben während ihres Dienstes.

Aber für die Königin spielte das kaum eine Rolle. Es interessierte sie nicht mehr, als wenn für einen Ruul ein Tisch oder ein Stuhl zu Bruch gegangen wäre. Er konnte gar nicht in Worte fassen, wie sehr er diese Kreaturen verachtete. Dennoch musste er ihnen zugutehalten, dass er es ohne die Verbündeten nicht so weit geschafft hätte, sie überhaupt nicht so weit gekommen wären. Die Asken-dor waren gute Krieger. Nicht umsonst hatten sie die Machtbestrebungen seines Volkes geraume Zeit in Schach gehalten.

Kivor’sa-kor deutete aus dem Fenster hinaus auf die Welt, die unter seinem Flaggschiff ihre Bahn zog. Der Orbit war übersät mit den Trümmern zweier Raumstationen und Hunderter Kriegsschiffe. Einige waren Til-Nara, andere menschlich oder ruulanisch. Noch während die beiden Anführer die Vorgänge rund um den belagerten Planeten beobachteten, versuchten drei Truppentransporter der Menschen, die Blockade zu durchbrechen.

Ein Schlachtkreuzer der Asken-dor drehte augenblicklich bei und eröffnete das Feuer. Die nur spärlich bewaffneten Schiffe der nestral’avac hatten keine Chance. Die Kurzstreckenprojektile des Schlachtkreuzers rissen alle drei Feindschiffe innerhalb weniger Sekunden in Fetzen. Im Anschluss richtete die Besatzung ihr Augenmerk abermals auf die Auslöschung des Restwiderstands von Ril’ath.

»Was empfindest du bei diesem Anblick, Königin?« Kivor sprach den Titel seiner Verbündeten aus, als handele es sich um etwas Obszönes. »Spürst du Bedauern? Schuld möglicherweise?«

Die Königin antwortete zunächst nicht. Als sie sich zu einer Erwiderung herabließ, blinkten die Lampen am Übersetzungsgerät, das sie dort trug, wo bei einem Menschen der Bauchnabel gewesen wäre, im Takt ihrer Worte.

»Was würden Bedauern und Schuld schon ändern? Ich habe mich für den einen, richtigen Weg entschieden, der meinem Volk eine Zukunft verspricht.«

»Aber das sind auch deine Leute, die dort unten brennen.«

»Die Asken-van und die Asken-tal waren einst meine Verbündeten, nun sind sie meine Feinde.«

»So einfach ist es für dich?«

»Ja«, entgegnete die Königin wortkarg.

Insektoiden, ging es Kivor höhnisch durch den Kopf. Pragmatischer geht’s wohl kaum.

»Was ist mit dir?«, fragte die Königin im Gegenzug. »Was bedeutet diese Welt für dich?«

Kivor’sa-kor richtete sich auf. »Einen Schritt in die richtige Richtung. Ich wurde aus dem Ältestenrat ausgestoßen. Wusstest du das? Sie haben mich praktisch in Schimpf und Schande fortgejagt, weil ich dafür war, einen neuen Weg in diesem Krieg zu beschreiten. Die übrigen Ältesten sind Narren. Und die Patriarchen genauso. Sie sind dermaßen in der Vergangenheit verankert, dass sie lieber Zehntausende unserer Krieger in sinnlosen Schlachten opfern, als auch nur in Erwägung zu ziehen, dass man bessere Pfade beschreiten könnte.« Er schüttelte immer noch fassungslos den Kopf. »Fortgejagt haben sie mich. Meinen Stamm und meine Familie der Bedeutungslosigkeit preisgegeben. Aber ich werde ihnen unseren Wert beweisen. Und die Ehre, die wir besitzen. Sie liegt nicht im Befolgen starrer Regeln, sondern letztendlich nur im Sieg.« Er wandte sich der Königin halb über die Schulter zu. »Kannst du dir etwas Schlimmeres vorstellen, als davongejagt zu werden?«

»Ja«, erwiderte sie. »Von den eigenen Schwestern gefressen zu werden.« Die emotionalen Worte standen in Kontrast zur kalt vorgebrachten Weise, mit der der Übersetzer sie aussprach.

Kivor blähte amüsiert seinen Kinnbeutel auf. »Gutes Argument«, kommentierte er. Die Asken-dor-Königin wäre von ihren Artgenossen verspeist worden, hätte sie sich nicht für ein Bündnis mit den Ruul entschieden. Damit belohnten die Til-Nara lange Jahre ehrenvollen Dienstes. Aber für die Insektoiden zählte im Endeffekt nur das Versagen, das die Königin gegen Ende ihrer Laufbahn gezeigt hatte.

Die Asken-dor-Schlachtkreuzer beendeten den Beschuss von Ril’ath. Es waren keine Ziele mehr übrig, die den Einsatz von Energie oder anderen Ressourcen rechtfertigten. Kivor nickte zufrieden. »Hier sind wir fertig.«

Der Patriarch drehte sich schwungvoll um und verließ mit der Asken-dor-Königin im Schlepptau den Aussichtsbereich. »Setzen wir Kurs auf die nächste Welt. Der Krieg gegen deine ehemaligen Verbündeten ist noch lange nicht vorbei.«

Kivor’sa-kor widmete der Welt unter dem Flaggschiff keinen Blick mehr. Sie war der Aufmerksamkeit des Patriarchen nicht länger würdig. Ein Mensch hätte anders darüber geurteilt. Ein Mensch hätte seine Augen von dem Inferno nicht abwenden können. Der komplette Planet Ril’ath stand in Flammen.

1

Frank Taylor rieb sich die linke Schläfe. Es war ein seltsames Gefühl. Er trug über der leeren Augenhöhle eine Augenklappe, nichtsdestoweniger sendeten die Nerven weiterhin Impulse ans Gehirn. Frank konnte das Auge immer noch fühlen. Und es tat höllisch weh.

Phantomschmerzen nannte man das. Es war nervenzehrend und überaus lästig. Er rieb sich die Schläfe erneut. Es pochte unter der Haut. Wie konnte es pochen, wenn das entsprechende Sinnesorgan gar nicht mehr vorhanden war? Zum wiederholten Mal verfluchte er den ruulanischen Krieger, der ihm das angetan hatte. Dabei konnte er sich noch glücklich schätzen. Es hätte durchaus wesentlich schlimmer ausgehen können.

Vizeadmiral Reginald Osborne betrat den Raum. Alle Anwesenden erhoben sich und verfielen in Habtachtstellung. Der Admiral nahm den ihm zustehenden Platz ein, sah in die Runde und verkündete mit niedergeschlagener Stimme: »Sie dürfen sich setzen.«

Bevor sich aber einer der Anwesenden rührte, ließ sich der Admiral auf seinen Stuhl nieder. Erst dann folgten die übrigen dem Beispiel ihres Kommandanten.

Frank begutachtete die anderen Personen im Rahmen seiner inzwischen limitierten Möglichkeiten. Es war schwer, einen verstohlenen Blick in die Runde zu werfen – mit nur einem Auge.

Captain Harriman Bates vom MAD war natürlich zugegen. Dieses Mal ohne seinen Untergebenen Bishop, die heutige Besprechung war zu hochkarätig für dessen Rang. Der Geheimdienstoffizier lieferte sich über den Tisch hinweg ein Blickduell mit Lory Roberts, seiner abtrünnigen ehemaligen Partnerin. Nach wenigen Sekunden wandte sie den Kopf ab. Bates hatte offenbar gewonnen.

Konteradmiral Victor Nemerov saß ebenfalls am Tisch. Seit der Mann mit der Umsetzung des Osiris-Protokolls krachend gescheitert war und sich von Osborne sogar einen Teil seiner Flotte hatte stehlen lassen, war der Kerl bei Weitem nicht mehr so großkotzig wie zuvor. Tatsächlich schienen seine Misserfolge Nemerov auf ein akzeptables Maß zurechtgestutzt zu haben. Die meiste Zeit verbrachte er lediglich damit, in Osbornes Schatten dahinzuvegetieren und deprimiert aus der Wäsche zu sehen.

TKA-General Dean Botanelli und Lieutenant Colonel Manfred Haag bildeten als Vertreter der Bodentruppen den Abschluss.

Frank stutzte. Nein, das war nicht ganz richtig. Da war noch ein Mann, den er nicht kannte und der so unscheinbar an der Kante des Tisches saß, dass man ihn förmlich übersehen musste.

Auf den ersten Blick wirkte der Neuzugang ihrer illustren Gruppe, als hätte irgendeiner der Anwesenden seinen Steuerberater eingeladen. Der Offizier war mit einem Meter siebzig für einen Soldaten relativ klein, war schmächtig gebaut und trug eine Brille mit schmalem Rand auf der Nase.

Frank hätte ihn beinahe für einen Bürohengst gehalten. Dann fiel ihm das Abzeichen zweier gekreuzter Schwerter am Revers auf, das diesen unscheinbaren Menschen als Frontoffizier im aktiven Dienst auswies. Und als wäre das noch nicht verwirrend genug, bemerkte er anschließend das Emblem der ROCKETS am Oberarm seiner Uniform. Darunter prangte das Bild eines Schwertwals, wenn ihn sein verbliebenes Auge nicht täuschte.

Unversehens fühlte Frank die Aufmerksamkeit des mysteriösen Neuankömmlings auf sich ruhen. Die Pupillen des Mannes blitzten voll unterdrückter Energie, als würde er sich über einen Witz amüsieren, den nur er allein kannte. Die Mundwinkel des Offiziers hoben sich ganz leicht in der Andeutung eines Lächelns und er neigte den Kopf in einer kaum wahrnehmbaren Bewegung. Dabei rutschte die Brille bis zur Nasenspitze herunter. Es störte den Mann nicht wirklich. Sein Blick blieb unbeirrbar auf Frank gerichtet.

Frank hatte alle Mühe, seine Verblüffung zu verbergen. Sein Gegenüber benötigte überhaupt keine Sehhilfe. Vermutlich nutzte er die Brille lediglich wie ein Utensil oder ein Requisit. Sie diente dazu, andere davon zu überzeugen, dass sie es mit einem harmlosen Menschen zu tun hatten. Ein Soldat mit einer Sehschwäche hätte es auch kaum zu den ROCKETS geschafft. Dieser Fremde steckte offenbar voller Überraschungen.

Als Frank in die Augen des Offiziers starrte, gestattet ihm dieser einen kurzen Einblick hinter die Maske, die er der ganzen Welt präsentierte. Und Frank erkannte im Bruchteil einer Sekunde, ihm stand hier ein ausgebildeter und gnadenloser Killer gegenüber.

Vizeadmiral Osborne räusperte sich und zog damit die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich. »Meine Dame, meine Herren, die Lage könnte kaum schlimmer sein.« Er machte eine dramatische Pause. »Das Asken-dor-Reich hat die Hegemonie verraten und steht in offener Rebellion zum Triumvirat. Das macht unsere Position ungleich schwieriger. Ich habe die letzten zwei Tage damit zugebracht, Depeschen und Lageberichte mit Admiral Hoffer an der terranisch-ruulanischen Front auszutauschen. Wir sind einhellig der Meinung, dass unsere Expeditionsstreitkräfte fest und unerschütterlich an der Seite der rechtmäßigen Til-Nara-Regierung stehen müssen. Das bedeutet im Klartext, wir beziehen in diesem Bürgerkrieg klar Stellung und werden die regierungstreuen Truppen in jeder Hinsicht unterstützen.«

»Gab es daran denn je Zweifel?«, äußerte Manfred Haag sein Missfallen über das, was er gemeinhin als politisches Geschwafel betrachtete. »Die Asken-dor sind Verbündete der Ruul und damit schon von Rechtswegen unsere Feinde. Wann also rücken wir aus und gehen ein bisschen jagen?«

Osborne schenkte dem Marine ein nachsichtiges Lächeln. »Ich wünschte, es wäre immer so einfach. Aber leider müssen zuweilen auch die Regeln der Diplomatie beachtet werden. Aber ja, wir wurden abgesichert. Admiral Hoffer steht hinter jeder offensiven oder defensiven Strategie, die wir als erforderlich betrachten. Er wird uns auch vor der Präsidentin den Rücken stärken, falls notwendig.«

Osborne machte abermals eine Pause und tippte mit dem linken Zeigefinger immer wieder auf die Oberfläche des Holztisches. Das dadurch verursachte Geräusch ging Frank ordentlich auf die Nerven.

»Leider sind die schlechten Nachrichten dadurch noch nicht erschöpft. Die Ruul und die Asken-dor sind in die Offensive gegangen. Innerhalb der letzten zweiundsiebzig Stunden haben ihre kombinierten Streitkräfte mehr als dreißig Ziele entlang der Front angegriffen. Systeme, in denen das Terranische Konglomerat Stützpunkte unterhält, konnten sich relativ gut behaupten. Garnisonen, die ausschließlich oder zum überwiegenden Teil aus Til-Nara bestanden, hatten da wesentlich weniger Glück. Die Asken-dor warfen das Rage-Virus in rauen Mengen ab.« Osborne senkte den Kopf. »Ich bedaure, Ihnen mitteilen zu müssen, dass sieben weitere Planeten an die Ruul gefallen sind. Aus zwei Systemen haben es unsere Truppen nur mit knapper Not geschafft, sich abzusetzen, bevor die Verteidigung überrannt wurde. Darüber hinaus haben unsere Tiefenraumsensoren umfangreiche Flottenbewegungen in einer Entfernung von sieben, neun und dreizehn Lichtjahren registriert. Der MAD vermutet, dass an diesen drei Standorten Verbände für einen zweiten Angriff auf das Dar’tai-System zusammengezogen werden. Wenn es den Ruul gelingt, unser Hauptquartier im Til-Nara-Raum zu zerstören, dann stehen wir endgültig mit heruntergelassenen Hosen da.«

General Botanelli nickte mit ernster Miene. »Die Lage ist beschissen, schon verstanden. Aber was tun wir dagegen?«

Der Vizeadmiral aktivierte über einen Schalter den im Tisch integrierten Holoprojektor. Zu sehen war ein erheblicher Ausschnitt des Til-Nara-Raums bis hin zur Nerai-Grenze im Norden. Die Verbände des Konglomerats, der Til-Nara sowie ihrer Feinde waren farblich hervorgehoben. Osborne leckte sich über die Lippen.

»Konteradmiral Nemerov hat mehrere Hundert Schiffe mitgebracht, die ursprünglich für die Durchführung des Osiris-Protokolls gedacht waren. Da dies keine Option mehr darstellt, wird unsere erste Handlung darin bestehen, dass wir diese Kampfverbände dem Gegner entgegenwerfen. Das dürfte die Frontlinie für kurze Zeit stabilisieren und wird uns Zeit verschaffen.«

Frank sah auf. »Um was zu tun?«

Osborne maß den anderen Flottenoffizier mit festem Blick. »Um Verbündete zu Hilfe zu holen.«

Er schüttelte den Kopf. »Wen denn? Hoffer kann keine terranischen Einheiten mehr entbehren. Die Meskalno haben gar kein Militär und ich bezweifle, dass die Sca’rith in der Lage wären zu helfen. Damit bliebe nur noch …« Franks Auge wurde groß. Der Admiral nickte langsam.

Frank merkte erst, dass er den Atem angehalten hatte, als er diesen ruckartig ausstieß. »Das wird nicht funktionieren.«

»Wieso nicht?«, wollte der Admiral wissen.

Haag sah von einem zum anderen. »Darf man an dieser Diskussion auch teilnehmen? Wovon reden Sie beide da?«

»Sie reden davon, die Nerai mit ins Boot zu holen«, sprang Botanelli helfend ein, dem die Idee ganz offensichtlich auch nicht gefiel.

Nun begriff der Marine-Colonel. Er lehnte sich dermaßen weit in seinem Stuhl zurück, dass dieser protestierend quietschte. »Taylor hat recht. Das funktioniert nicht. Auf dem Papier mögen sie Verbündete sein, aber Nerai und Til-Nara hassen sich mit einer Inbrunst, die für Insektoiden schon erstaunlich ist.«

»Wir schicken eine Delegation hin, um die Nerai zu überzeugen. Sie müssen verstehen, dass sie, falls die Til-Nara fallen, die Nächsten sind. Das Fortbestehen der Hegemonie sichert ihr eigenes Überleben.«

Bates schnaubte. »Und wer soll diesen Kackauftrag übernehmen?«

Osborne lächelte zynisch. »Ich bin sehr froh, dass Sie Ihre Frage auf diese Weise formuliert haben. Ich schicke Miss Roberts und Sie.«

Bates schreckte hoch, als würde er aus einem Albtraum erwachen und gleich den nächsten erleben. »Auf keinen Fall! Das können Sie abhaken!«

»Das war keine Bitte, Captain. Die Entscheidung steht fest. Und Miss Roberts’ Piratenbande wird die Eskorte stellen.«

Bates’ Augen wurden groß. »Nicht nur, dass Sie mich mit … mit … der da in ein Schiff pferchen. Deren Leute sollen mich auch noch beschützen? Das sind Plünderer! Mörder! Und Schlimmeres.«

»All Ihre Einwände sind korrekt«, versetzte der Admiral. »Aber Miss Roberts und Ihre Leute wissen aus erster Hand, womit wir es zu tun haben. Sie gehören zu den wenigen, die den Nerai vermitteln können, in welcher Gefahr wir alle stecken. Außerdem habe ich weder Schiffe noch Truppen übrig, um diese Mission durchzuführen. Ich brauche alle meine Ressourcen hier vor Ort, um die Stellung zu halten, und das wird schwierig genug.«

Bates wollte einen weiteren Einwand erheben. Der Admiral kam ihm zuvor. »Setzen Sie sich, Captain. Bitte!«

Der MAD-Offizier kam der Aufforderung widerwillig nach. Osborne musterte die abtrünnige Offizierin mit finsterem Blick. »Die Ereignisse haben uns zu Zweckverbündeten werden lassen. Ihre Leute und Sie haben eine Menge Schaden angerichtet. Ich vertraue darauf, dass Sie dieses Mal das Richtige tun werden. Falls nicht, dann schwöre ich beim Allmächtigen, dass ich Sie jagen und zur Strecke bringen werde wie einen tollwütigen Hund! Und lassen Sie mich ehrlich zu Ihnen sein. Ein weiterer Grund, dass ich Sie entsende, besteht darin, dass ich Ihre Piraten nicht in der Nähe meiner Leute haben will.« Er neigte leicht den Kopf zur Seite. »Es wäre sehr bedauerlich, wenn es zu einem … Unfall kommen würde.«

Frank senkte den Kopf, um sein Lächeln zu verbergen. Osborne hatte Roberts soeben relativ unverblümt eröffnet, dass es unter den terranischen Schiffsbesatzungen Vorbehalte gegen dieses Bündnis gab und einige von ihnen vielleicht auf die Idee kommen könnten, Roberts’ Schiffe für Zielübungen zu benutzen.

Die Miene der ehemaligen MAD-Agentin blieb oberflächlich gelassen, doch hin und wieder zuckte ein Muskel unterhalb ihres rechten Auges. Sie hatte verstanden.

»Vielleicht sollten wir wieder zum Thema kommen«, lenkte Haag das Gespräch zurück in Richtung dringenderer Probleme. »Wenn die Ruul immer noch das Rage-Virus in solchen Mengen einsetzen, wie können wir sie dann schlagen? Unseren Truppen ist es nicht möglich, die Front alleine zu halten. Wir brauchen das, was von den Streitkräften der Hegemonie noch übrig ist. Aber die stehen den Auswirkungen dieses Teufelszeugs hilflos gegenüber.«

»Das ist in der Tat ein Problem«, gab der Admiral ihm recht. »Aber noch ist nicht alles verloren.« Er hob die Hand, in der sich ein Datenstick befand. »Kurz vor dessen Tod hat Commodore Taylor von seinem Bruder diese Aufzeichnung erhalten. Damit hat er wohl versucht, etwas von seinen Taten wiedergutzumachen. Ich habe sie mir bereits angesehen. Fairerweise muss ich Sie warnen: Es ist verdammt brisantes Zeug darunter.«

Ohne weitere Erklärungen steckte der Admiral den Datenstick in die dafür vorgesehene Vertiefung auf seiner Seite des Tisches.

Die Holokarte verschwand und wurde durch das arrogante, wenn auch irgendwie wehmütige Antlitz Isaac Taylors ersetzt. Der Mann grinste in das Aufzeichnungsgerät. Seine Augen blieben davon unberührt.

»Frank, wenn du das hier siehst, dann ist irgendetwas furchtbar schiefgegangen … und ich bin tot.« Er schüttelte leicht den Kopf. »Ich hoffe sehr, mein Tod war nicht umsonst. Dass er irgendetwas bedeutet. Natürlich weiß ich, dass du kein Verständnis für meine Taten hast. Aber alles, was ich unternahm, jede Täuschung, jeden Tod, den ich verschuldet habe: Alles geschah nur im Interesse der Menschheit. Glaub mir wenigstens das, wenn auch sonst nichts.«

Frank spürte die Blicke der Anwesenden auf sich ruhen. Er wandte den Kopf ab, damit sie nicht die Tränen in seinen Augen schimmern sahen.

Währenddessen fuhr die Aufzeichnung seines Bruders fort: »Wie dem auch sei, wenn ich dir diesen Datenstick gegeben habe, dann bin ich tot und die Dinge sind außer Kontrolle geraten. Vermutlich ist Likal bereits gefallen. Es sollte ein strahlendes Leuchtfeuer der Hoffnung werden.« Eine Wolke der Traurigkeit umgab Isaacs Gesicht. »Nun gut, es ist, wie es ist. Daher gebe ich dir einen weiteren Hoffnungsschimmer. Ich sage dir, wie ihr das Rage-Virus aufhalten könnt.«

Franks Kopf zuckte hoch. Die Aufmerksamkeit aller war Isaac nun gewiss. Seinem arroganten Gehabe nach war ihm das fraglos bewusst gewesen.

»Das Virus stammt ursprünglich aus den Waffenschmieden des MAD.« Es dauerte einen Moment, bis allen am Tisch klar wurde, was Isaac soeben erklärt hatte. Unheilvolle Blicke richteten sich auf Bates. Der wirkte aber nicht minder verblüfft als seine Mitstreiter.

»Ja, richtig gehört«, spann Isaac den Faden weiter. »Ursprünglich war das Virus als Plan B gedacht, falls das Osiris-Protokoll scheitern sollte. Es ist kein Geheimnis, dass es vor Kriegsbeginn zwischen den Menschen und den Til-Nara zu Kampfhandlungen kam. Dabei wurde der militärischen und politischen Führung schmerzlich bewusst, dass die Til-Nara haushoch überlegen waren, was einen Sieg auf dem Schlachtfeld nahezu ausschloss. Das Terranische Konglomerats war aber eher bereit, die Hegemonie und ihre komplette Bevölkerung draufgehen zu lassen, als zuzusehen, wie das insektoide Reich und seine umfangreichen Ressourcen in Feindeshand fallen. Daher entwickelte man das Virus, um die Til-Nara notfalls auf die harte Tour auszuschalten. Die Pläne des Virus wurden jedoch von einem Sympathisanten der Kinder der Zukunft gestohlen und ihren ruulanischen Herren übergeben. Die MAD-Archive, in denen sich die Daten befanden, wurden zerstört. Der MAD hat all das geheim gehalten, weil dieser Vorfall für sie eine Peinlichkeit darstellt. Ruulanische Wissenschaftler haben das Virus in den letzten Jahren zusammengemischt, weiterentwickelt, getestet und hergestellt. Der Stammesrat der Ruul kam allerdings zum Schluss, diese Waffe nicht einzusetzen, da sie als nicht ehrenhaft angesehen wurde. Für den ruulanischen Patriarchen, mit dem ich mich eingelassen hatte, galten derlei moralische Erwägungen nicht. Er agiert ohne Rückendeckung und sogar ohne Kenntnis der ruulanischen Stämme. Zu den Formeln, die gestohlen wurden, gehört auch ein Gegenmittel. Die Ruul haben kleine Dosen davon hergestellt. Aber wenn ihr euch die Formel unter den Nagel reißt, dann seid ihr in der Lage, in relativ kurzer Zeit mit wenig Aufwand sehr viel von dem Zeug zu produzieren. Damit wärt ihr in der Lage, das Blatt zu wenden. Und so wie ich die derzeitige Situation einschätze, braucht ihr dringend einen Wendepunkt. Der Datenstick enthält die Antriebssignatur und den ungefähren Standort eines ruulanischen Schiffes. Auf ihm befindet sich alles, was ihr braucht, um das Gegenmittel herzustellen.« Ein schmales Lächeln zog Isaacs Mundwinkel nach oben. »Ich hätte dir noch so viel zu sagen, Frank. Und ich wünschte, es gäbe die Möglichkeit, ausführlich mit dir zu sprechen. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich dir nur sagen: Es tut mir leid – und viel Glück!«

An diesem Punkt endete die Aufzeichnung. Osborne zog den Datenstick aus der Verankerung. Haag und Botanelli fuhren gleichzeitig zu Bates herum. »Wussten Sie davon?«, giftete der Marine-Colonel den MAD-Captain an.

Dieser hob abwehrend beide Hände. »Ich schwöre, ich hatte keine Ahnung.«

Bevor sich die Angelegenheit hochschaukeln konnte, ging Osborne dazwischen. »Das spielt überhaupt keine Rolle mehr. Alles, was jetzt zählt, ist, in den Besitz der Formel für das Heilmittel zu gelangen.« Er deutete auf das andere Tischende, wo sich der unbekannte Offizier mit der Brille in einer geschmeidigen Bewegung erhob.

»Das ist Major Joshua Keller, der Teamführer von ROCKETS-Team Orca. Er wird für uns dieses Schiff ausfindig machen, entern und die Formel in seinen Besitz bringen. Und das wird das Kriegsglück zu unseren Gunsten entscheiden … hoffentlich.«

2

Die Besprechung endete relativ abrupt. Als die Offiziere den Raum verließen, hing jeder seinen eigenen Gedanken nach. Sie alle hatten Aufgaben zu bewältigen und waren geistig bereits mit deren Umsetzung beschäftigt.

Captain Harriman Bates war der Einzige, der regelrecht aus dem Raum stürmte. Außen traf er auf seinen Untergebenen, Lieutenant Walter Bishop, sowie den Til-Nara-Verbindungsoffizier Kinray Kir.

Seiner Miene musste man die Gemütsverfassung, in der er sich befand, angesehen haben. Bishop blickte ihm lediglich einmal ins Gesicht und erklärte: »Sie sehen aus, als hätte man Ihren Hund erschossen. Zweimal.«

Harriman winkte ab. »Kaum zu glauben, was man uns jetzt zumutet.«

»Ich kann Ihnen nicht folgen.«

»Man schickt uns auf eine diplomatische Mission. Wir sollen Hilfe holen. Bei den Nerai.«

Bishops Augenbrauen wanderten bis zum Haaransatz hoch. »Heilige Scheiße! Kann das denn funktionieren?«

Harriman zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Aber das Beste kommt erst noch.«

»Da ist noch mehr?«, meinte Bishop verwundert.

»Raten Sie mal, wer unsere Eskorte stellt.«

»Lassen Sie mich nicht dumm sterben«, entgegnete der Lieutenant. »Wer?«

Harriman wollte antworten. Eine unpassend fröhliche Stimme mischte sich ein. »Na, wenn das Dream-Team da nicht mal wieder vereint ist.«

Harrimans Körper versteifte. Er drehte sich ungelenkig um, als wäre er von einer Sekunde zur nächsten zur Statue erstarrt. Die Blicke Bishops und Kinray Kirs zuckten an seiner Person vorüber. Der Lieutenant verstand im selben Moment. Sein Zeigefinger deutete anklagend auf die Frau, die im Korridor stand, die Hände kampflustig in die Hüften gestemmt.

»Die da? Im Ernst?«

»Ja«, antwortete Harriman emotionslos. »Die da.«

Lory Roberts trat näher. Sie musterte den MAD-Agenten von oben bis unten. »Du siehst gut aus.«

»Fick dich!«, entgegnete er. Der MAD-Offizier konnte Abscheu und Zorn kaum zurückhalten.

»Charmant«, gab sie nonchalant zurück. »Wenn wir wieder zusammenarbeiten wollen, dann solltest du ein bisschen an deiner Impulskontrolle arbeiten.«

Bei diesen Worten wäre Harriman beinahe auf sie losgegangen. Bishops Hand am Bizeps des Captains hielt ihn zurück.

»Von wollen kann keine Rede sein.«

Das spöttische Lächeln Lorys schwand ein wenig und wurde durch etwas anderes ersetzt. Er glaubte nicht, es könne sich um Scham handeln. Sie bereute nicht, ihren Eid gebrochen und ihre Nation verraten zu haben. Unter Umständen war es der Anflug eines schlechten Gewissens. Aber nicht dem Konglomerat gegenüber, sondern ihm persönlich. Der Gedanke tröstete ihn sogar ein wenig. Es sollte nicht so sein, er war jedoch machtlos dagegen.

»Hör mal«, sprach sie in versöhnlicherem Tonfall weiter. »Ich entschuldige mich nicht für das, was ich tat. Ich folgte meinem Herzen.«

»Und wo hat dich das hingeführt? Isaac tot, Likal gefallen, du und die Überbleibsel seiner Getreuen auf der Flucht und heimatlos.«

Dunkle Wolken zogen sich über ihrem Antlitz zusammen. »Du hast recht. Ich habe alles verloren. Aber wenn ich von Anfang an gewusst hätte, welcher Schmerz mich erwartet, ich hätte nicht anders gehandelt.« Sie begutachtete seine schwarze Uniform, als würde dieser eine ansteckende Krankheit anhaften. »Eine kurze Zeit lang machte ich meine eigenen Regeln. Mit Menschen, die meine Vision teilten.« Lorys Kinn hob sich vor Stolz. »Für einen kurzen Moment war ich wirklich frei. Jemand wie du kann das weder verstehen noch nachvollziehen. Gefangen in deiner eigenen kleinen Existenz. Diese Uniform bestimmt alles, was du bist.«

»Alles, was ich bin? Nein. Aber sie steht für etwas. Ich folge immer noch dem Eid, den ich geleistet habe. Dem Kodex, für den ich mich freien Willens entschieden habe. So wie du einst.«

Sie nickte. »Ja, so wie ich einst. Mein Weg führte mich allerdings in eine andere Richtung. Und das musst du endlich einsehen. Uniformen zu tragen, ist nicht für jeden etwas. Und diese hier«, sie deutete auf sein MAD-Outfit, »wurde mir mit der Zeit zu eng.« Sie straffte ihre schlanke Gestalt. »Wie dem auch sei, ich hoffe, wir können uns wenigstens auf einen Waffenstillstand einigen. Die nächsten Wochen werden wir wohl gemeinsam verbringen.«

Harriman rümpfte die Nase. »Kann ich dir denn vertrauen? Du hast das Konglomerat schon einmal verraten.«

»Meinst du jetzt tatsächlich das Konglomerat – oder vielmehr dich?«

Harriman setzte zu einer wütenden Erwiderung an. Lory hob Einhalt gebietend die Hand, bevor es so weit kommen konnte. »Die Ruul haben mir alles genommen, Harriman. Du musst mir gar nicht vertrauen. Setz deine Hoffnung auf meinen Wunsch nach Vergeltung. Das genügt völlig.«

Lory drängelte sich an den MAD-Offizieren vorbei. Deren verdutzte Blicke folgten ihr, bis sie verschwunden war.

»Was für ein Miststück!«, kommentierte Bishop.

»In der Tat«, gab Harriman ihm recht. »Aber lassen Sie sich von Ihrer persönlichen Meinung nicht blenden. Sie gehörte einst zu den Besten des MAD. Ihr messerscharfer Verstand wird uns auf dieser Mission noch nützlich sein.« Er neigte leicht den Kopf zur Seite. »Und außerdem hat sie recht. Wir haben ohnehin keine Wahl. Befehl ist Befehl.« Sein Blick glitt zu Kinray Kir. »Was ist mit Ihnen? Wollen Sie uns begleiten? Ich könnte einen Vertreter der Til-Nara-Hegemonie auf dieser Reise gut gebrauchen.«

Der Insektoide musterte Harriman einen Moment lang aus diesen ausdruckslosen Facettenaugen, bevor er steif den Kopf nach vorne neigte, in der Karikatur eines menschlichen Nickens.

»Ich habe mich nicht getraut zu fragen. Ja, ich würde gerne mitgehen. Es wäre eine Beleidigung für mein Volk, wenn kein Til-Nara dabei wäre.« Kinray Kir zögerte. »Darüber hinaus weiß ich gar nicht, wo ich sonst hinsollte.« Der Übersetzer schaffte es, mit diesen wenigen Worten eine gewisse Traurigkeit zu vermitteln. Weder Bishop noch Harriman wussten darauf etwas zu sagen.

Major Joshua Keller war wohl der Einzige, der die Besprechung gut gelaunt verließ. Der ROCKETS-Offizier schlenderte den Korridor entlang und passierte zwei MAD-Agenten, die sich angeregt mit dem Til-Nara-Verbindungsoffizier unterhielten.

Er nahm die Brille ab und verstaute die für ihn nutzlose Sehhilfe in der Brusttasche seiner Uniform. Er brauchte das Utensil lediglich, damit andere ihn unterschätzten. Daher war sie ihm zuweilen nützlich. Joshua hing den eigenen Gedanken hinterher, während er durch die Korridore des Schlachtträgers spazierte. Er hatte schon viel Zeit an Bord solcher Kriegsschiffe verbracht. Dieser hier kam ihm aber irgendwie größer vor. Nach einigem Grübeln bemerkte er verschiedene Modifikationen, die man an dem Schiff vorgenommen hatte. Es verfügte über größere Torpedomagazine als üblich. Auch die Mannschaftsquartiere waren vergrößert worden, dadurch konnte die Midway mehr Marines aufnehmen. Der Bereich, der für Sondereinsatzkräfte vorgesehen war, war gleichfalls einer Verbesserung unterzogen worden.

Die Midway konnte vier ROCKETS-Teams beherbergen. Joshua seufzte. Derzeit hielt sich jedoch nur ein unterbesetztes Team an Bord auf. Dies war den enormen Kriegsverlusten geschuldet. Die ROCKETS gehörten zu den Besten der Besten. Aber auch sie waren lediglich Menschen. Menschen bluteten. Und Menschen starben, gleichgültig wie gut sie auch sein mochten.

Joshua betrat den Bereich, der für die Sondereinsatzkommandos vorgesehen war. Seine Füße trugen ihn ohne Umschweife in den Abschnitt, in dem er von drei Offizieren bereits sehnsüchtig erwartet wurde.

Die zwei Männer und eine Frau erhoben sich beim Eintreffen des Majors respektvoll. Joshua blieb im Türrahmen stehen und unterzog seine drei Untergebenen einer eingehenden Begutachtung. Zufriedenheit umgab ihn wie eine Wolke. Kein Kommandant konnte stolzer sein. Wehmut trübte das Gefühl unwillkürlich.

ROCKETS-Teams bestanden für gewöhnlich aus sechs Mitgliedern. Bei ihrer letzten Mission auf Tango Epsilon hatte Team Orca jedoch zwei ROCKETS verloren. Diese waren immer noch nicht ersetzt worden. Ein weiterer Tribut an die Erfordernisse des Krieges.

Joshuas Erinnerungen kehrten zu Tango Epsilon zurück und er verzog unwillig die Miene. Mannomann, das war vielleicht ein Drecksloch gewesen. Die Ruul hatten den Asteroiden als Nachschubbasis missbraucht. Das Grinsen kehrte auf sein Gesicht zurück. Nun ja, damit war es nun vorbei.

Er bedeutete den drei Offizieren, sich zu setzen, und gesellte sich im Anschluss zu ihnen an den Tisch. Wenn sie unter sich waren, dann gab es zwischen den Teammitgliedern keine Unterschiede. Sie waren alle einfach Soldaten, die dasselbe Blut im selben Matsch vergossen hatten.

Joshuas Blick wanderte von einem zum anderen. Ganz links saß Lieutenant Theodor Goodwin, sein Scharfschütze. Der Mann war so hager, dass man glauben könnte, er leide an Unterernährung. Nichts lag der Wahrheit ferner. Joshua hatte noch nie einen Menschen größere Mengen an Nahrungsmitteln vertilgen sehen. Und der Mistkerl musste sich noch nicht einmal anstrengen, sein Gewicht zu halten. Manche Menschen hatten in dieser Hinsicht einfach gute Gene.

Neben ihm saß Lieutenant Antonia Weber, Feldsanitäterin und Linguistin. Sie sprach Sca’rith, Meskalno und drei ruulanische Dialekte fließend, zwei weitere in Grundzügen. Darüber hinaus vermochte sie, die jeweiligen Sprachen zu lesen und halbwegs adäquat zu schreiben.

Die junge Frau trug ihr eigentlich wunderschönes braunes Haar nach Art der Marines kurz geschoren. Es verbesserte den Hautkontakt mit dem Kampfhelm und störte dadurch auch nicht während einer Mission. Es gab weibliche Angehörige des Militärs, die der Forderung nach solch einer praktischen Frisur nur widerwillig nachkamen. Auf Antonia traf dies zum Glück nicht zu.

Der Letzte im Bunde war Lieutenant Daniel Hoult. Ein wahres Technikgenie,vor allem, wenn es darum ging, Schlösser zu knacken und sich Zugang zu Orten zu verschaffen, an denen ROCKETS allgemein nicht gern gesehen waren.

Joshua war ausnahmslos stolz auf seine Leute. Sie hatten gemeinsam die Ausbildung in Nairobi durchgestanden und waren im Anschluss zu einem Team zusammengefasst worden. Sie waren seit Kriegsbeginn beieinander.

Trauer ließ ihn einen Moment innehalten. Er gedachte der beiden Offiziere, die bei ihrer letzten Mission gefallen waren. Unter ihnen war auch seine Nummer zwei gewesen. Nach der aktuellen Operation musste er eine Entscheidung treffen. Einer der ihm gegenübersitzenden Offiziere, würde dessen Nachfolger werden.

Ohne weitere Worte reichte Joshua jedem seiner Kameraden einen Datenstick. Die zwei Männer und die Frau nahmen den Gegenstand in Empfang und steckten ihn in ihr jeweiliges Lesegerät.

Joshua ließ den dreien den Freiraum, sich erst einmal selbst über die bevorstehende Mission zu informieren. Währenddessen beobachtete er genau deren Mienenspiel. Theodore war wie immer kaum zu lesen. Der Mann trug eine Miene zur Schau, als wäre er soeben zur Statue verwandelt worden.

Antonia war das genaue Gegenteil. Sie trug das Herz auf der Zunge oder in diesem besonderen Fall auf dem Gesicht. Sie wirkte überaus besorgt und nicht gerade angetan von dem, was auf sie zukam.

Daniel lächelte geheimnisvoll. Der Kerl freute sich auf die Auseinandersetzung mit dem Feind. Egal wo, egal wann und egal unter welchen Voraussetzungen. Daniel wollte den Slugs schlichtweg wehtun. Sein Hass auf die Slugs war wohlbegründet. Der Mann stammte von der Kolonie Reykjavik. Sie lag seit Kriegsbeginn hinter den feindlichen Linien. Daniel wusste nicht, wie es seiner Familie ging und ob von ihnen überhaupt noch jemand am Leben war. ROCKETS-Team Orca war bei der Rückeroberung von vier terranischen Kolonien dabei gewesen. Ihnen war sehr wohl bewusst, was die Ruul mit menschlichen Zivilisten anstellten.

Aber besonders jetzt, kurz nach dem Tod zweier Kameraden, sann der Mann auf Vergeltung. Falls er denn überhaupt noch einen Grund hierfür benötigte. Hätte Joshua die Möglichkeit dazu besessen, er hätte Daniel von der bevorstehenden Reise ausgeschlossen und ihn auf die Ersatzbank geschickt. Der Teamführer konnte es sich aber nicht leisten, noch ein Truppmitglied zu verlieren. Damit wäre der Auftrag nicht mehr durchführbar gewesen. Aber er musste Daniel unbedingt im Auge behalten.

Theodore, Antonia und Daniel beendeten ihr Studium des Briefinglogs beinahe gleichzeitig. Sie sahen auf. Der Augenblick der Wahrheit stand vor der Tür.

»Nun?« Joshua sah erneut von einem zum anderen. »Was meint ihr?«

»Das wird kein Zuckerschlecken«, entgegnete Antonia sofort. »Unser Auftrag beinhaltet, ein feindliches Schiff zu finden und zu infiltrieren, wobei es bestimmt mit einer Eskorte unbekannter Stärke fliegen wird. Dann müssen wir die Besatzung des Zielschiffes überwältigen, wobei wir nicht wissen, mit wie vielen ruulanischen Kriegern wir es zu tun haben werden. Und anschließend müssen wir mit unserer Beute fliehen. Die allerdings erst mal an Bord besagten Schiffes ausfindig gemacht werden muss.« Sie schüttelte leicht den Kopf. »Schwierig«, wiederholte sie.

»Aber nicht unmöglich«, grätschte Theodore dazwischen. »Wir haben schon Schwierigeres erledigt.« Seine Mundwinkel zeigten die Andeutung eines Lächelns. Scharfschützen waren alle irgendwie verrückt. Joshua hätte aber nie ohne einen in den Kampf ziehen wollen.

»Ist es denn wirklich wichtig, was wir denken?«, wandte Daniel ein. »Man hat uns einen Befehl erteilt und wir werden ihn ausführen. Das Militär ist schließlich keine Demokratie.«

Daniel war der mit Abstand Pragmatischste der Gruppe. Wobei Joshua dessen Aussagen mit Vorsicht genoss. Er wusste immer noch nicht genau zu sagen, ob die Bemerkung seiner wirklichen Meinung geschuldet war oder ob er sich einfach nur auf eine weitere Runde mit den Ruul freute. Er schob den Gedanken beiseite. Es spielte an und für sich keine Rolle.

»Daniel hat recht«, ging Joshua darauf ein. »Unsere persönliche Meinung spielt keine Rolle.« Er seufzte. »Der Auftrag ist zweifelsohne schwierig, aber durchführbar.«

»Welche Unterstützung haben wir zu erwarten?«, wollte Antonia wissen.

»Admiral Osborne stellt uns ein hyperraumtüchtiges GLT zur Verfügung. Das war’s.«

Drei Augenpaare blinzelten ihn ungläubig an. »Jetzt seht mich nicht so an. Ich kann auch nichts dafür.«

Sogar Daniel wirkte mit einem Mal nicht mehr ganz so enthusiastisch. »Das heißt, uns stehen keine Kampfschiffe zur Verfügung? Keine Marines? Keine Feuerunterstützung irgendwelcher Art? Noch nicht einmal zur Ablenkung?«

»Genau so sieht es aus«, bestätigte Joshua. »Admiral Osborne und Admiral Nemerov benötigen alle zur Verfügung stehenden Kräfte, um unser Hauptquartier hier bei Dar’tai zu sichern und die Front zu halten. Es stehen keine Kapazitäten frei, um uns bei dem bevorstehenden Auftrag beizustehen.«

»Wir müssen da also allein durch?«, meinte Antonia zweifelnd. »Also ich weiß nicht so recht, Josh. Mir erscheint die Mission immer weniger durchführbar.«

»Ich versichere euch, sie ist machbar. Und wir stehen keineswegs allein da. Ich habe eine Idee und Osborne gab mir seinen Segen dafür.«

Auf der Stelle war ihm die Aufmerksamkeit aller Anwesenden sicher. »Die Sca’rith unterhalten im Grenzgebiet zwischen Til-Nara und Konglomerat eine Geheimbasis. Da unsere katzenartigen Freunde ungefähr die Hälfte ihrer Systeme an die Slugs verloren haben, mussten sie wichtige Stützpunkte auslagern. Unter anderem auch mehrere Schiffswerften, über die sie ihre signifikanten Verluste ausgleichen wollen. Der MAD kennt zumindest einige Standorte. Auf einer dieser Werften habe ich einen Freund. Wenn ich ihm gut zurede, überlässt er uns für die Dauer der Operation unter Umständen einige Schiffe. Damit würde unsere Position schon ein wenig besser aussehen.«

»Und du denkst, er lässt sich auf dieses Spielchen ein?«, fragte Daniel wenig überzeugt.

»Er ist ein wirklich guter Freund. Und eines ist mal sicher: Er hasst die Ruul genauso sehr wie wir. In der Anfangsphase der Invasion töteten sie drei seiner vier Söhne. Er würde alles tun, um sich zu rächen.« Bei diesen Worten blitzten Daniels Augen auf. Joshua machte sich in Gedanken eine Notiz.

»Da das geklärt ist, nun zum nächsten Thema.« Der Major rief das Dossier eines ruulanischen Befehlshabers auf. Sein Antlitz wurde als halbtransparentes Abbild zwanzig Zentimeter über den Tisch projiziert. »Das ist das Gesicht unseres Feindes.«

»Ziemlich hässliche Slug-Fresse«, kommentierte Daniel.

»Die sehen für mich alle gleich aus«, ergänzte Theodore. »Werden wir es auch mit ihm zu tun bekommen?«

»Persönlich?« Joshua schnalzte mit der Zunge. »Das bezweifle ich. Aber ich finde es nützlich zu erfahren, wer das übergeordnete Kommando innehat.«

»Und der ist das?«, hakte Antonia noch einmal nach.

Joshua nickte. »Der MAD hat eine ziemlich umfangreiche Akte über den Kerl.«

»Dann lass mal hören«, forderte die Sanitäterin auf.

»Sein Name ist Kivor’sa-kor«, begann der Teamführer. »Er war Mitglied des ruulanischen Ältestenrates für den sa-Stamm und ist – nach derzeitigem Kenntnisstamm – weiterhin der Erste Patriarch der kor-Familie.«

Daniel runzelte die Stirn. »Er war Mitglied des Ältestenrates?«

Abermals nickte der Major. »Unser schuppiger Freund hat sich in den ersten Kriegsmonaten ziemlich hervorgetan. Seine Truppen gehörten zu den brutalsten unter den Ruul. Dementsprechend waren die Erfolge. Und auch die Ehrungen, die er bekam. Der sa-Stamm und die kor-Familie waren im Aufwind.«

»Was ist passiert?«, fragte Theodore interessiert nach.

»Kivor’sa-kor übernahm das Kommando über die Sturmspitze beim ersten Angriff auf Fortress. Während der Kämpfe erlitten seine Truppen eine vernichtende Niederlage und mussten sich zurückziehen. Von dieser Demütigung hat er sich nie wieder erholt. Man schmiss ihn hochkant aus dem Rat hinaus. Es gab sogar verschiedene Herausforderungen, um ihm auch noch das Amt des Patriarchen zu entwenden. Er hat aber alle Herausforderer getötet. Kivor’sa-kor kann von Glück reden, dass er diese Zeit überlebt hat. Nach dem, was uns bekannt ist, werden Attentate gegenüber Vorgesetzten bei den Ruul als akzeptables Mittel der Beförderung angesehen. Wirklich ein Wunder, dass er all das durchgestanden hat. Danach wurde es aber ruhig um ihn. Er verschwand für geraume Zeit aus der öffentlichen Wahrnehmung. Wir wissen nur, dass er seitdem verzweifelt versucht, sein Ansehen beim Ältestenrat wiederherzustellen. Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln.«

»So langsam wird mir klar, was hier vor sich geht.« Antonia rieb sich über das Kinn.

»In der Tat«, stimmte Joshua zu und deaktivierte das Dossier. Das Abbild Kivor’sa-kors verblasste und der Truppführer der ROCKETS nahm den Datenstick wieder an sich. »Der Slug-Kommandant will sich eine Eintrittskarte zum Rat verschaffen, indem er die Til-Nara-Front zusammenbrechen lässt. Das würde Mittel und Truppen freisetzen, die die Slugs gegen Hoffer an der terranischen Linie zum Einsatz bringen könnten.« Joshuas Miene drückte äußerste Entschlossenheit aus. »Meine Freunde, das wird nicht passieren.«

3

Frank Taylor rutschte von Pobacke zu Pobacke. Die Liege auf der Krankenstation der Midway fühlte sich unangenehm und unbequem an. Aber unter Umständen war es auch lediglich sein subjektives Gefühl. Zum ersten Mal in seinem Leben bekam er ein künstliches Organ angepasst.

Der zuständige Arzt, Doktor Nils Andersson, bemerkte seine Unruhe. »Ich bin gleich so weit«, beruhigte der Mann den Patienten.

Frank antwortete nicht. Zu nervös war er. Wie sich ein künstliches Auge wohl anfühlen würde? Neben ihm auf der Liege lag die Augenklappe. Mit etwas Glück würde er nachher die Krankenstation ohne dieses Ding verlassen können. Schlimm genug, dass ihm der verdammte Slug das Auge ausgestochen hatte. Aber dass jeder – wirklich jeder –, an dem er vorüberkam, ihn betrachtete, als würde ein Pirat unter ihnen wandeln, das setzte dem Fass die Krone auf.

Doktor Andersson nahm an einer Konsole noch einige Feinabstimmungen vor. Sein Finger hing am Ende wie ein Damoklesschwert über der Enter-Taste der Tastatur. Er lächelte auf eine beinahe schon sadistische Art. »Das könnte jetzt vielleicht etwas zwicken.« Der Finger sauste herunter, drückte die Taste und ein stechender Schmerz zuckte durch Franks linke Augenhöhle.

»Auhh, verdammte Scheiße!«, brüllte der Flottenoffizier und presste beide Hände vor das Augenimplantat. Wäre er dazu in der Lage gewesen, er hätte es sich mit den Fingern aus der Höhle gerissen.

»Schon gut, schon gut!«, beeilte sich der Arzt zu sagen. »Das wird gleich besser. Das Implantat sendet Signale durch die noch vorhandenen Nerven.«

Wie versprochen ließ der Schmerz nur Sekunden später nach. Frank blinzelte – und nahm die Hände herunter. Er konzentrierte sich auf sein linkes Auge, kniff das rechte zu. Er sah zuerst nur Schneegestöber. Dann kristallisierten sich Formen und Umrisse heraus. Bis das Implantat sein volles Potenzial ausschöpfte und er damit sehen konnte wie mit dem ursprünglichen Organ. Nun ja, fast. Hin und wieder flammten kurze Störungen auf. Wie bei einem Fernseher, der kein richtiges Signal bekam.

»Was ist mit den Unterbrechungen?«, wollte Frank wissen.

»Wie lange halten die immer an?«

»Sekundenbruchteile, aber es macht einen mit der Zeit wahnsinnig.«

»Einen Moment«, bat der Arzt. Er kehrte an seine Konsole zurück und nahm weitere Feinabstimmungen vor. Die Störungen verschwanden.

»Wie ist es jetzt?«

»Besser«, entgegnete Frank breit grinsend. »Wesentlich besser.«

Der Arzt kehrte mit einer kleinen Lampe zurück. Er leuchtete direkt in Franks Augen. »Folgen Sie dem Licht.« Doktor Andersson führte die Lampe von oben nach unten und von links nach rechts. Zufrieden nickend, schloss er die Behandlung ab. »Das sieht alles sehr gut aus. Sollte es Probleme geben, wenden Sie sich an Ihren Schiffsarzt. Falls er nicht weiterkommt, kann er mich jederzeit kontaktieren.«

»Ich danke Ihnen, Doc.«

Andersson akzeptierte den Dank mit neutraler Miene und nahm die Augenklappe entgegen. »Die brauchen Sie jetzt nicht mehr, Commodore. Das wäre dann alles.«

Frank rutschte von der Liege und unterzog die Krankenstation einer ausgiebigen Begutachtung. Das Implantat arbeitete hervorragend. Es war ein gutes Beispiel für fortschrittliche medizinische Ingenieurskunst.

Die Tür ging auf und Vizeadmiral Osborne stand mit vor der Brust verschränkten Armen im Raum. »Doktor? Darf ich ihn mitnehmen?«

Andersson nickte. »Wir sind vorerst fertig.« Der Arzt hob einen mahnenden Finger. »Aber nicht vergessen: Innerhalb des nächsten halben Jahres Kontrolluntersuchungen alle zwei Wochen. Falls Schwierigkeiten auftauchen, sofort Bescheid geben.«

»Danke, Doc«, nickte Frank und schloss sich Osborne an, der die Krankenstation bereits wieder verließ.

»Ich begleite Sie zum Shuttlehangar«, eröffnete der Admiral das Gespräch. Die beiden Männer gingen Seite an Seite den Korridor entlang.

»Sie holen bestimmt nicht jeden Untergebenen von einer medizinischen Untersuchung ab«, sprach Frank Osborne nach einer Weile an.

»Nicht wirklich«, gab dieser ihm recht. Er leckte sich über die Lippen. »Wir stecken richtig tief in der Scheiße, Taylor. Die Ruul und die abtrünnigen Til-Nara agieren nahezu ohne Einschränkung, während wir darauf beschränkt sind, auf deren Angriffe zu reagieren. Wissen Sie, wie man es nennt, wenn der Feind die Initiative besitzt und einem das eigene Verhalten diktiert? Eine Niederlage. Das müssen wir unbedingt ändern.«

»Ich verstehe. Und was schwebt Ihnen vor?«

»Wir haben zu wenige Informationen. Deswegen haben Admiral Nemerov und ich uns entschlossen, gegen einige kürzlich gefallene Systeme Sondierungsvorstöße durchzuführen. Geschwader in begrenztem Umfang sollen hinter den feindlichen Linien Informationen sammeln und auch – falls möglich – etwas Schaden anrichten. Das 12. Schnelle Angriffsgeschwader wurde für einen dieser Vorstöße ausgewählt. Ich werde Ihnen einige Schiffe zuweisen, um Ihre Verluste auszugleichen. Möglicherweise kann ich sogar ein paar Einheiten mehr loseisen, um ihr Geschwader etwas zu unterstützen. Aber erwarten Sie nicht zu viel. Unsere Mittel sind im Moment äußerst limitiert. Ihnen werden auch einige Truppentransporter mit Marines zugeteilt.« Der Admiral hielt an und zwang damit Frank, ebenfalls stehen zu bleiben. »Verstehen Sie mich nicht falsch. Niemand erwartet, dass Sie eines der gefallenen Systeme zurückerobern. Das dürfte Ihnen ohnehin nicht gelingen. Der oberste Parameter der Operation ist es, Informationen zu sammeln. Aber falls Ihnen ein Gelegenheitsziel vor die Rohre kommt, dessen Zerstörung sich lohnen würde, dann zögern Sie nicht. Jeder Vorteil, und sei er auch noch so klein, ist uns derzeit willkommen. So weit ist es mittlerweile schon gekommen.«

»Machen Sie sich keine Sorgen, Admiral. Das 12. Schnelle Angriffsgeschwader wird Sie nicht enttäuschen. Wann brechen wir auf?«

»Sobald Sie so weit sind. Innerhalb der nächsten zwölf Stunden, würde ich sagen.«

Frank machte Anstalten, sich abzuwenden, aber Osborne hielt ihn zurück. »Commodore? Sie haben zwar den Auftrag, den Feind bei Gelegenheit anzugreifen, aber übertreiben Sie es nicht. Sie sind dort draußen. Ich nicht. Sie müssen entscheiden, ob sich das Risiko lohnt. Was wir jetzt am dringendsten brauchen, sind Soldaten, erfahrene Besatzungen und Schiffe. Gehen Sie kein unnötiges Wagnis ein. Wenn Sie der Meinung sind, es ist zu gefährlich, dann bewegen Sie Ihren Arsch da möglichst schnell weg. Verstanden?«

Frank nickte grimmig entschlossen. »Aye, Admiral. Verstanden.«

Captain Harriman Bates befand sich nicht zum ersten Mal auf einem Schweren Kreuzer der Night-Klasse, wohl aber das allererste Mal auf einem Piratenschiff. Taylor hätte wohl seine eigene Meinung zu dem Thema gehabt. Die Gefangenschaft war bestimmt kein Urlaub gewesen.

Walther Bishop blieb dicht bei ihm. Der verdrießlichen Miene des Untergebenen nach zu schließen, fühlte sich der Lieutenant ähnlich unwohl wie er selbst auch. Die Gesichter der Besatzungsmitglieder, die ihnen begegneten, blieben im besten Fall neutral und im schlimmsten offen feindselig. Man brauchte nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, dass Mitglieder des terranischen Geheimdienstes oder des Militärs an Bord eines Piratenschiffes nicht sonderlich beliebt waren.

Sie erreichten den Abschnitt, in dem sich ihr Quartier befinden sollte. Harriman schielte noch einmal auf den zerknitterten Zettel in seiner Hand. Anschließend hob er den Kopf, um die Markierungen über dem nächsten Schott abzulesen. Ja, hier waren sie definitiv richtig. Der MAD-Agent wollte es tunlichst vermeiden, nach dem Weg zu fragen. Es hätte ihn vor den Piraten der Lächerlichkeit preisgegeben. Außerdem vermochte er sich sehr gut vorzustellen, dass er höchstwahrscheinlich keine korrekte Antwort erhalten hätte. Diese Bande hätte ihn sonst wohin geschickt.

Nach einigem Suchen erreichte sie endlich das für sie vorgesehene Quartier. Harriman öffnete das Schott und duckte sich durch die Öffnung ins Innere. Bishop folgte, wobei der rangniedere Offizier das Gepäck trug – für sie beide.

Eine kleine Til-Nara-Drohne kam Harriman entgegen, und das in solcher Geschwindigkeit, dass er eilig aus dem Weg springen musste, um nicht über den Haufen gerannt zu werden.

Als er aufsah, bemerkte der MAD-Agent einen Schatten über sich. Kinray Kir hing an der Decke und fühlte sich offenbar recht wohl. Soweit man das bei diesen Insektengesichtern erkennen konnte.

»Captain Bates«, begrüßte der Verbindungsoffizier den Menschen. »Sie sind schon hier.«

Harriman machte Platz, um auch dem schnaufenden und sichtlich erschöpften Bishop den Zutritt zu gestatten. Dieser ließ die zwei Seesäcke erleichtert auf den Boden plumpsen.

»Schon ist gut«, gab Harriman etwas ruppiger zurück als beabsichtigt. »Wie haben Sie das Quartier so schnell gefunden?«

»Ich hab gefragt«, erwiderte der Til-Nara.

Bishop schenkte seinem Vorgesetzten ein wissendes Grinsen, das Harriman geflissentlich ignorierte. »Wo ist Roberts?«

»Auf der Brücke, würde ich annehmen«, antwortete der Til-Nara, immer noch kopfüber von der Decke hängend.

Harriman fiel auf, dass das Quartier nur über zwei Betten verfügte. Es war davon auszugehen, dass der Til-Nara seine Bettstatt über ihren Köpfen beziehen würde. Er wusste nicht so recht zu sagen, ob ihm das gefallen sollte, einen Insektoiden unmittelbar über sich schlafen zu lassen. Harriman seufzte genervt auf. Er würde vermutlich die Reise über kein Auge zutun.

Bishop war bereits dabei, seinen Seesack auszupacken. Harriman warf dem Lieutenant die kleine Tasche zu, die er über der Schulter trug, und deutete gleichzeitig auf den eigenen Seesack. »Packen Sie mein Zeug bitte auch mit aus«, bat er und verschwand durch das Schott, bevor der Lieutenant Einwände erheben konnte.

Harriman quetschte sich durch die engen Korridore des Kriegsschiffes, vorbei an unzähligen Besatzungsmitgliedern, die die Herakles für den Aufbruch vorbereiteten. Er war mit dem rudimentären Aufbau eines Schweren Kreuzers der Night-Klasse vertraut. Daher war es wesentlich einfacher, die Brücke zu finden als ihr Quartier.

Am Zugang wurde er von zwei bulligen Piraten davon abgehalten, den Sicherheitsbereich zu betreten. Harriman reckte den Hals. Lory saß auf dem Sessel des Kommandanten und überwachte mehrere Schiffssysteme. Harriman warf einem der beiden Piraten einen abschätzigen Blick zu. Er erwog die Möglichkeit, sich gewaltsam an diesem vorbeizudrängen. Der Mann grinste. Er hatte die Gedanken des MAD-Offiziers erraten und ließ Harriman wortlos wissen, er möge es ruhig versuchen. Aufgrund des Muskelanteils des Piraten verwarf der MAD-Captain diese Idee wieder. Sie hätte lediglich in einer Peinlichkeit seinerseits geendet. Stattdessen erhob er die Stimme: »Bitte um Erlaubnis, die Brücke betreten zu dürfen.«

Lory Roberts, abtrünnige MAD-Offizierin und ehemalige Partnerin Harrimans, drehte sich nicht einmal um, als sie antwortete: »Erlaubnis erteilt.«

Die beiden Wachposten gaben endlich den Weg frei. Harriman schritt an ihnen vorüber, so würdevoll es ihm unter diesen Umständen möglich war. Er trat neben Lorys Kommandosessel. Die Brückencrew beachtete ihn nicht weiter.

Auch hier sah Harriman mehrere dieser kleinen Til-Nara-Drohnen umherwuseln. Sie gingen ihm nicht einmal bis zur Hüfte, schienen aber wichtige Aufgaben wahrzunehmen. Sie waren zum Beispiel in der Lage, ein Vielfaches des eigenen Körpergewichts zu tragen. Lory bemerkte seinen verwirrten Blick.

»Die Asken-tal-Königin hat uns ein paar ihrer Arbeiterdrohnen zur Verfügung gestellt. Sie leisten gute Dienste und brauchen weder viel Platz noch Ressourcen.« Sie schmunzelte. »Tal-vaniri hat uns versichert, dass es kein Problem ist, wenn ein paar von ihnen während der Reise auf der Strecke bleiben. Sie sind entbehrlich.«

Harriman bemerkte, wie seine ehemalige Partnerin die Bezeichnung für die Asken-tal-Königin korrekt und sogar in der richtigen Artikulation aussprach. Sie verstand von diesem Teil des Weltraums wesentlich mehr als er.

Sie warf ihm einen seltsamen Blick zu. »Das muss für dich ein komisches Gefühl sein.«

Er zwinkerte, als würde er aus einem Tagtraum erwachen. »Wie bitte?«

»An Bord dieses Schiffes zu sein«, konkretisierte sie. »Als du es das letzte Mal gesehen hast, feuerte es auf euch und ihr habt im Gegenzug auf die Herakles geschossen.«

»Ja, ein seltsames Gefühl«, bestätigter er. »In der Tat.« Harriman vermied absichtlich Augenkontakt. Er wusste nicht, ob er ansonsten die Fassung hätte bewahren können. »Als dieses Schiff das erste Mal auf unserem Radar auftauchte, hat am Ende der Reise ein guter Mann ein Auge und ein anderer sein Leben verloren.«

Lory schwieg. Harriman spürte ihre Anspannung. Plötzlich drehte sie ihren Stuhl ruckartig in seine Richtung. »Ich bereue nichts von dem, was ich tat. Ich hielt es für das Richtige.«

»Vielleicht wäre eine Entschuldigung mal ein guter Anfang.«

»Vergiss es!«, spie sie ihm entgegen.

Harrimans Gesicht lief rot an. Er verkniff sich aber jegliche Entgegnung. Es war kontraproduktiv, einen Streit, mit der aktuellen Befehlshaberin vom Zaun zu brechen.

»Ich folgte meinem Gewissen«, spann sie den Faden mit wesentlich ruhigerer Stimme weiter.

»Und jetzt sieh dir nur an, wo dich dein Gewissen hingebracht hat. Am Ende stehst du doch wieder auf der Seite des Konglomerats.« Diese Bemerkung brachte ihm bitterböse Blicke von einigen Mitgliedern der Brückencrew ein. Lory machte eine vage Handbewegung und die Piraten widmeten sich wieder ihren Stationen.

»Miles?«, wandte sie sich an einen Offizier zu ihrer Rechten. »Funkspruch an die Dar’tai-Raumkontrolle. Wir bitte um Erlaubnis, den Sicherheitsperimeter zu durchqueren.«

Der Angesprochene nickte und beugte sich tief über die Kommunikationskonsole. Harriman und Lory schwiegen unterdessen angestrengt. Das Schweigen war so aussagekräftig, als hätten sich beide aus vollem Hals angeschrien.

Der Mann namens Miles richtete das Wort an Lory: »Skipper, Raumkontrolle Dar’tai bestätigt Abflugerlaubnis.«

Lory nickte. »Alle Geschwader rund um das Flaggschiff formieren und Kurs setzen. Ein Viertel Geschwindigkeit.«

Durch das Brückenfenster sah Harriman einige kleinere Piratenschiffe, die das Flaggschiff schützend in die Mitte nahmen. Lorys Piratenbande verfügte nach all den Kämpfen und den Auseinandersetzungen mit der Ruul/Asken-dor-Allianz über etwas mehr als einhundertfünfzig Schiffe unterschiedlicher Klassen, Größen und Bauart. Und alle würden als Eskorte ins Nerai-Reich dienen. Harriman wäre wesentlich wohler mit einem Konglomeratsgeschwader an seiner Seite gewesen. Er verstand allerdings auch die Notwendigkeit, alle greifbaren terranischen Einheiten zum Schutz des Hauptquartiers und der angrenzenden Sektoren zur Verfügung zu halten.

Wenn auch nur die Hälfte von den Informationen zutraf, die der MAD zusammengetragen hatte, dann stand eine feindliche Großoffensive unmittelbar bevor. Und sie würde alles bisher an dieser Front Dagewesene in den Schatten stellen – seit Beginn des Krieges und der großen Invasion.

Einige Transporter kreuzten den Bug der Herakles und ihrer Begleitflotte. Der Schwere Kreuzer sandte ihnen per Funkimpuls einen Gruß hinüber. Auf Harrimans fragenden Blick antwortete sie: »Das sind die Zivilisten, die wir von Likal evakuieren konnten, bevor alles den Bach runterging. Sie verlassen die Hegemonie und begeben sich zu einem Sammelpunkt im Konglomerat, bis wir wissen, wohin uns die Reise führt.«

»Wohin willst du denn, dass die Reise geht?«, fragte er neugierig.

Sie hob stolz das Kinn. »Wenn es nach mir ginge, zurück nach Likal.«

Harriman ließ das mal unkommentiert so stehen. Nach der Einnahme durch die Ruul dürfte das schwierig werden. Andererseits wäre das Konglomerat wohl froh, die Piraten wieder los zu sein. Eine Bande heimatloser Freibeuter löste in so manchem Politiker bestimmt kalte Schweißausbrüche aus.

»Wie lange werden wir unterwegs sein?«, wollte Harriman wissen.

»Wenn alles glatt verläuft, zehn bis vierzehn Tage«, antwortete Lory. Ihre Stimme ließ jedes bisschen Gefühl vermissen.

Harriman nickte, drehte sich um und wollte die Brücke verlassen. Kurz bevor er das Schott durchschritt, hielten ihn die Worte seiner ehemaligen Partnerin zurück. »Es wäre unter Umständen keine schlechte Idee, wenn dein Lieutenant und du die Reise über weitgehend in eurem Quartier verbringt. Wir sollten unsere Begegnungen auf ein Minimum reduzieren.«

Kivor’sa-kor passierte das Spalier aus Asken-dor-Leibwachen in ihren weißen Chitinpanzern. Sie wirkten ausdruckslos und ließen keinerlei Regung erkennen. Genauso gut hätten sie zum Inventar gehören können.

Kivor war verhältnismäßig ungehalten. Er hatte eine Invasion zu planen und die Asken-dor-Königin zitierte ihn zu sich wie ein Haustier. Eine solche Behandlung war er nicht gewohnt und ließ er normalerweise auch niemandem durchgehen. Die insektoide Königin war sich offenbar nicht bewusst, dass sie Juniorpartner in diesem Bündnis war, nicht mehr. Ohne seine Krieger wäre die feiste kleine Made bereits von ihren Schwestern verspeist worden. Es wurde möglicherweise Zeit, sie an ihren Platz zu erinnern.

Kivor durchquerte den Thronsaal an Bord des Asken-dor-Flaggschiffes mit schnellen Schritten. Als er vor der Königin stand, machte er Anstalten, sie zurechtzuweisen. Die Til-Nara-Monarchin kam ihm zuvor.

»Die Menschen haben eine Expedition losgeschickt.«

Kivor’sa-kor stutzte und vergaß, was er eigentlich hatte sagen wollen. Die Königin hatte interessante Neuigkeiten zu bieten. »Wohin?«, wollte er wissen. »Zu welchem Zweck?«

»Zu den Nerai«, versetzte die Königin kurz angebunden. »Sie wollen sie um Hilfe bitten.«

Kivor senkte nachdenklich den Kopf. »Das ist ein unerwarteter Schachzug. Sehr aggressiv – oder auch verzweifelt. Je nach Sichtweise.« Er hob den Blick. »Könnten die Nerai überzeugt werden, aufseiten der Til-Nara-Regierung in den Bürgerkrieg einzugreifen?«

»Möglicherweise«, erwiderte die Königin unbestimmt. »Sie hassen die Til-Nara auch nach über eintausend Jahren der Abtrennung immer noch mit leidenschaftlicher Inbrunst. Aber die Ruul sind der eigentliche Feind. Im Moment. Es wäre absolut denkbar, dass sie ihre persönlichen Gefühle beiseitelassen. Sie brauchen die Hegemonie intakt, um die eigene linke Flanke zu schützen. Das muss ihnen klar sein.«

»In der Tat«, nickte Kivor’sa-kor. »Woher wisst Ihr überhaupt von deren Vorhaben, Königin?« Der Patriarch ließ absichtlich die offizielle Bezeichnung Dor-vaniri weg. Er würde dieses Insekt niemals behandeln, als wäre sie ihm ebenbürtig. Ein Ruul und ein Til-Nara konnten unter keinen Umständen gleichrangig sein.

Die Spitze traf offensichtlich ihr Ziel, denn die Königin antwortete nicht. Stattdessen trat ein weiterer Til-Nara aus ihrem Schatten. Kivor kannte ihn. Es handelte sich um den Schwarmführer Zweiter Klasse Nelha Ashal, einen hochrangigen Flottenoffizier der Asken-dor. »Wir haben unsere Mittel«, erklärte dieser ausweichend. »Auch wenn wir uns aus Regierung und Militär zurückgezogen haben, bedeutet das noch lange nicht, dass alle Kontakte abgerissen sind.«

Die Asken-dor besaßen also immer noch Spione vor Ort. Das konnte sich als nützlich erweisen. »Können eure Informanten uns über den Kurs der feindlichen Delegation Daten liefern? Auch über Anzahl, Bewaffnung und Klassen ihrer Eskorte?«

»Natürlich«, nickte Nelha Ashal.