Der Schrazelschatz - Susanne Ospelkaus - E-Book

Der Schrazelschatz E-Book

Susanne Ospelkaus

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Beschreibung

Wer steckt hinter den geheimnisvollen Diebstählen? Im idyllischen Bergdorf Oberau verschwinden immer wieder glänzende Gegenstände. Bene, seine beste Freundin Leni und sein Bruder Anton machen sich, gemeinsam mit der Dohle Corax auf die Suche nach dem Dieb. Viele der Erwachsenen verdächtigen Walburga, die am Waldrand lebt und nicht so richtig in die Dorfgemeinschaft zu passen scheint. Doch die Freunde sind sich sicher, dass die Vorurteile falsch sind, denn sie merken schnell: Es gibt immer mehr, als man auf den ersten Blick sieht. Während ihrer spannenden Suche entdecken sie nicht nur alte Geheimnisse, sondern auch das traditionelle Handwerk der Köhlerei. Plötzlich gerät Leni in große Gefahr und ein Verdächtiger scheint gefunden. Doch dann kommt alles anders als gedacht. Können die Freunde es gemeinsam schaffen, den Täter zu stellen? Und welche Rolle spielen dabei die geheimnisvollen Schrazellöcher? Um das herauszufinden, müssen sie mutig sein, Vorurteile überwinden und lernen, um Hilfe zu bitten. Ein spannender Kinderkrimi ab 9 Jahren, über Zusammenhalt, (Gott-)Vertrauen und den Mut, sich den eigenen Ängsten zu stellen.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 122

Veröffentlichungsjahr: 2025

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SUSANNE OSPELKAUS

© 2025 Brunnen Verlag GmbH, Gießen

Brunnen Verlag GmbH

Gottlieb-Daimler-Str. 22, 35398 Gießen

[email protected]

www.brunnen-verlag.de

Die Nutzung von Bild-, Sprach- und Textdaten für sog. KI-Training und ähnliche Zwecke ist nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung erlaubt.

Lektorat: Alena Dörr

Umschlag- und Innenillustrationen: Fionn Westermeier

Umschlaggestaltung: Daniela Sprenger/Brunnen Verlag GmbH

Satz: Brunnen Verlag GmbH

ISBN 978-3-7655-2192-8 (Buch)

ISBN 978-3-7655-7742-0 (E-Book)

INHALT

KAPITEL 1 – VERSCHWUNDEN

KAPITEL 2 – AUF DEM FRIEDHOF

KAPITEL 3 – DAS FEST

KAPITEL 4 – IM RATHAUS

KAPITEL 5 – WALLA IN GEFAHR

KAPITEL 6 – DIEBISCHE CORAX

KAPITEL 7 – IN DER KÖHLEREI

KAPITEL 8 – EIN VERDÄCHTIGER

KAPITEL 9 – DER NEBELGEIST

KAPITEL 10 – DER KÖHLER

KAPITEL 11 – DAS SCHRAZELLOCH

KAPITEL 12 – DIE SCHATZKARTE

KAPITEL 13 – AUF DER SPUR

KAPITEL 14 – GEFANGEN

KAPITEL 15 – ERWISCHT

KAPITEL 16 – PRESSEFOTO

KAPITEL 1

VERSCHWUNDEN

Er ist weg. Verschwunden. Unauffindbar. Ich bin mir sicher, dass ich ihn Mama gegeben habe. Trotzdem quetsche ich meine Finger zwischen Polster und schiebe sie unter staubige Schränke. Ich durchwühle Schubladen voller Krimskrams und kippe meine Legokisten aus. Nichts. Gar nichts.

„Bendix!“, ruft Mama durch das Treppenhaus. Immer wenn sie mich Bendix nennt, ist sie sauer. Wenn sie fröhlich ist, nennt sie mich Bennibär. Beide Namen sind schlimm. Ich bin zehn Jahre alt, und sie sagt Bennibär zu mir, als wäre ich ein Kleinkind.

„Bendix!“

Ihre Stimme hallt neben meinem Ohr. Sie schnauft, weil sie die Treppe hochgestapft ist und weil sie sauer ist.

„Du hattest ihn zuletzt.“

Sie steht in meinem Zimmer und betrachtet das Durcheinander. Legosteine überfluten den Teppich. Tannenzapfen und Eicheln liegen auf dem Schreibtisch neben Grammatikübungen und dem Rechenheft. Mama hat die Arme vor der Brust verschränkt. Sie guckt mich ernst an und auch ein bisschen traurig. Aber ich kann nichts dafür.

„Ehrlich, Mama, ich habe den Brieföffner aufgeräumt.“

Es ist ein besonderer Brieföffner. Er sieht wie ein Ritterdolch aus. Das Metall schimmert golden, obwohl es kein Gold ist. Eine Schlange windet sich um den Griff und in die Klinge sind Muster eingeritzt. Manchmal spiele ich damit, aber ich bin immer vorsichtig. Ich weiß, wie wertvoll er für Mama ist. Heute hat sie Geburtstag und wollte die schönen Briefe aus dem schönen Papier mit dem schönen Dolch öffnen. Nun muss sie das Küchenmesser nehmen.

„Echt Mama, ich habe ihn nicht.“

„Ach, Bendix“, seufzt Mama, „wie oft sage ich: Räume die Dinge immer dahin zurück, von wo du sie herhast. Sieh dir nur das Chaos in deinem Zimmer an. Nimm dir ein Beispiel an deinem großen Bruder.“

„Aber Mama …“

„Wer bitte schön hat meinen Brieföffner? Die Mäuse, oder die Schrazel?“

Das ist eine Frage, bei der Mama keine Antwort will. Ich drücke meine Lippen fest zusammen, damit kein Wort herausschlüpft. Dabei sammeln sich ganz viele Wörter in meinem Mund. Es ist doof, wenn sie mir nicht glaubt. Es ist doof, wenn sie mich mit meinem großen Bruder Anton vergleicht. Es ist doof, wenn sie mich Bendix nennt. Wenn sie mich Bene oder wenigstens Benedikt genannt hätte, dann hätte ich erzählt, dass noch mehr Dinge fehlen. Papa fragt schon seit ein paar Tagen, ob jemand seine glänzende Gürtelschnalle gesehen hat. Sie ist ein wuchtiges Ding, das er sich auf seine Gürtel ziehen kann.

Auf dem Fensterbrett stand immer ein kleiner Kerzenleuchter. Jetzt ist er auch weg. Aber ich sage nichts, sonst denkt Mama, ich hätte ihn verschlumpert.

Mama stapft die Treppe hinunter, und dann höre ich, wie sie in der Küche mit dem Geschirr klappert. Ich atme aus und lasse meine Lippen locker. Mein Gesicht fühlt sich ganz steif an. Ich bin traurig. Die Einzige, die mich trösten kann, ist Corax. Sie nennt mich weder Bendix noch Bennibär. Sie sagt einfach Kjak.

„Komm, Corax. Schack. Schack. Schack.“

Sie kommt anmarschiert und macht bei jedem Schritt Kjak. Fünf Schritte. Kjak, kjak, kjak, kjak, kjak. Ich halte ihr meine Handfläche hin, und sie hüpft hinauf. Langsam hebe ich den Arm hoch, als würde Corax Aufzug fahren.

„Weißt du, wo Mamas Brieföffner ist?“

Sie dreht den Kopf und schaut mich mit ihren blauen Augen an, als wenn sie die Antwort wüsste. Corax spannt die Flügel, segelt durch das Zimmer und landet auf dem Legoberg. Mit ihrem kleinen Schnabel schubst sie einzelne Steine beiseite.

„Nein, Corax, da kann der Dolch nicht sein. Er ist doch viel zu groß.“

Der Vogel kramt weiter zwischen den Steinen, und ich schaue zu. Seit zwei Jahren kennen wir Corax. Sie kommt, um zu fressen. Manchmal schläft sie hier. Manchmal ist sie tagelang unterwegs. Walburga hatte den Vogel im Wald gefunden, in einen Karton gelegt und zu uns gebracht. Anton hüpfte vor Freude auf und ab. Er hat ein Hobby mit vielen Buchstaben: Or-ni-tho-lo-gie. Man könnte auch Vogelkunde sagen, aber Schlauberger nehmen komplizierte Wörter. Walburga erklärte uns, wie wir den Vogel versorgen müssen. Immer wieder hat sie uns besucht, und jedes Mal haben wir etwas Neues von ihr gelernt. Walburga kennt sich aus mit Wald und Tieren. Deswegen nennen sie alle im Dorf nur die Wald-Walla. Bei jedem Wort, das Wald-Walla sagte, nickte Anton, als hätte er eine Wippfeder im Hals wie die Schaukeltiere auf dem Spielplatz. Jetzt ist Anton der Experte für Dohlen und ermahnt mich, wie ich mit Corax umgehen soll.

„Nein, Benedikt, die Dohle darf nicht in deinem Bett schlafen. Nein, Benedikt, du darfst den Vogel nicht ständig füttern. Pass auf, Benedikt, sonst wird Corax zu zahm.“

So redet er mit mir. Zugegeben, Anton weiß wirklich viel, weil er ständig liest und beobachtet und Fragen stellt. Er hilft mir auch oft bei den Hausaufgaben. Er ist wirklich gescheit, aber ich verstehe nicht, warum es schlimm wäre, wenn Corax zahm wird.

Sie kramt noch immer in meinem Lego. Schwungvoll wirft sie ihren Kopf hoch und hat etwas Goldenes im Schnabel.

„Juhu“, rufe ich, „da ist ja mein C-3PO.“

Ich stelle ihn in meine Lego-Figurensammlung neben Jedi Ritter und Clone Trooper, Polizeimännchen und Minecraft-Steve, Wunderwoman und Harry Potter. Sie passen nicht zusammen. Die Figuren sind so verschieden und seltsam wie die Leute in unserem Dorf. Wald-Walla, die viel lieber mit Bäumen und Tieren redet als mit Menschen. Der Köhler, der immer nach Holz, Rauch und Harz riecht und Metallkreuze an Touristen verkauft. Der Herr Pfarrer, der immer ein schwarzes Kirchenkleid trägt, außer wenn er die Einsätze bei der Freiwilligen Feuerwehr leitet. Der Bürgermeister, der jeden Tag um das Dorf joggt und dabei pft-pft-pft macht. Alle Kinder nennen ihn nur noch den Pft-pft-pft. Seinen richtigen Namen habe ich vergessen.

Jeder kennt jeden – aus Schule oder Trachtenverein, Kirche oder Feuerwehr. Die Menschen aus den anderen Dörfern sagen: „Die Oberaufer sind spinnert. Wer weiß, was die alles treiben? Man kommt nur in das Dorf hinein, aber nicht wieder hinaus.“

Natürlich kommt man aus Oberauf wieder hinaus, und zwar auf der gleichen Straße, auf der man hineinfährt. Es gibt nur uns, den Wald, eine Kapelle, Tiere und Berge. Es ist schön hier.

Schade, dass in letzter Zeit all die glänzenden Gegenstände verschwinden. Wenn ich den Ritterdolch nicht habe, dann muss ihn jemand anderes genommen haben. Wer klaut denn Brieföffner, Gürtelschnallen und Kerzenleuchter. Ist Oberauf doch spinnert?

KAPITEL 2

AUF DEM FRIEDHOF

Die Schulglocke läutet und ich stopfe meine Hefte in den Ranzen.

„Moment!“, ruft die Lehrerin. „Vergesst nicht unseren Besuch beim Bürgermeister! Jeder denkt sich bis nächste Woche eine Frage aus.“

Ein paar Kinder machen einen Eintrag ins Hausaufgabenheft. Ich habe meinen Ranzen schon auf dem Rücken und eile zur Tür.

„Benedikt? Hast du den Arbeitsauftrag verstanden?“

„Jaja, klar.“ Ich drücke die Klinke und öffne die Tür. „Darf ich jetzt gehen?“

Die Lehrerin wedelt mit der Hand. Ich weiß nicht, ob es ein Winken oder Wegscheuchen ist. Leni huscht an mir vorbei.

Sie ruft: „Wer zuerst am Grabstein ist.“

Wir flitzen durch das Schulhaus und springen die Treppen hinunter. Die Erstklässler starren uns an. Die Zweitklässler weichen aus. Die Drittklässler motzen.

Der Hausmeister brüllt: „Hier wird nicht gerannt, Herrschaftszeiten! Ihr seid die Großen, ihr solltet es doch besser wissen.“

Weil Leni so schnell ist, nehme ich drei Stufen auf einmal und lande hart. Ich muss warten, bis der Schmerz nachlässt. Am Zebrastreifen werde ich sie einholen. Vielleicht! Hoffentlich!

Wir haben uns neben den verwitterten Grabstein gesetzt. Leni war die Erste und hat einen Platz für mich freigehalten. Es sind die besten Plätze auf dem Friedhof. Bevor wir nach Hause gehen, spielen wir mit den Handys. Es trudeln noch mehr Kinder ein. Sie halten ihre Handys mit ausgestrecktem Arm in die Luft. Der beste Handyempfang in Oberauf ist auf dem Friedhof und der allerbeste am verwitterten Grabstein. Wenn die Verstorbenen wüssten, dass hier so viel los ist. Vielleicht wissen sie es und finden es gut. Wem gefällt schon Totenstille?

Leni schaltet ihr Handy an und reicht es mir. Sie ist eine sehr gute Freundin. Mama erlaubt mir noch kein Handy, dafür leiht mir Leni ihres. Mama erlaubt mir keine Computerspiele. Ich spiele für Leni Mario Kart. Mit den Fingern streiche ich über das Display und überhole Luigi. Leni liest mir die Namen auf den Grabsteinen vor. Manchmal geht sie auch hinter zur Kirche und hört der Orgel zu. Immer passt Leni auf, dass wir nicht zu spät nach Hause kommen, sonst wird Mama neugierig. Sie stellt Fragen und ich muss antworten. Mama hört, wenn ich schwindle. Meine Stimme sei dann so anders, sagt sie. Deswegen vermeide ich, dass Mama mir Fragen stellt.

Ich bin gerade auf dem ersten Platz, als Leni angerannt kommt.

„Bene, der Herr Pfarrer schimpft.“

Konzentriert schaue ich auf das Display.

„Benedikt, der Herr Pfarrer hat geflucht.“

Ich lasse meinen Daumen kreiseln und nuschle: „Das ist doch nichts Besonderes.“

„Diesmal schon. Es gab einen riesigen Krach in der Kirche, und dann hat er nicht nur Herrschaftszeiten gerufen, sondern auch …“

Leni beugt sich zu mir und flüstert in mein Ohr.

„Was? Er hat Mileckstamarsch, du Pfannakuacha gesagt? Dann muss etwas Schlimmes passiert sein.“

„Komm, lass uns zur Kirche gehen.“

Widerwillig beende ich das Spiel und gebe den guten Platz am Grabstein auf. Kaum bin ich aufgestanden, wirft ein anderer seinen Ranzen dahin und reserviert die Stelle. Allerdings bin ich auch neugierig, warum der Herr Pfarrer heute extra schlimm flucht.

Wir gehen um die Kirche herum zu einem Seiteneingang. Er führt in eine Kammer. Hier liegen Gesangbücher, Klingelbeutel und Kerzen, Kisten und Krempel. Wir schauen durch die angelehnte Tür. Es dauert lange, bis ich in der Dunkelheit etwas erkenne. Es scheppert und klappert. Der Herr Pfarrer schimpft und flucht. Wenn er atmet, pfeift er wie unsere alte Luftpumpe.

„Geht es Ihnen gut, Herr Pfarrer?“, fragt Leni.

Er dreht sich um. Ganz zerzaust und verschwitzt ist er. An seiner Kleidung hängen Staubfusseln und Spinnennetze.

„Ach, Kinder … er ist weg … der kostbare …“

Der Herr Pfarrer keucht zwischen den Worten, und ich habe Sorge, dass er umfällt.

„Wo ist … er nur?“

Ich frage: „Meinen Sie die goldene Tasse, Herr Pfarrer?“

„Ja! Aber es ist ein Kelch.“

„Ich weiß.“

„Du weißt es? Gott sei Dank, Benedikt. Wo ist er denn?“

„Nein, ich weiß, dass es ein Kelch und keine Tasse ist. Aber ich weiß nicht, wo die Tasse, äh, der Kelch ist, Herr Pfarrer.“

Der Pfarrer streicht sich sein verwuscheltes Haar zur Seite und stöhnt: „Himmelherrgott! Dann hat ihn jemand gestohlen.“

Er dreht sich um und geht in die Kirche. Wir hören ihn jammern: „Him-me-herr-god-noa-mi-naa.“

„Flucht er wieder?“, fragt Leni.

Ich schüttle den Kopf. „Er betet.“

Seltsam, denke ich, es verschwinden mehr Dinge als nur Brieföffner und Gürtelschnalle. Wir gehen zurück zum Grabstein, aber unser guter Platz ist besetzt. Also nehmen wir die Ranzen und setzen uns auf eine Bank. Ich habe jetzt sowieso keine Lust mehr, zu spielen. Leni zeigt in die hochgewachsene Buche.

„Schau mal“, sagt sie. „Da hockt Corax.“

Sie ist in Plauderlaune. Sie macht Schack und Kjöck und ein ganz langes Kjarrr. Ich rufe sie und sie segelt zu Boden. Es sieht lustig aus, wie sie mit ihren kurzen Beinen marschiert, als wäre sie eins dieser aufziehbaren Spielzeuge. Kjak und Schjak ruft sie im Takt ihres Marsches. Ihr kleiner Kopf hebt und senkt sich bei jedem Schritt.

Plötzlich bleibt Corax stehen. So reglos, als hätte sich der Aufziehmotor des kleinen Spielzeugs abgespult. Sie dreht den Kopf, breitet die Flügel aus und schwingt sich bis zur Kirchturmspitze. Ich kann sie kaum erkennen. Ein grauschwarzer Fleck klebt am goldenen Kreuz und macht Kjöck.

Von den Gräbern hinter der Buchenhecke ertönt ein langer Schrei, wie eine Sirene. Ich falle vor Schreck von der Bank. Leni zuckt zusammen.

„Saaaaaaakrament. Saaaaaaakrament. A Dieb.“

Wir rennen los. Ich spurte um die Hecke und sehe, wie eine alte Frau die Hände in die Luft streckt und ruft: „Saaaaaaakrament. Saaaaaaakrament. A Dieb.“

Leni steckt ihren Kopf durch die Hecke und fragt: „Was? Wo? Wann? Wie viele Menschen sind beteiligt?“

Die Frau erschrickt, als sie Leni sieht. Mit ihren hellblonden Haaren und ihrer weißen Haut sieht Leni fast aus wie ein Engel oder ein Geist. Die Frau schwankt. Wenn sie fällt, würde sie auf Pflanzen plumpsen. Sie wachsen wie ein Federbett auf dem Erdhügel. Schnell greife ich ihren Arm. Jetzt schwankt sie nicht mehr.

Ich frage: „Was wurde denn gestohlen?“

„Da! Schau! Das Grablicht ist nicht mehr da.“

Leni überlegt: „Vielleicht hat jemand das ausgebrannte Grablicht gesehen und hat den Plastikbecher entsorgt.“

„Nein“, jammert die Frau. „Es war kein Plastikgrablicht. Es war eine kleine Laterne aus schönem Metall. Sie war wertvoll.“

Sie hebt die Arme zum Himmel, als würde sie sich beim Herrgott persönlich beschweren.

„Himmel, Sakrament, meine schöne Laterne.“

Wer klaut denn Gegenstände von einem Grab? Wie gemein ist das denn?

Wir helfen der Frau und räumen ihre Gießkanne und den Rechen auf. Die Frau schleppt sich zum Ausgang und meint, dass sie mit dem Bürgermeister sprechen wird. Ich weiß nicht, ob Pft-pft-pft helfen kann. Er ist kein Detektiv. Entweder sitzt er im Büro und denkt oder rennt durch den Wald und macht pft-pft-pft.

Seltsam ist das schon. Erst sucht der Pfarrer seinen Abendmahlkelch, und dann fehlt ein kostbares Grablicht.

„Das ist doch kein Zufall“, sage ich.

Leni nickt.

„Fehlt bei euch auch etwas?“

Sie verzieht den Mund, und da weiß ich, dass es eine dumme Frage war. Leni und ihre Eltern leben in einem Haus, das so sicher wie ein Bunker ist: hohe Zäune, doppelte Schlösser, Kameras und Alarmanlagen. Lenis Eltern sind aus der Stadt nach Oberauf gezogen. Alle Oberaufer haben gesagt, dass die Städter spinnert sind, weil sie sich selbst einsperren.

Ich rufe Corax, die sofort angeflogen kommt und sich auf meine Schulter setzt. Ich streiche ihr über das Gefieder.