Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde - Robert Louis Stevenson - E-Book + Hörbuch

Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde E-Book

Robert Louis Stevenson

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Beschreibung

Vollständig neu überarbeitete, korrigierte und illustrierte Fassung Stevensons wohl bedeutendste Geschichte, und eine der berühmtesten Horrornovellen überhaupt, wurde 1886 zum ersten großen Publikumserfolg des bis dahin nur wenig bekannten Robert Louis Stevenson. Dr. Jekyll ist es mit Hilfe von chemischen Experimenten gelungen, der bösen, triebhaften Seite seines Wesens eine eigene Gestalt zu geben. Als Mr. Hyde treibt er im nebelverhangenen London sein Unwesen. Doch die Rückverwandlung in einen Menschen wird immer schwieriger. Mit 19 Illustrationen Null Papier Verlag

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Robert Louis Stevenson

Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Illustrierte und überarbeitete Fassung

Robert Louis Stevenson

Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Illustrierte und überarbeitete Fassung

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019Übersetzung und Fußnoten: Jürgen SchulzeIllustrationen: Charles Raymond MacauleyÜbersetzung: Grete Rambach EV: Insel-Verlag, Leipzig, 1930 2. Auflage, ISBN 978-3-954181-23-0

www.null-papier.de/jekyllhyde

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Au­tor

Die Ge­schich­te der Tür

Auf der Su­che nach Mr. Hyde

Dr. Jekyll ist ganz un­be­fan­gen

Die Er­mor­dung von Sir Dan­vers Ca­rew

Der Brief

Dr. La­ny­ons son­der­ba­res Er­leb­nis

Die Be­geg­nung am Fens­ter

Die letz­te Nacht

Dr. La­ny­ons Auf­zeich­nun­gen

Hen­ry Jekylls voll­stän­di­ge Dar­le­gung des Fal­les

Dan­ke

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Autor

Ro­bert Louis Bal­four Ste­ven­son (✳ 13. No­vem­ber 1850 in Edin­bur­gh; † 3. De­zem­ber 1894 in Vai­li­ma, nahe Apia, Sa­moa) war ein schot­ti­scher Schrift­stel­ler des vik­to­ria­ni­schen Zeit­al­ters. Ste­ven­son, der an Tu­ber­ku­lo­se litt, wur­de nur 44 Jah­re alt; je­doch hin­ter­ließ er ein um­fang­rei­ches Werk von Rei­seer­zäh­lun­gen, Aben­teu­er­li­te­ra­tur und his­to­ri­schen Ro­ma­nen so­wie Ly­rik und Essays.

Be­kannt ge­wor­den sind vor al­lem der Ju­gend­buch­klas­si­ker »Die Schat­zin­sel« so­wie die Schau­er­no­vel­le »Der selt­sa­me Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde«. Eine Rei­he sei­ner Ro­ma­ne ist heu­te noch po­pu­lär und zum Teil ver­filmt wor­den.

Ro­bert Louis Ste­ven­son wur­de als ein­zi­ger Sohn des In­ge­nieurs und Leucht­turm­bau­ers Tho­mas Ste­ven­son und der Mar­ga­ret Isa­bel­la Ste­ven­son, ge­bo­re­ne Bal­four, in Ho­ward Place, Edin­bur­gh, ge­bo­ren.

Das schot­ti­sche Kli­ma mit küh­len Som­mern und reg­ne­ri­schen, neb­li­gen Win­tern war für Mut­ter und Sohn äu­ßerst un­güns­tig, die bei­de zeit ih­res Le­bens von ge­schwäch­ter Kon­sti­tu­ti­on wa­ren. Lang Jah­re er­hielt Ste­ven­son als Kind und Ju­gend­li­cher Pri­vat­un­ter­richt, da er zu oft krank war, um ei­nem re­gel­mä­ßi­gen Schul­be­such nach­ge­hen zu kön­nen.

Wäh­rend sei­ner Kind­heit schrieb Ste­ven­son stän­dig Essays und Ge­schich­ten. Das ers­te his­to­ri­sche Buch des jun­gen Ste­ven­son »Pent­land Ri­sing«, das er in der Tra­di­ti­on der Ro­ma­ne von Sir Wal­ter Scott ver­fass­te, er­schi­en im Jahr 1866. Der Ro­man war von ge­rin­gem li­te­ra­ri­schem Wert.

1867 im­ma­tri­ku­lier­te sich Ste­ven­son an der Uni­ver­si­tät Edin­bur­gh, stu­dier­te zu­nächst Tech­nik und wech­sel­te auf­grund sei­nes la­bi­len Ge­sund­heits­zu­stands 1871 zum Stu­di­um der Rechts­wis­sen­schaft. Der hoch­ge­wach­se­ne schmal­schult­ri­ge Louis gab sich als Bo­he­mi­en, trug eine blaue Samt­ja­cke, schul­ter­lan­ges Haar und einen Schnurr­bart und er­reg­te mit sei­nem Auf­tre­ten Auf­se­hen in sei­ner Hei­mat­stadt. Sei­ne Dis­ku­tier­freu­de, die Hin­wen­dung zum Athe­is­mus und die Auf­leh­nung ge­gen die so­zia­len Ver­hält­nis­se im vik­to­ria­ni­schen Kö­nig­reich ent­frem­de­ten ihn dem kon­ser­va­ti­ven El­tern­haus.

Am 19. Mai 1880 hei­ra­te­te Ste­ven­son die 10 Jah­re äl­te­re und ge­schie­de­ne Fan­ny Os­bour­ne, die zwei Kin­de mit in die Ehe brach­te. Wi­der Er­war­ten ver­stan­den sich der streng kon­ser­va­ti­ve cal­vi­nis­ti­sche Va­ter Tho­mas Ste­ven­son und die ge­schie­de­ne, Zi­ga­ret­ten rau­chen­de Schwie­ger­toch­ter aus­ge­zeich­net.

1880 dia­gno­s­ti­zier­ten Ärz­te bei Ste­ven­son eine be­gin­nen­de Tu­ber­ku­lo­se.

»Die Schat­zin­sel« er­schi­en ab Ende des Jah­res 1881 in meh­re­ren Fort­set­zun­gen in der Ju­gend­zeit­schrift Young Folks, fand je­doch we­nig Be­ach­tung. Als im Jahr 1883 der Ro­man mit dem Ti­tel »Tre­a­su­re Is­land« in Buch­form bei Cas­sel & Com­pa­ny in Lon­don ver­öf­fent­licht wur­de, aus­ge­stat­tet mit zahl­rei­chen Holz­schnit­ten von Ge­or­ges Roux und der ab­ge­druck­ten Schatz­kar­te, wur­de er ein Best­sel­ler; be­reits nach we­ni­gen Jah­ren wa­ren 75.000 Exem­pla­re ver­kauft.

Im Jahr 1886 schrieb Ste­ven­son »Der selt­sa­me Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde«, eine Schau­er­no­vel­le, die auf ei­nem au­then­ti­schen Fall be­ruht.

1887 lern­te Ste­ven­son den ame­ri­ka­ni­schen Schrift­stel­ler Hen­ry Ja­mes ken­nen, der sich als ei­ner der ers­ten Kri­ti­ker ernst­haft, zu­gleich be­geis­tert, mit sei­nem Werk aus­ein­an­der­setz­te.

Der Va­ter Tho­mas Ste­ven­son verstarb am 8. Mai 1887 in Edin­bur­gh.

Wäh­rend ei­nes Be­suchs in New York im Jahr 1888 traf Ste­ven­son Mark Twain, des­sen »Huck­le­ber­ry Finn« ihn be­geis­tert hat­te; im Wa­shing­ton Squa­re Park sa­ßen bei­de lan­ge auf ei­ner Bank und dis­ku­tier­ten. Ein Brief­wech­sel schloss sich dar­auf­hin an.

Im De­zem­ber 1898 be­such­te Ste­ven­son erst­mals Sa­moa, wo er ein An­we­sen am Fuß des Mount Vaea, un­weit Apia auf der In­sel Upo­lu er­warb. Der Plan­ta­ge, die Ste­ven­son für 400 Pfund er­wor­ben hat­te, und dem Wohn­haus, das ab Ja­nu­ar 1891 in zwei­jäh­ri­ger Bau­zeit er­rich­tet wur­de, gab er den Na­men »Vai­li­ma« (»Was­ser aus der Hand«).

Zeit­wei­se leb­ten auf der Plan­ta­ge ein gan­zer Fa­mi­li­en-Clan: Groß­mut­ter, Mut­ter, Va­ter, Kin­der, An­ge­hei­ra­te­te und En­kel.

Am Abend des 3. De­zem­ber 1894 brach Ste­ven­son be­wusst­los zu­sam­men. Her­bei­ge­ru­fe­ne Ärz­te konn­ten nicht mehr hel­fen. Im Bei­sein der Fa­mi­lie, der Die­ner und Geist­li­chen starb Ste­ven­son, erst 44-jäh­rig, ohne noch ein­mal das Be­wusst­sein er­langt zu ha­ben. Als To­des­ur­sa­che wur­de eine In­tra­ze­re­bra­le Blu­tung ver­merkt. Die Ein­hei­mi­schen de­fi­lier­ten am To­ten­bett vor­bei und hiel­ten die To­ten­wa­che. Ste­ven­son wur­de am Gip­fel des Mount Vaea be­gra­ben, wie er es sich ge­wünscht hat­te.

Ro­bert Louis Ste­ven­son hat ein um­fang­rei­ches Werk von Ro­ma­nen, No­vel­len, Rei­se­be­schrei­bun­gen, Thea­ter­stücken, Ge­dich­ten, Essays und Brie­fen hin­ter­las­sen. Es ist dem häu­fi­gen Orts­wech­sel Ste­ven­sons ge­schul­det, dass sein Nach­lass weit ver­streut ar­chi­viert ist.

Zu Leb­zei­ten war Ste­ven­son sehr be­kannt, doch als die Li­te­ra­tur der klas­si­schen Mo­der­ne nach dem Ers­ten Welt­krieg auf­kam, wur­de er in Groß­bri­tan­ni­en als Au­tor zwei­ter Klas­se an­ge­se­hen, be­grenzt auf das Gen­re der Kin­der- und Hor­ror­li­te­ra­tur. Erst das spä­te 20. Jahr­hun­dert wür­dig­te Ste­ven­son wie­der als einen Au­tor ers­ten Ran­ges, als Li­te­ra­tur­theo­re­ti­ker, Essayis­ten und So­zi­al­kri­ti­ker, als Hu­ma­nis­ten und als Zeu­gen der Ge­schich­te der pa­zi­fi­schen In­seln.

Die Geschichte der Tür

Der Rechts­an­walt Ut­ter­son hat­te ein zer­furch­tes Ge­sicht, über das nie ein Lä­cheln husch­te; er war kühl, wort­karg und ver­le­gen in der Un­ter­hal­tung, schwer­fäl­lig in Ge­fühl­san­ge­le­gen­hei­ten, lang, ha­ger, ver­staubt und farb­los — und doch ir­gend­wie lie­bens­wert. Kam er mit Freun­den zu­sam­men und war der Wein nach sei­nem Ge­schmack, so leuch­te­te aus sei­nem Blick et­was un­ge­mein Men­sch­li­ches — et­was, das sich bei­lei­be nie in sei­ne Rede ver­irrt hät­te, das aber nicht nur bei sol­chen Ge­le­gen­hei­ten aus den Zü­gen sei­nes Ge­sich­tes, son­dern öf­ter und deut­li­cher noch im Le­ben aus sei­nen Hand­lun­gen sprach. Er war hart ge­gen sich selbst, trank, wenn er al­lein war, Wa­chol­der­schnaps, um sei­ne Schwä­che für ed­len Wein zu un­ter­drücken, und war, ob­gleich er eine Vor­lie­be fürs Thea­ter hat­te, seit zwan­zig Jah­ren in kei­nem ge­we­sen. Da­bei war er voll Duld­sam­keit ge­gen an­de­re, ja be­staun­te, manch­mal fast nei­disch, das Drauf­gän­ger­tum, das ihre Mis­se­ta­ten be­seel­te, und war im Not­fall eher zu hel­fen als zu ta­deln be­reit. »Ich nei­ge zu Kains ket­ze­ri­scher An­sicht«, pfleg­te er be­däch­tig zu sa­gen: »Ich las­se mei­nen Nächs­ten zur Höl­le fah­ren, wie es ihm be­liebt.« Da­her war es häu­fig sein Schick­sal, dass er die letz­te acht­ba­re Be­kannt­schaft und der letz­te gute Ein­fluss im Le­ben von Men­schen war, die sich auf ab­schüs­si­ger Bahn be­fan­den. Und ge­ra­de sie ließ er auch nicht den Schat­ten ei­nes ver­än­der­ten Be­neh­mens mer­ken, so­lan­ge sie bei ihm aus und ein gin­gen.

Al­ler­dings war dies kein Kunst­stück für Mr. Ut­ter­son; denn er war von Na­tur zu­rück­hal­tend, und auch sei­ne Freund­schaf­ten schie­nen in ei­ner ähn­lich gut­mü­ti­gen Vor­ur­teils­lo­sig­keit be­grün­det zu sein. Es ist das Kenn­zei­chen ei­nes be­schei­de­nen Man­nes, dass er sei­nen Freun­des­kreis fix und fer­tig aus den Hän­den der Vor­se­hung ent­ge­gen­nimmt, und so er­ging es dem Rechts­an­walt. Sei­ne Freun­de wa­ren Ver­wand­te oder Leu­te, die er schon lan­ge kann­te; sei­ne Zu­nei­gun­gen wa­ren mit der Zeit ge­wach­sen, gleich Efeu, und mach­ten kei­nen An­spruch auf Taug­lich­keit des Ob­jekts. Daraus er­wuchs zwei­fel­los auch das Band, das ihn mit Mr. Richard En­field, ei­nem ent­fern­ten Ver­wand­ten und stadt­be­kann­ten Mann, ver­knüpf­te. Vie­len war es ein Rät­sel, was die­se bei­den zu­ein­an­der zog oder was sie wohl für ge­mein­sa­me In­ter­es­sen ha­ben moch­ten. Leu­te, die ih­nen auf ih­ren Sonn­tags­spa­zier­gän­gen be­geg­ne­ten, wuss­ten zu be­rich­ten, dass sie nichts mit­ein­an­der spra­chen, au­ßer­or­dent­lich ge­lang­weilt drein­schau­ten und mit of­fen­sicht­li­cher Er­leich­te­rung das Er­schei­nen ei­nes Be­kann­ten be­grüß­ten. Da­bei aber leg­ten bei­de Män­ner den größ­ten Wert auf die­se Aus­flü­ge, be­trach­te­ten sie als Hö­he­punkt der Wo­che und gin­gen, um sie un­ge­stört ge­nie­ßen zu kön­nen, nicht nur Ver­gnü­gun­gen aus dem Wege, son­dern lie­ßen auch Ge­schäft Ge­schäft sein.

Auf ei­nem die­ser Streif­zü­ge ge­sch­ah es, dass ihr Weg sie durch eine Sei­ten­stra­ße in ein Ge­schäfts­vier­tel Lon­d­ons führ­te. Es war eine schma­le, so­ge­nann­te ru­hi­ge Stra­ße, in der je­doch an Werk­ta­gen ein er­sprieß­li­cher Han­del ge­trie­ben wur­de. Ihren Be­woh­nern ging es an­schei­nend gut, und alle streb­ten da­nach, dass es ih­nen noch bes­ser gin­ge. Was ih­nen vom Ge­winn üb­rig­b­lieb, leg­ten sie in der Ver­schö­ne­rung ih­rer Häu­ser an, so­dass die Lä­den die­ser Durch­gangs­stra­ße et­was Ein­la­den­des an sich hat­ten, wie eine Rei­he lä­cheln­der Ver­käu­fe­rin­nen. Selbst sonn­tags, wenn sie ihre wah­ren Rei­ze ver­barg und ver­hält­nis­mä­ßig men­schen­leer dalag, wirk­te die Stra­ße im Ge­gen­satz zu ih­rer schmut­zi­gen Nach­bar­schaft wie ein wei­ßer Rabe und be­stach mit ih­ren frisch an­ge­stri­che­nen Rol­lä­den und blank­po­lier­ten Mes­sing­schil­dern, ih­rer all­ge­mei­nen Sau­ber­keit und ei­ner ge­wis­sen hei­te­ren Note so­fort die Au­gen der Vor­über­ge­hen­den und er­reg­te ihr Wohl­ge­fal­len.

Zwei Häu­ser hin­ter ei­ner Kreu­zung wur­de die Stra­ßen­front lin­ker Hand, und zwar nach Os­ten, von ei­nem Ho­fein­gang un­ter­bro­chen, und dort rag­te der Gie­bel ei­nes düs­te­ren Ge­bäu­des über die Stra­ße em­por. Es war zwei Stock­wer­ke hoch, hat­te kei­ne Fens­ter, nur eine Tür im un­te­ren Stock­werk und dar­über eine lee­re, miss­far­be­ne Wand und trug al­lent­hal­ben den Stem­pel jah­re­lan­ger Ver­kom­men­heit und Ver­nach­läs­si­gung. Die Tür, an der man ver­geb­lich nach Klin­gel und Klop­fer ge­sucht hät­te, war ver­wit­tert und schmut­zig. Land­strei­cher fan­den Un­ter­schlupf in der Mau­er­ni­sche und ent­zün­de­ten ihre Streich­höl­zer an den Tür­fül­lun­gen, Kin­der spiel­ten auf den Stu­fen Kauf­la­den, Schul­jun­gen be­ar­bei­te­ten die Ge­sim­se mit ih­ren Ta­schen­mes­sern, und seit fast ei­nem Men­schen­al­ter war nie­mand ge­kom­men, der die­se Zu­falls­gäs­te ver­trie­ben oder ihre Spu­ren be­sei­tigt hät­te.

Mr. En­field und der An­walt gin­gen auf der an­de­ren Sei­te der Stra­ße, und als sie sich dem Ein­gang ge­gen­über be­fan­den, hob Mr. En­field sei­nen Stock und wies hin­über.

»Ha­ben Sie je­mals die Tür dort be­merkt?« frag­te er und fuhr, als der an­de­re ge­nickt hat­te, fort: »Sie ist in mei­ner Erin­ne­rung mit ei­ner äu­ßerst selt­sa­men Ge­schich­te ver­knüpft.«

»So?« sag­te Mr. Ut­ter­son mit leich­tem Schwan­ken in der Stim­me, »und was war das?«

»Das war so«, be­rich­te­te Mr. En­field: »In ei­ner schwar­zen Win­ter­nacht ge­gen drei Uhr kam ich vom an­de­ren Ende der Stadt und woll­te nach Hau­se. Mein Weg führ­te mich durch einen Stadt­teil, in dem buch­stäb­lich nichts an­de­res zu se­hen war als La­ter­nen. Weit und breit — die Leu­te schlie­fen alle — wa­ren die Stra­ßen wie für eine Pro­zes­si­on er­leuch­tet und still wie eine Kir­che, und schließ­lich ge­riet ich in den Zu­stand, in dem man sein Ge­hör an­strengt und im­mer­fort lauscht und an­fängt, sich nach dem An­blick ei­nes Schutz­man­nes zu seh­nen. — Auf ein­mal sah ich zwei Ge­stal­ten: die eine, ein klei­ner Mann, der mit schnel­len, schwe­ren Schrit­ten in öst­li­cher Rich­tung da­hin­ging, und die an­de­re, ein Mäd­chen von etwa acht bis zehn Jah­ren, das, so schnell es konn­te, eine Qu­er­stra­ße her­un­ter­ge­lau­fen kam. Die bei­den prall­ten na­tür­lich an der Ecke auf­ein­an­der; und jetzt kommt das Schreck­li­che an der Sa­che: der Mann schritt ru­hig über den Kör­per des Kin­des hin­weg und ließ es schrei­end am Bo­den lie­gen. Wenn man das hört, klingt es nach gar nichts; aber es war gräu­lich an­zu­se­hen. Das war kein Mensch, das war wie ein un­heim­li­ches Fa­bel­we­sen, das al­les nie­der­tritt, was sich ihm in den Weg stellt. — Ich rief ihn an, lief ihm nach, er­griff den Bur­schen beim Kra­gen und brach­te ihn zu der Stel­le zu­rück, wo sich be­reits eine Grup­pe um das schrei­en­de Kind ge­bil­det hat­te. Er war voll­kom­men ru­hig und leis­te­te kei­nen Wi­der­stand, doch streif­te er mich mit ei­nem so wi­der­wär­ti­gen Blick, dass mir der kal­te Schweiß aus­brach. Die Leu­te auf der Stra­ße wa­ren die Ver­wand­ten des Mäd­chens, und bald dar­auf er­schi­en auch der Arzt, von dem es vor­hin ge­kom­men war.

Nun, dem Kin­de war nichts wei­ter ge­sche­hen; es war, nach des Kno­chen­sä­gers Aus­sa­gen, mehr er­schro­cken — und jetzt wer­den Sie wahr­schein­lich den­ken, dass die Ge­schich­te zu Ende ist. Aber da war ein merk­wür­di­ger Um­stand. Mich hat­te auf den ers­ten Blick ein hef­ti­ger Wi­der­wil­le ge­gen den Mann ge­packt, ge­nau­so ging es der Fa­mi­lie des Kin­des, was nur na­tür­lich war; was mich je­doch aufs äu­ßers­te er­staun­te, war das Ver­hal­ten des Dok­tors. Er war der üb­li­che Feld-, Wald- und Wie­sen-Apo­the­ker, des­sen Al­ter eben­so un­be­stimm­bar war wie sei­ne Haar­far­be, sprach star­ken Edin­bur­gher Dia­lekt und hat­te so un­ge­fähr das Tem­pe­ra­ment ei­ner Du­del­sack­pfei­fe. Nun, ihm er­ging es nicht an­ders als uns al­len; je­des Mal, wenn der Kno­chen­sä­ger nach mei­nem Ge­fan­ge­nen hin­blick­te, merk­te ich, dass es ihm rot vor Au­gen wur­de, in dem Wunsch, ihn zu tö­ten. Ich wuss­te, was in ihm vor­ging, ge­nau­so wie er es von mir wuss­te, und da Tot­schla­gen nicht in Fra­ge kam, ta­ten wir das Nächst­bes­te. Wir sag­ten dem Mann, dass wir von die­ser Sa­che ein sol­ches Auf­he­bens ma­chen woll­ten und wür­den, dass sein Name von ei­nem Ende Lon­d­ons bis zum an­de­ren gen Him­mel stin­ken woll­te. Wenn er ir­gend­wel­che Freun­de und Kre­dit be­sä­ße, so woll­ten wir da­für sor­gen, dass er sie ver­lor. Und wäh­rend wir das, weiß­glü­hend vor Wut, auf ihn nie­der­pras­seln lie­ßen, wehr­ten wir, so gut wir konn­ten, die Frau­en von ihm ab; denn sie wa­ren wild wie Fu­ri­en.

Ich habe nie einen Kreis von so has­s­er­füll­ten Ge­sich­tern ge­se­hen, und in ih­rer Mit­te stand der Mann mit fins­te­rer, ja spöt­ti­scher Kalt­blü­tig­keit, ob­gleich er selbst er­schro­cken war — das konn­te ich se­hen —, doch wuss­te er das teuf­lisch gut zu ver­ber­gen. ›Wenn Sie Ka­pi­tal aus die­ser Be­ge­ben­heit zu schla­gen ge­den­ken‹, sag­te er, ›so bin ich na­tür­lich macht­los. Je­der Ehren­mann wünscht einen Skan­dal zu ver­mei­den, nen­nen Sie Ihre For­de­run­gen!‹ Wir ver­lang­ten hun­dert Pfund für die Fa­mi­lie des Kin­des; er hät­te sich si­cher gern dar­um ge­drückt, doch es lag et­was über uns al­len, das nichts Gu­tes ver­hieß, dar­um gab er schließ­lich nach. Nun hieß es, das Geld zu be­kom­men, und den­ken Sie sich, da führ­te er uns zu eben je­ner Tür dort, zog einen Schlüs­sel aus der Ta­sche, ging hin­ein und kam kurz dar­auf mit zehn Pfund in Gold und ei­nem Scheck über die Rest­sum­me auf eine Bank zu­rück. Der Scheck lau­te­te auf den Über­brin­ger und war mit ei­nem Na­men un­ter­zeich­net, den ich nicht nen­nen kann, ob­gleich er ei­ner der sprin­gen­den Punk­te mei­ner Ge­schich­te ist; je­den­falls war es ein wohl­be­kann­ter Name, den man häu­fig ge­druckt liest. Es war eine große Sum­me, aber die Un­ter­schrift bürg­te für noch mehr — vor­aus­ge­setzt, dass sie echt war. Ich nahm mir die Frei­heit, den Mann dar­auf hin­zu­wei­sen, dass die gan­ze Sa­che einen höchst zwei­fel­haf­ten Ein­druck ma­che, denn im ge­wöhn­li­chen Le­ben gehe kein Mensch nachts um vier in eine Kel­ler­tür und kom­me mit dem Scheck ei­nes an­de­ren Man­nes über an­nä­hernd hun­dert Pfund wie­der her­aus. Er war aber ganz un­be­sorgt und lä­chel­te spöt­tisch. ›Be­ru­hi­gen Sie sich‹, sag­te er, ›ich wer­de bei Ih­nen blei­ben, bis die Bank ge­öff­net wird, und den Scheck selbst ein­lö­sen.‹ So mach­ten wir uns alle auf, der Arzt, der Va­ter des Kin­des, un­ser Freund und ich, und ver­brach­ten den Rest der Nacht in mei­ner Woh­nung; am Mor­gen, als wir ge­früh­stückt hat­ten, gin­gen wir dann ge­mein­schaft­lich zur Bank. Ich gab den Scheck ei­gen­hän­dig ab und be­merk­te dazu, ich hät­te al­len Grund an­zu­neh­men, dass es eine Fäl­schung sei. — Aber nicht die Spur! Der Scheck war echt!!«

»Na, na«, mein­te Mr. Ut­ter­son.

»Ich sehe, Sie ha­ben das glei­che Ge­fühl wie ich«, sag­te Mr. En­field.

»Ja, es ist eine tol­le Ge­schich­te, denn der Mann war ein Bur­sche, mit dem man nichts zu tun ha­ben möch­te — ein ganz ver­bo­te­ner Kerl, und der Aus­s­tel­ler des Schecks ist der In­be­griff der Wohl­an­stän­dig­keit, ge­ra­de­zu be­kannt da­für und, was das Schlimms­te ist, ei­ner der Leu­te, die viel Gu­tes tun. Ich ta­xie­re: Er­pres­sung! Ein eh­ren­wer­ter Mann, der für ir­gend­ei­ne Ju­gen­dese­lei ble­chen muss. Er­pres­ser­haus nen­ne ich seit­her das Ge­bäu­de mit der Tür. Ob­gleich auch das bei wei­tem nicht al­les er­klärt«, füg­te er hin­zu und ver­fiel dar­auf in tie­fes Nach­den­ken.

Mr. Ut­ter­son rief ihn in die Wirk­lich­keit zu­rück, in­dem er et­was plötz­lich frag­te: »Und Sie wis­sen nicht, ob der Aus­s­tel­ler des Schecks hier wohnt?«

»Der Ort scheint mir nicht recht ge­eig­net zu sein«, ent­geg­ne­te Mr. En­field. »Nein, zu­fäl­lig weiß ich sei­ne Adres­se; er wohnt ir­gend­wo an­ders.«

»Und ha­ben Sie nie nach­ge­forscht, was es mit dem Haus mit der Tür auf sich hat?« frag­te Mr. Ut­ter­son.